Dez 162009
 

Der November 1989 aus der Sicht eines westlichen Rundfunk-Korrespondenten

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Als „Festspiele der überwiegend falschen Töne“ charakterisierte der Journalist Gerhard Rein, der von 1982 bis zum Ende der DDR als Hörfunkkorrespondent des Süddeutschen Rundfunks in Ost-Berlin tätig war, die Ereignisse des Herbstes 1989 im Imshäuser Gespräch. Rein würdigte besonders die Leistung derjenigen, die den Anfang machten, die etwas wagten und ihre Angst überwanden. Viele derjenigen, die später als „Bürgerbewegte“ bekannt wurden, hatte Rein schon vor 1989 kennen gelernt.

Viele von ihnen kamen aus den protestantischen Kirchen und damit sei es, so Rein, nicht ganz abwegig, über den Begriff „Protestantische Revolution“ nachzudenken. Allerdings sei die Tradition des Protestantismus nie auf die Herbeiführung revolutionärer Ereignisse angelegt gewesen. Den Akteuren sei es nicht um eine komplette Umwälzung gegangen, sondern um Veränderungen und Reformen. Gerade die Synoden des Evangelischen Kirchenbundes in der DDR seien eine der wenigen Möglichkeiten gewesen, eine Art „Einübung in die Demokratie“ zu versuchen.

Auch wenn sich die Kirchenoberen vielfach nicht leicht mit Kritik am sozialistischen Staat getan hätten, hätten sie letztendlich die Schlussdokumente der Ökumenischen Versammlung von 1988 akzeptiert, die durchaus als Gründungsdokumente der Bürgerbewegung bezeichnet werden dürften. Inzwischen hätten sich nach seiner Wahrnehmung im Rückblick die Perspektiven verschoben und die Leistungen der eigentlichen Akteure würden heute, sagte Rein, häufig abgewertet, während andere, die ursprünglich keine wesentliche Rolle gespielt hätten, plötzlich im Mittelpunkt des Interesses stünden. Das gelte auch für die heutige Bundeskanzlerin, die vor dem November 1989 in keiner Weise als kritisch in Erscheinung getreten sei. Selbst der erste frei gewählte Ministerpräsident Lothar de Maiziere habe die Debatte um eine mögliche gesamtdeutsche Verfassung mit den Worten, dies sei „Geschwätz von Intellektuellen“, kommentiert.

Das Positive an der DDR seien weniger grüne Pfeile und Kinderkrippen als vielmehr die Gewaltfreiheit der Veränderungen. Daher beurteilte Rein auch den Umschlag vom „Keine Gewalt“ des Herbstes1989 hin zur Bejahung von Gewalt sehr kritisch, die sich vor allem bei konservativen Mitgliedern der ehemaligen Bürgerbewegung beobachten lasse und die sich nicht zuletzt in der Zustimmung zum Irak-Krieg gezeigt habe.

Rein zeigte sich überzeugt, dass es längst an der Zeit sei, intensiv nach einer Alternative zu Kapitalismus und Sozialismus zu suchen. Zwar sei er nach wie vor „gelernter Antikommunist“, aber Antikommunismus alleine reiche nicht aus. Seinen sehr pointierten und zugespitzten Vortrag beendete Rein damit, dass er dazu anregte, statt der deutschen Einheit die Vielfalt in Freiheit zu feiern.


Quelle

Dieser Artikel ist erschienen in der HNA Rotenburg
http://www.stiftung-adam-von-trott.de/news_2009/2009_12_06.php


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