Nov 012011
 

Leseprobe aus „Osama bin Laden und der internationale Terrorismus“

Von Michael Pohly und Khalid Durán

Ullstein 36346, Seite 93 – 99

Osama bin Laden„Das Beispiel der Unterstützung der Islamisten durch die USA zeigt deutlich, wie sich eine kurzfristig angelegte Strategie in ihr Gegenteil verkehren kann. Die Rede vom Zauberlehrling macht die Runde. Bezogen auf Sicherheitsfragen heißt das, dass Ermittlungen auf der einen Seite sinnlos sind, wenn terroristische Organisationen auf der anderen Seite durch Staaten gezielt gefördert werden. Welche Behörde oder welcher Dienst soll eine solche Dichotomie des Denkens institutionell umsetzen?

Die USA und Europa, die heute den Bündnisfall erklären, stehen vor dem Dilemma, dass sie jetzt das mit Stumpf und Stiel ausmerzen wollen, was sie gestern noch unterstützt haben. Welchen Krieg wollen sie gegen die Dunkelmänner des Terrorismus führen? Es ist kein Kulturkampf zwischen Islam und Christentum, kein Kampf gegen fassbare, lokal verankerte Strukturen, sondern eine Herausforderung der zivilen Welt, gegen den Terrorismus zu bestehen. Der Terrorismus, der auf religiösen oder nationalistischen Impulsen basiert, ist kein muslimisches Monopol. Man findet ihn unter Christen, Juden, Hindus auf den verschiedenen Kontinenten dieser Welt. Vornehmlich in Staaten, die das Tempo der globalen Entwicklung wirtschaftlich, politisch und kulturell nicht mitgehen konnten, darunter auch viele islamische Staaten. Die Ohnmacht der Menschen äußert sich in Wut und Hoffnungslosigkeit, deren Ursache nur allzu häufig bei fremden Mächten gesucht wird. Selbstkritik findet kaum statt. Außenstehende können an diesem Zustand nur wenig ändern.

Sicher muss den Terroristen das Handwerk gelegt werden. Solange Länder wie Afghanistan zur Spielwiese internationalen Schmuggels, Rauschgifthandels, Waffenschmuggels und terroristischer Vereinigungen werden, bleibt die Bedrohung immens. Den Terroristen diese Basis zu entziehen, findet nicht nur Zustimmung im Westen, sondern und vor allem auch in Afghanistan, dessen Bevölkerung zu Geiseln eines politisch motivierten und religiös verbrämten, kruden Islams geworden ist.

Die Ausblicke sind gewiss nicht rosig. Man stelle sich vor, Osama bin Laden werde festgenommen oder getötet, seine wichtigsten Führer ebenso, die Basen in Afghanistan werden zerstört und die damit zusammenhängende Terrorismus-Infrastruktur in anderen Ländern auch. Das würde sich auf die Sympathisanten erst einmal dämpfend auswirken. Mit großer Wahrscheinlichkeit würden die bisher sehr nachgiebigen Regierungen mehrerer Staaten eine striktere Position beziehen. Das gilt besonders für die arabischen Staaten, die sich bislang ambivalent verhalten haben, aber auch für solche Länder wie Malaysia, die doppelzüngig handelten, indem sie auf der einen Seite die Terroristen finanzierten, auf der anderen aber scheinheilig um Unterstützung bei der Bekämpfung des Terrorismus baten. Hier gäbe es ganz sicher positive Veränderungen, denn bis jetzt herrschte die Meinung vor, die Islamisten seien im Kommen, und da wollte man sich rückversichern. Wenn die Islamisten heute im Geld schwimmen, so liegt das im Wesentlichen an den Zuwendungen durch das Öl reich gewordener Muslime, die um die Zukunft ihrer Privilegien bangen.

In die Amerikaner setzen diese Menschen wenig Vertrauen, haben sie doch meist schnell Reißaus genommen (aus dem Libanon, aus Somalia. Sie haben weder Gadhafi noch Saddam beseitigt. Der irakische Diktator hat die Amerikaner folgendermaßen charakterisiert: „Die können doch nicht einmal zehntausend Tote verkraften.“

Osama bin Laden meinte einmal, er und seine Djihad-Kameraden wären recht erstaunt gewesen, als sie feststellten, welch schlechte Kämpfer die Russen seien. Doch im Vergleich zu den Amerikanern nähmen sich die Russen als Helden aus. Die Amerikaner seien keine Soldaten, das hätte man in Somalia gesehen.

Washington muss nun erst einmal dieses von seinen Feinden voller Verachtung gezeichnete Bild korrigieren und sich durch eine konsequente politische Linie wieder Respekt und die notwendige Glaubwürdigkeit verschaffen. Damit wäre schon eine Schlacht gewonnen. Gerade die opportunistischen Golfstaaten würden es dann wagen, gegen die Islamisten anzugehen statt wie bisher zu versuchen, sich deren Gunst zu erkaufen.

Beispiel: Der Herrscher des kleinen, aber sehr reichen Golfstaates Qatar wetterte in einem Interview derart über die Terroristen, dass der Eindruck entstand, ein besserer Verbündeter im Widerstand gegen den Islamismus ließe sich gar nicht finden. Doch dann kam der große Widerspruch. Auf die Frage, weshalb er den islamistischen Chefideologen Yusuf AI-Qaradawl in seinem Lande dulde, schien der Landesherr ganz verdutzt. Was habe denn dieses Thema mit Qaradawl zu tun, der sei doch ein traditioneller islamischer Gelehrter?

Das ist jedoch der Ägypter Qaradawi ganz und gar nicht, vielmehr gehört er zu den islamistischen Propagandisten, die jene Art von Literatur produzieren, die junge Menschen zu Djihadisten werden lässt, wie seinerzeit Osama bin Laden. In Frankreich wurde ein Buch Qaradawis wegen Verfassungswidrigkeit verboten, und zwar nicht weil französische Sicherheitsbeamte daran Anstoß nahmen, sondern weil einsichtige Muslime von Rang dafür eintraten, derlei Verbildung im Namen des Islam zu unterbinden.

In den USA dagegen werden Qaradawis Schriften mit Erfolg vertrieben. Eine wichtige Rolle spielt dabei das gewaltige Netzwerk islamistischer Institutionen, die amerikanischen Stellen gegenüber angeben, die fünf Millionen starke Gemeinde amerikanischer Muslime zu vertreten. Hier ist es müßig, nach „Schläfern“ zu suchen und sie zu zählen. Dank ihrer gezielten Einschleusung in den letzten Jahrzehnten gibt es sie zu Tausenden. In Pakistan kamen Islamisten 1977 an die Macht, im Sudan 1989. In beiden Staaten wurden den Parteigenossen an den Universitäten schnell gute Abschlusszeugnisse ausgestellt, mit denen diese dann rasch ein Visum für Kanada oder die USA erhielten. In Amerika angekommen nahm sich sofort das Netzwerk ihrer an. Auf diese Weise kam es zu einer starken Präsenz von Islamisten in den USA. Dort gibt es wie in keinem anderen Staat der Welt eine Zusammenballung von geschultem islamistischen Personal und Finanzkraft. Das geben die Amerikaner auch zu, lässt es sich doch nicht mehr verhehlen.

Die große Masse der nicht-islamistischen Muslime nimmt das kaum zur Kenntnis. Sie sind froh in Amerika zu sein, sind doch die meisten von ihnen Flüchtlinge aus zahlreichen Kriegen.

Viele der Islamisten haben in den USA so phänomenale Karrieren gemacht, dass sie nun Amerika erhalten möchten, statt es zu zerstören. Sie sind der Meinung, die USA ließen sich auch so infiltrieren und übernehmen, deshalb hat sich ihre Perspektive radikal verändert. Sie halten die von Djihadisten wie Osama bin Laden angestrebte Zerstörung Amerikas für sinnlos. Warum in den Krieg ziehen, wenn man es viel leichter haben kann? Warum Selbstmordattentate, wenn man hier Freiheiten und Möglichkeiten besitzt wie nirgendwo anders. In beiden Parteien, Republikanern und Demokraten, sitzen inzwischen Islamisten auf hohen Posten, wie etwa der HAMAS-Aktivist Khaled Saffuri. Dessen Washingtoner „Islamisches Institut“ befindet sich in einem Republikanischen Parteibüro und dient eigentlich nur als Schaltstelle der Islamisten zu den Republikanern. Dann gibt es Islamisten wie den in Pakistan gebürtigen kalifornischen Milliardär Safi Qureishy, der dank seiner finanziellen Zuwendungen über beachtlichen Einfluss in der Republikanischen Partei verfügt.

Erlebt man hier eine Zähmung der Islamisten? Keineswegs. Die Querverbindungen zu Extremisten wie den Attentätern vom 11. September 2001 sind zahlreich. Vor allem aber wird in den USA selbst eine neue Generation von Extremisten herangezogen, deren Begeisterung über den Djihad unübertroffen ist. Im Gegensatz zu bin Laden wollen sie den Djihad nicht in Amerika betreiben, sondern in anderen Weltgegenden. So ziehen sie denn zum Beispiel nach Afghanistan, nach Kashmir oder Tschetschenien, um im Djihad zu kämpfen.

Eine Lösung des bin Laden-Problems, selbst wenn es eine umfassende Lösung sein sollte, wird keine Lösung des Djihad-Problems sein. Um mit dem Djihad-Wahn fertig zu werden, muss der Islamismus gründlich angegangen werden. Hier muss analysiert werden, worum es sich handelt: um eine regionale Spätform des Faschismus.

Es ist ein Trugschluss zu glauben, harte und umfassende Maßnahmen (auch schulischer Art) gegen den Islamismus seien ein Affront für den Islam und ein Ausdruck der Feindseligkeit gegenüber den Muslimen. Im Gegenteil, einer der wichtigsten Schritte sollte sein, den Musliinen ihre eigene Furcht vor den Islamisten zu nehmen. Bisher fühlen sich unabhängige Muslime, die ebenfalls Teil jener zivilisierten Welt sind, gegen die sich der Hass der Islamisten richtet, in ihrem Kampf gegen diesen fanatischen Extremismus allein gelassen. Für Amerika und Europa wird es höchste Zeit, in einer weltweiten Allianz, der auch die muslimischen Staaten angehören müssen, gegen diese gewaltverherrlichende Form des Fanatismus vorzugehen.“

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