Feb 012012
 

Um Gottes Willen – der Welt zuliebe

175 Jahre Leipziger, Gossner, Norddeutsche Mission
Thesen zur Missionstagung Meissen 6. bis 8. Mai 2011

Dr. Ulrich Schöntube (Gossner Mission), Hannes Menke (Norddeutsche Mission),
Hans-Georg Tannhäuser (Leipziger Mission), Johannes Bilz (Evangelische Akademie Meissen)

1. Die Lehre der Gründungsgeschichten: Weltmission belebt Mission vor Ort.

Die Ursprünge und Gründungsmotivationen der 1836 gegründeten Werke unterscheiden sich. Die Norddeutsche Mission entstand im Geist eines synodalen Prinzips lutherischer und reformierter Missionsbemühung. Für die Gossner Mission war ein apostolisches Motiv bestimmend, gesandt wie Christus zu sein. Die Leipziger Mission wurde aus konfessionellen Erwägungen gegründet, den lutherischen Glauben in die Welt zu tragen. Alle drei Werke entstanden im Geist der Erweckungsbewegung im Gegenüber zu den etablierten Kirchen, da in der Weltmission ein stärkendes Motiv für den eigenen Glauben gesehen wurde. Nachrichten von Konversionen in fernen Ländern zeugten von der lebendigen Kraft des Evangeliums. In transformierter Weise gilt dieser Gedanke auch heute noch: Das Wachstum des christlichen Glaubens bei unseren Partnern stärkt unsere missionarische Identität als Christen vor Ort.

Kreuzigungsgruppe von August Streitmüller im Missionshaus Leipzig

2. Das Trauma der Missionsgeschichte und die Provinzialisierung des Glaubens

Mission ist in Deutschland ein schwieriger Begriff, denn man assoziiert damit Gewissenszwang, Gewalt und Kollaboration mit Handelsgesellschaften (Kolonialmission).Wir sind uns dieser Schuld heute bewusst. Von unseren Partnerinnen und Partnern lernen wir, dass Missionsgeschichte auch positiv gesehen wird. Bildung und die Aufzeichnung von Kultur und Sprache hatten eine die Identität stärkende und bewahrende Funktion für die indigene Völker, die in der folgenden Zeit durch die Globalisierung bedroht wurden und werden. Weiterhin leistete die Mission im Rahmen einer Inkulturation des Evangeliums durch Bibelübersetzungen oder dem Aufgreifen vorfindlicher Musik etc. einen Beitrag dazu, eigene Formen zu finden den Glauben zu bezeugen. Die Missionsgeschichte primär als Schuldgeschichte zu bewerten führt dazu, den Reichtum der verschiedenen Inkulturationen des Evangeliums nicht wahrzunehmen und den Glauben damit in der eigenen Kultur zu provinzialisieren.

3. Postmoderne Mission als Konvivenz und Dialog

Die missionstheologischen Ansätze stellen sich im 20. Jahrhundert sehr vielfältig dar. Sie reichen von einem ökumenisch missionarischen Ansatz der missio Dei bis zu einem pfingstlerisch-charismatischen Ansatz einer Mission durch Zeichen und Wunder. Aus unserer Sicht liegen diese Debatten in ihrem einander ausschließenden Charakter hinter uns. Im Zeitalter des Pluralismus und der Postmoderne verstehen wir Mission als Prozess kontextualisierter Kommunikation, der mit den Begriffen „Dialog“ und „Konvivenz“ zu beschreiben ist (Sundermeier). Nur im Zusammenleben geschieht Dialog und ist ein missionarisches Zeugnis möglich.

4. Mission ist eine kontextuelle Herausforderung: Jeder Kontext erfordert ein Konzept

Das Verständnis von Mission ist sehr stark durch den jeweiligen Kontext bestimmt. Die Inkulturation der jeweiligen Missionsarbeit bei unseren Partnern lässt verschiedene einander nicht ausschließende Aspekte und Farben der Missio Dei hervor scheinen.

4.1. Mission als Befreiung (Topno): Jesus brachte das Evangelium als Wort der Freiheit den Armen, Gefangenen und Blinden (Lk 4,18). Damit sind heute alle gemeint, die unter ungerechten Machtverhältnissen leiden. Darunter sind nicht nur ökonomische Verhältnisse zu verstehen, sondern auch Verhältnisse

  • institutioneller Macht, Materialismus und Korruption in der Kirche
  • der Ohnmacht in Geschlechterrollen
  • kirchlich institutioneller Aktivitäten im Gewand religiösen Konformismus. Das Evangelium befreit von jeder Form der Knechtschaft und lädt ein, in Stille auf Gottes Gegenwart zu hören.

4.2. Ganzheitliche Mission (Kpoti): Mission geschieht nicht unter den Menschen, sondern mit ihnen. Das bedeutet für die etablierte Kirche, über religiöse Riten, Praktiken und dogmatische Formeln hinauszugehen, um den Menschen zu helfen, dass sie in ihrer Situation die von Jesus Christus gelebte Botschaft der Zuwendung, des Heils und der Heilung in ihrem Leben empfangen können. Mission ist demnach die ganzheitliche Aufgabe, sich auf die soziale und kulturelle Situation seines Gegenübers einzulassen und an dessen Entwicklung und Transformation mit zu arbeiten.

4.3. Mission als Evangelisation (Siniwin): Mission ist eine zielgerichtete Kommunikation, die nicht zentralistisch, sondern dezentral auf gemeindlicher Ebene orientiert ist und auf verschiedene Altersgruppen und ihre Bedürfnissen eingeht.

4.4. Mission als Sprachfähigkeit (Berneburg, Bauer): Mission bedeutet, sprachfähig zu werden für den eigenen Glauben. Deshalb ist eine Selbstverständigung über Glaubensinhalte auf der gemeindlichen Ebene anzustreben (Glaubenskurse). Für die Situation im Osten Deutschlands spielen dabei Fragen des Verhältnisses zwischen Glauben und Naturwissenschaft eine herausgehobene Rolle.

5.  Kulturell übertragbare Prinzipien der missionarischen Ansätze

Da missionarische Konzepte durch eine Kontextualität bestimmt sind, können sie kaum in andere Kontexte übertragen werden, Dennoch scheinen in den Konzeptionen basale Grundeinsichten missionarischen Handelns auf. Wir erkennen folgende kontextuell übergreifende Prinzipien:

5.1. Gott ist schon bei den Menschen: Mission bringt nicht Gott zu den Menschen, sondern weist auf den hin, der immer schon dort ist.

5.2. Menschen werden durch Menschen gewonnen: Dieses Hinweisen auf Gott geschieht in unmittelbarem persönlichem Handeln und Reden und setzt in der spezifischen Lebenssituation und bei den Sehnsüchten der Menschen an.

5.3. Sanftmütige Mission: Der Hinweis auf Gottes Gegenwart geschieht sanftmütig. Rede nur, wenn du gefragt wirst, aber lebe so, dass du gefragt wirst.

5.4. Geduld ist die Mutter der Mission: Missionarisches Handeln an Effekten und Zahlen für eine Institution zu orientieren, muss zu Frustrationen führen. Nach reformatorischem Verständnis ist der Glaube ein unverfügbares Geschenk. Demnach ist in Geduld auf das Aufgehen der Saat zu warten.

5.5. Mit den Augen der Hoffnung: Mission liest das Leben mit den Augen der Hoffnung. Sie resigniert nicht sondern beteiligt sich durch Wort und Tat an der Entwicklung und Transformation bestehender Verhältnisse, auch wenn es keine unmittelbaren kurzfristigen „Effekte“ gibt.

5.6. Neue Spiritualität entdecken: Ein Glaube, der sich missionarisch erneuert und eine Kontextualisierung sucht, wird neue spirituelle Ausdrucksformen suchen und keine Angst haben, das Vertraute zu verlieren.

5.7. Mission ist das Blut der Kirche: Da Mission in des Glaubens neue Lebenswelten das Evangelium kommuniziert, ist sie das vitale Fluidum des institutionellen Leibes der Kirche. Sie belebt sowohl die Gemeinschaft der Gläubigen als auch die kulturelle Verfassung dieser Gemeinschaft gemäß dem Verhältnis zwischen Botschaft und Ordnung (Barmen III).

5.8. Mission ist Kommunikation: Jede Form von Dialog ist ein wechselseitiges Geschehen. Deshalb war und ist Mission keine Einbahnstraße. Insofern kann es im missionarischen Dialog nicht allein um das Ziel gehen eine institutionelle Gestalt des Glaubens nach außen zu transportieren, um Mitgliederzahlen zu erhalten. Sondern es muss darum gehen, sich auf die je und je konkrete Lebenswelt in gemeinsamer Suche einzulassen, um ein neues Licht des Evangeliums zum leuchten zu bringen.

Mission in Zeiten postulierter Toleranz

Tagung zu Toleranz

6. Freiheit des Gewissens: Verhältnis zu anderen Religionen

6.1. Der christliche Glaube steht in jedem Kommunikationsprozess in einem Verhältnis zu anderen Religionen und Weltanschauungen. Die Religionsgeschichte zeigt, dass zwischen den Religionen in den jeweiligen Formen und „Strategien“ der Weitergabe des Glaubens eine Tradition des Gebens und Nehmens besteht. Während in der Vergangenheit das Streben nach politischer Herrschaft häufig mit der Frage der Religion verbunden war, findet der missionarische Dialog heute auf der Basis eines neuzeitlichen Konzepts der Religionsfreiheit statt. Dies ist eine dem Evangelium gemäße Form des missionarischen Dialogs. (Feldtkeller)

6.2. Dieser Dialog findet in vielen Ländern nicht allein in offiziellen Räumen statt, sondern auch in Formen eines „unsichtbaren Dialogs“ in den Familien und in selbstverständlichen Formen alltäglicher Konvivenz der Religionen. Es dürfte mit dem spezifischen Erbe der Säkularisierung zusammenhängen, das Religion in Deutschland als „Privatsache“ angesehen wird und der interreligiöse Dialog demzufolge ein Spezialdiskurs ist. In der Herausbildung einer multireligiösen Gesellschaft werden hier besondere Herausforderungen entstehen (Samraj).

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  3 Responses to “Mission and Evangelism”

  1. Was den Fragenkomplex um den Begriff Mission im religiösen Bereich betrifft, gibt es für mich nur einen Maßstab und das ist der Auftrag Christi (Matth.28,19) und das Vorbild der Apostel, wie es im Neuen Testament mit allen deren Schwächen überliefert worden ist. Wer diesen Auftrag mit allerhand theologischen und philosophishen Spitzfindigkeiten in sein Gegenteil verkehren will, der soll sich lieber mit Mohammed, Buddha, Konfuzius und Ramakrishna bzw. Darwin, Marx oder Nieitzsche auseinandersetzen, und nicht mit Jesus Christus, oder sich einen Christen nennen.
    Übrigens, was die Grausamkeiten, die im Namen Christi angestellt worden sind, halte ich den vom Humanismus so angepriesenen Homo „sapiens“ verantwortlich, der auch schon andere religiöse Weltanschauungen für horrende Greueltaten an an der Menschheit, d.h. sich selber, als Deckmantel benutzt hat.

  2. Mit Interesse habe ich die „Thesen“ zum heutigen Missionsverständnis gelesen. Die These 4.1. beschäftigt sich mit „Mission als Befreiung …aus ungerechten Machtverhältnissen“, namentlich mit der „Ohnmacht der Geschlechterrollen“ – und genau darüber sprach unser Grossvater Hermann Gäbler in einer „Missionsstunde“ in Stützengrün, nämlich über die Zwangsverheiratung von indischen Mädchen und das Schicksal der Witwen. Mission trage zur Beendigung dieses Missstandes bei. (Ich zitiere aus dem Kopf, da die Unterlagen in Kärnten sind). Bei aller pietistischen Grundstimmung unseres Grossvaters fehlte bei ihm der Blick für strukturelle soziale Ungerechtigkeit durchaus nicht.

  3. Im Rahmen der Teilnahme an Ökumenischen Aufbaulager Ende der 50er Jahre habe ich die Arbeit der Gossner Mission in Berlin, Wolfsburg und Mainz-Kastell kennengelernt. Bereits während der Internierung in Indien haben wir mit Präses Stosch Ma-Jongg gespielt. Das Missionsverständnis der Gossner Mission hat mich geprägt. Eine Freundin aus Zeiten des Aufbaulager in der DDR hat mir diesen lesenswerten Beitrag zugeschickt, der für mich als Missionarskind das Missionsverständnis heute treffend kennzeichnet.