Feb 242012
 
Gesichtspunkte – Glaube und Gesellschaftliche Situation –
zum Thema „Wandlungen“
Erinnerung und Aktualität  – Hintergrund und Vertiefung von Gesprächen

Von Gisa Baaske

Giselher Hickel hat auf der Jubiläumstagung zur Gründung der Gossner Mission im Januar 2005 ein Kurzreferat zum Arbeitsfeld Ökumenischer Jugenddienst (ÖJD) gehalten, zu den Gesichtspunkten: Damals und Heute.

1.  Arbeitsfeld Ökumenischer Jugenddienst Damals (Giselher)

„Nach dem II. Weltkrieg gab es so etwas wie einen Aufbruch und eine Erneuerung der christlichen Jugendbewegung aus der ersten Jahrhunderthälfte, Fahrten und Lager waren im Schwange. Doch die eigentliche Aktualität dieser Form von Jugendbewegung kam aus Impulsen der ökumenischen Bewegung, seit 1948 in Gestalt des Weltrates der Kirchen.“ …

„Ökumenische Ideen waren in 50/ 60er Jahren keineswegs überall willkommen. Der Faschismus wirkte noch in den Köpfen. Kalter Krieg setzte der Toleranz Grenzen. Grenzen sollten aber die Jugenddienste überschreiten: Länder und Blockgrenzen, Kirchen und Konfessionsgrenzen, vor allem die Grenze zwischen Kirche und Welt und, als Konsequenz daraus, die Grenze zwischen Christen und Sozialisten. Dies war nicht nur ein intellektuelles, und auch nicht nur ein geistliches Geschehen. Man wollte etwas tun, innerhalb und außerhalb der Kirche, zusammen mit Gemeinden und zusammen mit dem Nationalen Aufbauwerk. Man wollte Gesellschaft gestalten und verändern, nicht nur beobachten, nicht abwarten und überwintern. Öffnung für die Ökumene, das ist Öffnung für die Welt, und damit auch Öffnung für unbequeme Fragen: War heute noch richtig, was als kirchliches Dogma galt? Gab es eine Antwort auf den Hunger der Welt, auf koloniale und neokoloniale Ausbeutung von Menschen und Völkern? Mussten Christen nicht die auf den kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen basierende weltweite Gewaltherrschaft kritisieren? Welche Kräfte in der eigenen Gesellschaft suchten ernsthaft nach Alternativen? Wo war Solidarität am Platze, wo Abgrenzung geboten?“ …

Solche Fragen waren umstritten. Vor allem war umstritten, welche „… Konsequenzen wir aus den weltweiten Problemen für unsere Position in der eigenen Gesellschaft gezogen haben.“

2.  Gemeinde in der sich wandelnden Welt

War Thema des Ostertreffens 1960. Die Diskussionsergebnisse aus Gruppe 1 trage ich vor. Das sind 2 Thesen und die Antworten der Gruppe darauf:

These I: Unsere Welt ist größer und anders geworden. Wir haben einen weiteren Horizont, aber um so weniger verstehen wir. Unser Verstehen und Wissen wird oberflächlich, dadurch werden wir unsicher in Beurteilung und Handlung.

Antwort: Wir wollen uns durch die Fülle des Geschehens und der Aufgaben nicht in eine Resignation treiben lassen. Wir sollten vielmehr versuchen, mit unseren Kräften die kleinen und konkreten Lebensaufgaben zu bewältigen. Das geschieht in unserer Familie, in unserem Haus, in unserem Beruf, in unserer Stadt. Es geschieht  als Einzelner, in der Gemeinschaft mit anderen und innerhalb einer Organisation.

These II: In der heutigen Gesellschaft wird der Mensch nach seinen Leistungen beurteilt. Dadurch werden die menschlichen Beziehungen unmenschlich. Die Angst um seine Existenz zwingt den Menschen zur Selbstbehauptung um jeden Preis.

Antwort: Wir müssen versuchen, diese Selbstbehauptung in ein gutes Selbstvertrauen umzugestalten. Das geschieht, indem wir Gottes umfassende Liebe und Sinngebung auch für das ärmste Leben verkündigen. Das geschieht, indem wir ernst nehmen, wie der andere sein kleines Leben und seine Aufgaben bewältigt in mitmenschlicher Beziehung, in der Familie und am Arbeitsplatz.

3.  Aus einem Brief von Dietrich vom September 1961 (nach dem Mauerbau)

„…Die Zeit der Rundbriefe ist jetzt vorbei. Uns alle beschäftigt die Frage, was wir nun zu tun haben. Es ist deutlich, dass unsere Gemeinschaft auf die Probe gestellt wird. Sie kann an den äußeren Schwierigkeiten zerbrechen, dann haben wir es nicht anders verdient…..“ „Es wird an uns, an jedem einzelnen liegen, die Gemeinschaft untereinander festzuhalten. Es wird sich zeigen, ob es uns um die Sache ging. Unsere Aufgabe, die beschäftigt uns, die wir jetzt und für die Zukunft haben.

Wir werden neu zu durchdenken haben, was es für uns als Christen bedeutet, dass Jesus Christus als unser Herr mit uns in dieser Welt unterwegs ist. Wir sind von neuem gefragt, ob wir bereit sind mit ihm zu gehen und ihm und der Welt in unserer Situation zu dienen.

Was wir brauchen ist das brüderliche Gespräch, in dem wir nach unserem Glauben, unserer Hoffnung und unserem Tun gefragt werden; das uns hilft die Situation und die Zeichen der Zeit richtig zu verstehen und darauf Rede und Tat zu wagen.“

Ein Hinweis

In der Zeit vom Ostertreffen 1962 – 1963 war, wie Briefe aus dieser Zeit ahnen lassen, gar nicht so sicher, dass wir bis heute als große Gruppe zusammen bleiben. 1962, die Erfahrungen an der Grenze waren zermürbend und zeitaufwendig und es stand in der Luft, zukünftig parallele Treffen durchzuführen und nur täglich drei bis vier Botschafter von West nach Ost zu schicken. Ein gemeinsames inhaltliches Arbeiten wäre dann wohl sehr schwer, wen nicht unmöglich geworden. Irgendwann gab es dann bei den Westlern einen inneren Solidaritätsbeschluss, dass sie in die DDR kommen würden, solange die Mauer steht.

4.  Unser Glaube heute, war Thema des Ostertreffens 1963

Die holländische Gruppe schreibt in einem Brief unter anderem:

„Wie ihr wisst, hat sich unser Kreis in den vergangenen Monaten Gedanken darüber gemacht, was christlicher Glaube in dieser Zeit für uns bedeutet. Die Veranlassung dazu war ein bei uns aufgetretenes Unbehagen über das, was man gewöhnlich als christlichen Glauben bezeichnet,“ … “sowie ein Verlangen nach der wahren, ‚lebendigen‘ Bedeutung des Evangeliums.“

„… Aber was ist Glaube? Es scheint, als ob es etwas ist, was nicht unbedingt feststeht, nicht objektiv gültig ist; der Glaube ist veränderlich. Das spürt man schon in der Bibel. An wie viel Stellen wird nicht ausdrücklich gesagt: „Den Alten wurde gesagt … Ich aber sage Euch …“ Damit wird nicht das A.T. ungültig erklärt, sondern es ist ein Hinweis darauf, dass der Glaube in jeder Zeit anders ist, dass er sich entwickelt. Die ganze Bibel ist eine Zusammenstellung von Berichten darüber, wie die Verfasser in ihrer Zeit den Glauben erlbten “ … „Um unseren Glauben lebendig zu gestalten, müssen wir mit unserer Zeit gut vertraut sein.“ …. „Vielleicht müssten wir sagen Gott, der Mut zum Leben gibt statt Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, Weil dadurch deutlich wird, dass der Glaube in Gott bedeutet: nicht mutlos und negativ dem Leben gegenüber zu stehen, sich nicht mit dem Freund – Feind – Denkschema abfinden u.a., alles Dinge, die in unserer Zeit hochaktuell sind.“

Pfarrer Marquardt geht in seinem Referat „Unser Glaube heute“ von dem Problem aus: Wer ist Gott, wo ist Gott, was meinen wir, wenn wir sagen, es gibt Gott. Gott ist kein Gegenstand unserer Vorstellung mehr. Die Gedanken Marquardt’s zum Fürbittengebet möchte ich vortragen:

„Die einzige Art und Weise, in der wir heute unseren Glauben formen und formulieren können, ist das Fürbittengebet:

  1. Im Gebet wird Gott zu meinem Gegenüber.
  2. Das Gebet als Fürbittengebet verbindet mich nicht nur mit Gott, sondern gleichzeitig mit den anderen Menschen, weil das Fürbittengebet ökumenisch ist, über Grenzen hinweggeht.
  3. Das Fürbittengebet ist deswegen Grundform meines Glaubens heute, weil es alle Menschen einschließt. Im Fürbittengebet ist Apartheid nicht mehr möglich. In der Fürbitte sind wir solidarisch mit den „Gottlosen“.
  4. Ein Fürbittengebet muss ich jeweils neu formulieren, denn ich kann nicht die alten traditionellen Formulierungen anwenden, sondern muss selber mit meiner eigenen Sprache sagen, was ich meine. Das macht es mir möglich, rationell aufzuklären, auszusagen, festzustellen, was ich heute für die Menschen, für die Gemeinschaft will. Das Fürbittengebet ermöglicht mir die Anwendung meines Verstandes.
  5. Im Gebet zu Gott für meine Brüder spreche ich nur aus, wofür ich selbst bereit bin mich einzusetzen. Es gibt dann auch keine Differenz zwischen mir und meinem Wort, mir und meinen Gedanken“

5.  Arbeitsfeld ökumenischer Jugenddienst heute?

(weiter aus dem oben genannten Referat von Giselher Hickel zum Jubiläum der Gossner Mission 2005)

„Dietrich Gutsch und wir als ÖJD … waren in den 60er und 70er Jahren weiter als nach der Kehrtwende von 1989. Wir waren näher an der Ökumene. Wir waren näher an denen, in denen Jesus uns heute begegnet… Die … Frage ist: Lassen wir die Einsichten und Positionen der Ökumenischen Bewegung heute an uns heran? Sind wir bereit, uns ihnen zu öffnen? … Sind wir heute bereit, Gemeinde im Widerstand zu werden und damit Kirche Jesu Christi zu bleiben – eine sich zu ihm „bekennende“ Kirche?

  • Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen damals und heute: Damals ging es darum, in Rede und Praxis Zeugnis davon abzulegen, dass Gott auch in der als gottlos diffamierten Gesellschaft präsent und am Werk war.
  • Heute geht es darum, in Rede und Praxis zu bezeugen, das Gott in der sich selbst als christlich deklarierten Gesellschaft ein Fremder ist.
    Damals ging es darum, in die Gesellschaft einzuwandern.Heute geht es darum, sich aus der Komplizenschaft mit den die Gesellschaft prägenden Kräften zu lösen.Damals ging es um kritische Solidarität.
  • Heute geht es um Widerstand, der (im Sinne von Barmen und Accra) bereit ist, nicht nur zu bezeugen, was wir glauben, sondern der es auch wagt zu sagen: Wir verwerfen. …
  • Damals ging es darum, Grenzen zu überschreiten. Heute geht es darum, einer grenzenlosen Deregulierung Einhalt zu gebieten. …
  • Das entscheidende Kriterium, unser Verhältnis zur Gesellschaft zu bestimmen, damals wie heute, sind die Elenden, und zwar ökumenisch – weltweit. Wann immer wir als Gemeinde in einer Gesellschaft leben, die Armut, Ausbeutung und Elend produziert, kann das nicht unsere Gesellschaft sein. …..“

6.  Wohin?

Ich denke, wir können immer noch ein wenig Salz und Pfeffer sein, auch wenn unser persönliches Aufgabenfeld langsam kleiner wird. Sollten wir beschließen, unsere Konferenzen zu beenden, entlassen aus der Gemeinschaft sind wir aber dennoch nicht.

Deshalb möchte ich zum Abschluss noch einmal ein paar Worte von Giselher vorlesen, aus dem Referat, dass er auf der ÖJD – ade Tagung 1994 gehalten hat und danach ein Gebet von Dietrich, das zu seinen Gedanken zu 1. Petrus 4, 1 – 11 gehört, aus: „Halt uns bei festem Glauben.“

Giselher: „Lasst uns nicht Abschied nehmen von jener zugleich biblischen und politischen Utopie der einen messianischen Gemeinde Jesu, der einen Gesellschaft, in der alle Platz haben und es nicht Sieger noch Besiegte gibt, der einen Welt, in der „Gerechtigkeit und Frieden einander küssen.“ Lasst uns nicht Abschied nehmen von der ökumenischen Vision, die uns einmal zusammengeführt hat.“

Dietrich: „Herr Jesus Christus, unsere Gegenwart mit den Freuden, Aufgaben und Problemen nimmt uns so in Anspruch, dass wir die Zukunft, Dein Kommen, aus dem Blick verlieren. Damit wird die Orientierung für unser Reden und Handeln schwierig. Lass uns den Zusammenhang von Morgen und Heute erkennen, um jetzt das Richtige und Hilfreiche zu tun. Amen.“


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