Jul 032012
 

Jubilar der Woche

Von Gerhard Rein, im Juni 2012

Der Bundespräsident ist hundert Tage im Amt. Joachim Gauck werde die Nation versöhnen, hatte Sigmar Gabriel vorausgesagt, als er Joachim Gauck zum Kandidaten seiner Partei ausrief. Was Gauck angeht, erwies sich der SPD-Chef als ahnungslos. Gauck ist kein Versöhner. Er spaltet eher, als dass er Menschen zusammenführt.

Den auf keinen Fall. So soll Angela Merkel reagiert haben, als ihr Gauck als Bundespräsident vorgeschlagen wurde. Sie gab schliesslich nach. Heute wissen wir, dass die Bundeskanzlerin ahnte, was sie sich mit Gauck antun würde. 100 Tage haben längst gereicht, um zu erkennen, dass es neben ihr in Berlin nun ein zweites Machtzentrum gibt. Kein exekutives. Aber Gauck hat, ganz anders als der verhuschte Köhler und der unglückselige Wulff, vom ersten Tag seiner Amtszeit an Erklärungsmacht, Sprachmacht für sich erworben. Er konkurriert mit Merkel um die Repräsentanz und um die Deutung Deutschlands. Er kommt seiner Rolle nach. Im Unterschied zu Merkel und seinen beiden Vorgängern verfügt er über ein ungeheures rhetorisches Talent. Mit seiner Sprachmacht spielt Gauck virtuos. Es ist sein Pfund, sein Instrument. Er beherrscht es. Manchmal ist es ein wirkliches Vergnügen, ihm zuzuhören. Ein Bundespräsident, der die freie Rede beherrscht. Halleluja.

Freilich hat sich in den ersten hundert Tagen auch erwiesen, dass Gauck unberechenbar hin und her schwankt und für jede schlechte Überraschung gut ist. Er ist eben nicht stromlinienförmig, jubeln seine Anhänger. Er fordert uns alle heraus. Mag ja sein. Haben wir uns nicht schon lange einen Bundespräsidenten gewünscht, der uns und auch der Kanzlerin nicht nach dem Munde redet ?

Das große Harmonieorchester der Leitmedien unserer Republik, BILDSüddeutscheFAZARDZDFWELT, haben Gauck einzeln und gemeinsam hochgejazzt vor hundert Tagen, dass einem schwindlig davon werden konnte. Nun zeigen sich erste Dissonanzen im Ensemble. Zunächst hatte Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung vorlaute Kritiker Gaucks in zwei Kommentaren als „Nörgler“ ausgemacht ( und damit vielleicht auch Kollegen im eigenen Blatt zur Raison bringen wollen), nun aber, nach Gaucks Antrittsrede bei der Bundeswehr in Hamburg, warnt Kister den „selbsternannten Freiheitspräsidenten“. Wenn der den Deutschen vorwerfe, glückssüchtig zu sein, solle Gauck doch bedenken, dass Freiheit und Glück nicht zu trennen sind. Vor hundert Tagen wies Albrecht von Lucke jede kritische Anmerkung zu Gauck vehement zurück, nun überschreibt er in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ seinen jüngsten Kommentar mit „Gaucksche Wundertüte“.

In der Wundertüte steckt ein Präsident, der sich selbst bekehrt hat. Vor Jahr und tausend Tagen hatte Gauck noch bei fast jeder Gelegenheit die 68er, die ideologisch verbohrten Links-Protestanten und ähnliches Gedöns für alles Negative in der Bundesrepublik verantwortlich gemacht. Jetzt, als Bundespräsident, erweist er den 68ern seine Reverenz. Er macht den Kohl. Wer weiss denn, auf welcher Seite ich gestanden hätte, wäre ich in der DDR aufgewachsen? Wunderbare Anbiederung. So nun auch Gauck. Vielleicht wäre er selbst ein 68er geworden, wäre er im Westen aufgewachsen. Selbst-Bekehrung, Zuwachs an Wissen oder Taktik?

In der Wundertüte steckt ein selbstgewisser Wahrsager. “Ich gehe davon aus, dass Karlsruhe nicht gegen die Instrumente zur Euro-Rettung vorgehen wird.“ Der Bundespräsident verletzt mit dieser Voraussage die sensible Balance zwischen den Verfassungsorganen und muss, vermutlich gegen seine ursprüngliche Intention, seine Unterschrift unter Gesetze zum Fiskalpakt doch aufschieben, um dem Verfassungsgericht notwendige Zeit zur Prüfung einzuräumen.

Aus der Wundertüte heraus entfalten sich die eindrucksvollen Wortgebilde, deren Gauck so mächtig ist. Deutschland, ein „Demokratiewunder“. Die Soldaten der Bundeswehr werden zu „Mutbürgern“ einer wahren „Armee des Volkes“ befördert. Dieser hohe Ton aber ist vielen Menschen ein Gräuel. Er entfremdet den Bundespräsidenten von den Menschen, die aus vielen guten Gründen vor Auslandseinsätzen der Bundeswehr und vor Strategien der Abschreckung warnen. Zumal der Bundespräsident ohne jede Differenzierung sich bei seinem Vortrag an der Führungsakademie der Bundeswehr dem Thema nähert. Er feiert den Zusammenschluss von NVA-und Bundeswehrtruppen als „Armee der Einheit“, beklagt, „dass es wieder deutsche Gefallene gibt, dass ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen“, ohne auch nur zu erwähnen, oder zumindest anzudeuten, dass die deutschen Soldaten, die bei Auslandseinsätzen zu Tode kamen, in der Mehrzahl aus Ostdeutschland stammen. Sagt das gar nichts aus? Passt das nicht? Die Friedensbewegung wird sich durch Gauck nicht vertreten fühlen. Er vereint nicht, er polarisiert. Wenn Gauck nicht immer wieder von Menschen in unserem Land spricht, “die fast neurotisch auf der Größe der deutschen Schuld beharren“, dann hält er die Deutschen für „friedensverwöhnt“ oder jetzt eben für „glückssüchtig“. Der Bundespräsident als Chefanalytiker unseres Fehlverhaltens.

Zum hohen Ton kommt das ungeheure Pathos, ohne das Gauck nicht auskommen mag. Im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ erklärt Gauck, dass er mit seinen Überzeugungen westlichen Werten verpflichtet sei: “ Ich gehöre dem Reich der Freiheit an“. Man liest so einen Satz, ich lese diesen Satz und erschrecke und denke, das darf nicht wahr sein. Geht’s noch? Dieser Ausruf ist so pathetisch, dass er mir die Schuhe auszieht, aber er ist gleichzeitig auch so nichtssagend großspurig, dass ich mein Schuhwerk wieder anziehen kann. Gauck, warum nicht ein klein wenig leiser, mit weniger Reich? Aber ich befürchte, der Bundespräsident von der Küste, am Wasser gebaut, wird so bewegt sein von diesem wie von anderen eigenen Sprüchen, die ihm gelungen erscheinen, dass er eine Träne dabei fast nicht unterdrücken kann.

Zu den traurigen Folgen der Präsidentschaft Gaucks zählt, dass sie die Träger der friedlichen Revolution, des politischen Umbruchs in der DDR entzweit und gespalten hat. Wer sich kritisch mit Gaucks Freiheitsbekundungen auseinandersetzt, wird von seinen Anhängern wüst beschimpft und denunziert. In öffentlichen Erklärungen und heftigen e-mail-Wechsel geht es hin und her. An Gauck scheiden sich die Geister. Nein, den Versöhner Gauck gibt es nicht.

Links zu Joachim Gauck

Links zu Gerhard Rein

  One Response to “100 Tage Gauck”

  1. Ich erhielt eine E-Mail mit einem Offenen Brief an den Bundespräsidenten. Ich würde mich freuen, wenn der Brief von vielen unterschrieben wird:

    Lieber Christoph,
    wir überreichen im Anhang unseren Brief an Bundespräsident Gauck. Bitte, wenn möglich, von Deinen Freunden unterschreiben lassen und die Namen an uns (Kontaktadressen) zurückschicken.
    Im September schicken wir eine Nachricht ans Bundespräsidialamt.

    Mit herzlichen Grüßen

    Willibald Jacob, Charlotte Leehr

    Offener Brief an den Bundespräsidenten Gauck

    Rede des Bundespräsidentenvor vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg