Jan 272013
 

Die Lebensalter nach Romano Guardini

Romano Guardini: Die Lenensalter-1

Romano Guardini: Die Lenensalter-2

Romano Guardini: Die Lenensalter-3Quelle für drei Abbildungen in Anlehnung an Dr. Peter Gruber/Stefan Latt: http://www.laterale.at/downloads/guardini_lebensalter.pdf

Richtig alt werden

  • Richtig alt werden kann nur der, der das Altwerden innerlich annimmt.
  • Wenn das Alter nicht angenommen wird, dann erleidet er oder sie das Alter, es wird z.B. Jugendlichkeit vorgetäuscht.
  • Wenn das Alter angenommen wird, wird diese Phase des Lebens wertvoller.
  • Alter ist Leben von eigner Art und eignem Wert.
  • »Voll-Enden« heißt, zu Ende bringen, aber so, dass darin das sich erfüllt, worum es geht.
  • Im Maße der Annahme des Alters wird das Verhältnis zu den Jüngeren anders. Er anerkennt ihre Existenz der Jüngeren; ja er lernt, sie zu lieben und versucht, ihnen zu helfen. Das fühlen dann die Jüngeren und lernen ihrerseits, im Altgewordenen das Alter anzuerkennen.

Sinn des Alters

  • Der in der richtigen Weise Altwerdende wird fähig, das Ganze des Lebens zu verstehen.
  • Er hat keine eigentliche Zukunft mehr; er wendet seinen Blick auf das Vergangene zurück. Er sieht die Zusammenhänge; erkennt, wie darin die verschiedenen Anlagen, Leistungen, Gewinne und Verzichte, Freuden und Nöte durch einander bestimmt werden und so jenes wunderbare Gefüge entsteht, das wir »ein Menschenleben« nennen.
  • Dann sieht und versteht er die Zusammenhänge – vorausgesetzt freilich, dass er den Mut hat, sehen zu wollen, was ist, und die Redlichkeit, nur das sehen zu wollen, was wahr ist.
  • Die Dinge und Geschehnisse des unmittelbaren Lebens verlieren ihre Vordringlichkeit. Die Gewalttätigkeit, mit der sie den Raum der Gedanken, die Fühlkraft des Herzens in Anspruch nehmen, lässt nach. Vieles, das ihm größte Bedeutung zu haben schien, wird unwichtig; anderes, das er für geringfügig gehalten hatte, nimmt an Ernst und Leuchtkraft zu. Die Gewichte verändern sich, und Maßstäbe neuer Art werden deutlich.
  • Was helfen aber alle Gerontologie der Medizin und alle Fürsorge der Sozialpflege, wenn nicht zugleich der alte Mensch selbst zum Bewusstsein seines Sinnes gelangt? Dann wird er nur biologisch erhalten und ist sich wie seiner Umgebung eine Beschwerde.
  • Aufgabe der Allgemeinheit
  • Die Allgemeinheit muss dem alternden Menschen die Möglichkeit geben, sein Altern richtig zu vollziehen, denn das hängt nur zu einem Teil von ihm, zum anderen davon ab, ob seine Umgebung, seine Familie, sein Freundeskreis, darüber hinaus aber auch der soziale Zusammenhang, die Gemeinde, der Staat ihm jene Lebensbedingungen geben, die er selbst sich nicht geben kann.
  • Geschieht das und tritt das in Korrespondenz mit dem eigenen Willen des alternden Menschen, das Seinige richtig zu tun, dann entsteht ein Bezug, der für das Ganze unentbehrlich ist.

Leseprobe

Die Lebensalter – Ihre ethische und pädagogische Bedeutung

Von Romano Guardini

Romano Guardini um 1920

Romano Guardini um 1920
Bild aus Wikipedia

Die Krise durch die Erfahrung der Grenze  II

„Dann aber setzt die Krise ein: nämlich ein immer deutlicheres Gefühl für die Grenzen der eigenen Kraft. Der Mensch erfährt, dass es ein Zuviel gibt, an Arbeit, an Kampf, an Verantwortung… Die Arbeitslast häuft sich. Die Anforderungen werden immer größer. Hinter jeder tauchen wieder neue auf, und man sieht kein Ende… Denken wir daran, was es bedeutet, ein Heim aufrecht zu halten; eine Familie zum Gedeihen zu führen; einen Beruf zu verwirklichen; einen Betrieb zu leiten; öffentliche Funktionen zu erfüllen. Was darin alles an Personen, Dingen, Kräften, Ordnungen steckt; welche Spannungen, Schwierigkeiten, Widerstände sich geltend machen. Das alles strebt beständig, auseinander zu rinnen; jedes Element steht ja schon in einer eigenen, sei es naturhaften, sei es personalen Teleologie. So muss es durch eine immer neue Anstrengung, durch Klugheit, Wachsamkeit, selbstloses Ausgleichen, Verzicht zusammengehalten werden. Das kommt langsam zu Bewusstsein, und während zuerst ein Gefühl von Reserven, Kraft, Initiative und Einfallsfähigkeit lebendig war, dringt nun das der Grenze durch. Die Erfahrung der Müdigkeit stellt sich ein: dass es zu viel wird; dass man ruhen möchte; dass man anfängt, vom Kapital zu zehren – besonders in Augenblicken, wenn die Arbeit sich allzu sehr häuft; die Anforderungen zu groß werden; die Schwierigkeiten unüberwindlich scheinen. Die Illusionen vergehen; und nicht nur jene, die das Wesen der Jugendlichkeit ausmachen, sondern auch jene, die daraus kommen, dass das Leben noch den Charakter der Neuheit hat, noch nicht ausprobiert ist.

Bisher haben der Ernst, die Entschlossenheit, die Verantwortung für das Gründen, Bauen, Kämpfen das Bewusstsein bestimmt. Nun verliert das alles seine Frische und Neuheit, sein Interessantes und Anspornendes. Man weiß allmählich, was das ist: das Arbeiten und Kämpfen. Weiß, wie die Menschen sich benehmen, wie die Konflikte entstehen, wie ein Werk ansetzt, sich entfaltet und fertig wird, wie eine Menschenbeziehung sich entwickelt, eine Freude erwacht und zerrinnt…

Der Reiz der frischen Begegnung, des neu Unternommenen verliert sich. Das Dasein bekommt den Charakter des bekannten. Der Mensch weiß Bescheid. Er bekommt das Gefühl, die Dinge wiederholten sich. Das ist natürlich nicht ganz richtig, denn wir sprachen schon einmal davon, dass nichts sich wiederholt. Der Weisheitssatz: »alles ist schon da gewesen«, kann auch umgedreht werden: »nichts war schon so da«. Das Moment der Bekanntheit, der Einförmigkeit dringt aber im Gefühl durch. In allem macht sich die Routine fühlbar.

Immer mehr enthüllt sich die Armseligkeit des Daseins. Man erlebt Enttäuschungen an Menschen, auf die man Hoffnung setzte. Die Allgemeinheit offenbart eine Stumpfheit und Gleichgültigkeit, ja eine Böswilligkeit, die man früher noch nicht sah. Man sieht hinter die Kulissen und merkt, dass die Dinge viel kümmerlicher sind, als man gedacht hat. Der Überdruss meldet sich. Das, was die Alten das »taedium vitae« genannt haben; jene tiefe Enttäuschung, die nicht aus einem einzelnen Anlass, sondern aus der ganzen Breite des Lebens kommt. Die Technik, welche das Leben uns gegenüber anwendet, besteht doch darin, dass es am Anfang viel verspricht. Besonders die Zeit der Pubertät und der Jugendlichkeit empfindet diese unendliche Verheißung. Dadurch wird der Mensch ermutigt – Pessimisten von der Art Arthur Schopenhauers sagen: er wird verlockt – in die Unbekanntheit des Lebens hineinzugehen; die Verpflichtungen auf sich zu nehmen, die in der Freundschaft, der Liebe, der Berufswahl liegen. …

Im Fortgang des Lebens wird die Kraft dieser Verheißung immer schwächer. Der Blick sieht schärfer; das Herz traut weniger. Es wird immer deutlicher, dass die Versprechungen nicht gehalten werden; das Gewährte nicht aufwiegt, was man eingesetzt hat. Daraus kommt allmählich die große Ernüchterung, die sich in jedem Leben vollzieht. Und nicht nur bei solchen, denen es viel versagt, sondern auch bei solchen, denen es viel schenkt; von denen die Umgebung meint, sie seien vom Glück begünstigt und hätten Bedeutendes geleistet. Denn was das Sinngewicht des Lebens ausmacht, ist ja nicht das Extensive, das Quantum, sondern das Intensive, die Kraft des fühlenden Erlebens.

Link