Jan 282013
 

Militärische Komponenten bestimmen zunehmend unsere Politik

Von Gerhard Rein, 24.01.2013

Unsere Gesellschaft verändert sich dramatisch. Sie hat sich von dem Konzept einer Weltinnenpolitik verabschiedet, die sich nach Frieden sehnt. Sie lässt sich nicht mehr leiten von Konsens, sondern von Konflikt. Was nach dem Desaster des Zweiten Weltkrieges nicht vorstellbar war, erlebt in Deutschland zurzeit eine traurige Wiederkehr: ein militarisiertes Denken hält erneut Einzug in unsere alltägliche Politik. Eine  militärische Komponente begleitet wirtschaftliche und politische Entscheidungen. Konservative, Sozialdemokraten und Bündnis Grüne stellen diesen Wechsel nicht infrage. Er stellt auf den Kopf, was Deutsche nach 1945 an Friedfertigkeit und Zurückhaltung langsam gelernt hatten.

Unsere Freiheit wird nicht nur am Hindukusch verteidigt, sondern jetzt auch in Mali. Sagt die Bundeskanzlerin. Es gibt keine Region der Welt, in der die Bundeswehr nichts zu suchen habe, meint der Verteidigungsminister. Als „Mut-Bürger in Uniform“ seien die Bundeswehrsoldaten ein Friedensmotor für das große „Wir“, doziert der Bundespräsident.

Angela Merkel, Thomas de Maiziere und Joachim Gauck befördern seit geraumer Zeit einen schleichenden Epochenwechsel, der uns einreden will, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr als Friedenspolitik zu verstehen sind, und dass wachsende Rüstungsexporte immer stärker als Erweiterung von Märkten und Absatzchancen angesehen werden.

Am 22.Oktober 2012 erklärte die Kanzlerin in Strausberg vor Soldaten der Bundeswehr, deutsche Rüstungsexporte seien ein Instrument der Friedenssicherung. “Waffen und begleitende Schulung sind Hilfe zur Selbsthilfe. Deutschland ist aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen.“ Saudi-Arabien, Katar, Indonesien zum Beispiel warten auf Waffenlieferungen aus Deutschland. Sind das vertrauenswürdige Partner, die in ihren Regionen für Stabilität und Ordnung sorgen? Oder wird mit Waffen aus Deutschland die eigene Opposition bekämpft? Wer widerspricht Frau Merkel, wenn Sie Waffenexport als Friedenspolitik ausgibt?

Bei der Bundeskanzlerin kann man inzwischen von einer Merkel-Doktrin sprechen. Als CDU-Vorsitzende hatte Angela Merkel im Jahr 2003 in einem Brief an die “Washington Post“ behauptet, dass nicht alle Deutschen hinter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Ablehnung des Irak-Krieges stünden. Merkel unterstützte George W. Bush und seinen Krieg gegen den Irak.

Gestern Hindukusch, heute Mali, morgen die ganze Welt. Thomas de Maiziere hat in seiner jüngsten Reform die Bundeswehr verkleinert, ihr Einsatzgebiet aber ausgedehnt. „Grundsätzlich gibt es keine Regionen, in denen deutsche Soldaten nichts zu suchen hätten“, so de Maiziere im Juli 2012 im MDR. Bewaffnete Drohnen sollen den Soldaten helfen, die Feinde aufzuspüren. de Maiziere spricht sich für den Kauf von Drohnen aus. Sie seien zielgenauer als herkömmliche Waffensysteme und erhöhten die Chance, dass keine Unbeteiligte getroffen würden. Genau das aber werfen Kritiker de Maiziere vor: Alle bisherigen Erfahrungen, überwiegend die der USA in Afghanistan, im Jemen und in Somalia, hätten gezeigt, dass bei einem Einsatz von Drohnen immer wieder Zivilisten getötet oder verletzt werden. Der Verteidigungsminister erklärt, dass  er moralische Bedenken bei Drohnen nicht habe. Ferngesteuerte Systeme wie Torpedos oder Raketen gebe es seit langem. Sie seien auch unbemannt. „Ethisch ist eine Waffe stets als neutral zu betrachten“, so der Minister. Diese kluge Frivolität zog de Maiziere erst dann zurück, als er nach dem Ethikgehalt von Streuwaffen und Landminen gefragt wurde. Bei dem von de Maiziere angekündigten, vermehrten Auslandseinsätzen der Bundeswehr, hat der Verteidigungsminister freilich ein Problem ausgemacht. Der Minister bemängelt, dass bei der Bundeswehr zu viele Menschen arbeiten, die sich nicht für den Einsatz fern ihrer Heimat begeistern lassen.“ Die Sehnsucht junger Leute nach der großen weiten Welt wird heute anders bedient. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Interesse für das Unbekannte gibt als Sehnsucht nach dem Hotel Mama.“ So de Maiziere im Januar 2013 in der Osnabrücker Zeitung.

Steinbrücks dumme Sottisen werden zu Recht aufgespießt und angeprangert. Was de Maiziere formuliert und was nichts als Fassungslosigkeit auslöst, wird öffentlich nicht einmal zu Kenntnis genommen. Soldaten ohne Sehnsucht passen einfach nicht zu de Maizieres Abschied von einem Leitbild einer zivilen Friedensmacht hin zu einer militär-gestützten Machtpolitik nach Interessenlage.

Auch Joachim Gauck lässt keinen Zweifel daran, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr der wahre Bewährungsfall für die Soldatinnen und Soldaten seien. Vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg erklärte der Bundespräsident am 12.Juni 2012, dass heute in der Bundeswehr ausgebildet werde, „mit der klaren Perspektive, in solche Einsätze geschickt zu werden“. Das Wort Kriegseinsätze vermeidet Gauck, spricht aber von „Kriegsversehrten“ und möglichen „deutschen Gefallenen“. Diese Andeutungen von zu erwartenden Kriegstoten als Folge von Kampfeinsätzen konterkariert der Bundespräsident mit blumigen Beschreibungen der Bundeswehr als „Stütze unserer Freiheit“, „Armee des Volkes“, „Teil des Demokratiewunders“, als „Friedensmotor für das große Wir“.

de Maiziere beklagt die fehlende Sehnsucht bei jungen Soldaten nach Auslandseinsätzen, Gauck kritisiert eine „glückssüchtige Gesellschaft“, die eine „Ohne uns“-Haltung pflegt, dem gegenüber Soldatinnen und Soldaten uns vormachen, was „Bereitschaft zur Hingabe“ heißt.

Ausgerechnet der Bundespräsident, die Kanzlerin, und der Verteidigungsminister, von Amts wegen auf eine Friedenspolitik verpflichtet, befördern eine schleichende Militarisierung unseres Denkens. Merkel, de Maiziere und Gauck sind vom evangelischen Milieu unserer Gesellschaft nicht zu trennen. Sie halten Bibelarbeiten oder  Vorträge auf den Kirchentagen, lassen sich dort von Tausenden feiern, werden aber von Verantwortlichen ihrer Kirche ihrer militanten Sichten wegen weder infrage, noch zur Rede gestellt. Offenbar hat die Evangelische Kirche ihre Rolle als Gewissen der Nation verloren. Offenbar ist es nicht gelungen, Merkel, de Maiziere und Gauck zu vermitteln, was im ökumenischen Horizont nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges an gemeinsamen Einsichten entstanden ist: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Die Friedensverpflichtung des Grundgesetzes als Ausgangspunkt und bindendem Handlungshorizont deutscher Politik bleibt bestehen und darf nicht durch eine militär-gestützte Machtpolitik abgelöst werden. Die unbedingten Optionen für die Gewaltfreiheit, für die Gerechtigkeit zugunsten der Armen und für die Integrität der Schöpfung bleiben die ethischen Maßstäbe für eine nachhaltige friedensfördernde Politik. Merkel, de Maiziere und Gauck muss entschieden widersprochen werden. 


Link