Feb 122013
 

Der fremde Norden

Die Kirchen in der „Dritten Welt“ haben inzwischen eigene Profile entwickelt

Von Frieder Ludwig

Der fremde Norden von Frieder LudwigDie protestantische Mission, die wesentliche Impulse aus der Erweckungsbewegung empfangen hatte, war bereits vor dem Ende der Kolonialzeit von Vorbehalten begleitet. Schon 1906 schrieb der Heidelberger Theologie-Professor Ernst Troeltsch, dass selbst der ernsthafteste religiöse Mensch gewisse Bedenken gegenüber der Mission empfinde: Die Verwerfung des Glaubenszwangs und der Gedanke der Toleranz hätten notwendigerweise zu einem weitgehenden Relativismus geführt. Man wolle fremde Überzeugungen nicht angreifen und die eigenen nicht verspotten lassen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkten sich die Anfragen. Westliche Missionsagenturen wurden des „religiösen Hausfriedensbruchs“ bezichtigt, ihre „Beihilfe zum Kolonialismus“ hervorgehoben. Die Machtübernahme Mao Zedongs in China bedeutete eine tiefgreifende Zäsur. 1949 kündigten chinesische Kirchenführer an, ihre Beziehung zu den „alten“ Kirchen einer grundsätzlichen Überprüfung zu unterziehen.

Anlässlich des Korea-Krieges wurden 1951 die amerikanischen Missionare des Landes verwiesen und jegliche finanzielle Unterstützung aus dem Ausland abgeschnitten. Auch in anderen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas wurde der Beitrag der westlichen Missionare zunehmend kritisch gesehen, durchaus auch von Kirchenleitungen und Theologen. 1971 forderte der Generalsekretär der presbyterianischen Kirche in Ostafrika, John Gatu, den Rückzug der westlichen Mitarbeiter für mindestens fünf Jahre, damit die Kirchen der Dritten Welt ihre eigene Identität finden könnten.

Allerdings entwickelten sich unter afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Theologen auch andere Positionen. Der aus Gambia stammende und in den USA unterrichtende Lamin Sanneh  kritisierte die „Klischees“, welche „die gesamte christliche Mission lediglich als ein Instrument des westlichen Kulturimperialismus“ verstehen wollten. Neu bekehrte Christinnen und Christen seien keine passiven Objekte gewesen, Mission habe sich in einem dynamischen und nicht einseitig steuerbaren Prozess vollzogen.

Sanneh veranschaulicht dies am Beispiel der Bibelübersetzungen: Dadurch habe die christliche Botschaft im Kontext der jeweiligen Kultur Gestalt gewinnen können, eigenständige Auslegungen seien ermöglicht worden. Auch vor diesem Hintergrund erklärt Sanneh das starke Wachstum der Kirchen des „globalen Südens“: Entgegen der Prognosen der 1950er und 60er Jahre prosperierte das Christentum im subsaharischen Afrika und in einigen Ländern Asiens, während die Mitgliederzahlen in Europa stagnierten oder sogar zurückgingen.

Für die missionsgeschichtliche Forschung markiert der Beitrag Sannehs den Übergang von der missionskritischen Phase, in der immer noch der Missionar – freilich unter negativen Vorzeichen – im Mittelpunkt stand, zu einer Geschichte der vielschichtigen Interaktionsprozesse. Da in Sannehs Analyse afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Christen eine zentrale Rolle zukommt, verschärften sich freilich die Anfragen an die Zukunftsfähigkeit der Missionsagenturen im Norden.

Deren Mitarbeiter wurden nicht mehr benötigt, um die Kirchen im Süden aufzubauen: Am schnellsten wuchsen sogar Denominationen wie die Pfingstler und die unabhängigen afrikanischen Kirchen, die mit den Missionsgesellschaften der protestantischen Tradition am wenigsten verbunden waren. Diese Kirchen haben eigene Profile entwickelt, oft können sie den Theologien Europas, für die die Auseinandersetzung mit Aufklärung und Säkularisierung zentral ist, nur bedingt etwas abgewinnen.

Der bibelkritischen Exegese und dem ständigen Hinterfragen der eigenen Motive stehen sie mit Befremden gegenüber. Der US-amerikanische Historiker Philip Jenkins hat diese Kirchen deshalb als konservativ und gegenreformatorisch bezeichnet, was ihnen jedoch aufgrund des eigenen Aneignungs- und Interpretationsprozesses auch nicht gerecht wird.

Feststellen kann man freilich, dass sich unterschiedlich akzentuierte Missions- und Theologieverständnisse entwickelt haben. Während etwa für die Kirchen Afrikas und Asiens meist die Begegnung mit anderen Religionen im Vordergrund steht, haben europäische Theologinnen und Theologen als erstes Gesprächsforum das säkular geprägte Umfeld vor Augen.

In der Vermittlung dieser unterschiedlichen Ansätze kommt den Missionswerken eine wichtige Rolle zu. Gerade angesichts des wachsenden Einflusses evangelikaler, zum Teil fundamentalistisch geprägter Strömungen sind Einrichtungen notwendig, die eine Schnittstelle zwischen den protestantischen Traditionen Europas und den Theologien des Südens bilden.

Da die Strukturen, die sich in den letzten anderthalb Jahrhunderten herausgebildet haben, oft Abhängigkeits- und Machtverhältnisse reflektieren, haben einige Missionswerke grundlegende Reformen umgesetzt. So wurden etwa die Leitungs- und Verwaltungsstrukturen der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal internationalisiert. In Hermannsburg wurde unter anderem die Fachhochschule für Interkulturelle Theologie gegründet.

In der Begegnung von unterschiedlich geprägten Partnerkirchen und unterschiedlich akzentuierten Theologien wird es auch in Zukunft zu Anfragen und Spannungen kommen. Durch die lange Geschichte der Zusammenarbeit sind aber Verbindungen entstanden, die belastbar sind und dies aushalten. In den Erfahrungen der internationalen Zusammenarbeit liegt ein Potenzial, das gerade in Zeiten der Globalisierung und Migration genutzt werden kann. 


Quelle: Evangelische Zeitung  (EZ) für die Landeskirche Hannovers, Ausgabe 5 N vom 3. 2. 2013, Seite 24 (im Anhang: Sonntagsblatt. Berichte aus der Landeskirche Hannovers Nr. 5 vom 3. Februar 2013), Artikel

Professor Frieder Ludwig ist Gründungsrektor der Fachhochschule für Interkulturelle Theologie Hermannsburg


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