Mrz 042013
 

Zurück in die Schule

Von Kirstin von Elm

Fred Rasch weiß, wie man ein großes Team leitet und technische Sachverhalte erklärt. Bis vor drei Jahren hat er als Service-Ingenieur bei der Deutschen Telekom komplexe Kommunikationsnetzwerke für Unternehmen, Behörden und Ministerien aufgebaut und betreut. Bis zu 200 Mitarbeiter hörten auf sein Kommando. Erfahrungen, die er heute in einem ganz anderen beruflichen Umfeld nutzt: Genervt von unerreichbaren Zielvorgaben und schlechter Stimmung am schrumpfenden Standort Kiel, entschied sich Rasch für den beruflichen Neustart – als Lehrer. Heute unterrichtet der 50-Jährige Physik und Informatik am Regionalen Bildungszentrum RBZ Technik in Kiel. An der berufsbildenden Schule lernen 2.600 Schüler in verschiedensten Bildungsgängen – angefangen vom berufsvorbereitenden Jahr bis zum Fachabitur. „Ich arbeite gerne mit jungen Leuten und habe schon bei der Telekom Azubis betreut“, sagt Fred Rasch, der seinen Berufsalltag endlich wieder sinnvoll und erfüllend findet.

Bundesweit beschäftigen immer mehr Schulen Quereinsteiger wie Rasch, denn insbesondere in den Fächern Mathe, Informatik und Naturwissenschaften herrscht Lehrermangel. Zwar studiert fast jeder zehnte Student auf Lehramt. Doch die meisten wollen später lieber Fächer wie Deutsch, Religion, Gemeinschaftskunde oder Sport unterrichten. Auf Mathe, Physik oder technische Fächer haben dagegen nurwenige Lust. Von knapp 39000 bestandenen Lehramtsprüfungen entfielen 2011 weniger ab zehn Prozent auf eines dieser Fächer.

Wer fit für ein technisches Studium ist, auf den warten in der Wirtschaft jede Menge besser bezahlte und prestigeträchtigere Jobs als ausgerechnet Lehrer: „Ich kann es jungen Leuten nicht verdenken, wenn sie später lieber tolle Autos bauen oder für einen Konzern ins Ausland gehen wollen“, sagt Ralf Stroh, Schulleiter am Kieler RBZ. Neben demWettbewerb um knappe Techniktalente bereiten ihm auch die grauen Schläfen seiner Kollegen Sorge. Tausende Lehrer werden in den nächsten Jahren bundesweit in den Ruhestand gehen. Deutschlands Lehrerschaft gehört zu den ältesten in Europa, zeigt ein aktueller Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Jeder zweite der rund 800.000 Lehrer hierzulande ist demnach älter als 50 Jahre. Angesichts der heranrollenden Pensionierungswelle beziffern Bildungsforscher den Einstellungsbedarf bis zum Jahr 2020 auf rund 210.000 neue Lehrkräfte – trotz Geburtenrückgang.

Gute Aussichten für erfahrene Ingenieure, Informatiker oder Naturwissenschaftler, die Lust aufs Lehramt haben: Sie dürfen in den meisten Bundesländern auch ohne pädagogisches Studium ans Lehrerpult. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden im Schuljahr 2011/12 sechs Prozent aller offenen Stellen mit Quer- und Seiteneinsteigern aus anderen Studiengängen und Berufen besetzt. Offene Stellen gibt es insbesondere fernab der Groß- und Universitätsstädte sowie an technisch-beruflichen Schulen. Denn die gelten als besonders anstrengend.

Wer glaube, Lehrer hätten vormittags recht und nachmittags frei, bleibt besser bei seinem alten Job, warnt RBZ-Schulleiter Ralf Stroh. Die meisten seiner Schüler sind männlich und zwischen 15 und 25 Jahre alt, viele haben einen Migrationshintergrund. Starke Nerven und gute Vorbereitung seien unerlässlich, um vor der Klasse zu bestehen, weiß inzwischen auch Fred Rasch: „Als Lehrer steht man unter Dauerbeobachtung. Und auch den Lärmpegel muss man aushalten können“, sagt er. Als Vater von zwei volljährigen Söhnen kommt Rasch auch außerhalb des Klassenzimmers gut mit seinen Schülern klar und versteht ihr Vokabular. Doch er kennt andere Quereinsteiger, die den Job inzwischen entnervt wieder aufgegeben haben. Auch viele der verbeamteten Lehrer verschleißen sich vorzeitig, rund 2500 scheiden bundesweit jährlich als dienstunfähig aus.

Ob man zum Lehrer taugt, zeigen Fragebögen, wie sie beispielsweise der dbb Beamtenbund, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) oder verschiedene Schulministerien online anbieten. „Auch eine Vertretungsstelle ist ein guter Selbsttest für Wechselwillige“, sagt Jörg Köpke, Gründer der Online-Stellenbörse Lehrcare.de. …


BEGEHRTER BEAMTENSTATUS
Altersgrenzen Um berufserfahrene Bewerber ins Lehramt zu locken, haben die westlichen Bundesländer in den letzten Jahren die Altersgrenzen zur Verbeamtung auf 45 Jahre, in Hessen sogar auf 50 Jahre angehoben. Schlusslichter sind Baden-Württemberg (42 Jahre) und NRW (40 Jahre). Wehr- oder Zivildienst oder Erziehungszeiten werden angerechnet. Berlin und die ostdeutschen Länder verbe-amteri Lehrer nicht, denken aus Wettbewerbsgründen aber daran, den Beamtenstatus wieder einzuführen.


210.000 Lehrer müssen bis zum 2020 eingestellt werden.
Quelle: Studie von Bildungsökonom Klaus Klemm


50 Jahre und älter ist fast jeder zweite deutsche Lehrer .
Quelle: Statististische Bundesamt


1,3% aller bestandenen Lehramtsprüfungen entfallen auf ein technisches Fach.
Quelle: Statististische Bundesamt


40% aller Lehrkräfte haben nur eine Teilzeitstelle.
Quelle: Statististische Bundesamt


3.711 Euro monatliches Einstiegsgehalt (abhängig vom Bundesland, Schulform, Familienstand) kann ein verbeamteter Lehrer verdienen.
Quelle: Besoldungstabellen der Bundesländer


Quelle: Handelsblatt vom 11.01.2013