Mrz 082013
 

Die Lernförderung wird bisher kaum genutzt

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Stiftung verlangt Korrekturen beim Bildungspaket

Dieter ist arbeitslos, seine beiden Kinder haben Probleme in der Schule. Das Bildungspaket von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) soll ihnen kostenlose Nachhilfe ermöglichen – doch dafür muss die Familie einige Hürden überwinden. Vater Dieter muss herausfinden, wer sein Ansprechpartner ist: das Job-Center? Wenn er Hartz IV bezieht, ist er mit dem Nachhilfeantrag möglicherweise dort richtig. Bekommt er Sozialhilfe, wäre es vielleicht eher das Rathaus. Außerdem braucht er eine Bestätigung der Schule, dass seine Kinder das Lernziel tatsächlich zu verfehlen drohen} Sobald die Noten einigermaßen für die Versetzung reichen, erlischt der Förderanspruch wieder.

Mit diesem fiktiven Beispiel illustriert die Vodafone-Stiftung, warum so wenige bedürftige Kinder die ihnen Zugedachte kostenlose Nachhilfe bekommen. Bundesweit erhalten 5 Prozent aller Kinder, die grundsätzlich Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungspaket haben, eine Lernförderung. Ein kostenloses Mittagessen bekommen 35 Prozent. Die geringe Nachhilfequote ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren: Es ist zwar bekannt, dass 2,5 Millionen Kinder in bedürftigen Haushalten leben. Nicht aber, wie viele davon Nachhilfe brauchten.

Die Experten der privaten Denkfabrik befürchten trotzdem, dass zu viele Kinder leer ausgehen – und appelliert an Kommunen, Länder und den Bund gleichermaßen, den Zugang zu kostenloser Nachhilfe zu vereinfachen.

Den Kommunen empfehlen die Experten, eine zentrale Anlaufstelle für Leistungen aus dem Bildungspaket einzurichten. Außerdem sollte der Förderunterricht direkt in der Schule stattfinden, so dass Eltern ihre Kinder nicht zur Nachhilfe quer durch die Stadt schicken müssen. Ein Vorbild nehmen könnten sich die Kommunen nach Ansicht der Vodafone-Stiftung am Landkreis Ammerland in Niedersachsen. Dort organisiert die Volkshochschule im Anschluss an den regulären Unterricht die Förder-kurse. An ihnen dürfen Kinder auch dann weiterhin teilnehmen, wenn ihre Familien keine Sozialleistungen mehr beziehen.

Von den Ländern fordert die Stiftung, die Lernförderung großzügiger zu gewähren – und nicht nur, wenn die Versetzung eines Kindes gefährdet ist. Da es vielerorts kein Sitzenbleiben mehr gibt, sollten die Länder auch Kriterien wie bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz berücksichtigen. Diesen Weg geht zum Beispiel NRW.

Der Bund sollte weiterhin Geld für Schulsozialarbeiter bereitstellen. Diese Mittel laufen Ende des Jahres aus. Dabei übernähmen die Sozialarbeiter in den Schulen vor Ort eine wichtige Lotsenfunktion, indem sie Eltern zu ihren Ansprüche aus dem Bildungspaket beraten,
so die Stiftung,

taz vom 01.03.2013, bernd


Kostenlose Nachhilfe für 20.000 Schüler zeigt Erfolg

Schulsenator sieht Lernförderung an Hamburgs Schulen positiv. Mehr Teilnehmer, mehr Kurse. Mathe und Deutsch sind besonders gefragt.

Von Julia Witte

Er hat Bilanz gezogen: Eineinhalb Jahre nach Einführung der kostenlosen Lernförderung an Hamburgs Schulen sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD), die schulintegrierten Nachhilfeangebote hätten sich zu einem „wichtigen und festen Bestandteil“ entwickelt. Das zeige sich unter anderem an den steigenden Zahlen der Schülerinnen und Schüler, die an den Nachhilfeangeboten teilnähmen, sowie an der Zahl der Kurse.

An 308 von 309 Grund- und Stadtteilschulen sowie Gymnasien hat es die kostenlose Nachhilfe im Jahr 2012 gegeben. Insgesamt 19.959 Schülerinnen und Schüler haben im vergangenen Jahr von der Lernförderung profitiert. Das sind rund 300 mehr als im ersten Jahr des Angebots. Die Zahl der Kurse stieg von 6.350 auf 6.510.

In den Kursen arbeiten die Schülerinnen und Schüler oftmals erfolgreich am Abbau ihrer Defizite – vor allem in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch. Angeboten werden aber viele weitere Fächer, zum Beispiel aus den Naturwissenschaften oder Fremdsprachen. „Es ist erfreulich, dass vor allem mehr Kurse in den Kernfächern angeboten wurden“, sagte Rabe. Gut sei auch, so der Senator, dass im Vergleich zum Vorjahr mehr Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien gefördert werden konnten. Ihr Anteil sei auf 32 Prozent gestiegen.

Die kostenlose Lernförderung gibt es in der Hansestadt seit dem Herbst 2011. Hamburg ist das einzige Bundesland mit einem entsprechenden Angebot und hat im vergangenen Jahr 7,8 Millionen Euro in dieses schulische Angebot investiert. Rund 3,3 Millionen Euro davon kamen aus Mitteln für das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes. Ein Baustein des Bildungspakets ist die Nachhilfe für Kinder und Jugendliche, deren Eltern Sozialleistungen beziehen. Hamburg hatte sich jedoch entschlossen, das Angebot nicht auf sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler zu beschränken, sondern Lernförderung für alle leistungsschwachen Kinder und Jugendlichen anzubieten.

Die Regel, nach der Schüler für die Nachhilfe eingeteilt würden, sei ganz einfach, sagte Rabe: „Wer eine Fünf hat, soll in die Lernförderung gehen.“ Formal entscheidet die Zeugniskonferenz über die verpflichtende Teilnahme. Aber Schüler können auch freiwillig an den Kursen teilnehmen. Mit der kostenlosen Nachhilfe flankiert die Schulbehörde das 2009 in Hamburg erlassene Gebot, dass kein Schüler mehr sitzen bleiben sollte. „Wir konnten die Zahl der Wiederholer in den Klassenstufen eins bis neun von 2.108 im Schuljahr 2008/2009 auf 861 im Schuljahr 2012/2013 verringern“, erklärte Rabe.

Während der Schulsenator bei seiner Bilanz vor allem die positiven Erfahrungen hervorhob, äußerte die Elternkammer Hamburg am Donnerstag Kritik. „Nicht überall gelingt die Lernförderung optimal“, sagte die stellvertretende Vorsitzende Eva Kowalski-Stasiak. Es gebe immer wieder Beschwerden von Eltern. So gebe es mancherorts Mängel bei der Organisation oder Abstimmungsprobleme zwischen dem Fachlehrer und der Nachhilfekraft. Auch die Opposition in der Bürgerschaft sieht die Bilanz kritisch: FDP und CDU erklärten die Zahlen, die Rabe vorgestellt habe, seien nichts mehr als Statistiken und würden nichts über die Qualität der Lernförderung aussagen.

 

Förderunterricht wird zu Recht als Erfolg gewertet

Kommentar von Julia Witte

Im ersten Moment erscheint es paradox, wenn sich ein Schulsenator darüber freut, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler in der Stadt Nachhilfe in Anspruch nehmen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich nur die wenigsten der rund 20.000 Teilnehmer freiwillig in den Förderunterricht setzen. Für den allergrößten Teil der 20.000 Schülerinnen und Schüler hat die Zeugniskonferenz entschieden, dass sie eine ergänzende Lernförderung brauchen, weil sie sonst das Klassenziel nicht erreichen würden. Sind also im Vergleich zum Vorjahr noch einmal 300 Schülerinnen und Schüler mehr nicht in der Lage die Anforderungen der Schule zu erfüllen? Wenn ja, müsste man sich nicht fragen, ob sich Schule ändern muss?

Ja, auch die Schulen müssten sich ändern, sagt Ties Rabe. Seit seinem Amtsantritt setzt sich der SPD-Politiker für Qualitätsverbesserungen im Unterricht ein. Aber die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der Lernförderung seien dafür nicht der Auslöser. Es gebe derzeit kein Schulsystem, dem es möglich sei, alle Schüler so optimal zu fördern, dass niemand mehr in einzelnen Fächern eine Fünf hätte, sagt Rabe. Und statt abzuwarten, dass sich wie von Zauberhand alles bessere, halte er es für klüger, aus dem bestehenden System das Beste zu machen. Die Zahl derer, die schon nach kurzer Zeit im Förderunterricht die zusätzliche Nachhilfe nicht mehr brauchen, gibt ihm recht. Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen kann schon nach einem halben Jahr wieder ohne Nachhilfe auskommen. Auch wenn das bedeutet, dass zwei Drittel längere Zeit Nachhilfe brauchen, hat Rabe recht, wenn er das als Erfolg wertet – ausbaubar, aber ein Erfolg. Auf den zweiten Blick erscheint es dann nicht mehr ganz so paradox, sich über ein Mehr an Schülern in der Nachhilfe zu freuen. Bedeutet es doch, dass mehr junge Hamburger die Chance auf einen besseren Schulabschluss bekommen.

Hamburger Abendblatt vom 01.03.2012