Jul 162013
 

Der erste Glaubensbote der evangelischen Kirche

Von Carl Paul

Missionsstunden von R. W. Dietel, 5. Heft, Leipzig 1901, Seite 34 – 49

PDF   (Adobe Reader herunterladen)

Dritte Missionsstunde

Inhalt

  • Peter Heyling in Lübeck
  • Paris
  • Malta
  • Ägypten
  • Abessinien
  • Sein geheimnisvolles Ende

Amos 9. 11. Ich will die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Lücken verzäunen, und was abgebrochen ist, wieder aufrichten und will sie bauen, wie sie vor Zeiten gewesen ist.

Aus der Missionsgeschichte fallen oft überraschende Schlaglichter auf die Aussprüche der alttestamentlichen Propheten. Deren Gesichte und Prophezeiungen fordern schon die andächtige Bewunderung heraus, wenn man sich lediglich an ihre Zeitgeschichte hält und an die besonderen Ereignisse, die sie hervorgerufen haben. Aber sehr viele von ihnen lassen sich dadurch nicht völlig erklären. Wenn man ihnen weiter nachdenkt, findet man, dass sie Jahrtausende aus der Geschichte des Reiches Gottes umspannen. Die Juden, an die sich die Prophetenworte in erster Linie richteten, meinten zwar schon die Erfüllung zu sehen, wenn auf dürre Zeiten wieder ein göttlicher Gnadenregen folgte. Aber als an die Stelle der alttestamentlichen Hütte Davids das Zion des neuen Bundes trat, erkannten die ersten Christen, dass in diesen Weissagungen der alten Väter noch unergründete Tiefen lagen, in die hinabzuschauen erst denen vergönnt war, die sich von dem größten Ausleger des Alten Testaments hatten die Augen öffnen lassen, wie einst die Jünger auf dem Wege nach Emmaus. Gar manches Gesicht der alttestamentlichen Seher erhält ein ganz neues Licht durch die Worte unseres Heilandes. Und die Geschichte der christlichen Kirche bringt immer neue Beiträge zum Verständnis dieser alten herrlichen Prophezeiungen. Zumal die Missionsgeschichte kann man oft ohne weiteres zur Illustration für die prophetischen Worte der heiligen Schrift verwenden.

Für die Wiederbelebung der verkommenen abessinischen Kirche, die im Laufe der letzten Jahrhunderte wiederholt versucht worden ist, kann man kaum ein treffenderes Wort finden, als das Wort des Herrn, das er durch den Mund des Propheten Amos gesprochen: „Ich will die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Lücken verzäunen, und was abgebrochen ist, wieder aufrichten und will sie bauen, wie sie vor Zeiten gewesen ist.“ Wir haben im Anfang der vorigen Missionsstunde gesehen, wie das Evangelium vom Heiland der Menschen einst auch auf den Bergen Abessiniens gepredigt worden war. Das schöne Gleichnis des 80. Psalms von dem edlen Weinstock, den Gott sich gepflanzt hat und der das ganze Land mit feinen herrlich gedeihenden Fruchtreben überspinnt, es war in Abessinien aufs Neue zur Wahrheit geworden. Aber auch die Fortsetzung jenes Gleichnisses traf zu: „Es haben ihn zerwühlt die wilden Säue und die wilden Tiere haben ihn verderbet. Gott Zebaoth, wende dich doch, schaue vom Himmel und siehe an, und suche heim diesen Weinstock, und halte ihn im Bau, den deine Rechte gepflanzt hat und den du dir festiglich erwählet hast. Siehe darein und schilt, dass des Brennens und Reißens ein Ende werde“. (Ps. 80, 14 – 17). Das Christentum des Landes, das sich vor dem anstürmenden Islam in die Berge geflüchtet hatte, war vereinsamt und erstarrt. Aber der Herr hat das Land, von dessen Bergzinnen das Kreuz einmal ins dunkle Afrika hinausgeleuchtet hatte, nicht vergessen. Das zerstoßene Rohr soll nicht zerbrechen, der glimmende Docht nicht auslöschen. Was zu diesem Zwecke in der neueren Zeit an der abessinischen Kirche geschehen ist, wollen wir in den nun folgenden Missionsstunden betrachten. Heute haben wir es mit dem ersten evangelischen Wahrheitszeugen Peter Heyling aus Lübeck zu tun. Bevor wir uns aber seiner Lebensgeschichte zuwenden, wollen wir kurz der von der römischen Kirche angestellten Missionsversuche in Abessinien gedenken.

Schon im frühen Mittelalter bald nach Beendigung der Kreuzzüge versuchten einige Dominikanermönche in das von den Mohammedanern Arabiens und Ägyptens ganz umgebene Gebiet der christlichen Kirche vorzudringen, es gelang ihnen aber nicht, eine dauernde Niederlassung ihres Ordens daselbst zu gründen. Einer ihrer Ordensbrüder erlitt sogar den Märtyrertod, Fast 200 Jahre vergingen, bis Abessinien wieder in den Gesichtskreis der christlichen Völker in Europa kam. Es war am Ende des 15. Jahrhunderts, als die durch den gerade besonders heftig anstürmenden Islam bedrängten Abessinier sich an die in Ostafrika zu Ansehen und Macht gekommenen Portugiesen wandten, wovon in der ersten Missionsstunde schon kurz die Rede war. Infolgedessen ging eine Gesandtschaft von Lissabon zum Negus, an der ein Kaplan Alvarez teilnahm. Dieser brachte die erste ausführliche Kunde über die versteinerte abessinische Kirche nach Rom und erregte damit den Wunsch des Papstes, das wiederentdeckte, namenchristliche Land der römischen Kirche einzufügen. Zu diesem Zweck ward das Kollegium St. Stefano in Rom gegründet, in dem die für Abessinien nötigen Priester ausgebildet werden sollten. Der Papst ernannte auch sogleich einen Patriarchen für die neue Kirchenprovinz, Dieser stellte aber in blindem Eifer übertriebene Forderungen an den Negus und sein Volk. Er verlangte den sofortigen Übergang zur römischen Lehre. Dieses zufahrende Vorgehen reizte jedoch den Machthaber von Gondar derart, dass er den Patriarchen ins Gefängnis werfen ließ und die Verbindung mit Ägypten wieder anknüpfte.

Einen etwas besseren Erfolg hatten anfangs die Bemühungen der Jesuiten, die gleich nach der Gründung ihres Ordens verlangende Blicke nach dem schönen afrikanischen Hochlande geworfen hatten. Der erste Versuch misslang, aber das konnte die zielbewussten Jünger Loyolas nicht abschrecken. Nach einer längeren Pause gelangte der Jesuit Peter Paez doch ans Ziel. Er brachte es 1603 dahin, dass der Negus Susneus das römische Glaubensbekenntnis annahm und eine schwere Strafe gegen den festsetzte, der über die zwei Naturen in Christo anders lehren würde, als der Papst in Rom. Der Sieg der Jesuiten schien bereits ganz sicher zu sein. Alfonso Mendez, den der Papst zum Patriarchen geweiht hatte, ward in der Hauptstadt des Landes feierlich empfangen, ein prächtiger Palast für ihn gebaut und die abessinische Geistlichkeit ihm gänzlich untergeordnet. Aber gerade jetzt, wo die Jesuiten das christliche Abessinien mühelos unter das Zepter ihres Kirchenfürsten gebracht zu haben glaubten, entschlüpfte ihnen die Beute unter den Händen. Der Abuna hatte schon lange gegen das Eindringen der fremden Einflüsse geeifert. Endlich gelang es ihm, den Fanatismus der Abessinier gegen die Abendländer zu entzünden. Die Verteidiger der alten Glaubenslehre und der kirchlichen Selbständigkeit regten sich auf allen Seiten. Es brach ein blutiger Bürgerkrieg aus, in dessen Verlauf der Negus sich den Eiferern für die alte Kirchenform fügte. Die Jesuiten gaben ihre Sache aber noch nicht verloren. Mit der ihnen eigentümlichen Gewissenlosigkeit versuchten sie nochmals auf Schleichwegen zu erreichen, was ihnen auf geradem Wege nicht gelungen war. Ihre Hinterlist sollte ihnen aber schlecht bekommen. Man entdeckte eine von ihnen angezettelte Verschwörung gegen den Landesfürsten und zwang sie infolgedessen, Abessinien zu verlassen. Einige, die sich nicht fügen wollten, wurden hingerichtet.

Der römische Name war seitdem im Lande sehr verhasst. Als nach einem halben Jahrhundert Franziskanermönche aufs Neue in Abessinien einzudringen suchten, fanden sie den heftigsten Widerstand und erlitten den Märtyrertod,

Diese durch einige Jahrhunderte sich hinziehenden römischen Missionsversuche haben also nichts gebessert, sondern die Abessinier nur immer misstrauischer gegen die Boten der abendländischen Kirche gemacht. Was hätte denn das unglückliche Land auch gewinnen können, wenn es als eine Kirchenprovinz an die Papstkirche angeschlossen worden wäre? Ein in Formelwesen erstarrtes Kirchentum, Mönche und Nonnen, ein in viele Klassen gegliedertes Priestertum mit einer päpstlichen Spitze hatten die Abessinier schon. Aber gerade das, was die in tiefen Schlaf versunkene Kirche brauchte, die erweckende und lebenspendende Predigt des Evangeliums war von Rom aus nicht zu erwarten. Und wenn ein ganzes Heer von Jesuiten oder Mönchspriestern nach Abessinien gekommen wäre, die zerfallene Hütte Davids wäre von ihnen nicht wieder aufgerichtet worden. Man sehe nur einmal die heutigen Zustände in Spanien und Portugal oder in gewissen Teilen von Südamerika an, wo die römische Kirche ganz nach ihrem freien Ermessen schaltet und waltet! Da ist von religiösem Leben und sittlicher Kraft keine Spur, Man beobachtet in diesen Ländern zwar hier und da eifrig die kirchlichen Formen, aber von einer Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit kann nicht die Rede sein.

Sollte also Abessinien aus seinem tausendjährigen Schlafe erwachen, so mussten andere Kräfte in Bewegung gesetzt werden, als ein Priesterseminar in Rom und jesuitische Kniffe, Wundersamer Weise trat gerade zu der Zeit, wo die römischen Sendboten abgewirtschaftet hatten, der erste evangelische Glaubensbote auf den Plan und ward mit offenen Armen aufgenommen.

Es war Peter Heyling, ein Sohn der lutherischen Kirche aus Norddeutschland. Sein Leben fällt in eine Zeit, wo der Missionssinn in der evangelischen Kirche noch nicht erwacht war. Umso mehr sollte unsere Kirche das Andenken dieses Mannes ehren, der unbekümmert um die herrschenden Richtungen und Zeitströmungen den Missionsbefehl, den er in seiner Bibel gefunden, in die Tat umsetzte.

Er ist im Anfang des 17. Jahrhunderts zu Lübeck geboren. Sein Vater war Goldschmied, und ließ seinem Sohne eine gute Erziehung zuteilwerden. Der Jüngling besuchte zunächst das Gymnasium seiner Vaterstadt. Die Reformation hatte in Deutschland allenthalben das Schulwesen gehoben und so empfing der junge Heyling in seinen ersten Jugendjahren unter der Leitung tüchtiger Lehrer auch die Grundlagen zu einer guten wissenschaftlichen Bildung. Missionsgedanken hatten auf den Kathedern und Schulbänken des Gymnasiums freilich keinen Raum. Es herrschte zu jener Zeit in der lutherischen Kirche die starre Orthodoxie, die sich zwar ein unbestrittenes Verdienst um die bis ins Einzelne gehende Ausgestaltung der evangelischen Glaubenslehre erworben hat, aber die in dieser Zeitperiode vereinzelt auftauchenden Missionsregungen eher hinderte als förderte. Peter Heyling suchte die Speise für seine Seele schon als Schüler, wie es scheint, weniger in den Predigten der Lübecker Pastoren, als vielmehr in einem kleinen Kreise erweckter Leute, die nach Art der späteren Pietisten als die Stillen im Lande sich in Privathäusern versammelten, die Bibel mit einander lasen, und durch ein frommes Gemeinschaftsleben sich gegenseitig stärkten. Die Stadtgeistlichkeit sah das freilich nicht gern; sie verfolgte sogar gelegentlich diese Gemeinschaftsleute, die sich als Fanatiker und Schwärmer verspotten lassen mussten und ihre Erbauung am liebsten in den Schriften der alten frommen Väter Thomas von Kempen, Tauler, Luther und anderen suchten. Es war also in Lübeck ebenso, wie in allen anderen Gegenden Deutschlands, dass die kleinen frommen Kreise, aus denen das

Missionsleben hervorging, mit ihren neuen Gedanken eine schwere Stellung gegenüber den herrschenden Kreisen der Kirche hatten. Man muss sich das immer wieder vorhalten, um den später eingetretenen Umschwung recht würdigen zu können. In unsern Tagen wird es allgemein als eine Pflicht der Kirche anerkannt, Mission zu treiben, oder wenigstens das Missionsleben zu pflegen, im Anfang aber wurden die Missionsgedanken nicht von den Kirchenmännern gehegt, sondern von frommen Leuten aus der Gemeinde, die dabei sogar Misstrauen und Spott in reichlichem Maße zu überwinden hatten.

Der junge Heyling entschloss sich gleich anderen jungen Männern seiner Vaterstadt, die ebenfalls in dem kleinen frommen Kreise verkehrt hatten, die Rechtswissenschaft zu studieren. Sie suchten zu diesem Zwecke die Pariser Universität auf. Man könnte fragen, warum sie denn nicht in Deutschland studierten. Einmal mag dazu die obenerwähnte theologische Richtung Veranlassung gewesen sein, die damals auf allen deutschen Universitäten herrschte und die innerlich gerichteten Jünglinge vielleicht abstieß. Es ist aber auch zu bedenken, dass zu jener Zeit gerade der 30jährige Krieg durch ganz Deutschland wütete und alle stillen Studien störte.

Heyling ging also im Jahre 1628 mit seinen Gesinnungsgenossen nach Paris, Es ist bezeichnend für das Vertrauen, welches der junge Mann bereits in seiner Umgebung genoss, dass vier angesehene Familien seiner Vaterstadt ihn mit der Aufsicht über ihre Söhne in der fernen Weltstadt betrauten.

Die vierjährige Studienzeit brachte ihm vielfachen Gewinn und reiche Anregung. Paris galt damals als Mittelpunkt der gebildeten Welt. Heyling genoss den Umgang mit denen, die hier zusammenströmten, offenbar nach dem Grundsatz, nur die guten Säfte und Kräfte aus den herrlichen Blüten der Großstadt zu saugen, das Gift aber darin zu lassen. Unter den bedeutenderen Männern, deren Bekanntschaft er machte, ist namentlich einer zu nennen, Hugo Grotius, der damalige schwedische Gesandte in Paris. Wahrscheinlich ist von diesem Manne, der nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kirchengeschichte einen guten Namen erlangt hat, die erste Anregung an den jungen Heyling gekommen, sich dem Missionsdienst zu widmen. Diese Gedanken befestigten sich umso mehr in ihm, als er unter seinen Studienfreunden Gesinnungsgenossen fand. Sie fassten mit einander den Plan, die christlichen Kirchen des Morgenlandes, von deren Erstarrung sie gehört hatten, zu neuem evangelischen Leben zu bringen. Es mag dahin gestellt sein, ob sie dabei schon den weitergehenden Plan verfolgten, von den so gewonnenen festen Punkten in Vorderasien und Nordafrika aus weiter zu den Heiden vorzudringen. Genug, sie weihten sich dem Missionsdienst. Einige dieser deutschen Jünglinge, die alle, wie Heyling, ursprünglich hatten Rechtsgelehrte werden wollen, sind uns dem Namen nach bekannt. Der eine hieß von Dorne und hat längere Zeit in Jerusalem, später in Ägypten gewirkt, ein anderer, namens Blumenhagen, begab sich in die Türkei, starb dort aber bald eines gewaltsamen Todes. Peter Heyling fasste den Entschluss nach Abessinien zu gehen. Er verließ gleichzeitig mit den gleichgestimmten Freunden Paris und reiste über Italien nach Malta. Hier nahm er einen längeren Aufenthalt, weil sich ihm in dem Augustinerkloster, wo er herbergte, Gelegenheit bot, von einem mohammedanischen Sklaven in der arabischen Sprache unterrichtet zu werden. Er war hier im Übrigen ganz auf den Verkehr mit Katholiken angewiesen, die ihm später, wie wir bald sehen werden, den Weg auf sein Missionsfeld sehr erschwert haben. Zunächst aber wusste er durch sein gewinnendes Wesen die Männer der römischen Kirche ganz für sich einzunehmen. Der Abt des genannten Klosters gab ihm gute Empfehlungen mit auf den Weg, so dass er unangefochten in die ägyptische Hafenstadt Alexandria kam, von wo er mit Hilfe eines freundlichen Kaufmanns nach Kairo gelangte. Hier gedachte er sich zunächst in der arabischen Sprache zu vervollkommnen, was zur Weiterreise nach Abessinien unerlässlich schien. Seine mitgebrachten Empfehlungen an die Oberen der römischen Kirche verschafften ihm Eingang bei diesen und auch eine freundliche Aufnahme bei dem alten frommen Erzbischof der syrischen Kirche. Als er diesen fragte, wie er am besten seine arabischen Sprachstudien fortsetzen möchte, wies der freundliche Greis ihn auf die Klöster in der ägyptischen Wüste hin, wo er uralte arabische Bibliotheken finden würde. Er hatte nur das Bedenken, ob der Fremdling auch das harte Leben in einem solchen Kloster der Wüste vertragen würde. Als Heyling sich zu allen Entbehrungen bereit erklärte, vertröstete er ihn, dass in einigen Wochen Leute aus der Wüste kommen würden, um wieder einmal Proviant zu holen. Während der Wartezeit gelang es den römischen Priestern, das geheimnisvolle Dunkel zu lichten, das bis dahin über Heylings Herkunft geschwebt hatte. Sie ergingen sich eines Tages in heftigen Schmähreden wider Dr. Martin Luther. Heyling hörte die gehässigen Worte ruhig an, sagte dann aber mit ernster Freundlichkeit, er könnte nicht also reden von dem, den er als seinen geistlichen Vater ehrte, er würde aber auch ferner die Lästerworte als ein guter evangelischer Christ mit Geduld anhören. Darauf fügte einer der römischen Geistlichen in zornigem Tone: „Wir haben ihn als einen Engel Gottes angenommen, aber nun sehen wir, dass er ein Ketzer ist,“ Von Stund an suchten sie alle seine Wege zu durchkreuzen. Sie baten den syrischen Erzbischof dringend, er möchte diesen Ketzer ja nicht in das Wüstenkloster hinausziehen lassen. Der aber entgegnete, dass er von dem fremden Manne nichts Böses oder Unchristliches gesehen habe. Übrigens sei die Wüste der Ort Christi und er könne keinem Christen wehren, welcher da hinausziehen wolle.

Der künftige Missionar zog also mit der Proviantkolonne von bannen in die Klöster der Wüste, wo ihm eine gastfreundliche Aufnahme zuteil ward. Was er in der Einsamkeit getrieben hat, wollen wir aus seinen eigenen Worten hören. Er schrieb: „Weil in dem einen Kloster unter anderen syrische Geistliche und eine uralte syrische Bibliothek war, habe ich neben der arabischen Sprache auch die syrische zu üben angefangen. Da ich nun in folgender Zeit etliche junge Mönche in Lesung der syrischen und arabischen Sprache unterwiesen und in selbiger Unterweisung allezeit biblische Texte lesen lassen, hat mir der Herr dermaßen den Weg bereitet, dass ich nicht allein den jungen Mönchen, sondern auch den andern sich Herzunahenden das Wort des Herrn zur Heiligung seines Namens erklärte. Ferner hat es der Herr gefügt, dass ich etliche grobe Missbräuche und Irrtümer, unter anderen die Anrufung der Heiligen und die abgöttische Ehre, welche den abgestorbenen heiligen Körpern erwiesen wird, aus ihrer eigenen heiligen Väter Schriften gestrafet. Hierob hat mich der Herr die große Zuneigung und gutes Gerüchte, welches er mir bei den Geistlichen insgemein gegeben, nicht verlieren lassen.“

Man sieht, unser Heyling übte sich hier schon für seinen künftigen Beruf und ging an keiner Arbeit vorüber, die er auf dem Wege fand.

Vor den Nachstellungen der Römischen war er aber auch in der Wüste nicht sicher. Sie benutzten die Anwesenheit des griechischen Erzbischofs von Jerusalem, der die Klöster bereiste, und bestürmten ihn, den Ketzer unschädlich zu machen. Dieser ging aber auf ihre schändlichen Pläne nicht ein. Er machte nur einen Versuch, den jungen Missionar zum Übertritt in die katholische Kirche zu bewegen. Als er damit nichts erzielte, ließ er ihn unangefochten. Ein weiterer Anschlag, Heyling durch drei arabische Landsknechte aus seinem Kloster holen und auf diese Weise beseitigen zu lassen, schlug fehl. Dagegen trugen ihm die Nachstellungen der Römischen schließlich die Gunst eines angesehenen koptischen Christen Namens Bersoum ein. Seiner Fürsprache und Beihilfe hatte er es zu verdanken, dass er vor der Weiterreise nach Abessinien erst noch ein Osterfest in Jerusalem mitfeiern konnte. Er hatte dabei die Freude, noch einmal mit einem seiner Pariser Freunde, dem oben erwähnten von Dorne zusammenzutreffen. Was er an der Geburtsstätte der christlichen Kirche erlebt hat, wollen wir hier übergehen. Er kam bald nach Kairo zurück, und endlich schlug auch die Stunde der Abreise nach dem lang ersehnten abessinischen Hochlande.

Als Heyling sich zur Reise nilaufwärts rüstete, trat ein Umstand ein, der für seine Zukunft von größter Bedeutung war. Von Basilides, dem Herrscher Abessiniens, kamen gerade Abgesandte an den Patriarchen der koptischen Kirche, um nach alter Gewohnheit einen neuen Abuna zu holen. Sobald Heyling davon hörte, bemühte er sich um Anschluss an die Reisegesellschaft des neuen Oberpriesters. Der ward ihm gern gewährt und die lange gemeinsame Reise führte die beiden Männer, die als Ausländer der abessinischen Kirche zum Segen werden sollten, nahe zusammen. Unterwegs gab es noch eine Begegnung mit römisch-katholischen Priestern, die nach ihrer Vertreibung aus Abessinien von einem geldgierigen Pascha auf einer Nilinsel zurückgehalten wurden, um ein hohes Lösegeld von ihnen zu erpressen. Auch hier kam es zu einer scharfen Auseinandersetzung mit den Anmaßungen und Irrtümern der römischen Kirche. Die Unterredung ward lateinisch geführt. Als nun die Zuhörer, die nichts davon verstanden, den Missionar baten, er möchte es ihnen doch auf Arabisch erklären und Heyling das tun wollte, widersprach der römische Patriarch aufs heftigste, weil diese unwissenden Leute nichts davon zu wissen brauchten. Heyling ließ sich aber nicht abhalten, indem er sagte: „Darum eben lege ich es ihnen aus, damit sie nicht länger unwissend bleiben“. Da wandte sich der Patriarch seufzend zu seinen Begleitern und sagte: „Nun, da dieser junge Doktor hineinkommt, wird Abessinien erst vollends in die äußerste Ketzerei geraten.“

Der Eingang auf dem neuen Arbeitsfelde gestaltete sich auf die denkbar günstigste Weise. Der neue Abuna blieb sein Gönner und ebnete ihm in mehrfacher Hinsicht die Wege. So vermittelte er z. B., dass ihm die Söhne angesehener abessinischer Familien zum Unterricht und zur Erziehung übergeben wurden. Heyling widmete sich dieser Aufgabe mit großer Hingebung. Als man ihm Geschenke dafür reichte, verteilte er alles, was er nicht brauchte, an die Armen, Es gelang ihm ans diese Weise auch, das Vertrauen des Negus zu gewinnen. Dieser wies ihm eine Wohnung nahe bei seiner Residenz an, ja er machte ihn sogar zu seinem Minister. Wie sehr er den Fremdling zu schätzen wusste, geht daraus hervor, dass er ihm eine seiner Töchter zum Weibe gab. Er gedachte ihn auf diese Weise für immer an Abessinien zu fesseln. Es hätte dieses Ehebandes nicht bedurft, denn der Missionar war ganz von dem Wunsche beseelt, zu bleiben, solange es ihm irgend verstattet wurde, und den Abessiniern ein Abessinier zu werden, um ihrer etliche für seinem Glauben zu gewinnen.

Er sah es nicht für seine Aufgabe an, Bekehrungsversuche an den Einwohnern des Landes zu machen und eine evangelische Gemeinde ins Leben zu rufen. Dazu hatte er weder Amt noch Auftrag. Wo hatte eine solche Gemeinde, wenn sie wirklich entstanden wäre, auch ihren Anschluss suchen sollen? Darum begnügte er sich, innerhalb der abessinischen Kirche Evangelisation zu treiben. Als eine seiner ersten Aufgaben betrachtete er es, dem Volke wieder den Zugang zur heiligen Schrift zu verschaffen. Das Bibelbuch war zwar im Lande vorhanden, wie wir in der zweiten Missionsstunde sahen, es wurde in den Gottesdiensten auch gebraucht, aber Priester und Laien verstanden die äthiopische Sprache nicht mehr, in der es geschrieben war. Heyling war daher auf eine Übersetzung in die Volkssprache bedacht. Nachdem er selbst das Amharische erlernt, trat er dieser großen Aufgabe näher. Wir wissen nicht genau, inwieweit er sie erledigt hat. Es ist uns nur bekannt, dass er mit den Schriften des neuen Testaments den Anfang machte. Das Johannis-Evangelium scheint er zuerst übersetzt zu haben. Schon einer seiner Zeitgenossen hat berichtet, dass er den Abessiniern das vierte Evangelium auf Amharisch gegeben habe und als 200 Jahre später wieder evangelische Missionare ins Land kamen, fanden sie noch einzelne Abschriften davon im Volke vor.

Leider sind alle weiteren ausführlichen Nachrichten über seine Wirksamkeit verloren gegangen. Nur hier und da drang eine vereinzelte Kunde nach Europa, Aus diesen einzelnen Zügen darf man schließen, dass Heyling längere Zeit als Lehrer des abessinischen Volkes gewirkt und viel guten Samen ausgestreut hat. So gelangte z. B. im Jahre 1653 ein junger Abessinier zufällig nach Amsterdam. Er hatte ein Schiff benutzt, das aus dem Morgenlande kam, war aber von der Schiffsgesellschaft, mit der er sich nicht verständigen konnte, schlecht behandelt und beinahe umgebracht worden. Durch eine glückliche Fügung kam er zu einem Sprachforscher in der Stadt, der auch vom Am-harischen ein wenig verstand. Als dieser herausbrachte, dass der Fremdling aus Abessinien stammte, erkundigte er sich, ob er nicht einen gewissen Peter Heyling von Lübeck kenne. Da sprang der fremde Jüngling hoch auf vor Freude und rief laut: „O Moallim (d. i. Doktor oder Lehrer) Peter! Moallim Peter! Er erzählte nun, er habe vier Monate lang Heylings Unterricht in dem vom Negus geschenkten Hanse genossen, dann sei er mit einer Gesandtschaft nach Jerusalem gereist und nun habe ihm die Liebe zu seinem Lehrer, den er nicht genug rühmen konnte, die grüßte Sehnsucht eingeflößt, auch dessen Vaterland kennen zu lernen, in der Hoffnung, dort viele seinesgleichen zu finden. Daher habe er sich, statt mit der Gesandtschaft nach Abessinien zurückzukehren, mit einigen Kaufleuten nach Rom eingeschifft, um von dort nach Deutschland und womöglich nach Lübeck zu kommen.

Neben seiner Evangelienübersetzung hat sich Heyling in seiner neuen Heimat ein weiteres schriftliches Denkmal gesetzt. Wir erinnern uns, dass er in Paris die Rechtswissenschaft studierte. Nun fand er in Abessinien eine entsetzliche Ungerechtigkeit sowohl im Handel und Wandel, wie im gerichtlichen Verfahren. Das bewog ihn, dem Lande, bei dessen Fürsten er eine so angesehene Vertrauensstellung innehatte, eine Rechtsordnung zu geben. Auf Grund des römischen Rechts, das allen europäischen Gesetzsammlungen zugrunde lag und dessen Einfluss noch heute in unserem deutschen Gesetzbuch deutlich zu erkennen ist, stellte er eine Ordnung auf, die den abessinischen Verhältnissen angepasst war. Auch dieses Buch haben spätere Besucher von Abessinien noch vorgefunden. Nur schade, dass von einer Drucklegung dieses und der anderen Bücher, die er verfasst hat, in Abessinien nicht die Rede sein konnte. Dadurch blieb der Einfluss dieser trefflichen Schriften von vornherein auf einen kleinen Kreis beschränkt.

Was Heyling sonst noch zum Segen des abessinischen Volkes und seiner erstorbenen Kirche unternommen hat, darüber fehlen uns die genaueren Nachrichten. Das ist umso mehr zu bedauern, als er unter allen abessinischen Missionaren der Neuzeit die günstigsten Verhältnisse für eine segensreiche Wirksamkeit vorfand. Gerade das, was seinen späteren Nachfolgern die größten Schwierigkeiten bereitete, das Misstrauen des Negus und das feindselige Verhalten des Abuna, kamen bei ihm nicht in Frage. Im Gegenteil, die beiden Inhaber der obersten Gewalt im weltlichen und geistlichen Stande waren ihm aufrichtig zugetan und förderten seine Tätigkeit auf jede Weise. Was hätte aber aus dem Werke, das Heyling begann, werden können, wenn hinter ihm schon eine unserer jetzigen Missionsgesellschaften gestanden hätte, die ihm von Zeit zu Zeit Gehilfen nachgesandt, den Druck seiner Schriften besorgt, kurz die geöffnete Tür in Abessinien zu einer planmäßigen Evangelisation benutzt hätte! Weil dies alles fehlte, ist der gute, fromme Heyling dem abessinischen Volke nur wie ein flüchtig vorüberziehendes Meteor am Himmel erschienen. Die evangelische Kirche hat, menschlich geredet, damals die beste Gelegenheit zur Neubelebung der abessinischen Kirche verpasst.

Frumentius

Frumentius

Der Tempel Gottes, der zu Zeiten des Frumentius und Ädesius erbaut, in der Folgezeit aber wieder verfallen war, hatte jetzt wieder aufgerichtet und gebaut werden können, wie er vor Zeiten war. Wir müssen es unter die für uns unbegreiflichen, wunderbaren Wege Gottes rechnen, dass unserem Peter Heyling die Genossen, Nachfolger und Hilfsmittel fehlten, die den späteren Missionaren in Abessinien so reichlich zu Gebote standen, ohne dass sie die günstigen Verhältnisse fanden, deren sich der erste evangelische Glaubensbote zu erfreuen hatte.

Über Heylings Tod sind verschiedene Berichte vorhanden. Die einen sagen, er sei bis an sein Ende in Abessinien geblieben und habe, von allen hochgeehrt, eine segensreiche Wirksamkeit entfaltet. Andere wollen wissen, dass unter dem Negus Saged, der 1680 zur Regierung gekommen, religiöse Streitigkeiten ausgebrochen waren, wodurch der evangelische Mann zum Verlassen des Landes gezwungen worden sei. Diese beiden Nachrichten sind aber so allgemein gehalten, dass sie wenig glaubwürdig erscheinen. Der dritte Bericht hat wegen der Einzelheiten, die er erwähnt, vielleicht die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Danach hat Heyling im Jahre 1652 vom Negus Basilides die Erlaubnis erhalten, nach Kairo zu reisen. Der Herrscher ließ ihn mit Frieden ziehen und gab ihm reiche Geschenke mit. Als er auf der Nilinsel Suaquena ankam und der türkische Pascha sein Gold sah, hielt er ihn an und ließ ihm nur die Wahl, ob er Mohammedaner werden oder sterben wollte. Die Antwort lautete: „Ich lasse meinen Glauben nicht, tue, wie dir’s beliebt“. Darauf soll er enthauptet worden sein. So haben es die Mönche in Kairo wie auch reisende Abessinier erzählt.

Mag dem sein, wie ihm wolle, feststehende Tatsache ist, dass Heyling nie wieder nach Europa zurückkehrte. Daher sind denn auch die Nachrichten über seine Wirksamkeit in Abessinien so dürftig, und nach seinem Tode war niemand da, der sein Werk fortsetzte. So ist es gekommen, dass während andere Pfadfinder der evangelischen Mission in der Geschichte viel gepriesen werden, Heylings Name nur wenig genannt wird. Dem Herrn aber, der ins Verborgene sieht, ist keins von den Werken des einsamen, evangelischen Glaubenszeugen, der fern von der deutschen Heimat und der lutherischen Kirchengemeinschaft seine Tage beschloss, verborgen geblieben. Auch wir wollen den ersten evangelischen Moallim der Abessinier mitunter die Sterne zählen, von denen es im Buche Daniel heißt (12,3):

„Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz; und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich“.


Links