Jul 162013
 

Neue Boten und verschlossene Türen

Von Carl Paul

Missionsstunden von R. W. Dietel, 5. Heft, Leipzig 1901, Seite 50 – 71

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Vierte Missionsstunde

Inhalt

  • Bestrebungen zur Wiederbelebung der orientalischen Kirchen
  • Gobat und Kugler
  • Isenberg
    Seine Verdienste um die abessinische Litteratur
  • Dr. Krapf
    Auch er klopft vergeblich an und sucht sich ein andres Arbeitsfeld


Prediger 3, 11. Er tut alles fein zu seiner Zeit.

Alles Sorgen und Treiben der Menschen ist vergeblich und eitel. Sie können weder die Geschicke eines einzelnen Menschenlebens noch die der Völker nach ihren Gedanken lenken. So viel Mühe sie auch aufwenden, so viele Künste sie auch versuchen, sie vermögen die Wege Gottes damit weder zu beschleunigen, noch seine Fügungen abzuwenden. Aber das Tun des Herrn ist immer recht und gut. Er hat zur rechten Zeit die rechte Tat und für die Tat die rechten Werkzeuge und Mittel in Bereitschaft. Unsern kurzsichtigen Augen bleibt freilich die Vollkommenheit des göttlichen Tuns in dieser Zeit vielfach verborgen, das Verständnis seiner Wege geht oft weit über unsere Begriffe, aber wenn seine Stunden sich gefunden und wir seinen Wegen hinterher nachschauen, wird es uns doch sehr oft klar, dass er es herrlich hinausgeführt hat. Darum heißt es in der Schrift: „Sei stille dem Herrn und warte auf ihn!“

Diese Mahnung ist auf dem Gebiete der Mission ganz besonders zu beherzigen. Ihre Geschichte enthält zahllose Beispiele dafür, dass es gerade bei diesem Werke meist anders geht, als Menschen gehofft und ausgesonnen hatten. Wo man sicher auf Erfolg rechnete, zeigt sich keiner; wo man den Eingang erzwingen wollte, bleiben die Türen verschlossen; wo man aber kleinmütig und verzagt die Arbeit gar aufgeben wollte, treten mit einemmale die langersehnten Erfolge hervor, wie die Veilchen im Frühling. Daher kommt in der Mission alle menschliche Berechnung regelmäßig zu einem falschen Ergebnis.

Gott tut alles fein zu seiner Zeit. Man wendet dieses Schriftwort in der Missionsgemeinde gern bei solchen Gelegenheiten an, wo der Herr nach langem Warten endlich die Türen eines verschlossenen Landes auftut. Dann fordert dieser Spruch die Missionsleute jedes Mal auf, ein Danklied anzustimmen. Aber er behält seine Geltung auch dann, wenn trotz aller menschlichen Bemühungen noch immer kein Ende abzusehen ist für die Erstürmung eines der Bollwerke, die dem Laufe des Evangeliums im Wege stehen. Unser Heiland sagte einmal: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“. Gerade mit diesem Zaudern und Zurückhalten aber gab er recht deutlich zu erkennen, dass auch er alles fein zu feiner Zeit tut.

Die Gewissheit, dass Gottes Zeit die rechte ist, muss uns auch bei unserem Gange durch die Geschichte der abessinischen Mission begleiten. Die christliche Liebe ist nicht müde geworden, Abessiniens zu gedenken und immer wieder den Versuch zu machen, dem unglücklichen Lande und Volke zum Besitz der vollen evangelischen Wahrheit zu verhelfen. So viele Anstrengungen aber auch im 19. Jahrhundert gemacht worden sind, nennenswerte Erfolge wurden bisher noch nicht erzielt.

Heute wollen wir der Versuche gedenken, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts von einer der großen englischen Missionsgesellschaften, von der Kirchlichen Missionsgesellschaft zu London, unternommen wurden. Unter den von ihr nach Abessinien gesandten Missionaren ragen drei besonders hervor, Gobat, Isenberg und Krapf. Sie haben sich von 1830 – 1843 teils neben einander, teils nach einander mit ihrer ganzen Kraft um die Evangelisation der abessinischen Kirche bemüht. Wir wollen jetzt sehen, wie sie dazu gekommen und wie es ihnen dabei ergangen.

Als im Anfang des 19. Jahrhunderts ein brennender Missionseifer in der Kirche Englands erwacht war und man den großen Aufgaben der Heidenmission näher zu treten anfing, richtete sich der Blick gewisser Missionskreise auf die Überreste der christlichen Kirche im Morgenlande. Man gedachte jene Kirchenreste durch freundschaftlichen Verkehr mit ihren Geistlichen und durch die lautere Predigt des göttlichen Wortes neu zu beleben und hoffte so einen guten Ausgangspunkt für die Bekehrung der Völker in Asien und Afrika zu erhalten. Dass die Kirchliche Missionsgesellschaft bei diesen Bestrebungen gerade zu einer Mission für Abessinien gelangte, hatte noch eine besondere Veranlassung. Im Jahre 1817 gelangte ein äthiopisches Manuskript der ersten acht Bücher des Alten Testaments in ihren Besitz. Es war ein Teil der ursprünglichen äthiopischen Bibelübersetzung, von der in einer früheren Missionsstunde die Rede war. Ein weiterer Fund kam wenige Jahre später hinzu. Der französische Konsul in Kairo hatte die Bekanntschaft eines alten abessinischen Mönchs, Namens Abu Rumi, gemacht, der europäischen Reisenden als Dolmetscher und Sprachlehrer diente. Dieser wünschte in seiner freien Zeit ein wertvolles Buch in die Sprache seiner Heimat zu übersetzen und wählte dazu die Bibel. So kam eine neue amharische Bibelübersetzung zustande, deren große Bedeutung für die Verbreitung des Evangeliums in seinem namenchristlichen Heimatlande der alte Mönch wohl selbst nicht ermessen konnte. Aber ein Missionar der Kirchlichen Missionsgesellschaft, der bei einem Besuch in Kairo das kostbare, 9.539 Seiten umfassende Manuskript sah, erkannte sogleich seinen Wert und kaufte es für die britische Bibelgesellschaft. Die Vervielfältigung dieser Bibelfunde übernahm die kurz vorher auf der Insel Malta eingerichtete Missionsdruckerei, die bei ihrer

günstigen Lage in der Mitte zwischen Morgen- und Abendland ganz dazu geeignet war, den in die östlichen Länder ziehenden Missionaren die nötigen Hilfsmittel für ihre Lehrtätigkeit zu schaffen.

Inzwischen hatte die genannte Missionsgesellschaft auch schon persönliche Beziehungen zu Abessinien gewonnen. Einer ihrer Boten, Missionar Lieder, hatte sich in Ägypten niedergelassen und dort Verkehr mit Christen und Mohammedanern zu erlangen gesucht. Mit den Gliedern der griechischen Kirche war es ihm nicht recht gelungen, dafür aber umso besser beim koptischen Patriarchen und seinen Priestern. Er brachte eine Schule für koptische Kinder, ja sogar ein theologisches Seminar für die künftige Geistlichkeit des Landes zustande. Einer der dort ausgebildeten Schüler Lieders ward später sogar Abuna in Abessinien.

Nun fehlten nur noch die Männer, welche Mut genug besaßen, sich auf den weit vorgeschobenen Posten im abessinischen Hochlande schicken zu lassen. Und auch diese fanden sich bald. Allerdings nicht in England, wo man zu dieser Zeit zwar viele Gelegenheiten und große Geldmittel für die Mission hatte, aber wenig tüchtige Missionare. Letztere kamen größtenteils aus Deutschland. Die Kirchliche Missionsgesellschaft unterhielt freundschaftliche Beziehungen zum Missionshause in Basel und dieses hat denn auch die gewünschten Missionare für Abessinien geliefert. Der erste war der rühmlich bekannte Samuel Gobat, der spätere Bischof von Jerusalem. Die große Bedeutung des Mannes veranlasst uns, zuerst einen flüchtigen Blick auf seine Jugendgeschichte zu werfen.

Samuel Gobat wurde am 26. Januar 1799 in einem Dorfe der französischen Schweiz geboren. Seine Eltern waren fleißige und fromme Leute, welche ihre Kinder in der Furcht und Vermahnung zum Herrn erzogen. Der kleine Samuel war von frühester Kindheit an besonders empfänglich für das Wort Gottes. Im Alter von sieben Jahren kannte er bereits fast den ganzen Inhalt des neuen Testaments. Das Elternhaus förderte ihn in dieser Hinsicht weit mehr als die Schule. Der fromme Knabe galt als ein Muster für seine Altersgenossen. Aber auch bei ihm blieben die Jahre der Verirrung nicht aus. Es war, als ob ihn mit einemmale der gute Gottesgeist verlassen hätte. Er fing an der Wahrheit des göttlichen Wortes zu zweifeln an. Tanz, Kartenspiel und andere weltliche Vergnügen gewannen einen immer größeren Reiz für ihn. Die Gedanken aber, die sich untereinander verklagen und entschuldigen, suchte er zu unterdrücken. So schien es um den gottseligen Jüngling geschehen zu sein. Aber Gott ließ ihn nicht los und nach schweren inneren Kämpfen, unter heißem Gebet und Flehen rang sich sein zweifelndes Herz wieder zum Glauben hindurch. Das Lesen guter Bücher, namentlich solcher aus Herrnhut, befestigte und klärte seine religiöse Überzeugung immer mehr, bis er im Alter von 21 Jahren auf seinen Wunsch ins Missionshaus zu Basel aufgenommen wurde. Es folgten nun einige Jahre anstrengender Arbeit. Da galt es fremde Sprachen zu erlernen, in die Tiefen der theologischen Wissenschaft einzudringen und dann als Lehrer und Prediger ausgebildet zu werden. Wie kam es dabei dem künftigen Missionar zugute, dass er schon als Kind in der heiligen Schrift heimisch geworden war. Doch auch an Zeiten der unfreiwilligen Stille fehlte es nicht. Gobat ward ernstlich krank, so dass seine Freunde ihn schon aufgaben. Er musste sogar vorübergehend das Missionshaus verlassen und zur Erholung nach Genf übersiedeln. Als seine Gesundheit wieder hergestellt war, ging er nach Paris, an dieselbe hochberühmte Stätte der Wissenschaft, wo Peter Heyling 200 Jahre früher vor seinem Auszug nach Abessinien seine letzte Ausbildung empfangen hatte. Er versenkte sich dort mit Hingabe in die arabischen Studien, zu denen er sich besonders hingezogen fühlte. Ahnte er bereits, dass er sein ganzes reichgesegnetes Leben im Morgen-lande unter den vom Islam umgebenen Christen zubringen sollte? Interessant ist sein Urteil über den Koran, den er in der Ursprache zu lesen pflegte. Er sagt darüber: „Außer der Bibel habe ich, wie ich glaube, nie ein Buch mit so viel Vorteil gelesen, wie den Koran. Von den sprachlichen Schönheiten will ich nicht reden. Ich sage nur: durch Gottes Gnade gab der Inhalt jenes Buches mir Anlass, mein Herz vor Gott auszuschütten in Gebet und Danksagung. Es enthält einige erhabene Stellen, sowohl nach Form und Stil, wie auch hinsichtlich des sittlichen Gehalts; beim Lesen derselben wurde ich oft gedrungen, mein Herz in demütiger Anbetung zu Gott zu erheben. Solche unverfälschte Stellen sind aber nur selten in jenem sonst abscheulichen Buche. Es war hauptsächlich die Menge von Unsinn, Abgeschmacktheiten, groben Unsittlichkeiten, Verdrehungen der Wahrheit und Lästerungen, die mich zu innigem Mitleid bewegte, so dass ich mich oft mitten im Lesen gedrungen fühlte, auf die Knie zu fallen und mit Tränen für die vielen Millionen verblendeter Mohammedaner zu beten.“

Mit christlichen Freunden unterhielt er in Paris lebhaften Verkehr, er suchte auch in Bibel- und Missionsstunden Zeugnis abzulegen von der Liebe des Heilands zu den Sündern. Sogar zu den ersten Missionsversuchen bot ihm die Großstadt Gelegenheit. Er beschäftigte sich gern mit den zahlreichen Juden in Paris und suchte sie zu bekehren. Die Herrlichkeit und Pracht der vielgerühmten Seinestadt berührten ihn dagegen nicht; auch nicht die Gefahren und Versuchungen, denen andere junge Männer erlagen. Sein inniges Gebetsleben und die Gemeinschaft mit gleichgestimmten Freunden bewahrten ihn davor.

Nach Basel kehrte er nur für kurze Zeit zurück. Er wurde nach erfolgter Ordination der Kirchlichen Missionsgesellschaft zur Verfügung gestellt, und diese bestimmten ihn für Abessinien. Damit war ein Herzenswunsch Gobats erfüllt. Er hatte die Geschichte der römischen Mission in Abessinien gelesen, die seit Peter Heylings Tagen immer wieder versucht hatte, die von der Papstkirche losgelösten Abessinier in ihren Bannkreis zu ziehen. Das hatte in ihm eine gewisse Vorliebe für das dem Namen nach christliche und dabei doch so unchristlich lebende Volk entstehen lassen. Er trug sich sogar schon mit dem Gedanken, auf eigene Hand dahin zu gehen, weil er keine Ahnung davon hatte, dass irgendeine Missionsgesellschaft für Abessinien eintreten würde. Umso überraschender traf ihn die Berufung in das Land seiner Sehnsucht. Im Jahre 1825 kam er nach London und trat noch für einige Monate in das eben entstandene Seminar der Kirchlichen Missionsgesellschaft ein. Ein halbes Jahr später ward er feierlich nach Abessinien abgeordnet. Zunächst ging die Reise nach der Insel Malta und nach längerem Aufenthalt daselbst mit einem Segelschiff weiter nach Alexandria. Von dieser Fahrt wird uns ein Ereignis berichtet, das an einen Tag aus dem Leben des Apostels Paulus erinnert. Das Schiff, auf dem Gobat mit vielen Passagieren fuhr, kam durch einen Brand in der Nähe der Pulverkammer in die höchste Gefahr. Alles geriet in die größte Aufregung und die meisten wussten sich vor Todesfurcht nicht zu lassen. Unser Gobat war bisher von der übrigen Reisegesellschaft sehr argwöhnisch und misstrauisch angesehen worden, hauptsächlich deshalb, weil er während seines Aufenthalts in Malta mit dem Zeugnis von Christo nicht zurückgehalten hatte. Als nun die Panik auf dem Schiffe ausbrach und Gobat der einzige Passagier war, der ruhig in seine Kabine ging, um zu beten, wurde er, nachdem die Gefahr glücklich beseitigt war, mit einer gewissen Ehrfurcht angestaunt und fortan achtungsvoller behandelt.

Im August 1826 traf er in Alexandria mit dem für ihn bestimmten Kollegen Christian Kugler zusammen, und guten Muts wollten sie nach Abessinien aufbrechen; aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Sie mussten noch drei lange Jahre warten, ehe ihnen der Weg nach dem Lande ihrer Bestimmung aufgetan wurde. Eine Wallfahrt nach Jerusalem half die Wartezeit verkürzen. Sie benutzten den dortigen Aufenthalt zum Studium der Verhältnisse unter den Christen des Morgenlands. Besonders förderlich war für sie der längere Umgang mit den in einem Kloster zu Jerusalem wohnenden abessinischen Mönchen. Hier konnten sie vorläufige Sprachstudien machen, wie nirgends sonst, denn das Amharische wird begreiflicherweise weder in Basel noch in Paris gelehrt. Sie mussten den Abessiniern ihre Muttersprache vom Munde ablauschen und eben dazu bot der Aufenthalt der beiden Missionare unter den abessinischen Mönchen willkommene Gelegenheit.

Endlich war die Zeit gekommen, dass ihr Wunsch, den Boden Abessiniens zu betreten, in Erfüllung gehen sollte. Da der direkte Weg von Ägyptern dem Nil Strom entgegen nicht gangbar war, mussten sie vom roten Meere aus ihr Ziel zu erreichen suchen. In unsern Tagen, wo zahlreiche Dampfer durch den Suezkanal fahren, ist es nicht schwierig, in eine der Hafenstädte des roten Meeres zu gelangen. Anders damals. Sie reisten erst auf dem Landwege bis Suez, Von hier aus konnten sie die Fahrt nur auf einem Schiffe fortsetzen, das von Eingeborenen überfüllt war. Gobat beschreibt die mühselige Reife mit folgenden Worten: „Unser Schiff war ganz mit großen Krügen voll Butter beladen, dazu kamen unzählige Neger und abessinische Pilger. Auf jeden Passagier kam nur der Raum von fünfundeinhalb Fuß Länge und zwei Fuß Breite, teils auf den Butterkrügen, teils zwischen denselben. In dieser unangenehmen Lage mussten wir 21 Tage zubringen und waren dabei dem heißen Sonnenbrand ausgesetzt. Das furchtbare Gedränge, die unvermeidlichen Berührungen mit den Eingeborenen und infolge davon die von ihnen auf uns übergehenden kleinen Plagegeister ließen uns in dieser ganzen Zeit nicht zur Ruhe kommen“.

Endlich landeten sie an einem der Küstenplätze, die für den Landmarsch ins abessinische Hochland in Frage kommen. Von der dortigen mohammedanischen Bevölkerung wurden sie vielfach angefeindet. Sie mussten sich die Schimpfnamen „Kelb“ (Hund) und „Kafir“ (Ungläubiger) gefallen lassen. Zu ihrem Glück aber erschien bald eine Abteilung abessinischer Soldaten, die der Fürst von Tigre ihnen entgegengeschickt hatte. In deren Begleitung traten sie die Weiterreise an, und nicht lange darnach standen sie auf dem Boden des Landes, wohin sie der Herr und ihr eigener Wunsch geführt hatte.

Dass sie so leichten Eingang in Abessinien fanden, hatte eine besondere Bewandtnis. Einige Jahre vorher war ein Gesandter des Fürsten von Tigre nach Alexandria zum dortigen Pascha gekommen, von diesem aber nicht angenommen worden. Unbekannt und seiner Habe beraubt, geriet er in die größte Not. Dazu wurde er krank und lag im größten Elend danieder. So hatten ihn die Missionare gefunden und sich seiner angenommen. Später gelang es ihnen sogar, ihm eine Zusammenkunft mit dem Pascha zu vermitteln, der jetzt auf die Vorschläge des abessinischen Fürsten einging. Der dankbare Gesandte schrieb dies seinem Herrn und dieser erwartete nun mit Sehnsucht das Kommen der Missionare, um ihnen seine Dankbarkeit zu beweisen. Bei ihrer Ankunft in Tigre, der nördlichsten Landschaft von Abessinien, wurden sie aufs freundlichste aufgenommen. Der Fürst des Landes war früher grausam und blutdürstig gewesen, jetzt aber andern Sinnes geworden. Er hörte mit Verlangen die Heilsbotschaft des Evangeliums, die seine Gäste brachten. Leider starb er schon ein Jahr nach ihrer Ankunft.

Abessinien Seite 58-59

Abessinien Seite 58-59

Während Kugler in Tigre blieb, sah sich Gobat weiter im Lande um und gelangte nach der in der Mitte von Abessinien gelegenen Hauptstadt Gondar. Überall versuchte er das Evangelium von Christo den Herzen des Volkes nahe zu bringen. An manchen Orten hatte es den Anschein, als ob ihm das gelänge. So liefen ihm einmal etwa 15 abessinische Knaben nach, als er in einer Ortschaft gepredigt hatte, und begehrten von ihm gesegnet zu werden. Andere Male stieß er aber auf umso ärgeren Stumpfsinn. Gondar war Sitz der obersten Kirchenbehörde. Männer aus den angesehensten Familien suchten den Fremdling auf, um mit ihm über spitzfindige religiöse Fragen zu disputieren. Ihm lag nicht viel an solchen fruchtlosen Unterredungen. Er hätte die Auseinandersetzung über die eigentümlichen Formen und Gebräuche in der abessinischen Kirche am liebsten ganz vermieden, wozu ihn auch die Instruktion seiner Missionsgesellschaft verpflichtete. Aber gerade dafür hatten die Abessinier, Priester und Laien, das höchste Interesse und brachten immer neue Fragen vor. Er konnte ihnen da nicht immer ausweichen. Sprach er aber dann einmal ein abfälliges Urteil über den Mariendienst aus, der in Abessinien ebenso im Schwange geht, wie in der römischen Kirche, so musste er sich die abweisende Antwort gefallen lassen: „Sage, was du willst, nur das nicht; denn solltest du es wiederholen, so würdest du die Liebe und das Zutrauen der Leute verlieren.“

Den meisten Widerspruch erhoben natürlich die unwissenden Priester. Es waren zwar einige da, die mit der Bibel und den Vätern der morgenländischen Kirche in den ersten vier Jahrhunderten bekannt waren, aber die Mehrzahl befand sich in grober Unwissenheit, Gobat sprach einmal in Gegenwart von 20 – 25 Personen über den Heilsweg. Ein anständig aussehender junger Priester unterbrach ihn mit Bemerkungen, die ihm widersprachen. Der Missionar wandte sich zu ihm und sagte: „Mein Freund, zanken wollen wir nicht, sondern lieber einen Abschnitt aus den Evangelien mit einander lesen zum Besten dieser unwissenden Leute“. Dabei gab er ihm ein Exemplar der Evangelien in amharischer Sprache in die Hand. Der Priester öffnete das Buch und sagte: „Ich kann nicht amharisch lesen, aber ich kann Geez d.i. das alte Äthiopisch.“ Gobat gab ihm nun einen Psalter in dieser Sprache und bat ihn, den Leuten daraus vorzulesen. Er wusste die Psalmen auswendig und las mit großer Schnelligkeit. „So  liest man Gottes Wort nicht“, sagte der Missionar, und indem er auf den Psalm hinwies, forderte er ihn  auf, seinen Zuhörern ein Stück zu übersetzen. Er  fing jetzt an geläufig amharisch zu sprechen, als ob er übersetzte. Auf den Zwischenruf, das sei gar nicht der Inhalt des Psalms, antwortete er nun ganz offen: „Ich verstehe den Sinn nicht“. Da sagte Gobat, indem er sich an die kleine Gemeinde wendete: „Ihr seht, meine lieben Freunde, in welcher Gefahr ihr steht, da ihr eure Seelen der Leitung unwissender Priester anvertraut. Jesus sagt, wenn ein Blinder einen andern leitet, so fallen sie beide in die Grube“. Nun wandte er sich wieder an den Priester und bedeutete ihn ernstlich: „Wie kannst du die Pflege unsterblicher Seelen auf dich nehmen und durch deine Unwissenheit sie ewigem Verderben preisgeben, wie willst du Gott am Tage des Gerichts Rechenschaft geben?“ Ganz naiv antwortete er: „Sei so gut und lehre mich.“ Gobat gab ihm nun ein Exemplar der Evangelien und bat einen Andern, ihn amharisch lesen zu lehren, was er auch nach einigen Monaten konnte.

Sein Ansehen stieg aber bald so sehr, dass ihn die Priester sogar zum Bischof erheben wollten, was er jedoch zurückwies. Dagegen legte er ihnen die Notwendigkeit einer Reformation der abessinischen Kirche dringend ans Herz, Dass eine solche nötig sei, sahen sie ein, aber an die Ausführung gingen sie nicht. Die Unwissenheit, Schwerfälligkeit und der Mangel an gutem Willen bei den Priestern verhinderte schließlich jede tiefergehende Wirksamkeit des Missionars. Es gelang ihm zwar, das Evangelium eine Zeitlang in Gondar zu predigen, auch eine Anzahl neuer Testamente in amharischer Sprache zu verbreiten, von besonderen Früchten dieser Arbeit, zumal von sichtbaren Erfolgen konnte jedoch kaum die Rede sein. Er urteilte selbst sehr bescheiden über den Ertrag seiner Wirksamkeit: „Manche Abessinier haben bessere Anschauungen bekommen, ich habe auch viele gefunden, auf welche die biblische Wahrheit tiefen Eindruck machte, freilich habe ich nur vier oder fünf kennen gelernt, die ich als bekehrt ansehen möchte.“

Leider blieb Gobats Gesundheit nicht fest, so dass er sich zur Rückkehr nach Tigre entschloss. Er wirkte dort noch eine Zeitlang im Verein mit seinem Freunde Kugler. Aber die Missionsarbeit ging hier nicht besser von statten. Einzelnen konnte das Wort der Wahrheit wohl gesagt werden, aber das Volk im Ganzen blieb ihnen verschlossen. Sie mussten es mit Schmerzen innewerden, dass Abessiniens Zeit noch nicht gekommen war.

Ein Unglücksfall kam dazu und bereitete ihrer ganzen Arbeit ein jähes Ende. Bei einem gemeinschaftlichen Ausfluge wollte Kugler auf ein Flusspferd schießen, welches ihnen den Weg versperrte. Da zersprang plötzlich das Gewehr und verwundete seinen Arm. Die Wunde schien anfangs nicht gefährlich zu sein, später trat aber heftiges Wundfieber ein und brachte ihm den Tod. Sein Ende war so erhebend und erbaulich, dass es nicht nur auf den trauernden Freund tiefen Eindruck machte, sondern auch auf alle anwesenden Afrikaner. Die Abessinier stellten eine große Totenklage an, ein Mohammedaner aber, der das Sterben des Glaubensboten mit angesehen hatte, war von seinem Hinscheiden so ergriffen, dass er bekannte: „Ich war schon oft Zeuge der letzten Augenblicke von Sterbenden, vier Personen sind in meinen Armen gestorben, aber nie zuvor habe ich gesehen, wie der Glaube über den Tod triumphieren kann.“ So musste auch der Tod des jungen Missionars noch zur Verherrlichung des Glaubens dienen, den er bei Lebzeiten verkündigt hatte.

Dass es mit dem Missionswerke nicht recht vorwärts gehen wollte, hatte seinen Grund zum guten Teil darin, dass die politischen Verhältnisse des Landes ganz ungeklärt waren und sich in unaufhörlicher Gärung befanden. Mehrere Parteien kämpften um die Oberherrschaft. Der Freund und Beschützer der Missionare war gefangen genommen und getötet worden. Seine Söhne setzten den Kampf fort, vertrieben auch glücklich den gemeinsamen Feind, fingen aber nun selbst an, einander zu bekämpfen. Eine Folge davon war, dass sie einem neuen Ansturm ihrer Feinde unterlagen, welche nun Adua und die Missionsniederlassung bedrohten. Da alles floh, machte sich auch Gobat mit sechs Schülern, die er gesammelt hatte, auf die Flucht. Sein Zufluchtsort war das auf einem steilen Felsen gelegene Kloster Debre Damo, von dem die Sage ging, dass es schon von Frumentius gestiftet sei. Hier musste der Missionar mehrere Monate aushalten. Mit den Mönchen hatte er viel zu disputieren, vermochte aber keinen der Wahrheit näher zu bringen. Der Unterricht seiner Schüler bereitete ihm dagegen viel Freude, Ebenso die Begegnung mit einem gelehrten Abessinier, der wohl hundert Stunden weit hergekommen war, um sich mit dem Europäer über religiöse Fragen zu unterhalten. Er widersprach dem Missionar zuerst in allen Punkten und plagte ihn oft Tage lang mit Streiten und Disputieren. Endlich aber bequemte er sich zu folgendem Bekenntnis, das er unter Tränen vorbrachte: „Jetzt beim Abschied bitte ich dich um Verzeihung wegen aller der Mühe, die ich dir bereitet habe. Nachdem du Gondar verlassen hattest, hörte ich von dir und deine Lehre erweckte verschiedene Zweifel in mir in Bezug auf viele Glaubensartikel. Mein Hauptzweck bei meinem Hierherkommen war, die Beweisgründe zu hören, mit denen du deine Lehre im Gegensatz zur unsrigen aufrechterhältst. Ich habe dir mit aller Macht widersprochen, einige Male sogar, nachdem ich von der Wahrheit überzeugt war; ich tat es nur, um stärkere Beweise für deine Lehre zu hören. Jetzt, da wir vielleicht fürs Leben voneinander Abschied nehmen, will ich dir gegenüber frei und offen sein. Du hast meine Augen geöffnet. Ich will deine Lehre in meinem Herzen bewahren und will mich öffentlich als deinen Jünger erklären. Du bist mein Vater.“

Unter dem Eindruck dieser lieblichen Erfahrung ging Gobat für einige Zeit nach Europa zurück. Es lag ihm daran, das Interesse an Abessinien nicht in Abnahme kommen zu lassen. Wie man ihn in England schätzte, ist aus einem Vorgang im Jahre 1833 zu ersehen, wo er sich vom Missionskomitee in London wieder verabschiedete, um auf sein Arbeitsfeld zurückzukehren. Da saßen die Vertreter der Missionsgesellschaft beisammen und der ehrwürdige Eduard Bickersteth wurde nach einem gemeinsamen Gebet aufgefordert, dem ausziehenden Missionar seine Instruktion zu geben. Der aber sagte: „Meine lieben Freunde, ich fühle mich durchaus unfähig und unwürdig, unserm Bruder Gobat eine Instruktion zu geben. Ich habe die Überzeugung, dass wir alle nötig haben, von ihm instruiert zu werden. Ich will ihn nur bitten, uns alles Nötige zu sagen, bevor er Abschied nimmt.“ Gobat war darüber ganz bestürzt, folgte aber der Aufforderung und entwickelte seine Pläne für Abessinien.

Inzwischen hatte sich bereits ein neuer Missionar, der Gobats Genosse werden sollte, auf den Weg gemacht und in Ägyptern seine Vorstudien begonnen. Er hieß Karl Wilhelm Isenberg, war ein Deutscher von Geburt und wartete mit seiner Frau auf Gobats Ankunft. Dieser hatte sich ebenfalls verheiratet und nahm seine Lebensgefährtin auch mit auf die Reise. In Ägyptern gesellten sich noch einige mit Gobat befreundete Abessinier zu ihnen, sowie zwei weitere deutsche Gehilfen. Es war also eine stattliche Reisegesellschaft, die nach der Seereise durchs Rote Meer von Massaua aus in die Berge Abessiniens hinaufzog. Dort hatten sich die Verhältnisse aber eher noch ungünstiger gestaltet, als vorher. Ein Bürgerkrieg wütete wieder einmal im Lande und jeder tat, was ihm recht dünkte. Das war kein guter Boden für die Aussaat des Evangeliums. Es zogen sich aber noch dunklere Wolken über der kleinen evangelischen Schar zusammen. Ihr Führer verfiel nach kurzer Zeit in schweres Siechtum. Er konnte, wie es schien, das sonst so herrliche Klima von Abessinien nicht vertragen. In Adua, wo er sich wieder niedergelassen hatte, kam er öfters dem Tode nahe. Unter den heftigsten Krankheitserscheinungen musste er neun Monate lang das Lager hüten, wobei er zum Gerippe abmagerte und von den Freunden schon aufgegeben wurde. Schliesslich wurden er und seine Gattin auch noch von der Cholera ergriffen, die gerade im Lande wütete. Das Elend war groß. Gobat beschloss endlich, mit seiner Frau das Land zu verlassen, war aber überzeugt, dass er unterwegs sterben würde. Am 1. September 1836 reisten die von Krankheit und Siechtum Geschwächten von Adua ab und gelangten unter grosser Mühseligkeit wieder nach Massaua hinunter, von wo sie nach manchen Zwischenfällen über Kairo nach Europa zurückkehrten. So wertvoll auch Gobats Erfahrungen für die Fortführung der abessinischen Mission gewesen waren, unter diesen Verhältnissen musste die Missionsgesellschaft davon absehen, ihn wieder dahin gehen zu lassen. Nach einer kurzen Erholungszeit ward er einige Jahre lang in der großen Übersetzungsanstalt und Missionsdruckerei auf Malta beschäftigt. Dann empfing er den Auftrag, die Drusen auf dem Libanon zu besuchen, um zu sehen, ob es möglich sei, unter ihnen eine Mission zu eröffnen und Schulen für ihre Kinder einzurichten. Er hat darauf noch einmal seinen Wohnsitz in Malta gehabt, bis er im Jahre 1846 vom König Friedrich Wilhelm IV, von Preußen die Berufung für den evangelischen Bischofssitz in Jerusalem empfing. Seine dortige, reichgesegnete Wirksamkeit ist bekannt.

Wir kehren zu Missionar Isenberg zurück. Der verkündigte mit dem Feuer der ersten Liebe das Evangelium, besonders am Hofe des Fürsten und unter den Soldaten. Auch kamen fast täglich Abessinier, frühere Bekannte Gobats, zu ihm, um über religiöse Fragen zu sprechen. Sie begnügten sich aber meist mit äußerlichen Dingen, so z. B. ob der Missionar auch denselben christlichen Glauben hätte, wie die Abessinier, nämlich ob er das Kreuz und die Kirche küsse. Letzteres gilt als besonderes Zeichen der Gottesverehrung. Der Ausdruck bedeutet dort ungefähr dasselbe, wie bei uns das „Zur Kirche gehen“.

Um der bei ihnen verkehrenden Jugend besser Unterricht geben zu können, brauchten die Missionsleute ein neues Haus. Der Bau desselben verwickelte sie aber in unerwartete Schwierigkeiten, Die Vorsteher der Priesterschaft hätten die Wohnung, welche Isenberg zu bauen begann, gern für sich selbst gehabt. Es wurden die albernsten Gerüchte über den Zweck dieses Baues verbreitet und auch vom Volke geglaubt. Dadurch entstand eine gereizte Stimmung gegen das ganze Missions-unternehmen. Es kam so weit, dass der Missionar die ihm geborenen und bald wieder gestorbenen Kinder nicht einmal auf dem öffentlichen Friedhof begraben durfte, er musste sich dazu einen Platz in seinem Garten aussuchen. Auch der Landesfürst entzog den Missionaren das bisherige Wohlwollen. Dazu kam der Einzug römischer Missionspriester, welche allerlei Schmähungen gegen die evangelische Kirche vorbrachten, Sie redeten dem Negus ein, der ganze Protestantismus sei dem Untergange nahe, Millionen von Protestanten seien schon zur römischen Kirche übergetreten. Um sich in der Gunst der Einheimischen zu befestigen, besuchten die Römischen in auffälliger Weise die abessinischen Kirchen und Gottesdienste und stellten sich überhaupt den abessinischen Christen als völlig gleichartig hin.

Zu dieser hinterlistigen Beeinträchtigung kam der wieder auflodernde Bürgerkrieg, welcher der Missionsarbeit ebenfalls nichts weniger als günstig war. Unter solchen Umständen war auf Erfolg in Adua vorläufig nicht zu rechnen. Darum machte sich Isenberg auf die Wanderung nach Süden: er suchte in Gondar. wo Gobat einst gewirkt hatte, ein besseres Arbeitsfeld zu finden und als es ihm daselbst nicht gelang, noch weiter südlich in Schoa, Der dortige Machthaber hatte den Missionar erst aufs freundlichste eingeladen, als er aber ankam, fand er auch hier verschlossene Türen, Der Fürst schob die Schuld auf sein Volk, das von der fremden Religion nichts wissen wolle. Die Stimmung im Volke aber war natürlich wieder von der Priesterschaft beeinflusst und so musste man, wenn auch mit schwerem und widerstrebendem Herzen, auch von der Arbeit in Schoa absehen. Die Stunde war offenbar noch nicht gekommen, wo Äthiopien seine Hände zu Gott ausstrecken sollte, um ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten zu lernen.

Ein nochmaliger Versuch, in Adua bessere Lebensbedingungen zu finden, schlug ebenfalls fehl. König, Priesterschaft und Volk wollten von der Wahrheit nichts wissen. Sie sagten immer, sie wüssten schon genug vom Evangelium und hätten selbst die besten Lehrer im Lande. Recht bezeichnend für ihre Torheit war der hauptsächlichste Vorwurf, den sie gegen die evangelischen Missionare erhoben, sie hätten lange genug durch Abendmahlsfeiern, Taufen und so weiter in ihrem Hause die Abessinier beleidigt. Diese heiligen Handlungen gehörten in die Kirche, nicht in die Wohnhäuser der Menschen. Auch kehrte der Vorwurf wieder, die Missionare hätten die Jungfrau Maria beschimpft. Zuletzt kam es zu einer großen öffentlichen Auseinandersetzung in Adua. Isenberg zog mit klopfendem Herzen der Hauptstadt zu. Unterwegs begegnete ihm Debtera Mattheos, der ihm bei der Übersetzung der biblischen Schriften in die Tigre-Sprache geholfen hatte. Dann zog die Geistlichkeit mit den Beamten der Stadt unter Schellengeklingel und Voraustragung der Kirchenheiligtümer den Missionaren entgegen. Allerhand alte Freunde traten aus dem Volkshaufen hervor und bewillkommneten sie. Bald aber erschien der Oberpriester Kiddana Marjam und fragte Isenberg, ob er seinen Glauben verändert habe, das Kreuz und die Kirche küsse, ob er sich an die Fürbitte der Maria und der Heiligen halten wolle und so weiter. Isenberg konnte also einer offenen Aussprache nicht ausweichen und erklärte feierlich: Wir kommen, wie Gobat und Kugler, mit einer Botschaft der Liebe von einer befreundeten Kirche. Diese will euch den besten Schatz der ganzen Gemeinde Gottes, sein Wort, mitteilen; sie verlangt nicht, dass ihr eure Gebräuche ändert, aber ebenso wenig solltet ihr verlangen, dass wir den unsern entsagen. Unser Glaube ist nicht von gestern her, dass wir ihn etwa heute mit einem andern vertauschen könnten; sonst wäre er ja nur ein Scheinglaube. Ob er echt ist, mögt ihr aus unsern Werken beurteilen. Ihr kennt uns doch genügend von unserm dreijährigen Leben unter euch. Haben wir nach dem Evangelium gewandelt in Liebe, Geduld und Reinheit der Sitten, so gebt Gott die Ehre und lasst unsern Glauben für biblisch gelten. Über den Glauben eures Landes aber haben wir nicht zu richten; das Urteil darüber steht nur Gott zu, der einen jeden nach seinem, nicht nach fremdem Glauben richtet.“

Das Ergebnis dieser Verhandlung war, dass der Oberpriester den Bannfluch über die Missionsleute aussprach, indem er ihre Seelen dem Satan, ihre Leiber den Hyänen, ihr Eigentum den Dieben zusprach und jeden, der ihnen nahe kommen würde, exkommunizierte. Zunächst kehrte sich niemand an diesen Fluch; eine große Volksmenge folgte ihnen zu ihrer Lagerstätte und alte Freunde brachten Vorräte und Lebensmittel in reicher Fülle als Geschenke ins Zelt. Als Isenberg aber am nächsten Morgen in die Nähe seines Hauses ritt, fand er es der Türen und Fenster beraubt, die Gräber seiner Kinder waren geschändet. Der Missionar setzte seine letzte Hoffnung noch auf den Landesfürsten und den Abuna, von deren Entscheidung er das Bleiben oder Weichen aus dem Lande abhängig machte. Ersterer war durch die Katholiken aufgehetzt und gab in der Trunkenheit die Antwort, Isenberg möge nur gleich nach Europa abreisen, der Abuna aber schrieb einen Brief, der bei aller Höflichkeit doch auch eine deutliche Absage enthielt. Er begründete das Abbrechen der freundschaftlichen Beziehungen zu den Missionaren mit folgenden Worten: „Die Abessinier sind ein Volk, das weder nach Erkenntnis verlangt, noch Liebe zum Lernen zeigt, noch auch begreifen kann, dass Sie sein bestes suchen. Was sie wollen, ist, dass Sie ihnen von Ihrer Habe mitteilen, nichts anderes. Wir unsererseits bitten Sie, Ihre Gesellschaft bestens von uns zu grüßen und ihr zu sagen, sie möchte uns einen Konsul nach Massaua schicken, erstens zum Besten abessinischer Kaufleute, sodann würde das auch sehr zweckmäßig sein für unsern Verkehr mit Ägyptern. Leben Sie wohl und glücklich!“

Damit war das Schicksal der Mission besiegelt. Es war tiefschmerzlich für die Missionare – neben Isenberg handelte es sich um Blumhardt und Dr. Krapf, von dem wir hernach noch hören werden -, dass selbst der oberste Priester des Volks so wenig Verständnis für die Wohltat zeigte, die der verkommenen abessinischen Kirche erwiesen werden sollte. Es blieb ihnen aber nichts weiter übrig, als den Staub von ihren Füßen zu schütteln und abzuziehen.

Isenbergs Bedeutung für die abessinische Missionsgeschichte liegt vornehmlich auf wissenschaftlichem Gebiete. Er war außerordentlich eifrig in der Abfassung amharischer Bücher gewesen. Neben verschiedenen wichtigen Werken für den Kirchengebrauch hatte er Schulbücher in Geographie und Weltgeschichte verfasst und für die Gelehrten, die sich mit der amharischen Sprache beschäftigen wollten, Grammatik und Lexikon. Er beförderte alle diese Bücher zum Druck und ließ sich ihre Verbreitung im Lande angelegen sein. Als er nach der Verdrängung von seinem Arbeitsfelde in der Heimat eine unfreiwillige Mußezeit hatte, benutzte er sie, um in Deutschland Interesse an den Dingen in Abessinien zu erwecken. Sein Buch „Abessinien und die evangelische Mission“ hat seinerzeit viel Aufsehen gemacht. Da die Gesellschaft in London von seiner Wiederaussendung auf das bisherige Arbeitsfeld glaubte absehen zu müssen, schickte sie den arbeitsfreudigen Mann in das sogenannte Nasik-Institut bei Bombay in Ostindien, wo junge Afrikaner für den Missionsdienst ausgebildet werden. Er hat dort lange gewirkt und ist 1864 gestorben.

Johann Ludwig Krapf

Johann Ludwig Krapf

So traurig diese Erfahrungen auch waren, die Kirchliche Missionsgesellschaft gab doch noch nicht alle Hoffnung auf. Die vorhin erwähnten Begleiter Isenbergs harrten noch eine Zeit lang vor den verrammelten Türen Abessiniens. Einer von ihnen, der Württemberger Dr. Johann Ludwig Krapf, war ganz der Mann dazu, eine schwierige Missionsaufgabe zu bewältigen. Er war 1827 als siebzehnjähriger Jüngling in das Basler Missionshaus eingetreten und 1836 von der Kirchlichen Missionsgesellschaft übernommen worden, die ihn für die abessinische Mission bestimmte, weil einer der dortigen Brüder gerade gestorben war. Er kam im Dezember 1837 zu Massaua an und stieß in Adua zu Isenberg und Christian Gottlieb Blumhardt. Weil sich aber dort gerade infolge des Eindringens römischer Priester Schwierigkeiten erhoben, ging er in die südliche Provinz Schoa, wo er drei Jahre zubrachte, die meiste Zeit allein. Er wusste sich bei dem dortigen Machthaber in Gunst zu setzen und begleitete ihn auf verschiedenen Feldzügen, wobei er die umliegenden Länder und Stämme genau kennen lernte. Ganz besonders fühlte er sich zu den Galla hingezogen, jenem südlich wohnenden großen heidnischen Volksstamm, gegen den die Abessinier häufige Kriege führten. Bei diesem Herumziehen hatte er aber auch Gelegenheit, das Herz des Fürsten Sahela Selassie genauer kennen zu lernen. Der suchte nur äußere Vorteile beim Missionar. Trotzdem gedachte Krapf auszuharren und die fürstliche Gunst zur Förderung seiner eigentlichen geistlichen Aufgabe auszunützen. Aber im Jahre 1842 war er gezwungen, sein Standquartier Ankober für einige Zeit zu verlassen. Er musste zwei Missionaren, die zu seiner Unterstützung gesandt wurden, entgegenreisen und benutzte die Gelegenheit, in Ägyptern Hochzeit zu halten, wohin ihm seine Braut entgegenkam. Nachdem dies geschehen war, kehrte er mit den andern zurück und wollte von Tadschurra am Golf von Aden landeinwärts reisen. Da erreichte ihn die niederschmetternde Nachricht, dass Sahela Selassie bestimmten Befehl gegeben hatte, keinen Engländer mehr in das Innere zu lassen. Als ein solcher aber galt auch Krapf, weil er im Dienst der englischen Missionsgesellschaft stand. Es war die Zeit, wo Franzosen und Engländer sich den Rang in Abessinien streitig zu machen suchten. Die römischen Priester besorgten natürlich neben ihren eigenen Interessen zugleich Frankreichs Geschäfte. Wenn sie die englischen Missionare fernhielten, beseitigten sie gleichzeitig ihre evangelischen Rivalen. Und das gelang ihnen diesmal nur gar zu gut.

König Sahle Selasse

König Sahle Selasse

Dr. Krapf gab das Missionsfeld, für das er sich hatte werben lassen, nicht leichten Herzens auf. Er verweilte noch eine Zeit lang in den Hafenstädten, von denen die nach Abessinien führenden Karawanenpfade ausgehen, zuletzt nahm er sein Standquartier in Aden. Als aber alles Warten vergebens war, wandte er sich schließlich einer andern Aufgabe zu. Er schiffte sich im November 1843 nach Sansibar ein und hat später im Verein mit seinen Landsmann Rebmann der ostafrikanischen Mission wertvolle Pfadfinderdienste erwiesen. Zu den Galla, die er nicht vergessen konnte, ist er zwar nicht gekommen, aber dafür hat er neue Pfade zum Herzen des dunkeln Erdteils und seiner Bewohner entdeckt. So musste auch dieser dritte tüchtige Missionar unverrichteter Dinge von Abessinien weichen. Das schöne Bergland erwies sich also diesen evangelischen Missionaren gegenüber als uneinnehmbare Festung. Gottes Stunde war eben noch nicht gekommen. Er tut alles fein zu seiner Zeit und wir Menschen müssen auf seine Stunde warten lernen.

Seid fröhlich in Hoffnung! der Herr wird es machen,
Dass sein Reich und seines Reiches Sachen
Aus Nacht und Finsternis brechen hervor.
Sein Weg ist anders als unsere Wege,
Und wo wir schauen ungangbare Stege:
Sie führen sicher zum Ziele empor.

Geduldig in Trübsal! und geht es durch Leiden,
Durch Schmerzen, Kämpfe, Ringen und Streiten,
Es winken von ferne Palmen und Sieg.
Nur vorwärts gerichtet die Blicke nach oben,
Es folgt auf Seufzen fröhliches Loben
Und seliger Friede nach schwerem Krieg.

Und haltet nur an am Gebet und am Flehen, Was er verheißen, das wird geschehen,
Das göttliche Ja der Bitte nicht fehlt.
Lass kommen dein Himmelreich, Herr, bald auf Erden,
Dass alles Volk und Geschlecht muss werden
Zu deinem erwählten Volke gezählt.
Amen.


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