Jul 162013
 

Die schwarzen Juden

Von Carl Paul

Missionsstunden von R. W. Dietel, 5. Heft, Leipzig 1901, Seite 72 – 86

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Fünfte Missionsstunde

Inhalt

  • Sagenhafte Abstammung der Falascha von Salomo.
  • Ihr verderbtes Judentum.
  • Gebetsleben, Sabbat, Mönchswesen, falsche Propheten

Ev. Joh. 4, 22. „Ihr wisset nicht, was ihr anbetet. Wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.“

Das war die besondere Stellung des jüdischen Volkes vor allen andern Völkern der Erde. Das war das Vorrecht Israels, Träger der göttlichen Offenbarung zu sein und schon vor dem Eintritt des Messias den Völkern heilbringend zu werden. Das Volk von Gottes Gnaden, welches sowohl durch seinen Abfall zur Erfüllung der Heilsgeschichte mit beigetragen hat, als auch durch die Sammlung seiner Glieder in Christi Gemeinschaft und Kirche seinen Missionsberuf an den Völkern der Erde mit ausrichten wird bis ans Ende. Erst wenn die Heidenmission zu Ende gekommen sein wird, findet auch die Judenmission ihr Ende. Die Zeit, welche den Blinden in Israel, den Ungläubigen, den Nichtverstockten aus Gnaden gegönnt war, ist dann auch vorüber. Dann wird ganz Israel selig werden: das ist die Sammlung aller Gläubigen aus Juden und Heiden, während die Verstockten aus Juden und Heiden, denen das Wort vom Kreuz ja auch gepredigt und die Versöhnung und das Heil in Christo angeboten worden war, der Verdammnis anheim gegeben werden müssen nach dem Testament des auffahrenden Erlösers: „Gehet hin in alle Welt, und prediget das Evangelium aller Kreatur, Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden.“ Mark. 16, 15 und 16.

Überall in der Welt sind die Juden zerstreut und können als ein Ganzes nicht mehr angesehen werden. In einem Stück bilden sie aber Eins und sind Eines Sinnes: in der Stellung zu Christo. Viel, viel schwerer als die Heidenmission ist die Judenmission. Ist aber einmal der Jude zu seinem Messias wahrhaftig bekehrt, so umfasst er ihn auch mit brennender Liebe. Der Saulus wird auch heute noch zum Paulus. Darum darf die Liebe nicht aufhören, den Juden nachzugehen, damit sie nach ihrer Bekehrung mithelfen können, den Namen Jesu unter den Heiden zu verherrlichen und auch so das Wort sich mit erfülle: „Das Heil kommt von den Juden.“ Aus diesem Grunde hat Abessinien, das so viele Juden beherbergt, eine Zeit lang auch eine Anzahl Judenmissionare zu sich kommen sehen.

Waren wir schon verwundert zu hören, dass in Abessinien Christentum vorhanden sei, so muss es uns nicht weniger wundernehmen, dass auch das Judentum dort vertreten ist unter den Falascha, den schwarzen Juden Abessiniens. Schwarze Juden? Jawohl. Was war der Kämmerer der Mohrenkönigin Kandace anders, als ein Jude? In der heutigen Missionsstunde wollen wir uns mit den Falascha beschäftigen und hören, was über dieselben bekannt geworden ist.

Eine völlige Klarstellung über die eigentliche Abstammung und Beschaffenheit, also über die Nationalität der schwarzen Juden ist uns nicht möglich, die Ansichten über dieselben sind sehr verschieden. Soviel ist sicher, dass ihr Name darauf hindeutet, dass sie nicht zu den Urbewohnern Abessiniens gehören. Falascha bedeutet so viel als Verbannte, Auswandrer, Vertriebene. Nur die mündliche und jedenfalls sagenhafte Überlieferung gibt über die frühere Geschichte der Falascha Auskunft. Darnach soll König Salomo mit der Königin von Saba einen Sohn gehabt und ihn Menelek genannt haben. Die Königin sei mit ihm nach ihrer Hauptstadt Axum zurückgekehrt, habe aber den Sohn später zu seiner Weitern Erziehung wieder nach Jerusalem gesendet. Hier sei der Knabe zum Jüngling herangereift. Die Juden hätten aber ihren König Salomo, um künftigen Thronstreitigkeiten vorzubeugen, veranlasst, Menelek zurückzuschicken. Dies sei endlich geschehen, aber nur unter der Bedingung, dass jeder Jude seinen Erstgebornen mitzusenden habe. So seien die Juden nach Abessinien gekommen. Nach andern Angaben sollen Juden in der Zeit von der assyrischen bis zur babylonischen Gefangenschaft nach Ägypten gekommen und nilaufwärts bis nach Abessinien gezogen sein. Diese Überlieferung ließe sich vielleicht mit den Angaben in Verbindung bringen, welche im 43. Kapitel des Propheten Jeremia von dem Zuge der widerspenstigen Juden nach Ägypten gemacht werden oder mit der Weissagung des Propheten Zephanja: „Man wird mir meine Anbeter, mein zerstreutes Volk, von jenseit des Wassers im Mohrenlande herbeibringen zum Geschenk.“ Zeph. 3, 10. Dass aber zur Zeit der Einführung des Christentums die Falascha bereits in Abessinien eingebürgert waren, ist gewiss. In einem abessinischen Manuskript ist folgendes über sie zu finden: „315 Jahre nach der Geburt Jesu Christi wurde das Christentum durch Abuna Salama, dessen früherer Name Fru-menatos war, nach Abessinien gebracht und ausgebreitet. Damals regierten die äthiopischen Könige in Axum. Ehe die christliche Religion nach Abessinien kam, war die Hälfte der Einwohner Juden, die den Orit hielten, (Orit = Gesetz Mosis). Die andre Hälfte waren Anbeter der Drachen.“ Geschichtlich nachgewiesen ist auch der Umstand, dass die Falascha vom 10. Jahrhundert an einmal längere Zeit die herrschende Dynastie in Abessinien bildeten, dann aber überwunden, ihrer Macht völlig beraubt und zu ihrer auch jetzt noch geltenden geringen Stellung herabgedrückt wurden. Bezeichnend für die Annahme, dass schon zu des Propheten Jeremia Zeiten Juden in Abessinien eingewandert seien, ist der heute noch vorhandene Götzendienst der Falascha, der sich kundgibt in der Anbetung der Sonnenkönigin, der sogenannten Sanbat, der assyrischen und ägyptischen Astaroth oder Asttarte. Als einmal Missionar Johann Martin Flad einem Falascha-Debtera diese Sünde vorhielt, bekam er dieselbe Antwort, welche der Prophet Jeremia von den Weibern der nach Ägypten verzogenen Juden erhielt: „Nach dem Wort, das du im Namen des Herrn uns sagest, wollen mir dir nicht gehorchen; sondern wir wollen tun nach alle dem Wort, das aus unserm Munde geht, und wollen Melechet (Sanbat, Astaroth) des Himmels räuchern und derselben Trankopfer opfern, wie wir und unsere Väter, unsere Könige und Fürsten getan haben in den Städten Juda und auf den Gassen zu Jerusalem. Da hatten wir auch Brot genug, und ging uns wohl und sahen kein Unglück. Seit der Zeit wir aber haben abgelassen Melechet des Himmels zu räuchern und Trankopfer zu opfern, haben wir allen Mangel gelitten, und sind durch Schwert und Hunger umkommen,“ (Jer, 44, 16 – 18.) Es scheint, als ob Juden, die diesem Götzendienst huldigten, vor Zeiten in Abessinien eingewandert wären.

Johann Martin Flad

Jetzt lebt in den verschiedenen Provinzen des Landes zerstreut eine große Menge Falascha. Sie sind gewissermaßen die Industriellen des Landes, treiben Ackerbau, Schmiederei, das Maurer- und Zimmergewerbe, sowie die Töpferei; letztere wird jedoch nur von den Frauen ausgeübt. Merkwürdiger Weise gibt es unter ihnen keine Kaufleute, da sie den Handel für unvereinbar mit dem mosaischen Glauben halten. Ihre Wohnungen errichten sie nach abessinischer Bauart: sie sind sehr einfach, aber infolge der jüdischen Reinigungsgesetze reinlicher, als die der abessinischen Christen. Was ihnen hauptsächlich fehlt, ist das Licht, Fenster gibt es nicht. Die Tür ist die einzige Öffnung. In den Häusern herrscht darum über allen Verrichtungen ein geheimnisvolles Dunkel. Dieses Absperren des Lichts hat seinen Grund im Aberglauben. Der Schatten des Menschen wird gefürchtet, wie bei den Arabern das böse Auge, der böse Blick. Keine Speise, kein Medikament darf von einem fremden Schatten gestreift werden. Der Aberglaube geht überhaupt bei den abessinischen Juden sehr im Schwange. Die Christen betrachten die Falascha als Zauberer; sie sehen in ihnen sogenannte Buda, welche sich in Tiere verwandeln, auch Menschen durch Verzauberung krank machen und zum Sterben bringen können. So erzählt Gobat, dass, wenn eine Falaschafrau, welche vielfach in seinem Hause verkehrte, zu ihm kam, alle anwesenden christlichen Abessinier davonliefen. Sie hielten die Frau für eine Hauptzauberin. Auf der andern Seite haben die abessinischen Juden und Christen auch wieder manche Gebräuche gemeinsam. Es zieht kein Abessinier in ein neues Haus, bevor nicht in demselben ein Opfer gebracht und Blut geflossen wäre. Was die Nahrung angeht, so essen die Falascha kein rohes Fleisch, was wieder die Christen überaus lieben. Gemeinsam ist der Gebrauch des Teffbrotes oder richtiger des Teffkuchens und des roten, scharfen Pfeffers, ohne welchen die Abessinier nicht leben zu können meinen. Die Falascha beten vor und nach dem Essen. Es ist wohl am Platze, diesen Gebrauch den heutigen Christen zu tiefer Beschämung recht hervorzuheben. Sehr zu beklagen ist es, wie der löbliche und gesegnete Gebrauch des Tischgebets in den christlichen Häusern und Familien bei uns vielfach in Wegfall gekommen ist, wie sich viele Hausväter oder Hausmütter sogar schämen, das zu tun, was unser Herr und Heiland getan. Er nahm das Brot und dankte. Hören wir einmal die Falascha beten. Das Gebet vor Tische lautet: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der aller Menschen Gott ist. Ihm sei die Ehre, dem Herrn aller Herren sei Lob! Die waren und die kommen werden, sollen loben ihn, der allen Hungrigen Speise gibt. O Gott, unser Herr, gib uns deinen Segen! Mit dem Segen, womit du Abraham gesegnet hast, segne uns. Wie du der Abitara (einer gottesfürchtigen Frau) Fruchtbehälter gesegnet hast, segne , uns. Segne unsern Ausgang und Eingang! Der du Israel bewahret hast, bewahre uns. Du hast gesagt, das Lob der Menschen ist meine Speise, darum bringen wir dir unser Lob und preisen dich in Ewigkeit, Lobet den Herrn mit einem neuen Lob, gebet seinem Namen Ehre. Die Erde, und was darinnen ist, lobe den Herrn. Halleluja! Amen.“ Das Gebet wird vom Hausvater gesprochen. Nach jedem Satz antwortet die Tischgemeinde mit Amen. Das Gebet nach Tische lautet: Gott sei gepriesen, Ehre sei ihm, denn er hat uns mit Speise und Trank erfreut. Bewahre uns vor Hungersnot. Bewahre uns vor Durst. Erbarme dich unser und vergib uns. Kleide die Nackten und speise die Hungrigen, o Gott! Du gibst allem Fleisch Speise zur rechten Zeit! Du tust deine milde Hand auf und sättigest alles, was da lebet, mit Wohlgefallen. O Herr, gib allen, die ihre Hände zu dir aufheben, wenn sie’s bedürfen, Speise, Trank und Kleidung, Unser Gott, der in seinem Worte wahr, und in seinem Tun heilig und barmherzig ist, segne uns! Erlöse dein Volk und segne dein Erbteil. Friede über Israel, Amen!‘ Der Gebrauch von Gabeln und Löffeln beim Essen ist unbekannt, daher würde uns eine Einladung zu einer abessinischen Mahlzeit nicht gefallen, zumal da die Gastfreundschaft fordert, dem Gaste etwas in Teffkuchen gewickelte Speise in den Mund zu stopfen. Von den geschlachteten Tieren darf bei den Falascha die Spannader nicht mitgegessen werden nach 1. Mose 32, 33. Die Kleidung der Falascha ist der der abessinischen Christen fast gleich. Die Männer tragen lange weite Hosen und die Schama, einen togaartigen Überwurf. Die Füße sind stets unbekleidet.

Die Frauen tragen ein weites, baumwollenes, um die Lenden gegürtetes Gewand und ebenfalls die Schama, Der Eitelkeit und Putzsucht ist natürlich auch Raum gelassen. Das Haar tragen die Falaschafrauen kurz geschnitten. Sie unterscheiden sich dadurch sehr wesentlich von den Christenfrauen, welche eine sehr mühsam herzustellende Frisur haben, die von überreichlich aufgetragenem Fette trieft und nichts weniger als appetitlich ist. Die Falaschafrauen spinnen und weben übrigens ihre Kleiderstoffe selbst.) Die Falascha sind durchgehend wohlgebildete, kräftige Leute, in der Hautfarbe den anderen Abessiniern gleich. Bemerkenswert ist ihre Streitsucht, Sie wenden ihr Letztes daran, um ihr vermeintliches Recht vor dem Richter zu behaupten.

Falascha

Das jüdische Dorf Balankab in Äthiopien, von H. A. Stern,
Wanderings Among the Falashas in Abyssinia London, 1862.

Werfen wir nun einen Blick in ihr Familienleben. Die Ehen werden ebenso leicht geschlossen als gelöst. Die Mädchen heiraten zwischen dem 9. und 15. Jahre, die Jünglinge zwischen dem 16. und 20. Die gegenseitigen Vermögensverhältnisse sind bei den Verlobungen von größerer Bedeutung, als die gegenseitige Neigung. Die Ehe wird bei ihnen zu einem förmlichen Handelsgeschäft. Die Einsegnung erfolgt im Gotteshause, worauf die Vermählungsfeierlichkeiten oft eine ganze Woche hindurch dauern. Die Frau darf ihren Mann nur mit „Sie“ anreden und hat ihm als Zeichen der Unterwürfigkeit öfters die Füße zu waschen. Wenn ein Kind geboren ist, wird es acht Tage nach der Geburt beschnitten. Die Reinigungszeit ist genau nach den alttestamentlichen Vorschriften einzuhalten. Auch das Reinigungsopfer, in einem Paar Tauben bestehend, muss gebracht werden. Mit dem Gebot wegen der Erstgeburt wird es ebenfalls den gesetzlichen Vorschriften gemäß (2. Mose 13, 2) sehr streng genommen. Die Kinder werden gut erzogen und frühzeitig, wieder ein Vorbild für Christeneltern! zur Heiligung des Sabbats angehalten. Vielweiberei wird nicht geduldet. Dagegen dürfen die Vermögenden sich Sklaven halten, welche verhältnismäßig gute Behandlung erfahren. Tritt ein Sterbefall in der Familie ein, so wird der Tote sofort gewaschen, in ein neues Stück Zeug gewickelt und aus dem Hause getragen. Nun erhebt sich eine allgemeine Totenklage, die bis zum heiseren Geheul sich steigert. Die Nachbarn kommen und helfen mit wehklagen, Beim Fortgehen sprechen sie: „Gott tröste euch“; und empfangen zur Antwort: „Es betreffe euch nicht der dritte Teil unsres Leides!“ Nach dem Begräbnis, welches so bald als möglich zu geschehen hat, wird sieben Tage lang im Hause täglich eine Klage gehalten. Für den Unterhalt der Anwesenden haben aber nicht die eigentlich Trauernden, sondern die Freunde und Nachbarn zu sorgen. Gewiss eine schöne Sitte. Weniger zu rühmen ist der Brauch des Totenopfers am dritten und siebenten Tage. Diese Gewohnheit haben auch die christlichen Abessinier. Der Tote kann nach ihrer Meinung nicht eher zum Frieden kommen, als bis das Opfer gebracht ist. Diese Sitte beruht natürlich auf der Spekulation der jüdischen Priesterschaft, welcher dadurch eine gute Einnahme zufließt. Kommt eine Todesnachricht von fern wohnenden Verwandten, so wird, wie Missionar Flad erzählt, folgender Gebrauch eingehalten: Solche Botschaften werden nie schriftlich abgesandt, sondern immer durch einen Boten. Wenn letzterer in dem Hause, wohin er die Nachricht zu bringen hat, angekommen ist, stellt er sich ganz ruhig und gefasst, und selbst wenn eins und das andere der Familienglieder etwas Trauriges ahnt, so verhehlt er’s und redet’s ihnen aus. Am nächsten Morgen aber, lange vor Sonnenaufgang, wird die Botschaft ausgerichtet oder zwar in folgender formellen Weise. Der Trauerbotschafter geht an das Haus, worin der Betreffende, dem die Todesnachricht gilt, schläft; er ruft ihn bei seinem Namen und sagt: „Stehe auf und gürte dich.“ Dem Gerufenen ist diese Mahnung, was bei uns der schwarze Rand an einem Briefe bedeutet. Eilend steht er auf und fängt schon an zu klagen; während er die Hiobspost vernimmt, haben sich schon Freunde, Bekannte, Nachbarn, kurz, wer ein Herz hat zu weinen, eingefunden, und die Wehklage wird immer lauter, bis sie endlich nach mehreren Stunden wieder verstummt.

In jedem Falaschadorf steht ein Mesgid, d. i. ein Gotteshaus, welches aus dem Heiligen und Allerheiligsten besteht; in letzteres dürfen nur die Priester eintreten. Ein Altar, auf welchem die Opfertiere geschlachtet werden, ist auch vorhanden. Wenn die Gemeinde jeglichen Alters im Mesgid zusammenkommt, wird gebetet, gesungen und geopfert. Nach dem Gottesdienst wird im Gotteshause selbst eine gemeinschaftliche, vom Priester gesegnete Mahlzeit gehalten, zu welcher die Bemittelten die Speisen und Getränke zu liefern pflegen, also eine Art Liebesmahl.

Darnach werden in der Regel einige Abschnitte aus dem Orit gelesen und hierauf eine Schlussliturgie gehalten, welche nach Flads Aufzeichnungen folgendermaßen lautet: „Vergib uns, alle Menschen sind Sünder, vergib uns! Vergib uns, so oft wir dich beleidigen! Um deines heiligen Wortes, um deines heiligen Gesetzes willen, vergib uns! Sei uns gnädig, denn wir dienen dir allein, du bist der Einige Gott und außer dir ist kein Gott. Gedenke unser in Gnaden, und erbarme dich über dein Volk!“ Zwischen jedem vom Priester gebeteten Satz ruft die Gemeinde: „O Herr!“ Nun fährt der Priester fort: „Segne dein Volk, das dir williglich dienet, und hier vor dir steht. Sei uns gnädig und bewahre uns vor allem Bösen. Segne unsre Väter und Mütter, Brüder und Schwestern, Verwandte, Freunde und Kinder. Tröste alle Kranken und Betrübten, versorge alle Hungrigen, kleide alle Nackten. Erbarme dich aller, o Herr! Behüte und bewahre unser Eigentum, und segne uns, wie du unsre Väter gesegnet hast!“ Die Gemeinde antwortet: „O Herr, erhöre uns!“ Der Priester: „Vergib uns, o Herr!“ Die Gemeinde: „Vergib uns!“ Priester: „Wir haben gesündigt und übel vor dir getan, vergib uns, o Herr!“ Gemeinde: ,,Vergib uns, o Herr!“ Priester: „Deine Kraft wird nicht schwach, dein Reich vergeht nicht, und deine Herrschaft währet von Kind zu Kindeskindern, ja von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!“ Diese Liturgie könnte in jeder christlichen Kirche gehalten werden, und dennoch stehen die Falascha auf einer so niedrigen Stufe wahrer Erkenntnis und ist ihr Gottesdienst schwerlich mehr als Lippendienst.

Der Sabbat wird bei ihnen sehr streng gehalten. Schon am Freitagmittag eilt man in den nahen Fluss und legt nach dem Baden frische Kleider an. In träger Ruhe oder unter Spaziergängen erwartet man das Abendgebet, welches lange dauert und von Priestern oft die ganze Nacht hindurch fortgesetzt wird. Unter ihren Festen zeichnen sich besonders das Oster- oder Passahfest (was 2. Mose 12, 1 – 11 vorgeschrieben ist, wird streng befolgt), das Erntefest und der große Versöhnungstag aus. Auch ein Gedenktag Abrahams wird gefeiert. Bei allen diesen großen und anderen kleinen Festen werden alttestamentliche Abschnitte verlesen und wird ernstlich gefastet. Die Opfer, welche gebracht werden, sind mit wenigen Ausnahmen biblischen Ursprungs. Besonders streng werden die Reinigungsgesetze des Alten Testamentes beobachtet und ist namentlich den Frauen auch noch durch allerlei Menschensatzung ein schweres Joch auferlegt. Man findet deshalb auch wegen der vorgeschriebenen Reinigungen und Waschungen die Falaschadörfer meistens an fließenden Wässern gelegen. Hat ein Falascha irgendwie gesetzlich sich verunreinigt, so muss er den ganzen Tag fasten und von den anderen sich abschließen. Erst am Abend, nachdem er sich gebadet hat, darf er sein Haus wieder betreten. Den Wöchnerinnen sind besonders strenge Vorschriften gegeben,. Sehr empfindlich wird eine gefallene Jungfrau bestraft. Sie muss, nachdem sie ihre Sünde vor der ganzen Gemeinde bekannt, in ein Feuer springen, zu welchem sie das nötige Holz vorher selbst herbeischaffte,

Zwar wird sie schnell aus dem Feuer gezogen, hat aber dennoch viel an den empfangenen Brandwunden zu leiden. Nach ihrer Heilung hat sie zu baden, Opfer zu bringen und dann erst wird sie wieder für rein erklärt. Ehebruch, Blutschande werden durch scharfe Geißelungen bestraft, die oft so grausam angewendet werden, dass den Schuldigen der Rücken ganz zerfleischt wird. Eigentümlich ist es auch, dass kein Falascha Tabak rauchen darf. In der Mesgid zu schnupfen ist streng verboten.

Wunderbarerweise hat die Sprache der Falascha gar nichts Verwandtes mit dem Hebräischen, ja sie besitzen nicht ein einziges hebräisch geschriebenes Buch. Der Orit ist in äthiopischer Sprache verfasst. Und dabei doch diese unleugbare Verbindung mit dem alten Testamente und die offenbare Zugehörigkeit zum Volke Israel.

Aus dem bisher Gesagten können wir schon ersehen, dass die Falllscha es wohl ernst meinen mit dem, was sie ihre Religion nennen, die ja ebenso wie das Christentum in Abessinien als eine entartete zu bezeichnen ist. Man braucht aber nur daran zu denken, wie dieser Bruchteil der Juden von dem Stammvolk Israel seit Jahrtausenden getrennt und vom Heidentum, ja schließlich vom Mohammedanismus umgeben und beeinflusst worden ist, ja beeinflusst werden musste, – Ganz besonders hat sich das Zaubereiwesen bei ihnen ausgebildet. Es gibt unter den Falascha Geisterbanner, Wahrsager, Regenmacher, welche wegen ihrer trügerischen Künste bei Juden und Christen gleich sehr gefürchtet sind. Sie stehen nach der Volksmeinung mit bösen Geistern in Verbindung, Geradezu überraschend sind die Ergebnisse ihres sündigen Treibens, welches nicht etwa im Verborgenen und Geheimen, sondern ganz öffentlich und handwerksmäßig ausgeführt wird. So hat jedes Dorf seinen angestellten Regenmacher.

Abessinien Seite 83

Abbesinien Seite 83

Eine eigentümliche Erscheinung bildet das Mönchswesen mit seinem ernsten Streben nach Gerechtigkeit, mit seinen Auswüchsen menschlichen Irrtums, menschlicher Befangenheit, Der Gründer des Mönchsordens soll im 4, Jahrhundert gelebt haben. Man sagt, derselbe sei ein Mann von größter Selbstverleugnung gewesen und habe durch sein entsagungsvolles Leben und selbstloses Auftreten großen Einfluss namentlich auf junge Leute gewonnen, welche ihm bewundernd anhingen. Weil aber die Sünde und fleischliche Lust auch in der Zurückgezogenheit von der Welt die Gläubigen nicht unberührt ließen, forderte er von denen, die zu seiner Regel sich halten wollten, dass sie sich der Entmannung unterzogen, Um diese Unmenschlichkeit, welche heute noch stattfindet, zu beschönigen, werden falschverstandene Schriftstellen angeführt.) Man sieht, dass die Falaschamönche es ernst nehmen mit ihren Vorsätzen, der Welt und dem Fleische zu entsagen, dass sie sich mit vollster Überzeugung die größten Entbehrungen auferlegen, ja sich dem Tode weihen, um nur sobald als möglich der künftigen Herrlichkeit teilhaftig werden zu können, Flad erzählt in seiner Schrift über die Falascha: „So viel ist wahr, die Falaschamönche lassen es sich sehr sauer werden, um eine eigene Gerechtigkeit zu erlangen. Sie legen sich viele und schwere Fasten auf; ja sie ziehen sich häufig in Wildnisse zurück, wo sie, nur von Kräutern und Wurzeln lebend, fast dem Hungertod erliegen. Ein alter Mönch, mit dem ich gar manchmal über das Heil in Christo Jesu gesprochen, und der auch wiederholt mir seine Überzeugung bekannte, dass Jesus Gottes Sohn ist, suchte und fand einen überaus traurigen Tod, Er ließ sich alt und lebenssatt von seinen Verwandten in eine Höhle tragen, nahm nichts mit sich als ein Gefäß mit Wasser und starb also buchstäblich den Hungertod. Die Wahrheit hatte er erkannt, aber sie konnte ihn nicht freimachen, „Er dürfe seinen Glaubensgenossen die Schande nicht antun,“ meinte er. So geht das Wort des Apostels in Erfüllung: „Gleichwie sie nicht geachtet haben, dass sie Gott erkannten, hat sie Gott auch dahin gegeben in verkehrten Sinn, zu tun, das nicht taugt,“ (Röm, 1, 28). Ach, dass sich dieser alte lebensmüde Pilger nicht geschämt hatte, den Heiland der Welt auch als seinen Erlöser anzunehmen und zu bekennen, wie getrost hätte er dann einem Simeon gleich voll gläubiger Ergebung sein Ende erwarten können.“ – Der Gelehrsamkeit abhold, sind diese Mönche auch in ihren heiligen Schriften nicht sehr bewandert. Erst durch das Erscheinen der europäischen Missionare wurden sie angeregt, sich mehr mit den Schriften des Alten Testaments zu befassen. Ein Zeugnis ihrer jüdischen Abstammung dürfte wohl auch die Abneigung dieser sogenannten Schriftgelehrten gegen den Messias sein, über den sie die verworrensten Ansichten haben. Die Falaschamönche halten sich sehr abgesondert von Juden und Christen. Jede Berührung mit einem solchen macht sie unrein. Auch gibt es unter den Falascha Frauen, welche sich gänzlich von der Welt zurückziehen und als Nonnen ein förmliches Einsiedlerleben führen. Sie sind aber ganz besonders voll pharisäischen Stolzes und eingebildeter Gerechtigkeit.

Eine untergeordnetere Klasse von Geistlichen sind die Kahen oder Priester, welche an den Orten, wo es keine Mönche gibt, die gottesdienstlichen Gebräuche zu besorgen haben. Auch erteilen sie den Religionsunterricht der Kinder, soweit von einem solchen überhaupt die Rede sein kann. Bei ihnen kommt alles auf reine Abstammung an. Hat der Großvater eines Falascha sich durch irgendwelche Berührung mit einem Christen verunreinigt, so kann der Enkel nicht Kahen werden!

Dies alles lässt uns erkennen, wie nötig es ist, die Falascha zu reinerer Erkenntnis zu führen, sie aus ihren halb heidnischen, halb jüdischen Vorstellungen und Anschauungen herauszureißen und ihnen in Christo, dem Messias, den Weg, die Wahrheit und das Leben zu bringen. Das kann aber nur geschehen durch treue Missionsarbeit, durch die Boten, die den Frieden verkündigen. Denn weder der Eintritt in die abessinische Kirche, wozu sie gelegentlich einmal gezwungen worden sind, kann ihrem verlangenden Herzen Befriedigung bringen, noch das Bleiben bei dem, worin sie von ihren Mönchen, Priestern, Schriftgelehrten, Zauberern, ja selbst Propheten, welche mitunter bei ihnen aufstehen, unterrichtet werden. So trat 1862 ein derartiger falscher Prophet hervor und sammelte einen nicht geringen Anhang. Man sollte es kaum für möglich halten, dass seine Ankündigungen Glauben fanden. Er behauptete, Gott habe ihm folgendes offenbart: „Wie ich durch Mose mein Volk Israel aus Ägyptenland ausgeführt habe, so will ich durch dich, Sirach, meine Kinder, die Falascha, in diesem Jahre aus diesem Lande, das durch die Türken verheert werden wird, ausführen und sie in das Land Kanaan bringen, wo ich sie über alle Völker der Erde segnen will. Trockenen Fußes sollt ihr durchs Rote Meer ziehen. Ein jeder Falascha soll eine Last Sand mitnehmen, welcher, sobald ihr den Boden des Heiligen Landes betretet, zu Gold werden wird. Die Sanbat werde ich vor euch hinschicken, dass sie für euch reichlich Speise und Trank bereite, sie wird euch Brots genug geben. Den Himmel wird sie aufschließen, dass alle seine Schätze über euch herabkommen und alles Unglück wird sie von euch abwenden.“ Die diesen Verheißungen trauten und dem Lügenpropheten folgten, gingen natürlich zu Grunde.

Ein kleinerer im Lande lebender Volksstamm, der der Kamanten, ist offenbar mit den Falascha verwandt; sie haben ebenfalls jüdische Überlieferungen, Opfer und Reinigungsgesetze. Doch werden sie gleicherweise von Christen wie Juden mit argwöhnischen Augen angesehen und vieler barbarischer Bräuche beschuldigt. So soll unter ihnen niemand eines natürlichen Todes sterben, weil sonst die Seele nicht zur Ruhe kommen könne. Welche Verirrung!

Die Falascha haben also samt ihrem Anhang nur einen matten Schein des Heils. Ach, dass ihr Licht hervorbrechen möchte wie die Morgenröte und ihre Besserung schnell wachse!

Wie tief gebeugt liegst du im Staube,
O Israel, du Volk des Herrn!
Dem Starken gabst du dich zum Raube
Und triebst den Stärkeren von dir fern!
Nun liegst du da voll Todeswunden,
Und niemand hat dich noch verbunden,
Weil du den rechten Arzt verschmähst.
Ach lass dich lösen von den Ketten,
O Tochter Zion, lass dich retten,
Weil noch der Tag des Heils besteht! Amen.