Jul 162013
 

Die Schreckenstage von Magdala

Von Carl Paul

Missionsstunden von R. W. Dietel, 5. Heft, Leipzig 1901, Seite 107 – 126

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Siebente Missionsstunde

Inhalt

  • Der grausame Negus Negest
  • Die Gefangenschaft der Europäer auf der Bergfeste  Magdala
  • Lord Napier als Befreier
  • Theodoros II. trauriges Ende

Dan, 3, 17. Siehe, unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten.

Abessinien Seite 107

Abessinien – Seite 107

So riefen einst voll gläubiger Zuversicht die drei jungen Männer Sadrach, Mesach und Abednego, als Nebukadnezar sie mit grausamem Tode bedrohte. Ihr Glaube ist nicht zuschanden geworden.Es erfüllte sich bei ihnen das Wort: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, so ihn fürchten, und hilft ihnen aus.“ Die Missionsgeschichte ist reich an ähnlichen Erfahrungen. Es sei nur an einige Beispiele aus der neueren Zeit erinnert. Als die Asanteneger sich im Frühjahr 1900 gegen die Engländer erhoben und den Gouverneur mit seiner Truppe in Kumase belagerten, musste auch der alte, würdige Missionar Ramseyer mit seiner Frau und den andern Basler Missionsgeschwistern vor dem aufgeregten Volke im englischen Fort Zuflucht suchen. Die blutdürstigen Schwarzen bestürmten in unzählbaren Scharen die eingeschlossenen Europäer und schlugen wiederholt die zum Entsatz herbeieilenden Truppen zurück. Nach mehrmonatlicher Belagerung gelang es der kleinen Schar aber doch, sich zur Küste durchzuschlagen. Einmal waren die Feinde den Missionsgeschwistern schon ganz nahe, aber sie durften ihnen kein Leid zufügen. Ähnlich ist es zu gleicher Zeit auf vielen Missionsstationen in China gegangen. Hunderte von Missionaren mit Frauen und Kindern kamen in schwere Gefahr, die meisten wurden aber errettet, oft in geradezu wunderbarer Weise. Solche Erfahrungen stärken den Kindern Gottes den Mut; sie brauchen in Gefahr und Nöten nicht zu verzagen. Bei allem Toben der Feinde können sie getrost sprechen: „Siehe, unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten.“

Ein Beispiel dieser Art enthält auch die abessinische Geschichte, Wir haben in der vorigen Missionsstunde gesehen, wie die von Bischof Gobat gesandten Chrischonabrüder und die im Dienst der englischen und schottischen Judenmission stehenden deutschen Missionare nach Abessinien kamen und verhältnismäßig leicht Eingang fanden. Es wurde aber auch schon angedeutet, dass ihre hoffnungsvolle Arbeit durch den Wüterich Theodoros II. plötzlich aufs grausamste gestört ward. Die Missionare wurden samt andern Europäern auf des Negus Geheiß gefangen genommen, misshandelt, gefoltert und endlich auf der Feste Magdala eingesperrt. Die Schreckenstage von Magdala haben seiner Zeit in Europa ungeheures Aufsehen hervorgerufen; die davon Betroffenen aber waren ein Gegenstand der Sorge und der Fürbitte in allen Missionskreisen, bis das Mitleid sich plötzlich in die herzlichste Mitfreude verwandelte, als der Herr die Gefangenen Zions erlösen ließ.

Sehen wir uns zuerst den Urheber des großen Trauerspiels etwas näher an, Theodoros II, war im Jahre 1855 Alleinherrscher von Abessinien geworden, nachdem er die drei Sonderfürsten Ubie von Tigre, Ras Ali von Amhara und Sahela Selassie von Schoa besiegt hatte. Er war, wie viele seiner Vorgänger, ein Emporkömmling. Sein Vater war ein abessinischer Statthalter gewesen, seine Mutter rühmte sich zwar salomonischer Abstammung, war aber nach dem Tode ihres Mannes verarmt. Von Haus aus hochbegabt, erweckte er bei manchen die Hoffnung, er werde der erstarrten Kirche seines Landes zu neuem Leben verhelfen. Im Anfang seiner Regierung machte er den Eindruck eines frommen Menschen.

Er las fleißig die Bibel und war ein regelmäßiger Abendmahlsgast. Seinem Lande suchte er ein zwar strenger, aber gerechter und gewissenhafter Regent zu sein. Wie freundlich er sich zu den Missionsleuten stellte, haben wir früher gesehen. Kein Wunder, dass man in Europa auf diesen Negus Negest (König der Könige), wie er sich gern nennen ließ, große Hoffnungen setzte. Dieses gute Einvernehmen schlug aber plötzlich ins Gegenteil um, als der Negus von Frankreich und England, mit denen er in Verbindung getreten war, geringschätzig behandelt zu sein glaubte. Er hatte in offenbarer Überschätzung seiner Bedeutung diesen Mächten vorgeschlagen, sie  sollten mit ihm zusammen Ägypten erobern und Jerusalem aus der Hand der Türken befreien. Als man weder in London noch in Paris Entgegenkommen für diese Pläne zeigte, fing er in gekränkter Eitelkeit an, seinen Unmut an den politischen Unterhändlern und den Missionaren auszulassen. Gleichzeitig brachen die Leidenschaften der Trunksucht und Wollust als wilde Triebe bei ihm hervor. Gegen seine Untertanen ward er wetterwendisch und grausam, er verwüstete die blühenden Provinzen seines Reichs und vergoss ganze Ströme unschuldigen Blutes. Den Höhepunkt erreichten seine Verirrungen aber in den Jahren 1863 – 1867. Wie er in diesen schrecklichen Jahren gewütet hat, wollen wir jetzt im Einzelnen sehen.

Gegen Ende des Jahres 1862 traf der französische Konsul Lejean in Gondar ein, um als Vertreter Napoleons mit dem Negus zu unterhandeln. Zu gleicher Zeit erschien auch ein Engländer, namens Cameron, um die englischen Interessen wahrzunehmen. Mit letzterem kam der junge französische Reisende Bardel, ein unsittlicher und gewissenloser Mann, der es zwar vortrefflich verstand, sich bei dem Negus einzuschmeicheln, aber in der Folgezeit sich als ein satanischer Mensch entpuppte. Er war es hauptsächlich, der den Fürsten gegen die andern Europäer reizte und anstachelte. Seine Wühlereien richteten sich hauptsächlich gegen den Vertreter der englischen Politik und die evangelischen Missionare. Was für Unheil ein solcher Mensch als Günstling des unumschränkt herrschenden Theodoros anrichten konnte, sollten die andern bald erfahren.

Der erste Ausbruch des königlichen Zornes wandte sich gegen die politischen Vertreter, weil die Königin von England einen Brief des Negus nicht eigenhändig beantwortet hatte und Napoleon ihm mündlich sagen ließ, er habe keine Lust, mit einem Fürsten in Verbindung zu treten, der seinen Leuten Hände und Füße abschneiden ließe. Es war ein Wunder, dass der dadurch erboste Negus dem französischen Gesandten Erlaubnis erteilte, das Land zu verlassen. Als derselbe in Sicherheit war, schrieb er unvorsichtiger Weise noch einen Schmähbrief an den Herrscher, wodurch dieser aufs Heftigste gereizt wurde. Das erste Opfer war der Judenmissionar Stern, den wir von früher her kennen. Er war gleichzeitig mit Cameron eingetroffen und hatte, wie wir oben sahen, den Missionar Rosenthal und seine Frau mitgebracht, um sie in Abessinien einzuführen. Unglücklicherweise hatte Stern einen photographischen Apparat bei sich, der beim misstrauisch gewordenen Fürsten den Verdacht erregte, als sollten die damit hergestellten Landschaftsbilder den europäischen Mächten die Eroberung seines Landes erleichtern. Er verfolgte die ganze Zeit, da Stern im Lande war, dessen Schritte mit feindseligen Blicken, die Schalen seines Zornes ergossen sich aber erst in letzter Stunde über das Haupt des Missionars, als dieser eben im Begriff war, wieder abzureisen. Stern wählte unvorsichtiger Weise eine ungünstige Stunde, um sich beim Herrscher zu verabschieden und kam obendrein im Reisekleid, was nach abessinischem Brauch nicht statthaft ist. Der Negus ärgerte sich über den Besuch und tat eine gleichgültige Frage über den Reiseweg. Ohne sich etwas dabei zu denken, antwortete der Dolmetscher auf diese Frage, ohne sie erst an Stern weiter zu geben. Da brauste der unwillige Machthaber auf und ließ den armen Mann zu Boden werfen, seine Füße mit einer Kette umschlingen und vermittels einer durchgesteckten Stange so stark zusammenziehen, dass sie wie in einem Schraubstock hingen. Nun mussten zwei Soldaten herantreten und mit dicken Riemen aus Nilpferdhaut die Fußsohlen des Gefesselten bearbeiten. Bei dieser Prozedur biss sich Stern, der alles mit ansehen musste, in den Daumen. Er tat das ganz zufällig, sollte aber bald merken, dass er damit den Zorn des Negus furchtbar gereizt hatte. Diese Geste, die uns ganz unschuldig erscheint, hat nämlich in Abessinien die Bedeutung eines Racheschwurs. Ehe er sich’s versah, wurde er nackt ausgezogen und blutig geschlagen. Am nächsten Morgen brachte man ihn gefesselt nach Gondar. Als der englische Konsul sich für ihn verwenden wollte, ließ der Negus ihn nicht vor. Stern musste nochmals vor dem Herrscher erscheinen, konnte aber keine Entschuldigung anbringen. Theodorus erklärte: „Ihr Weißen hasst mich und ich hasse euch!“

Die Lage des Gefangenen, der aufs Neue misshandelt und aller seiner Habe beraubt wurde, gestaltete sich noch bedenklicher, als der König sein Gepäck durchsuchen ließ. Der vorhin erwähnte Franzose Bardel leistete dabei die Dienste eines Spürhundes. Stern hatte dem Günstling des Königs wohl einmal mitgeteilt, er fürchte sich wegen eines Buches, das er über Abessinien geschrieben habe. Der Verräter hatte das dem Negus hinterbracht und erhielt nun den Auftrag, die Kisten Sterns zu durchsuchen. Das verhängnisvolle Buch fand sich wirklich und die Stelle darin, der König sei nicht von hoher Abkunft, seine Mutter sei nur eine Kossoverkäuferin gewesen. Das empfand der hochmütige Theoduros, der gern damit prahlte, dass er seinen Stammbaum bis auf Salomo zurückführen könne, als eine schwere Beleidigung. Stern hatte auch eine rohe Gewalttat des Königs als kaltblütigen Mord bezeichnet. Zudem befand sich unter den gefundenen Schriftstücken ein Brief von der Gattin des Missionars Johann Martin Flad, in welchem diese schrieb, dass der König seine großmütige Löwennatur verloren habe und zu einem Leoparden geworden sei, der nicht genug Blut zu trinken bekommen könne. Auch habe er seinen moralischen Wandel verlassen und sich der Vielweiberei ergeben. Ein anderer Missionar hatte einen Bericht überschrieben: „Meine erste Zusammenkunft mit dem wilden Tier.“

Als diese unvorsichtigen Äußerungen dem Negus mitgeteilt wurden, geriet er in blinde Wut und rief aus: „Ihr Europäer, habe ich euch nicht geachtet und geehrt? Habe ich euch nicht alles gegeben und getan, was Ihr wünschtet? Warum vergeltet ihr Gutes mit Bösem? Ihr Heuchler, Betrüger, Lügner und Schurken! Ich habe keinen Respekt mehr vor euch, ich verachte euch!“

Alle Missionare und ihre Frauen wurden gefangen genommen und alsbald eine große Gerichtsversammlung gehalten, in der sich Rosenthal wegen der unbesonnenen Ausdrücke („wildes Tier“) demütigte, Frau Flad um ihres Mannes willen Vergebung erhielt, Stern aber sich zu verteidigen suchte. Die Antwort des Königs erfolgte erst einige Wochen später. Stern und Rosenthal mussten da der Exekution von 200 Soldaten beiwohnen, die mit Giraffenpeitschen blutig geschlagen wurden. Dann fragte der Tyrann, dem hinterbracht worden war, Stern hätte gesagt, er fürchte nur Gott und keinen Menschen: „Fürchtest du dich jetzt?“ Es erfolgte keine Antwort. „Warum habt ihr mich geschimpft? Reißt ihnen die Kleider ab!“ Schon lagen die Messer bereit, ihnen Hände und Füße abzuschneiden, als der König sich wieder besann und sie nackt ins Gefängnis zurückführen ließ. Erst nach sechs Tagen durfte Flad ihnen Kleider bringen. Der König sagte, er habe die beiden hinrichten lassen wollen, aber Gott habe es ihm nicht erlaubt.

Das geschah in den letzten Tagen des Jahres 1863. Kurz nach Neujahr wurden auch die politischen Vertreter am abessinischen Hofe in Mitleidenschaft gezogen. Eines Sonntags mussten Cameron, Flad und die anderen Europäer mit Ausnahme der Chrischonabrüder vor dem Könige erscheinen. Sie wurden vor die Mündung zweier Kanonen gestellt und empfingen in dieser Lage die Erklärung, der König sei beleidigt, weil die englische Regierung seinen Brief nicht beantwortet habe. „Du bist mein Gefangener“, wandte er sich zu Cameron, „bis ich Antwort auf mein Schreiben erhalte.“ Sogleich ergriffen die rohen Schergen den Konsul und rissen ihm die Uniform vom Leibe. Nun schmiedete man je zwei Europäer mit einem Soldaten aneinander und steckte alle zusammen in ein Zelt, auch Stern und Rosenthal. Ihre Habe wurde von den Truppen geplündert. Zu gleicher Zeit wurden Frau Flad und Frau Rosenthal von einer Volksmenge überfallen. Die Frauen wehrten sich mutig für ihre Kinder und vernichteten schnell noch einige Briefe; dann wurden sie, übrigens ohne Ketten, ins königliche Lager geschleppt.

Fast das ganze Jahr hindurch schwebten die Gefangenen zwischen Furcht und Hoffnung. Sie wurden immer im Lager des Negus gehalten, der im Lande umherzog und im Verwüsten eine teuflische Freude empfand. Der Wüterich ließ die Hauptstadt Gondar in Asche legen, weil die Bewohner sich nicht unterwürfig genug gezeigt hatten. Er mied lange Zeit den Anblick der Europäer, die in ihrem Zelte vom Regen durchnässt und durch elende Nahrung entkräftet wurden. Gegen Ende des Jahres schien ihre Behandlung besser zu werden und ein Hoffnungsstern ging ihnen auf. Aber schon im November musste Flad, der mit seiner Frau frei umhergehen konnte, den Freunden die Hoffnung nehmen. Zwar hatten die Chrischonabrüder, die in Gaffat mit Kanonengießen und dergleichen sich mühten, bereits ihre Losgebung ausgewirkt, als die übrigens falsche Nachricht kam, es seien britische Truppen in Massaua gelandet. Das stimmte den Negus sogleich wieder um. Er beschloss, wie Flad erfuhr, die Gefangenen in die im Süden des Landes gelegene, schwer zugängliche Bergfeste Magdala zu bringen. So geschah es. Bald sassen die Europäer mit 81 andern Gefangenen auf der Feste Magdala im engen Raum und an den Füßen gefesselt. Die Zahl der mitgefangenen Abessinier ward bald durch zahlreiche Hinrichtungen vermindert, bald durch neue Ankömmlinge vermehrt. Ein Zwischenfall verschärfte die Wachsamkeit der Hüter und die Fesseln der Gefangenen, Menelik, der Prinz von Schoa, hatte sich mit seinen Anhängern bei Nacht geflüchtet. Nun wurde allen Gefangenen die eine Hand an die Fusskette hinunter gebunden, so dass sie Monate lang Tag und Nacht zusammengebückt verharren mussten, bis sie herausgefunden hatten, wie sie sich nachts der Fesseln entledigen konnten. Aber wunderbar, in dieser traurigen Lage gelang ihnen, was sie draußen in der Freiheit vergebens erstrebt hatten: sie konnten ungestört an den Mitgefangenen Abessiniern Mission treiben. Stern und Rosenthal hatten ein offenes und gesegnetes Missionsfeld unter ihnen.

Innerer Teil der Bergfeste Magdala. Südliche Ansicht.

Innerer Teil der Bergfeste Magdala – Südliche Ansicht
Originalzeichnung von E. Zander

Inzwischen war ein zweiter englischer Gesandter nach Abessinien gekommen. Er übergab dem König einen Brief der Königin von England, in welchem leider bei der amharischen Übersetzung ein missverständlicher Ausdruck untergelaufen war. Er konnte so verstanden werden, als sollte der Gesandte gewissermaßen als Geißel für die Gefangenen angesehen werden. So oft nun der politische Vertreter auf Freigebung der Gefangenen und Abreise derselben mit ihm zu reden kam, ward der König erbost und verlangte endlich entschieden, der Gesandte müsse zurückbleiben. Er, der Negus, habe ein Recht, für die ihm von den Europäern angetanen Beleidigungen eine Entschädigung zu fordern. Diese sollte in der Zusendung englischer Arbeiter und mancherlei Gerätschaften, Werkzeuge usw. bestehen. Bis diese angekommen wären, müsse der Gesandte zurückbleiben. Letzterer machte ernstliche Vorstellungen und versprach, bei seiner Regierung alles aufzubieten, um den Ansprüchen des Herrschers Genüge zu leisten. Er solle ihn nur mit den Gefangenen ziehen lassen. Theodoros ging scheinbar darauf ein. Die von Magdala herbeigebrachten Europäer konnten von Freiheit und Heimat reden. Schon waren sie im Begriff, das Land zu verlassen, als sie sämtlich mit Einschluss des englischen Gesandten wieder ergriffen und in Ketten gelegt wurden.

Nun ward ein öffentlicher Gerichtstag gehalten, der scheinbar mit einem friedlichen Ausgleich schloss. Es fand eine großartige Versöhnungsszene statt, bei der freilich die Verstellungskunst die Hauptrolle spielte. Wie der Gesandte und die andern Gefangenen den König fußfällig um Verzeihung bitten mussten, so tat es der heuchlerische Negus auch. Er bat auf dem Boden liegend alle um Vergebung und sagte: „Um Gottes Willen habe ich euch vergeben; der Teufel war es, der mich gegen euch zornig werden ließ; um die Versöhnung her ist ein Vorhang, der Teufel ist außerhalb desselben, und wir wollen Sorge tragen, dass er nicht wieder hereinkommt und unsre Liebe stört.“ Das Ende war: Flad, der seine Frau und drei Kinder zurückließ, sollte nach England reisen und die begehrten Arbeiter holen. Dass dieser gerade geschickt wurde, hatte sich der Negus reiflich überlegt. Er meinte: „Einem Europäer ist ja seine Frau sein Herz und seine Kinder sind seine Augen.“

Nach Flads Abreise begab sich der König mit seinem Heer in das Hochland von Debra Tabor, weil die Cholera ausgebrochen war. Die Gefangenen mussten ihn erst begleiten, später wurde ein Teil von ihnen wieder nach Magdala gebracht, die andern nach Gaffat, wo sie mit den Chrischona-brüdern schwer arbeiten mussten. Wieder wurde das Staatsgefängnis des Negus in der Bergfestung zum Schauplatz einer religiösen Bewegung. Im Gefolge des englischen Gesandten befanden sich mehrere Mohammedaner, die für die Lehren der Missionare sich zugänglich erwiesen. Einer von ihnen studierte fleißig die amharische Bibel und ließ sich im Kerker von Stern taufen.

Im Dezember 1866 kehrte Flad von England zurück. Er sandte zuerst einen Bericht, was er in Europa ausgerichtet hätte und zugleich in Abschrift einen Brief der Königin von England, der zwar höflich, aber scharf und bestimmt genug war, den Negus in die übelste Laune zu versetzen. Darin stand, die Arbeiter und Maschinen befänden sich in Massaua, sie würden aber erst dann nach Abessinien gebracht, wenn die Gefangenen in Freiheit gesetzt wären. Theoduros war darüber so ergrimmt, dass er keins von all den Geschenken mehr haben wollte. Er sagte, man möge sie ins Meer werfen; falls die Engländer ihn mit Krieg überzögen, werde er die Gefangenen, ja alle Europäer in tausend Stücke zerhauen. Als Flad selber kam, empfing ihn der König mürrisch. Er war für alle Vorstellungen taub und blieb bei der Meinung: „Wollen sie mit mir kämpfen, gut, lass sie kommen. Durch die Kraft meines Gottes will ich ihnen begegnen, und heiße mich ein Weib, wenn ich sie nicht schlage. Dabei vertraue ich nicht auf meine Macht, sondern auf den, der gesagt hat: „Wenn du Glauben hast wie ein Senfkorn, so kannst du Berge versetzen.“ Die Engländer meinten es noch nie redlich mit mir.“ Auf die nochmalige Entgegnung Flads, dass bestimmt die englischen Truppen ins Land rücken würden, wenn er die Gefangenen nicht freigebe, rief er zornig: „Was geht das dich an? Lass sie kommen!“

Im Lager des Negus. Priester und Krieger. Zeichnung von H. Leutemann

Im Lager des Negus – Priester und Krieger
Zeichnung von H. Leutemann

Kurz vorher hatten die schottischen Judenmissionare Steiger und Brandeis im Verein mit einigen anderen Europäern den Entschluss gefasst, aus dem königlichen Lager zu fliehen. Der verräterische Bardel aber war hinter ihr Geheimnis gekommen. Er gab erst selbst das Losungswort zur Flucht und zeigte dann dem König ihren Plan an. Die Flüchtlinge wurden alsbald in Ketten gelegt und verhört, während man ihre fünf Diener auf entsetzliche Weise folterte und hinrichtete. Ohne Frau Flads geheime Hilfe hätten sie selbst in den folgenden Tagen verhungern müssen. Nun wütete der König wieder einmal wie ein wildes Tier. Beinahe alle Edlen von Debra Tabor wurden in Ketten gelegt; die nichtsnutzigsten Leute, die ihn auf seinen Raubzügen begleiteten, wurden an ihre Stellen gesetzt.

Auch die Chrischonabrüder sollten nicht länger die goldene Freiheit genießen, wenn man diesen Ausdruck von der bisherigen Zeit voll harter Frohndienste gebrauchen darf. Sie mussten Ketten schmieden und ahnten, dass dieselben für sie selbst bestimmt waren. Am 15. April 1867 wurden sie gefangen gesetzt, weil der Negus entdeckt hatte, dass sie im Geheimen Verbindung mit den andern Europäern unterhielten. Nach einiger Zeit ließ er sie wieder einmal frei, er spielte mit ihnen wie die Katze mit einer gefangenen Maus. Von April bis Oktober d.J. wurden sie in Debra Tabor in ein Dorngehege eingesperrt, wo sie eine große Kanone zu gießen hatten. Um sie her gingen viele Häuser in Brand auf, in welchen 60 – 80 Verdächtige eingeschlossen waren und elendiglich im Feuer umkamen. Der König wütete gerade wieder einmal gegen jedermann. Die Feder sträubt sich, alle die ausgesuchten Martern zu beschreiben, mit denen er nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Säuglinge umbrachte. In schauerlicher Verblendung prahlte er schließlich damit, dass er auf einem Zuge von zwölf Stunden Wegs keinem menschlichen Wesen und keinem zahmen Tier mehr begegnet sei. Er hatte eine völlige Einöde um sich her geschaffen und das gerade zu der Zeit, wo er alle Hilfskräfte hätte zusammen nehmen sollen, um sich gegen das heranziehende Strafgericht zu wappnen.

Er konnte sich nun keiner Täuschung mehr hingeben. Erst kamen nur Gerüchte, bald aber ganz bestimmte Nachrichten, dass die englische Regierung eine kleine Armee ausgerüstet hatte, um ihren Gesandten und die anderen Europäer aus den Händen des Tyrannen zu befreien. Sie war dem Oberbefehl des Sir Robert Napier unterstellt und bestand aus 16.000 Mann mit 45 Elefanten, 15.000 Maultieren und zahlreichen Kamelen, die an der Küste des Roten Meeres ausgeschifft wurden und in mühseligem, langsamem Marsche durch die engen Felstäler heraufstiegen. Es war ein Zug, der seinesgleichen in der Geschichte sucht.

Der Negus beschloss nach Magdala zu ziehen und den Feind dort zu erwarten. Er war ganz verwirrt. Das geht z. B. daraus hervor, dass er 80.000 Stück zusammengeraubtes Vieh mit einemmale töten und umkommen ließ. Augenzeugen berichteten, dass die getöteten Tiere auf weite Strecken den Erdboden bedeckten. Der König aber äußerte seinen Soldaten gegenüber: „So viele Menschen müssen dieses Jahr noch sterben.“

Magdala ist von Debra Tabor höchstens fünf Tagereisen entfernt. Da aber der ganze Hof mitzog und das Heer schwerfällige Kanonen mit sich führte, brauchte man mehrere Monate dazu. Es waren keine ordentlichen Verkehrswege vorhanden, daher mussten an den steilsten Stellen jetzt erst in aller Eile Straßen angelegt werden. Ein ungeheuer großer Mörser, der 16 Zentner wog, hielt den Zug besonders auf. Da die Zugtiere fehlten, wurden oft 500 und mehr Soldaten vorgespannt, aber auch sie konnten das Ungetüm, auf dessen Tüchtigkeit der König großes Vertrauen setzte, nur ruckweise fortbewegen. Durch Mangel an Nahrungsmitteln entkräftet, fielen häufig die Soldaten ermattet nieder. Dann wurde jedes Mal Halt und Rast gemacht. Um die nötige Fourage zu erlangen, wurden Plünderungszüge nach rechts und links unternommen. Dabei kamen unerhörte Grausamkeiten vor. Hunderte von Gefangenen, darunter Frauen und Kinder, wurden lebendig verbrannt. Auch den gefangenen Europäern erging es traurig. In Ketten geschmiedet zogen sie in gebückter Stellung dahin, denn die Armkette war mit der Fußfessel verbunden und zwar kurz. Dabei mussten sie sich die gemeinsten Beschimpfungen gefallen lassen. Dazwischen führte der Negus wieder einmal religiöse Gespräche mit den Missionaren, wobei er den vollendeten Heuchler spielte. Eines Tages forschte er darnach, wie ein Bischof nach der Schrift beschaffen sein müsse. Der Abuna habe doch eigentlich immer nur für seinen Bauch gesorgt. Als er auf 1. Tim. 3 verwiesen wurde, versicherte er, zu Hause wolle er die Stelle nachlesen. Er tat es wirklich, und die bei ihm versammelten Priester erhielten eine tüchtige Strafpredigt.

Noch unterwegs empfing er die bestimmte Nachricht vom Nahen des englischen Heeres. Da sagte er zu seiner Umgebung: „Wenn mich Gott nicht tötet, so können mir die Engländer nichts anhaben. Es scheint mir, es ist so Gottes Wille, dass diese Leute in mein Land kommen. Ich fürchte mich nicht. Ich verlasse mich auf Gott. Als Sanherib Jerusalem belagerte, betete der König Hiskia zu Gott und siehe, der Engel Gottes kam hernieder und schlug das Heer Sanheribs in einer Nacht. Will mich Gott erretten, so kann er es; will er mich töten, so kann mich niemand erhalten.“ Als ihm daraufhin von einem der Missionare geraten wurde, sich mit den Engländern zu versöhnen, rief er dem Sprecher die ärgsten Schimpfworte und Drohungen zu. Kurze Zeit darnach fragte er den erst Beschimpften wieder, was er mit den in Magdala befindlichen Gefangenen tun solle. Als dieser riet, ihnen die Ketten abzunehmen und sie freundlich zu behandeln, ließ er das sogleich tun und sandte die besten Grüße an den englischen Gesandten. So wechselten die Stimmungen im Herzen des Tyrannen.

Endlich war der grauenvolle Marsch zu Ende. Der König schlug sein Lager nicht in der Bergfeste Magdala selbst auf, sondern in Selamgie, einer etwas tiefer gelegenen Einsattelung des Gebirges. Alsbald stattete er den Engländern einen Besuch ab und erging sich nach seiner Weise stundenlang in halb schmeichlerischen, halb rätselhaften Reden. Auf die Bitte des englischen Gesandten ließ er nun noch einige weitere Gefangene von ihren eisernen Fesseln befreien und stellte ihm seinen Kronprinzen Alamayu vor, den er ihm zur Erziehung übergebe, falls er umkäme. Kämpfen müsse er auf jeden Fall, denn Stern habe ihn in seinem Buche als einen wunderbaren Mann gepriesen; würde er nun nicht beweisen, dass er sich aufs Streiten verstehe, so dürfe Stern ein andres Buch schreiben und ihn Feigling heißen. Aber selbst wenn ihm, dem Könige, der rechte Arm zerschossen würde, traue er sich zu, dass er Stern noch mit dem linken erschießen könne.

Eine unheimliche Bangigkeit lag über der Landschaft von Magdala in jenen Wochen vor Ostern, da der Negus den Anmarsch der Engländer erwartete. Als der Gründonnerstag anbrach, sah man die Vertrauten des Königs düster umhergehen. Theodoros hatte den ersten Brief des Generals Napier empfangen. Er wusste nun und bald auch das ganze Lager, dass die Engländer wirklich schon ganz nahe waren; der König schien verzagt und seiner selbst nicht mächtig. Nachmittags schrien hunderte von abessinischen Gefangenen: „Egsio!“ (Gott, erbarme dich unser). Der König fragte, warum sie so schrien, und erfuhr, dass sie schon etliche Tage nichts zu essen bekommen hatten. Da ließ er sie, weil ihr Geschrei das Heer entmutige, niedermetzeln. Drei Stunden lang dauerte das Morden, bis die letzten der 308 Unglücklichen über eine hohe Felswand hinuntergestürzt waren. Nun gab Theodorus einen Mordbefehl, der den Weißen das Blut in den Adern stocken ließ: „Bringt die Europäer und lasst ihr Blut mit dem meiner Untertanen sich vermischen!“ Als aber einige Häuptlinge dazwischen warfen, das lasse sich auch auf morgen verschieben, und es wäre besser, sie nicht durch Schwert und Kugel, sondern in einer angezündeten Hütte langsam sterben zu lassen, war er auch damit einverstanden. Das rettete ihnen das Leben,

Am Karfreitag früh schickte der Negus, nachdem er in der Kirche gebetet hatte, die Gefangenen wieder in die Festung hinauf. Jetzt kam ein Brief von Lord Napier, der eine ehrenvolle Behandlung versprach, wenn der König die Gefangenen ausliefere. Er ward gar nicht angenommen. Theodoros rief in Erregung aus: „Wer ist der Sklave der Königin von England, der dem König der Könige einen Brief schreibt? Ich will keine Versöhnung!“

So kam das Verhängnis immer näher. Bald sah man das fremde Heer aus einem tiefen Tal heraufsteigen. Der König staunte über die schöne Ordnung, mit der es geschah. Als er bemerkte, dass es farbige Soldaten waren, die den Zug eröffneten – es war eine Abteilung indischen Truppen – wuchs sein schon stark erschüttertes Selbstbewusstsein wieder. Er hoffte schnell mit den Eindringlingen fertig zu werden und versprach den Seinen reiche Beute. „Es freut mich, rief er aus, „dass die Sache soweit gekommen ist; um alles in der Welt möchte ich sie nicht ungeschehen machen. Heißt mich ein Weib, einen Mohammedaner, wenn ich nicht heute noch durch Gottes Kraft den Sieg feiern darf!“ Auch seine Feldhauptleute verlangten, dass den Engländern keine Zeit gelassen werde. Der König entließ sie mit dem Befehl, der zur Abwechslung wieder einmal von seiner heuchlerischen Frömmigkeit Zeugnis gab: „Geht denn hinunter, und Gott stehe euch bei und vergebe euch eure Sünden!“

So begann die Schlacht, Theodores kommandierte selbst die Kanonen. Der große Mörser aber, auf den er die höchsten Hoffnungen gesetzt hatte, zersprang schon beim ersten Schuss. Die übrigen Kanonen feuerten zwei Stunden lang unaufhörlich, aber ohne jeden Erfolg. Zugleich hatten sich 7.000 Abessinier auf den indischen Vortrab gestürzt. Zu ihrem Unglück war Regen eingetreten, so dass ihre altmodischen Luntengewehre nicht losgingen. Dagegen lichteten die Hinterlader der Feinde eine große Verheerung unter ihnen an. Ehe sich’s der König versah, flogen Raketen und Kanonenkugeln über seinen Standort hin, und seine Artilleristen verkrochen sich unter die Geschütze. Das war ein schlechter Anfang. Als bald darauf die zersprengten Soldaten vom Schlachtfeld kamen und mit trauriger Miene das Ergebnis des Zusammenstoßes meldeten, begab sich der König in stockfinstrer Nacht wieder nach Selamgie hinauf. In seiner Verlegenheit ließ er dem englischen Gesandten sagen, er sei schon durch den Vortrab völlig besiegt, er bäte daher um eine Versöhnung mit den Engländern. Als aber die Boten mit der Antwort zurückkamen, der König möge in der Frühe des nächsten Tages eine Gesandtschaft an den englischen Heerführer abgehen lassen, hatte Theodoros seine schwierige Lage bereits zu vergessen gesucht. Während aus allen Zelten und Hütten die Totenklage für die gefallenen Abessinier erscholl, saß er und trank. In seiner Verblendung lallte er, es eile jetzt nicht mehr so sehr mit der Botschaft.

Als der stille Sonnabend angebrochen war, begannen die Verhandlungen zwischen den beiden Parteien. Missionar Flad ging in Begleitung eines andern Europäers und mit des Königs Schwiegersohn Detschatsch Alamje zu Lord Napier. Sie wurden im englischen Heere mit Jubelrufen empfangen und brachten die schriftlichen Friedensbedingungen zurück. Diese waren so mild als möglich gestellt und forderten zu allererst die wohlbehaltene Auslieferung sämtlicher Europäer. Als sie zurückkehrten, war die Hoffnung auf eine friedliche Lösung schon wieder vereitelt. Der launische Negus war ungeduldig geworden. Kaum waren ihm die Bedingungen ausgehändigt worden, so diktierte er schnell seinem Schreiber einen tollen Brief und sandte ihn mit Napiers Schreiben zurück. Dann bekreuzigte sich der unberechenbare Despot und machte einen Selbstmordversuch. Seine Leute vermochten ihm im letzten Augenblicke eben noch die Pistole wegzureißen, die er gegen seinen Mund losdrückte. Sie warfen ihm seine Schlaffheit vor und drangen in ihn, erst die Gefangenen zu töten und dann noch einmal das Kriegsglück zu versuchen. Das Leben der Europäer hing jetzt wieder nur an einem Faden. Da gab der Schwiegersohn, der im englischen Lager gewesen war, einen vernünftigen Rat. Er befürwortete sehr entschieden die Freigabe der Gefangenen. Und sie wurden in der Tat von der Festung heruntergeholt und durften abziehen. Auch bei dieser Gelegenheit wiederholte sich eine jener Rührszenen, wie wir sie schon wiederholt beobachtet haben.

Es war bereits Nacht geworden, als das von der langen Gefangenschaft ganz elend gewordene Häuflein sich dem Lager der Befreier näherte. Wie den Träumenden war ihnen zu Mute. Bis zum letzten Augenblick hatten sie mit der Möglichkeit gerechnet, dass der König sein Wort zurücknehmen oder sie noch auf dem Weg umbringen lassen würde. Nun waren sie wirklich frei. Unter dem Jubel der Truppen zogen sie ins englische Lager ein. Jetzt war kein Zweifel mehr möglich und alles Bangen vorbei. Lord Napier war der von Gott gesandte Bote, um ihnen den Glauben zu stärken: „Siehe, unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten.“ Mit der wohlbehaltenen Auslieferung der Gefangenen hatte der Negus die Grundlage zu einer gütlichen Beilegung geschaffen, er konnte sich aber trotz der zugesicherten ehrenvollen Behandlung nicht zur Übergabe entschließen. Er bot 1.000 Kühe und 500 Schafe als Zeichen der Freundschaft an, sich selbst aber wollte er nicht in die Hände der Engländer geben. In der Osternacht versuchte er zu entfliehen. Als ihm das nicht gelang, begab er sich in die Festung zurück, um dort zu sterben.

Am nächsten Morgen bewegten sich die Truppen, von Flad und einem der Chrischonabrüder geleitet, auf engen Fußpfaden zwischen den Felsen hinauf. Nach zweistündiger Beschießung wurde die nur schwach verteidigte Feste gestürmt. Als Theodoros die Feinde eindringen sah, beschloss er, nicht in der Menschen Hände zu fallen, und gab sich selbst den Tod. Zu einem seiner Getreuen soll er zuletzt noch gesagt haben: „Bisher glaubte ich, dass Gott mit mir sei, und meinte, in allem seinen Willen zu vollbringen; jetzt sehe ich, dass es der Teufel war, der mich antrieb, so grausam zu sein.“ Sein Leichnam wurde am nächsten Tage durch abessinische Priester bestattet. Lord Napier ließ die Festungswerke von Magdala niederbrennen und übergab das Gebiet einer Gallafürstin. Dann trat das englische Heer den Rückzug an.

Darstellung der brennenden Festung von Magdala

Darstellung der brennenden Festung von Magdala
London Illustrated News

Nicht zu kriegerischen Eroberungen, sondern nur zur Befreiung der gefangenen Europäer war der englische General gesandt, und er hat sich dieser Aufgabe mit Kraft und Weisheit entledigt. Man muss es der englischen Regierung hoch anrechnen, dass sie 180 Millionen Mark für diese Expedition ausgab und sich mit der Erreichung des humanen Zweckes begnügte, ohne sich an dem eroberten Lande schadlos zu halten.

So dankbar die Missionsgesellschaften auch die Nachricht von der Errettung der Missionare aufnahmen, sie konnten sich nicht verhehlen, dass die Missionsarbeit in Abesstnien zunächst ganz aufhörte. Wir haben in der vorigen Missionsstunde gesehen, dass Flad noch einige Mal an den Grenzen des Landes erschien und die Judenmission unter dem neuen Herrscher des Landes noch eine Zeit lang ein kümmerliches Dasein fristete. Die lebhafte Verbindung aber, die bisher zwischen den Missionsgesellschaften des Abendlands und den Herrschern Abessiniens bestanden hatte, ist weder unter Negus Johannes noch unter dem jetzt regierenden Menelik wieder aufgenommen worden.

Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die es bedauerten, dass England nicht nach der Erstürmung von Magdala seine Hand auf das unglückliche Land gelegt und damit der Missionsarbeit freie Bahn geschafft hat. Vielleicht haben wir aber gerade darin das Walten des Herrn der Kirche zu sehen. Wäre das englische Heer im Lande geblieben und die Missionare unter dem Schutz der Bajonette, so hätten sich die Bestrebungen der evangelischen Glaubensboten in den Augen der Abessinier mit den politischen Interessen vermengt. Die evangelische Kirche ist aber einer solchen Verquickung von Mission und Politik durchaus abhold. Sie vertraut auf das Wort des Herrn: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Sach. 4, 6). Darum verließen die aus den Händen des Tyrannen befreiten Missionare ihr verwüstetes Arbeitsfeld, wo vor der Hand nichts zu tun war. Dass Abessinien damit nicht für immer aufgegeben ist, hat die Folgezeit gezeigt. Einstweilen aber galt es, sich in Gottes Gedanken zu finden und in der Fürbitte nicht nachzulassen.

Mein Gott, wie bist du so verborgen,
Wie ist dein Rat so wunderbar!
Was helfen alle meine Sorgen?
Du hast gesorget, eh ich war.
Mein Gott und Vater führe mich
Nur selig, obgleich wunderlich.

Herr, wer kann deinen Sinn verstehen? Wir schaun nur deinen Wegen nach;
Was du bestimmt, das muss geschehen
Bei unserm Glück und Ungemach,
Mein Gott und Vater führe mich
Nur selig, obgleich wunderlich.

Dein‘ allerheiligsten Gedanken
Sind himmelweit von Menschenwahn;
Drum leite mich in deinen Schranken
Und führe mich auf rechter Bahn,
Mein Gott und Vater führe mich
Nur selig, obgleich wunderlich
.

 


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