Sep 212013
 

Ein Blick durch Milchglas macht am besten deutlich, wie Menschen mit Grauem Star ihre Umwelt wahrnehmen. Ihre Umgebung ist trüb, die Konturen werden unscharf. Mit zunehmender Trübung der Augenlinse würde sich ein bald undurchsichtiger grauer Schleier über die Welt legen: Der Patient erblindet.

Die Eintrübung der Linse ist eine Alterserscheinung wie das Ergrauen des Haars. Ähnlich wie die Haare in mittleren Jahren über einen längeren Zeitraum in Grau oder Weiß umschlagen, kommt auch eine Linsentrübung schleichend daher. Von Person zu Person ist das ganz unterschiedlich. Manchmal trübt sich die Linse kaum ein, immer öfter wird sie aber in höherem Alter zum Problem: Rund die Hälfte der Siebzigjährigen leidet an dem auch Katarakt genannten Grauen Star. Dass in diesem Jahr in Deutschland rund 600 000 Katarakt-Operationen gemacht werden, „liegt ganz einfach am höheren Lebensalter der Menschen“, sagt Reuscher. Doch werde das Patientenklientel jünger, beschreibt der Experte. Der Grund dafür liegt in den anspruchsvolleren Sehgewohnheiten – wie etwa die Arbeit am Bildschirm.

Trübt sich die Linse ein, so ist ihr Austausch durch eine Kunststofflinse die einzige Therapie. Bei so vielen Operationen im Jahr ist sie Routine. Der Esslinger Arzt operiert beispielsweise 2.000 Augen im Jahr. Durchschnittliche Operationszeit: 15 Minuten. Mitsamt der Vorbereitung und Nachsorge sowie einer örtlichen Betäubung dauert die ambulante Behandlung zwei Stunden.

„Natürlich gibt es da zunächst Hemmungen bei den Patienten“, sagt Reuscher. Schließlich gehört das Sehvermögen zu den persönlichsten Dingen
eines Patienten. Doch hat bei den hohen Operationszahlen fast jeder Betroffene einen Angehörigen oder einen Bekannten, der von dem Routineeingriff berichten kann. Verschiedene Studien zeigen auch positive Auswirkungen, die über die Wiederherstellung des Sehvermögens hinausgehen. So vermindert sich durch die bessere Sicht die Sturzgefahr bei älteren Menschen. Und mit dem Blick hellt sich auch die Stimmung auf. Wird das Gehirn außerdem durch Lesen stärker gefordert, kann das einer Demenz vorbeugen.

„Früher sagten wir: Der Graue Star muss reif werden“, berichtet Reuscher. Heute werden Patienten früher operiert. Allerdings gibt es hier durch den Grad der Eintrübung, den Leidensdruck des Patienten und die Empfehlung des jeweiligen Augenarztes einen großen zeitlichen Spielraum.

Während der Operation entfernt der Augenchirurg die alte, getrübte Linse. Dazu führt er einen kleinen Ultraschallkopf in das Auge ein. Linsengewebe in der Nähe des streichholzförmigen Stifts verflüssigt sich und wird abgesaugt. Die Kapselhülle der Augenlinse bleibt dabei erhalten. Daran kann sich später die Kunstlinse abstützen.

In ihrer Form ähnelt die neue Linse einem Paragraphenzeichen (§): Der runde Mittelteil ist aus einem Acryl-Kunststoff und hat einen Durchmesser von sechs Millimetern. Mit den zwei geschwungenen Häkchen wird sie im Auge fixiert. Bei der Operation wird die Linse zusammengefaltet in einer Kanüle über einen drei Millimeter großen Zugang vorsichtig ins Auge geschoben.

Hat sich die Linse entfaltet, richtet sie der Augenchirurg aus. Eine kleine Injektion in die Zugänge verschließt diese. Genäht wird dabei nicht. Vom Beruhigungsmittel leicht benebelt, kann der Patient gleich aufstehen und nach Hause abgeholt werden. Dort sollte er sich noch eine geraume Weile schonen und in den folgenden Tagen mehrmals seinen Augenarzt zur Kontrolle aufsuchen. „Nach drei Wochen gibt´s dann noch eine Brille, dann ist die Sache abgeschlossen“, sagt Reuscher.

Jeder Patient bekommt seine individuelle Linse angepasst. Dazu vermessen Augenärzte in der Vorbesprechung des Eingriffs die Augen mit Ultraschall. Ein Computerprogramm berechnet die gewünschte Form. Einen Wunsch hat der Patient nämlich frei: Da das Auge mit der Kunstlinse nicht mehr Akkomodieren kann, also seine Fähigkeit des flexiblen Schärfeeinstellens für die Nah- und Fernsicht fehlt, kann die Linse nur auf eine feste Distanz scharfgestellt werden. Diese feste Distanz, für die keine Brille benötigt wird, kann der Patient wählen. Etwa „normalsichtig“, dann ist für die Fernsicht keine Brille nötig, aber fürs Lesen.

Am häufigsten wird aber eine leichte Kurzsichtigkeit von minus 0,5 bis minus 1,0 Dioptrien gewählt. Das ist quasi die Hausarbeits- und Heimwerker-Distanz: Im Bereich einer Armeslänge zur Arbeitsplatte in Küche oder Hobbykeller ist die Sicht ohne Brille okay. Eine Gleitsichtbrille erschließt den Nahbereich fürs Lesen und die Fernsicht fürs Autofahren.


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