Sep 122013
 

Internierung während des I. Weltkrieges

Von Missionar A. Hübener in Kolberg

Auszug aus der Zeitschrift „Die Evangelisch-Lutherische Freikirche“, Herausgegeben von Pastor O. Willkomm in Bühlau bei Dresden, Verlag des Schriftenvereins der sep. evang.-luth. Gemeinden in Sachsen, Zwickau, 1916, Nr. 16, 17, 19, 22. 25; 1917. Nr. 4 und 7.

Inhalt


Zu Anfang des Krieges

Die deutschen Missionare in Indien hatten nichts mit dem Kriege zu schaffen. Wir beteten im stillen zu Gott: Er möge das Vaterland vor der Übermacht der Feinde bewahren und die schmählichen Pläne der Feinde vereiteln. Aber es war nicht unser Beruf, irgend etwas gegen die Engländer zu unternehmen. Wir gaben der englischen Regierung auch die Versicherung, dass wir nach wie vor nur unseren Beruf ausüben wollten und baten, uns diese Gelegenheit zu lassen und uns dabei fernhin zu schützen.

Trotzdem hat die Regierung fast alle Missionare in dem großen Gefangenenlager zu Ahmednagar interniert, wodurch die rein deutschen Missionen – vor Menschenaugen – der völligen Auflösung nahe« gebracht sind. Das Einzelne ist in sehr verschiedener Weise vor sich gegangen. Bei den Engländern ist nichts einheitlich geordnet. In jedem Distrikte war es anders. Es gab milde und strenge Beamte, die nach Laune und Willkür verfuhren. Eingaben und Beschwerden wurden teils gar nicht, teils ohne Begründung abschlägig erwidert. Die Beamten, welche sich der harten und ungerechten Maßregeln schämten, beriefen sich einfach auf das „Government„, die Regierung, ein unpersönliches, geheimnisvolles Etwas, ein Automat, aus dem die Verordnungen herauskamen, ohne dass jemand es gewesen sein wollte. dass diese Verordnungen sich fortwährend überstürzten, widersprachen und miteinander verwickelten, tat nichts zur Sache.

Das Einzige, was klar und offen zutage trat, waren die gifterfüllten Korrespondenzen in den Zeitungen gegen alles, was deutsch war: Hunnenmänner, Hunnenfrauen und Hunnenkinder („infant huns“). „Alles einsperren oder aus dem Lande weisen!“ „Sie sind ja eigentlich gar keine Europäer, nur im geographischen Sinne!“ „Von jeher“ (also seit mehr als 200 Jahren) „sind die deutschen Missionare Spione gewesen!“ „Indien muss wieder (!) ein reines Land werden, darum fort mit ihnen!“ Solche Zuschriften liefen in Menge ein und hatten eine große Wirkung, viel mehr, als es in Deutschland der Fall sein könnte. Ganz zutreffend hieß es einmal: Die deutsche Regierung ist eine Regierung, welche regiert, aber die englische Regierung ist eine Regierung, die durch die öffentliche Meinung getrieben wird.

Diese Regierung tat nun kopflos bald dies, bald das. Nach dem Ausbruche des Krieges besuchte der Gouverneur von Madras die Basier Mission an der Westküste. Er zeigte sich sehr anerkennend, wohlwollend und freundlich, so dass die Missionare zu der Hoffnung berechtigt waren, dass ihrer friedlichen Weiterarbeit nichts im Wege stehe. Bald nach dem Gouverneursbesuch wurden aber sämtliche Missionare nach Ahmednagar gebracht. Auch ihre Frauen und Kinder wurden von den Stationen geholt und, von betrunkenen Unteroffizieren eskortiert, in ein ungesundes, heißes Lager bei Bellary geschafft, wo sie etwa ein Jahr bis zu ihrer Heimsendung nach Deutschland bleiben mussten. In dem ausgesucht bösen Klima hatten die Frauen und Kinder viel von Fieber und Krankheit zu leiden. Sie mussten sich auf Missionskosten selbst erhalten.

Nun ist der Gouverneur von Madras ein „frommer“ Mann. Er ließ ihnen auf privatem Wege sein Mitgefühl ihm zugehen und unter anderem sagen, der Gedanke an die Behandlung der Missionare, nachdem er sie noch auf ihrem Arbeitsgebiete so freundschaftlich begrüßt habe, verursache ihm immer Unruhe und raube ihm sogar zuzeiten nachts den Schlaf.

Das ist ja ganz schön gesagt, nützte den Gefangenen aber nichts, die in Bellary und in Ahmednagar in ganz unwürdiger Weise untergebracht waren und blieben. An schönen Worten fehlt es den Engländern nie, und sie sollten doch bedenken, dass gerade ihre „Regierung“, hinter die sich die einzelnen Schande halber oft verkriechen, sich als Ausbund von Recht und Gerechtigkeit, ja als der liebe Gott selber aufspielt.

In empörender Weise sind auch die Breklumer Missionare behandelt worden. Sie haben ihre Stationen im Nordosten der Madras-Präsidentschaft, in einer Gegend, die ein ganz besonders ungesundes malarisches Klima hat. Keine englische, keine amerikanische Mission hat es sich je einfallen lassen, in diesem fieberischen, die Gesundheit des Kräftigsten unfehlbar aufreibenden Distrikte die Arbeit aufzunehmen. Das war dem Opfermut einer deutschen Mission vorbehalten.

Die ersten drei oder vier Monate blieben diese Missionare in ihrer Arbeit unbehelligt. Dann trat ein Wechsel ein. An Stelle des milden, wohlwollenden Beamten, der sie nicht hatte stören wollen, kam ein von Hass gegen das Deutschtum und auch gegen das Christentum erfüllter Kollektor (Distriktspräsident), welcher sofort in schonungsloser Weise alle Missionare nach Ahmednagar abtransportieren ließ. Die Breklumer Frauen wurden alle in Waltair interniert. Es waren die Frauen und Kinder von 18 Familien, die in Waltair in Wohnungen, die sonst für fünf Familien berechnet sind, untergebracht wurden. In dieser fürchterlichen Enge wurden sie Tag und Nacht von eingeborenen Polizisten bewacht, welche dafür zu sorgen hatten, dass sie abends nach sechs Uhr die Häuser nicht mehr verließen. Wenn man bedenkt, dass wegen der Hitze den Tag über diese Abendstunden gerade die Zeit sind, in welcher die Frauen und Kinder die Luft im Freien genießen müssen, und wenn man ferner bedenkt, dass eingeborene Polizisten sonst nichts mit einem Weißen zu tun haben und selbst nach britischem Urteil die größten Schufte und Räuber des Landes sind, so kann man in der Art und Weise dieser Behandlung unschuldiger deutscher Frauen und Kinder nichts als bösartige Rachsucht erkennen. Die Engländer nennen es „righteous indigation“ (gerechte Entrüstung).

Gegen Ende des Jahres 1914 traf auch Bruder Williems und mich – natürlich ohne jegliche Erklärung – das Los der Gefangenschaft. Man ließ mir nur zwei Stunden zum Packen. Meine Bitte, mir für den Abschluss meiner Rechnung eine Nacht zuzulegen, wurde nicht gewährt. Der Polizeiinspektor war persönlich liebenswürdig und würde es gern gewährt haben, aber da war ja das – „Government„. Über die ersten etwa zehn Tage, die ich im Fort St. George in Madras zubrachte, kann ich schnell hinweggehen. Ich traf hier einige mir bekannte Missionare, Kaufleute und römische Priester. Wir waren einem Captain der Madras Volunteers (Hauptmann der Reserve) unterstellt, welcher uns in gehässiger Weise behandelte. Man sah ihm auf den ersten Blick an, dass er kein reiner Europäer war, und merkte gleich, dass er nun das Gefühl seiner Machtstellung über uns mit Behagen genoss. Briefschreiben, die Bestellung portofreier Postsendungen und andere Privilegien, von denen wir wussten, dass sie uns zustehen, wurde uns nicht gewährt, überhaupt muss ich vorweg bemerken, dass die Engländer ihren Gefangenen die ihnen nach dem Völkerrechte zustehenden Privilegien nur nach und nach, nach langem Zögern und in dem Maße zukommen ließen, als durch Bekanntwerden unserer Lage ihren eigenen in Deutschland gefangen gehaltenen Leuten dadurch kein Nachteil erwuchs. Zum Glück für uns hatte Deutschland schon bald nach Anfang des Krieges eine große Anzahl englischer Kriegsgefangener, und zwar, im Unterschiede von England, solche, die im ehrlichen Kampfe gewonnen waren.

Ich erinnere mich der entsetzlich schmutzigen Küche im Fort, das ganz engen stachelumzäunten Hofes, der Notwendigkeit, viele fürs Lagerleben nötige Dinge (Essgeräte, Decke, Stuhl, Moskitonetz usw.), welche man zu Hause doch in Fülle besaß, zu hohem Preise neu einkaufen zu müssen.

Als die vor mir eingelieferten Gefangenen im ersten Schub nach Ahmednagar befördert wurden, sahen wir sie wie Verbrecher fortgeholt werden. Ein Offizier ließ sie antreten, erklärte, dass auf jeden, der einen Fluchtversuch machen würde, geschossen werden würde, und dann ging es unter glänzender militärischer Machtentfaltung – neben je drei Gefangenen saß ein halbschwarzer Kerl mit aufgepflanztem Bajonett und außerdem noch blanke Waffen hinten und vorne – dem Bahnhofe zu. Dabei hatten alle schriftlich ihr Ehrenwort gegeben, keinen Fluchtversuch oder ähnliches zu machen.

Als wir übrigen einige Tage später an die Reihe kamen und die gleiche Parole unterzeichnen sollten, fragten wir natürlich: Wozu das? Man hatte erwartet, etwa von einem Polizisten in Zivil nach der Bahn begleitet zu werden. Die Antwort war, dass solche, welche jenen Eid nicht leisten wollten, mit Handschellen transportiert werden würden. Wir ließen es nicht darauf ankommen und unterzeichneten die Parole.