Sep 152013
 

Zum Gemälde vom Campus Teutonicus mit dem Falschen Friesen:

Exilium Triste Domini Mortimer de Belling
Premnagaro, deo XVI Februarli, natali XXX, ADMCMXLIII

Internierunslager Dehradun

gezeichnet von Ernst Messerschmidt, 1943
Bildkopie von Walter Buelle, 2013

Wie ein römisches Heerlager hinter Palisadenzaun vor dem schönen Ambiente von lieblichen Flüssen und Tälern unter den Bergen des Himalajas hat ein Internierter 1943 im Stil eines alten Kupferstichs das von den Internierten ‚Campus Teutonicus‘ genannte Internierungslager in Dehra Dun gezeichnet. Hinter doppeltem Stacheldrahtzaun liegen ‚wie ein Friesendorf mit Strohdächern‘ 14 Baracken für 500 Internierten im Wing 1 des Central Internment Camp of British India in Premnagar bei Dehra Dun mit insgesamt 1500 deutschen Internierten 1941 bis 1946 mit 1742 deutschen Internierten von insgesamt 2550 internierten Männern (Internationales Rotes Kreuz, 1943).

Dehradun Internment Camp 1941

Internierungslager Dehra Dun 1941 

In dem ‚Gruppenfoto von Dehra Dun, 1941‘ stehen die Internierten am Sportplatz zwischen der Essbaracke (16) und dem Brothaus(18) am Mittelgang des Lagers.

Das bittere Lagerschicksal der deutschen Internierten in Dehra Dun liegt verborgen in der Komik dieses Gemäldes mit lateinischen Schriftzügen wie in der Titelbanderole ‚Exilium Triste Domini…‘.

Der Campus Teutonicus liegt zwischen dem Campus Italicus und dem Campus Judeicus am Tons Fluvius unter dem Terra Barbarica der Himalaya-Foothills mit dem Städtchen Mussoricum. Im Gemälde ist einiges vom Internierungslager Dehra Dun verraten wie auch das Datum und der liebliche indische Ortsname Premnagar, der übersetzt etwa Love Town oder Liebenhagen heißen könnte. Aber der Maler hat nur die Umschreibungen der deutschen Internierten benutzt, aber keine Worte der Internierung. Wir müssen ihre Geschichte in ‚the city of despair‘ in rätselhaften lateinischen Worten lesen wie Porta Libertatis, Fabrica Alchimica oder Circenses oder in verdeutschtem Latein wie Loca für die Lager-Latrinenreihe und  Frisus Falsus für die Lagerkantine, ‚der Falsche Friese‘. Es sind verschlüsselte Botschaften vom Lagerleben der Internierten in einer Ansichtskarte. Bei der Übersetzung der TitelbanderoleTristes Exil des Herrn Mortimer von Belling Premnagar, 16. Februar, 30. Geburtstag, 1943′ und bei Nr. 4  ‚Gerardus Amicus Invenit‘ – ein unglücklicher Freund lädt ein – erstaunt man dann über eine versteckte Geburtstags-Einladung an einen mitinternierten Freund. Wie Sehenswürdigkeiten setzt der Maler lateinische Worte in der Umgebung des Lagers ein, die die Internierten bei ihren erlaubten Ausgängen erkundeten: links Pons Maximus, die alte Brücke über den Tons, rechts Nim Fluvius, der Tons-Nebenfluss,  oben Fisis Nubium, die vertrauten Wolken, und im Lager am Stacheldrahtzaun Cursus Gallinarum, der Patroulliengang der Gockelhähne, der britischen Wachsoldaten und der indischen Javans mit den bunten Turbanhelmen, und Vigilia, die Baracke der Wachposten rechts vor dem Haupttor. Der Maler hat 28 Positionen in seiner genauen Lager-Karte nummeriert und in seiner Kartenlegende benannt. Es ist der Internierte Ernst Messerschmidt (1), der mit Nr. 28 seine Malstube in einer Lagerbaracke angezeigt und in der rechten unteren Ecke seines Gemäldes in der Legende seinen Künstler namen mit ‚Messer pinxit‘ ersteckt.

Skizze des Lagers wie im Gemälde

Campus Teutonicus

Zur Kartenlegende im Gemälde vom Campus Teutonicus

 

 

Übersetzung

Erklärung, Deutungen, Fragen,
Lage der Zahlen

1

Cubiculum Domini

Loge des Herren

Lager-Stube des von Belling? – Vor langem Haus 7 links

2

Circulus Luculli

lukullische Runde / Kreis

Versammlungstreffpunkt der A Klasse und ‚goldenring‘? –  Im Gang zwischen 28 und langer Baracke südlich 27, Mitte links

3

Officina Scriberum Domini
et Contractor Niger

Schreib-Werkstatt des/der Herren und schwarzer Unternehmer

Office des britischen Lagerkommandanten und der Lageroffiziere – Kleines Längs-Haus am Mittelgang rechts vor dem Haupttor

4

Gerardus Amicus Invenit

ein unglücklicher
Freund lädt ein

Ort der ‚Geburtstagsparty‘ – Links am Längs-Haus 7

5

Dux Campi

der Feldherr

‚camp-leader‘ deutscher Lager-Gruppensprecher – Mit 2 vor nicht nummerierter Baracke südlich von 27

6

Tabula Nigra

schwarze Tafel

Schwarze-Brett des Lagers, Noticeboard – Mittelgang  rechts

7

Casa Episcopi

Haus der Bischöfe

Lager-Baracke d. kath. Priester –  Längs-Haus links

8

Villula Hortensis

Garten-Landhaus

Gartenbaracke – Links am Lagerzaun

9

Lupus Palmarum

Wolf / Hopfen der Palmen

Hopfenranken am Zaun – Bei ‚8 Uhr‘ neben Nr. 8

10

Casa Clericalis

Haus der Geistlichen

Lager-Baracke der Missionare? – Mitte rechte Reihe

11

Casa Philippi

Philipps Haus

Philipp? – Einzelnes Haus links vom Tor

12

Casa Hungarorum

 

Baracke der Ungarn – Hunger-Arrest-Baracke?, rechts

13

Perturbatores Noctes

unruhige/wirre Nächte

Arrest-Baracke? – Dritte Lagerbaracke vorne rechts

14

Homines Splendidi

ruhmreiche Herren

Baracke der glücklicheren Herren – Vorne links am Sportplatz

15

Spelunca Vinosa

Wein-Spelunke

Lager-Weinspelunke – Vorne rechts

16

Refectorium

Speisesaal

zwei Lager-Essbaracken – Zwischen 16 und 18 stehen die 500 Internierten im Lager-Foto

17

Culina

Küche

Lager-Küche – Kleines Haus vorne in der Mitte

18

Panis

Brot

Lager-Brotausgabestelle – Ebenso vorne Mitte

19

Circenses

Circusspiele

Lager-Fußballplatz und -Sportplatz – Im Vordergrund

20

Porta Libertatis

Tor zur Freiheit

Lager-Tor – Im Nordzaun

21

Taberna Humida

feuchte Taverne oder der Falsche Friese

Der Falsche Friese, Lagerkantine, Klubraum – Links neben Lagerküche vorne

22

Loca

Locus, die Örtchen

Lager-Latrinen – Zwei Barackenreihen vorne linke Ecke und hinten rechte Ecke

23

Taberna Sicca

trockene Taverne

die Krankenbaracke? – Rechts hinten, zweitletzte Baracke

24

Fabrica Alchimica

Alchimie-Fabrik

heimliche Lager-Brauerei – Letzte hintere Baracke rechts

25

Aquae

Wasser

Lager-Wasserausgabestelle – Mittelgang  rechts am Baum

26

Thermae

heißes Bad

Bade-Häuser – Mittelgang rechts am Baum

27

Classis Prima

erste Klasse

A-Klasse – Lange Baracke oben am Hauptzaun, links von Casa Philippi 11

28

Messer pinxit

Messer hat gemalt

gezeichnet von Enst Messerschmidt – Südlich von Baracke 27, in langer Baracke unterm großen Baum

                     Nummern im Lagergelände nicht alle deutlich und einige lateinische Worte unkenntlich.

Auch wenn wir das ‚Gemälde vom Campus Teutonicus‘ des Zeichners Ernst Messerschmidt erst später wie eine Postkarte aus der Internierung erhalten mit zwei seiner Wandgemälde im ‚Falschen Friesen‘, am Ende ist uns hier eine genaue Karte vom  Dehra Dun Lager erhalten geblieben.

Auch wenn kein Wort von der erlittenen Lager-Zensur gestrichen wurde, es bleiben viele Fragen offen über viele verborgene Lagergeschichten.

Eine der im Bild in kürzester Form erzählten Lagergeschichten ist vielleicht auch Messer pinxit, Nr. 28, wenn hier zu lesen wäre ‚mit Küchen-Messern den Rasen gemäht‘, der stille Boykott, als alle Internees diese Gemeinschaftsstrafe wegen der Escapers oder anderer Lagervorfällen erhielten und demonstrativ mit Essmessern auf dem großen Sportplatz ganz langsam Grashalm um Grashalm den Rasen mähten.

Paul von Tucher berichtete, dass ihm dieses Gemälde in den 70-er Jahren während seiner Internierungs-Interviews von dem Internierten Swatek gegeben wurde, der es vom Internierten Buelle erhalten habe, die gemeinsam im Internierungslager Dehra Dun waren.

Außerdem erzählte mir Herr von Tucher (2), dass er in Mussoorie, als Mussoricum oben rechts im Bild eingetragen, von 1942 bis 1946 (1949) in der amerikanischen Woodstock School zur Schule ging und seine in Purandhar internierten Eltern vier Jahre lang nur in den Weihnachtsferien besuchen konnte.

Erik Speck-Rosenbaum, 2013


Anmerkungen

(1) Paul H. von Tucher, 1980, S. 631, footnotes 6: „… Tr. p. 7; Mortimer von Belling, „Exilium Triste Domini Mortimer de Belling“ (Premnagar: 16 February, 1943; Artist Ernst Messerschmidt; Appendix).“

(2) Quelle: „Nationalism: Case and Crisis in Missions – German Missions in British India 1939-1946”, von Paul H. von Tucher, Erlangen, 1980, S. 524


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