Zum Gemälde vom Campus Teutonicus mit dem Falschen Friesen:
Exilium Triste Domini Mortimer de Belling
Premnagaro, deo XVI Februarli, natali XXX, ADMCMXLIII
Wie ein römisches Heerlager hinter Palisadenzaun vor dem schönen Ambiente von lieblichen Flüssen und Tälern unter den Bergen des Himalajas hat ein Internierter 1943 im Stil eines alten Kupferstichs das von den Internierten ‚Campus Teutonicus‘ genannte Internierungslager in Dehra Dun gezeichnet. Hinter doppeltem Stacheldrahtzaun liegen ‚wie ein Friesendorf mit Strohdächern‘ 14 Baracken für 500 Internierten im Wing 1 des Central Internment Camp of British India in Premnagar bei Dehra Dun mit insgesamt 1500 deutschen Internierten 1941 bis 1946 mit 1742 deutschen Internierten von insgesamt 2550 internierten Männern (Internationales Rotes Kreuz, 1943).
In dem ‚Gruppenfoto von Dehra Dun, 1941‘ stehen die Internierten am Sportplatz zwischen der Essbaracke (16) und dem Brothaus(18) am Mittelgang des Lagers.
Das bittere Lagerschicksal der deutschen Internierten in Dehra Dun liegt verborgen in der Komik dieses Gemäldes mit lateinischen Schriftzügen wie in der Titelbanderole ‚Exilium Triste Domini…‘.
Der Campus Teutonicus liegt zwischen dem Campus Italicus und dem Campus Judeicus am Tons Fluvius unter dem Terra Barbarica der Himalaya-Foothills mit dem Städtchen Mussoricum. Im Gemälde ist einiges vom Internierungslager Dehra Dun verraten wie auch das Datum und der liebliche indische Ortsname Premnagar, der übersetzt etwa Love Town oder Liebenhagen heißen könnte. Aber der Maler hat nur die Umschreibungen der deutschen Internierten benutzt, aber keine Worte der Internierung. Wir müssen ihre Geschichte in ‚the city of despair‘ in rätselhaften lateinischen Worten lesen wie Porta Libertatis, Fabrica Alchimica oder Circenses oder in verdeutschtem Latein wie Loca für die Lager-Latrinenreihe und Frisus Falsus für die Lagerkantine, ‚der Falsche Friese‘. Es sind verschlüsselte Botschaften vom Lagerleben der Internierten in einer Ansichtskarte. Bei der Übersetzung der Titelbanderole ‚Tristes Exil des Herrn Mortimer von Belling Premnagar, 16. Februar, 30. Geburtstag, 1943′ und bei Nr. 4 ‚Gerardus Amicus Invenit‘ – ein unglücklicher Freund lädt ein – erstaunt man dann über eine versteckte Geburtstags-Einladung an einen mitinternierten Freund. Wie Sehenswürdigkeiten setzt der Maler lateinische Worte in der Umgebung des Lagers ein, die die Internierten bei ihren erlaubten Ausgängen erkundeten: links Pons Maximus, die alte Brücke über den Tons, rechts Nim Fluvius, der Tons-Nebenfluss, oben Fisis Nubium, die vertrauten Wolken, und im Lager am Stacheldrahtzaun Cursus Gallinarum, der Patroulliengang der Gockelhähne, der britischen Wachsoldaten und der indischen Javans mit den bunten Turbanhelmen, und Vigilia, die Baracke der Wachposten rechts vor dem Haupttor. Der Maler hat 28 Positionen in seiner genauen Lager-Karte nummeriert und in seiner Kartenlegende benannt. Es ist der Internierte Ernst Messerschmidt (1), der mit Nr. 28 seine Malstube in einer Lagerbaracke angezeigt und in der rechten unteren Ecke seines Gemäldes in der Legende seinen Künstler namen mit ‚Messer pinxit‘ ersteckt.
Skizze des Lagers wie im Gemälde
Zur Kartenlegende im Gemälde vom Campus Teutonicus
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Übersetzung |
Erklärung, Deutungen, Fragen, |
1 |
Cubiculum Domini |
Loge des Herren |
Lager-Stube des von Belling? – Vor langem Haus 7 links |
2 |
Circulus Luculli |
lukullische Runde / Kreis |
Versammlungstreffpunkt der A Klasse und ‚goldenring‘? – Im Gang zwischen 28 und langer Baracke südlich 27, Mitte links |
3 |
Officina Scriberum Domini |
Schreib-Werkstatt des/der Herren und schwarzer Unternehmer |
Office des britischen Lagerkommandanten und der Lageroffiziere – Kleines Längs-Haus am Mittelgang rechts vor dem Haupttor |
4 |
Gerardus Amicus Invenit |
ein unglücklicher |
Ort der ‚Geburtstagsparty‘ – Links am Längs-Haus 7 |
5 |
Dux Campi |
der Feldherr |
‚camp-leader‘ deutscher Lager-Gruppensprecher – Mit 2 vor nicht nummerierter Baracke südlich von 27 |
6 |
Tabula Nigra |
schwarze Tafel |
Schwarze-Brett des Lagers, Noticeboard – Mittelgang rechts |
7 |
Casa Episcopi |
Haus der Bischöfe |
Lager-Baracke d. kath. Priester – Längs-Haus links |
8 |
Villula Hortensis |
Garten-Landhaus |
Gartenbaracke – Links am Lagerzaun |
9 |
Lupus Palmarum |
Wolf / Hopfen der Palmen |
Hopfenranken am Zaun – Bei ‚8 Uhr‘ neben Nr. 8 |
10 |
Casa Clericalis |
Haus der Geistlichen |
Lager-Baracke der Missionare? – Mitte rechte Reihe |
11 |
Casa Philippi |
Philipps Haus |
Philipp? – Einzelnes Haus links vom Tor |
12 |
Casa Hungarorum |
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Baracke der Ungarn – Hunger-Arrest-Baracke?, rechts |
13 |
Perturbatores Noctes |
unruhige/wirre Nächte |
Arrest-Baracke? – Dritte Lagerbaracke vorne rechts |
14 |
Homines Splendidi |
ruhmreiche Herren |
Baracke der glücklicheren Herren – Vorne links am Sportplatz |
15 |
Spelunca Vinosa |
Wein-Spelunke |
Lager-Weinspelunke – Vorne rechts |
16 |
Refectorium |
Speisesaal |
zwei Lager-Essbaracken – Zwischen 16 und 18 stehen die 500 Internierten im Lager-Foto |
17 |
Culina |
Küche |
Lager-Küche – Kleines Haus vorne in der Mitte |
18 |
Panis |
Brot |
Lager-Brotausgabestelle – Ebenso vorne Mitte |
19 |
Circenses |
Circusspiele |
Lager-Fußballplatz und -Sportplatz – Im Vordergrund |
20 |
Porta Libertatis |
Tor zur Freiheit |
Lager-Tor – Im Nordzaun |
21 |
Taberna Humida |
feuchte Taverne oder der Falsche Friese |
Der Falsche Friese, Lagerkantine, Klubraum – Links neben Lagerküche vorne |
22 |
Loca |
Locus, die Örtchen |
Lager-Latrinen – Zwei Barackenreihen vorne linke Ecke und hinten rechte Ecke |
23 |
Taberna Sicca |
trockene Taverne |
die Krankenbaracke? – Rechts hinten, zweitletzte Baracke |
24 |
Fabrica Alchimica |
Alchimie-Fabrik |
heimliche Lager-Brauerei – Letzte hintere Baracke rechts |
25 |
Aquae |
Wasser |
Lager-Wasserausgabestelle – Mittelgang rechts am Baum |
26 |
Thermae |
heißes Bad |
Bade-Häuser – Mittelgang rechts am Baum |
27 |
Classis Prima |
erste Klasse |
A-Klasse – Lange Baracke oben am Hauptzaun, links von Casa Philippi 11 |
28 |
Messer pinxit |
Messer hat gemalt |
gezeichnet von Enst Messerschmidt – Südlich von Baracke 27, in langer Baracke unterm großen Baum |
Nummern im Lagergelände nicht alle deutlich und einige lateinische Worte unkenntlich.
Auch wenn wir das ‚Gemälde vom Campus Teutonicus‘ des Zeichners Ernst Messerschmidt erst später wie eine Postkarte aus der Internierung erhalten mit zwei seiner Wandgemälde im ‚Falschen Friesen‘, am Ende ist uns hier eine genaue Karte vom Dehra Dun Lager erhalten geblieben.
Auch wenn kein Wort von der erlittenen Lager-Zensur gestrichen wurde, es bleiben viele Fragen offen über viele verborgene Lagergeschichten.
Eine der im Bild in kürzester Form erzählten Lagergeschichten ist vielleicht auch Messer pinxit, Nr. 28, wenn hier zu lesen wäre ‚mit Küchen-Messern den Rasen gemäht‘, der stille Boykott, als alle Internees diese Gemeinschaftsstrafe wegen der Escapers oder anderer Lagervorfällen erhielten und demonstrativ mit Essmessern auf dem großen Sportplatz ganz langsam Grashalm um Grashalm den Rasen mähten.
Paul von Tucher berichtete, dass ihm dieses Gemälde in den 70-er Jahren während seiner Internierungs-Interviews von dem Internierten Swatek gegeben wurde, der es vom Internierten Buelle erhalten habe, die gemeinsam im Internierungslager Dehra Dun waren.
Außerdem erzählte mir Herr von Tucher (2), dass er in Mussoorie, als Mussoricum oben rechts im Bild eingetragen, von 1942 bis 1946 (1949) in der amerikanischen Woodstock School zur Schule ging und seine in Purandhar internierten Eltern vier Jahre lang nur in den Weihnachtsferien besuchen konnte.
Erik Speck-Rosenbaum, 2013
Anmerkungen
(1) Paul H. von Tucher, 1980, S. 631, footnotes 6: „… Tr. p. 7; Mortimer von Belling, „Exilium Triste Domini Mortimer de Belling“ (Premnagar: 16 February, 1943; Artist Ernst Messerschmidt; Appendix).“
(2) Quelle: „Nationalism: Case and Crisis in Missions – German Missions in British India 1939-1946”, von Paul H. von Tucher, Erlangen, 1980, S. 524
Links
- Das Internierungslager Dehradun im II. Weltkrieg
Von Dr. Hans Schäfer - Pictures from Ahmednagar Internment Camp
Bilder 1 Bilder 2
By Shashi Dharmadhikari
- Germans in British India – Nationalism: Case and Crisis in Missions
By Paul H. von Tucher - Gerhard Buelle in the internement camps Ahmednagar and Dehra Dun
By Walter Buelle - Internierungslager Deoli
- Internierter in Indien ab Kriegsbeginn 1939
Von Rolf Benkert - The Madness at Deolali
By Maj NA Martin - Lutz Chicken
By Roger Croston - Kriegserinnerungen
Von Rudolf Tauscher (1901 – 1968) - Internierung während des Zweiten Weltkrieges in Indien
Von Helmuth Borutta (1910 – 1998) - Internierung in Ceylon und Britisch Indien
Von Jürgen Kulp - Orte der Internierung in Britisch Indien und auf Ceylon während des Zweiten Weltkrieges
- Kriegsgefangen im I. Weltkrieg in Indien
Von A. Hübener in Kolberg - Gewalt in Indien
Presseschau Februar 2011 bis September 2013 - Jesus ist ein Dalit, was bedeutet das?
Von Henning Wrogemann