Okt 092013
 

Zu viel für mich

Von Gerhard Rein, im September 2013

Seit etwa fünf Jahren erhalte ich E-Mails von Barack Obama. In den letzten Monaten auch sehr oft von Michelle. Und Mails von Joe sind dabei. Joe ist Joe Biden, der Vizepräsident. Oder von Bill. Bill ist Bill Clinton.

Mein Interesse an Barack Obama begann spätestens im Sommer vor fünf Jahren. Unsere so weitsichtige, welterfahrene Uckermark-Queen verhinderte, dass der junge, schwarze Präsidentschaftskandidat bei einer Europa-Reise vor dem Brandenburger Tor reden durfte. Er musste zur Goldelse ausweichen, zur Siegessäule. Und da, unter mehr als zweihunderttausend Zuhörern (nicht wenige Gesichter kannte ich, sie waren zur Mittagsstunde aus Ministerien und Redaktionen herbeigeeilt) war zu erleben, wie  entspannt, geradezu heiter, der sportive Senator aus Chicago auftrat.

Einige Tage später druckte die Süddeutsche Zeitung eine Web-Adresse, über die man mehr über Obama erfahren konnte. Seitdem bin ich irgendwie auf eine Liste geraten, werde mit Vornamen angeschrieben und als Unterstützer angesehen. Meine Phantasie ist begrenzt, wenn ich darüber nachdenke, was ich mit Mails anfinge, die mir die deutsche Kanzlerin schicken würde. Die von Barack und Michelle habe ich weitgehend aufbewahrt.

Freitag, 9. Oktober 2009: „Gerard, heute Morgen sind Michelle und ich mit überraschenden Nachrichten früh geweckt worden. Wir hörten um 6:00 Uhr, dass mir der Nobel-Preis verliehen wird… Um ehrlich zu sein, ich denke nicht, dass ich ihn verdiene, aber ich nehme ihn als Herausforderung für meine Präsidentschaft an, als einen Ruf zum Handeln.“

18. Dezember 2011: „Gerard, heute früh haben die letzten unserer Truppen Irak verlassen. Ich wollte dass Du dies so schnell wie möglich erfährst. Wir denken an die Millionen Frauen und Männer, die für diesen Krieg Opfer gebracht haben. Diesen Krieg zu einem verantwortbaren Ende zu bringen, soll uns die Richtung zeigen, die wir politisch einschlagen wollen“

Am 4. August 2011 schreibt Michelle: „Gerard, wenn ich Baracks Arbeit beobachte, weiß ich, dass er jedes graue Haar verdient hat, das ihm jetzt wächst. Er hat heute Geburtstag und die Mädchen und ich bereiten eine Glückwunschkarte vor. Wir würden uns freuen, wenn Du sie auch unterzeichnen würdest.“

Nicht immer, aber immer wieder sind die Mails mit Aufrufen verbunden, Obama finanziell zu unterstützen. Oft mit verlockenden Angeboten:  Ein Essen mit George Clooney in Los Angeles, Flug- und Hotelkosten werden ersetzt. Ein Dinner im Weißen Haus. Die Wahlnacht in Chicago.

Aber ich mache mich nicht auf, bleibe in meinem Berliner Charlottenburger Kiez, spende nichts. Ich habe freilich das Kleingedruckte gelesen. Wenn man Geld überweisen will, wird man auf Bedingungen hingewiesen. Man muss die US-Staatsbürgerschaft besitzen oder ein permanentes Aufenthaltsrecht in 50 amerikanischen Staaten und Puerto Rico. Beide habe ich nicht.

Einmal erhielt ich eine Mail, die begann so: „Gerard, nach unseren Unterlagen lebst Du in New York“. Das habe ich durchaus als Ehre empfunden, aber es stimmte nicht. Das hat freilich eine klitzekleine Entfremdung bewirkt. Denn ich musste mich ja fragen, wie verlässlich meine mail-Schreiber Informationen sammeln und verarbeiten.

Was mich angeht, sind sie leider ahnungslos. Anders als Udo Jürgens war ich schon in New York, vielleicht fünfmal, zuletzt in den 80iger Jahren. Aber dann eben nicht mehr. Dass ich auf eine Mail-Liste von Obama-Anhängern kam, war mir nicht unangenehm, aber es war ein Missverständnis.

Und dabei ist mir wieder eingefallen, dass Präsident Barack Obama sich ja geradezu grandios an der deutschen Kanzlerin gerächt hat. Dafür, dass sie ihn nicht am Brandenburger Tor hat reden lassen, lud er die FDJ-Bluse in den Garten des Weißen Hauses und verlieh ihr dort die Freiheitsmedaille für ihren weltbekannten Widerstand gegen die Diktatur. Ach Barack, mein Held. Auch er ahnungslos. Ich aus New York und Merkel aus dem Widerstand.

Ich weiß noch ziemlich genau, wann ich mich zum ersten Mal fragte, ob ich noch weiter Mails von den Obamas lesen wollte. Dass aus dem Friedensnobelpreisträger ein Drohnenkrieger erwuchs, habe ich bedauernd zu Kenntnis genommen. Aber das war es nicht. Es war der Juni 2013 am Brandenburger Tor. Vor fünf Jahren waren wir, das Volk, an der Siegessäule, und keine Beschränkung what so ever. Jetzt, im Juni, beim Besuch Obamas, war das Brandenburger Tor eine Hochsicherheitszone, mit viertausend handverlesenen Jubel-Deutschen. Eine Demokratie-Farce. Ich war entsetzt, und mein Entsetzen hörte nicht auf, als die lieben Kollegen in der Tatsache, dass Barack sich die Jacke auszog, weil es heiß war, eine Geste der Freiheit und eine Nähe zu seiner Gastgeberin sahen. Und vorher noch die Szene im Schloss Bellevue. Die emotionale Inkontinenz unseres selbsternannten Demokratielehrers an der Schulter Obamas. Zu viel für mich.

Sorry, Michelle und Barack. Ich habe mich abgemeldet. Aber so einfach ist das gar nicht. Einen Tag später erhielt ich eine Mail nebst beigefügten Video von Michelle. Die automatisierte Botschaft lautete: Gerard, wir können nicht auf Dich verzichten. Die schöne Michelle: Umwerfend. Und ich beginne zu ahnen, wie weit, wie schwerwiegend ich, wir, von Manipulation umzingelt sind. Dann erklärt ein sichtlich genervter amerikanischer Präsident, dass Snowden kein Patriot sei, und er, Barack, schon immer für mehr Transparenz in Sicherheitsfragen eingetreten ist. Und dann droht er Syrien unverhohlen mit Krieg. Und dann erlebe ich ihn (unserer Zeit) nachts vor der UNO. Streng und unerbittlich. Sein Land, die USA, seien „exceptional“ – außergewöhnlich. Da, wo der Sicherheitsrat nichts zustande bringe, werde sein Land auch zukünftig Blut und Leben einsetzen für die Anderen. Und dann sehe ich hinter der strengen Geste tieftraurige Augen. So als stünde da ein Hamlet auf der großen Bühne. Sein oder Nichtsein. Auch er längst ein Gefangener der schleichenden Militarisierung, die sein Land, und auch unseres, längst im Griff hat, und aus der so schwer herauszukommen ist. Und dann ist dieser starke, schwache amerikanische Präsident mir wieder ganz nah. Mein Held, ein ganzer Jammer.


Links