Feb 112014
 

Der größte Teil ihres Geldes kommt direkt vom Staat. Es erstaunt, was ein Bauprojekt im Volumen von vergleichsweise bescheidenen 31 Millionen Euro auszulösen vermag. Jahrzehntelang haben ein paar versprengte Kritiker von der FDP oder den Grünen eine Reform der deutschen Kirchenfinanzen verlangt, meist wurden sie von den eigenen Parteiführungen zurückgepfiffen oder in der Öffentlichkeit als fanatische Religionsfeinde abgetan.

Erst die Debatte um das Finanzgebaren des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst hat dem Publikum jetzt vor Augen geführt, wie undurchsichtig die finanziellen Verhältnisse der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland tatsächlich sind. Die vergleichsweise transparente Kirchensteuer macht mit 9,8 Milliarden Euro im Jahr nur einen kleineren Teil der Einkünfte aus.

Ungefähr doppelt so stark profitiert die Kirche aus Töpfen, für die Steuer- und Beitragszahler in ihrer Gesamtheit aufkommen – auch wenn sie einer anderen oder gar keiner Religionsgemeinschaft angehören. Darunter sind Ausgleichszahlungen für Enteignungen, die Jahrhunderte zurückliegen, die öffentliche Alimentierung von Religionslehrern wie Theologieprofessoren – und vor allem die Einnahmen der kirchlichen Sozialkonzerne, die ganz überwiegend aus den Kassen des Staates und seiner Sozialversicherung stammen. Weitreichende Befreiungen etwa von der Körperschaft-, Kapitalertrag- oder Grundsteuer kommen hinzu.

Bündnis zwischen Thron und Altar

Offizielle Gesamtzahlen gibt es nicht. Der Kirchenkritiker Carsten Frerk stellte die einzelnen Posten vor drei Jahren in einem „Violettbuch Kirchenfinanzen“ zusammen. Demnach summieren sich allein die Staatsleistungen auf 19,3 Milliarden Euro im Jahr, kommerzielle Einnahmen nicht mitgerechnet. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verwahrte sich in einer Stellungnahme gegen die Schlussfolgerungen, räumte aber gequält ein, dass die Zahlen „vielleicht nicht falsch“ seien.

Wer das deutsche System der Kirchenfinanzierung verstehen will, muss weit in die Geschichte zurückgehen. Kaum ein anderes Land war so stark vom Konflikt zwischen zwei fast gleich starken Konfessionen geprägt. Religiöser Pluralismus wurde nicht gegen eine übermächtige Einheitskirche erkämpft, sondern dadurch hergestellt, dass sich Katholiken und Protestanten gegenseitig in Schach hielten. Dazu dienten die komplizierten Regeln des deutschen Staatskirchenrechts, die mit dem Westfälischen Frieden von 1648 das Zeitalter blutiger Religionskriege beendeten.

Die eigentümliche Art, wie Staat und Kirche hierzulande formal getrennt und faktisch doch verwoben sind, hat viel mit der Kleinstaaterei im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu tun. Seit der Reformation war in den protestantischen Territorien der Landesfürst zugleich auch der oberste Kirchenherr, die Preußen sprachen später vom „Bündnis zwischen Thron und Altar“. Und viele der katholischen Bischöfe amtierten nicht nur als geistliche Hirten ihrer Diözese, sie übten in einem kleineren Territorium auch die weltliche Herrschaft aus.

Bis heute zahlen die Bundesländer als Rechtsnachfolger

Die Kirche verlor diesen Status, als am 25. Februar 1803 im Regensburger Rathaussaal der Immerwährende Reichstag zu seiner letzten Sitzung zusammenkam. Drei Jahre vor dem Untergang des Heiligen Römischen Reichs war das linksrheinische Deutschland von Napoleon erobert, die betroffenen Herrscher sollten für den Gebietsverlust entschädigt werden. Die anwesenden Gesandten beschlossen, zu diesem Zweck die geistlichen Fürstentümer aufzulösen. Als „Reichsdeputationshauptschluss“ ging das Gesetz in die Geschichte ein.

In der Folgezeit rangen die Geistlichen mit den neuen Territorialstaaten um eine angemessene Entschädigung. Über die Abschaffung der Fürstbistümer hinaus lösten die Staaten auch Klöster auf und enteigneten kirchliche Grundstücke, aus deren Erträgen die Geistlichen zuvor ihren Lebensunterhalt bestritten. Im Gegenzug verpflichtete sich nun der Staat, etwa die Gehälter von Bischöfen oder Angehörigen des Domkapitels zu übernehmen. Bis heute zahlen die Bundesländer als Rechtsnachfolger dafür insgesamt 459 Millionen Euro im Jahr. Die Kirchen sagen, sie seien bereit, darauf zu verzichten, verlangen dafür aber satte Einmalzahlungen. Vom 18- bis 25-Fachen der Jahressumme ist die Rede. Darauf hat sich noch kein deutscher Politiker eingelassen.

Erst noch gründlich rechnen

Allerdings gingen der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert längst nicht alle Vermögenswerte verloren. Der verbliebene Besitz bildet den Grundstock jener eigentümlichen Institution namens „Bischöflicher Stuhl“, die jetzt in Limburg erstmals das Interesse der Öffentlichkeit auf sich zog. Stiftungen und Vermächtnisse kamen über die Zeit hinzu; ein beträchtlicher Reichtum hat sich über die Jahre zusammengeläppert. Weil hier keine Staatsgelder im Spiel sind, sahen sich die meisten Bistümer bisher zu keinerlei Rechenschaft verpflichtet – nicht einmal gegenüber den eigenen Mitgliedern.

Auch jetzt noch ist die Auskunftsfreude der Bistümer unterschiedlich ausgeprägt. Die Erzdiözese Berlin gab bereitwillig bekannt, dass sie über keinerlei Besitztümer verfügt. Köln als mutmaßlich reichste Diözese bezifferte die Vermögenswerte des Erzbischöflichen Stuhls auf 166,2 Millionen Euro. Manche Bischöfe wollten auf Medienanfragen nur den laufenden Jahresumsatz nennen oder das reine Geldvermögen ohne Immobilien. Andere teilten mit, sie müssten erst noch gründlich rechnen. Paderborn und Passau wissen schon jetzt, dass sie sich überhaupt nicht äußern wollen. Die Sache ist also ziemlich unübersichtlich; das soll sie wohl aus Sicht der Bischöfe auch sein.

Niedrigere Kirchensteuern für Reiche

Nicht für alle Ausfälle, die den Kirchen im 19. Jahrhundert durch den Verlust alter Pfründen entstanden, wollten die deutschen Einzelstaaten aufkommen. So entstand die Kirchensteuer als eigene Einnahmequelle der Kirche, zuerst 1827 in Lippe, zuletzt Anfang des 20. Jahrhunderts in ganz Preußen. Alle Gläubigen waren fortan gezwungen, diese Steuer zu entrichten, wollten sie ihrer Kirche angehören. Das Anwachsen der Städte verursachte zusätzlichen Finanzbedarf, denn die entstehenden Metropolen benötigten neue Kirchen und zusätzliche Geistliche. Die Weimarer Verfassung schuf für die neue Abgabe 1919 einen gesamtstaatlichen Rahmen, den die Autoren des Grundgesetzes 1949 nach langem Streit wortgleich übernahmen. Daran änderte auch die Wiedervereinigung nichts.

Länder wie Frankreich oder die Vereinigten Staaten, in denen die strikte organisatorische Trennung zwischen dem Staat und den einzelnen Religionsgemeinschaften eine lange Tradition hat, kennen einen solchen automatisierten Einzug kirchlicher Mitgliedsbeiträge durch staatliche Behörden überhaupt nicht. Die Geistlichen sind dort auf Spenden oder auf Entgelte für ihre Dienstleistungen angewiesen. Die hohe Anzahl förmlicher Kirchenaustritte in Deutschland ist vor allem auf diese Abgabe zurückzuführen, die je nach Bundesland zwischen 8 und 9 Prozent der Einkommensteuer beträgt, von der sie wiederum steuermindernd abgesetzt werden kann. Der Höchstbetrag ist meist auf drei Prozent des Einkommens gedeckelt. Damit wollen Kirchenvertreter, die sonst gern nach höheren Steuern für Reiche rufen, die Betuchteren vom Austritt abhalten.

Auch für die kirchliche Entwicklungshilfe zahlt die Allgemeinheit

Mit der Kirchensteuer finanzieren Katholiken und Protestanten vor allem das geistliche Kerngeschäft, also die Bezahlung der Pfarrer oder die Arbeit in den Gemeinden. Anders als viele Kirchensteuerzahler glauben, fließt von dem Geld nur ein sehr kleiner Teil in den Sozialbereich. Für Kitas und Schulen, Krankenhäuser und Pflegeheime müssen die Kirchen gar nicht viel ausgeben: Hier trägt die Allgemeinheit die meisten Kosten.

Die Sozialwerke der großen Kirchen, evangelische Diakonie und katholische Caritas, sind mit zusammen rund einer Million Beschäftigen die größten Sozialkonzerne in Deutschland. So zählt beispielsweise die evangelische Agaplesion-Gruppe aus Hessen mit 550 Millionen Euro Jahresumsatz zu den größten Klinikbetreibern in Deutschland. Wie alle anderen Betreiber von Krankenhäusern oder Pflegeheimen müssen sich die kirchlichen Einrichtungen wirtschaftlich tragen. Sie leben von den Überweisungen der Kranken- und Pflegekassen, von den Beiträgen der Heimbewohner und Sozialämter, von den öffentlichen Zuschüssen für Kitas oder Sozialeinrichtungen. Schätzungen zufolge bestreiten die Kirchen allenfalls fünf Prozent ihres wohltätigen Engagements aus eigenen Mitteln. Selbst die kirchliche Entwicklungshilfe bezahlt zu zwei Dritteln das zuständige Bundesministerium aus einem speziellen „Kirchentitel“.

Neue Arbeitsbereiche für Ex-Theologen

In der Konkurrenz auf den hart umkämpften Sozialmärkten haben die Kirchen „noch immer eine äußerst privilegierte Stellung“, wie der Münchener Theologe Friedrich Wilhelm Graf schreibt – dank massiver staatlicher Vorzugsbehandlung: „Vielen diakonischen Sozialunternehmen fehlt es oft an dringend gebotener Transparenz“, kritisiert der Wissenschaftler, der sogar von „systemisch bedingter Ausbeutung des Steuerzahlers“ spricht. Auch der Umstand, dass kirchlich Beschäftigten kein Streikrecht zusteht, hilft im Wettbewerb.

Ähnlich funktioniert das System im Erziehungssektor. Wenn der Staat eine Kita-Garantie gibt, stärkt das zugleich die Marktmacht kirchlicher Unternehmen. Von den laufenden Betriebskosten müssen sie nur einen geringen Teil selbst aufbringen. Auch an den Investitionskosten beteiligt sich der Staat. Bereits 2009, also noch vor dem jüngsten Ausbauschub, überwiesen öffentliche Stellen knapp 4 Milliarden Euro an kirchliche Kita-Träger. Vergleichbare Regeln bestehen für die konfessionellen Schulen, hier sind die Bundesländer mit 2,3 Milliarden Euro im Spiel.

Sogar für Theologieprofessoren und Religionslehrer kommt der Staat auf, obwohl die Kirche die Lehrinhalte in eigener Regie festlegt. Verstößt ein Professor gegen diese Vorgaben oder heiratet er, obwohl er Priester ist, darf er nicht mehr lehren. Die staatliche Hochschule muss ihn gleichwohl weiterbezahlen und ausstatten. So sah sich die Universität Tübingen jahrelang gezwungen, vier verschiedenen Ex-Theologen neue Arbeitsbereiche für Religionspädagogik, Textwissenschaft oder Ökumenische Forschung zu finanzieren.

F.A.Z. vom 20.10.2013