Mai 282014
 

Japans Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung

Von Jutta Vondran, 1993

 PDF   (Adobe Reader herunterladen) 

Das Buch „Zwischen Kimono und Computer – Japans Frauen machen Karriere“ enthält eine Sammlung von Interviews mit 14 Japanerinnen, die schon deshalb lesenswert sind, weil sie deutliche Zeichen dafür sind, dass japanische Frauen sich nicht länger mit der klassischen Rollenverteilung zufrieden geben. Einige Beispiele:

  • Die sozialistische Partei Japans wird von einer Frau geführt .
  • Eine Japanerin hat als erste Frau den Mount Everest bezwungen .
  • In der traditionell männlichen Domäne des Go-Spiels gibt es unter den professionellen Spielern 10 % Frauen. 
  • Die allgemeinen Richtlinien der Arbeitspolitik und internationalen Arbeitsbeziehungen werden von einer Frau ausgearbeitet, die als Vizeministerin die dritthöchste Staatsbeamtin ist.

Darüber hinaus finden wir Karrieren in der Wissenschaft, in der Wirtschaft und in den Medien.

Alle diese Frauen sind zielstrebig ihren eigenen Weg gegangen. Sie stammen fast alle aus durchschnittlichen, traditionellen Familien. Fast alle sind verheiratet und haben Kinder. Ihre Erfolge führen sie selbstbewusst auf ihre eigenen Anstrengungen zurück. Sie empfehlen sie den Jüngeren zur Nachahmung, damit der Wandel in der Gesellschaft aktiv von den Frauen mitbestimmt wird.

Die interviewten Frauen sind sicherlich Ausnahmen. Aber wir lernen aus ihren Interviews, dass es in der japanischen Gesellschaft unübersehbare Veränderungen gibt. Diese Veränderungen werden seit Jahren auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Es wird anerkannt, dass sie von Frauen verursacht werden. Ihre Bewertung ist allerdings kontrovers. In Berichten oder Kommentaren über die Situation der Frau spricht man entweder lobend oder abschätzend „vom Zeitalter der Frau“ – „onna no jidai„. Früher nicht denkbares Verhalten wird aufgezeigt und mit neuen Begriffen charakterisiert. Dazu zwei Beispiele:

  • Mütter und Ehefrauen ab Mitte 40, die frei von den Pflichten der Kinderaufzucht und mit einem im Beruf aufgehenden Mann gesegnet sind, geben sich ganz ihren musischen, sportlichen oder sozialen Neigungen hin, ohne sich von familiären oder finanziellen Erwägungen einschränken zu lassen. Solche Frauen bezeichnet man mit einer Wortneuschöpfung aus „obasan“ (ältere Dame) und „battalion“ (einer Figur aus einem Horrorfilm) als „obattalion„.
  • Eine jüngere, karrierebewusste Frau, die ihren eigenen Weg gehen will und dabei wenig Rücksicht auf das traditionelle Frauenverständnis nimmt, wird als „madonna“ bezeichnet. Dieser Begriff geisterte übrigens auch lange Zeit im Zusammenhang mit der jetzigen Verlobten des Kronprinzen durch die Presse, die ja eine erfolgreiche diplomatische Karriere eingeschlagen hatte.

Bei meinem letzten Besuch in Japan im Oktober vorigen Jahres hat mir meine japanische Freundin noch einmal bestätigt: Das traditionelle Bild von der Japanerin, die ihre dienende und untergeordnete Rolle widerspruchslos und anmutig akzeptiert und durch bewusst respektvolles Verhalten gegenüber dem Mann zum Ausdruck bringt, geistert noch durch die Wunschträume der japanischen Männer und auch durch die ausländische Presse. In der Wirklichkeit dagegen ist dieses Idealbild nur noch selten lebendig. Die japanische Frau hat angefangen zu denken und die Vorstellungen ihres eigenen Lebens zu formulieren. Doch grundsätzlich besteht eher die Neigung, die traditionelle Rollenverteilung zu modifizieren als zu revolutionieren.

  • Das Heiratsalter ist zwar erheblich gestiegen:

1950    23 Jahre
1990    26 Jahre

  • Die Anzahl der Kinder ist gefallen:

1950    3,55 Kinder
1990    1,57 Kinder

  • Mehr als ein Drittel aller japanischen Beschäftigten sind Frauen.

Und das bedeutet: Die Frau orientiert sich auf mehr Zeit für Ausbildung und auf Beruf vor und nach der Kindererziehung. Dennoch stimmen etwa die Hälfte der Männer und ein Drittel der Frauen immer noch für den Grundsatz „Die Frau ins Haus, der Mann an den Arbeitsplatz“.

Ich möchte Ihnen zum besseren Verständnis für das Ausmaß des Wandels in der japanischen Gesellschaft einen kurzen historischen Abriss über die Stellung der japanischen Frau geben.

Frühgeschichtliche Zeit

In frühgeschichtlicher Zeit – das weiß man durch archäologische Funde und durch zahlreiche Mythen und Legenden – hatte die japanische Gesellschaft ein matriarchalisches System. Geprägt wurde diese Zeit durch die Shinto-Religion. Mittelpunkt dieser Religion ist eine Göttin, die Sonnengöttin Amaterasu, eine Tochter des göttlichen Urpaares Izanagi (er) und Izanami (sie). Sie wird auch als göttliche Ahnherrin, also als Stammesmutter des erfolgreichsten der damals auf das japanische Inselreich eingewanderten Stämme angesehen, die das Yamato-Reich begründen sollten. Das japanische Kaiserhaus verehrt die Göttin Amaterasu als seine Ahnherrin. Es erhebt damit den Anspruch, ohne Unterbrechung bis in frühgeschichtliche Zeit zurückzureichen und göttlicher Abkunft zu sein. Aufgrund der göttlichen Abstammung war die Königin des Yamamoto-Reiches und später die Kaiserin bzw. der Kaiser oberster Shinto-Priester. Auf diese Weise gab es eine enge Verbindung von Kultur bzw. Religion und Regierung. Hier liegen übrigens die Wurzeln für den extremen Nationalismus zwischen 1930 und 1944, der die Shinto-Religion wieder zum Staatskult erhob. Die Verehrung des Kaisers wurde Verehrung des göttlichen Nachkommen der Göttin Amaterasu. Patriotismus und Kaiserverehrung wurden identisch, der Kaiser das Symbol der Nation.

Zurück zu den Frauen: Die Frauen als Herrscherinnen fungierten als Medien zwischen den Göttern und den Menschen. Sie führten entweder ein spirituelles Leben wie Königin Himiko oder das einer Kriegerin wie Kaiserin Jingu, die selbst einen Feldzug nach Korea anführte.

Im 4. Jahrhundert begann die Einheit von Kult und Politik sich allmählich aufzulösen, da einer Legende zufolge eine fromme Kaisertochter den berühmten Ise-Schrein gründete, um abseits vom Regierungssitz die Sonnengöttin Amaterasu verehren zu können. Tatsächlich führten chinesische Einflüsse dazu, daß die Stellung der Frauen schwächer wurde und nach­folgende Kaiserinnen – das waren bis Mitte des 8. Jahrhunderts immer noch gut die Hälfte aller Herrscher – eher nominelle Herrscherinnen waren.

Zu Beginn des 8. Jahrhunderts entstanden die ersten japanischen Geschichtswerke „kojiki“ und nihongi„. Sie bringen eine Neufassung des Schöpfungsmythos. Die Neufassung veranschaulicht, was sich in Bezug auf die Frauen verändert hat und in den folgenden Jahrhunderten Bestand haben wird. Ich gebe die Fassung von Inga Streb wider:

„Als das Götterpaar Izanagi und Izanami sich anschickt, das japanische Inselreich zu schaffen, endete der erste Versuch mit einem Fiasko, denn die Göttin brachte eine Missgeburt zur Welt. Die Schuld an dieser Fehlleistung lag bei der Frau. Sie hatte während des Hochzeitsritus zuerst gesprochen. Als daraufhin der Ritus ein zweites Mal vollzogen wurde und nun der Gatte zuerst das Wort an die Gattin richtete, blieb der Erfolg dieser korrekten Verhaltensweise auch nicht länger aus und Izanami brachte makellose Inseln und Götter zur Welt“.

Drastisch geändert hat sich die Rangfolge der Geschlechter. Das Vorrecht der Frau, zuerst zu sprechen, gilt nicht mehr. Es gefährdet sogar die Schöpfung. Erst die ausdrückliche Bestätigung der männlichen Vorrangstellung sichert den geordneten Ablauf der Dinge. Welche Einflüsse bewirkten diesen Wandel in der Gesellschaft?

Entscheidend wirkten die aus China übernommenen sozialen Gesetze des patriarchalischen Familiensystems, das die Moralvorstellungen des Konfuzius widerspiegelt. Der Einzelne wird unter das Diktat von Familie und Staat gestellt. Ich sollte vielleicht anmerken, dass Familie im japanischen Sinne „Großfamilie“ bedeutet. Das japanische Wort für Familie, „ie„, bedeutet auch Haus. Es handelt sich um eine weitaus größere Einheit als Eltern plus Kinder. Familie, „ie„, bedeutet die gesamte Verwandtschaft. Es herrscht eine vertikale Ordnung. Das Alter wird geehrt. Nach konfuzianischer Auffassung steht der Mensch nie allein. Er steht immer in Beziehung zu anderen, also zu Familienangehörigen, zu Arbeitskollegen, zu anderen sozialen Gruppen, zu Gewerkschaften, Parteien und zum Staat. Jeder steht an seinem Platz, der ihm das gebührende Verhalten zuweist. Individuelles Streben ist nur soweit erlaubt, als es in Harmonie mit der sozialen Ordnung steht.

Ebenso entscheidend wirkte die gleichzeitig aus China übernommene buddhistische Religion, die sich neben der Shinto-Religion behauptete und immer mehr an Einfluss gewann. Der Buddhismus weist der Frau einen niedrigeren Status zu als dem Mann, denn Frauen galten und gelten in dieser Religion als minderwertig, als mit mehr Sünden behaftet als der Mann.

Heian-Zeit (794 bis 1185)

In der Heian-Zeit stehen noch Reste der früheren Gesellschaftsordnung, die den Frauen weitreichende Rechte zugestand, neben dem neuen, aus China übernommenen Gedankengut. Die Heian-Zeit ist die klassische Zeit Japans. Sie ist geprägt vom Hofadel, der Leitbildfunktion hatte, und dessen verfeinerter Kultur. In der Aristokratie wurden die oben aufgezeigten importierten Reformideen zuerst und am schnellsten aufgenommen. In die unteren Bevölkerungsschichten gelangten sie nur langsam. Zu der Stellung der Frau und ihr Idealbild in der Heian-Zeit läßt sich folgendes sagen:

Die Vorrangstellung der Frau ist zugunsten der des Mannes verlorengegangen. Ihr sozialer Status richtete sich nach dem ihrer Familie und dem ihres Mannes. Die Frauen heirateten endogam, d.h. innerhalb ihres Clans. Der Ehemann, der Nebenfrauen haben durfte, zog bei ihr ein oder er kam so lange zu Besuch, wie seine Zuneigung ausreichte oder wie es sein Verantwortungsgefühl zuließ. Frauen wurden als Instrumente der Heiratspolitik eingesetzt, um über verwandtschaftliche Beziehungen hinaus Abhängigkeiten und Loyalitäten zu sichern. Sie behielten ihr Recht auf Besitz und Erbe sowie auf Scheidung auf eigenen Wunsch.

Das Leben der Frauen spielte sich vor allem im Haus ab. Durch die Einführung der neuen sozialen Gesetze war ihr ja der Zugang zu Beamtenstellen verwehrt und damit der Zugang in die Öffentlichkeit. Ihre Erziehung konzentrierte sich auf Dichtung, Kalligraphie, Musik, Kleidung, soziale Verbindungen und höfische Zeremonien. Für sie wurde eine eigene Schrift aus einfachen Silbenzeichen entwickelt, die „hiragana“ bzw. „onnade„. Die aus China übernommenen Schriftzeichen, die „kanji„, waren den Männern vorbehalten. Entsprechend wurden amtliche und historische Dokumente sowie die chinesische Literatur für Männer in „kanji“ abgefasst; die japanische Poesie, die Dichtung der Frau, in „hiragana„.

Die Heian-Zeit gilt als „hohe Zeit“ der Frauenliteratur. Es entsprach aber durchaus dem Geist der Zeit, daß sie in der Regel anonym abgefasst wurde. Frauen durften in der Öffentlichkeit nicht gelehrt erscheinen. Uns ist vor allem das „genji monogateri“ – „die Erzählung des Prinzen Genji“ von der Hofdame Murasaki Shikibu bekannt. Ihm verdanken wir die Beschreibung des Idealbildes der Heian-Frau: Sie ist eine raffiniert einfach geschminkte Adelige, die zwölf farblich subtil aufeinander abgestimmte Kimonos übereinander trägt, die sie mit einer Schnur lose zusammenhält. Ihr ungeschmücktes Haar fällt offen und lose bis auf die Füße.

Kamakura-Zeit (1185 bis 1333) Muromachi-Zeit (1333 bis 1600)

Mit dem Ende der Heian-Zeit endete auch die etwa 200 Jahre währende Friedensperiode. Kamakura– und Muromachi-Zeit wurden geprägt durch die Machtkämpfe der größeren und kleineren Provinzfürsten. Der Hofadel verlor seine führende Rolle im politischen und kulturellen Leben an den Schwertadel, an die Samurai mit ihrer spartanischen Lebensweise. Die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen stellten andere Anforderungen an die Frauen als bisher und veränderten ihr Leben. Das Idealbild der Frau wandelte sich. Anstelle der nach ästhetischen Prinzipien lebenden Heian-Adeligen wurde die mutige, starke, aber auch ergebene Samurai-Frau zum Leitbild.

Im Unterschied zur Heian-Zeit heirateten die Frauen nicht mehr endogam, sondern patrilokal, d.h. sie zogen in das Haus ihres Mannes. Sie behielten weiterhin das Recht auf Erbe und Besitz und damit eine gewisse Unabhängigkeit. Sie standen selbstverantwortlich einem großen Haushalt vor, der Familienangehörige und Dienstboten umfasste und alle im Dienste des Ehemannes stehenden Krieger einschloss. Als Angehörige eines Kriegerstandes wurden Frauen auch an Waffen ausgebildet. Sie erlernten nicht nur mit Lanzen umzugehen, sondern auch mit Bogen und Schwert. Sie waren in der Lage, entweder mit ihrem Mann in den Krieg zu ziehen oder in seiner Abwesenheit Haus, Hof und Ehre zu verteidigen. Ein berühmtes Beispiel für diesen Frauentyp ist Hojo Masaku -„der General in Frauenkleidern“. Sie war nach dem Tode ihres Mannes, dem Begründer des Kamakura-Shogunats, zwar der Sitte entsprechend Nonne geworden, skrupellos bedrohte sie jedoch jeden, der die Macht der Familie einschränken wollte.

Diese Samurai-Frauen der Kamakura-Zeit wurde von der Frauenbewegung verherrlicht. Selbst das Fernsehen verklärt sie heute noch in populären romantischen Sendungen als Amazonen. Denn die Samurai-Frau der Kamakura-Zeit hatte noch einmal Privilegien und Freiheiten, die ihnen in vorangegangenen Jahrhunderten genommen worden waren und die sie erst nach dem 2. Weltkrieg wiedererlangen sollten. Dieser Aspekt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ständige Kriegsgefahr der Zeit von den Frauen auch ein hohes Maß an Selbstkontrolle und gehorsamer Unterwerfung unter den Willen des kriegsführenden Ehemannes und seiner Loyalitäten gegenüber seinem Dienstherrn forderte. Die Vorrangstellung des Mannes vor der Frau blieb unangetastet. Sie wurde sogar noch weiter ausgebaut. Wurden Frauen bereits früher als Instrumente der Heiratspolitik eingesetzt, so wurden sie jetzt in geradezu degradierender Weise zur Festigung militärischer Bündnisse gebraucht. Ungeachtet ihrer eigenen Loyalitäten wurden sie zwangsweise geschieden und unter Umständen mit ihrem Todfeind verheiratet. Diese Geringschätzung der Frau führte in der Muromachi-Zeit, also zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert, zur Abschaffung ihres Rechts auf Scheidung. Ihrem Recht auf Erbe und Besitz erging es ähnlich dadurch, dass in der Erbfolge der älteste Sohn an die erste Stelle trat. Die Frau hatte ihre materielle Unabhängigkeit verloren.

Tokugawa-Zeit (1600 bis 1868)

Die Tokugawa-Zeit brachte die Einigung des Reiches unter einer Shogunatsregierung. Die Gesellschaft gliederte sich in vier Stände: Bauern, Handwerker, Kaufleute und Schwertadel. Grundlagen dieses feudalistischen Systems mit seiner Kontrolle durch den Shogun waren die konfuzianistischen Wertvorstellungen, die seit dem 4. Jahrhundert in Japan lebendig sind und entscheidend den Wandel des ursprünglich matriarchalischen Gesellschaftssystem zum patriarchalischen System bewirkten. Eine Friedensperiode setzte ein, in der sich wieder ein vielfältiges, kulturelles Leben entwickelte.

Die gesellschaftliche Stellung der Frauen erreichte in der Zeit ihren Tiefpunkt. Da Frauen keinen Besitz haben durften, waren sie vollständig abhängig von Familie und Ehemann. Sie durften keine Verträge mehr abschließen. Sie durften einem Haushalt nicht mehr selbstverantwortlich vorstehen. Es war vor allem ihre Pflicht, Kinder zu gebären, sie aufzuziehen und den Haushalt zu führen. Respekt und Freiheit fanden sie eigentlich nur, wenn sie durch Alter und Status eine dominierende häusliche Stellung gewonnen hatten.

Frauen brauchten nicht gebildet zu sein, da sie ja bis zu ihrem Tod von Männern geleitet wurden. Ihre Ausbildung beschränkte sich auf Grundkenntnisse in Lesen und Schreiben. Schwerpunkte ihrer Erziehung waren Haushaltsführung und manuelle Fertigkeiten wie Weben, Sticken und Nähen. Für Mädchen war auch eine moralische Unterweisung wünschenswert, denn sie sollten – ich zitiere –

„zart und rein bleiben, niemals Anlass zu Unannehmlichkeiten geben und niemals die Autorität der Eltern in Frage stellen“.

Je nach Standeszugehörigkeit erhielten sie außerdem Unterricht in Teezeremonie, Blumenarrangement, Musik und klassischem Tanz.

In zahlreichen moralisierenden Erziehungsschriften formulierten die Männer ihre Idealvorstellung von der Frau. Die berühmteste aller Erziehungsschriften jener Zeit war das „onna daigaku„, „Die hohe Schule der Frauen“. Sie stellte den absolut verbindlichen Sittenkodex für alle Frauen. Dieses Buch war leicht verständlich geschrieben und galt als ideales Hochzeitgeschenk für die junge Braut bis ins 20. Jahrhundert hinein. Aus ihm lernen wir: Die Frau hat vor allem drei Abhängigkeiten zu akzeptieren.

  • Sie muss unbedingten Gehorsam üben gegenüber dem Vater, dem Ehemann und dem Sohn.
  • Sie muss demütig und verschwiegen sein.
  • Sie muss unermüdlich in der Arbeit sein.

Fehlverhalten wird mit Scheidung, also wirtschaftlicher Ungewissheit, bestraft. Fehlverhalten sind Ungehorsam, Unfruchtbarkeit, Krankheit und Geschwätzigkeit. (Der Autor jener Schrift merkte übrigens an, dass mehr als 80 % aller Frauen von dem Übel „Geschwätzigkeit“ befallen seien). Die Frau selbst hatte nur dann ein Recht auf Scheidung, wenn der Mann sie verstoßen hatte oder wenn es ihr gelungen war, in einen der wenigen Scheidungstempel zu fliehen. Ehebruch der Frau wurde mit dem Tod bestraft, während es dem Mann erlaubt war, innerhalb und außerhalb des Hauses Mätressen zu haben.

Auch das äußere Erscheinigungsbild der Frau spiegelte ihre Unfreiheit und Abhängigkeit. Die Haare wurden zu kunstvollen Bauten aufgetürmt. Der zweilagige Kimono wurde von einem Gürtel zusammengehalten, der die Trägerin von der Hüfte aufwärts bis fast unter die Achseln fest einpackte und ihre Bewegungsfreiheit stark einschränkte. Beim Gehen mussten als Zeichen der Unterwürfigkeit und Bescheidenheit die Füße auf dem Boden nachgezogen und Knie und Zehen nach innen gedreht werden, so daß ein rhythmisches Stolpern entstand.

Meji-Restauration und Zeit bis zum 2. Weltkrieg (1868 bis 1941)

Im 19. Jahrhundert verlor der Buddhismus deutlich an Einfluss, da er mit dem Shogunatsregime der Tokugawa-Zeit identifiziert wurde. Die Shinto-Religion lebte wieder auf. Ihre Erneuerung war ein fördernder Faktor für den Zusammenbruch des Tokugawa-Regimes. Sie bewirkte die Rückübertragung der politischen Macht vom Shogun auf den Kaiser und damit auch die Meji-Reform.

Die Meji-Zeit ist die Zeit der Öffnung Japans für den Westen. Sie brachte dem Land Industrialisierung, ein Parlament und eine Verfassung. Demokratisches Gedankengut, die westlichen Philosophien des Individualismus und Liberalismus ließen auch unter Japans Intellektuellen liberale Zirkel entstehen. Es entwickelt sich eine feministische Bewegung, mit der die Frauen ihre Situation und die Möglichkeiten einer Veränderung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit brachten. Die Regierung zeigte jedoch bei aller Reformbereitschaft im politischen Bereich keine Bereitschaft, den Status der Frauen in Frage zu stellen oder gar zu ändern. Sie änderte mit der Verfassung von 1889 das politische System, die traditionellen Familiengesetze aber behielt sie bei und schrieb die uneingeschränkte Macht der Männer über die Frauen weiterhin fest. Ein Gesetz verbot den Frauen auch jegliche politische Aktivität vom Beitritt einer politischen Partei bis hin zur Teilnahme an politischen Versammlungen. Status und Erziehung der Frauen entsprachen weiterhin dem Sittenkodex der „Hohen Schule der Frauen“ aus der Tokugawa-Zeit.

Einer der führenden Intellektuellen der Zeit übte an diesem Missverhältnis von Modernisierungsbestreben und reaktionärer Haltung heftig Kritik. In seiner Schrift „Die neue hohe Schule der Frauen“ – „shin onna daigaku„, forderte er – leider vergeblich – auch für die Frauen wirtschaftliche Unabhängigkeit und bessere Ausbildung, damit sie in der Öffentlichkeit verantwortungsvollere Positionen übernehmen könnten.

Wirkungsvoller war die Arbeit der christlichen Missionare. Im Rahmen der Reformen wurde 1873 die allgemeine primäre Schulpflicht von sechs Jahren auch für Mädchen eingeführt. Eine weitere Ausbildung war jedoch nicht vorgesehen. Weiterbildung war nur in den Missionsschulen möglich und in den wenigen christlichen Frauenuniversitäten. Dort wurden die Frauen zielstrebig gefördert. Dort entstanden Keimzellen für die Entstehung und Entwicklung der Frauenbewegung.

Als bekannteste Gruppe der Frauenbewegung gilt die 1911 unter dem Namen „Blaustrümpfe“ – „seitosha“ gegründete Gruppe, die in ihrer gleichnamigen Zeitschrift literarische und frauenrechtliche Probleme erörterte. Aus der ersten Ausgabe stammen die berühmt gewordenen Äußerungen der Gründerin Hiratsuka Raicho, mit der sie die damalige Situation der Frauen beschreibt:

„Am Anfang war die Frau die Sonne … jetzt ist die Frau der Mond, eine, die durch das Licht eines anderen scheint“.

Nach dem 1. Weltkrieg wurden demokratische und sozialistische Tendenzen in der Gesellschaft deutlich spürbarer: Sowohl die Arbeiterbewegung als auch die Frauenbewegung forderten energisch die Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situationen der Frau. Sie erreichten, dass 1922 das Verbot von 1887 aufgehoben wurde, mit dem Frauen jegliche politische Aktivität untersagt war. Entscheidendes änderte sich nach dem 2. Weltkrieg. Am 3. November 1946 wurde Japan eine Demokratie.

Die Gegenwart – „onna no jidai“ – das Zeitalter der Frau hat, ich habe es kurz angerissen, verschiedene, sogar widersprüchliche Facetten. Im Prinzip ist die Stellung der Frau gesetzlich so geregelt, dass eine Japanerin sich in der Tat frei genug fühlen kann, nach den eigenen Bedürfnissen zu entscheiden, wie ihre eigene, individuelle Rolle aussehen soll für ein erfülltes Leben in der Gemeinschaft. Während der amerikanischen Besatzungszeit von 1945 bis 1952 wurde die Vorrangstellung des Mannes vor der Frau abgeschafft und damit das patriarchalische System zerschlagen. Nach dem Krieg also wurden durch die Amerikaner auf der Basis „sozialer Humanismus und rationale Demokratie“ folgende schwerwiegende Entscheidungen getroffen:

  • Die Frauen erhielten das aktive und passive Wahlrecht.
  • Prostitution wurde untersagt.
  • Die neunjährige Schulpflicht wurde für beide Geschlechter eingeführt.
  • Die Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit wurden gesetzlich verankert.
  • Geburtenkontrolle wurde eingeführt und
  • Abtreibung legalisiert.

Die Verfassung von 1946 sichert der Frau wieder gleiches Besitz- und Erbrecht zu sowie Selbstbestimmung bei Eheschließung und Scheidung.

Die japanischen Frauen sind also seit dem 2. Weltkrieg per Gesetz aus ihrer abhängigen Stellung befreit. Sie sind den Männern gleichgestellt – mit dem feinen Unterschied, daß sie ihre Rechte in der Praxis verwirklichen müssen. Nach etwa 50 Jahren stellt sich ihre Situation wie folgt dar:

  • In den politischen Entscheidungsgremien ist die weibliche Präsenz immer noch gering, obwohl z.B. die sozialistische Partei von einer Frau angeführt wird etc. Die Schwierigkeiten, als Frau akzeptiert zu werden, sind in den kommunalen Vertretungen größer als auf überregionaler Ebene. In den Kommunen sind halt immer noch die Männerbünde mit ihren gewachsenen Beziehungen aus Schul-, Universitäts- und Berufsleben geschlossene Gesellschaften, denen die Frauen noch nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben.
  • Im Erziehungsbereich schließen zwar über 90 % aller Mädchen einen Oberschulabschluss ab. Und damit ist ihr Anteil größer als der der Jungen. In der anschließenden höheren Ausbildung, wie z. B. der Universitätsausbildung, bleibt der Anteil der Mädchen aber hinter denen der Jungen quantitativ und qualitativ zurück. 14 % der Oberschulabsolventinnen besuchen vor allem die sog. Kurzzeit-Universitäten mit einer Zweijahres-Ausbildung im Bereich Hauswirtschaft und Bürotechnik. Sie stellen dort 90 % der Studenten. In den juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, aus denen die Nachwuchskräfte für Wirtschaft und Verwaltung bzw. höhere Beamtenlaufbahn hervorgehen, gibt es mit zwar ansteigender Tendenz nur 10 % Frauen. In der Medizin ist es ähnlich. Hauptschwerpunkt der weiblichen höheren Ausbildung sind immer noch Erziehungs- und Geisteswissenschaften – leider kein gutes Sprungbrett für einen qualifizierten Arbeitsplatz mit anspruchsvolle Karriere.
  • Was Arbeitsplatz und Verantwortungsverteilung anbelangt, so ist die Mehrzahl der Frauen auf weniger qualifizierten Arbeitsplätzen. Frauen sind schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Ihr durchschnittliches Monatseinkommen beträgt in der Regel immer noch nur 60 %. Dennoch ist die Hälfte aller japanischen Frauen berufstätig.

Ich weiß nicht, wie Sie diese Bilanz werten wollen. Vielleicht messen Sie sie an Ihrem eigenen Rollenverständnis und an Ihrer persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit. Ich meine jedoch, die Stellung der japanischen Frau kann nicht danach beurteilt werden, was aus unserer Sicht noch nicht erreicht worden ist, sondern nur danach, was sich bereits verändert hat.

Die Einführung der neuen Gesetze auf der Basis der Gleichberechtigung und persönlichen Würde des Einzelnen bedeutet nämlich die Abschaffung des jahrhundertealten Familiensystems und des nach Rang und Gruppe gegliederten Aufbaus der Gesellschaft. Diese im Wesen des Japaners tief verwurzelten Traditionen lassen sich nicht einfach durch Gesetze abschaffen. Sie sind immer noch wirksam. Sie sind der Grund dafür, dass die traditionelle Rollenverteilung modifiziert und nicht revolutioniert wird.


Links