Mai 012014
 

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Gauck, der Banker-Versteher

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Die Spannung war groß: Würde Joachim Gauck der Finanzelite auf dem Bankentag ins Gewissen reden wie seine Vorgänger? Ach was. Der Bundespräsident war so zahm, dass er in Sachen Kritik von den Bankern selbst überholt wurde.

Jürgen Fitschen konnte sein Glück kaum fassen, als er nach Joachim Gauck die Bühne betrat. Der Applaus der 800 Banker hallte noch nach. Einige Funktionsträger in den ersten Reihen waren sogar aufgestanden, um den Bundespräsidenten mit Standing Ovations zu feiern. Und auch Fitschen rang sichtlich nach Worten, um Gaucks Rede gebührend zu würdigen. Der Bundespräsident habe „uns aus dem Herzen gesprochen“, jubelte der Co-Chef der Deutschen Bank und Präsident des Deutschen Bankenverbands schließlich. Er spüre „viel Unterstützung und Vertrautheit mit Ihrem Umgang mit unserem Thema“.

was er ja früher auch schon kritisiert habe. Doch inzwischen habe sich „viel getan“. Viele Banken hätten Fehler eingestanden, neue Geschäftsmodelle entwickelt und sich ethischen Fragen gestellt. „Kein Zweifel: Die Branche befindet sich im Wandel.“ Das ist exakt der Duktus, den die Banker mittlerweile selber pflegen, wenn es um die Aufarbeitung ihrer unrühmlichen Vergangenheit geht: Fehler eingestehen und den Wandel versprechen. Von Bundespräsidenten sind die Banker eigentlich kritischere Töne gewohnt. Unvergessen ist in dieser Hinsicht Horst Köhler, der den Banken einst Versagen vorgeworfen und die internationalen Finanzmärkte als Monster bezeichnet hatte, das in die Schranken gewiesen werden müsse.Noch deutlicher in Erinnerung dürfte den Bankern aber der Auftritt von Gaucks Vorgänger Christian Wulff auf dem vorangegangen Bankentag im Jahr 2011 sein. Damals hielt der Bundespräsident den anwesenden Finanzmanagern in harschem Ton ihre Versäumnisse vor. Die Banker hätten die richtigen Schlüsse aus der Krise noch nicht gezogen, klagte Wulff. Sie müssten „im Eigeninteresse zeigen, dass sie den notwendigen Wertewandel leben“.

Wandel in der Rhetorik der Bankenvertreter

Dass es diesmal viel sanfter zuging, hängt zum einen damit zusammen, dass Gauck einen deutlich wirtschaftsfreundlichen Kurs fährt als seine Vorgänger. Erst im Januar hatte er sich in einer Rede gegen staatliche Überregulierung ausgesprochen und den deutschen Neoliberalismus verteidigt. „Freiheit in der Gesellschaft und Freiheit in der Wirtschaft gehören zusammen“, hatte Gauck damals gesagt.Der andere Grund für die Beißhemmung des Präsidenten mag der Wandel in der Rhetorik der Bankenvertreter sein. Auch sie schlagen mittlerweile etwas defensivere Töne als noch vor drei Jahren. Das wurde auch am Mittwoch am Bankentag deutlich. Statt lauthals gegen staatliche Regulierung zu wettern und die eigenen Taten zu preisen, hielt Verbandspräsident Fitschen eine eher defensive Rede, die auch Gaucks Kritikpunkte pflichtschuldig aufgriff. Wo der Bundespräsident die Banken in der „Bringschuld“ sieht, mehr Aufklärung über Chancen und Risiken ihrer komplexen Produkte zu leisten, erkennt auch Fitschen Handlungsbedarf: „Wir wissen, dass wir noch längst nicht genug getan haben, um diesem Anspruch gerecht zu werden.“etwa wenn es um die Notwendigkeit staatlicher Regulierung ging. Die Banken sollten „Gemeinsinn statt Hochmut zeigen“, gab Fitschen seinen Branchenkollegen mit auf den Weg. „Letztendlich geht es darum, dass wir durch unser Handeln und nicht nur durch schöne Reden überzeugen.“2011 las der damalige Bundespräsident Christian Wulff der Finanzbranche beim Bankentag die Leviten. Drei Jahre später streichelte sein Nachfolger Joachim Gauck die Seelen der Banker.

Was haben die Banken aus der Finanzkrise gelernt?

Wulff 2011: „Wir dürfen nicht vergessen: Diese Krise brach nicht aus heiterem Himmel über uns herein. Da reichte der Ordnungsrahmen nicht aus, um die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten. Da gab es die Neigung von Menschen zur Hybris, zur Selbstüberschätzung. (…) Also frage ich mich: Wie groß ist der Lerneffekt? Ist er dauerhaft? (…) Ich möchte ganz offen sein, mein Fazit lautet: Nein – weder haben wir die Ursachen der Krise beseitigt, noch können wir heute sagen: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt.“

Gauck 2014:„Es hat sich inzwischen viel getan. Banken müssen heute mehr Eigenkapital vorhalten als vor der Krise. Neue Regeln sollen riskante Geschäfte kontrollierbarer machen. Mit Stresstests wird die Überlebensfähigkeit von Banken im Krisenfall überprüft. Nicht zuletzt haben viele Institute Fehler eingestanden, neue Geschäftsmodelle entwickelt und sich ethischen Fragen gestellt. Kein Zweifel: Die Branche befindet sich im Wandel.“

Ist der Bürger selbst für seine Geldanlage verantwortlich?

Wulff 2011:„Es gibt sicherlich auch andere Finanzinnovationen, deren Sinn und Zweck unklar bleiben. Hier sehe ich eine besondere Aufgabe der Banken, den Kunden, aber auch den Aufsichtsbehörden, die teils äußerst komplex strukturierten Produkte klar und verständlich zu erläutern. (…) Wer Finanzprodukte verkauft, muss sie verstehen, und wer sie kauft, sollte sie ebenfalls verstehen. Sonst sollten beide Seiten die Finger davon lassen.“

Gauck 2014:„Banken, ich habe es eben erwähnt, haben hier eine Bringschuld. Aber Bürger haben auch eine Holschuld. Wer die Quellen unseres Wohlstands verstehen, persönliche Chancen nutzen und Risiken einschätzen will, der muss sich informieren und in Finanzfragen kompetenter werden. (…) Zum informierten Bürger gehört eine ökonomische Grundbildung. Studien belegen, dass viele Deutsche hier Nachholbedarf haben.“

Mehr Regeln für den Finanzmarkt?

Wulff 2011:„Es war ein Fehler, den Kapitalverkehr und die Kapitalmärkte global zu deregulieren und zu liberalisieren, ohne zuvor einen funktionierenden globalen Ordnungsrahmen geschaffen zu haben. Ein Ordnungsrahmen, der erlaubt, was ökonomisch und finanzpolitisch gewollt ist und der drastisch ahndet, was unerwünscht und schädlich ist. Ein globaler Finanzmarkt braucht eine feste Ordnung mit klaren Regeln und fairen Wettbewerbsbedingungen. Damit stünde man in einer guten ordnungspolitischen Tradition.“

Gauck 2014: „Geht manche Regel gerade für kleine Banken, die nicht „systemrelevant“ und kaum mit anderen Banken verflochten sind, vielleicht schon zu weit? Dazu kann es unterschiedliche Antworten geben. Eine, die mir persönlich sehr sympathisch ist, stammt von Karl Popper, dem Begründer des Kritischen Rationalismus. Er hat einmal gefordert, den freien Markt nicht als „ideologisches Prinzip“ zu betrachten, sondern als eine Ordnung, die davon lebt, dass die Freiheit nur dort zu beschränken ist, wo es aus wichtigen Gründen notwendig ist. Er war sich bewusst, dass oftmals umstritten sein wird, wo genau die Grenze des Notwendigen verläuft. Diese Grenze in kluger und verantwortungsvoller Weise zu ziehen, das ist Aufgabe der Politik.“

Spiegel vom 09.04.2014


Wie Pastor Gauck ganz sanft den Diktatoren predigt

Von Lino Wirag

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Auf dem Deutschen Bankentag hielt Joachim Gauck die rhetorische Harke fest umklammert. Eine Harke, sanft wie ein Rückenkratzer aus Weichgummi, die der Bundespräsident über die gepeinigten Kapitalistenseelen gleiten ließ. Friedvoll sanken die Aufsichtsräte nach Krabbencocktails an Blattgold in die Kissen: in Kissen, gefüllt mit dem Geld anderer Menschen, die auf einmal sehr; sehr weit entfernt schienen. Denn Gauck hatte den Bankern Seelenruhe geschenkt.

Der Bundespräsident, der immer einen Ruf als moralische Instanz hatte, hat jetzt einen Ruf als ganz und gar folgenlose moralische Instanz. Seither vibriert die Wählscheibe seines Mobiltelefons ohne Unterlass.

Und deshalb steht Gauck heute hier vor der Bad Gröbenzeller Mehrzweckhalle. Tritt eine RothHändle in den Staub wie letzte Skrupel. Der Bürgerrechtler ist schon zu lange im Harmoniegeschäft, um noch nervös zu sein. Und doch. Nicht jeden Tag kommt der Hochadel internationaler Diktatoren zusammen, um einem Ossi zu lauschen. Es hat sich herumgesprochen, dass Gauck es versteht, Wahrheiten so auszusprechen, dass sie rückstandsfrei verpuffen.

Im Foyer ist Robert Mugabe gerade auf der Suche nach der Toilette. „Wir wollen uns von Joachim so richtig die Meinung geigen lasse“, beteuert der greise Diktator und imitiert eine Querflöte. „Wenn man von einem evangelischen Pastor ins Gebet genommen wird, versteht man wieder, dass der Tod nicht das Ende ist. Danach muss ja noch die Hütte des Opfers angezündet, die Kinder versklavt und die Frau notgebimst werden“, schmunzelt der Schlächter von Simbabwe, bevor er sein Wasser am Bein einer Hostess abschlägt.

In der Halle sind alle Klappstühle besetzt. Verzweiflung liegt in der Luft: So heißt zumindest Assads neues Parfüm, dessen salzige Kopfnote von den Tränen syrischer Waisen herrührt. In der letzten Reihe verteilt Kim Jong-un ein paar Einheitsfrisuren zum Aufstecken, daneben führt Alexander Lukaschenko einen Zaubertrick vor: wie man Journalisten mit nur einer Unterschrift für immer verschwinden lassen kann. Als Gauck ans Rednerpult tritt, gibt es einen kleinen Eklat. Der Bundespräsident hat vergessen, das Holzkreuz abzunehmen, das an einer Kette um seinen Hals baumelt. Zuschauer reißen die Arme vors Gesicht, zischen aus Mund und Ohren, Assad wirft sogar Blasen, bis Lukaschenko nach vorne stürmt und das Kreuz mit einer Unterschrift verschwinden lässt. Szenenapplaus brandet auf, dann kehrt Ruhe ein.

„Wenn ich vor euch stehe, o gemischte Tyrannen, verspüre ich einen Schmerz. Ganz tief hier drin“, beginnt Gauck und legt eine Hand auf den Leib. „Wahrscheinlich waren die Krabben verdorben.“ Er rülpst leise ins Mikro. „Jetzt aber zu euch. Ich bin irgendwie total betroffen vom Zustand eurer Länder.“ Alle nicken irgendwie total. „Wie könnt ihr zusehen, wie euer Volk verhungert? Von euren Terrassen aus, auf Liegestühlen aus Swarovski-Kristallen, während euch blonde Bimbos fellationieren.“ Gauck wiegt den Kopf, als lausche er einer großen Leere zwischen den Ohren. „Aber gelebte Solidarität, das ist doch nicht nur ein Wort. Es sind zwei!“ ruft er jetzt und hält drei Finger in die Luft. „Fangt in eurer Nähe an. Die Palastwache auch mal zu einem heißen Blutbad einladen. Gemeinsames Hate-Yoga! Gruppen-Pilatus!“ Gauck blickt in nachdenkliche, fast menschliche Gesichter. „Dann: eure Familien. Warum immer nur Oppositionelle erschießen lassen, wenn es auch mal der eigene Onkel sein kann?“ Alle drehen sich nach Kim um, der sich artig bedankt. „Nehmt euch aber auch Zeit für euch selbst. Dem inneren Diktator mal eine Waffenruhe schenken.“ Gauck hat sich warm geredet, Lukaschenko bittet einen Journalisten sogar um dessen Abschrift der letzten Sätze, bevor er ihn verschwinden lässt. „Zuletzt: eure Feinde. Übt Nachsicht. Ich weiß, dass es schwerfällt. Ich spüre, dass ihr verletzt seid.“ Wie zum Beweis hebt ein Viertel des Auditoriums bandagierte Extremitäten in die Luft: Spuren der Mordanschläge, denen sie regelmäßig ausgesetzt sind. „Schießt nicht immer gleich aufs eigene Volk. Das können genauso gut die Amerikaner bei ihrer nächsten Intervention erledigen.“ Zustimmendes Gemurmel. „Beim Waterboarding auch mal an den Wasserverbrauch, denken. Im Straflager einen Kinderspielplatz einrichten, mit einer heiteren Rutsche aus Stacheldraht. Auch mal eine Lichterkette mit Demonstranten bilden.“ Empörtes Zischeln dringt von den teuren Plätzen, bis ein Nachwuchsputschist auf einem der Sperrsitze die Hand hebt.

„Nachdem man sie mit Benzin übergossen und angezündet hat?“ fragt er und Gauck nickt verschmitzt. Damit hat er die Bande im Sack, tosender Applaus erhebt sich. „Ich danke Ihnen für Ihre Herzlosigkeit.“ Der Bundespräsident knickst, „Sic semper tyrannis“-Rufe werden laut. Gauck kann wieder einmal sehr selbstzufrieden sein.

taz vom 16.04.2014
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