Jun 092014
 

Vedische und brahmanische Religion

Von Paul Gäbler

Inhalt

1. Vorgeschichtliche Funde
2. Vedische Religion
3. Brahmanische Religion 

Übersetzungen
Literatur
Links

Evangelisches Kirchenlexikon – Kirchlich-theologisches Handwörterbuch, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1. Auflage 1959, Band P-Z, Spalte 1618-1621


1. Vorgeschichtliche Funde

Die ältesten Spuren religiöser Vorstellungen in Indien reichen bis ins 3. Jahrtausend vor Christus zurück und gehören der sog. Induskultur an. Es sind kleine Idole verschiedener Art, die bei den Ausgrabungen in Mohenjo-Daro und Harappâ geborgen worden sind. Diese Funde sprechen dafür, dass in der damaligen Zeit eine männliche Gottheit, eine Muttergöttin und auch Tiere göttlich verehrt wurden. Aber da die Bilderschrift auf den Siegeln noch nicht entziffert worden ist und sonstige schriftliche Aufzeichnungen nicht vorliegen, ist man lediglich auf Vermutungen angewiesen. Man weiß nicht einmal mit Sicherheit, ob es sich hierbei um die Religion (und Kultur) der frühesten Einwohner Indiens – und wenn so, vermutlich der Urdraviden – handelt oder um die fremder Einwanderer.

2. Die vedische Religion

Die vedische Religion, auch Vedismus genannt, bringt uns auf gesicherten geschichtlichen Boden. Es ist die Religion der arischen Einwanderer Nordindiens im 2. und 1. Jahrtausend vor Christus und spiegelt sich in den Veden. Diese vedische Religion bildet die Grundlage des späteren Hinduismus und ist doch zugleich in mancher Hinsicht von ihm verschieden.

a) Die religiösen Vorstellungen, die uns begegnen, sind von einer doppelten Art. Auf der einen Seite tritt uns eine auf niedriger Stufe stehende Volksreligion entgegen, auf der anderen Seite eine Religionsanschauung, die es mit einem Götterglauben zu tun hatte, der von den Vornehmen und Gelehrten vertieft und immer mehr geläutert wurde. Die Volksreligion verrät eine präanimistische Auffassung. Nach ihr ist die ganze Natur belebt. Im Dickicht wohnt die Waldfrau, in den Flüssen hausen die Wasserfrauen (Apsaras), es gibt allerlei Geister und Dämonen. Die meisten dieser Gottheiten gelten als gefährlich; sie sind Machtwesen, Potenzträger, denen man lieber aus dem Wege geht. Sonst könnte man von ihnen erschreckt, geschädigt oder beschädigt werden. Man suchte sich ihnen gegenüber durch Amulette zu schützen, sie durch Opfer zu beschwichtigen und durch Zaubersprüche zu bannen. Daneben glaubte man auch an gute und hilfreiche Geister. Zu ihnen rechnete man z. B. die Manen, die „Väter“, d.h. die Geister der Verstorbenen, die man kultisch verehrte.

Die Gebildeten gaben sich mit diesen primitiven Anschauungen nicht zufrieden und entwickelten allmählich höhere Vorstellungen. Die Naturgottheiten traten allmählich mehr in den Hintergrund und machten Göttern Raum, Göttern mit stark menschlichen Eigenschaften und Leidenschaften.

So wurde Indra, der ursprünglich ein Kraftdämon war, zu einem Nationalgott, der durch seine unwiderstehliche Gewalt Berühmtheit erlangte, der den Donnerkeil handhabte, die Dämonen tötete und alle Feinde niederschlug. Vishnu war ein Kampfgefährte Indras, ein Heerführer und schließlich ein Weltenlenker, der für die Innehaltung der Ordnungen des Lebens sorgte. Rudra galt als der Schreckliche, Grausige, vor dem man erbebte. Er verbreitete Schrecken, machte mit seinen Pfeilen Tiere und Menschen krank. Aber er kannte sich auch mit den Heilkräutern aus und konnte Gefahren abwenden und das Vieh schützen. Bei anderen Göttern ist die Naturgrundlage noch deutlich vorhanden, z.B. bei Ushas (Morgenröte), Sûrya (Sonne), Vâyu (Wind), den Maruts (Sturmgötter), Agni (Feuer).

Grundsätzlich ist noch zu bemerken, dass man in der vedischen Zeit von einer Seelenwanderung und Wiederverkörperung noch nichts wusste. Man meinte vielmehr, dass die Frommen nach ihrem Tode an einen Ort der Seligkeit gelangten, wo sie nach Herzenslust schmausen und zechen konnten. Auch die Vorstellung, dass die Welt unwirklich, eine Täuschung und Illusion (mâyâ) sei, fehlte noch vollständig. Statt dessen hielt man sie für eine Wirklichkeit und bewertete sie positiv. Das Wort mâyâ, das ziemlich häufig in den Veden vorkommt, bedeutet dort im allgemeinen Macht; erst in viel späterer Zeit bekam es den Sinn: verführerische, verblendende Macht, Täuschung.

b) Die kultischen Handlungen spielten in der vedischen Zeit eine überaus wichtige Rolle. Die Opfer, die man darbrachte – nicht in Tempeln, sondern auf Opferbänken -, waren Milch, geronnene Butter und das Fleisch von Tieren, vor allem aber der dem persischen Haoma entsprechende Soma, der berauschende Opfertrank, von dem man glaubte, dass er den Göttern Stärke verlieh. Die Priester begleiteten die Opfer mit ihren Sprüchen und Gesängen, die sie aus den Veden rezitierten. Diese Worte galten als mit besonderer Kraft geladen und wurden geradezu als Zaubersprüche betrachtet, mit denen man sogar die Götter zwingen konnte. Im Wort des Priesters lag Kraft und Macht, Heil zu wirken ebenso wie Feinde und Missetäter zu verderben.

c) Die sozialen Verhältnisse, die uns bereits die frühsten Gesänge der Veden aufzeigen, sind durch den Gegensatz zwischen den hellfarbigen arischen Eroberern und den dunkelfarbigen unterlegenen Ureinwohnern bestimmt. Der berühmte Hymnus in Rigveda 10,90,1 ff., der zu den späteren Partien gehört, schildert die Entstehung der Welt aus dem Urwesen Purusha, um dann in Strophe 12 fortzufahren (nach Glasenapp: Hinduismus, 1922, Seite 165):

„Zum Brâhmana ist da sein Mund geworden,
Die Arme zum Râjanya sind gemacht,
Der Vaishya aus den Schenkeln, aus den Füssen
Der Shûdra damals ward hervorgebracht.“

Aus dieser Teilung in die vier Kasten (eigentlich varna = Farbe, Gruppe) der Brahmanen, Krieger, Ackerbauern bzw. Gewerbetreibenden und der dienenden Klasse während des Ausgangs der vedischen Zeit haben sich im Verlauf der Geschichte zahllose weitere Kasten und Unterkasten entwickelt. Auf alle Fälle standen die Brahmanen, welche die Priester stellten, in der sozialen Ordnung obenan.

3. Brahmanische Religion

Die brahmanische Religion, auch als Brahmanismus bekannt, fand ihren Niederschlag in den Brâhmanas, in deren Mittelpunkt das Opfer steht. In diesem Schrifttum wird in minutiöser Weise bis in die kleinsten Kleinigkeiten hinein der haargenaue Vollzug des Opfers und aller hierher gehörigen Zeremonien beschrieben. Das ganze wurde umrankt von einer Opferspekulation, die die zahlreichen Zeremonien zu deuten versuchte. Zur Opferspekulation trat die Mytbendichtung, die durch allerlei Geschichten die Erklärung für die Entstehung der verschiedensten Zeremonien gab. Mit alledem wandelte sich der alte Götterglaube in eine Opfermystik, bei der schließlich das Opfer nur noch um seiner selbst willen dazusein schien. 

Die Brahmanen saßen nun als Priester- und Gelehrtenkaste ein für allemal fest im Sattel. Sie taten ein Weiteres: sie führten ihre Schüler in einer sehr langen Lehrzeit in die Veden und in das komplizierte Opferritual ein und achteten auf eine peinlich genaue Aussprache und Handhabung des Rituals bis in einzelne Silben hinein.

Vor allem aber fanden sie, nachdem sie angefangen hatten, das weite Feld des Opferrituals gedanklich zu durchdringen, Freude an der intellektuellen Tätigkeit. So begannen sie, deren Bedeutung zu erkennen und zu betonen. Damit nahmen sie Einfluss auf die weitere Entwicklung, die in der Richtung der philosophischen Spekulation liegen sollte und sich in steigendem Maße zum Primat des Erkenntnisaktes bekannte. So waren die Voraussetzungen für die allmähliche Entwicklung ganzer philosophischer Systeme gegeben.


Übersetzungen der Veden – der Brâhmanas (in Auswahl)

  • K. F. Geldner: Vedismus u. Brahmamsmus, in: RGL (2. Auflage 1928), Teil 9
  • A. Hillebrandt: Aus Brâhmanas und Upanischaden, 1921
  • W. Ruben: Beginn der Philosophie in Indien, 1955, Seite 37-127.

Literatur

  • P. D. Devanadan: The Concept of Mâyâ …, 1950 (vgleiche dazu IRM 1951, Seite 474-476)
  • J. N. Farquhar: An Outline of the Religious Literature of India, 1920
  • K. F. Geldner, in: RGG V, 1456-64
  • H. v. Glasenapp: Die Literaturen Indiens von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, 1929, Seite 62 ff.
  • A. Hülebrandt: Vedische Mythologie, 3 Bände, 1891-1902 (kleine Ausgabe 1912)
  • H. Jacobi: Brahmanism, in: ERE (2. Auflage 1909) II
  • St. Konow, in: Chant II, 12-54 (Vedismus), 54-66 (Brahmamsmus)
  • H. Oldenberg: Die Weltanschauung der Brâhmana-Texte, 1919
  • S. Radhakrishnan: Indische Philosophie II, 1956.

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