Jul 222014
 

… denn wer arm ist, wird es aller Voraussicht nach bleiben 

Von Ulrike Herrmann

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Wer zahlt die höchsten Steuern im ganzen Land? Prozentual: ein Single mit 54.000 Euro Jahreseinkommen. Absolut: die Reichen. Ulrike Herrmann, Redakteurin bei der taz, schaut sich die Steuerlast sowie die Einkommens- und Vermögensverteilung genauer an, Überraschungen nicht ausgeschlossen.

Die Steuerlasten sind in Deutschland ungleich verteilt – die Einkommen noch viel ungleicher. Die neue Regierung scheint nur ein Thema zu kennen: Sie will unbedingt die Steuern senken. Das Kabinett war noch keine zwei Wochen im Amt, da wurden schon die ersten Entlastungen beschlossen. Auf etwa 8,4 Milliarden Euro will der Staat in diesem Jahr verzichten; für 2011 ist dann ein Steuergeschenk von weiteren 20 Milliarden geplant. Liberale und Union waren zur Wahl mit dem Slogan „Mehr Netto vom Brutto“ angetreten, und dieses Versprechen wird nun scheinbar eingelöst. Doch tatsächlich werden sich keineswegs alle Bürger über „mehr Netto“ freuen können. Stattdessen profitieren vor allem die oberen Einkommens- und Vermögensklassen.

Denn es ist ganz schlicht: Von Steuersenkungen kann nur profitieren, wer Steuern zahlt. Doch viele Beschäftigte verdienen so wenig, dass sie fast gar keine Einkommensteuern mehr abführen. Die jüngste Steuerstatistik stammt aus dem Jahr 2005 und damals trug die ärmere Hälfte der Steuerpflichtigen nur noch ganze 6,8 Prozent zur gesamten Einkommensteuer bei.

Oder anders herum ausgedrückt: Vor allem die Reichen zahlen die Einkommensteuer. So finanziert das oberste Tausendstel der Bevölkerung bereits 10,1 Prozent der Einkommensteuer, das reichste Prozent ist für 22,7 Prozent verantwortlich und das oberste Fünftel kommt für knapp 70 Prozent der Einkommensteuern auf. Zu diesem reichsten Fünftel zählte übrigens schon, wer 50.812 Euro im Jahr verdiente.

Da könnte natürlich schnell Mitleid aufkommen und der Eindruck entstehen, als müssten die Spitzenverdiener in Deutschland tatsächlich entlastet werden. Gerade die fdp rechnet ja immer wieder vor, wie sehr die „Leistungsträger“ vom Fiskus ausgeplündert würden. Warum sind die Regierungspläne also trotzdem unfair, die Einkommensteuern zu senken und die Reichen zu begünstigen? 

Erstens: Nicht nur die Steuern sind ungleich verteilt – die Einkommen sind es auch. Die obere Hälfte der Steuerzahler verfügt über 81,3 Prozent aller Einkommen. Für die ärmere Hälfte bleibt also fast nichts mehr übrig. Besonders an der Spitze sammelt sich der Reichtum. So kontrolliert das oberste Prozent der Deutschen bereits 12 Prozent der gesamten Einkünfte. Es ist also nur konsequent, wenn die Spitzenverdiener auch einen großen Teil der Einkommensteuer zahlen.

Zweitens: Ein hoher Anteil an der Einkommensteuer bedeutet nicht automatisch, dass die Reichen übermäßig belastet würden. Selbst die absoluten Spitzenverdiener zahlen im Durchschnitt nur 23.8 Prozent an Steuern auf ihre Einkünfte. wie im Armuts- und Reichtumsbericht nachzulesen ist.

Sogar Multimillionäre wissen sich so arm zu rechnen, dass sie deutlich unter dem offiziellen Spitzensteuersatz bleiben. Das Deutsche lnstitut für Wirtschaftsforschung (diw) hat einmal die Steuerlast der 450 reichsten Deutschen untersucht, die 2002 im Durchschnitt jeweils 22 Millionen Euro an jährlichen Einkünften erzielten. Das erstaunliche Ergebnis: Auch diese Superreichen zahlten durchschnittlich nur 34 Prozent an Einkommensteuern – und damit deutlich weniger als den gesetzlichen Steuersatz. Denn eigentlich wären damals 48,5 Prozent fällig gewesen. Doch für die Multimillionäre gab es vielfältige Freibeträge, Abzugsbeträge und andere Vergünstigungen, die sie steuersparend zu nutzen wussten.

Drittens: Die großen Lasten entstehen gar nicht mehr bei der Lohn- und Einkommensteuer, die schon fast zu einer Bagatellsteuer verkommen ist. lhr Gesamtaufkommen dürfte im Jahr 2010 nur noch bei rund 170 Milliarden Euro liegen.

Zum Vergleich: Bei der Mehrwertsteuer wird mit 180 Milliarden gerechnet. Und es gibt ja noch weitere Verbrauchsteuern. Allein die Energie- und die Tabaksteuer sollen noch einmal 53 Milliarden einbringen. Das deutsche Steuergefüge hat sich also völlig verschoben. Der Staat finanziert sich immer stärker durch die indirekten Steuern, die alle Bürger gleich betreffen, den Niedriglöhner genauso wie den Multimillionär.

Dieser Trend zeigt sich nirgends so deutlich wie bei den Großunternehmen, die besonders stark von den vergangenen Steuerreformen profitiert haben: Für 2010 sind als Körperschaftsteuer nur noch ganze 7,2 Mllliarden eingeplant. Da wird sogar die Versicherungsteuer mit 10,45 Milliarden deutlich ergiebiger sein.

Wie stark die Einkommensteuern schrumpfen, wird im Vergleich mit früheren Jahren deutlich: Bis 1990 machten diese direkten Steuern etwa 60 Prozent des Gesamtaufkommens aus – und lagen damit weit vor den indirekten Steuern wie der Mehrwertsteuer. Doch seither steigen die Verbrauchssteuern stetig. Sie haben die Einkommens- und Unternehmensteuern mittlerweile überholt.

Viertens: Für die meisten Bürger sind die Sozialabgaben die eigentliche Bürde. Selbst die Ärmeren werden nicht geschont. Bei einem alleinstehenden Geringverdiener machen Steuern und Sozialabgaben inzwischen 47,3 Prozent der Arbeitskosten aus, wie die oecd ermittelt hat. Das ist nach Belgien der zweithöchste Wert in allen lndustrieländern. Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern, wo beide durchschnittlich verdienen, liegt die Gesamtbelastung immer noch bei 45,2 Prozent. Die Multimillionäre kommen also sehr billig davon, wenn sie nur 34 Prozent ihres Einkommens als Steuern abführen müssen.

Natürlich müssen sich auch Spitzenverdiener um ihre Gesundheit kümmern, doch können sie diese Kosten mühelos verkraften. Denn bei den gesetzlichen Krankenkassen liegt die Beitragsbemessungsgrenze momentan bei 3.675 Euro monatlich; das Einkommen darüber wird nicht mehr herangezogen. Für Multimillionäre sind diese Beiträge also Peanuts.

übrigens werden diese Beitragsbemessungsgrenzen von der oecd regelmäßig kritisiert, weil sie für einen völlig widersinnigen Effekt sorgen: Die Progression bei den Steuer- und Sozialabgaben sinkt wieder, je weiter das Einkommen steigt. Die maximale Belastung wird bei einem Single erreicht, der rund 53.000 Euro im Jahr verdient. Bei ihm fallen Abzüge in Höhe von 53,7 Prozent seiner Arbeitskosten an. Bei einem Jahresgehalt von 110.000 Euro müssen hingegen nur noch 50 Prozent abgeführt werden. Damit liegt die Steuer- und Abgabenquote dann wieder auf dem Niveau eines Arbeitnehmers, der nur über ein Jahresgehalt von 36.500 Euro verfügt. Die Umverteilung funktioniert also bestens – von unten nach oben.

Um auf die Pläne der Bundesregierung zurückzukommen: Sie hat ihre Absichten zu verbrämen versucht, indem es zunächst so aussieht, als würden nicht die Spitzenverdiener, sondern alle Familien entlastet. 2010 soll das Kindergeld um zwanzig Euro steigen -wovon natürlich auch Eltern profitieren, die zu arm sind, um Einkommensteuern zu entrichten. Angesichts dieser Gießkannen-Politik fiel nur noch am Rande auf, dass der Nachwuchs reicher Eltern ehr wert ist: Mit dem erhöhten Kinderfreibetrag lassen sich bei der Steuer bis zu 35 Euro monatlich sparen.

Ab 2011 soll die Steuer dann in der klassischen Form gesenkt werden, indem der gesamte Tarif „einfacher, niedriger und gerechter“ gestaltet wird, wie es die fdp so schön formuliert. Von derartigen Bemühungen haben bisher immer die Spitzenverdiener überproportional profitiert.

Bei diesen Plänen stört nur noch die Realität: Durch die Kosten der Finanzkrise ist der Staat eigentlich nicht mehr in der Lage, auf Einnahmen zu verzichten. Allerdings haben sich fdp und csu derartig monothematisch auf Steuersenkungen festgelegt, dass ein taktischer Rückzug nicht mehr denkbar scheint. Das Ergebnis dürfte ein fauler Kompromiss sein. Die Einkommensteuern werden gesenkt – dafür steigen dann etwas später die Gebühren und Abgaben. Damit würde der Trend fortgesetzt, dass die indirekten Steuern seit Jahren immer wichtiger werden, die Spitzenverdiener und Niedriglöhner gleich stark belasten.

Aber die schwarz-gelbe Koalition kümmert sich ja nicht nur um die Einkommensteuern. Parallel wurde auch die Erbschaftsteuer reformiert – und zwar ganz im Sinne der Unternehmer. Jetzt muss ein Betrieb nur noch sieben Jahre fortgeführt werden, ohne dass Arbeitsplätze abgebaut werden, damit er steuerfrei vererbt werden kann. Selbst Milliardenvermögen bleiben also künftig verschont. Zudem werden Geschwister sowie Nichten und Neffen besser gestellt.

Auch diese Reform liegt im Trend: Die deutsche Erbschaftsteuer ist schon jetzt sensationell niedrig im internationalen Vergleich. 2008 belief sie sich auf ganze 4,7 Milliarden Euro – zum Vergleich: die Branntweinsteuer brachte 2,1 Milliarden Euro.

Während die Branntweinsteuer jedoch zu den Bagatellen im deutschen Steuerrecht gehört, wird mit der Erbschaftsteuer ein zentrales Instrument aus der Hand gegeben, um für sozialen Ausgleich zu sorgen. Mit ihr ließe sich zumindest ein wenig korrigieren, dass sich das Vermögen in Deutschland bei wenigen Familien konzentriert.

ln den nüchternen Zahlen der Statistiker: 2007 besaß das reichste Prozent der Bundesbürger 23 Prozent des gesamten Vermögens in Deutschland, wie das diw kürzlich ermittelt hat. Die obersten 5 Prozent verfügten gar über 46 Prozent – und das reichste Zehntel kontrollierte 61,1 Prozent. Damit hat die Ungleichheit weiter zugenommen. Bei der letzten Erhebung 2002 verfügte das oberste Zehntel erst über 57,9 Prozent des Gesamtbesitzes.

Für die Mehrheit bleibt da nicht mehr viel übrig. So besaßen zwei Drittel der Bevölkerung gar nichts oder nur sehr wenig. Die unteren 70 Prozent kommen jedenfalls noch nicht einmal auf 1 Prozent vom Gesamtvermögen – das sind 1,5 Prozent weniger als noch 2002. Auch die Mittelschicht hat also relativ verloren.

Dieser Befund lässt sich auch anders ausdrücken. Würde man alle Bundesbürger nach ihrem Vermögen in einer Reihe aufstellen, dann würde jener Mensch, der genau in der Mitte steht, über 15.288 Euro verfügen. Dieser sogenannte „Median“ gibt an, welche Summe die reiche Hälfte der Bevölkerung von der ärmeren trennt. Die deutliche Mehrheit in Deutschland muss demnach ohne großes Vermögen auskommen. Das oberste Prozent hingegen besitzt durchschnittlich 817.000 Euro pro Person.

Deutschland gehörte lange zu jenen Staaten in der Welt, in den Einkommen und Vermögen relativ gerecht verteilt waren. Doch in jüngster Zeit muss die oecd konstatieren, dass in keinem Land die Ungleichheit der Einkommen so schnell zunimmt. Die neue Bundesregierung wird diesen Trend nicht stoppen.


Zeitzeichen 1/2010