Aug 182014
 

Einer, der in kein Schubfach passt 

Die Wahrheit über Willibald Jacob – und was von einer »Enthüllung« bleibt 

Von Wolfgang Hübner

Es war eine kleine Meldung auf Seite 1 der »Bild«-Zeitung, die quer durch den Blätterwald nachgedruckt wurde: der PDS-Bundestagsabgeordnete Dr. Jacob soll fürs MfS tätig gewesen sein. ND las die Akte und sprach mit dem parteilosen Willibald Jacob. 

»Enttarnt: Stasi-Pfarrer sitzt im Bundestag« hieß eine »Bild«-Überschrift am 20. August. Der evangelische Pfarrer und PDS-Bundestagsabgeordnete Willibald Jacob soll sieben Jahre lang gespitzelt haben, war zu lesen. 

Diese »Bild«-Ente ist derart gelungen, daß sie verdient, in die nächste Ausgabe von »Brehms Tierleben« aufgenommen zu werden. Denn es stimmt fast nichts. Wahr ist immerhin, daß Willibald Jacob, derzeit 1994 für die PDS im Bundestag sitzt, zuvor lange Zeit als Pfarrer der evangelischen Kirche gearbeitet hat. Er stand kritisch, aber doch loyal zur DDR. Eine Kombination, die nicht in offizielle Denkmuster passte. 

»Die haben uns nie ernstgenommen« 

Er verweigerte den Wehrdienst, lud aber andererseits den in der DDR hochgeschätzten Martin, Niemöller in seine Pfarrgemeinde nach Treuenbrietzen ein. Er setzte sich kritisch mit Bildungsinhalten an der Schule seiner Kinder auseinander, bezeichnete es aber als Vorzug, dass das Bildungsmonopol einer bestimmten Klasse gebrochen worden war. 

Mit solchen Widersprüchlichkeiten konnte das MfS nicht viel anfangen. Jacobs politische Haltung »wird. als undurchsichtig eingeschätzt«, schreibt 1974 ein verunsicherter MfS-Offizier. »Die haben uns linke Christen, die ein Verhältnis zum Sozialismus gewinnen wollten, mit diesem Anliegen nie ernst genommen«, sagt Jacob. »Je nach Bedarf waren wir Unterwanderer oder Positive, die man benutzen wollte.«
Richtig interessant wurde Jacob für die Staatssicherheit, als er sich in den 70er Jahren – wieder nach Berlin zurückgekehrt – der Niederländischen Ökumenischen Gemeinde anschloß. Diese Gemeinde, die aus den Familien von in Deutschland gebliebenen niederländischen Zwangsarbeitern entstanden war und in West- wie in Ostberlin existierte, hatte naturgemäß Kontakte ins westliche Ausland. Das rief das MfS auf den Plan. 

Jacob, der 1976/77 Vorsitzender der Gemeinde war, übte dieses Amt ehrenamtlich aus. Schon 1968 war er aus dem hauptamtlichen Küchendienst ausgeschieden. »Ich gehöre zu denen, die meinen, daß die Kirche in den Sozialkämpfen seit dem 19. Jahrhundert auf der falschen Seite gestanden hat. Wir glauben, daß wir etwas zurückgeben können, wenn wir die Bürde der arbeitenden Menschen teilen«, erklärt Jacob diesen Schritt. Deshalb ging er als Ungelernter zum Straßenbau und qualifizierte sich im Fernstudium zum Ingenieur. 

Mitte der 70er Jahre wurde der Schweizer Pfarrer Andreas Schmutz Mitarbeiter der Niederländischen Gemeinde. Er besuchte daher häufig auch den Osten, um sich ein Bild vom Leben der Christen in der DDR zu machen – ein Auftrag des
Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. Das MfS .sah in Schmutz einen möglichen Handlanger DDR-feindlicher Kreise und versuchte, alles über ihn in Erfahrung zu bringen. Dabei gerieten die Ermittler zwangsläufig an Willibald Jacob, mit dem sich Schmutz oft traf. Ein MfS-Offizier ging im Oktober 1976 zu Jacob und wollte Auskünfte über den Schweizer. 

»Das war kein normales Gespräch, auch kein politischer Dialog«, erinnert sich Jacob. »Der kam und trug gleich die Beschuldigungen gegen Schmutz vor. Nachrichtensammlung und so weiter.« Jacob ging auf die Gespräche ein, um, wie er sagt, Schaden von seiner Gemeinde und von Schmutz abzuwenden. Obwohl das sogar in einem Gesprächsprotokoll festgehalten wurde, mutmaßte das MfS Jacobs Bereitschaft zu konspirativer Tätigkeit und legte über ihn einen IM-Vorlauf »Lift« an. In späteren Berichten des Offiziers wird Jacob sogar als IM bezeichnet, obwohl er nichts davon wusste und es selbstverständlich keine Verpflichtungserklärung gibt. 

Jacob vertraute seine Gespräche mit dem MfS-Mann umgehend den engsten Vertrauten in der Kirchengemeinde an, die ihm rieten, über Schmutz‘ Arbeit zu berichten, da sie weder geheim noch gesetzwidrig sei. Das bestätigen heute Jacobs damalige Freunde in schriftlichen Erklärungen, und das bestätigt auch der MfS-Offizier selbst, der vermerkt, »in der ersten Zeit der Zusammenarbeit dekonspirierte sich der IM«. 

Erste Fahrt nach Bad Oeynhausen 

Schließlich gelangte das MfS im September 1977 zu der Überzeugung, dass dem Schweizer Pfarrer »keine Hetze oder negative Äußerungen zur DDR« anzulasten seien. Das Interesse an Jacob endete damit allerdings nicht; man wollte ihn gewinnen, als IM über die Christliche Friedenskonferenz, über niederländische Reisegruppen, über Begegnungen mit linken Christen aus der Bundesrepublik und über das Brüsewitz-Zentrum in Bad Oeynhausen (Nordrhein/Westfalen) zu berichten. 

Doch bei Jacob »traten einige Hemmungen auf«, notierte der MfS-Offizier. Jacob »brachte zum Ausdruck, dass es ihm schwerfalle, dem MfS konkrete Angaben und Einschätzungen über Personen zu geben«. Der MfS-Mann schrieb: »Die Frage, was wird mit seinen Informationen, wie werden sie ausgewertet, welche Folgen treten für den Betreffenden ein, sind Fragen, mit denen er im Laufe der Zeit fertig werden muss.« 

Doch dazu kam es nicht. Jacob führte keine Gespräche mehr mit dem MfS, da er das Staatssekretariat für Kirchenfragen für den richtigen Ansprechpartner hielt. Deshalb wurde seine Akte mit der Begründung »Ablehnung der Zusammenarbeit« geschlossen. Zwar legte das MfS den Fall Jacob erst 1984 endgültig beiseite, doch praktisch geschah den Unterlagen zufolge seit Herbst 1977 nichts mehr. 

Zumindest eine überraschend positive Folge hatte die »Bild«-Ente für Willibald Jacob: Die Veteranen des inzwischen nicht mehr existierenden Brüsewitz-Zentrums, das er nie besuchte, aber laut »Bild« bespitzelt haben soll, riefen ihn kürzlich an, weil sie ihn kennenlernen möchten. Demnächst wird Jacob zu ihnen fahren. 

Ansonsten will Jacob die Sache mit seinen Freunden aus der Kirche besprechen. »Ich bin damals vom MfS als Pfarrer angesprochen worden, und das soll heute der PDS angelastet werden. Ich möchte es auf die Kirchenebene zurückholen.« Jacob, der bereit ist, 1998 wieder für die PDS zu kandidieren, hat nach seinem »Fall« weder von den früheren noch von den heutigen Aktenverwaltern eine sonderlich gute Meinung. »Das war ein Versuch, die Bekennende Kirche zu delegitimieren und damit jene Wurzeln abzuschneiden, aus denen die Idee der Kirche im Sozialismus hervorging«, ist er überzeugt. »Man will die Affinität des Christentums zum Sozialismus für illegitim erklären, wenn daraus gefolgert wird, daß heute eine andere Gesellschaft entstehen muss.«

Neues Deutschland vom 19.09.1997 

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