Aug 042014
 

Von Gerhard Rein, Ende Juli 2014

Der Islam gehört zu Deutschland. Seit ein paar Jahren. Der Antisemitismus gehört zu Deutschland. Seit Jahrhunderten. Wissenschaftler haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es in der deutschen Gesellschaft einen Bodensatz an Antisemitismus gibt, der ziemlich konstant zwischen fünf und zehn Prozent liegt.

Wenn nun also der Bundespräsident und die Kanzlerin fast im Duett erklären, es gäbe in Deutschland keinen Platz für Antisemitismus, weder linker noch rechter, noch islamischer Couleur, dann ist das so geschichtsvergessen, so oberflächlich, so wohlfeil, dass ich nur den Kopf schütteln kann.

Dieter Graumann, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat sich freilich bedankt bei Gauck und Merkel für die Solidarität mit Israel. „Israel muss weiter als Leuchtturm von Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie im Nahen Osten überleben, als Verteidiger unserer westlichen Werte“, so Graumann in der Süddeutschen Zeitung.

Und dann sehe ich nachts auf CNN dem Krieg in Gaza zu. Grauenhaft. Leuchttürme erhellen das Kampfgebiet. Bombenabwürfe, Rauchschwaden. So also werden meine westlichen Werte verteidigt.

In Berlin wohne ich nahe am Kurfürstendamm. Ein paar Schritte vor die Tür, und ich bin inmitten der Demonstrationen. Vor vierzehn Tage sind es überwiegend junge Leute, proper gekleidet, mit ernsten Gesichtern, die dem Aufruf der palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland folgen. Sie rufen laut ihre Parolen: Freiheit für Palästina, Israel tötet Kinder, Zionismus ist Rassismus, und auch: Juden sind Schweine. Am Schluss des Zuges haben sich hinter einer Fahne der Partei die Linke eine Gruppe von etwa dreißig, vierzig nicht ganz so junge Menschen dem Protestmarsch angeschlossen. Ziemlich verbissene, verschlossene Gesichter. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, meinem Vorurteil: alte SED.

Viele Polizisten begleiten relativ entspannt den Demonstrationszug den Kurfürstendamm entlang. Es gibt kaum Rangeleien, kaum Irritationen. Eine palästinensische nationale Arbeitskommission in  Berlin verteilt ein einfaches Flugblatt an die Zuschauer auf den Gehwegen: Stoppt den israelischen Krieg in Palästina. Die barbarische Aggression gegen die Zivilbevölkerung in Gaza wird beklagt. Kein Wort in dem Flugblatt über die Hamasraketen gegen Israel. Die Aufregung beginnt nach Ende der Demo. Die Polizei wird heftig kritisiert, dass sie nicht eingegriffen habe gegen antisemitistische Parolen, antisemitische Plakate. So etwas dürfe auf deutschen Straßen nicht passieren. Große öffentliche Empörung. Die Parteispitze der Linken distanziert sich von dem mitgelaufenen Anhang. 

Einen Freitag später ist alles anders. Es ist der letzte Freitag des Monats Ramadan. Zum Qudstag versammeln sich jährlich die selbsterklärten Feinde Israels. Auch in Berlin. Eine gereizte Stimmung. Ku’damm, Ecke Schlüterstrasse treffen sich auf dem Georg-Grosz-Platz Freunde Israels. Dreihundert, vierhundert vielleicht. Sie schwenken Fahnen des Staates Israel, warnen auf Plakaten vor dem Iran, vor Khameini, vor Rihani, dem auch nicht zu  trauen sei. Ein Vertreter des Demokratischen Forum, ein Rabbi, der Botschafter Israels, erregen sich wortstark über die Attacken auf Israel. Jedem Satz wird hier laut applaudiert, der den heroischen Kampf Israels um seine Freiheit, seine Selbstverteidigung würdigt. Ich höre nicht eine einzige kritische Bemerkung über Israels andauernde Bombardierung Gazas. Der Moderator teilt aber mit, dass einige hundert Meter den Kurfürstendamm hoch, die „Hass-Demonstranten“ sich nun auf den Weg machen würden. Ich laufe ihnen entgegen. Ku’Damm, Ecke Adenauerplatz, untersuchen Polizisten jetzt sehr genau mitgebrachte Plakate und Spruchbänder. Einige werden verboten, andere zugelassen. So zum Beispiel ein riesiges Bild des syrischen Präsidenten Assad. Hinter den Lautsprecherwagen skandieren die Demonstranten die einpeitschenden Parolen ihrer Sprecher: Zionismus ist Faschismus, Israel tötet Kinder. Statt: Juden sind Schweine heißt es jetzt: Besatzer sind Schweine. Offenbar ist das akzeptabel. An der Spitze der Qudstag-Demo schreiten ein paar schwarz gekleidete orthodoxe Juden mit Schläfchen-Locken, die sich als die Tora Faithful Jews deklarieren und ebenfalls den Zionismus ablehnen. Das macht es den Stimmen auf dem Lautsprecherwagen leicht, immer wieder zu betonen, sie hätten nichts gegen Juden, sondern nur etwas gegen den Zionismus und den Staat Israel. Ku`damm, Ecke Leibnizstrasse hält eine junge Frau eine Israel-Fahne in die Höhe. Aus dem Demonstrationszug durchbrechen junge Männer den sie begleitenden engen Polizeikordon und stürzen auf die junge Frau zu. Die Polizisten fangen die jungen Männer ein. Auf dem Boulevard verteilt eine Organisation for Human Dignity and Rights ein teure, bilderreiche Vierfarbendruck-Broschüre, die den Imam Khamenei huldigt.

Ecke Schlüterstrasse treffen die Demonstranten aufeinander. Israel, Israel schreien die Israel-Freunde. Zionismus ist Rassismus, die Israel-Feinde. An der Absperrung, die beide Seiten voneinander trennt, sehe ich zwei schöne Frauen, die den Palästina-Anhängern ihre Stinke-Finger entgegen strecken. Selbstgerechtigkeit und Hass auf beiden Seiten. Im israelischen Fernsehen erklärt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: Im Unterschied zu den Palästinensern wissen wir Juden, was Barmherzigkeit ist.

Ich sehne mich nach Tel Aviv, wo am vergangenen Freitag siebentausend jüdische und arabische Israelis gemeinsam gegen eine weitere Bombardierung Gazas demonstrierten. Bis ein Raketenalarm, und damit die Hamas, sie auseinander trieb. Hier in Berlin sind die  Demonstrationen einigermaßen glimpflich abgelaufen, aber auf dem Weg zurück zu meiner Ecke Kurfürstendamm wächst meine Besorgnis eher als das sie abnimmt. Das dünne Eis, auf dem wir leben, die zarte Balance, die diese Stadt prägt und ausmacht, kann  durch eine sich verbreitende Polarisierung schnell einbrechen, die vor allem durch eine unentschlossene, verharmlosende Politik mit entfacht wird.

Israel bombardiert, Deutschland finanziert, schreien die Demonstranten auf dem Kurfürstendamm. Sie haben ja weitgehend Recht. Deutschland unterstützt die israelische Armee. Deutschland verkauft Katar, der Schutzmacht der Hamas, Waffen. Wir profitieren von den Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Aber dazu schweigt die politische Klasse. Dazu ist von den Gaucks und Merkels kein Wort zu hören. Die Existenz Israels wird zur Staatsraison Deutschlands ausgerufen. Dabei befeuert die Unterstützung der Regierung Netanjahu/Liebermann und die Diktatur Katars den Antisemitismus in Deutschland, den unsere politische Elite so scheinheilig beklagt. 


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