Sep 062014
 

Von Christian Bommarius 

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Der Bundespräsident hat eine richtige Debatte zur falschen Zeit eröffnet und vergessen, seine durchaus interessante Botschaft mit dem entscheidenden Gedanken zu versehen. Selbstverständlich ist es nicht nur richtig, sondern dringend geboten, dass die Deutschen ihre gar nicht mehr neue, aber ihnen noch immer fremde Rolle in der Welt bedenken. Dass Joachim Gauck sie dazu ermuntert, international mehr Präsenz zu zeigen – in der Diplomatie, beim Schutz der Menschenrechte, mit der Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen als „ultima ratio“ -. ist nur insofern bemerkenswert, als die Deutschen dieser Ermunterung fast ein Vierteljahrhundert nach der Vereinigung und der Rückkehr Deutschlands in die sogenannte Weltpolitik noch immer zu bedürfen scheinen.

Die sofort erhobene Beschuldigung – von Linken-Politikern bis hin zum unvermeidlichen ehemaligen CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer, der Gauck auf Facebook als „Dschihadisten“ diffamierte – der Bundespräsident sei ein „Kriegstreiber“ – ist bizarr. Und die Fotomontage, in der Todenhöfer Gauck als Terroristen-Chef AI Zawahiri zeigt, ist von einer demagogischen Kraft, die keinen Vergleich mit dem „Stürmer“ zu scheuen braucht.

Allerdings wirft Gauck mit seinen Äußerungen mehr Fragen auf, als er beantwortet. Wenn er – wie Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen – glaubt, in der derzeitigen weltpolitischen Lage den verstärkten militärischen Einsatz der Bundeswehr empfehlen zu müssen: An welchen Einsatz an welchem Ort zum welchem Zweck denken Joachim Gauck und Ursula von der Leyen genau? Halten sie eine militärische Operation in der Ukraine für aussichtsreich, neigen sie eventuell einem Nato-Einsatz in Bagdad zu oder eher vor den Toren von Damaskus?

Tatsächlich ist es so, dass kein einziger der derzeit die weltpolitische Agenda bestimmenden Konflikte nur den Gedanken an eine militärische Lösung – ganz zu schweigen von deutscher Beteiligung – nahelegt. Ausgerechnet in dieser Situation aber die Debatte über erweiterte Auslandseinsätze der Bundeswehr zu erneuern, ist so angemessen, wie auf einer Trauerfeier mit Hochzeitsvorbereitungen zu beginnen. Duke bellum inexpertis („Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen“): Für diese Erkenntnis hätte es nicht des Krieges in Afghanistan bedurft, in dem – entgegen der Ansicht eines ehemaligen Bundesverteidigungsministers – „unsere“ Sicherheit keineswegs am Hindukusch verteidigt wurde, sondern – ja, was eigentlich?

Gute Erfolgsaussichten sind die Grundbedingung eines Militäreinsatzes, aber sie sind noch keine Legitimation. Der Bundespräsident hat mit der Behauptung recht: „So wie wir eine Polizei haben und nicht mir Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen.“ Und selbstverständlich ist ihm auch darin zuzustimmen, dass dann „als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich“ ist. Aber weder die politische Zweckmäßigkeit noch das Gebot der Moral kann einen Auslandseinsatz der Bundeswehr legitimieren. Dafür genügt nicht einmal eine Volksabstimmung, kein Parlamentsbeschluss oder ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Vorbehalt von Art. 87a GG

Die Entscheidung über einen Kriegseinsatz der eigenen Armee ist eine Entscheidung über Leben und Tod – auch der eigenen Soldaten. Ihre Legitimation kann sie nur im Grundgesetz finden und nirgendwo sonst. Aber dort findet sie sie bisher nicht. Wer – wie der Bundespräsident – für eine Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr plädiert, müsste also zuerst über eine Änderung der Verfassung reden. Denn die bestimmt die Bundeswehr ausschließlich zur Verteidigungsarmee, nicht zur menschenrechtlichen Interventionstruppe. Wer das ändern will – dafür sprechen durchaus einige gute Gründe -, der muss die künftigen Aufgaben der Bundeswehr genau bestimmen, ihre Reichweite und ihre Grenzen. Das ist ein Gebot der Verantwortung gegenüber den Soldaten, ein Gebot der Ehrlichkeit gegenüber den Bürgern und ein Gebot der Souveränität der Republik.

Wie souverän ist ein Staat, der von „Verantwortung“ spricht, wenn er Interesse meint? Wie souverän wird er sein, wenn die Moral in ihrem Blut zurückkehrt, getroffen von einer deutschen Kugel, erschossen mit einem deutschen Gewehr, zerfetzt von einer deutschen Granate – von der Vorhut der Friedensmission, also der deutschen Waffenindustrie, an die gegnerischen Krieger geliefert? Und wie souverän wird er sein, wenn die Angehörigen der deutschen Soldaten fragen, in wessen Namen sie gestorben sind – im Namen des Friedens (aber der Krieg dauert fort), der Menschenrechte (aber der Tod gehört nicht dazu) oder der „Stellung“ Deutschlands in der Welt (aber davon war nie die Rede)? Diese Fragen kann nicht einmal ein Bundespräsident beantworten. Das kann allein das Grundgesetz. 

Frankfurter Rundschau vom 23. Juni 2014 


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