Apr 302015
 

Von Barbara Bauer

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„Ab ins Irrenhaus“, schrieb die „Bild“-Zeitung am 25.11.1969, die sich einer großen Leserschar erfreut. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Schlagzeile einem großen Teil der Bevölkerung sofort ins Auge springt. Irrenhaus, so wird die Stätte bezeichnet, in der seelisch Behinderte stationär untergebracht sind. Die zwischenmenschlichen Beziehungen eines solchen Kranken zu seiner Familie und seiner Umwelt sind gestört. Das Verständnis der Gesunden für diese Kranken geht verloren, und die Folge ist Angst, Scheu, Skepsis und Ablehnung. Man schiebt den Kranken ab, der angeblich störende Pol wird entfernt und „sichergestellt“. Es werden Ausflüchte und Entschuldigungen für die Notwendigkeit einer derartigen Unterbringung gefunden, um sich vor der Umwelt abzusichern. Aufgrund dieser Tatsache werden die seelisch Behinderten immer mehr auf ein Abstellgleis in Form des „Irrenhauses“ geschoben.

Eine neue Möglichkeit in der Behandlung und Betreuung seelisch Kranker bietet die Sozialpsychiatrie. Die Sozialpsychiatrie ist keine gesonderte Wissenschaft. Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, nimmt sie im Rahmen der Medizin Techniken aus anderen Disziplinen, z. B. den Sozialwissenschaften, zu Hilfe. Die Sozialpsychiatrie befasst sich mit den gesamten sozialen Faktoren, die für die Entwicklung jedes Menschen ausschlaggebend sind. Die Aufgaben der verschiedenen Arbeitsgebiete, die in der Sozialpsychiatrie zusammentreffen, können nicht von einem einzelnen gelöst werden: sie erfordern Teamarbeit. Das Team muss sich aus Ärzten, Krankenpflegepersonal, Sozialarbeitern, Pädagogen, Werktherapeuten u. a. zusammensetzen. Sozialpsychiatrisch stationäre Behandlung (auf die ich meine Ausführungen hauptsächlich beschränken möchte) sehe ich darin, dass eine Lebensgemeinschaft seelisch Kranker geschaffen wird, in der es gilt, verlorengegangene oder stark geminderte soziale Kontaktfähigkeit zu üben, zu stärken oder auszubauen. Die Einzelgespräche, die therapeutischen Gruppenstunden, das Gruppenleben überhaupt, das ständige Miteinander der Patienten und das sozio-kulturelle Programm führen dazu, den gesamten Aufenthalt auf den Stationen unter dem Aspekt eines sozialen Übungsfeldes zu sehen. Voraussetzung für diese therapeutische Auffassung ist die demokratische Grundhaltung des Personals untereinander, aber auch gegenüber den Patienten. Äußere und in diesem Falle unnötige, wenn nicht sogar die Arbeit störende Schranken (Titel, besondere äußere Kennzeichen, wie Kittel u. ä.) müssen abgebaut werden. Nicht ein Mitarbeiter hat Beschlüsse zu fassen, sondern das Team hat Vorschläge zu unterbreiten, die dann mit den Patienten durchgesprochen und danach beschlossen werden.

Die Sozialarbeit ist der dritte, jüngste Bereich der Sozialpsychiatrie (Medizin, Krankenpflege, Sozialarbeit). Häufig wird Sozialarbeit noch zu sehr mit Verwaltungstätigkeit identifiziert.

Durch die Ausbildung in den methodischen Lehren ist gerade der Sozialarbeiter in der Lage, die vielfältigen Aufgaben der Sozialpsychiatrie entscheidend zu beeinflussen. Er muss von dem ihm vermittelten Wissen Gebrauch machen. Erst wenn er dieses Wissen und Können für die Arbeit an den seelisch Kranken einsetzt, können die Möglichkeiten innerhalb der Sozialpsychiatrie voll ausgeschöpft werden.

Methodische Arbeit

Für das Casework und die Sozialarbeit charakteristisch ist das Verhältnis zwischen Sozialarbeiter und Klient, die Partnerschaft. Man muss davon ausgehen, dass jeder Mensch, besonders der zum Patienten gewordene, ein Recht auf Hilfe hat. Hilfe bedeutet in diesem Falle nicht, Anweisungen zu geben, zu führen und zu leiten. Hilfe geschieht durch die Unterstützung der Person, d. h. die Anerkennung des

Patienten als Individuum. Der Patient muss angenommen werden, unabhängig von dessen Eigenarten und dessen Verhalten. Der Weg von der Hilfe zur Selbsthilfe führt also nur über die völlige und intensive Zusammenarbeit mit dem Patienten. Der Patient ist nicht ein „Objekt“, an dem eine Arbeit ausgeführt wird, sondern er ist ein Subjekt, von dessen Mitarbeit die sozialpsychiatrische Behandlung weitgehend abhängt.

Das Verhalten eines Menschen bestimmt sich nach Lewin aus Funktion von Person und Umgebung (Lebensraum). Der Mensch ist als ein Produkt seiner Umgebung anzusehen. Lehnt die Umgebung ihn ab, wird er protestieren oder sich zurückziehen. Wird er von ihr angenommen, fügt er sich ein. Es besteht also eine gegenseitige Abhängigkeit. Jedes Individuum ist beweglich. Es ist empfänglich für Kräfte, sei es innere oder äußere. Wird ein Mensch von seiner Umgebung abgelehnt, weil dieser den zurzeit bestehenden Verhaltensnormen nicht entspricht oder aufgrund einer Krankheit nicht entsprechen kann, zeigt er ein „auffälliges“ Verhalten.

Die Aufgabe der Sozialpsychiatrie ist es, die Zusammenhänge seelischer Krankheit aus diagnostischer Sicht zu klären. Das hat jedoch nur Sinn, wenn aus diesem Wissen heraus die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse muss sich die anzuwendende Therapie aufbauen.

Ein seelisch Kranker, der wegen seines Leidens aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen wird, hat immer das Bedürfnis, als gleichwertiges Glied der Gesellschaft anerkannt und trotz oder gerade mit seinen Problemen und Schwierigkeiten akzeptiert zu werden. Oft befindet sich der Patient nicht nur in seelischer, sondern auch in wirtschaftlicher Not. Hier sollten die Sozialarbeiter die rein äußere Hilfe mit der psychologischen koordinieren. Das ist deshalb besonders wichtig, weil bei den Patienten große Unkenntnisse wegen ihrer finanziellen Sicherheit bestehen. Alle Hilfemöglichkeiten, wie Krankengeldansprüche, Eingliederungsmaßnahmen, Rentenzahlungen, sind voll auszuschöpfen. Weiter werden die Kranken häufig mit juristischen Entscheidungen belastet, deren Notwendigkeit und Inhalt sie nicht übersehen können (Entmündigung, Unterhaltsklagen). All die genannten Schwierigkeiten kommen zu den ohnehin schon vorhandenen seelischen Störungen hinzu und verstärken diese, müssen also unbedingt mit in die Therapie einbezogen werden.

Der Sozialarbeiter muss seine rechtlichen Kenntnisse mit den psychologischen und pädagogischen in Einklang bringen, um so ein fundiertes Vertrauensverhältnis zu dem Patienten aufzubauen. Vom Beginn der Behandlung an muss mit dem Patienten auf das eine Ziel hingearbeitet werden: er muss wieder Mut finden, er selbst zu sein und seine Rechte, aber auch seine Pflichten wahrzunehmen. Er muss den Wunsch verspüren und die Notwendigkeit erkennen, eigene Entscheidungen treffen zu wollen und treffen zu müssen.

Viele Patienten klammern sich mit einer Verbissenheit an die Erreichung eines bestimmten Zieles, das oftmals mit der Erreichung eines bestimmten Sozialprestiges verbunden ist, welches zu erreichen sie jedoch nicht mehr in der Lage sind. Deshalb ist es ein wesentlicher Punkt in der Casework-Tätigkeit des Sozialarbeiters auf einer sozialpsychiatrischen Station, dem Patienten die aufgrund der seelischen Behinderung gesetzten Grenzen bewusst zu machen.

Gruppenarbeit mit Patienten

Anfangs wurde schon darauf hingewiesen, dass die sozialen Kontakte des seelisch Kranken zu seiner Umwelt stark gestört, wenn nicht sogar zerstört sind. Es gilt nun, dem Patienten innerhalb der Klinik den wichtigen Teil der Behandlung, die Gruppentherapie, verständlich zu machen. Der Sozialarbeiter hat die Aufgabe, dem Patienten eine solche Hilfe zu geben, damit er im Laufe der Zeit realistische Beziehungen zu anderen aufnehmen und erproben kann. Das Ziel sollte sein, dass die Patienten aus eigener Initiative Kontakte suchen und finden.

Bei der Gruppenarbeit seelisch Behinderter ist zwischen der therapeutischen Gruppenstunde (Gruppengespräch) und der therapeutischen Lebensgemeinschaft mit speziellen Gruppenaktivitäten zu unterscheiden.

Bei der therapeutischen Gruppenstunde hat der Arzt die eigentliche Leitung, der Sozialarbeiter ist mehr als Co-Therapeut zu verstehen. Innerhalb der therapeutischen Gruppenstunde sollen die Patienten die Möglichkeit erhalten, ihre krankheitsbedingten Probleme und Schwierigkeiten in die Gruppe hineinzutragen. Somit werden die anderen Patienten (der Mediziner gibt die direkt an ihn gestellten Fragen an die Gesamt-Gruppe zurück) animiert, ihre Meinung zu diesen gemeinsamen Problemen zu äußern. Damit soll erreicht werden, dass nicht die Mitarbeiter des Teams Vorschläge zu den Lösungsmöglichkeiten machen, sondern dass sich die Gruppe untereinander trägt, sich gegenseitig hilft, sich anerkennt und Schwierigkeiten untereinander behandelt und erörtert. Die Patienten finden hier Gelegenheit, eigene Erfahrungen mit in den Dienst der Therapie zu stellen. Die Wechselwirkung ist hierbei nicht zu verkennen, wenn ein Patient keinen Ausweg aus seiner problematischen Lage sieht und deshalb verzweifelt ist, und ein anderer versucht, den Verzweifelten anzuerkennen und zu stärken, indem er sich ihm offenbart, d. h., ihm rein persönliche Dinge an vertraut. Diese speziell therapeutische Arbeit ist zwar eine Domäne des Mediziners, der Sozialarbeiter sollte aber als Co-Therapeut fungieren. Dagegen ist die Gruppenarbeit in Form von Gruppenaktivitäten eine spezielle Aufgabe für den Sozialarbeiter (und den u.U. vorhandenen Pädagogen). Ausschlaggebend für den Erfolg der Gruppenarbeit ist die richtige Aufstellung des Programmes. Bei vielen Patienten dauert es relativ lange Zeit, bis sie sich solchen Aktivitäten anschließen. Es bedarf zu diesem Zweck besonderer Zuwendung und intensiver Bemühung, um den Patienten von der Notwendigkeit der Teilnahme und der Mitarbeit an den gemeinsamen Veranstaltungen zu überzeugen. Die Aktivitäten müssen den individuellen Schwierigkeiten der Patienten angepasst sein; somit erhalten diese einen therapeutischen Aspekt. Es muss erreicht werden, dass die Patienten sämtliche Veranstaltungen als die ihren anerkennen und nicht den Eindruck bekommen, als seien sie für sie gemacht. Damit soll erreicht werden, dass sie sich aktiv für ihre und die der Allgemeinheit betreffenden Belange einsetzen. Von dem Sozialarbeiter erfordert eine Zusammenstellung des Programmes viel Phantasie und gutes psychologisches Wissen, um Wünsche, Vorstellungen und Anregungen der Patienten mit den notwendigen therapeutischen Erfordernissen koordinieren zu können.

Die gesamte Gruppenarbeit muss so verlaufen, dass die Gruppe von jedem Patienten als eine solche Gemeinschaft angesehen wird, in der kein Mitglied unwichtig ist. Es muss zu einem Miteinander kommen, in dem sich ein jeder als mitverantwortlich fühlen und wissen soll. Vielen Patienten war die Gewissheit des Anerkanntsein fremd geworden, und deshalb ist es für sie therapeutisch wichtig, während ihres Aufenthalts in der Klinik die Erfahrung zu machen, dass sie wieder ernst genommen und ihre Meinungen und ihr Einsatz respektiert werden. Das bloße Dulden muss ein Ende haben und durch Annehmen ersetzt werden.

Für die inhaltliche Programmgestaltung der Gruppenstunden gibt es viele Möglichkeiten. Hierbei ist besonders an Singen, Musizieren, Tanzen und Lesen zu denken. Zu erwähnen wäre hier für die Arbeit an und mit psychisch Kranken das Psychodrama und die Situationsspiele. Bei dem zuerst genannten handelt es sich um eine psychotherapeutische Methode, bei der die Patienten ihre Konfliktsituationen schauspielerisch vorführen. Damit soll erreicht werden, dass sie vor sich selbst frei und aktiv werden. Die Situationsspiele wiederum sollen als gewisse Übung für das Zurechtkommen  in der Umwelt verstanden werden. Themen, wie:

„Wie stelle ich mich bei meiner neuen Arbeitsstelle vor?“ oder „Welche Hemmungen muss ich bei einer möglichen Zimmersuche überwinden?“ werden von den Patienten oft gewünscht und gespielt.

Der Sinn der gesamten Aktivitäten soll eben darin gesehen werden, dass sie entkrampfend und befreiend auf die Patienten wirken und deshalb unbedingt mit zu der Therapie gehören. Es wird deutlich, wie wenig die Medikamente allein ausrichten und wie notwendig die Koordination von Medikation, Einzel- und Gruppentherapie bei der Behandlung psychisch Kranker ist.

Elternarbeit in Gruppen

Macht die Intensität einer seelischen Erkrankung eine stationäre Unterbringung erforderlich, so darf der Kontakt des Kranken zur Familie und zum Arbeitsplatz nicht abgebrochen, sondern muss aufrechterhalten und gepflegt werden. In früherer Psychiatriepraxis herrschte die Auffassung, dass die Arbeit der Institution für psychisch Behinderte darin bestünde, den Patienten zu beobachten, medikamentös zu behandeln, um ihn dann später wieder zu entlassen. Der Patient kam also in die gleiche Umgebung, für die er eine gewisse Zeit nicht mehr tragbar war, zurück. Was aber ist mit dieser Umgebung während des Klinikaufenthaltes des Patienten unternommen worden?

Die soziale Verbindung zu der Familie ist meist stark gestört. Die Familie sieht sich gegenüber dem Verhalten des Angehörigen, aber auch gegenüber der Krankheit ratlos. Ihr ist unheimlich zumute, sie hat Angst. Aus der Unsicherheit kommt ein aggressives Verhalten zustande, und der Patient wird für bockig, unvernünftig und verrückt erklärt. Das Verständnis fehlt, die Situation verschlimmert sich, da sich beide Fronten zunehmend erhärten. Ist der Kranke in klinische Behandlung gekommen, so tritt bei den Angehörigen eine Erleichterung auf, doch es verbirgt sich hinter dieser schon wieder die erneute Sorge, wie es nach der Entlassung weitergehen wird. Aus dieser Ungewissheit wird Angst und aus der Angst wird unbewusste Ablehnung. Der Entlassene bemerkt diese Unsicherheit und Skepsis, das völlige Angenommensein fehlt. Der Teufelskreis beginnt sich erneut zu schließen.

Die Familie eines psychisch Erkrankten muss sofort mit in die Behandlung einbezogen werden, zumal die Familie oftmals mit eine der Ursachen für eine seelische Behinderung ist, zumindest aber in vielen Fällen der auslösende Faktor. Da die Familie in der Regel überfordert ist, allein mit dem Problem fertigzuwerden, muss sie ebenso wie der Kranke auf die Entlassung vorbereitet werden. Hier ist von großer Bedeutung und Notwendigkeit, Elterngruppen innerhalb der sozialpsychiatrischen Institutionen einzurichten. Der Sozialarbeiter sollte diese anregen, aufstellen und mit dem zuständigen Teamarzt führen. Der Sozialarbeiter, der besonderen Einblick in die familiäre Struktur (Erhebung der Sozialanamnese, Fremdanamnese, Gespräche mit Eltern, Einzelgespräche mit Patienten) hat, kennt die Einstellung der Familie untereinander, weiß um sonstige Schwierigkeiten innerhalb der Familie (Ehe, andere Kinder, Kinder untereinander) und kennt die häuslichen Verhältnisse (Hausbesuch, Berichte). Ähnlich wie bei der therapeutischen Patientengruppe bekommen die Elterngruppen die Gelegenheit, ihre Probleme, ihre Zweifel, ihre Angst und ihre Vorstellungen vorzubringen. Vorstellungen insofern, dass sie sich ein bestimmtes Zukunftsbild ihrer „Kinder“ gemacht haben und nun eine spezielle Erwartungshaltung ihnen gegenüber einnehmen. Was nun, wenn der Angehörige nicht in der Lage ist, diesen Erwartungen zu entsprechen? Auch die Tatsache einer massiven Krankheit, wie es die psychiatrische Behinderung ist, kann viele Eltern nicht dazu bringen, ihre Erwartungshaltung zugunsten des Patienten abzubauen. Für sie fällt eine Welt zusammen, denn ihre Wünsche und Vorstellungen hatten sie in die Person ihres »Kindes“ übertragen. Es ist verständlich, dass die Eltern, die oftmals noch mit Schuldgefühlen beladen sind, in dieser Zeit der Enttäuschung und Ratlosigkeit intensiver Stärkung und Hilfe bedürfen.

Neben dem Arzt, der die rein medizinische Behandlung, natürlich immer unter Einbeziehung der individuellen Faktoren des Patienten, durchführt, ist der Sozialarbeiter derjenige Mitarbeiter innerhalb des Teams, bei dem die Fäden (Einzelgespräche, Elterngespräche außerhalb der Gruppe, Rücksprachen mit dem Arbeitgeber usw.) zusammenlaufen. Er hat diese Zentralisierung auszunutzen, um breitangelegte Arbeit für den Patienten, für dessen Familie und damit wieder rückwirkend für den Patienten zu leisten.

Berufliche Rehabilitation

Schon zu Beginn der stationären Behandlung innerhalb der Sozialpsychiatrie wird von dem Sozialarbeiter eine Sozialanamnese erhoben. Anhand dieser bekommt der Sozialarbeiter Einblick in und einen gewissen Überblick über die soziale Umgebung des Patienten. Für die berufliche Rehabilitation sind der Ablauf der schulischen und beruflichen Entwicklung, persönliche Schwierigkeiten des Patienten während der Schulzeit, der Ausbildung und Berufstätigkeit von großer Bedeutung. Besondere Interessen werden bekannt. Es wird deutlich, auf welchen Gebieten Fähigkeiten liegen, welche Wünsche er in Bezug auf seine Ausbildung oder Berufstätigkeit hat, welche Ziele er anstrebt. Neben den eigenen Angaben des Patienten müssen die der Angehörigen, der Lehrer, der Arbeitgeber beachtet werden. Alle Angaben müssen mit dem Patienten selbst durchgesprochen und diskutiert werden. Um das Bild des Patienten so gut wie möglich abzurunden, sind die Teamgespräche innerhalb der Klinik von großer Bedeutung, in denen jeder Mitarbeiter seine Meinung und Vorschläge sowie die von ihm gemachten Beobachtungen und Erfahrungen vorträgt.

Neben den Mitarbeitern der Station müssen auch die der Beschäftigungstherapie anwesend sein. Sie geben die Auskünfte über die z. Z. bestehende arbeitsmäßige Situation des Patienten. Sie berichten von ihren Beobachtungen über die Konzentrationsfähigkeit, das Durchhaltevermögen innerhalb eines Arbeitsganges, die Genauigkeit bei der Ausführung der Arbeit, die Fähigkeiten für etwas Bestimmtes. Man erfährt von Arbeiten, die dem Patienten Freude machen, von Tätigkeiten, die ihm schwerfallen oder die er ablehnt auszuführen. Die Beschäftigungstherapie ist das Übungsfeld des Patienten in beruflicher Hinsicht. Aus diesem Grunde ist eine Teamarbeit mit den Beschäftigungstherapeuten nicht wegzudenken.

Sämtliche Ergebnisse, die innerhalb der Stations- und Therapiegespräche erarbeitet werden, müssen zusammengetragen und von dem Sozialarbeiter zu einem sozialtherapeutischen Behandlungsplan ausgearbeitet werden. Dabei gilt es, die Entwicklung des Patienten in psychischer, sozialer und beruflicher Hinsicht zu verfolgen.

Besonders wertvoll sind dabei die Therapiegespräche. Da daran alle Mitarbeiter der Stationen teilnehmen, hat man hier Gelegenheit, Patienten, über deren Beratung man sich selbst nicht im Klaren ist, „vorzustellen“, um so Vorschläge der anderen Mitarbeiter zu erfahren. Durch diese Einrichtung wird die Gefahr der Einseitigkeit oder Eingleisigkeit geringer.

Ist der Patient nach der therapeutischen Behandlung für eine Arbeitsermittlung geeignet, hat der Sozialarbeiter einen Sozio-rehabilitativ-Bericht zu erstellen, den er mit dem medizinischen Bericht des Stationsarztes zusammen an das Arbeitsamt schickt. Diese Form der Arbeitsermittlung trifft für alle Patienten zu, die ihren Arbeitsplatz aufgrund der Krankheit verloren oder aufgegeben haben oder die erstmalig (z. B. Studenten) einer Berufstätigkeit nachgehen sollen. Es ist nützlich, dass die Sozialarbeiter zu den Mitarbeitern des Arbeitsamtes einen guten Kontakt haben. Die Intensität der Arbeitsermittlung und die der Arbeitsvermittlung ist deshalb so erforderlich, weil man sich darüber im Klaren ist, welche Folgen ein fehlgeschlagener Arbeitsbeginn für den Patienten mit sich bringt. Bei der Arbeitsermittlung und -vermittlung sind nicht nur die berufliche Leistungsfähigkeit und die soziale und psychische Verfassung des Patienten ausschlaggebend, sondern der evtl. infrage kommende Arbeitsplatz muss in der Lage sein, den besonderen Umständen Rechnung zu tragen. Dazu gehört, dass der zukünftige Arbeitgeber aufgeschlossen gegenüber dem Patienten ist, dass er die Bereitschaft zeigt, mit dem Sozialarbeiter der Station (Nachtklinik) oder dem der Poliklinik zusammenzuarbeiten und dass es eine vertrauenswürdige Persönlichkeit ist. Der Patient muss die Gewissheit haben, geachtet und unvoreingenommen behandelt zu werden. Ist das nicht der Fall, so ist die Wahrscheinlichkeit gering, den Patienten unabhängig und somit selbständig zu machen.

Die berufliche Rehabilitation erfordert von dem Sozialarbeiter Vielseitigkeit. Er muss um die gesetzlichen Grundlagen (Arbeitsförderungsgesetz – Umschulung -, Arbeitsversuche, Berufsfindungsmöglichkeifen) wissen und fähig sein, Rechte der Patienten u.U. zu „erkämpfen“. Auch hier sollte der Gefahr der Eingleisigkeit und Einseitigkeit entgegengewirkt werden.

Erhebliche Schwierigkeiten ergeben sich, wenn das erwünschte Ziel des Patienten nicht erreicht werden kann, da dessen Leistungsfähigkeit aufgrund der seelischen Erkrankung nicht ausreicht. Das kommt z.B. bei Studenten vor, die in die Behandlung kommen und fest glauben, danach ihr Studium fortsetzen zu können. Eine berufliche Rehabilitation hat dann so zu erfolgen, dass versucht wird, das eigentliche Berufsziel und das z. Z. vorhandene Leistungsvermögen des Patienten zu koppeln.

Aufbau und Pflege der Außenkontakte

Der Sozialarbeiter, der innerhalb der Sozialpsychiatrie arbeitet, muss sich immer neu als Mittler zwischen Patient, Klinik und Außenwelt verstehen.

Will die Psychiatrie der Isolierung der Patienten entgegenwirken (und das muss sie), sollte sie sich der Gesellschaff gegenüber öffnen, zum anderen aber ihr auch Gelegenheit geben, Einblick in ihre Tätigkeit zu gewähren. Auch hier ist also eine Wechselwirkung zu beobachten.

Es entsteht doch die Frage, aus welchem Grunde eine solche massive Voreingenommenheit großer Teile der Gesellschaft gegenüber Minderheiten, besonders der der psychisch Behinderten, besteht. Ist es der fehlende gute Wille oder ist nicht vielmehr fehlende Information die Ursache für diese Ablehnung? Überschriften, wie die eingangs erwähnte, sind keine sachlichen Informationen, sondern bestärken den Leser in seinem Vorurteil. Es mangelt also an objektiven Berichten, die dazu führen, das Interesse für die Arbeit an und mit psychisch Erkrankten, für deren Schwierigkeiten und Bemühungen zu wecken. Es ist nicht zu verlangen, dass Außenstehende Eigeninitiative für ein Gebiet aufbringen, das sie nicht verstehen, geschweige überblicken können. Deshalb muss die Sozialpsychiatrie selbst Möglichkeiten der Aufklärung und Information suchen. Welche Möglichkeifen ergeben sich nun auf diesem Gebiet für den Sozialarbeiter?

Ein erster Schritt ist die Zusammenarbeit mit den Stellen, die sich mit der Beratung, Behandlung und Rehabilitation seelisch Behinderter beschäftigen. Je mehr diese Zusammenarbeit gepflegt und ausgebaut wird, umso massiver und vielschichtiger kann die Arbeit geschehen und nach außen hin in Erscheinung treten. Außerdem muss bedacht werden, dass bei einem Nebeneinander der Verschleiß an Arbeitskräften und finanziellen Mitteln besonders groß ist.

Weiterhin müssen bestimmte Zielgruppen der Gesellschaft angesprochen werden, wie Jugendgruppen, Jugendverbände, Verbände im Allgemeinen. Neben der Aufklärung durch persönliches Ansprechen der Gruppen, Verteilung von Schriftgut u. a. ist es notwendig, Mitarbeiter von Jugend-, Sozial- und Arbeitsämtern in die Informationsarbeit einzubeziehen. Durch Besuche der Einrichtungen und Aktivitäten sollte ihnen an Ort und Stelle Gelegenheit gegeben werden, sich über die geleistete und die zu leistende Arbeit zu informieren.

Die Aufklärung der Leiter von Jugend-, Interessen- und kirchlichen Gruppen ist eine weitere Möglichkeit, die Aufgaben der Sozialpsychiatrie weiten Kreisen der Bevölkerung zugänglich zu machen. Die Aufgabe des Sozialarbeiters ist es, sich von der Aufgeschlossenheit gegenüber der Sozialpsychiatrie und der pädagogischen und psychagogischen Fähigkeiten der Leiter zu überzeugen. Ist bei ihnen eine Bereitschaft vorhanden, mit dem Sozialarbeiter zusammenzuarbeiten, dann sollte diese gute Gelegenheit als therapeutische Möglichkeit erkannt und in Anspruch genommen werden. Die Einbeziehung der Gesellschaft in die Rehabilitationsarbeit für psychisch Erkrankte ist damit einen guten Schritt vorangekommen. Patienten, deren psychische Gesundheit es erlaubt, sollte so schnell wie möglich Gelegenheit gegeben werden, an außerhalb der Klinik stattfindenden Aktivitäten teilzunehmen.

Für die Patienten sollte das der Anfang dazu sein, den Wunsch und die Kraft zu verspüren, sich immer mehr von dem Leben in der Klinik zu lösen.

Die Behandlung der seelisch Kranken findet heute noch zum größten Teil in einem künstlich isolierten Raum statt, fern von der realen Umwelt. Dadurch ist zwangsläufig die notwendige Verbindung zwischen Patient und Gesellschaft abgebrochen. Damit fehlt auch das Wichtigste der gesamten Therapie: Der Ausbau der sozialen Kontakte zu der unmittelbaren Umgebung des Patienten. Solange dieser Zustand anhält, wird der Begriff der „Drehtürpsychiatrie“ noch mit Recht bestehen bleiben müssen. Die medikamentöse Behandlung einer seelischen Erkrankung ist nur ein Teil im Rahmen der gesamten Therapie. Medikamente können einen akuten Zustand nur mildern, erreichen aber nie eine soziale Gesundung. Speziell für den Sozialarbeiter ergeben sich folgende Möglichkeiten:

  • Vertiefte methodische Arbeit, d.h. das in Casework und Groupwork unterteilte Gespräch mit Patienten, aber auch mit deren Angehörigen.
  • Verstärkte Bemühungen auf dem Sektor der beruflichen Rehabilitation, d. h. Aufbau und Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Arbeitsämtern und anderen artverwandten Institutionen sowie fundiertes gesetzliches Wissen.
  • Systematische Information der Gesellschaft, d. h. das Ansprechen von Gruppen und Verbänden, die Verbreitung von Schriftgut, die Einbeziehung der Gesellschaft in die Rehabilitationsarbeit.

Nur so können Vorurteile abgebaut werden, eines der Ziele der Sozialpsychiatrie.


Zeitschrift für das Fürsorgewesen, Nr. 22, Seite 338 – 341