Jul 202015
 

Die Vereinbarung des Euro-Gipfels zu Griechenland

In ihrer Abschlusserklärung skizzieren die 19 Euro-Staaten die Linien für ein neues Hilfspaket für Griechenland. Darin werden die Einsparungen und Reformen genannt, die Athen im Gegenzug für neue Finanzhilfe aus dem Euro-Rettungsschirm ESM leisten muss. Der Euro-Gipfel beziffert den Finanzbedarf Griechenlands auf 82 bis 86 Milliarden Euro. Dies sind die Eckpunkte.

REFORMEN

Athen muss unverzüglich Reformen verabschieden. Bis Mittwoch, 15. Juli, sollen Rechtsvorschriften verabschiedet sein, um das Mehrwertsteuersystem zu straffen und die langfristige Tragfähigkeit des Rentensystems zu verbessern. Das griechische statistische Amt ELSTAT soll voll rechtlich unabhängig werden. Die Regierung soll zudem sicherstellen, dass die Regeln des Stabilitätsvertrages komplett umgesetzt werden.

Bis 22. Juli soll eine Zivilprozessordnung angenommen sein, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die Kosten erheblich zu senken. Die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken soll bis dahin umgesetzt werden. Erst wenn das griechische Parlament alle in der Gipfel-Erklärung enthaltenen Verpflichtungen gebilligt hat, können die Verhandlungen über ein Rettungspaket beginnen, heißt es in dem Dokument.

WEITERE REFORMEN

„Die von Griechenland vorgeschlagenen Reformmaßnahmen (müssen) erheblich ausgeweitet werden, um der deutlichen Verschlechterung der Wirtschafts- und Haushaltslage des Landes im vergangenen Jahr Rechnung zu tragen“, so die Gipfel-Erklärung. Zu den Maßnahmen zählt:

  • Durchführung ehrgeiziger Reformen des Rentensystems bis Oktober 2015
  • Verabschiedung ehrgeizigerer Produktmarktreformen und Umsetzung der OECD-Empfehlungen etwa zu verkaufsoffenen Sonntagen, Schlussverkaufs-Perioden, Eigentum an Apotheken und Bäckereien, sowie die Öffnung bestimmter Berufe wie etwa beim Fährbetrieb
  • Privatisierung des Stromübertragungsnetzbetreibers (ADMIE)
  • Modernisierung der Arbeitsmärkte etwa bei den Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen, Massenentlassungen
  • Stärkung des Finanzsektors, etwa durch bessere Steuerung der Banken und die Beseitigung sämtlicher Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme

PRIVATISIERUNGSFONDS

Athen soll mehr und schneller privatisieren. Dafür ist der Transfer von hohen griechischen Vermögenswerten an einen unabhängigen Fonds vorgesehen, der diese zu Geld macht. Dieses Geld „wird eine Quelle für die vereinbarte Rückzahlung des neuen ESM-Darlehens sein“, heißt es in dem Papier. Der Fonds soll einen Gesamtwert von 50 Milliarden Euro erzielen. Davon würden 25 Milliarden Euro für die Rückzahlung der Rekapitalisierung von Banken und anderen Vermögenswerten verwendet. Je 12,5 Milliarden Euro sollen für die Verringerung der Schuldenquote und für Investitionen genutzt werden. Der Fonds würde in Griechenland eingerichtet und von den griechischen Behörden unter Aufsicht der europäischen Einrichtungen verwaltet.

VERWALTUNG

Die griechische Verwaltung soll modernisiert werden und ihre Kosten senken. Einen ersten Vorschlag dazu soll Athen bis zum 20. Juli 2015 vorlegen. Die Zusammenarbeit mit den Geldgeber-Institutionen bei der Überwachung von Programmen soll normalisiert werden. In der Gipfelerklärung heißt es zu dem Fonds und der Verwaltungsmodernisierung: „Die oben aufgeführten Verpflichtungen sind Mindestanforderungen für die Aufnahme der Verhandlungen mit der griechischen Regierung.“

FINANZBEDARF

Der Euro-Gipfel beziffert mit Bezug auf die Geldgeber-Institutionen den Finanzbedarf Athens auf 82 bis 86 Milliarden Euro. Akut benötige Griechenland 7 Milliarden Euro bis zum 20. Juli und weitere 5 Milliarden Euro bis Mitte August.

BANKEN

Wegen der Probleme der griechischen Banken geht der Gipfel davon aus, dass ein neues Hilfsprogramm einen Puffer von 10 bis 25 Milliarden Euro für den Bankensektor schaffen müsste. Damit könnten die Banken frisches Kapital erhalten und taumelnde Banken könnten abgewickelt werden. Davon sollen 10 Milliarden Euro unmittelbar über ein Sonderkonto beim ESM bereitgestellt werden. „Der Euro-Gipfel ist sich bewusst, dass eine rasche Entscheidung über ein neues Programm eine Voraussetzung dafür ist, dass die Banken wieder öffnen können.“

ZUSÄTZLICHE MASSNAHMEN (Schulden)

Bei einem künftigen Hilfsprogramm könne es auch zusätzliche Maßnahmen geben, etwa einen längeren Tilgungsaufschub für Athen und längere Rückzahlungsfristen.

RISIKO

„Das Risiko eines nicht zügigen Abschlusses der Verhandlungen liegt vollständig bei Griechenland“, heißt es in der Erklärung.

KEIN SCHULDENSCHNITT

„Der Euro-Gipfel betont, dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht durchgeführt werden kann.“

web.de vom 13.07.2015


Staat ist keine schwäbische Hausfrau

„Sparen“ ist in der deutschen Sprache positiv besetzt. In vielen anderen Ländern ist das nicht so. In Südeuropa werden andere Begriffe verwendet.

Generalstreik! Millionen Südeuropäer gingen in dieser Woche gegen den Sparkurs ihrer Regierungen auf die Straße. In Deutschland wurden die Proteste häufig mit Kopfschütteln quittiert. Wer nicht spart, so die simple Logik, bleibt verschuldet. Für eine Volkswirtschaft muss das jedoch nicht gelten. Im Gegenteil. Wenn der Staat mitten in einer Wirtschaftskrise die Ausgaben kürzt, kann dies verheerende Folgen haben – und den Staatshaushalt auf lange Sicht sogar vollends ruinieren.

„Sparen“ ist in der deutschen Sprache positiv besetzt. Wer Geld spart, verbessert seine finanzielle Lage. Was für den einzelnen Haushalt gilt, lässt sich jedoch nicht auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Wenn ein Haushalt spart, legt er in der Regel Geld bei einer Bank an, die ihm nur deshalb Zinsen gutschreiben kann, weil andere Haushalte, Firmen oder eben der Staat sich verschulden. Wenn niemand Schulden macht, kann also auch niemand sparen.
In einer Wirtschaftskrise geben die privaten Haushalte in der Regel als Folge steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Löhne weniger Geld aus. Wenn die Nachfrage wegbricht, bröckelt auch der Investitionshunger der Konzerne.

Im Gegenteil: Anstatt neue Jobs zu schaffen, werden vorhandene vernichtet. Wenn sowohl Privatiers als auch Unternehmer nicht mehr Geld ausgeben können oder wollen, beginnt ein Teufelskreis aus rückläufiger Nachfrage und steigender Arbeitslosigkeit. Jetzt kann nur noch der Staat eingreifen – meist mit Geld, das er nicht hat: Schulden. Wenn der Staat in der Krise weniger Geld ausgibt, verstärkt er den Teufelskreis, statt ihn zu stoppen.

Es wird immer weniger

Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, die Nachfrage zurückgeht und die Unternehmen Verluste machen, nimmt der Staat auch in allen Bereichen weniger Steuern ein. Dafür steigen auf der anderen Seite Ausgaben wie die Kosten für die Sozialsysteme. Wenn ein Staat in der Krise Ausgaben kürzt, hat er im Folgejahr also nicht mehr, sondern weniger Geld zur Verfügung. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der Staat dann doch fundamental von der schwäbischen Hausfrau.

Südeuropa befindet sich mitten im Teufelskreis aus rückläufiger Nachfrage und steigender Arbeitslosigkeit. Dies ist vor allem eine Folge der Sparpolitik der letzten Jahre. Wenn die südeuropäischen Staaten an dieser Politik festhalten, ist auch kein Ende der Krise in Sicht.

Erstaunlich, dass dieser simple Zusammenhang in Deutschland nicht verstanden wird. Stattdessen wundert man sich hierzulande, dass die südeuropäischen Länder „trotz größter Sparanstrengungen“ ihre Etatziele regelmäßig verfehlen. Dass diese Ziele nicht trotz, sondern wegen des Sparens verfehlt werden, gerät im öffentlichen Diskurs oft völlig in den Hintergrund.

Enthaltsamkeit statt Sparpolitik

Einiges wäre erreicht, wenn wir uns wenigstens vom Begriff „Sparpolitik“ verabschieden würden. Im Englischen spricht man von „Austerity“ (lateinisch austeritas – strenge Enthaltsamkeit). Dieser Begriff wird als „Austerität“ auch in der deutschen Fachliteratur verwendet.

Die Franzosen sprechen gar von einer „Politique de rigueur“ (Politik der Härte/Strenge/Unerbittlichkeit). Sprachlich ein großer Unterschied zum positiv besetzten deutschen Begriff „Sparpolitik“. Unsere Sprache bestimmt unser Denken. Wahrscheinlich würden die Deutschen anders über ihre Mitmenschen in Südeuropa denken, wenn diese nicht gegen „Sparpolitik“, sondern gegen eine „Politik der Härte“ protestieren würden?

Und wenn man schon nicht auf das Wort „Sparen“ verzichten mag: Passender ist in diesem Zusammenhang wohl „Totsparen“.

Kolumne von Jens Berger „Vom Überleben in der Krise“ vom 16.07.2015 in der taz


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