Aug 012015
 
Kurz vor dem Sondergipfel zur Griechenland-Krise glaubt der griechische Finanzminister offenbar an einen letzten Trumpf: Athen erklärt seine Schulden für illegal. Aber kann diese Strategie wirklich helfen?

Von Sebastian Schoepp

Als Rafael Correa 2007 Präsident von Ecuador wurde, erbte er ein Land mit zerrütteten Staatsfinanzen, das als nahezu zahlungsunfähig galt. Der junge Präsident dachte sich damals eine eigenwillige Sanierungsmaßnahme aus – die heute in Griechenlands Linker große Popularität genießt und nun dort auch Nachahmer findet. In einem sogenannten Schuldenaudit wurden in Ecuador alle Außenstände von einer Parlamentskommission überprüft – mit dem Ergebnis, dass 70 Prozent der Schulden für illegal oder illegitim erklärt wurden, weil sie von nachweislich korrupten Vorgängern zu dubiosen Konditionen aufgenommen worden seien. Ecuador bot an, seine Schulden von privaten Banken zurückzukaufen, aber nur zu 30 Prozent des Nominalwerts. Die erwarteten Klagen blieben aus. „Binnen weniger Monate konnten wir 90 Prozent der Auslandschulden aufkaufen“, sagt der damalige Finanz- und heutige Außenminister Ricardo Patiño.

Im Februar dieses Jahres bot Ecuador den Griechen Hilfe im Schuldenstreit an. Anscheinend ist der Ruf erhört worden. Vergangene Woche erklärte ein Ausschuss des Parlaments in Athen die griechischen Schulden für illegal, illegitim und sogar schändlich. Viele Maßnahmen, die Internationaler Währungsfonds (IWF), Europäische Zentralbank und EU als Gegenleistung für Kredite verlangten, verstießen gegen die Verfassung Griechenlands, die Reformvorgaben verletzten die Menschenrechte. Dem Parlamentsausschuss gehörten griechische Politiker an, aber auch internationale Kapitalismuskritiker wie der Belgier Éric Toussaint, der als wissenschaftlicher Koordinator fungierte. Toussaint hat an dem griechischen Dokumentarfilm „Debtocracy“ (Schuldenherrschaft) von 2011 mitgewirkt, der eine Parallele zwischen Griechenland und dem südamerikanischen Ecuador zieht.

Der Bericht des Ausschusses gilt bislang als nicht bindend, er wurde auch nicht von Ministerpräsident Alexis Tsipras oder Finanzminister Yanis Varoufakis in Auftrag gegeben, sondern von der weit links stehenden Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou.

Einiges aber spricht dafür, dass Varoufakis die Argumentation des Ausschussberichts als letzte Karte ziehen könnte, wenn es dereinst darum geht, zu rechtfertigen, warum Griechenland den Schuldendienst einstellt. Die Maßnahmen, die er seit Beginn seiner Amtszeit stoisch in den Sitzungen der Euro-Gruppe vorschlägt, etwa der „Schuldentausch“ zu günstigeren Konditionen für Griechenland, ähneln dem ecuadorianischen Präzedenzfall. Auch die Forderung nach einer „ehrenvollen Einigung“ könnte aus Lateinamerika stammen.

In Ecuador ging es freilich nur um elf Milliarden Dollar, Griechenland aber ist mit 320 Milliarden Euro verschuldet. Genau auf diese gewaltige Summe gründet Varoufakis seinen Wunsch nach einem Schuldenerlass, weil der Betrag erstens sowieso nie zurückgezahlt werden könne und weil zweitens ein Bruch mit den Regeln des Finanzkapitalismus sowieso die einzig richtige Antwort auf dessen Auswüchse sei.

Der Rückgriff auf Lateinamerika ist dabei kein Zufall, der Kontinent gilt seit dem Linksruck der Nullerjahre als eine Art Laboratorium einer Politik, die die Regeln des Weltfinanzwesens infrage stellt. Varoufakis hat einst an der Universität Essex in England studiert bei dem Argentinier Ernesto Laclau, der eine postmarxistische Vision für die nach 1989 heimatlos gewordene Linke entwarf. Darin mischt er Marktwirtschaft mit starker staatlicher Reglementierung und weist Bürgergruppen eine besondere Bedeutung bei der Gestaltung von Politik zu. Laclau hatte bereits Argentinien beraten, als es 2005 seinen Gläubigern mitteilte, sie müssten auf zwei Drittel ihrer Forderungen verzichten. Bis heute liegt das Land deshalb mit US-Hedgefonds im Rechtsstreit und gilt als Paria des Weltfinanzsystems. Für viele Linke aus Südeuropa, in Griechenland und Spanien hingegen ist Argentinien ein Beispiel für erfolgreichen Widerstand gegen den IWF – den ja auch Tsipras mit einer kriminellen Vereinigung verglichen hat.

Was sie dabei außer Acht lassen: Der Hauptunterschied zwischen den rebellischen Lateinamerikanern und Südeuropa liegt auf der Einnahmeseite. Argentinien und Ecuador konnten sich ihre Alleingänge leisten, weil sie Öl und andere Ressourcen verkaufen. Ecuadors Präsident Correa kündigte die alten Förderverträge mit ausländischen Konzernen und handelte neue aus, die dem Land höhere Einnahmen sicherten. Seit der Ölpreis sinkt, schlingern allerdings auch die Rohstoffländer.

Die Griechen haben wenig anderes anzubieten als Oliven und Sonne – und sie sind anders als Argentinier und Ecuadorianer Teil eines größeren Ganzen und diesem in vielfältiger Weise verpflichtet. Doch genau dieses große Ganze – den Euro-Raum – will Yanis Varoufakis verändern, er führt erklärtermaßen einen Kreuzzug für ein Umdenken in der Schuldenpolitik, das nicht nur Griechenland, sondern nach seiner Vorstellung ganz Europa vor dem Diktat der Märkte retten soll. Bislang sieht es nicht so aus, als wollte ihm auf diesem Weg jemand folgen.

SZ vom 21.06.2015


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