Aug 142015
 
Interview von Julian Habichtsberg mit Peter Gottwald am 15.02.2015

Was ist Zen?

P. Gottwald: Zen ist eine Übungspraxis und eine Meditationspraxis, bei der du dich in der Stille, in einer bestimmten äußeren Haltung und einer inneren Haltung auf deinen Atem Konzentrierst und zwar so, wie der Atem selber kommt und geht, ohne dass man ihn „macht“. Dies geschieht möglichst in Gemeinschaft und möglichst auch mit einem Lehrer oder einer Lehrerin, und auch in einer bestimmten Form, also nicht stundenlang, sondern in einer bestimmten Periode. Dazu kommen auch noch andere Übungen, wie zum Beispiel ein im Kreis Gehen und so weiter, aber immer in dieser Konzentration auf den eigenen Atem, was das Wesentliche im Zen ist.

Zen kommt aus der buddhistischen Tradition, weil man sagt, dass das was da praktiziert wird, genau das ist, was der Buddha praktiziert hat, als er unter dem Bodhibaum saß, nachdem er erkannt hatte, dass der Weg mit den Asketen für ihn nichts war und er seinen eigenen Weg finden wollte. Dann ist er durch diese Praktiken zu genau der Erfahrung gekommen, die später Erleuchtung genannt wurde, und die praktisch zu einer neuen Art von Bewusstsein führt, mit dem man dann in der Welt ist. Man kehrt aber „nach“ diesem Erlebnis aber auch zurück in die Welt, also man verlässt diese Welt nicht. Man lebt eben in diesem Bewusstsein weiter.

Peter Gottwald 2009

Peter Gottwald 2009

Die Zenpraxis ist im 6. Jahrhundert nach Christus von Indien nach China gewandert, und dort hat es sich als Zen-Übung weiterentwickelt. Später, 1100-1200 nach Christus, kamen die ersten Japaner, die die Übung nach Japan gebracht haben, wo es sich ebenfalls weiterentwickelt hat. Heute kommt es in den Westen. Und der Punkt ist eben der, dass Zen eine Praxis ist, die nicht primär Religiös, sondern eine Praxis der Bewusstseinsentwicklung ist. Manche haben es in ihre Religiöse Praxis integriert, sodass es zum Beispiel christliche Zenlehrer und natürlich Buddhistische Zen Lehrer gibt. Das ist dann aber eine andere Art von Kombination, wenn man es mit dem religiösen Glauben verbindet. Wenn man es allerdings nur als Praxis betrachtet, die einen etwas lehrt über das, was man selber ist, dann ist es frei von Religion.

Welche Rolle spielt Zen in Ihrem Leben?

In meinem Leben spielt Zen eine zentrale Rolle, seit ich Ende 40 war und hat dazu geführt, dass ich jeden Morgen und jeden Abend 25 Minuten sitze, also meditiere. Zen hat dazu geführt, dass ich angefangen habe mich intensiver in dieser Praxis zu bemühen, indem ich Kurse mitgemacht habe. Ich hab dann drei bis viermal im Jahr wöchige Kurse bei meinem Lehrer belegt, und habe dort dann alles das erfahren, was man in der Praxis erfährt, was nämlich  von Innen kommt an Gedanken, Vorstellungen und Wünschen und so weiter. Ja, es prägt mein Leben seitdem. Inzwischen habe ich 70 solcher Kurse gemacht. In Oldenburg haben wir eine Gruppe von 7 oder 8 Leuten, die sich Montags immer treffen, um dreimal 25 Minuten zu meditieren. Ich habe Zen seitdem ich es praktiziere außerdem in meinen Unterricht, also meine Lehre von Psychologie und Psychotherapie integriert,  was denke ich auch eine wichtige Ergänzung war, weil es sonst eine relativ geringe Rolle in der Psychologie spielt. Außerdem habe ich mehrere Lehrer gehabt: Mein erster Lehrer war ein Jesuit, der Hugo Lassalle hieß und in Hiroshima gelebt hat. Er war Überlebender und Strahlenopfer von der Atombombe, aber das hat ihn nicht entmutigt und so hat er unter anderem aus Stiftungsmitteln dort die Friedenskirche erbaut und seitdem auch sehr viele Menschen in Europa in Kursen auf den Zenweg geführt. Der zweite Lehrer, bei dem ich sieben Jahre war, war ein Franziskaner, der in Dietfurt im Altmühltal im Kloster war, welches für den Lassalle einen eigenen Übungsraum gebaut hatte, wo der Pater Viktor Löw drei bis viermal im Jahr hinkonnte und diese Kurse geben konnte. Als er gestorben war, bin ich zum Paul Shepherd gekommen, der wiederum aus der selben Tradition wie Lassalle und Pater Viktor Löw kam und bei dem ich seitdem bin. Diese spezielle Tradition wurde von Generation zu Generation weitergegeben.

Was verstehen Sie unter dem Begriff „Stille“?

Stille ist, wenn man es von außen betrachtet kein Laut. Doch ich denke es ist immer wichtig zwischen äußerer und innerer Stille zu unterscheiden, denn es kann völlig lautlos sein, und dennoch ist man innerlich nicht still, sondern da bewegen sich Gedanken, Klänge und ich höre meistens Musik. Deswegen gibt es den schönen chinesischen Spruch: „Lärm ist auf dem Marktplatz nicht, noch Stille in den Bergen, sie wohnen ewig wechselnd zu innerst im Menschenherzen.“ Diesen Spruch befand ich immer als eine sehr schöne Beschreibung. Dann kann man sagen, wenn man jetzt in eine Übung eintritt, die in der äußeren Stille geschieht, dann hört man das, was sich innen äußert. Und da ist es jetzt ganz wichtig, dass man sich von dem, was da innerlich geschieht nicht dauerhaft ablenken lässt, sondern wenn man merkt, dass da etwas ist, was einen von der der Konzentration wegbringt, dann geht man mit einer ganz kleinen Bewegung zur Übung zurück. Und das tausendmal, und das ist die Praxis. Wenn man das alles macht, gibt es verschiedene Erlebnisebenen und Erlebnisweisen, und das erste was man erlebt ist, dass man ungewöhnliche Sinneseindrücke hat. Das heißt man hört anders, man hört bestimmte Dinge, manchmal riecht man auch etwas oder hat  Visionen vor sich, auch Farbbilder, aber das soll einen alles nicht ablenken, das ist nicht das Ziel. Man kehrt immer wieder zurück. Die zweite Stufe ist, dass man ungewöhnliche Erinnerungen hat, also da kommen Erinnerungen hoch, an die man gar nicht mehr gedacht hat. Und dann gibt es eine dritte Stufe, wo es sein kann, dass sich innerlich ganze Dramen abspielen, weil alles das, wieder ins Bewusstsein kommt, was man im Laufe seines Lebens erfahren hat, an Gewalt, und Angst, und Schrecken wie Krieg und Verbrechen und was nicht alles. Und das kommt hoch und spielt sich ab wie lebendige Dramen. Und da muss man auch durch. Auf der vierten Ebene, gibt es geistige Erfahrungen und die Erleuchtung, aber auch Erfahrungen, wie dass man eins ist mit der Natur ist. Das ist dann sozusagen diese letzte Stufe und dann kommt es drauf an, dass man da nicht stehen bleibt, sondern das in unseren Alltag integriert. Und dieses Integrieren unseres Ursprung in unser Bewusstsein ist keine Rückbewegung, aber das ist dann das Integrale.

Welche Art von Inspiration kann man aus der Stille erhalten?

Alles was von Innen kommt entsteht in der Stille. Egal ob das eine kreative Inspiration ist, oder ob das ein neuer Gedanke ist, oder eine ungewöhnliche Erinnerung, oder eine Phantasie, alles kommt aus dieser Stille. Und da scheiden sich die Geister: Die einen, wie auch ich, sagen, das kommt alles aus meinem Geist, der sich so und so geprägt hat durch die Kultur, durch meine Entwicklung und so weiter. Es gibt aber auch andere Menschen, die sagen: „Nein es gibt auch einen Geist außerhalb.“ Und für die Christen ist es der Heilige Geist, also ein Teil der Trinität und für andere Glaubensrichtungen ist es eben ein Geist aus einer anderen Welt.

Inwiefern kann Stille als „Weg“ betrachtet werden?

Die Stille ist noch kein Weg, der Weg ist ein Weg in der Stille. Also eine Praxis, ein meditativer Übungsweg in der Stille. Wobei das interessante ist, dass der Weg, wenn man ihn konsequent geht, einen praktisch über die Stille hinaus führt, man braucht diese Stille nicht mehr. Sie ist in Form von innerer Stille da. Und auch wenn es innerlich und äußerlich lärmend ist, weiß man, da gibt es diesen stillen Ort. Stille ist dann also kein Abstraktum mehr, das ist einfach ein Bewusstseinszustand, der kommt und geht.

Was versteht der Zen-Buddhist unter Stille-Sein?

Darunter versteht er eine bestimmte Art von Erfahrung, die eintritt, auch wieder geht und wieder kommt und wieder geht, bis es nicht mehr bedeutungsvoll ist.

Im Zusammenhang mit Meditation und Erleuchtung wird häufig von einer „Leere“ und einer „Stille“ gesprochen die der Meditierende oder der Erleuchtete empfindet – was versteht man darunter?

Leere ist ein Begriff, mit dem man versucht, einen bestimmten Bewusstseinszustand zu beschreiben. Und dann spricht man von der „Leerheit“. Das ist aber ein Zustand, den man nicht in Worte fassen kann. Aber es ist genau der zentrale Zustand um den es bei dieser Übung geht. Der Beste Text dazu ist die Herz-Sutra aus der buddhistischen Tradition, wo es heißt: als der Buddha im Morgengrauen den Morgenstern erblickte, da geschah etwas mit ihm und er brachte es so zur Sprache, dass er sagte, er erkannte in dem Moment, dass alle Gegenstände leer sind. Darüber muss man aber noch einmal auf eine bestimmte Art und Weise nachdenken. Er hat eine Art von Leerheit erfahren, die ihn von allen Leiden befreite. Das ist die Grundtatsache. Ob man jetzt weiter geht und sagt, alle Dinge sind dem Wesen nach leer, ist dann schon wieder zu viel. Die Leerheit, die ist Tatsache. Aber natürlich sind die Dinge nicht leer. Das ist das Grunddilemma wenn man von diese Leerheit spricht. Deswegen heißt es in dieser Herz-Sutra: „Form ist Leere, Leere ist Form.“ Das heißt, wenn du aus dem Zustand herauskommst, begibst du dich wieder in die Welt der Formen. Aber du weißt, das ist nur ein Aspekt der Wirklichkeit. Es gibt auch noch einen anderen Aspekt und der heißt Leerheit


Peter Gottwald – Vita

Geboren 1935 in Shanghai, Umzug der Familie in den Westen 1936, Abitur 1956 in Remscheid, Studium der Medizin bis 1962 in Kiel und München, bis 1976 Mitarbeiter am Max Planck Institut für Psychologie, bis 2001 Professor für Psychologie an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg. Verheiratet mit Karin Gottwald, lebt mit ihr in Oldenburg. Seit 1962 mit Vereinsyachten und eigenen Booten auf den Meeren unterwegs.

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