Sep 142015
 
Leseprobe aus dem Buch „Die volkseigene Erfahrung“

Von Willibald Jacob

Der Kolonialismus hat sich verwandelt. Und uns ist in einer 30jährigen indischdeutschen Partnerschaft die Bedeutung und Realität des Lokalen im Verhältnis zum Globalen aufgegangen wie nie. Global denken – lokal handeln. Mit der Ermordung von General Schneider in Chile und von Präsident Salvador Allende am 11.9.1973 taten die neoliberalen Ökonomen der USA den ersten Schritt auf dem Weg zu einer unipolaren Wirtschaftsordnung, in der die privaten Direktinvestitionen den Vorrang haben samt Deregulierung der Märkte und einer allgemeinen Reprivatisierung. Eine Welle der Strukturanpassungsreformen ging über die Länder der sog. Dritten Welt. Für die Bevölkerungen wichtige soziale Strukturen und Programme und die sie tragenden staatlichen Haushalte wurden beseitigt oder gezwungen, den Schuldendienst an die erste Stelle zu setzen. Die letzte Maßnahme ist der Abschluss von Investitionsabkommen in unseren Tagen für sämtliche Kontinente. Das Kapital soll zollfrei agieren können. Die Staaten werden seine Sklaven und der eigenen Gerichtsbarkeit der Investoren unterworfen. Für Asien wurde dieses Abkommen in Bali erarbeitet unter Anleitung der USA. Zuerst verweigerte sich Indien zu unterschreiben, weil es seine 800 Millionen Bauern schützen wollte, denen lt. Abkommen keine Subventionen mehr gewährt werden dürfen. Auf Druck der USA unterschrieb Premierminister Modi einige Monate später.

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Zu den wirtschaftlichen Maßnahmen kamen die Kriege. Soldatsein hieß jetzt, den freien Markt zu verteidigen, nicht mehr das eigene Land. Ich erinnere nochmals an die Verteidigungspolitischen Richtlinien für die Bundeswehr aus dem Jahre 1992. Die Landesverteidigung wurde überrundet durch den Angriff auf andere Länder. Das Grundgesetz und bald auch das Völkerrecht wurden unwichtig, d. h., gebrochen: Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Ukraine.

Um zu erfassen, in welche ausweglose Situation wir getrieben worden sind, haben unterschiedliche Weltregionen unterschiedliche, sehr prägnante Begriffe geprägt und benutzen sie, um ein und dasselbe Phänomen zu erfassen:

  • Das Imperium sagen Lateinamerikaner, um den großen Bruder im Norden zu kennzeichnen. Bis vor kurzem war Lateinamerika der Hinterhof der USA, deshalb „unser“ Imperium.
  • Der Hegemon sagt in der Regel Westeuropa, um die Vormacht der USA zu beschreiben. Die Europäische Union konkurriert, kennt aber den, der die Vorhand hat.
  • Die unipolare Welt sagen die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), um den einen Pol, Washington, zu ergänzen durch neue Pole. Das Ziel ist eine multipolare Welt (Machtbalance).
  • Die kapitalistische Wirtschaft sagen diejenigen in aller Welt, die die profitorientierte Wirtschaft als die Sonne erkannt haben, um die alle Planeten kreisen. Sie fragen nach einer postkapitalistischen solidarischen Ökonomie.
  • Wertegemeinschaft sagt Berlin, um auf eine mehr sentimentale Weise zu betonen, dass der Machtkomplex Europa-USA eine gemeinsame Sache ist, kulturell geeint. Aber: Was sind die Werte? Etwa der Geldwert? Geld regiert die Welt? Oder? Im Folgenden und abschließend versuche ich mich an der Unmöglichkeit dieser Konstruktion.
  • Vorher aber noch ein Blick in die Geschichte, und zwar in die Reformationszeit. Auch zur Zeit Martin Luthers gab es ein Machtzentrum zumindest für die ganze christliche Welt: Rom. Hier konzentrierte sich politische, ökonomische und geistliche (ideologische) Macht. Wegen dieser Machtvollkommenheit war Rom ein Hindernis, und Luther sagte: Rom ist der Antichrist. Nur so konnte er den Weg frei machen für die Zukunft.

Was sind die Werte der Wertegemeinschaft? Was hat die westliche Welt, haben wir zu bieten? Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat!? Wir spüren und wissen, wie diese Werte ausgehöhlt werden. Auch wir sind ein Teil des weltweiten Transformationsprozesses, der die grundlegenden sozialen Menschenrechte gewinnen will. Warum sollen auch wir umkehren?

  • Die Wertegemeinschaft schottet sich ab, plündert u.a. Afrika aus und verursacht ungeheure Flüchtlingsströme.
  • Die Wertegemeinschaft behauptet den Frieden für sich und zettelt zugleich Kriege an, ohne sie mit einem passablen Frieden abschließen zu können.
  • Die Wertegemeinschaft vertieft in sich und in aller Welt die Ungleichheit, den Riss zwischen Arm und Reich und begründet damit einen tödlichen Dauerkonflikt.

Die Wertegemeinschaft weiß um die Existenzgefährdung der Erde. Gleichzeitig vertieft sie diese Gefährdung durch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen und durch den Export ihrer Industrien und Technologien. Lokal und global heißt, wir werden diesen Planeten nicht verlassen können. Das Volkseigentum und unsere Erfahrungen in der Indienpartnerschaft erinnern uns daran, dass unsere Rettung unsere gemeinsamen Interessen sind. Diese unsere Erfahrungen sind gleichzeitig ein Ruf zur Umkehr, zur Buße.


Aus dem zweiten und abschließenden Band der Lebenserinnerungen des Pfarrers, Missionars, Arbeiterpfarrers und für vier Jahre Bundestagsabgeordnete der PDS Dr. Willibald Jacob, Seite 86 bis 88


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