Okt 092015
 

Doch der Reichtum ist sehr ungleich verteilt   

Von Walter Hiller, Juli 2014

Die Reichen werden immer reicher         

Die deutschen Reichen waren noch nie so reich wie heute. Die Spaltung hin zur „normalen“ Bevölkerung war aber auch noch nie so tief. Hundert Milliardäre standen 2012 an der Spitze von 345 000 Vermögensmillionären. Selbst im Krisenjahr 2008/09 ermittelte das Statistische Bundesamt den Zugang von 50 000 neuen Einkommensmillionären.

Innerhalb von 20 Jahren verdoppelte sich das private Vermögen von 4,6 Billionen Euro 1992 auf 10,1 Billionen 2012.  Und allein im Krisenjahr 2008 – 2012 nahm das Privatvermögen um weitere 1,4 Billionen Euro zu. Im gleichen Zeitraum dagegen ging das Nettovermögen des Staates um mehr als 800 Milliarden Euro zurück und die Schulden des Staates erhöhten sich von 0,7 Billionen  auf 2,1 Billionen Euro. Hinter diesen ungleichen Maßstäben, an denen das Verhalten von Arm und Reich gemessen wird, verbirgt sich eine  grundlegende Problematik. Die Armut von  vielen, wird durch den Reichtum weniger erzeugt.

Walter Hiller

Walter Hiller 2010

Die soziale Ungleichheit des 20. Jahrhunderts hatte nach dem zweiten Weltkrieg, in den Jahren 1945 – 1980 etwas abgenommen und war bedingt durch kräftige Lohnsteigerungen der Gewerkschaften und Eingriffe des Staates. Seither öffnet sich aber wieder die Schere zwischen oben und unten. In Deutschland setzte der Prozess bereits vor 1982 ein. Er begann bereits in der Schlussphase der Regierung von Helmut Schmidt, setzte sich unter der Regierung von Helmut Kohl durch seine neoliberale Politik massiv fort und leider gab es unter der Regierung von Gerhard Schröder keine Kursänderung.

In diesem Zusammenhang darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass viele vermögende Superreiche ihre Vermögen mit Hilfe des Staates über Krieg und Vertreibung gerettet haben  und damit  war die  Grundlage für einen Konzentrationsprozess bereits unter Ludwig Erhard gegeben, was politisch auch gewollt war. Bereits zu Beginn der 1960er Jahre stellte der Ökonom Wilhelm Krelle fest, dass 1,7 Prozent  aller westdeutschen Haushalte über 74 Prozent des Produktivvermögens  und über 35 Prozent des Gesamtvermögens verfügen. Und ganze 0,08 Prozent kontrollierten 13,2 Prozent des Geldvermögens. Dreißig Jahre später wurde diese Untersuchung wiederholt und er entdeckte trotz der langen Zeitspanne keine auffällige Veränderung.  Der Arbeiter, der 1950 180 DM verdient, erhält im Jahr 2000 1500 DM. Die Vermögenden dagegen, vor allem die Selbständigen, erleben einen fantastischen Anstieg. Diese dramatische Steigerung setzte sich bis heute  fort, wie die nachstehenden Zahlen belegen:

Privatvermögen in Deutschland Anteil der Haushalte am Netogesamtvermögen in %
Haushalte 1998  2003 2008
Oberstes Zehntel 45 49 53
nächste 4 Zehntel 52 48 46
untere Hälfte 4 3 1

  

Das reale Wirtschaftswachstum kam vor allem den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung zugute, die heute knapp 2/3 des gesamten Privatvermögens ihr eigen nennen.

Während die ärmere Hälfte, also 50 % der Deutschen nur über 1,4 Prozent des Reichtums verfügt, besitzen heute 0,1 Prozent der Superreichen sagenhafte 22,5 Prozent aller privaten Sach- und Geldwerte. Dabei ist berteits an dieser Stelle deutlich zu erkennen, dass trotz Sozialstaat und  Sozialer Marktwirtschaft es nicht gelungen ist, die ungerechten Vermögensverhältnisse zu ändern.

Topverdiener – explosive Gehaltssteigerungen

Was zu der seit Generationen existierenden kleinen Gruppe extrem reicher Menschen neu hinzugekommen ist, sind die Topverdiener. Dazu schreibt das Magazin „Der Spiegel 19/2014“: „1985 betrug das Verhältnis zwischen der Höhe der Vorstandsgehälter in den großen deutschen Aktiengesellschaften und der durchschnittlichen Vergütung ihrer Arbeitnehmer noch 20 zu 1. Heute ist es auf 200 zu 1 gestiegen. Außerdem bekommen deutsche Spitzenmanager und Banker Betriebsrenten bzw. Pensionszusagen – Daimler-Chef Dieter Zetsche etwa darf sich auf fast 30 Millionen Euro freuen“. Bereits 1997 bis 2002 schafften es die Vorstände der dreißig Dax-Gesellschaften ihr Jahresgehalt um 65 Prozent zu steigern. Diese Entwicklung hat nichts mit obwaltenden Marktkräften zu tun. Hier geht es eindeutig um die Durchsetzung von Machtentscheidungen, die sie offenbar fällen können, was übrigens in den USA noch stärker ausgeprägt ist als in Europa. 

Vergleichen wir dagegen die Einkommen der Arbeitnehmer, deren Löhne und Gehälter seit Jahren stagnieren und deren Reallohn heute dem vor 20 Jahren entspricht, ist dies auf folgende Entwicklung zurückzuführen: Etwa 60 Prozent der Produktivität, die ab der 1970er Jahre bis heute erwirtschaftet wurden, kam nicht denen zu gute, die diese Werte geschaffen haben, sondern wurden von Investoren, Aktionären und deren Spitzenmanagern kassiert. Dies wiederum führt auch dazu, dass sich die zu niedrigen Löhne später auf die Höhe der Rente negativ auswirken. Und weil die Renten heute sich ebenfalls an der Entwicklung der Löhne orientiert, ist davon auch die jetzige Rentnergeneration betroffen.

Ursache der Ungleichverteilung

Zu dieser Entwicklung trugen Steuerreformen bei: 1997 wurde die Vermögenssteuer außer Kraft gesetzt. Nach der Jahrtausendwende sanken Einkommens- und Erbschaftssteuer nochmals. Die rot-grüne Bundesregierung senkte den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 %, den Eingangssteuersatz von 25,9 auf 15 Prozent.

Bis 2008 wurden Zins- und andere Kapitalerträge nach dem Einkommensteuertarif belastet, das waren bis 42%. Anfang 2009 trat die pauschale Abgeltungssteuer mit einem Satz von 25 % in Kraft. Die Regierung hoffte, ein so niedriger Satz würde die betuchten Steuerzahler ehrlicher machen. Das Gegenteil trat ein. 2008 betrug der Kapitalertrag 13,5 Mrd. Euro und 2o11 nur noch gerade 8 Mrd. Zudem senkte Rot-Grün auch die Unternehmenssteuer,  ein großzügiges Geschenk vor allem für die großen Banken.Nach Beschluss der Regierung 1999 brauchten ab 1.1.2002 Unternehmen aus dem Verkauf von Tochtergesellschaften keine Steuern mehr bezahlen. Begründet wurde dies von Gerd Schröder mit dem Hinweis, dass der Erlös investiert und damit Arbeitsplätze geschaffen werden.  Nach Schätzungen sollten Unternehmensanteile im Wert von rund 600 Mrd. Euro den Besitzer wechseln.  Danach erhöhte die schwarz-rote große Koalition die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent und die Abgeltungssteuer kam noch obendrauf.

Finanzierungsanteile am Steueraufkommen der Topreichen, der obersten 10 Prozent

An der Einkommensteuer 54,0 %
an den Sozialversicherungsbeiträgen 23,34 %
an den indirekten Steuern (Umsatz, Energie, KFZ) 19,4 %

  

Verlauf der Einkommenssteuer-Spitzensätze in Deutschland

1995   57,0 %
2001   51,2 %
2005   44,3 %
2011   47,5 %

Vergleich Europa: Frankreich 46,7 %, Groß Britannien 50,0 %, Dänemark 51,5 %, Niederlande 52,0 %, Schweden 56,4 %

Wichtig ist aber noch folgende Feststellung: Das DIW hat einmal die Steuerlast der 450 reichsten Deutschen untersucht, die 2002 im Durchschnitt jeweils 22 Millionen Euro an Einkünften erzielten. Das erstaunliche Ergebnis: Selbst diese Superreichen zahlten durchschnittlich nur 34 Prozent  an Einkommensteuern – und damit deutlich weniger als den gesetzlichen Steuersatz.

Ergebnis: Wenn mindestens 60 Prozent des deutschen Vermögens zu den obersten 10 % der Gesellschaft gewandert sind und bei den untersten knapp 20 %, von denen inzwischen etwa 8 Millionen Menschen in Minijobs beschäftigt sind, wird durch diese Vermögensverlagerung nach oben ein fundamentales Prinzip der Demokratie, die Verteilungsgerechtigkeit missachtet.

Marsch in den Lohnsteuerstaat

Anfang der 1980er Jahre lagen Gewinn-, Vermögens- und Lohnsteuer mit 28 % gleich auf. Seither wurde die Lohnsteuer, die Mehrwert- und Mineralölsteuer auf 38 % angehoben, die Gewinnsteuer aber auf 15 % gesenkt. Somit ergibt sich, dass die Lohn- Umsatz- und Verbrauchssteuern achtzig Prozent des gesamten Steueraufkommens ergeben und die Unternehmens- und Gewinnsteuer nur mit 12 % beteiligt ist. Dieses Steuersystem enthüllt in eklatantem Maße die ungleiche Belastung der Kapitalbesitzer und der „normalen“ Arbeitnehmer. Das ist schlicht weg ein Skandal!

In diesem Zusammenhang sind auch die Reallohnverluste der Arbeitnehmer zu sehen. So stagnieren in Deutschland die Realeinkommen – als einzigem Land in Europa – um so mehr wandern die Vermögen und Einkommen nach oben. Trotz realen Lohnzuwachses seit 2009 haben die Arbeitnehmer gerade wieder das Niveau des Jahres 1997 erreicht, und das lag schon niedriger als davor. Wer heute arbeitet, kann sich dafür weniger kaufen als vor zwanzig Jahren.

Milliarden Euro für die Erben

Durch die der Erbengeneration zur Verfügung stehende Erbmasse kommt es zu einer politisch gewollten zunehmenden Vermögenskonzentration. Dazu ist festzustellen, dass diese Erben zu deren Erwirtschaftung nichts beigetragen hat. Zwischen 2000 und 2010 wurden 2 Billionen Euro vererbt. Schätzungen durch Fachleute haben ergeben, dass in diesem Jahrzehnt jedes Jahr 260  Milliarden Euro den Besitzer wechseln, was in der Summe für 10 Jahre einen Betrag von 3,2 Billionen Euro ausmacht und in privaten Händen landen. Nun wäre es wichtig, die Bundesrepublik hätte ein Gesetz mit einer höheren Erbschaftssteuer, wie das in anderen Ländern der Fall ist (Frankreich hat 50 %), dann  hätte sie 2 Billionen Euro gewonnen. Auf diese Weise hätten wir auf einen Schlag das Problem der Finanzierung eines guten Bildungssystems, den Ausbau der Verkehrswege und die Sanierung der Infrastruktur gelöst.   Nach dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarz/gelben Koalition wurden Erben erneut entlastet. Danach sanken die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer von knapp 4,8 Mrd. auf 4,2 Mrd. im Jahr 2012.Weil hier leider keine Veränderung zu erwarten ist, wird damit die Verbesserung des Gemeinwohls auf eklatante Weise missachtet und das trotz  günstiger Voraussetzungen. Wie lange wollen wir das einfach hinnehmen?

„Eigentum verpflichtet“

„Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, sagt das Grundgesetz, Artikel 14, Absatz 2.

Seit Jahren erleben wir hier eine dauerhafte Verletzung dieses Prinzips und stellen fest: Der größte Teil der Reichen und Superreichen haben Verantwortungslosigkeit zum bestimmenden Prinzip erhoben und sich gegenüber der übrigen Gesellschaft entsolidarisiert. Durch ihre private Anhäufung durch Einkommen und Vermögen auf der einen Seite, steht dieser die hohe Verschuldung des Staates gegenüber, was sich dazu auch noch in einer immer  größeren Spaltung der Gesellschaft auswirkt. Dabei müssen wir mit aller Entschiedenheit darauf hinweisen, dass Spitzenmanager eben nicht nur für ihr Unternehmen verantwortlich sind, sie haben auch eine soziale Verpflichtung gegenüber den Mitgliedern unserer Gesellschaft. Indem sie aber dieser Verpflichtung nicht nachkommen, erfolgt ein schleichender Ausstieg von Konzernen und Spitzenverdienern aus der Finanzierung des Gemeinwesens. Das Sozialstaatsgebot wird missachtet, der Sozialstaat und damit auch die Demokratie werden ausgehöhlt und unterlaufen.

Um dies zu ändern brauchen wir einen starken Staat, der interveniert und die Anarchie des Marktes beendet und dazu gehört insbesondere

  • eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes
  • ein Gesetz zur Vermögensbesteuerung
  • deutliche Erhöhung der Erbschaftssteuer
  • die Abgeltungssteuer ist in die Einkommensbesteuerung zurückzuführen
  • Austrocknen der Steueroasen
  • ein flächendeckender Mindestlohn
  • kräftige allgemeine Lohnerhöhungen
  • die Besteuerung kurzfristiger Finanztransaktionen und
  • eine Bürgerversicherung zur besseren und gerechteren Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme

Auf eine Umverteilung durch Besteuerung der Vermögenden kann nicht verzichtet werden. Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass auf dem Altar der Freihandelsideologie und des Neoliberalismus das Recht auf soziale Sicherheit und auf eine intakte Umwelt geopfert wird.

Demokratie und soziale Gerechtigkeit

Gerecht ist eine Gesellschaft dann, wenn sie ihren Bürgerinnen und Bürgern bei gleichen Voraussetzungen, unabhängig von deren Herkunft, die gleichen Chancen einräumt und die Aussicht, dass sozialer Aufstieg real möglich ist. Für folgende Bereiche sollte dies durch weitere Analysen deutlich gemacht werden:

  • bei Bildung und Ausbildung
  • bei Gesundheit und Krankheit
  • bei ethnisch/kulturellen Unterschieden
  • für Junge und Alte – Generationengerechtigkeit und
  • für die Geschlechter

In unserem demokratischen und sozialen Rechtsstaat muss soziale Gerechtigkeit permanent das Thema sein, insbesondere vor dem Hintergrund der tiefen sozialen Spaltung unserer Gesellschaft.

Darüber hinaus stellen uns Globalisierung und die Entwicklung der Europäischen Union vor neue Herausforderungen hinsichtlich des Themas Gerechtigkeit. So gehen z.B. nach Schätzungen der europäischen Kommission den EU-Staaten jährlich Einnahmen von 194 Mrd. Euro verloren. Davon entfallen auf Deutschland fast 30 Mrd. Es muss Schluss damit sein, dass Länder sich mit Niedrigsteuersätzen gegenseitig ausspielen. Dringend nötig ist eine europäische Harmonisierung der Steuerpolitik. Und ausgehend  von der  Dynamik des Kapitalismus, insbesondere des Finanzkapitalismus, der keine Moral kennt, ist eine Zähmung, eine Regulierung durch demokratische Institutionen unumgänglich. Werden diese nicht schnell geschaffen, ist unsere Demokratie und damit der Sozialstaat und das nicht nur in Deutschland, gefährdet.


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