Okt 172015
 

Hoffnung

Von Christoph Quarch

Manchmal scheint mir, die Hoffnung sei, was wir am meisten nötig haben; und dass wir jenen Hundertausenden, die diesen Sommer zu uns kommen, allein deshalb zu Dank verpflichtet sind, weil sie uns ihre Hoffnung bringen. Denn sie, die Hoffnung auf ein besseres und friedlicheres Leben, hat allem Anschein nach die vielen Flüchtlinge zum Aufbruch angetrieben. Der Sog der Hoffnung gab ihnen die Kraft, den weiten und riskanten Weg nach Norden anzutreten. Sie zog sie vorwärts, als das Heimweh sie zur Rückkehr drängte. Hoffnung, so lehren uns die Flüchtlinge, ist eine große Kraft.

Ob sie berechtigt ist oder eher nicht, spielt dabei keine Rolle. Wenn sie nur da ist, ist sie mächtig. Und wenn sie da ist, bleibt sie treu. Die Hoffnung stirbt zuletzt – wenn überhaupt, denn eines ist doch gut verbürgt: Selbst da, wo Menschen mit dem Tode ringen, ist’s die Hoffnung, die einen Sterbenden noch über jene Schwelle trägt, die ihn vom Jenseits trennt. Ratio und Logik sind der Hoffnung fremd. Sie fragt nicht gern nach Gründen oder Gegengründen. Sie scheut sich nicht, von anderen blind genannt zu werden – oder naiv, absurd, realitätsfern. Sie glaubt an sich – und gerade das macht sie so stark.

Es mag wohl sein, dass sie deshalb nicht überall in höchstem Ansehen steht. Nietzsche war es, der sie „das übelste der Übel“ schimpfte, weil sie die Qual der Menschen in die Länge ziehe. Aus diesem Grund habe sie der antiken Überlieferung nach neben allen anderen Übeln in der Büchse der Pandora gelagert. Höher im Ansehen steht sie bei Paulus, doch hält auch er sie für nicht ganz so kostbar wie die Liebe, die er als höchste aller Tugenden verehrt. Man sollte aber diese beiden nicht einander gegenüber stellen. Die Hoffnung ist bei näherer Betrachtung die Zwillingsschwester jener Liebe, von der es heißt, sie sei die Größte. Denn was uns hoffen lässt, ist stets das Wissen oder auch die Ahnung einer Zugehörigkeit – das unbegründete und gerade darin kraftvolle Vertrauen, dass dieser Kosmos eine Symphonie ist, in der sich letzthin alles fügen wird: dass wir auf wundersame Weise zum großen Weltenspiel dazugehören.

Es ist Vertrauen in das Leben, wovon sich jede Hoffnung nährt. Es ist die Liebe, die dem Leben selbst noch da gilt, wo es durch Krieg und Not verdunkelt ist. Liebe zum Leben und Vertrauen, Hoffnung auch da, wo sie absurd erscheint: dies sind die Gaben jener Menschen aus dem Morgenland. Sie können unserer von Angst und Furcht gepeinigten Gesellschaft kostbare Güter sein – wenn wir denn nur bereit sind, jenen Menschen zuzuhören und ihre Hoffnung ernst zu nehmen: ihre Erinnerung daran, dass irgendwo in allem doch ein Gutes wartet.


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