Okt 042015
 

 Ökumenischer Jugenddienst seit 1955/1956 – Seniorenkreis
Konvent in Neudietendorf  26. – 30. September 2015
„Anpassen – Beharren – Widerstehen“

 

ANPASSEN, BEHARREN, WIDERSTEHEN BEI BONHOEFFER

Von Christoph Schnyder

Einleitung: Ich bin kein Bonhoeffer-Experte

Abschnitt 1: Die Briefe, welche Bonhoeffer an meinen Konfirmationspfarrer Erwin Sutz schrieb.

Abschnitt 2: Gedanken aus dem Buch „Widerstand und Ergebung“

AUS BONHOEFFERS BRIEFEN AN PFR. SUTZ

Mein Konfirmandenpfarrer Erwin Sutz war mit Dietrich Bonhoeffer befreundet. Das findet auch in der Gesamtausgabe der Schriften von Bonhoeffer seinen Ausdruck. Die Briefe von Bonhoeffer an Sutz sind der Anfang des mehrbändigen grossen Werkes. Die Briefe stammen aus der Zeit vom 1. Dezember 1930 bis zum 21. September 1941, decken also eine entscheidend wichtige Zeit im Leben von Bonhoeffer ab.

Ich habe Ausschnitte aus drei Briefen herausgesucht und einige Bemerkungen zum Schlussabschnitt des dritten Briefes beigefügt.

Brief vom 8. Okt. 1931 (a.a.O. S. 23):

„Es sieht wirklich unerhört ernst aus. Es gibt wohl wirklich niemanden in Deutschland, der die Dinge auch nur einigermassen übersähe. Aber man steht allgemein unter dem sehr bestimmten Eindruck, vor ganz grossen Wendungen in der Weltgeschichte zu stehen… Der kommende Winter wird wohl niemanden in Deutschland unberührt lassen. 7 Millionen arbeitslos, d.h. 15 oder 20 Millionen hungrig, ich weiss nicht, wie Deutschland und wie der Einzelne das überstehen soll. Kluge Leute vom Wirtschaftsfach haben mir gesagt, die Sache sehe so aus, als ob wir in rasendem Tempo einem Ziel zugetrieben würden, das niemand kenne und aufhalten könne. Ob aber unsere Kirche noch eine Katastrophe übersteht, ob es nicht dann endgültig vorüber ist, wenn wir nicht sofort ganz anders werden? Ganz anders reden, leben. Aber wie?“

Ich fasse zusammen: Bonhoeffer sieht im Blick auf den Winter 1931/32 eine Katastrophe auf Deutschland und seine Bürger zukommen. Er ist überzeugt, dass die Kirche im Blick darauf eine Aufgabe, etwas zu sagen hätte … aber sie ist ratlos, lebt an der Situation vorbei. Mit der Kirche steht er selbst ratlos vor der Frage: Wie auf die kommende Katastrophe antworten? Es bleibt ein riesiges, beängstigendes Wie? Und wohin fahren wir?

Brief vom 28. April 1934 (a.a.O. S. 40)

(Zur Erinnerung: Am 30. Jan. 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Er schaltete zuerst seine politischen Gegner, dann sein Bundesgenossen aus.)

„Obwohl ich mit vollen Kräften in der kirchlichen Opposition mitarbeite, ist es mir doch ganz klar, dass diese Opposition nur ein Durchgangsstadium zu einer ganz anderen Opposition ist, und dass die Männer dieses ersten Vorgeplänkels zum geringsten Teil die Männer jenes zweiten Kampfes sind. Und ich glaube, die ganze Christenheit muss mit uns darum beten, dass das „Widerstehen bis aufs Blut“ kommt, und dass Menschen gefunden werden, die es erleiden… Ich glaube, … dass die ganze Sache an der Bergpredigt zur Entscheidung kommt.“

Ich erinnere an einige Sätze aus der Bergpredigt:

  • Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit
  • Selig sind die Barmherzigen
  • Selig sind die Friedensstifter
  • Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden
  • Liebet eure Feinde
  • Und betet: Dein Reich komme …

Und ich kommentiere: sehr biblisch, sehr fromm – und wenn ich euch den ganzen Text mit den Worten über das Beten, Glauben und Leiden vorläse, würde dieser Eindruck fast unerträglich verstärkt. Aber es ist aus diesem Boden, aus dem die Worte des nächsten Briefes wachsen.

Brief vom 11. September 1934 (a.a.O. S. 42f)

(Zur Erinnerung: Am 2. August 1934 machte sich Hitler nach dem Tode Hindenburgs zum Staatsoberhaupt und Führer)

„Es muss auch endlich mit der theologisch begründeten Zurückhaltung gegenüber dem Tun des Staates gebrochen werden – es ist ja doch alles nur Angst. „Tu den Mund auf für die Stummen“ (Spr. 31:8) – wer weiss denn das heute noch in der Kirche, dass dies die mindeste Forderung  der Bibel in solchen Zeiten ist. Und dann die Wehr- und Kriegsfrage etc. etc. … Hitler hat sich als der ganz klar gezeigt, der er ist, und die Kirche muss wissen, mit wem sie zu rechnen hat… Wir haben oft genug versucht – zu oft – vor Hitler vernehmlich zu machen, worum es geht… Hitler soll und darf nicht hören, er ist verstockt und soll uns gerade als solcher zum Hören zwingen – so herum liegt die Sache. Die Oxfordbewegung war naiv genug, den Versuch zu machen, Hitler zu bekehren – eine lächerliche Verkennung dessen, was vorgeht – wir sollen bekehrt werden, nicht Hitler.“

Im folgenden Abschnitt fragt Bonhoeffer Sutz, wer dieser Brandt sei, den er während den Ferien kennen gelernt habe. Brandt war ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus und hatte Sutz als gebildeter Mann mit seinen Argumenten beeindruckt. Er wies auf alles hin, was Hitler zur Überwindung der Arbeitslosigkeit und für die Schaffung eines neuen Selbstbewusstseins der Deutschen geleistet hatte. Ich erinnere an das unermessliche Leiden in Deutschland im Winter 1931/32, von dem ich im ersten Brief gelesen habe. Ich weiss nicht, ob Brandt schon damals der Leibarzt Hitlers war, später war er es sicher. Als Sutz Bonhoeffer über Person und Argumente von Brandt informierte, muss es zu einer persönlichen Aussprache zwischen den beiden Freunden gekommen sein, in der Bonhoeffer mit schärfsten Worten Stellung nahm. Erwin Sutz müsse sich bewusst sein, dass Hitler ein Verbrecher sei, der auch bei Freunden nicht zögere, sie umzubringen, wenn sie ihm im Wege stünden. Ich wiederhole Bonhoeffers Alarmruf, wie ich ihn viel später (wohl um 1950) von Pfr. Sutz gehört habe: Bonhoeffer redete seinem Freund ins Gewissen:

„Wenn in deinem Dorf ein Verbrecher Menschen mit seinem Revolver bedroht – und es ist keine Polizei da, um ihm Einhalt zu gebieten, so ist es deine und meine Aufgabe, alles dir Mögliche zu tun, um ihn zu entwaffnen.“

Bonhoeffer macht klar, dass es da um einen Einsatz geht, der um des Lebens der Mitmenschen willen den Tod riskiert.

Ich glaube freilich, dass, wenn Bonhoeffer diese Sätze läse, er abwehrend die Hand erhöbe:

„Machen Sie keinen Helden aus mir; der bin ich nicht!“

Aber was war er denn? Was veranlasste ihn, von Anfang an derart unerbittlich gegen den Nationalsozialismus und gegen Hitler Widerstand zu leisten? Welches war seine Vision, sein Menschenbild, das er den unbestreitbar unglaublichen Leistungen der Nationalsozialisten in den Jahren 1934 bis 1937 – Überwindung der Arbeitslosigkeit und Rettung von Hundertausenden von Arbeitern und ihrer Familien – entgegenhielt?

Ich versuche mit Hilfe des Buches „Widerstand und Ergebung“ auf die Frage zu antworten.

WIDERSTAND UND ERGEBUNG

(Ich verwende im Folgenden die von Eberhard Bethge 1954 im Chr. Kaiser Verlag herausgegebene Veröffentlichung)

Die Zeugnisse, die ich zitiere, stammen alle aus der Zeit seiner Gefangenschaft. Er wurde am 5. April 1943 inhaftiert und ins Gefängnis Berlin Tegel gebracht.

 1. Immanente Gerechtigkeit

Bonhoeffer ist überzeugt, dass es eine immanente Gerechtigkeit in der Geschichte der Menschen gibt. Ich zitiere (a.a.O. S. 20-22):

 „Es gehört zu den erstaunlichsten, aber zugleich unwiderleglichsten Erfahrungen, dass das Böse sich – oft in einer überraschend kurzen Frist – als dumm und unzweckmässig erweist. Damit ist nicht gemeint, dass jeder einzelnen bösen Tat die Strafe auf dem Fusse folgt, aber dass die prinzipielle Aufhebung der göttlichen Gebote im vermeintlichen Interesse der irdischen Selbsterhaltung gerade dem eigenen Interesse dieser Selbsterhaltung entgegenwirkt… Jedenfalls scheint dies aus (unserer Erfahrung) hervorzugehen, dass es im Zusammenleben der Menschen Gesetze gibt, die stärker sind, als alles, was sich über sie erheben zu können glaubt, und dass es daher nicht nur unrecht, sondern unklug ist, diese Gesetze zu missachten…Es ist einfach in der Welt so eingerichtet, dass die grundsätzliche Achtung der letzten Gesetze und Rechte des Lebens der Selbsterhaltung am dienlichsten ist.“

Das sind kühne Sätze, umso mehr als sie im Gefängnis geschrieben wurden, in das Bonhoeffer geworfen wurde, weil er die „immanente Gerechtigkeit“ gegenüber dem Nazistaat konsequent vertrat.

2. Dummheit

Bonhoeffer erlebte im Nationalsozialismus durch eigene bitterste Erfahrung, dass Grundrechte und Grundgesetze menschlichen Zusammenlebens aus völkischem Eigeninteresse ausser Kraft gesetzt wurden. Wie ging er damit um, wenn er doch die Überzeugung hatte, dass die grundsätzliche Achtung der letzten Gesetze und Rechte des Lebens zugleich der Selbsterhaltung am dienlichsten ist? B. antwortet konsequent: Solche Haltung ist dumm. Aber Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Ich zitiere (a.a.O. S. 17-19):

 „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich blossstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch mit Gewalt lässt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tat-sachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – , und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. Dabei ist der Dumme im Gegensatz zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht…Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen.

Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr Wesen zu verstehen suchen. Soviel ist sicher, dass sie nicht wesentlich ein intelellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist. Es gibt intellektuell ausserordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und intellektuell sehr Schwerfällige, die alles andere als dumm sind… Dabei gewinnt man weniger den Eindruck, dass die Dummheit ein angeborener Defekt ist, als dass unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht werden, bzw. sich dumm machen lassen… Bei genauem Zusehen zeigt sich, dass jede starke äussere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen grossen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen…Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, dass nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit abfinden müssen, dass eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äussere Befreiung vorangegangen ist…“

Ich fasse ganz knapp zusammen: Nur ein Akt der Befreiung kann die Dummheit überwinden. Und da die Dummheit in politischen und sozialen Machtstrukturen verankert ist, muss es um einen politischen und sozialen Akt gehen. Wir stossen hier auf die zentrale Bedeutung der Tat für B.: der Tat der Befreiung. B. dichtet am Tag, nachdem der Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 fehlgeschlagen ist unter dem Titel „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ zum Worte „Tat“ (a.aO. S. 250):

  • Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,
  • nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,
  • nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.
  • Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens
  • nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,
  • und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen.

Es ist Bonhoeffer klar, dass die Tat der Freiheit gegen die Macht und das System der Dummheit ins Leiden führt. Unmittelbar im Anschluss an den Text über die Tat dichtet er unter dem Titel „Leiden“:

  • Wunderbare Verwandlung. Die starken, tätigen Hände
  • sind dir gebunden. Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende
  • deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte
  • still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden.
  • Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit,
  • dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.

Damit ist das Wesentlichste über Bonhoeffers Widerstand und Ergebung gesagt. Ich will aber noch zwei Hinweise anfügen.

 3. Vertrauen

So sehr die Tat Tat des verantwortlichen Einzelnen ist, der verantwortlichen Einzelnen ist, die für die Freiheit und gegen die Dummheit kämpfen, diese Tat kann nur gedeihen und  geschehen inmitten derer, die daran festhalten, dass grundsätzliche Achtung der grundlegenden Rechte und Gesetze des Lebens zugleich für alle auch für die Selbstentfaltung am dienlichsten ist. B. ist zutiefst überzeugt, dass letztlich eine Mehrzahl der Menschen für Recht und Gerechtigkeit eintreten wollen. Aus dieser Realität erwächst die Tat. Gegen die Herrschaft der Dummheit gibt es eine Verschwörung derer, die für Recht und Gerechtigkeit eintreten. Sie aber sind untereinander auf restloses Vertrauen angewiesen. B. schreibt (a.a.O. S.23f):

 „Die Erfahrung des Verrates ist kaum jemandem erspart geblieben. Die Gestalt des Judas, die uns früher so unbegreiflich war, ist uns kaum mehr fremd. So ist die Luft, in der wir leben, durch Misstrauen verpestet, dass wir fast daran zugrunde gehen. Wo wir aber die Schicht des Misstrauens durchbrachen, dort haben wir die Erfahrung eines bisher gar nicht geahnten Vertrauens machen dürfen. Wir haben es gelernt, dort, wo wir vertrauen, dem anderen unseren Kopf in die Hände zu geben; gegen alle Vieldeutungen, in denen unser Handeln und Leben stehen musste, haben wir grenzenlos vertrauen gelernt. Wir wissen nun, dass nur in solchem Vertrauen, das immer ein Wagnis bleibt, aber ein freudig bejahtes Wagnis, wirklich gelebt und gearbeitet werden kann. Wir wissen, dass es zu dem Verwerflichsten gehört, Misstrauen zu säen und zu begünstigen, dass vielmehr Vertrauen, wo es nur möglich ist, gestärkt und gefördert werden soll. Immer wird uns das Vertrauen eines der grössten, seltensten und beglückendsten Geschenke menschlichen Zusammenlebens bleiben, und es wird doch immer nur auf dem dunklen Hintergrund eines notwendigen Misstrauens entstehen. Wir haben gelernt, uns dem Gemeinen durch nichts, dem Vertrauenswürdigen Aber restlos in die Hände zu geben.“

Ich frage: wie lernen wir das rechte Verhältnis zwischen dem notwendigen Misstrauen und dem notwendigen Vertrauen. Ich glaube, dass dieses nicht automatisch in der Notsituation entsteht, sondern dass es auch im gewöhnlichen Alltag eingeübt werden kann, eingeübt werden muss. Bonhoeffer weist in seinem Brief vom 14. Aug. 1944 (a.a.O. S. 264) auf die Erziehung hin, die er in seiner Familie erfahren hat: Er erlebte da viel Hemmungen, viel Widerstand gegenüber eigenen Wünschen – Verlangt wurde Sachlichkeit, Klarheit, Natürlichleit, Takt, Einfachheit … – aber in diesen Forderungen, die oft auch Widerstand bedeuteten,  letzte Verlässlichkeit des Angenommen-Seins. Das Verhältnis zwischen notwenigem Misstrauen und notwendigem Vertrauen -, zwischen Widerstand und Ergebung kann und soll eingeübt werden. Wir lernen das in der Gemeinschaft: gegen andere aber auch mit Hilfe anderer Menschen. Die einsame Tat entsteht nicht aus dem nichts, sondern aus der Gemeinschaft derer, die an die immanente Gerechtigkeit glauben und es in ihr wagen, sich gegenseitig zu vertrauen.

 4. Optimismus

Bonhoeffer war überzeugt, dass letztlich eine Mehrheit von Menschen an die immanente Gerechtigkeit glauben. Wir fragen: wie konnte er diese Überzeugung festhalten in allem, was er in der Zeit des Nationalsozialismus erlebte und erlitt?

Bonhoeffer schreibt (a.a.O. S. 29):

„(Man sagt, dass) es klüger sei, pessimistisch zu sein: vergessen sind die Enttäuschungen und man steht vor den Menschen nicht blamiert da. So ist Optimismus bei den Klugen verpönt. (Aber) Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignierten, eine Kraft den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner überlässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. Es gibt gewiss auch einen dummen, feigen Optimismus, der verpönt werden muss. Aber den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen, auch wenn er hundert mal irrt.“ Bonhoeffer betont: Dieser Optimismus ist für das Weiterleben, für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter notwendig. Er schliesst mit dem Satz: „Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gerne die Arbeit für eine bessere Zeit aus der Hand legen, vorher aber nicht.“

 

Vor uns steht die grosse Frage, was Bonhoeffers Widerstand und Ergebung in unseren heutigen anderen, sehr anderen Verhältnissen bedeuten könnte. Vielleicht kann uns Bonhoeffers eigene Frage, die er im Brief vom 8. Oktober 1931 an Pfr. Sutz – noch vor Hitlers Machtergreifung – gestellt hat, den Weg weisen:

„Kluge Leute vom Wirtschaftsfach haben mir gesagt, die Sache sehe so aus, als ob wir in rasendem Tempo einem Ziel zugetrieben würden, das niemand kenne und aufhalten könne. Ob aber unsere Kirche (ich sage heute: ob aber wir) noch eine Katastrophe überstehen… wenn wir nicht sofort ganz anders werden? Ganz anders reden, leben? Aber Wie?“

Ich wiederhole: ganz anders werden, reden, leben, aber wie??


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Christoph Schnyder 2010

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