Jan 172016
 

Falsche Rücksichtnahme kirchenhöriger Politiker

Von Horst Isola

Es ist paradox: rapider Rückgang der Zahl der Gläubigen, bei vermehrtem Einfluss der Kirchen auf Politik und Gesellschaft. In der öffentlichen Darstellung wird zumeist so getan, als ob die bundesdeutsche Gesellschaft nur aus Christen, Juden und Muslimen bestünde. Die fast 40 Prozent nicht konfessionell gebundenen Bürger kommen im politisch-gesellschaftlichen Diskurs praktisch nicht vor.

Das Problem ist, dass Nichtgläubige keine Lobby in der Politik haben. Ganz anders die Religionsgemeinschaften. Schon aufgrund der Tatsache, dass das Grundgesetz den großen christlichen Kirchen den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft einräumt, genießen diese einen Privilegierungsvorteil, der weltweit seinesgleichen sucht. Dabei geht es nicht nur um die Kirchensteuer und deren staatlichen Einzug sowie um Sonderrechte wie im Arbeitsrecht, sondern vor allem um den enormen Einfluss der Kirchen auf die Gesetzgebung, der wegen seiner Intransparenz demokratisch mehr als fragwürdig ist.

Die Kirchenlobby sitzt in allen Ministerien und Fraktionen, es gibt dort sogar Fachbruderschaften. Nach wie vor zahlen die deutschen Kirchen – weltweit die reichsten mit einem mit Steuergeldem finanzierten Immobilienvermögen von mehr als 230 Milliarden Euro – keine Grundsteuer, dafür erhalten sie jährliche Zuwendungen aus Steuermitteln in Höhe von 20 Milliarden Euro. Hinzukommen Dotationen von 500 Millionen pro Jahr vom Staat, trotz des seit 1919 bestehenden Verfassungsauftrags, diese abzulösen. Von den 45 Milliarden Euro für Aufwendungen in Diakonie und Caritas zahlen die Kirchen gerademal zwei Prozent selbst. Kirchenhörige Politiker garantieren den Fortbestand dieses paradiesischen Zustandes. Zu Recht sprechen Politologen wie Carsten Frerk von einer „Kirchenrepublik Deutschland“.

Sonderrechte für Religionsgemeinschaften auch in den öffentlich-rechtlichen Medien. In Bremen sitzen Vertreter von vier Religionsgemeinschaften im Rundfunkrat, die nächste steht schon auf der Matte. Eine Vertretung für Konfessionsfreie ist nicht vorgesehen, obwohl mehr als die Hälfte der Bremer Bevölkerung konfessionsfrei ist! Bremen leistet sich darüber hinaus noch mit einem speziellen Kirchensenator eine institutionalisierte Form der Kirchenlobby – einmalig in Deutschland.

Was tun? – Dringend erforderlich ist eine öffentliche Debatte, die vor allem die Verflechtungen von Religion und Politik transparent macht und einen Prozess anstößt, an dessen Ende eine Reform des Religions- und Weltanschauungsrechts steht – auf der Grundlage der Trennung von Staat und Kirche.


Kurier am Sonntag vom 17.01.2016
Horst Isola (76) war 1991/ 92 Landesvorsitzender der Bremer SPD, zuvor Senatsrat und zudem Mitglied des Rundfunkrates von Radio Bremen. Seit 2010 ist er Sprecher der Gruppe der Laizisten in der SPD.


Links