Okt 162016
 
Europa und die Flüchtlingskrise

Beitrag zum Thema „Grenzen“ der ÖJD-Senioren-Tagung Oktober 2016 in Neudietendorf

Von Walter Hiller

Ausgehend von der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in unserer globalisierten Welt sind wir alle Weltbürger mit gegenseitiger Verantwortung. Dazu gibt es keine Alternative.

In dieser universal gültigen Erklärung wurden demokratische Rechte und Freiheiten verankert – einschließlich des Rechts auf Kleidung, Nahrung und Wohnung, des Rechts auf Erwerbsarbeit, Bildung und Gesundheitspflege, des Rechts auf saubere Umwelt, kulturelle Integrität und öffentliche Dienste guter Qualität, des Rechts auf gerechte Löhne, kollektive Tarifverhandlungen und Bildung von Gewerkschaften.

In Folge der Globalisierung sind neue Rahmenbedingungen geschaffen worden, die uns herausfordern, z.B. unsere herkömmlichen Gerechtigkeitsvorstellungen wesentlich zu erweitern sowohl im nationalen, europäischen Innenverhältnis als auch global. Insgesamt geht es um die Entwicklung der Menschheit, wobei der niedrige Stand der Entwicklung schon längst weite Teile der Menschheit durch eine entschlossene und aufgeklärte Anstrengung hätte überwunden werden können.

Darüber hinaus sollten wir erkennen und genau hinsehen, wie sich die Probleme hinsichtlich der Flüchtlinge und deren Situation bei uns heute und in Zukunft entwickelt. Sie wird nämlich dazu führen, dass wir ein verändertes Europa bekommen. Und deshalb dürfen wir diese Entwicklung nicht nur in und für die EU sehen, sondern in den weltweit globalen Zusammenhang stellen, wie sie sich seit 25 Jahren unter der Herrschaft der Ideologie des Neoliberalismus entwickelt hat.

Sozialer Wandel
Globale Ungleichheit – räuberischer Kapitalismus

Wir leben in einer Welt, in der wir mit komplexen Problemen belastet sind, mehr als jemals in unserem Erwachsenenleben. Denken wir dabei über die gesamte Situation dieser Welt im Guten wie im Schlechten nach und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und wie politisch darauf geantwortet werden müsste, kann einem Angst und Bange werden. Es sei denn, wir sind in der Lage alles gründlich zu analysieren, was ein politisches Nachdenken erfordert, das dann sehr produktiv sein kann.

So haben wir uns angewöhnt, bestimmte Begriffe, wie soziale Ungleichheit, Klimawandel, Finanzmarktkrise, Flüchtlinge, Artensterben, Digitalisierung, Globalisierung, Hyperkonsum, Wirtschaftswachstum, Mobilität, Kriege, Überwachung, Terrorismus als voneinander säuberlich getrennte Erscheinungen zu betrachten, als seien sie in der Wirklichkeit getrennt.Das sind sie aber nicht.

Nehmen wir in diesem Zusammenhang die weltweit wachsenden Emmissionsmengen, die den Klimawandel vorantreiben. Diese haben ihre Ursache im Wirtschaftswachstum und damit im Konsum. Die dafür erforderlichen Material- und Energiemengen müssen, bedingt durch die globale Konkurrenz, so billig wie möglich gewonnen werden. Die Folgen davon sind Raubbau an Naturreserven und Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, was wiederum zu sozialer Ungleichheit, Konflikten, Kriegen und Terrorismus führt. Diese Folgen nennen wir dann Krisen, was aber nicht zutreffend ist. Das sind keine Krisen; den Klimawandel werden wir nämlich nicht los. Der Wandel folgt der Emmissionsmenge mit Abstand der von etwa einer Generation. Und was wir heute als Wandel sehen, ist das Ergebnis des industriellen Stoffwechsels vor dreißig bis fünfzig Jahren. Was heute emittiert wird, bestimmt das Klima in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Daraus ergibt sich die Frage: Wie schaffen wir eine Einschränkung auf qualitatives Wachstum und Konsum?

Und was die Flüchtlinge angeht, wieso sollen die Zahlen zurückgehen? Sie hängen mit Kriegen, Bürgerkriegen, Vertreibungen, Landverlusten, Folgen des Klimawandels und wachsendem Bevölkerungsdruck zusammen. Wieso sollte sich daran in Zukunft etwas ändern?
Die Eurokrise ist wie die Griechenlandkrise ein ungelöstes Problem, das durch neue Schulden weiter in die Zukunft verschoben wird – wo wäre das

Ende der Krise?

Das Prinzip der Wachstumswirtschaft breitet sich mit ungeheurer Dynamik weltweit aus – wie sollten die ökologischen Folgen – Artenrückgang, Überfischung, Versalzung von Flüssen, Versauerung der Meere – weniger werden?

Das wird nicht einfach wieder gut. Das sind keine Krisen. Das ist ein Wandlungsprozess mit negativen Folgen für große Teile der Menschheit, wie das jetzt bereits bei „Klimaflüchtlingen“ der Fall ist.

Und was die Welt des kapitalistischen Westens, also Europa und Nordamerika zusammengehalten hat, was hinsichtlich Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als erfolgreiches Zivilisationsmodell gelten konnte, das hält nicht mehr zusammen. Neue Kräfte sind geopolitisch dazugekommen und Kräfte, die sich im Inneren herausgebildet haben, finanz- und informationspolitisch. Dieser Kapitalismus ist nicht mehr der gezähmte, auf sozialen Ausgleich gerichtete, den wir kannten. Dieser entgrenzte global ausgerichtete Kapitalismus ist räuberischer, desintegrativer, zerstörerischer denn je. Aber das finden nicht alle schlecht.

Ausgehend davon vollzieht sich gegenwärtig in zahlreichen westlichen Ländern ein sozialer Wandel, der „ neofeudale“ Privilegien für vermögende Kreise etabliert, während untere Schichten vielfach mit prekarisierter Arbeit und sozialem Ausschluss konfrontiert sind.

Die aktuelle Sozialforschung spricht dabei von einer ständischen Verfestigung sozialer Ungleichheit, die allen Versprechungen von gesellschaftlichem und sozialem Ausgleich widerspricht. Der Aufstieg des Finanzmarktkapitalismus hat offensichtlich gesellschaftliche Muster in der Verteilung von Wohlstand, Lebenschancen und Macht mit sich gebracht, die an vormoderne Zeiten erinnern, mit der Folge einer Vertiefung sozialer Ungleichheit und einer Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche.

Der beispiellose Wohlstand dieser Gruppe geht nicht auf Leistungserbringung, Wettbewerb oder Markterfolge zurück, sondern auf Strategien der Privilegiensicherung, die ihren Ursprung in vorkapitalistischer Zeit hat.

Ein Beispiel für diese Entwicklung zeigen die Spitzeneinkommen im ökonomischen Top-Management: In den USA lag Mitte der 1960er Jahre das Verhältnis der Einkommen zu den Durchschnittsgehältern bei 20:1. Im Jahr 2012 ist das auf das 273-fache gestiegen. Auch in europäischen Gesellschaften, die sich immer noch der sozialen Marktwirtschaft verstehen, hat sich eine ähnliche Entwicklung vollzogen. So erhielten die Vorstände der 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland 1989 ein Jahresgehalt von durchschnittlich 500 000 Mark, was ebenfalls dem 20-fachen,der durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen entsprach. Im Jahr 2010 waren die Vorstandsgehälter auf jährlich sechs Mio. Euro gestiegen, womit sich das Verhältnis zu dem Durchschnittseinkommen auf das 200-fache vergrößert hat.

Als Ursachen für den immensen Zugewinn gibt es keinen einzigen wirtschaftlichen Faktor, der diesen Anstieg der Einkünfte rechtfertigen könnte. Diese Spitzeneinkommen sind vielmehr Ausdruck einer gewachsenen Macht in den Vorständen und Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften, die den Unternehmen wesentlich mehr Einkünfte entziehen als irgendeine Spitzenkraft als eigenen Leistungsbeitrag einer Firma hinzufügen kann.

Nicht weniger leistungsfern stellt sich die Vermögensbildung dar. Das reichste Zehntel aller Haushalte, das 1970 noch über 44 Prozent des gesamten Nettovermögens verfügte, besaß 2010 bereits 66 Prozent des Gesamtvermögens in Deutschland. Das reichste Hundertstel, das pro Kopf ein Vermögen von mindestens 800 000 Euro besitzt, kam auf 36 %, das reichste Tausendstel auf 23 Prozent aller Vermögenswerte. Hingegen verfügt ein Fünftel aller Erwachsenen über gar kein Vermögen und bei 7% sind die Schulden größer als der Besitz.

Weiterhin spielt die leistungslose Vermögensübertragung der Erbschaften eine wichtige Rolle. Allein zwischen 2000 und 2010 wurden 2 Billionen verteilt. Dies sind 27% des Gesamtvermögens in Deutschland. Über 2/3 des vererbten Vermögens entfällt auf nur 20% der Erben, während fast die Hälfte der Bevölkerung gar nicht in den Genuss von Erbschaften kommt.

Die Vermögensverteilung global ist noch skandalöser. Die reichsten 10% der Weltbevölkerung besitzen 87,6% des Weltvermögens und das reichste ein Prozent etwas über 50 Prozent. Die reichsten 62 Milliardäre besitzen ebenso viel wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung.

Bei dieser Entwicklung möchte ich an eine Warnung des ehemaligen Präsidenten Roosevelt der USA erinnern, der nach der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre Reformen für einen sozialen Ausgleich politisch einleitete. Er sagte: „Die erste Wahrheit ist, dass die Freiheit der Demokratie nicht gesichert ist, wenn das Volk das Anwachsen privater Macht bis zu einem gewissen Punkt duldet, wo dieser stärker wird als der Staat selbst“.

Die wachsende Ungleichheit hat bedenkliche Folgen. Parallel zu dieser Entwicklung stieg die Verschuldung der Nationalstaaten radikal an, mit der Folge einer Verengung der staatlichen Handlungsmöglichkeiten im Bereich der öffentlichen Versorgung, ein Vorgang, der es immer schwieriger macht, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten z.B. im Bildungs- und Gesundheitsbereich und im sozialen Bereich zu beheben.

Die ärmeren Staaten der Welt sind von der Verschuldung noch viel härter betroffen. Sie müssen vor allem ihre Kredite bedienen und können desto weniger in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investieren.

Diese ungerechten Verhältnisse einer globalen Finanz- und Wirtschaftsordnung, in der Skrubellosigkeit und Eigennutz auf bisher politisch unvorstellbare Weise ermöglicht wird, geht immer zu Lasten der regional und global Schwächsten. Diese kapitalistische Wirtschaftsordnung ist auch mit die Hauptursache der Flüchtlingsbewegung, unanhängig von den Flüchtlingen aus Kriegsgebieten.

Dabei sollten wir selbstkritisch erkennen und nicht vergessen: Die EU spielt bei der Gestaltung unserer Weltwirtschaftsordnung eine wichtige Rolle. Sie hat unsere Interessen gut vertreten – wir haben was wir brauchen. Unsere Verantwortung jedoch ist nicht so gut vertreten worden, weil die Regeln, nach denen uns Rohstoffe und Reichtum zufließen, das Elend des ärmsten Viertels der Menschheit reproduzieren. Die EU sollte deshalb dort, wo wirklich Macht ausgeübt wird, in den Spitzengremien der EU, in den Verhandlungen der G-7 Staaten, der OECD, dem IWF und der Weltbank ihre Verantwortung im Sinne der Menschenrechte wahrnehmen.

Ohnehin ist aber gegen diese skandalöse Politik Widerstand zu leisten, zumal die Verantwortung auch bei uns, den Bürgerinnen und Bürgern liegt. Somit geht es letztlich darum, Druck auf die politischen Parteien und Verbände der Wirtschaft auszuüben, um eine Wende im Sinne der Menschenrechte herbeizuführen.

Weltoffen und sozial gerecht
Wie Europa gerettet werden kann

Europa steht vor einer ungewissen Zukunft. Ein Mix aus rechtspopulistischer Irrationalität und fortgesetzter Missachtung demokratischer und sozialer Grundsätze hat die Union in die Krise geführt. Dafür tragen nicht zuletzt die politischen und wirtschaftlichen Eliten Europas Verantwortung, die in den Brüsseler Institutionen immer nur einen Apparat zur Sicherung eigener Macht und Geschäftsinteressen gesehen haben. Ihre Kernmerkmale der Politik waren, nach Feststellung von Gesine Schwan: „Unbeirrte Ablehnung von Solidarität, Wiedereinführung des neoliberalen Ansatzes, Propagierung eines wahrheitswidrigen moralisierenden über die Zuordnung von Verantwortung für die Banken- und Wirtschaftskrise, machtvolle Durchsetzung einer neoliberalen Sparpolitik, Ersetzung von Demokratie durch Technokratie.“ Dabei haben sie, die sogenannten Eliten vergessen, dass Solidarität der Kitt ist, der die EU zusammenhält und dieser besteht nicht mehr.

Mit der Idee der europäischen Vereinigung verband sich immer auch die Hoffnung auf eine friedensstiftende grenzüberschreitende Solidargemeinschaft. Heute zeigt sich, wie falsch es war, Europa nicht zu einer politischen Union auszubauen. Zwar wurden Anfang der 2000er Jahre auch Sozialstandards und gemeinwesenorientierte Grundsätze erwogen, doch immer nur nachgelagert zum eigentlichen Ziel: der Fixierung und des auf Konkurrenz basierenden Wirtschaftsliberalismus, worauf nicht zuletzt London und Berlin gedrungen haben. Die skandalöse Absicht einer ökonomischen Strategie zur Sicherung von Rendite Verfassungsrang einzuräumen, scheiterte damals am Protest der Öffentlichkeit. Denn Konkurrenz, Wettbewerb, wie er in den vergangenen Jahren politisch gefördert und durchgesetzt wurde, schließt Solidarität aus. Dazu kam die Unklarheit der Aufgabenverteilung zwischen Mitgliedstaaten und EU-Ebene, was zu einer Art organisierter Verantwortungslosigkeit geführt hat – die von den Bürgerinnen und Bürgern auch bemerkt wude und einiges mit der aktuellen Politikfrustration zu tun hat. Daraus haben die Regierenden aber wenig gelernt.

Europa braucht ein neues Projekt

Als Antwort darauf müssen wir wieder mehr gemeinsames Europa wagen, denn kein Land in Europa kann die Globalisierung alleine bewältigen. Die EU wird nicht überleben, wenn die junge Generation den Glauben an Europa verliert. Sie sind die Bürger, Politiker und Unternehmer von morgen. Wenn wir unsere Werte in die Zukunft tragen wollen, müssen wir unsere Anstrengungen verbessern, um Ausbildung, Unternehmergeist, Mobilität und Bürgersinn für das Gemeinwohl. Die EU ist weit mehr als ein Binnenmarkt, sie ist eine einzige Wertegemeinschaft. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Toleranz, Gleichberechtigung, Engagement und Solidarität sind unverzichtbar, wenn das europäische Modell wieder funktionieren soll. Sie sind fester Bestandteil unserer Identität. Indem wir diese Werte stärken und vorleben, bleiben wir nicht nur glaubhaft in anderen Teilen der Welt, sondern wir setzen auch ein entschlossenes Zeichen für Solidarität, Einheit und Zusammenhalt. Und das ist heute nötiger denn je.

Europas Mitschuld an der Flüchtlingskrise

Die Flüchtlingskrise ist in Wahrheit eine Weltkrise, die nun die Flüchtlinge vor die „Festung“ Europas treibt und zwar aus Gründen, an denen der Westen nicht unbeteiligt war und ist: Das reicht von den Folgen der europäischen Kolonialgeschichte, über die willkürlichen Grenzziehungen im arabisch-nordafrikanischen Raum nach dem 1. Wltkrieg bis zu militärischen Interventionen, insbesondere die der USA, die den nahen Osten immer wieder destabilisiert haben. Arabische Herrscher, die nicht die westlichen Interessen vertraten, sind ersetzt worden. Verfolgt wurden damit nur die eigenen und geopolitischen Interessen. Zum einen war dies der Zugang zu Erdöl, zum anderen ging es um die Sicherheit von Israel. An die Folgen dieser Politik hat lange Zeit niemand gedacht, bis der 11. September 2001 und die Reaktion darauf uns die Augen geöffnet hat. Dadurch erreichten die Probleme unseren Alltag.

Doch auch die arbischen Herrscher sind nicht unschuldig an der Misere, sie taten fast nichts für die Entwicklung ihrer Staaten. Ein Millionenheer an Analphabeten leben unter der Armutsgrenze. Nicht vergessen dürfen wir, dass sich auch dort die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr öffnete.

Eine große und einfache Lösung in der Flüchtlingsfrag gibt es nicht. Um diesem komplexen Thema überhaupt gerecht zu werden, ist es umso wichtiger, die Frage nach den Ursachen zu stellen.

Über 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. So viele wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Blutige Konflikte und Gewalt wie in Syrien, Irak oder Eritrea haben ein neues Ausmaß erreicht. Hinzu kommen Naturkatastrophen. Acht Entwicklungsländer haben wegen des von El-Nino-Effekts ausgelösten Extremwetterereignissen den Notstand ausgerufen. Sie können die Folgen der heftigen Dürren, Überflutungen und Stürme nicht mehr allein bewältigen. Die Wissenschaft ist sich einig: Der Klimawandel wird zu mehr und heftigeren Wetterextremen führen und diese bedrohen vor allem die armen und besonders verletzlichen Menschen weltweit, die von der Landwirtschaft abhängig sind und kein Geld für aufwändige Schutzmaßnahmen haben.

Notwendige finanzielle Mittel der Industrienationen, den eigentlichen Verursachern, stehen nicht in entsprechendem Umfang zur Verfügung. Oft können die Menschenrechte – etwa auf Wasser und Nahrung – nicht gewährleistet werden. Zudem sind die Organisationen der humanitären Hilfe häufig unterfinanziert. Wichtig wäre deshalb vor allem, dass wir als Risikotreiber diese Hilfe gewähren, denn wir alle sind die Verursacher.

Das Überleben von 60 Millionen Binnenvertriebener und Flüchtlinge hängt derzeit an ausreichenden Mitteln für humanitäre Hilfe. Der Finanzbedarf für sie liegt 2016 bei rd. 21,9 Mrd. Dollar. Davon waren bis Mai nur 33 Prozent zugesagt. Weltweit müsste mehr getan werden, um zu verhindern, dass sich noch mehr Menschen zur Flucht gezwungen sehen. Das würde menschliches Leid und Kosten reduzieren. Es würden aber auch Einnahmen reduziert. Schließlich verdienen viele an den Ursachen dafür, dass Menschen ihr Land verlassen müssen. Weltweit lag der Umfang des Rüstungstransfers 2014 bei 359 Mrd. Euro. Ein gutes Geschäft! Was könnte dafür alles an nachhaltiger Entwicklung in den Ländern des Südens geschaffen werden.

Der ökonomische Wohlstand Europas beruht auf fossilen Brennstoffen und hat wesentlichen Anteil am Klimawandel nebst Folgen: Inseln verschwinden, fruchtbares Land verdorrt, Ackerboden wird weggeschwemmt, Kleinbauern wird ihr Land genommen und nur deshalb, damit uns als Konsumenten in Europa und weltweit zu jeder Zeit Südfrüchte und andere Genussmitel zur Verfügung stehen.

Menschen in Asien produzieren zu Hungerlöhnen unsere Kleider.

Alles was in dieser Hinsicht geschieht ist legal, obwohl Menaschenrechte und Sozialstandards missachtet werden, so dass die Verursacher nicht haftbar zu machen sind.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die EU als der größte Exporteur der Welt. Mit ihrer Handelspolitik gestaltet sie die Globalisierung und könnte dadurch auch positive Akzente für mehr Gerechtigkeit, für die Einhaltung von Menschenrechten und für das Recht auf Entwicklung setzen. Das tut sie aber nicht. Die EntscheidungsträgerInnen in der europäischen Handelspolitik agieren nach der Maxime, dass Handelsverträge in erster Linie europäischen Großunternehmen Vorteile bringen sollen. Doch auf der anderen Seite stehen die Bauern und die Bevölkerung in ärmeren Ländern, die nicht mehr in der Lage sind, ihre eigene Bevölkerung vor der Übermacht der europäischen Exportmaschine zu schützen. Auf diese Weise trägt der Handel wesentlich zur Ungleichheit und Ungerechtigkeit bei.

Aber – es ginge auch anders. Es wäre möglich, eine Handelspolitik so zu gestalten, dass sie zu einer gerechteren Verteilung von Wohlstand führt. Dazu brauchen wir aber grundlegend neue Prinzipien für dieses Politikfeld. Zurzeit setzt die EU auf Abkommen, die auf gegenseitiger Marktöffnung basieren, auch mit armen Ländern. Das Ziel dieser rücksichtslosen Wirtschaftsförderung von europäischen Unternehmen steht im Konflikt mit den Entwicklungsinteressen der Länder des Südens. Die europäische Kommission sollte deshalb in ihren Abkommen nicht einfach die Marktöffnung mit Macht erzwingen. Vielmehr muss ein Ansatz verfolgt werden, der den Ländern des Südens die Möglichkeit gibt, ihre eigenen Wirtschaftsinteressen zu verfolgen und Industriepolitik zu gestalten.

Darüber hinaus muss in der Handelspolitik klar sein: Menschenrechte haben gegenüber internationalem Handel Vorrang und müssen geschützt werden. Auch Maßnahmen, die die Menschenrechte sichern, müssen immer zulässig sein.
Das Ende der Willkommenskultur

Europa und seine Flüchtlingspolitik

Die von der EU betriebene Flüchtlingspolitik setzt weiterhin auf Abschottung. Mit den Wiener Einigungen (25. Sept. 2016) setzt die EU ihre falsche Flüchtlingspolitik fort. Weitere Abkommen, ähnlich dem Pakt mit der Türkei, sollen mit weiteren Staaten getroffen werden. Länder in Nordafrika, sollen Geld bekommen, wenn sie Flüchtlinge bei sich behalten. So soll Kairo bei einem möglichen Flüchtlingspakt Milliarden Euro erhalten, wenn das Land keine Flüchtlinge mehr nach Europa lässt. Auf diese Weise schiebt die Europäische Kommission die Verantwortung für die globale Flüchtlingskrise an Drittstaaten ab und macht damit die EU zum Komplizen von Diktatoren, die selbst massiv gegen Menschenrechte verstoßen. Das hilft aber nicht den Bedürftigen und die Ursachen von Flucht werden auf diese Weise jedenfalls nicht beseitigt. Auch das Recht auf Asyl wird auf diese Weise unterlaufen.

Was bisher versäumt aber wichtig und dringend notwendig wäre gegenüber einer mündigen und aufgeschlossenen Bevölkerung, der mehr zuzutrauen ist als Populismus Schlagworte, ist Aufklärung im Sinne der Menschenrechte.

  1. Die gegenwärtige Entwicklung, im Rahmen der Globalisierung, führt dazu, dass nichts wieder so sein wird wie früher. Verantwortungslos ist es, den Menschen vorzumachen, mit dem nächsten Grenzzaun oder drei weiteren Herkunftsländern lasse sich schon irgendwie konservieren, was früher vermeintlich besser war. Egal wie hoch ein Zaun oder eine Mauer ist, Flüchtlinge, Menschen in Not, werden immer einen Weg nach Europa finden.
  2. Das Leid der Flüchtlinge ist nicht aus der Welt, nur weil wir es durch einen Zaun betrachten. Es ist deshalb falsch, die brutale Zurückweisung schutzsuchender Menschen als europäischen Konsens zu feiern.
  3. Es sind sichere und legale Zugangswege zu schaffen. Denn es gibt weder ein effektives Mittel gegen die Schlepper und das Sterben im Mittelmeer, noch eine bessere Voraussetzung für die geordnete, kontrollierte und stets ergebnisoffene Einreise nach Europa.
  4. Ebenso gilt es, die vielen Fluchtursachen konsequent anzugehen, wohl wissend, welch fundamentale Veränderungen daraus auch für unser Leben, wirtschaften und konsumieren erwachsen werden. Vor allem müssen wir weiter an einem europäischen Mechanismus zur solidarischen Umverteilung der Schutzsuchenden arbeiten. Es darf nicht sein, dass einige Mitgliedstaaten dauerhaft mit einer Herausforderung alleingelassen werden, die alle betrifft.
  5. Solange jedoch ein gemeinsames Verteilungssystem ausbleibt, bedeutet das, dass Länder wie Deutschland weiterhin überproportional viel Verantwortung übernehmen müssen, auch wenn dies aus europäischer Sicht bedauerlich ist und von allen Beteiligten einiges abgefordert wird. Aber vor eine unlösbare Aufgabe stellt es uns nicht, weder finanziell noch gesellschaftlich. Rückzüge in die trügerische Übersichtlichkeit des Nationalstaates oder die Folge abgetretener Eigenverantwortung an Drittländer wie Türkei u.a. sind keine Lösung. Fortschritt war in Europa stets Konsequenz eines kollektiven Kraftakts unter schwierigen Umständen.
  6. Eine effektive humanitäre Hilfe müsste den Ländern in der Nachbarschaft organisiert und finanziert werden, die in Sachen Flüchtlinge die größte Last tragen: also Länder wie der Libanon, Irak, die Türkei u.a. Dazu gehören auch Umsiedlungsprogramme in diesen Ländern, die wirklich auch funktionieren.
  7. Die einzelnen EU-Staaten sollten entweder Flüchtlinge aufnehmen oder aber helfen für die Versorgung der Flüchtlinge in den anderen Ländern zu bezahlen.

Sündenbock – die Flüchtlinge

Die Konvention der Menschenrechte sind ein Maßstab, eine Orientierung für ein friedliches Zusammenleben der Menschen. Dabei spielen nationale, religiöse oder rassistische Merkmale keine Rolle. Für jeden Menschen gilt der Grundsatz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die Verantwortung, dies zu realisieren, liegt bei den einzelnen Nationalstaaten, wobei diese eine angemessene Verantwortung auch gegenüber der Menschheit im Ganzen zu übernehmen haben. Sie haben durch den Erlass von Gesetzen und Verordnungen das Zusammenleben zu regeln unter dem Gesichtspunkt Gemeinwohl und Gerechtigkeit, wozu die Zivilgesellschaft einen wichtigen Beitrag leisten kann und auch leistet.
Unter dem Gesichtspunkt Gerechtigkeit stellen wir nun fest, dass wir seit Jahren eine soziale Ungleichheit in den Einkommens und

Vermögensverhältnissen feststellen, die zu einer Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche, national und weltweit geführt hat. Somit liegen die Ursachen für den Aufstieg rechtspopulistischer Strömungen auch in einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik der letzten 20 Jahre. Das wiederum hatte und hat zur Folge, dass bei vielen davon Betroffenen eine allgemeine Unsicherheit ihrer Lebensverhältnisse durch Arbeitslosigkeit, befristete Arbeitsverträge, Abstiegsängste, Angst vor Altersarmut entstanden sind. Menschen, die dadurch besonders benachteiligt werden, sind nicht mehr bereit, sich aus diesen Gründen mit der Politik und mit diesem System zu identifizieren. Sie werden zu Protestwählern, weil sie ihre Interessen durch die Demokratie (=Parteien) nicht mehr vertreten sehen. Auf diese Weise entstanden in den EU-Staaten Parteien mit rechtsextremen bzw. rechtspopulistischen Einstellungen. Von ihnen werden die Flüchtlinge instrumentalisiert. In Deutschland von Pegida und der AfD, aber auch von der CSU, die z. B. nur Flüchtlinge aus dem christlichen Abendland aufnehmen möchte. Andere sehen durch die Muslime eine Bedrohung unserer Kultur. Die polnische Rechte ist dabei die Demokratie abzuschaffen. In Österreich wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Rechtspopulist Bundespräsident. In Frankreich gilt das u.U. auch für Le Pen. Europa und den Euro abschaffen, den Nationalstaat wieder installieren, das ist, so sagen diese Rattenfänger, der richtige Weg für eine gute Zukunft.

Mit diesen Fragen hat sich die Politik, aber auch wir auseinanderzusetzen. Auf keinen Fall dürfen wir zulassen und müssen uns zur Wehr setzen, wenn Muslime zum „Sündenbock“ abgestempelt werden.

Und weil es um Angst geht, sollten wir vielmehr darüber nachdenken, welche Gefahren uns wirklich drohen, auch unseren demokratischen Werten, von einem nicht kontrollierten aus den Fugen geratenen Finanzmarktkapitalismus. Eine Lehre für uns sollte die Krise 2008 sein. Hat die Politik und auch wir wirklich daraus gelernt? Den „Sündenbock“ Flüchtlinge können wir sehen. Den eigentlichen „Sündenbock“, der die Kapitalströme lenkt, der die Weltordnung zu seinem Vorteil gestaltet, ist nicht sichtbar, aber er ist Realität.


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