Jan 142017
 
Bauern – Pastoren – Handwerker

Von Pfarrer Dr. Willibald Jacob
* 26. Januar 1932   † 3. Juli 2019

 Inhalt

Vorwort  

Zehn Dorfgeschichten

  1. Kaika – Vorbild am Rande des Dschungels 
  2. Govindpur-Gusatoli – Der Dorftischler wird Fahrlehrer  
  3. Burda – Von der Fahrschule zur Schmiede 
  4. Nunia – Pracharak und Zuckerrohrbauer
  5. Lomboi-Ginikera – Die ambulante Fahrschule 
  6. Govindpur – Holzmangel, der Teich und der deutsche Baumgärtner 
  7. Bano-Lacheagarh – Fahrschule, Reparaturwerkstatt und der Pfarrer als Betriebsleiter
  8. Karimati – Die Mangoplantage und der Parish Chairman als Baumgärtner
  9. Hulhundu – Wissenschaft und Natur
  10. Kahupani – ein Neuanfang – ein Weg wohin? 

Fünf Gedanken zur Arbeit der Craftsmen Training Centres 

  1. Jugend ohne Bildung?  
  2. Kooperation mit Nichtchristen 
  3. Training for Indian Trainers 
  4. Von den zwei Flügeln des Vogels 

Nachwort von Moderator Bischof Johan Dang 

Anlagen 

  1. Die Konstitution des New Life Light Centres Govindpur 1984 – Auszug –, Ranchi 1984
  2. Johan Dang, Brief an Eden Kerketta, Govindpur 1992, Berlin 2004
  3. Johann Scheringer, „Schwerter zu Pflugscharen!“ Grußwort an Stelle der Predigt in der Urwaldkirche von Kaika,
    21. Januar 2001, Kü­ckens­hagen/Er­langen 2010
  4. Bimal Nag, Aufforstung in Assam, Auszüge, Govindpur 2001, Berlin 2004
  5. Benjamin August, Brief aus Govindpur, l. März 2001, Auszüge, „meine praktische Arbeit …“, Berlin 2004
  6. Kirum Barjo, Brief aus Waren/Müritz an EPOG-Freunde 2003, Berlin 2004
  7. Hora Senon Horo, Bericht, Ausschnitte, Wiedersehen im Dorf Kurit bei Govindpur am 10. Februar 2003, Berlin 2004
  8. Marsallan Bage. „Immer besseren Gebrauch machen“. Zu Partnerschaft und Austausch 2004, Berlin 2004
  9. Johan Dang, Über die indische Forstwirtschaft, Bericht von 10. Oktober 2012, Auszug, Berlin 2013
  10. Manmasih Surin, Thesen zu Govindpur, Berlin 2013
  11. Narendra Gagrai, Thesen zu Fudi, Berlin 2013

Karte der Landschaft Chotanagpur 2004

Quelle: ISBN 978-3-933022-90-5


Vorwort

Wir zählen das Jahr 1983. Wir fahren die Straße von Ranchi nach Govindpur. Wir, das sind Pastor Dr. Marsallan Bage, der Pramukh Adhyaksch, das ist der Präsident der Ev.-Luth. Gossner Kirche in Chotanagpur und Assam, sein Stellvertreter Pfarrer Narendra Mohan MG, meine Frau Elfriede und ich. Eigentlich ist die Straße keine Straße, sondern ein besserer Feldweg, keine Asphaltstraße. Die Strecke zwischen Ranchi und Govindpur beträgt 80 km.

Kurz vor Govindpur passieren wir im Wald rechts einen wunderschönen Dorfgründungsstein. Es ist die Urkunde von der Gründung des Dorfes Chalanga. Als wir den Wald verlassen, bleibt der alte Militärjeep in einem tiefen Loch stecken. Der Motor sitzt auf einen Stein im Loch fest. Wir steigen aus, damit sich der Wagen heben kann. Dr. Bage sagt: „Wollt Ihr wirklich nach Govindpur kommen?“ Wir sind zuerst sprachlos. Dann sage ich: „Warum nicht? Das war so abgemacht“[1].

Wir fahren im Schritttempo weiter. Als wir in Govindpur ankommen, wird es dunkel. Es ist kurz vor 18.00 Uhr dunkel.

Wir erleben drei grundlegende Wochen, davon eine Woche Seminar mit Bibelarbeiten und Vorträgen in der Pracharak Training School. Das Wichtigste: Dr. Marsallan Bage trägt sein neues Konzept für die Ausbildung der Dorfpastoren (Pracharaks) vor. Sie sollen Arbeiter für die christliche Gemeinde sein, gleichzeitig aber Bauern mit einem höheren Wissen. Govindpur hat genug Kirchenland. Hier kann geübt werden: Bessere Düngung. Schädlings- und Unkrautbekämpfung und, wer weiß,  eines Tages Pflügen mit dem Traktor. Nicht mehr mit dem Rindergespann und dem Holzhakenpflug.

Dr. Bage hat etwa 30 Zuhörer, alte Freunde und seine Schüler. Nach der theoretischen Arbeit geht es in die Felder. Wir sollen ein neues Reisfeld anlegen. Ich lerne, wie ein Wall für den Wasserstau angelegt wird. Bei dieser Arbeit lerne ich einige Theologiestudenten kennen. Unter ihnen ist Masih Prakash Horo, sein Spitzname ist Jharkhand-Horo. Er gehört zu den „jungen Wilden“, die aus dem indischen Bundesstaat Bihar einen Adivasisstaat machen möchten, den Jhar­khand­staat, d.h. Waldland. –

Seit dem 1. Januar 2016 ist M. P. Horo Headmaster des Ausbildungszentrums in Govindpur. Er steht vor einer schweren Aufgabe, denn in 33 Jahren hat sich viel verändert. Beispiele: Im Jahre 1986 war ich der erste und einzige, der Motorrad fuhr. Heute ist es gefährlich, über die Straße zu gehen. Überall Motoräder, Autos, Jeeps, Lastkraftwagen, Autobusse. – Vor 33 Jahren hatte kein Student einen Highschoolabschluss (10. Klasse). Heute sind alle Studenten Absolventen der Highschool.

Eines aber ist geblieben, nämlich die Grunderkenntnis von Dr. Bage: „Die christliche Kirche wird nur dann ihre Berufung nicht verfehlen, wenn sie zur sozialen Bewegung wird“. – Sie muss zu einem guten Samariter werden. Ihre Dorfpastoren werden die vornehmsten Entwicklungshelfer (Sevak) ihres Dorfes sein. Wir brauchen keine deutschen Missionare und Entwicklungshelfer mehr Und: Das Geld wird in Zukunft eine neue Rolle einnehmen. Es wird uns nicht mehr von Deutschen abhängig machen. Es wird dienenden Charakter haben in der Arbeit für die Ärmsten.

Elfriede und ich leben von 1985 bis 1988 in Govindpur. Schon im Oktober 1983 hatten wir Rehargara besucht, einen Ortsteil von Govindpur. Und wir hatten gedacht: So sahen die Dörfer in Deutschland vor 1000 Jahren aus. In den Fol­gejahren lernten wir Dörfer in allen Teilen Chotanagpurs kennen. Von einigen von ihnen soll in diesem Buch erzählt werden.

Die Leserin und der Leser werden erstaunt bemerken, dass ich über eine Zeit von  33 Jahren berichte, von 1983 bis 2016. Aber ich erwähne nur wenige Dörfer. Ich habe zwar sehr viele Dörfer besucht, etwa 300, aber nur in wenigen fand ich Menschen, die sofort kooperieren wollten. Sie wollten nicht Geld, sondern den Austausch von Ideen. Und so kam es, dass meine Freunde und ich von der Entwicklungspolitischen Gesellschaft Berlin (EPOG) zwischen 1992 und 1999 regelmäßig nur vier Dörfer besuchten: Govindpur, Kaika, Burda und Nunia (Karte). Ab 1999 kamen vier weitere Orte hinzu: Bano, Hulhundu, Karimati und Raj­gangpur.

Wir konzentrierten uns. Warum? Wir wollten unsere Kräfte nicht verzetteln. Und: Es lag und liegt an den indischen Nachbarn in anderen Dörfern, die neuen Ideen und die neue Praxis aufzunehmen. Die Arbeit strahlt aus, mit Erfolg und Misserfolg. Davon soll erzählt werden.

Nach unserer Rückkehr in die DDR im Jahre 1988 schrieb ich meinen ersten Bericht unter dem Titel „Trittsteine im Fluss – Aus der indischen Gossner Kirche“. Dr. Marsallan Bage übersetzte dieses Buch im Jahre 2003 „in ein einfaches Hindi, damit die Bauern es in Chotanagpur mitlesen könnten“, wie er sagte[2].

Heute helfen mir Hora Senon Horo und seine Frau Olive in Berlin, diese meine Erzählung ins Hindi zu übersetzen.

Meine Freunde und Partner in Indien sollen mitlesen können, was ein Deutscher über unsere gemeinsame Geschichte zu berichten weiß. Diese Geschichte soll der Erinnerung und Orientierung dienen. „Gemeinsam“ gilt dabei sehr eingeschränkt. Ich war meistens nicht dabei, als Freunde und Partner ihre Entscheidungen trafen. Wenn sie nicht aufgegeben haben, Entwicklungshelfer  ihrer Dörfer zu werden, dann war das allein ihre Sache.

Und: Bis heute steht Dr. Marsallan Bage seinen Freunden und Schülern mit seinem Rate zur Verfügung und ist ein Beter im Hintergrund.

Mit Dank an Hora Senon und Olive Horo für die Mühe der Übersetzung und an Johan Dang für das Nachwort,

Willibald Jacob, Berlin Ostern 2016


I. Zehn Dorfgeschichten

1. Kaika – Vorbild am Rande des Urwaldes

Seteng Jojo war mit uns Dozentin an der Pracharak Training School in Govindpur. Sie unterrichtete das Alte Testament und sprach Deutsch. Sie war in Deutschland ausgebildet worden. Sie stammte aus dem Urwalddorf Kaika im Landkeis Bandgaon. Dort war ihr Bruder John Happad Gara der größte Bauer des Dorfes mit Land- und Waldbesitz.

Im Oktober 1985 lud sie uns in ihr Heimatdorf ein. Damit begann eine spannende Geschichte. – In Bandgaon fuhren wir von der Hauptstraße ab in einen Urwaldweg. Siebenmal kreuzten wir den gleichen Fluss. Die Männer des Dorfes hatten für uns Bäume gefällt und Sandhügel geebnet. Die letzten 500 m liefen wir zu Fuß. Die ganze Familie empfing uns vor der stattlichen Hütte: Das Ehepaar Happad Gara, sechs Kinder (drei Mädchen und drei Jungen) und die Großmutter.

Ich kürze ab. John Happad Gara wollte etwas. Er war ein gut ausgebildeter und umtriebiger Mann. Nach der Schulzeit war er nach Jamshedpur in die Industrie gegangen, hatte dort Techniker gelernt und war in dem technischen Ausbildungszentrum der Gossner Kirche in Fudi Ausbilder geworden.

Dann musste er in sein Dorf zurückkehren. Die nichtchristlichen Dorfbewohner hatten seinen Vater erschlagen, weil der seine Kinder zur Schule geschickt hatte und andere Neuerungen einführen wollte. John wurde der echte Nachfolger seines Vaters. Am Ende wurde John Happad Gara der Sprecher von etwa 170 Dörfern, ein Vermittler zwischen der noch analphabetischen Urbevölkerung (Adivasis) und den modernen indischen Behörden. – Er zeigte uns seine Dieselpumpe für die Bewässerung der Reis- und Gemüsefelder.

Wir sahen uns ab und zu auf Tagungen der Gossner Kirche in Ranchi. Erst im Jahre 1992 besuchte ich wieder sein Dorf, dieses Mal mit einer Gruppe von Freunden aus Berlin-Brandenburg. John Happad Gara hatte in der Zwischenzeit ein Gästehaus aus zwei Räumen mit Badestube gebaut, einen Anbau an sein Bauernhaus. Im Garten stand für uns eine Toilette aus Stangen und Zweigen.

Zwischen 1992 und 1999 besuchte ich mit Freunden der Ent­wick­lungs­po­li­tischen Gesellschaft (EPOG) viermal Kaika. John Happad Gara verfolgte ein Ziel: Er wollte die Dörfer seiner Gegend weiterbringen. Dazu brauchte er einen Traktor zum Pflügen und für eine Fahrschule für junge Leute. Er wollte auch für andere Bauern pflügen, gegen Lohn in Naturalien oder Bares. Er nahm ein Darlehen bei der indischen Volksbank auf. EPOG half mit einem Zuschuss. So konnte Happad Gara sein Ziel verfolgen. Er arbeitete fortan mit einem Traktor.

Als wir im Jahre 1999 wieder nach Kaika kamen, war er ein totkranker Mann.  Er starb an einem Lungentumor mit fast 60 Jahren. Er konnte mit Menschen und den Tieren sprechen und sich verständlich machen.

Sein Sohn Mukut übernahm das Erbe und die Ideen seines Vaters. Er verkaufte zwar den Traktor und bezahlte die Restschuld mit dem Verkauf einiger riesiger Urwaldbäume. Aber auch er hatte ein Ziel: Er wollte in Kaika eine Mittelschule bauen. Mit Hilfe des Landkreises erreichte er dieses Ziel. Als wir 2005 nach Kaika kamen, stand die Schule im Rohbau. Danach wurde es ausländischen Besuchern untersagt, die Gegend um Kaika zu besuchen. Der Aufstand in den Wäldern hatte auch diese Region erfasst.

In der Zwischenzeit steht und arbeitet die Mittelschule in Kaika für viele Dörfer und Frau Happad Gara, John’s Frau, ist die Vorsitzende des Schulvereines.

2. Govindpur-Gusatoli  –  Der Dorftischler wird Fahrlehrer

Wir brauchten 1985 in Govindpur einen Helfer, möglichst einen geschickten Handwerker. Nach einigem Zögern vermittelte uns Pastor Martin Jojo, der Rektor unserer Schule, den geschicktesten Arbeiter der Gegend, Eden Kerketta. Martin Jojos Zögern war begründet. Denn ab und zu trank Eden Kerketta zu viel Alkohol.

Aber: Er baute aus unseren Seekisten phantastische Möbel. Dabei saß er auf der Erde und hielt das Holz mit den Füßen. Oder er rammte die Beine einer Hobelbank  in die Erde und begann zu hobeln. – Er sicherte das Dach unseres Hauses, des alten Missionarshauses, mit einer Metallhaube. Kein Wasser drang fortan in das Haus ein. Eden Kerketta leitete die Bauern an, die ihm halfen.

Eden Kerketta sprach besser Englisch als alle Pastoren und Lehrer in Govindpur. Er hatte Highschool und College besucht. Er war bei der Infanterie und dort Fußballtrainer. Er konnte gut mit jungen Menschen umgehen.

So wurde er nun mein Begleiter bei den Fahrten in viele Dörfer, mein Dolmetscher und am Ende auch Kraftfahrer. Er lernte auf meinem blauen Mahin­dra-Jeep.

So war es nur natürlich, dass er im Jahre 1992 nach Arbeit fragte und Fahrlehrer wurde. Dr. Marsallan Bage und Johan Dang schrieben einen entsprechenden Brief an ihn mit der Frage, ob er eine Fahrschule aufbauen könnte, eine systematische Ausbildung von Kraftfahrern. Wir nannten diese Fahrschule ein CTC, ein Craftsmen Training Centre. Es entstand auf seinem Grundstück. Meinen blauen Jeep hatte ich der Kirchenleitung abgekauft. Mit ihm begann Eden Kerketta.

Von 1992 bis 1996 bildete er pro Jahr durchschnittlich 40 Kraftfahrer in zwei Lehrgängen aus. Es war die Zeit der ersten Motorisierung Indiens. Der Bedarf an Kraftfahrern war groß. Bald eröffnete ein Hindukaufmann im Nachbardorf Jariagarh eine eigene Fahrschule. Die Verkehrspolizei in Torpa wurde munter. Auch sie begann die Ausbildung von Kraftfahrern. – Eden Kerketta entwickelte ein schönes Abschlusszeugnis. Die Verkehrspolizei erteilte die Lizenzen.

Im Jahre 1996 aber hatte Eden Kerketta einen Unfall mit dem Jeep. Er fuhr unter Alkohol. Dabei wurde seine rechte Hand, die Arbeitshand, zertrümmert. Damit endete seine Arbeit mit der Fahrschule, eine phantasievolle Arbeit und eine beispielhafte Erfolgsgeschichte in einem kleinen Dorf. Er übergab den Jeep an Pastor Johan Dang und Pracharak Kirum Barjo. Bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1999 betrieb er eine Nachhilfeschule in dem Gebäude der alten Fahrschule in seinem Garten.

Eden Kerketta starb mit 50 Jahren an der Kombination von Zucker- und Alkoholkrankheit. Die Aufbauarbeit in den Dörfern erlitt damit einen empfindlichen Verlust. Seine Frau und seine Kinder hüten das Vermächtnis ihres Vaters bis heute. Sie alle üben neue Berufe aus.

3. Burda – von der Fahrschule zur Schmiede

Zum Weihnachtsfest 1986 lädt uns der Präsident der Gossner Kirche, Pfarrer Narendra Mohan, in sein Dorf ein. Es liegt in Westbengalen im Distrikt Purulia. Nach 250 km Fahrt bei strömendem Regen durchfahren wir einen kleinen Fluss und erreichen Koreng, sein Heimatdorf. Mohan MG wie ihn alle nennen, stellt uns seine Familie vor und sagt dann: „Morgen fahren wird nach Burda.“

Es stellt sich heraus, dass Burda die eigentliche Kirchengemeinde der Gegend ist.

Das Dorf hat 4000 Einwohner. Die meisten sind Hindus. Die Christen der Gossner Kirche haben ein schönes Kirchengebäude. Die Kirchenältesten sind sehr selbständig. Sie versehen alle Dienste, predigen, unterrichten, leiten den Chor, erledigen die Geschäfte der Gemeinde. Der Pfarrer kommt in großen Abständen aus Purulia zu Taufe und Abendmahl. Die Gemeinde hat großen Anteil am gesellschaftlichen und politischen Leben. Viele Kirchenälteste gehören zur kommunistischen Partei Westbengalens. Die Seele von Gemeinde und Dorf ist Dr. Lalit Mohan Sandil, Arzt, Großbauer und Pracharak (Laienpastor). Vier Söhne unterstützen ihn tatkräftig. Der jüngste ist ebenfalls Arzt und Mitglied der KP. Der nächste ist Lehrer und stellvertretender Landrat, eine weiterer Generalarzt bei der indischen Armee in Ranchi. Der älteste ist Highschoollehrer in Burda und die rechte Hand des Vaters in der Landwirtschaft; Daniel Sandil. Das Kennzeichen des Hofes sind die riesigen Reisstrohschober.

Mit Daniel Sandil beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte des großen Dorfes. Burda hat einen funktionierenden Staudamm, der die Felder bewässert und die Ernte sichert. Was Sorge macht: Die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch. Als ich 1996 mit einer Gruppe aus Mecklenburg – Vorpommern wiederum Burda besuche, steht der Entschluss von Daniel Sandil fest: Er möchte eine Fahrschule gründen, aber auch eine Handwerkerausbildung beginnen. Er bespricht sich mit dem Gemeinderat und mit Nachbarn. Er stellt ein Stück Land zur Verfügung und errichtet ein einfaches Werkstattgebäude mit Veranda. Und dann macht Daniel Sandil zwei grundlegende Erfahrungen:

  • Positiv: Daniel Sandil findet einen Fahrlehrer. Er ist Hindu. Auch findet er zwei junge Handwerksmeister. Sie sind Moslems. Seine Autorität überschreitet Religionsgrenzen, weil das in Burda normal ist.
  • Negativ: Es melden sich sehr schnell 12 Fahrschüler. Wie sich aber herausstellt, wollen sie kein Lehrgeld bezahlen. Sie denken, das Geld kommt von den Deutschen, von der Kirche oder vom Staat.

Sehr schnell bleiben die Fahrschüler weg, als Daniel Sandil hart bleibt: Wer nicht zahlt, kann nicht lernen. Wir sind keine Bettler. Er kennt seine Leute und weiß, dass sie in Burda nicht arm sind.

So kann die Fahrschule nicht aufgebaut werden. Dafür blüht die Schmiede. Es werden keine Fahrzeuge repariert, sondern die beiden Meister aus der Familie Ansari bauen z. B. Eisengitter für Tore, Türen und Fenster (sog. Grills) und andere Gebrauchsgegenstände und bilden jährlich fünf Lehrlinge aus. Wer denkt, das sind wenige, sollte bedenken: Die Schmiede benötigt keine Zuschüsse. Meister und Lehrlinge erwirtschaften ihre Löhne und ihren Lebensunterhalt selbst, und sie haben Geld für den Ausbau und die Reparatur der Werkstatt.  Wenn sie Holzteile mit Eisenteilen zusammenfügen müssen, rufen sie einen Tischlermeister. Für die Kirche in Burda bauen sie auf diese Weise eine neue Innenausstattung.

Wir Gäste von der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EPOG) finanzieren in großen Abständen Werkzeug oder ein Schweißgerät.

Als wir im Jahre 1996 Burda besuchen, ist der Bürgermeister von Saßnitz auf der Insel Rügen, Dieter Holtz, dabei. Es wird ein großes Fest gefeiert. Auf dem großen Platz sind alle Nachbarn versammelt, Hindus, Moslems, Christen etwa 1000 Personen. Eine Theatergruppe spielt ein Drama aus der Geschichte Indiens.

Auch heute, 2016, bildet Daniel Sandil mit seinen Kollegen Schmiede aus.

4. Nunia – Der Pracharak ist Dorfpastor und Zuckerrohrbauer

Emmanuel Marandi studierte in den Jahren 1985–87 in Govindpur an der Pra­charak Training School. Er konnte gut Englisch sprechen, war ein guter Musikant auf der Trommel, mit dem Xylofon und der Gitarre. So wurde er ein Helfer meiner Frau Elfriede im Musikunterricht und in der Chorarbeit. In seiner Heimatgemeinde Nunia in Westbengalen ist er die Seele der Jugendarbeit.

Als wir Weihnachten 1986 das erste Mal nach Westbengalen fuhren, besuchten wir auch Nunia. Nunia liegt per Luftlinie 10 km von Burda entfernt. Berge trennen beide Dörfer. So mussten wir 30 km Umwege fahren und dann durch einen Fluss. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses dehnten sich weite Zuckerrohrfelder in einer  fruchtbaren Lößebene. Mitten in den Feldern liegt das Dorf.

Die Gemeinde der Gossner Kirche in Nunia gehört zum Volk der Santals, einzig in dieser Kirche. Die Kirchenältesten sind so aktiv wie in Burda. Der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates heißt Nehemiah Marandi und ist Emmanuels Onkel. Er ist gleichzeitig Parteisekretär der Kommunistischen Partei des Dorfes.

Bei unserer Vorstellung im Jahre 1996 erläutert er uns den Produktionsprozess bei der Zuckergewinnung. Emmanuel Marandi übersetzt; Stecken von Zuckerrohrstücken im Lößboden im Frühjahr, Aufwuchs des Zuckerrohres in der Regenzeit, Ernte des Zuckerrohres im Herbst, Pressen des Rohres durch externe Händler gegen eine hohe Gebühr, Übernahme und Kochen des Saftes durch die Bauern, Verkauf der Melasse an Händler, Weiterverkauf an die Zucker­raf­fi­ne­rien (staatliche Fabriken): Das Problem waren die Händler. Sie verhinderten die guten Einnahmen. Sie nahmen hohe Preise für das Pressen des Zuckerrohres.

Wir diskutierten diese Probleme. So entstand der Plan der Bauern, das Pressen des Zuckerrohres selbst zu übernehmen und damit im Ganzen bessere Einnahmen bei dem Verkauf der Melasse an die Fabriken zu erzielen. EPOG übernahm die Finanzierung der Presse und den Kauf von zwei riesigen Schüsseln für ärmere Bauern zum Kochen der Melasse. Um alle Aufgaben zu meistern, gründeten die Bauern eine Genossenschaft. Emmanuel Marandi wurde ihr Sekretär und Organisator.

In der Folgezeit stieg der Wohlstand der Gemeinde. Aber auch Missgunst und Konkurrenzdenken nahm zu. Irgendwann wurde in Nunia ein Mann erschlagen. Die Schuld an diesem Totschlag wurde Emmanuel Marandi zugeschoben. Er wurde angeklagt. Bis zur Klärung dieses Falles durfte er jahrelang den Distrikt und das Land nicht verlassen. Dann wurde er in einem Gerichtsprozess freigesprochen.

Im Herbst 2016 sollen er und Daniel Sandil zu uns nach Mecklenburg-Vorpommern kommen. Der Bürgermeister von Saßnitz, Dieter Holtz, hat eingeladen. Dieter Holtz kennt Burda und Nunia. Er hat die indische Gastfreundschaft nicht vergessen. Und er ist ein Linker wie viele Männer in Nunia und Burda, ein Mensch, der die soziale Frage mit anderen gemeinsam lösen möchte.

5. Lomboi-Ginikera  –  Die ambulante Fahrschule

Als Eden Kerketta im Jahre 1996 verunglückte, hatten wir für die Fahrschule in Govindpur zwei Fahrzeuge: meinen blauen Jeep Mahindra und den Armada-Jeep, den die Freunde von EPOG finanziert hatten. So konnten Pastor Johan Dang und seine Studenten weiterdenken.

Unter den Studenten war Kirum Barjo. Er wollte nicht nur Pracharak sein. Schon vor dem Studium an der Pracharak Training School hatte er eine Vorliebe für Fahrzeuge entwickelt. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Busbegleiter und Kontrolleur; das sind die Leute, die an indischen Bussen in der Tür mehr hängen als stehen. Sie dirigieren den Fahrer an den Haltepunkten durch lautes Rufen oder durch Schläge an die Wand des Busses. Bei den Jugendlichen seiner Gegend an der Hauptstraße zwischen Khunti und Raurkela hatte Kirum Barjo großes Ansehen. Dieses Ansehen konnte er für die kirchliche Jugendarbeit nutzen. In den Jahren seines Studiums von 1994 bis 1996 in Govindpur ging die Initiative von ihm aus. Er ging zum Headmaster Johan Dang. Er kam zu mir, weil er mein Konzept kannte (dieser Deutsche hatte doch auch zwei Berufe: Pastor und Ingenieur). Er kannte auch Dr. Bages’ Ansichten. Fazit: Er wollte Fahrschullehrer werden und natürlich auch Pracharak sein.

Kirum Barjo übernahm 1996 den Armada-Jeep und zog in die Urwalddörfer des Kirchenkreises Lomboi-Ginikera. Dort war Johnson Aind Parish Chairman, ein aufgeschlossener, humorvoller und strenger Mann. An seiner Seite baute Kirum Barjo eine ambulante Fahrschule auf, d. h. er zog mit dem Jeep von Dorf zu Dorf und trainierte junge Leute. Wenn sie fahren konnten und die Regeln kannten, stellte er sie der Verkehrspolizei in Torpa für die Prüfung vor.

Hier im Urwald reifte der Plan heran, eine stationäre Fahrschule und eine Reparaturwerkstatt aufzubauen, und zwar in dem großen Straßendorf Bano an der Bahnstrecke Ranchi–Raurkela. Die Zeit dafür wurde reif. Immer mehr Kraftfahrer wurden gebraucht, auch Autoschlosser. Die Gemeinde Bano liegt im Kirchenkreis Takarma. Eines Tages wurde Johnson Aind dort Parish Chairman (nach einen Zwischenspiel in Govindpur als Partner von Johan Dang). Die richtigen Personen kamen zusammen für eine Kooperation. Davon soll später erzählt werden.

6. Govindpur – Holzmangel, der Teich und der deutsche Baumgärtner

Schon Eden Kerketta hatte die Idee, Tischler auszubilden. Er war ja selbst Tischler. Er fand auch Lehrlinge. Aber dann kam der Einspruch der Eltern: Wie könnt ihr Tischler ausbilden, wenn es kein Holz gibt für diesen Beruf? Die Eltern hatten Recht. Das Holz für das Sägewerk in Govindpur-Basti kam von weither, manchmal sogar aus China, geschmuggelt über die Assamesische Grenze. Die Idee einer Tischlerausbildung wurde aufgegeben.

Aber das Problem ist erkannt. Die Bauern in Chalungi jenseits des Karoflusses und die Bauern in Kurit beginnen über den Holzmangel, d. h., über den Waldmangel, zu diskutieren. Sie beziehen den Headmaster Johan Dang mit ein. Was ist zu tun?

Im Jahre 1999 helfen Bauern und Studenten, einen Teich auszuheben. Er liegt auf dem Kirchenacker in Govindpur in der Nähe des New Life Light Centres (NLLC). Er soll 5000 m³ Regenwasser auffangen. Dann sollen auf 2 ha Ackerland und Brache Bäume gepflanzt werden.

Damit beginnt ein neuer Zweig bei der Ausbildung in den CTC: der Baumgärtner. Es ist eine Ausbildung für Jedermann und jede Frau, eine bittere Notwendigkeit. Die Abholzung der Wälder in Indien hat überhandgenommen.

Das Jahr 2001 wird entscheidend. Immer mehr Menschen in und um Govindpur erkennen die Notwendigkeit der Aufforstung und der Obstplantage.

Zwei Aktionen bestimmen dieses Jahr:

  • Der Baumgärtner Benjamin August aus Ellrich bei Nordhausen in Deutschland kommt für ein Jahr nach Govindpur. In der Nähe des Teiches pflanzt er einen Wald aus Nutzholz, z.B. Teakholz. Die Studenten lernen und arbeiten bei ihm. Rings um den Teich entsteht eine Mangoplantage. Was gelernt werden muss? Schädlinge bekämpfen, Veredelung und Bewässerung, d. h. der Umgang mit Dieselpumpen. – Und dann ein Rückschlag: Im Januar 2002 sinken die Temperaturen unter 0°C, ungewöhnlich in Indien. Von 600 jungen Bäumen erfrieren 400; sie müssen in der Folgezeit nachgepflanzt werden. Die Mangobäume erweisen sich als winterfest; sie überleben.
  • Am 14. Januar 2001, am Beginn der Tätigkeit von Benjamin August, findet die CTC-Jahresversammlung in Govindpur statt. Es kommen etwa 100 Besucher, Bauern, Handwerker, Fahrschüler, Lehrkräfte, Studenten, Pastoren, Zaun­gäste, Neugierige …

Das Thema: Wiederaufforstung, Forstwirtschaft und Landwirtschaft. Die Referenten sind: Dr. Bimal Nag, Tezpur, Assam, Pastor Johan Dang, Govind­pur, Dr. Ute Schönfeld, Potsdam, Deutschland.

Durch die Abholzung ist das Gleichgewicht aus den Fugen geraten, in Indien wie in Deutschland. In Indien sollen 33 % der Nutzfläche mit Wald bestanden sein. In Deutschland ist es ähnlich. Jetzt sind es in Indien nur noch 19 %.

Das Thema lässt uns nicht mehr los. Pastor Johan Dang wird zum Experten auf diesem Gebiet. Und die Bauern in Chalungi bepflanzen ihre Gärten mit Mangobäumen.

7. Bano-Lacheagarh – Fahrschule und Reparaturwerkstatt, der Pfarrer als Betriebsleiter

Kirum Barjo bringt den Armada-Jeep aus dem Dschungel von Ginikera in das große Dorf Bano mit seinem weithin bekannten Bahnhof (Markttage am Bahnhof). Dort mietet er ein kleines Gebäude an der Straße neben dem Sportplatz. Er baut eine stationäre Fahrschule auf. Der Sportplatz dient als Übungsfeld. So beginnt im Jahre 2003 der Aufbau des CTC Bano. Die KFZ-Reparaturwerkstatt beginnt ihre Arbeit mit der Anstellung von Schlossermeister Jidan Lugun. Sowohl die Fahrschule als auch die Werkstatt hat pro Jahr 10–15 Lehrlinge. Mehr Lehrlinge sind nicht zu verkraften. Die Ausbildung geschieht im Freien, die Reparaturarbeiten an Jeeps, PKWs, LKWs, Traktoren und Motorrädern auf der Fläche zwischen der Straße und der Werkstatt. In der Werkstatt werden die Werkzeuge und die Schweißgeräte gelagert.

Bald werden ein zweiter und ein dritter KFZ-Meister angestellt, je nach Anzahl der Lehrlinge. Ihre Löhne und die Finanzierung erwirtschaften Meister und Lehrlinge durch ihre Arbeit und die Gebühren für die Fahrschule.

Der Kirchenkreis (Parish)Takarma leistet Amtshilfe und ist Rechtsträger des Betriebes. In der Zwischenzeit ist Pfarrer Johnson Aind der Parish Chairman geworden.

Es gilt eine Vereinbarung: Alle Einnahmen werden an den Kirchenkreis abgeführt. Der Kreiskirchenrat zahlt regelmäßig die Gehälter. Mit den Mehreinnahmen wird ein Sozialfonds gebildet. Aus diesem Fonds werden Lehrlinge aus armen Familien unterstützt und Berufsbekleidung für die Schlosser gekauft. Durch diese Konstruktion ist Rechtssicherheit gegeben, auch im Verkehr mit staatlichen Behörden.

Im Jahre 2013 hat die Fahrschule in Bano 60 Fahrschüler, davon sechs Frauen. Für die Frauen wurde ein gebrauchter PKW angeschafft. Damit wurde eine Forderung der Frauen erfüllt. Sie wollen auch die Fahrerlaubnis machen.

Im gleichen Jahr 2013 wird Kirum Barjo in Bano zum Pfarrer ordiniert. Vier Jahre lang hatte er in Ranchi am Theologischen College ein externes Studium absolviert.

Und nun die Besonderheit:

Kitum Barjo wird freigestellt und Leiter des CTC Bano. Die Kirchenleitung der Gossner Kirche und besonders Bischof Jolen Marsal Topno in Khunti-Kadma hatten die Situation analysiert und verstanden. Für die Jugend und gegen die Arbeitslosigkeit mussten besondere Schritte getan werden. Die Botschaft von Dr. Marsallan Bage sollte umgesetzt werden: „Die Kirche wird nur dann ihre Berufung nicht verfehlen, wenn sie zur sozialen Bewegung wird“.

Mit Kirum Barjo wurde in Bano ein anderer Pracharak zum Pfarrer ordiniert, Saban Surin. Er ist in Khunti für die Sozialarbeit freigestellt und leitet den Verein Guter Samariter. So strahlen die Anfänge von 1983 und 1992 aus, trotz mancher Rückschläge.

8. Karimati – Die Mangoplantage und der Parish Chairman als Baumgärtner

Im Jahre 2006 wurde Pfarrer Johan Dang als Parish Chairman (Superintendent) nach Karimati berufen. 18 Jahre lang war er Headmaster der Pracharak Training School und Direktor des New Life Light Centre (der Farm) in Govindpur gewesen. Er hatte die Qualifizierung der Pracharaks (Dorfpastoren) und Pracharikas (Gemeindehelferinnen) zu modernen Bauern, zu Handwerkern und Baumgärtnern begleitet.

Karimati war keine normale Gemeinde, sondern eine Station: Das alte Mis­sionarshaus mit großen Feldern ringsum, einem ausgedünnten Wald, einer Kirche und einer Ein-Klassen-Schule. Der Kirchenkreis umfasste ähnlich wie in Govindpur viele Dorfgemeinden und die Industriestadt Birmitrapur mit Kalkgruben und Zementwerken.

Die eigentliche Herausforderung war die Station und das brache Land. Eine Frauengruppe hatte begonnen auf einem Stück Land Teakbäume zu pflanzen. Zum Schutz gegen die frei laufenden Tiere hatten sie das Land mit einem Zaun umgeben.

Johan Dang knüpfte an diese Initiative an. Er fand Helfer. Und er leitete den zuständigen Prachark Eman Soy an, mit Sachverstand Mangobäume zu pflanzen. Ein weites Feld in der Nähe der Kirche wurde zum Mustergarten. Wenn der Superintendent durch die Mangoplantage führte, dann wurde dieses zu einer Lehrstunde für Einheimische und Gäste.

Für Johan Dang wurde diese Mangoplantage zu einem weiteren Exempel für das, was die Gossner Kirche aus ihrem Land machen könnte. In allen Diözesen der GELC gab es „Stationen“ mit großen Ländereien; ungenutzt, brachliegend, vernachlässigt, in der Regel von einer Größe zwischen 10 ha und 50 ha (40–200 acres). Schon Dr. Marsallan Bage hatte darauf hingewiesen und dann mit der Kirchenfarm in Govindpur begonnen (NLLC). Die Beispiele könnten vermehrt werden.

Als Pfarrer Johan Dang im Jahre 2009 zum Bischof der GELC in Orissa gewählt wurde, wird das Kirchengrundstück in der Industriestadt Rajgangpur eine Teakholzplantage. Sein Helfer wurde Pracharak Mansid Tiru, gleichzeitig sein Büroleiter.

An dieser Stelle muss der Leser und die Leserin über eine besondere Kooperation informiert werden. Viele Freunde der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EPOG) hatten seit 1992 die Dörfer besucht, von denen in diesem Buch die Rede ist. Im Jahre 2003 begann die EPOG verantwortliche Mitarbeiter der GELC nach Deutschland einzuladen, besonders in die Länder Berlin-Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Es begann die Aktion Trainig for Indian Trainers.

Die Gastgeber und Ausbilder waren vor allem Andreas Schröder in Waren und Teterow, Wilfried Hahn in Güstrow Klues, Dieter Holtz in Saßnitz/Rügen und Horst Köth in Berlin-Weißensee. Ab 2011 lag ein Schwerpunkt der Ausbildung in der Forstbaumschule von Wilfried Hahn. Aber auch die Handwerkerausbildung ging weiter. Unter den indischen Teilnehmern waren Kirum Barjo, Manmasih Surin, Sursen Jojo, Cyprian Jaria, Johan Dang, Mansid Tiru, Na­rendra Gagrai, Marshal Kerketta und Micah Topno.

Die Dauer der Ausbildung betrug drei Monate. Täglich wurde acht Stunden gearbeitet; eine Fünf-Tage-Arbeitswoche. Es war die deutsche Arbeitszeit innerhalb einer Belegschaft von 80–300 Arbeitern und Angestellten.

Die Zeit in Deutschland war für die indischen Besucher kein Sommerurlaub. In der Forstbaumschule Güstrow-Klues lag das Quartier der indischen Gäste un­mittelbar auf dem Gelände des Betriebes. Sie fielen also, wie das Sprichwort sagt, aus dem Bett in die Arbeit. Der Lehrplan umfasste die Theorie und Praxis der Forstwirtschaft „vom Saatgut bis zur Pflanze“.

Die Forstbaumschule Güstrow-Klues ist die größte in Deutschland und produziert Waldpflanzen auf einer Fläche von etwa 150 ha (600 acre). Der Leiter dieses Baumzentrums ist Wilfried Hahn, Förster und Forstökonom. Er besuchte im Jahre 2013 mit einer Reisegruppe von EPOG unsere Partnerdörfer in Cho­ta­nag­pur, wie sie in diesem Buch beschrieben werden. In Burda und Khunti sah er die kommunale und die staatliche Baumschule und diskutierte mit Vertretern des Panchajats und der Forstbehörde. Das Ergebnis: In Indien und in Deutschland wird nach den gleichen Prinzipien gearbeitet. In beiden Ländern verschwindet Schritt für Schritt der Wald. Das ist eine Katastrophe. Bauern, Förster, Familien und Behörden sollten dagegen ankämpfen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Kirchengemeinden können und sollen dabei helfen.

9. Hulhundu – Wissenschaft und Natur, ein Arzt mit Pflanzen für Menschen

„Ein deutscher Arzt ist angekommen!“ So wurde mir eines Tages erzählt. Ich suchte nach diesem Arzt und fand ihn in einem Dorf, irgendwo zwischen Fudi und Hulhundu. Vor mir stand ein  kleiner, drahtiger, junger Mann. Sofort kamen wir ins Gespräch. Er hatte in Nepal arjuvedische Medizin studiert, bei Mutter Teresa in Calcutta ein Praktikum absolviert, in Innsbruck (Österreich) europäische Medizin weiterstudiert und die deutsche Sprache erlernt. Und nun? Er sei nach Hause zurückgekehrt und wollte den Armen dienen, hier in seinem Dorf. Er wollte ein kleines Krankenhaus bauen. Honorare werde er von den Reichen nehmen. Den Armen werde er entgegenkommen.

Dr. Gyan Prakash Bodra ist sein Name und er hatte Erfolg. Aber zunächst wurde er zwei Mal vertrieben, zuerst aus seinem Heimatdorf, dann aus dem Nachbardorf. Er war zu ungewöhnlich und den Dorfbewohnern auch etwas unheimlich: Ein Munda aus dem Clan der Bodra und benimmt sich wie ein Europäer? Das ging zu weit. Agil, konsequent, ideenreich, scheinbar losgelöst vom Rhythmus der Natur. Gleichzeitig machte er Medizin aus Pflanzen. Das klang traditionell. Aber er wollte ein Krankenhaus bauen ohne Hilfe der Deutschen, des Staates oder der Kirche. Wie wollte er das schaffen? Er war doch kein Zauberer.

Dr. G. P. Bodra wollte tatsächlich kein Geld. Er wollte moralische und argumentative Hilfe. EPOG sollte sein moralischer und vermittelnder Kooperationspartner werden. Und er nahm die Hilfe der Kirchengemeinde Hulhundu an. Sie gewährte ihm Asyl und gab ihm ein Stück Kirchenland für ein kleines Krankenhaus. Er zahlte Miete.

Bischof Jolen Marsel Topno aus Khunti-Kadma wurde sein Berater und sein Förderer. Als eine EPOG-Besuchergruppe im Jahre 2009 von ihm eingeladen wurde, hatte er den ersten Teil einer Mittelschule einschließlich Kindergarten gebaut. Finanzielle Hilfe bekam er von einer indischen Ärztevereinigung und der ärztlichen Weltvereinigung gegen rheumatische Leiden. Es sollte Richtfest gefeiert werden. Im Gewühl des Festes zur Einweihung der Schule stand plötzlich Mrs. Happad Gara aus Kaika vor mir, und wir umarmten uns. Sie war in der Zwischenzeit Vorsitzende des Schulvereins in Kaika (s. o.). Die Schule lief gut. Ich durfte zwar nicht nach Kaika in den Urwald, aber Dr. Bodras Initiative hatte uns zusammengebracht.

Im Jahre 2015 begann Dr. Bodra mit dem Bau eines Seniorenheimes. Seine Hauptarbeitsorte blieben aber das kleine Krankenhaus, der Herbalgarten und sein Gewächshaus. Dr. Gyan Prakash Bodra ist Spezialist für rheumatische Krank­heiten und Orthopädie. Er fertigt Prothesen für Arme und Beine durch eigenhändige Arbeit an. Besonders bei der Bekämpfung von Schmerzen zeigt sich seine Fähigkeit, einheimische und sog. Schulmedizin miteinander zu verbinden.

Ab und zu veranstaltet er Seminare für kirchliche Mitarbeiter, besonders aus dem ländlichen Raum. Sie sollen die Fähigkeiten erlernen, aus Pflanzen Medizin zu machen. Das ist eine Kunst und erfordert die Kenntnis von Pflanzen und Men­schen (aus Gift wird Medizin). Diese Kunst ist uralt, eigentlich in Indien zuhause, wird aber vergessen.

An dieser Stelle sei ein Unternehmen erwähnt, bei dem das Dorf, die kirchlichen Mitarbeiter und die Vertreter der EPOG gescheitert sind.

Der Parish Chairman von Gumla, Pfarrer Ohma Lakra, brachte uns im Jahre 2007 nach Kojang, einem Dorf weitab im Urwald und in tiefen Gebirgstälern. Der Kreiskirchenrat hatte beschlossen, dort eine Zweiraum-Dispensary (Dorfklinik) mit Veranda zu bauen. EPOG sollte finanziell helfen. Die Gegend wird durch Aufständische beherrscht und durch Stammesstreitigkeiten (Munda-Uraon) zerrissen.

Die Dispensary wurde erbaut. Der zuständige Amtsarzt wurde für die Sprechstunden und die Behandlung von Patienten gewonnen. Soweit, so gut. Dann wurde der Arzt in ein Krankenhaus abgeworben. Als die Autorität weggegangen war, begann der Streit, ein Streit um Geld. Einige im Dorf sprachen die Vermutung aus, dass sich irgendwer Geld von den Baukosten persönlich angeeignet hätte. Korruptionsverdacht. Damit wirkte ein Gift, das keine Medizin ist. Der Schaden ist bis heute nicht geheilt, und Dr. Marsallan Bage behält Recht: Wir brauchen eine Partnerschaft ohne Geld. Aber auch Fehler und Misserfolge sollen nicht verschwiegen werden.

Ich erinnere mich an eine Begegnung mit Mutter Teresa in Calcutta. Es war im Jahre 1985, während der Entgegennahme unserer Seefracht. Die Fracht war aus dem deutschen Ostseehafen Rostock im Seehafen von Calcutta angekommen. Ich ging in das Mutterhaus der Sisters of Charity in der Jaggadish-Bose-Road. Ich wurde sofort vorgelassen, als ich sagte, ich sei evangelischer Pfarrer und käme aus der DDR. Mutter Teresa empfing mich im ersten Stockwerk auf der Veranda ihrer kleinen Wohnung (Celle). Nach meiner Vorstellung schilderte ich die Pläne von Dr. Marsallan Bage in Govindpur im tiefsten Bergland von Cho­tanagpur. Sie hörte interessiert zu, besonders bei dem Plan einer „Partnerschaft ohne Geld“.

Dann fragte sie nach ihren Schwestern in Leipzig. Dort in der DDR hatten sie eine Kommunität gegründet und widmeten sich der Krankenpflege; indische Krankenschwestern in der DDR. Sie wusste genau Bescheid. Dann kam sie auf das Geld zu sprechen, und welche Menschen ihr Werk an den Letzten der Stadt Calcutta unterstützen, an Leprakranken, Obdachlosen und Sterbenden. Ich erinnere mich an ihre Worte: „Wir nehmen von allen Geld und Unterstützung, denen es um die Sache, um den Menschen geht. Wenn wir spüren, reiche Menschen und Unternehmen wollen sich einen Namen machen oder für sich Werbung betreiben, verweigern wir die Annahme der Unterstützung. Große Spenden von den Falschen können gefährlich sein.“ Ich denke an das Konzept von Dr. Marsallan Bage: Partnerschaft ohne Geld.

Ich habe das Empfinden, dass es hier wie dort, in Calcutta wie in Govindpur um die Überwindung des Geber-Nehmer-Verhältnisses geht. Dieses Verhältnis ist unnormal, durchsetzt mit Korruption. Das Geber-Nehmer-Verhältnis zeugt davon, dass Kolonialismus nicht überwunden ist.

10. Kahupani – Ein Neuanfang, ein Weg wohin?

Bis zum 3. Januar 2016 war Pfarrer Manmasih Surin Leiter des Ausbildungszentrums in Govindpur. Das Zentrum besteht aus vier Institutionen. Der Pra­cha­rak Training School, der Tabita Bible School (nur für Frauen), dem New Life Light Centre (Kirchenfarm) und dem Craftsmen Training Centre (je nach Bedarf Fahrschule oder Baumgärtnerei).

Von 2006 bis 2016 war M. M. Surin Sekretär und Koordinator aller CTCs. Er war verantwortlich für die Kontoführung und die Weiterleitung von (seltenen) EPOG Hilfsgeldern für Werkzeug, Berufsbekleidung oder Schweißgeräten. In seinen Händen lag die Abrechnung gegenüber EPOG. Er konnte das, was in einer Kultur der mündlichen Überlieferung nicht selbstverständlich ist. Er beherrschte den Umgang mit Rechnungen, Quittungen und Kostenvoranschlägen. Er berief die Vollversammlungen der CTCs ein.

Im Januar 2016 ging M. M. Surin als Parish Chairman (Superintendent) nach Kahupani. Dieser Kirchenkreis umfasst ein großes Gebiet aus Dörfern in Reisfeldern und im Urwald. Dieses Gebiet liegt abseits, aber gleichzeitig an der Hauptstraße Ranchi–Raurkela. In einem der Dörfer ist seine Frau Lehrerin. Zu seinen Mitarbeitern gehören Pfarrer Reshan Kerketta und Pracharak Sursen Jojo.

Reshan Kerketta stammt aus einem Dorf nahe Govindpur, studierte an der Pra­charak Training School, hatte bei Elfriede Jacob Musikunterricht, setzte das The­ologiestudium in Ranchi fort und wurde Pfarrer.

Sursen Jojo lernte Motorradschlosser in Torpa, wurde Pracharak in Govind­pur und wurde für drei Monate zum Training for Indian Trainers nach Teterow und Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern geschickt. Nach seiner Rückkehr nach Indien arbeitete er als Reparaturschlossermeister in Bano bei Kirum Barjo. Gleichzeitig war er Pracharak im Kirchenkreis Takarma. Im Jahre 2015 wechselte er als Pracharak nach Kahupani.

Der Parish Chairman M.M. Surin trifft in Kahupani nicht nur alte Bekannte, sondern qualifizierte, erfahrene Mitarbeiter. Die Situation der Dörfer wird ihnen zeigen, welches „Projekt“ sie brauchen, was sie zu tun haben. Ob es eine Baumgärtnerei sein soll, wird sich zeigen. Oder wieder eine Fahrschule? Oder die Milchwirtschaft? Bisher werden Rinder in der Regel nur als Zugtiere vor dem Holzhakenpflug gehalten.

Alle CTC-Freunde in Indien und in Deutschland dürfen gespannt sein, welche Entscheidung das „Team von Kahupani“ und die dortigen Dörfer treffen. –

Der Kirchenkreis Kahupani der Gossner Kirche umfasst 24 Gemeinden, das sind 1600 Familien oder etwa 10 000 Gemeindeglieder.


II. Fünf Gedanken zur Arbeit der Craftsmen Training Centres

In großen Abständen sind die Mitarbeiter der CTCs zu Vollversammlungen zusammen gekommen. Dann wurden aktuelle Themen behandelt und diskutiert wie bereits dargestellt. Es waren Themen von allgemeinem Interesse wie die Aufforstung oder auch die Gefahr des Alkohols bei Kraftfahrern (Alkoholgenuss kann zu Alkoholkrankheit führen; siehe die Fülle der Unfälle) oder auch die rechtliche Absicherung von Kleinbetrieben nach staatliche Gesetzen.

Jetzt seien die Themen genannt, die nur in Gesprächen vorkamen oder als Fragen gestellt wurden. Wir hatten Tatsachen zu beachten, die die ganze Gesellschaft berühren wie z. B. die Arbeitslosigkeit in Indien wie in Deutschland.

1. Jugend ohne Bildung?

In den Ortschaften Chotanagpurs lebt eine Jugend ohne Bildung oder ohne weiterführende Bildung.  Eine Mehrheit von Kindern geht entweder nicht zur Schule oder geht mit der 6., 7., 8. oder 9. Klasse von der Schule ab. Eine Minderheit vollendet die Highschool (10. Klasse) Eine absolute Minderheit geht zum College oder zur Universität. Kinder werden als Arbeitskräfte auf den Feldern gebraucht. Zugleich herrscht eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, weil die traditionelle Landwirtschaft nur sechs Monate im Jahr Arbeit bietet. Gleichzeitig beginnt eine neue Bewegung: Jugendliche, die nach der Highschool und dem College in die Städte gegangen sind, kommen zurück, weil sie nicht Fuß fassen konnten.     Sie hängen in der Luft, weil sie auch nicht mehr Bauern sein wollen.

Dieses sollten sich deutsche Besucher vor Augen halten, die in der Regel nur die Drei-Millionen-Stadt Ranchi besuchen oder die Klein- und Mittelstädte Khun­ti, Rajgangpur, Raurkela, Jamshedpur, Gumla, Lohardagga oder Ha­zari­bagh.

Die CTCs und EPOG haben sich den Dörfern und den unqualifizierten Jugendlichen in Chotanagpur gewidmet. Diese Jugendlichen sind die Garanten dafür, dass sich das Dorf als Ganzes weiterentwickelt, nicht nur eine kleine Elite. Diese Elite betrachtet die Schulen als eine Schleuse heraus aus der Misere in ein besseres Leben in den großen Städten. Wer bleibt, ist verloren oder geht zu den Aufständischen, die auf die Dauer auch verloren sind. Es geht darum, Jugendliche in den Dörfern auszubilden und dort zu halten. Die „ungebildeten“ Jugendlichen sind die eigentliche Elite, weil sie bleiben. Ihnen muss und kann die GELC beistehen.

Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang die Mädchen und Frauen. Sie sind in der Adivasikultur die Hüterinnen der Familien. Wenn sie die Dörfer verlassen, dann werden sie dazu gezwungen; durch die Not der Familien. Davon kann die Gemeinde der GELC in Delhi ein Lied singen. Eine Pracharika kümmert sich speziell um die heimatlosen und sehr oft missbrauchten Frauen. Ausbeutung heißt hier wirtschaftlich und sexuell. Ein Gegenbeispiel ist Bano. Hier haben Frauen den Sekretär des CTC durch ihre Forderungen dazu gezwungen, sie in der Fahrschule anzunehmen. Sie wollen neue Berufe lernen.

So kann der Beistand der GELC für Jugendliche praktisch aussehen.

2. Der Bildungsweg – eine Flucht

Der Bildungsweg (Highschool – College – Universität) ist für die meisten Jugendlichen eine Flucht. Indien kennt keine Massenflucht in westliche Länder. Aber es gibt Fluchtbewegungen innerhalb des Subkontinents Indien mit seinen 1,2 Milliarden Menschen. Früher war das Ziel die große Stadt Calcutta. Heute gehen aus Govindpur z. B. junge Leute nach Mumbai. Der Westen Indiens ist weiter entwickelt.

Auch wir in Ostdeutschland haben in den letzten 25 Jahren die Massenarbeitslosigkeit kennengelernt. Ganze Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern haben  keine jungen Menschen mehr. Sie sind nach Westdeutschland oder in andere Länder abgewandert. Warum? Die Industrie ist im Konkurrenzkampf zerstört worden. Das Ackerland haben sich große Konzerne angeeignet. Sie bauen Getreide (z. B. Mais, Raps und Weizen) für die Produktion von Biodiesel an.

In Chotanagpur sind die Händler die Herren des Landes. Sie kaufen die landwirtschaftlichen Produkte auf (z. B. Paddy und Maruha). Sie vergeben Kredit an arme Bauern und machen sie zu Schuldsklaven. In anderen Gegenden werden Bauern durch Bergwerke und andere Betriebe verdrängt. Die Jugend beobachtet das und zieht die Konsequenzen.

In Indien wie in Deutschland ist die Wirtschaft das Problem. Es ist ein stiller Krieg. Wir haben die Weltwirtschaft in den letzten 25 Jahren kennengelernt. Alle Menschen sind betroffen. Und: Es entsteht eine neue Art Solidarität, eine Solidarität von unten.

Es entsteht eine neue Art Gleichheit. Deutsche haben es nicht besser als Inder. Es kommt darauf an, wo wir leben, oben oder unten, mit den Mächtigen und Reichen oder mit den Abhängigen und Schwachen.

Im Jahre 2015 sind eine Million Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten nach Deutschland gekommen. Eine große Herausforderung für Alle. Wir werden lernen müssen, die Ursachen der Flucht ehrlich zu erkennen. Bisher beherrscht die Lüge das Feld.

Die Ursachen für die Binnenflucht in Indien und die Flucht über Grenzen bei uns „im Westen“ sind die gleichen. Es ist die ungerechte Weltwirtschaft, der Kampf der wirtschaftlich Mächtigen um Bodenschätze (Öl im Nahen Osten; Uran, Gold, Diamanten in Afrika). Welche Bodenschätze findet man in Chota­nag­pur? … fast alle.

Die Reihenfolgen der Ereignisse ist folgende: Ausbeutung, Zurücksetzung der Bevölkerung, Bürgerkrieg, Krieg, Verfolgung von Gegnern, Zerstörung von Dör­fern und Städten, Flüchtlingslager, Flüchtlingsströme, das Unvermögen der Aufnahmeländer – in Indien der großen Städte – die Flüchtlinge zu integrieren.

Diese Reihenfolge (es ist eine Mühle) wird in Deutschland und Europa noch geleugnet.

In Indien kommen die Jugendlichen aus den Dörfern in diese Mühle. Die GELC, die Mitarbeiter der CTCs und die Freunde von EPOG können diese Mühle nicht ignorieren. Sie ist der Kontext, die Umwelt ihrer Arbeit und ihres sozial-diakonischen Dienstes.

3. Kooperation mit Nicht-Christen

Weder Indien noch Deutschland sind christliche Länder. Das ist für Indien ganz klar. Christen sind in Dörfern und Städten eine Minderheit. Aber in Deutschland? Aus Deutschland kamen die Missionare. Mitglieder der Gossner Kirche in Indien nehmen an, dass die Mehrheit der Menschen Christen sind und in die Kirche gehen. Das ist ein Irrtum.

Die wissenschaftliche Bildung und die Aufklärung in den Schulen haben gewirkt; in Ost und West unterschiedlich, aber sie haben gewirkt. Die meisten Menschen in Deutschland sind Atheisten, glauben nicht an den Gott der Kirchen. Im Osten sind sie aus der Kirche ausgetreten, im Westen gehören oftmals auch Atheisten noch zur Kirche.

Deshalb arbeiten in der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EPOG) Christen und Atheisten zusammen. Unsere atheistischen Freunde bei EPOG sind Humanisten. Sie wollen solidarisch sein mit Benachteiligten, auch in anderen Ländern. Sie wollen weltweit eine Gesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit herrscht. Viele Christen wissen deshalb, dass sie ohne Kooperation mit Atheisten in der Gesellschaft, in Dorf und Stadt nichts ausrichten. Hindus, Moslems und Juden sind in Deutschland Minderheiten. Auch mit ihnen kann und sollte zusammengearbeitet werden.

Das ist in Indien nicht anders. Christen sind in Indien eine Minderheit; manch­mal eine starke Minderheit wie in Jharkhand, Assam, Nagaland oder Kerala. In Jharkhand und Teilen von Orissa gehört die Mehrheit der Adi­vasi­be­völ­kerung zur alten schamanischen Religion des Sarnaismus. Im sozialen Leben muss zusammengearbeitet werden; sonst wird nichts. Burda ist das beste Beispiel, aber auch Nunia, Kaika, Hulhundu und Bano. Lehrlinge kommen aus Familien der Sarnaiten, Meister sind Moslems (Burda).

Auf die Dauer der Zeit wird klar, dass alle Beteiligten in der CTC-Arbeit stolze Menschen sind. Sie wollen von der Arbeit ihrer Hände leben, nicht von Geld aus Deutschland oder sonst woher. Sie wollen zusammenarbeiten, um etwas zu schaffen. Ich höre Dr. Marsallan Bage sagen: „Wir sind keine Bettler.“ Und ich höre die Erklärung vom heutigen Moderator der GELC Johan Dang: „Der Vogel braucht zwei Flügel zum Fliegen. Auch der Mensch braucht zwei Flügel, zwei Seiten in seinem Leben: die spirituelle Seite und die soziale Seite, das Gebet und die Arbeit.“ Der Atheist in Deutschland würde sagen: Die Selbstbesinnung und die Aktion. Diese Menschen sind Partner unserer Arbeit.

4. Training for Indian Trainers

Die Ausbildung der Mitarbeiter der Craftsmen Training Centres, das Training for Indian Trainers, wird in Zukunft nicht mehr in Mecklenburg-Vorpommern oder in Berlin-Brandenburg stattfinden, sondern in Indien selbst; in Burda oder Bano, in Govindpur oder Karimati, in Kahupani oder Hulhundu. Die Auswahl der Themen und Arbeitsgebiete ist groß und wird immer größer. Die indischen Referenten und Berichterstatter, die Praktiker und Theoretiker sind geschickt und erfahren. Sie finden in den Werkstätten und Baumpflanzungen, im Krankenhaus und in den neuen Schulen eine gute Anschauung bei Exkursionen und Praktika.

An dieser Stelle entstehen zwei Fragen.

– Erstens: Warum kann das Technical Trainings Centre (TTC) Fudi nicht helfen? Dort werden Schweißer und Schlosser ausgebildet. John Happad Gara und Eden Kerketta (s. o.) haben dort gearbeitet, und Meister Jidan Lugun in Bano wurde in Fudi ausgebildet. Das sind Ausnahmen. Wo bleiben die vielen jungen Leute (140 Männer pro Jahr), die das TTC Fudi absolvieren? Sie unterliegen demselben Trend (Zwang? Mühle) wie die Schüler der Schulen. Sie sind Highschoolabsolventen und wollen weiter. Sie wollen in die Städte. Ihre Ausbilder sind nicht bereit, in die Dörfer zurückzukehren. Sie wollen für die Industrie und die Städte ausbilden. Sie vergessen ihre Dörfer. Sie leben in einer Schleuse. Sie wollen das Niveau  eines städtischen Betriebes erhalten (und erreichen es doch nie) und nicht unter die Dorfschmiede gehen. Dabei müssen doch der Dorfschmied in Burda und der Reparaturschlosser in Bano die gleiche Qualitätsarbeit leisten wie sein Kollege in der Stadt. Sonst funktioniert das Haustor nicht; sonst fährt der Truck nicht! Das TTC Fudi müsste für die Dorfer werben und Meister zur Verfügung stellen.

– Zweitens: Wo bleiben die Pfarrer, Pracharaks und Kirchenältesten aus den alten, großen Missionsstationen mit viel Land? Ich nenne Beispiele, die mir bekannt sind. Hazaribagh, Burju, Takarma, Lohardagga, Ranchi, Tamar, Tokad, Khuntitoli etc. Es sind mindestens 20 Gemeinden. Warum wird nicht aufgeforstet oder werden nicht Baumgärtner ausgebildet?

Ich spreche eine Vermutung aus. Viele Brüder und Schwestern denken im Stillen: Warum hilft uns nicht die Gossner Mission in Berlin wie in alten Zeiten? Die Deutschen haben die Stationen gebaut und das Land gekauft. Warum können sie nicht helfen?

Antwort: Weil sie kein Geld haben. Sie wollen auch ihren indischen Nachfolgern die Chance nicht nehmen. Dr. Marsallan Bage in Govindpur hat es vorgemacht. Er hat auf 10 ha Land (40 acre) eine Farm gegründet und eine Schule.

Die Stationsgemeinden können es ihm gleichtun. Sie können Baumschulen gründen zur Holzgewinnung und zum Ernten von Früchten (Mango, Bananen, Papaya etc.).

Brüder, haltet eure Jugend in den Dörfern! Schließt die Schleusen der Landflucht!

Auch in Zukunft kann der Austausch mit EPOG-Freunden organisiert werden. In den CTC-Seminaren in Indien können sie ihre Erfahrungen mitteilen:

Andreas Schröder (Administration), Wilfried Hahn (Förstwirtschaft), Dieter Holtz (Organisation), Dr. Ute Schönfeld (Landwirtschaft), Peter Leehr (Schlosserei), Horst Köth (Betriebswirtschaft) etc.

Eine kurze Weiterbildung in Deutschland wird ein Erfahrungsaustausch sein. –

Auch hier spielt das Geld eine Rolle. EPOG hat kein Geld, um die Flugkosten zu bezahlen.  Wer wird in Zukunft die Tickets für die Flüge bezahlen? Viele Familien der GELC sind durch den Weg aus den Dörfern in die Städte reich geworden. Werden sie die Jugend in den Dörfern vergessen? Oder werden sie durch ihre Kirche (GELC) helfen, dass die CTC-Arbeit, die Farm in Govindpur (NLLC)  und ähnliche Initiativen weitergehen könnnen?

5. Von den zwei Flügeln des Vogels

Ich komme zurück auf die Sätze von Pfarrer Johan Dang, heute Moderator der GELC. „Der Vogel braucht zwei Flügel zum Fliegen. Auch der Mensch braucht zwei Flügel, zwei Seiten in seinem Leben, die spirituelle Seite und die soziale Seite, das Gebet und die Arbeit.“

Wir sind es uns selbst und unseren nichtchristlichen (evtl. atheistischen) Freunden schuldig zu sagen, wie wir es meinen.

Kein Mensch nimmt uns die Arbeit ab, die wir selbst zu tun haben. Kein Mensch nimmt uns das Gebet ab, das wir selbst sprechen dürfen, die Besinnung auf das, was wichtig ist. Auch wir brauchen zwei Flügel zum Fliegen, zum Leben.

Wir arbeiten für uns selbst, für unseren Lebensunterhalt und für ein besseres Leben. Aber wir arbeiten auch für andere, d. h., wir arbeiten sozial. Dazu hilft das Gebet, das Gespräch mit Gott. Er leitet uns durch Jesus von Nazareth an, auch an andere zu denken. Ja, wir werden entdecken, dass Gott durch den Anderen zu uns kommt. Jesus Christus spricht: „Was ihr diesen meinen geringsten Brüdern (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und: „Was ihr diesen meinen geringsten Brüdern nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.“

Was heißt das praktisch? Bei der Arbeit für die Dörfer geht es um die Begegnung mit Jesus Christus. Ich erinnere an den Satz von Dr. Masallan Bage: „Wenn meine Kirche ihre Bestimmung nicht verfehlen will, dann muss sie zur sozialen Bewegung werden.“ Das gilt auch für Deutschland.

Ich schließe meine Erzählungen aus einigen Dörfern Chotanagpurs und meine Reflexionen mit dem Dank an alle indischen Freunde und einem Wort aus dem Psalm 90, Vers 17:

„Und der Herr, unser Gott sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände bei uns. Ja, das Werk unserer Hände wollest du fördern.“


Nachwort

Gern schreibe ich das Nachwort zu dem vorliegenden Buch, das sich mit der Geschichte und den Zielen der Handwerkerausbildungszentren (CTC) befasst. Mit wenigen Worten will ich meinen Dank Gott gegenüber zum Ausdruck bringen: ER führte drei Personen zusammen zu sinnvollen Diskussionen in Go­vindpur. Es waren Pfarrer Dr. Willibald Jacob, Seniorpastor und Ingenieur, Pfarrer Dr. Marsallan Bage, Senior Pramukh Adhyaksh und Professor für praktische Theologie, und ich selbst, Johan Dang, Rektor in Govindpur. Wir schnitten viele Fragen an, machten in Gedanken eine lange Reise durch die Verwaltung und die Dienste in der Ev.-Luth. Gossner Kirche in Chotanagpur und Assam. Wir teilten unsere Ansichten an sehr vielen Themen wie z. B. zur Jugendarbeitslosigkeit, zu Problemen der landwirtschaftlichen Produktion, zur Verbesserung der Geschäfts- und Wirtschafts­tätigkeit, zum Klimawandel, zur Wiederaufforstung von Kirchenland, zur Migration von Bauern, Schülern und Studenten auf der Suche nach Arbeit und Weiterbildung.

Wir fragten uns, wie wir auf die verschiedensten brennenden Themen antworten sollten: Frieden, Gerechtigkeit, menschliche Würde und Integrität der Schöpfung. Wir gedachten uns einzumischen in den Kampf um die Bewahrung von Glauben, Leben, Zeugnis und Würde. Wir kamen 1992 zu dem Schluss, dass wir drei Schritte unternehmen sollten:

  1. Die Eröffnung eines Coaching Centres (Nachhilfeschule) für Schüler und Schülerinnen, die versetzungsgefährdet sind, und zwar auf dem Grundstück von Herrn Eden Kerketta in der Jariastraße  in Govindpur-Gusatoli.
  2. Der Beginn einer Fahrschule für Jugendliche, die nach der Schulzeit keine Arbeit finden, und zwar auf dem Gelände der Kirchenfarm (New Life Light Centres) in Govindpur.
  3. In dieser Weise begann der Aufbau von Craftsmen Trainig Centres (CTC), und Freunde der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EPOG) aus Berlin kamen als unsere Partner hinzu; heute verbunden mit dem Solidaritätsdienst International e. V. (SODI) verbunden durch Pfarrer Willibald Jacob.

Ich bin dankbar, dass Pfarrer Dr. Willibald Jacob die schriftlichen Dokumente gesammelt und daraus ein Buch gestaltet hat, das unter dem Titel „Bauern – Pastoren – Handwerker“ aus ganz Chotanagpur, aus den heutigen Bundesstaaten Jharkhand, Odisha und Westbengalen Geschichten erzählt, und zwar in Deutsch und in Hindi. So informiert uns dieses Buch im Detail darüber, wie wir zusammenfanden, wie wir einander halfen auf verschiedenen Ebenen der Arbeit, wie wir ein Austauschprogramm zwischen Indien und Deutschland begannen. Es ist höchst interessant zu sehen, wie unsere Mitarbeiter die Projekte entwickelten und ausweiteten, beispielsweise die Fahrschule mit Reparaturwerkstatt in Bano und Lacheagarh, die Baumplantage in Karimati, die Schmiede in Burda, die Zucker­pro­duktion in Nunia und das Gesundheitszentrum in Hulhundu. Es war der Versuch, ein Ziel zu erreichen.

Auf der anderen Seite können wir sehen, was Austausch heißt. Bischöfe, Pfarrer, sog. Laien und Jugendliche besuchten Deutschland in einer Ausbildung für indische Ausbilder (Training for Indian Trainers), die sich zu einem Erfahrungsaustausch unter Freunden und Partnern weiterentwickelte; so geschehen in Bis­damitz und Prora auf der Insel Rügen, in den Berufsbildungszentren in Waren und Teterow und in der Forstbaumschule Güstrow-Klues.

Ich hoffe und glaube, dass diese Schrift uns helfen wird, unseren Auftrag zu verstehen, einen Auftrag mit einer Vision zum Nutzen für die Kirche und die Gesellschaft. Dieses Buch beschreibt Modelle, die unseren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen helfen, in ihren Dorfgemeinden zu leben. Lasst uns Gott danken, der uns in unserer Arbeit führt und segnet. Er bewegt somit unsere Herzen und Sinne in einer besonderen Weise. So können wir für unsere Kinder arbeiten und der nächsten Generation Beispiele vor Augen stellen.

Ich danke Herrn Pfarrer Dr. Marsallan Bage, dem früheren Präsidenten der Gossner Kirche, der das Craftsmen Training Centre in Govindpur unterstützt hat. Von ganzem Herzen und mit allen Sinnen teilte er mit uns seine Ideen zum Nutzen für Kirche und Gesellschaft. Auch Pfarrer Dr. Willibald Jacob danke ich. Er hat sich konsequent bemüht, die CTC-EPOG-Geschichte aufzuschreiben und sie in seiner Lebenszeit drucken zu lassen – Zur Ehre Gottes. Möge Gott dieses Werk segnen.

Rt. Rev. Johan Dang, Bischof, Moderator der Gossner Evangelical Lutheran Church
in Chotanagpur und Assam am Sonntag, 19. Juni 2016


Anlagen

1. Die Konstitution des NewLife Light Centre, NLLC
Govindpur 30. 11. 1984
– Auszug –

I. Einleitung

Das New Life Light Centre ist ein christliches Institut, das Männer und Frauen ausbildet, gute Arbeiter für eine allseitige Entwicklung der ländlichen Bevölkerung. Sein Programm zielt auf die Schaffung von Bewußtsein und Bereitschaft unter Dorfbewohnern, für ihre eigene Entwicklung zu sorgen. Es zielt auf die Fähigkeit, Dorfbewohner zu beraten und zu ermutigen, die notwendigen Aktionen zu unternehmen.

II. Ziele

  1. Es sollen Mitarbeiter ausgebildet werden …
  2. Es sollen einige Dörfer ausgewählt werden, um dort die Selbstorganisation zu fördern und in Abständen eine Bewertung der eigenen Arbeit vorzunehmen.
  3. Die Dorfbewohner sollen dazu angeleitet werden, Kooperativen zu bilden, durch die sie rechtzeitig das notwendige Saatgut, Dünger,  Medizin, Kraftfutter etc. organisieren können. Durch die Kooperativen kann ein gemeinsamer Handel aufgebaut und fortschrittliche Landwirtschaft und Tierhaltung erlernt werden.
  4. Es sollen gelegentlich Seminare und Konsultationen organisiert werden, damit eventuelle Probleme diskutiert und Lösungen gefunden werden können.

III. Struktur des Zentrums

IV. Aufnahmebedingungen

V. Ausbildung

    2.) Außer den Themen, die bereits unterrichtet werden (biblische Themen), werden folgende Themen ergänzend eingeführt:

  1. Ethik,
  2. Gesellschaftskunde,
  3. Communityhealth,
  4. Verantwortliche Elternschaft,
  5. Kinder- und Jugendpsychologie,
  6. Fortschrittliche Landwirtschaft und Tierhaltung,
  7. Genossenschaftsbildung,
  8. geeignetes dörfliches Handwerk.

VI: Selbstorganisation der Absolventen

VII. Abänderungsmöglichkeiten

übersetzt von Willibald Jacob

2. Brief an Eden Kerketta
– Auszug –
Von Johan Dang, Govindpur 1992

„Lieber Eden Kerketta, ich möchte Ihnen vorschlagen, das Projekt für eine Handwerkergenossenschaft auszuarbeiten. Es sollte sich der arbeits­losen Jugend zuwenden und ein Budget umfassen, das für arbeitslose Jugendliche und ihre Ausbildung verwendet wird. Es sollte eine private, aber gesellschaftlich verantwortungsvolle Einrichtung sein, die unter der Leitung eines Komitees steht. Die Bildung dieses Komitees sollten Sie absichern.

Wir wissen, dass Sie gute Fähigkeiten in der Tischlerei, in der Motor­mechanik und anderen Handwerken besitzen … Sie selbst sind im Moment arbeitslos … In unseren Diskussionen mit Pastor Dr. M. Bage und Pastor Dr. W. Jacob über dieses Projekt sind wir auf den Gedanken gekommen. Sie zu bitten, dieses Projekt in Angriff zu nehmen. Wir hof­fen, dass wir Partner finden, die dieses Vorhaben unterstützen können. Wir würden es willkommen heißen, wenn sich sowohl ausländische als auch indische Partner an dieser Hilfe für Arbeitslose beteiligen würden.“

gez. Johan Dang, Govindpur, 21. 11. 1992

übersetzt von Willibald Jacob

3. „Schwerter zu Pflugscharen!“
Von Johann Scheringer

Grußwort an Stelle der Predigt in der Urwaldkirche zu Kaika, Dt. Singhbhum, Jharkhand, Indien am Sonntag, 21. Januar 2001 von Johann Scheringer, Ca­mitz-Semlow, Landkreis Ribnitz-Damgarten, Mecklenburg-Vorpommern.

Liebe Brüder und Schwestern,

ich danke euch sehr für die Gastfreundschaft, die Ihr unserer Besuchergruppe entgegengebracht habt. Wir haben in den letzten Tagen hier in Kaika gesehen, wie Ihr in der Natur und mit der Natur lebt, in der Nähe des Urwaldes. Wir haben gesehen, dass die Bodenbearbeitung für euch eine harte Arbeit ist, in den Flusstälern und auf den Feldern, im Wald. Nun hat uns die Familie von Mukud Happad Gara ein Geschenk gemacht. Jeder von uns sechs Besuchern hat das Modell eines Pfluges bekommen. Mukud und der Pracharak haben die Pflüge heute morgen mit ihren Äxten ausgeschlagen und hergestellt; aus mehreren Holzteilen, wie es bei euch üblich ist. Der Pflug ist bei uns in Deutschland, und ich denke, auch bei euch in Indien, das Symbol für die Arbeit des Bauern und gleichzeitig für den Frieden. Viele Menschen haben in den letzten Jahren den Ruf erhoben: Schwerter zu Pflugscharen!

Das soll heißen:

  • Nehmt das Schwert und macht aus dem Schwert eine Pflugschar, einen Pflug;
  • zerstört alle Waffen und benutzt das Material und das Geld für eine friedliche Entwicklung;
  • findet für die Lösung aller Probleme einen friedlichen Weg.

Ich denke, dies ist eine Botschaft für die Welt, Ärgernisse, Kampf und Krieg zu beenden. Wir sollen diese Botschaft hören, weil es eine wichti­ge Botschaft der heiligen Schrift, der Bibel ist. (Micha 4,3) Den Pflug, den Ihr mir geschenkt habt, werde ich in mein Haus mitneh­men. Er wird einen sehr guten Platz bekommen, einen Ehrenplatz. Der Pflug wird mich, meine Familie und meine Freunde an diesen Besuch in Kaika erinnern.

Meine Gruppe und ich selber, wir wünschen euch eine gute Gesundheit, einen friedlichen Weg in die Zukunft und eine sehr gute Ernte in diesem Jahr. Wir danken euch sehr.
Amen

4. Aufforstung in Assam
– Auszüge –
Von Bimal Nag 

Die Bedeutung der Forstwirtschaft liegt nicht allein in ihrer Wirtschaft­lichkeit, sondern in ihrer Fähigkeit, der Bodenerosion vorzubeugen bei gleichzeitiger Pflege des ökologischen Gleichgewichtes. Die Landes­regierung hat es zur Pflicht gemacht, das eigenmächtige Fällen von Bäumen in Assam zu verhindern. In letzter Zeit wurden diverse Forst­entwicklungsprogramme wie z. B. Aufforstung, soziale Forstwirtschaft und Pflege des Wildbestandes begonnen. Beide staatlichen Ebenen, sowohl die Zentral- wie auch die Landesregierung, haben eine Lang­zeitstrategie für der Aufforstung und die Wiederanpflanzung von Bäumen in der gesamten Region und mit vielfältigen Methoden ent­worfen. Die wichtigsten Forstentwicklungsprogramme in Assam umfas­sen schwerpunktartig Regenerationsprogramme, die Sperrholz- und Streichholzherstellung und die Anpflanzung von Teakholz …

Die Forstpolitik der Regierung Assams

Die Forstpolitik für Assam wurde im Jahre 1998 durch den Ministerpräsidenten Assams im Landtag erläutert. Es wurde erklärt, dass die Regierung alle unberechtigten Eingriffe in den geschützten Waldbe­stand verbieten werde. Die neue Forstpolitik hat den Blick darauf gelenkt, dass massive Aufforstungsprogramme eingeleitet und die Regeneration von besonderen einheimischen Arten vorangebracht werden sollen, um die Produktivität und die Ökobalance zu verbessern. Die neue Politik nimmt in Aussicht, die seltenen und bedrohten Arten in der Pflanzen- und Tierwelt zu identifizieren, aufzulisten und jede Anstrengung zu unternehmen, sie zu rehabilitieren, zu entwickeln und zu bewahren …

übersetzt von Willibald Jacob

5. „… meine praktische Arbeit …“

Von Benjamin August, 01.03.2001

Liebe Freunde in Berlin,
… meine praktische Arbeit begann auch gleich am Montag (29.01). Gladson Horo und ich organisierten Werkzeug und Material für die nächsten Tage. Außerdem reparierten wir den Zweischarpflug, und Johan Dang versuchte den Garten der TBS (Tabita Bible School) umzupflügen. Am zweiten Tag begannen wir die Komplettierung des Wächterhauses, d. h. erst die Dachkonstruktion. Wie ab­gesprochen wird es ein aus Beton gegossenes Dach mit Imitation der traditionellen Ziegel. Hierfür wurde der Handwerker Jaywand Bhengra engagiert. Gladson Horo steht ihm als zweiter Mann und Organisator zur Seite. Ich habe hierbei vorerst nur eine Handlanger-Rolle zu spielen. Am Donnerstag (22.02.) wurde der Beton gegossen. Die Schalungs- und Vorbereitungsarbeiten hatten einige Zeit in Anspruch genommen. Außerdem hatten mehrere Hochzeits-Partys, deren Vorbereitung, ein Streik in Jharkhand und andere Ereignisse den Verlauf der Arbeiten verzögert.

Das Betongießen war dann ein spektakulärer Arbeitseinsatz, denn alle PTS-Studenten, alle TBS-Studentinnen, alle Fahrschüler, die Lehrer und die Handwerker waren den ganzen Tag involviert. Mischen, hochtragen, verarbeiten, Wasser holen, koordinieren und versorgen – fast 40 Leute waren in voller Ak­tion. Ein buntes Treiben! Nun muss der Beton erst aushärten, bevor weitergearbeitet werden kann.

Im TBS-Garten habe ich das Land mit Dung vorbereitet und werde in den nächsten Tagen erste Aussaaten ausbringen. Samen vom Teaktree haben wir (mit Studenten) schon eine ganze Menge gesammelt; er bedarf aber einer gewissen Vorbehandlung. Dort am Brunnen habe ich mit einem Studenten einen sogen. „Tendu“ errichtet, um kleinere Mengen Wasser heraus zu befördern; die Hauptbewässerung wird jedoch per Motorpumpe erfolgen …

Zwei Studenten aus Orissa, Manshur Topno und Herun Lugun, sind meine regelmäßigen Begleiter, Übersetzer und Organisatoren sowie gute Freunde. Zu den anderen Studenten gibt es wegen Verständigungsproblemen noch nicht einen so engen Kontakt. Jeden Abend kommen abwechselt die TBS-Studentinnen und kochen für uns, eine gute Gelegenheit, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Pracharika Ms. Topno kommt während der Abwesenheit von Johan Dang täglich, um das Frühstück zuzubereiten. Ein gewisser Eifer und Wettbewerb ist bei allen deutlich spürbar. Bei gesellschaftlichen Ereignissen, wie z. B. Hochzeitsfesten oder dem großen Sportfestival musste ich immer in der 1. Reihe sitzen. Beim Sportfestival habe ich sogar einen l. Preis gewonnen.

Ihr seht, es geht mir hier sehr gut, und ich habe mich gut eingelebt. Ich muss aber noch lernen, dieses Feiern, das teilweise doch schon extreme Klima und sonstige indische Faktoren mit dem Voranbringen unseres Projektes, mit kontinuierlicher Arbeit und Motivierung unserer indischen Freunde unter einen Hut zu bringen. Die Fertigstellung desWächterhauses, die Produktion von Zaunpfählen, das weitere Sammeln und Aussäen von Samen, sollen in den nächsten Wochen meine maßgeblichen Aufgaben sein. Die Beschaffung von Werkzeug, das Reparieren des Traktors, das Helfen im PTS-Garten und Besuche werden auch wieder weitere Zeit in Anspruch nehmen. Langeweile ist bisher noch nicht aufgekommen …

6. „Zukunft in die eigenen Hände!
Von Kirum Barjo

Verehrte Freunde und Kolleginnen,
im Bereich des Kirchenparlamentes der evangelischen Gossner Kirche von Ta­kar­ma gibt es sehr viele Dörfer. In ihnen leben unterschiedliche Völker (tribes) zusammen. Die meisten Menschen in dieser Region sind arbeitslos und wenige sind ausgebildet. In dieser Situation haben wir, die Kirchengemeinden, beschlos­sen, mit der Ausbildung von arbeitslo­sen Jugendlichen zu beginnen. Wir hoffen, dass sie damit ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen können. Ich bin von der Kirchengemein­de beauftragt, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit zu beobachten und darüber zu berichten. Seit 1999 betreibt die Kirchenregion Takarma eine Fahrschule (CTC Bano). Ihr Standort ist die neue Gemeinde in Bano. Sie ist verbunden mit der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EpoG) in Berlin/Deutschland. Ich arbeite in Bano als Fahrlehrer und Dorfpastor (Pra­charak). Somit ist ein Anfang gemacht mit dem Aufbau eines Craftsmen Training Centres. Im Rahmen des CTC-Austausch-Programms hatte ich nun die Chance, Deutschland zu besuchen …

In diesen Wochen vom 25. August bis zum 19. September 2003 habe ich vieles gelernt; es sei kurz beschrieben:

Motormechanik und Hauselektrik: Aus welchen Teilen besteht der Motor? Wir haben den Motor zerlegt und wieder zusammengesetzt. Was ist die Funktion der Batterien? Aufgaben: Überprüfung des Motors und der Batterie und das Laden der Batterie, ihre Pflege! Die Teile für die elektrische Installation eines Hauses. Welche Art von Drähten wird verwendet?

Landschaftspflege und Landwirtschaft: Landwirtschaft, wie sie heute betrieben wird, als Feldbau, Viehwirt­schaft, Fischerei etc., benötigt moderne Technologien, um Nutzen zu bringen. Dazu gehört auch die Anpflanzung von Wäldern als Forstwirt­schaft, sehr wichtig für die Umwelt und zur Gewinnung von Bau- und Möbelholz. In den Diskussionen, auch schon in Indien, ist klargewor­den, dass der Wald bearbeitet und gepflegt werden sollte wie Ackerland. Man kann es nicht den Bäumen überlassen, sich selbst auszubreiten. Eine Ausnahme bildet bei uns der Salbaum. Er kann nicht als Einzel­baum gepflanzt werden. Er gedeiht nur als kollektiver Dschungelbaum.

Bildung und Erziehung: Bildung ist sehr wichtig für Entwicklung. Das Bildungssystem in Deut­schland beginnt mit Kindergärten. Fähigkeiten und Kennt­nisse werden früh auch durch manuelle Arbeiten gefördert, wie z. B. durch Malen, Zeichnen, Singen, Lesen und durch den Gebrauch des Computers.

Gesundheit und Fürsorge: Wir haben die Arbeit mit alten Menschen kennen gelernt. Die Mitarbeiter sollten für einen wirklich guten Dienst ausgebildet sein. Pünktlich müssen die Mahlzeiten und Medikamente zur Verfügung stehen. Aber auch manuelle Betätigungen und Musik sind wichtig. In allem kommt es darauf an, den alten Menschen zu kennen. Auch sollte der Mitarbeiter dazu in der Lage sein, von seiner Arbeit mit den Patienten zu berichten.

Büroarbeit und Organisation / Verwaltung: Zu dieser Arbeit gehört, dass sich die Mitarbeiterinnen täglich Rechenschaft geben; durch die regelmäßige Führung des Hauptbuches mit Einnahme- und Ausgabebelegen (receipt and vau­cher), evtl. mit dem Computer. Die Büroräume sollten so gestaltet sein, dass Menschen gern arbeiten. Nach 12 Monaten ist ein Jahresabschluss zu organisieren …

Vieles von dem, was ich erfahren und aufnehmen konnte, möchte ich in meiner Arbeit im CTC Bano und in der Arbeit meines Landes beachten …

übersetzt von Willibald Jacob

7. Wiedersehen im Dorf Kurit
Hora Senon Horo

Montag, den 10. Februar 2003. Von unserer Station in Govindpur aus fuhren wir um 830 Uhr mit zwei Jeeps zum Dorf Kurit, meinem Heimatdorf, wo ich meine Kindheit verbracht hatte und auch zur Schule ging. Die Besuchergruppe bestand aus sechs Deutschen und zwei Indern. Auf holprigen Straßen, mit Schlaglöchern übersät, fuhren wir schlangenlinienförmig. Der Fahrer war dazu angehalten, sowohl das Auto als auch die Insassen wohlbehalten zum Zielort zu transportieren. Um 9 Uhr hielten die Jeeps an. Was war passiert? Es war die Bahnschranke. Wir stiegen aus und warteten. Nach ca. einer halben Stunde neigt sich unsere Geduld dem Ende. Wir baten den Schrankenwärter, kurz die Schranke hochzufahren und uns durchzulassen. Gesagt, getan. Wir kamen rechtzeitig an und hielten vor dem Eingang des Dorfes, wo ein Torbogen aus Mangozweigen und Blättern frisch errichtet worden war, der ein Tuch mit der Aufschrift „WELCOME“ trug. Dort warteten schon ein paar Kinder aus dem Dorf. Wir stiegen aus. Ich sah meine alte Schule, Hof und die alten Bäume. Meine Kindheitserinnerungen wurden wach. Dann hörten wir das Dröhnen der Trommeln und die Gesänge der Frauen, Männer und Kinder. Sie kamen tanzend und singend näher und näher. Die Frauen in weißen Saris und mit Blumen geschmückten Zöpfen tanzten in einer Reihe. Die Männer und Kinder, traditionell gekleidet, schlugen auf die Trommel oder klapperten mit den Schellen und tanzten im Takt der Trommel. Es war überwältigend. Zwei Frauen kamen und besprühten uns mit Wasser aus kleinen krugförmigen Bronzegefäßen mit Hilfe von Mangoblättern. Unsere Hände wurden gewaschen und mit Handtüchern getrocknet. Anschließend behängten uns kleine Mädchen mit Blumengirlanden. Die Dorfältesten und meine Verwandten drückten uns dann die Hände. Nach diesem herzlichen Empfang folgten wir den Tanzenden. Zwei junge Leute aus unserer Gruppe wurden bei den Frauen eingereiht und mussten mittanzen.

Wir wurden zu unserem Haus geleitet. Vor dem Haus wurden dann auch andere aus der Gruppe zum Tanzen eingereiht. Es wurde viel fotogra­fiert. Nach dieser kurzen Begrüßung bekamen wir zum Frühstück unter anderem traditionelle Dorfgebäcke und zum Trinken Mineralwasser und Tee.

Anschließend brachen wir zusammen mit einem Teil der Dorfbewohner auf, um die Reisfelder zu besichtigen. Das Dorf wird von zwei Flüssen umgeben. Einer davon führt das Wasser das ganze Jahr über. Wir raste­ten an einem Teich. Ein Netz wurde geworfen, aber es gab keinen Fang. Nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen forderte man zwei Kinder auf, die Fische ins Netz zu treiben. Und diesmal ging ein großer Fisch ins Netz. Wir wanderten weiter abwärts, den Bach entlang, sahen die blü­henden Weizenfelder, die als Zweiternte angebaut wurden dank der Bewässerung aus dem kleinen Staudamm. Gleich dahinter sahen wir eine von der Regierung erbaute Dammruine, nutzlos verlassen. Wir erreichten die Mündung der schon erwähnten beiden Flüsse. Wir machten Gruppenfotos.

Am zweiten Fluss sahen wir weitere Dämme und die noch im Bau befindlichen. Dann kehrten wir nach Haus zurück. Unterwegs gab es lebhafte Unterhaltungen mit den Dorfbewohnern. Neben dem Feldweg stehen bis heute die hohen Ta­ma­rind­bäume, unter denen allabendlich Tänze stattfanden …

Im Dorf angekommen, erwartete uns schon das ganze Dorf, versammelt unter einem Jackfruchtbaum. Wir nahmen an den Tischen Platz, die Frauen und Kinder auf den Matten. Die Männer standen ringsherum. Wir hatten uns vorgestellt und erzählt, was jeder macht. Dann las der Dorfälteste einen Bericht über das Dorf und seine Geschichte in der Mundasprache, die ich ins Deutsche übersetzte. Es folgte eine Ansprache von Dr. Jacob. Dann war die Zeit für Fragen und Antworten. Wir wur­den gebeten, ein deutsches Lied zu singen. Wir sangen ein Volkslied und alle waren zufrieden. Mit einem Abschlusswort und einem Gebet beend­ete Pastor Dang die Versammlung. Zum Schluss machte einer aus dem Dorf die Dorfbewohner auf die Gesundheitsvorsorge der Kinder auf­merksam. Als wir aufbrechen wollten, bewirteten uns die Dorffrauen mit selbstgebackenen Reismehlbällen und Tee. Sie hatten extra zu die­sem Zweck Rs. 3 (ca. 0,08 Euro) pro Familie gesammelt.

Nach dem Mittagessen traf ich zwei Spielkameraden von früher, die noch lebten. Einer war beim Militär, der andere ein Händler auf Dorfmärkten. Ein Teil meiner Verwandtschaft, die in verschiedenen Städten wohnten, waren extra zu diesem Anlass gekommen. Sie mach­ten auch viele Aufnahmen. Zum Abschied versammelten wir uns auf dem großen Platz vor der Schule. Wir drückten den Dorfbewohnern die Hand und verabschiedeten uns. Dann stiegen wir in die Jeeps ein und fuh­ren weg. Die Leute vom Dorf winkten uns, bis wir ihnen aus den Augen entschwanden.

Eine Woche später übergab ich den Dorfleuten ein Album mit den Bildern des großen Ereignisses, und jeder bekam ein Bild zum Andenken. Für die Dorfbewohner war es ein einmaliges Ereignis. Das Dorf bekam zum ersten Mal einen Besuch von deutschen Gästen. Das bleibt lange Zeit in Erinnerung.

Ich möchte noch hinzufügen, dass der Unterricht in der Dorfschule nur bis zur 3. Klassenstufe erteilt wird, obwohl die Schule seit 70 Jahren besteht. Das ist völlig unzureichend. Einsicht der Dorfbewohner bezüg­lich der Dorfentwicklung und die Verbesserung ihrer Lebenssituation ist vorhanden. Die dafür benötigten Pläne, Ratschläge, Betreuung sowie finanzielle Mittel fehlen aber.

8. „Immer besseren Gebrauch machen“ – Zu Partnerschaft und Austausch
Marsallan Bage

Es war in den Jahren 1963 bis 1966, dass einer der Initiatoren der kirch­lichen Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ in Deutschland, Dr. Christian Berg, in einem seiner Briefe an die Gossner Kirche in Indien den Begriff „Partnerschaft“ benutzte. Damit wollte er zum Ausdruck bringen, er wünsche sich eine ganz bestimmte Beziehung zwischen der Gossner Mission in Deutschland und der Gossner Kirche in Indien. Der so erhoffte Geist der Partnerschaft war der Geburtshelfer bei der Gründung von drei großen Institutionen, dem Technical Training Centre (TTC) in Fudi, dem Agricultural Training Centre (ATC) in Khun­titoli und dem Krankenhaus in Amgaon (Orissa) im Jahre 1961. In der sich dann entwickelnden Form der Partnerschaft hatte die Gossner Mission eine ganz bestimmte Rolle zu spielen. Sie übernahm die Initiative; sie übernahm die Verantwortung; sie stellte das nötige Personal zur Verfügung; sie überwies die nötigen Finanzen; und alles in der Hoffnung, dass die Gossner Kirche ihrerseits dazu fähig und in der Lage sein würde, im Verlaufe der Zeit die volle Verantwortung für alle diese Betriebe übernehmen zu können. Die Gossner Kirche musste mit diesen Projekten einverstanden sein; sie musste bei der Suche nach geschickten „eingeborenen“ Mitarbeitern assistieren.

Diese erwähnten Institutionen haben zweifellos unserem Land und sei­nen Menschen einen wundervollen Dienst erwiesen, sofern sie, wie in Fudi und Amgaon, einen Teil ihrer Aufgaben erfüllten. Die Gossner Kirche und ihre Men­schen konnten aber in der vorgegebenen Weise nicht in den von ihnen erwarteten Status hineinwachsen. Sie konnten die Verantwortung nicht schultern, sie konnten die Betriebe nicht lei­ten, verwalten und in der gedachten Weise erhalten oder sogar ausbau­en.

Es gab noch eine andere Form der Partnerschaft. Sie entstand ungefähr zwischen 1983 und 1986 und zwar zwischen der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg (DDR) und der Gossner Kirche. In diesem Falle zählte nicht die finanzielle Hilfe oder dass eine Vielzahl von deutschen Exper­ten geschickt wurde. Es war vielmehr die gegenseitige Anteilnahme, die zählte. Es war diese Idee des „Teilens“, die dazu führte, dass die Berlin-Brandenburger Kirche Dr. Willibald Jacob und seine Frau im Jahre 1985 in das New Life Light Centre (NLLC) nach Govindpur sandte, um dort als Mitarbeiter für drei Jahre zu wirken, lehrend und lernend. Das NLLC bildet junge Leute aus, damit sie in Zukunft den Bauern von Chotanag-pur beistehen. Das Programm von Govindpur ist Ausdruck der Solidari­tät mit den Dorfbewohnern und ihren Interessen.

Dr. Jacob blieb drei Jahre lang in Govindpur. Er konnte viele unter­schiedliche Dörfer und Ortschaften besuchen. Er beobachtete und stu­dierte die sozialen und ökonomischen Lebensverhältnisse der Bauern. Dieses „Studium“ half ihm, als er wieder nach Deutschland zurückging, seine Erfahrungen mit den Mitarbeiterinnen der Entwicklungspoli­tischen Gesellschaft (EPOG Berlin) und anderen Freun­den zu teilen. Die EPOG-Freunde brachten ihr teilnehmendes Interesse für die Bauern in Chotanagpur zum Ausdruck. Viele besuchten uns oder blie­ben länger wie die Zivildienstleistenden Benjamin August und Lukas Hilke. Dadurch entstanden das Craftsmen Training Centre (CTC) in Govindpur und seine Folgeprogramme in Takarma, Lomboi und Bano. Die Freunde in Burda (Westbengalen) wurden ermutigt, ein Handwer­kerausbildungsprogramm mit Fahrschule zu beginnen und durchzuhal­ten. Desgleichen organisierten die Dorfbewohner in Nunia und Kaika sich selbst in kooperativen Gruppen, um sowohl die landwirtschaftliche Produktion als auch die Vermarktung ihrer Produkte zu verbessern. Diese Form der Beteiligung am Leben und Arbeiten der Menschen ist gewiss eine Form des „Teilens“, der Teilnahme an den Interessen der Anderen.

Die soeben erwähnten Partnerschaftsprogramme sind der Ursprung für weiterführende „Austauschprogramme“ geworden. So wie Besucher aus verschiedenen Teilen Deutschlands zu uns gekommen sind, so haben in den Jahren 1996, 1999 und 2003 CTC-MitarbeiterInnen Deutschland besucht. Die Sechs- bis Zwölf-Wochen-Aufenthalte waren ausgefüllt mit Ausbildungs- und Konsultationsprogrammen. Inder wie Deutsche empfingen in diesem Austauschprogrammen tiefgehende neue Eindrücke. Wenn ich die Berichte von diesen Besuchen höre, frage ich mich oft: Sind solche Besuche wert, dass sie fortgesetzt werden? Es mag noch zu früh sein, dazu ein abschließendes Wort zu sagen. Was ich empfinde ist, dass solche Besuche nur ihren Wert haben,

  1. wenn die Gemeinschaften, die dahinterstehen, ernsthaft und auf­richtig die Interessen der Partner teilen,
  2. wenn die Vertreter und Vertreterinnen der jeweiligen Gemeinschaft gut vorbereitet sind, ihre Interessen den Partnern zu vermitteln; und
  3. wenn Besucher und Besucherinnen dazu fähig sind, die Botschaft zu ihrer jeweiligen Gemeinschaft zurückzubringen und zwar in der Weise, die das Interesse für die Partner ausweitet und stärkt.

 9. Bericht über die indische Forstwirtschaft
– Auszug
Von Bischof Johan Dang

… Vom 1. August bis 28. Oktober 2012 waren wir in Deutschland und nahmen an Weiterbildungen in Berlin, Mecklenburg und Ostfriesland teil. Wir gewannen Einblick in die Forstwirtschaft in Güstrow, in Schweiß- und Elektrotechnik und in Holzverarbeitung in Berlin-Weißensee und nochmals in Elektrotechnik in Em­den. Alle Programme waren von unseren deutschen Partnern gut organisiert. Die Lehrmethoden waren sehr ansprechend; meistens lernten wir durch das praktische Tun und anschließend durch Fragen und Diskussionen. Diese Methode war wunderbar und wirkte sich auf das ganze Trainingsprogramm aus. In zeitlicher Reihenfolge waren wir zwei Gruppen: alle vier Teilnehmer lernten in der Forstbaumschule bei Herrn Wilfried Hahn im August 2012.

Zwei Teilnehmer blieben länger an den genannten Orten.

Zur Sache der Aufforstung möchte ich nochmals das zitieren, was ich in dem Buch vom September 2011 „Unterwegs in Deutschland“ geschrieben habe:

„Die Auszubildenden waren froh, in ein gut vorbereitetes und organisiertes Programm hineinzukommen. Für mich war es ein Lehrstück für die ganze Kirche und für die Gesellschaft. Diese Ausbildung wurde abgerundet durch ein ‚Lernen durch Tun‘. Sie war nicht akademisch, sondern in der Regel ein praktisches Modell, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Alle Teilnehmer hatten Nutzen davon und die indischen Freunde konnten lernen, wie wir Ausbildung in Zukunft organisieren sollten. Sie ist nicht eingeengt auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern befruchtet in vieler Beziehung.

Die Teilnehmer werden herausgefordert durch Sprache, Kultur und den Entwicklungsprozess im Ganzen. Während unseres Aufenthaltes in Deutschland sahen und erfuhren wir, dass im Lernprozess die andere Sprache und Kultur nicht das Problem waren. Natürlich war das Ganze eine große Herausforderung, hat aber gleichzeitig den Erfolg des Austauschprogramms nachgewiesen. Die Predigten der Gäste in den Kirchengemeinden waren eindringliche Botschaften. Auch die Ansichten und Ideen des Lesers werden möglicherweise dadurch verändert.

Zur Nachhaltigkeit der Forstwirtschaft wäre folgendes zu sagen: In unserem indischen Kontext brauchen wir die Kenntnisse über die regelmäßige Pflege des Waldes. Es wird dem Wald helfen, in langen Zeiträumen zu überdauern. Der Wald ist die große Quelle für die Ökonomie eines jeden Landes und für die Ausgeglichenheit der Natur. Deshalb ist die Unterrichtung durch Wilfried Hahn und seine Beteiligung eine sehr wichtige Sache und ein ernstes Thema. Ich denke, wir sollten beteiligt sein und das Thema Wiederaufforstung zu einer wichtigen Sache für die Zukunft machen. Dadurch kann die übermäßige Ausbeutung der Wälder verhindert werden, desgleichen der ganze weltweite Klimawandel.

Wir hoffen auf eine weitere Zusammenarbeit in der Planung einer ‚Wiederaufforstungskultur‘ in Indien und in Europa“.

Das wurde uns bestätigt, als wir in der Forstbaumschule von Wilfried Hahn in Güstrow waren. Ich lernte viele Dinge wie z. B. Waldwirtschaft, Waldpflege, Qualitätsproduktion, Forstökonomie und Forstverwaltung. Wenn wir die Lebens­regeln des Waldes kennen und beachten, dann werden wir wirklich überleben, und die Natur wird überleben sowohl in Deutschland als auch hier in In­dien.

Unsere Verantwortung ist es zu lernen und dann zu lehren; unsere Bauern, die Organisationen und die staatlichen Förster. Ich bin dankbar, dass ich als Bischof gleichzeitig Bauer, Förster und Administrator sein kann. Du magst fragen, warum ein Bischof auf diese Weise arbeitet, wie das einige meiner Kollegen fragen. In meiner Sicht ist dies ein Exempel, wie wir zusammenarbeiten sollten, um den Herausforderungen und Hindernissen zu begegnen. Wir hoffen auf eine bessere Zukunft und eine bessere Ökonomie …

übersetzt von Willibald Jacob

10. Thesen  von Manmasih Surin

  1. Das Ausbildungszentrum in Govindpur, District Khunti, Jharkhand befaßt sich hauptsächlich mit der kirchlichen Ausbildung von Männern und Frauen und der Vertiefung von landwirtschaftlichen Kenntnissen und Fähigkeiten. Seit 1996 gehen von Govindpur Anregungen aus, in diversen Dörfern Selbsthilfegruppen zu bilden, die sich um eine neue Berufsausbildung kümmern. Neben Govindpur wurden in Burda, Nunia, Lomboi-Ginekera und Bano-Lacheagarh kleine Hand­werksausbildungszentren gegründet (CTC).
  2. Während im Zentrum Govindpur nur noch Highschoolabsolventen (10. Klasse) angenommen wurden, entstand die dringende Frage: Was wird aus denen, die nur die 6. Klasse absolvieren, nicht aber die 8. Klasse oder gar die 10. Klasse schaffen? Sie bilden in der Regel die Mehrzahl. Die Antwort war: non-formal training, eine Ausbildung auf der Basis des alten Meister-Lehrling-Verhältnisses, jetzt aber organisiert für Gruppen von arbeitslosen Jugendlichen an zentralen Orten. Schwerpunkt: Fahrschule, Schmiede, Tischlerei, Kfz-Reparatur.
  3. 50 % der indischen Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre. Wenn die Integration der jungen Menschen in untraditionellen Berufen nicht gelingt, bilden sie die Reserve für Aufstände und bürgerkriegsähnliche Zustände, angesichts einer expandierenden Industrie, die aber gleichzeitig nur noch wenige Arbeitskräfte aufnimmt. Die nicht­formale Ausbildung ist deshalb dringend erforderlich.

11. Thesen von Narendra Gagrai

  1. Das Technische Ausbildungszentrum in Fudi (TTC) wurde im Jahre 1960 von der Gossner Mission in Zusammenarbeit mit der Ev.-Luth. Gossner Kirche gegründet, um klassische Facharbeiter in Metall- und Holztechnik auszubilden. Heute, nach 52 Jahren nimmt auch dieses Zentrum nur noch High­school­absolventen an. Damit geht es an der Mehrzahl der jungen Menschen vorbei.
  2. Angeregt durch die Schritte in Govindpur, begann das TTC Fudi im Jahre 2000 mit dem non-formal training. Neben der klassischen Facharbeiterausbildung von zwei Jahren begann die Kurzausbildung von drei Monaten. Schwerpunkte: Fahrschule und Elektrikerausbildung.
  3. Das Einzugsgebiet für eine handwerkliche Ausbildung beträgt 50 km im Um­kreis. Damit ist klar, dass eigentlich in jedem Distrikt oder Kirchenbezirk ein Handwerkerausbildungszentrum (CTC) mit nichtformaler Ausbildung eingerichtet werden müsste. – Die Zeugnisse der formalen Ausbildung wurden vom Staat anerkannt, die Zeugnisse der nichtformalen Ausbildung wurden allseits respektiert zusammen mit dem Können der Jugendlichen.

Bischof Hansda: „In jedem Kirchenkreis (Parish) sollte ein CTC entstehen“.

Willibald Jacob: Beilage zu »Zwischen Müritzsee und Assam’s Teegärten«, EPOG Selbstverlag, Berlin 2004


Anmerkungen

[1] Laut einer Vereinbarung der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg (Region Ost) und der Ev.-Luth. Gossner Kirche in Chotanagpur und Assam gehen Elfriede und Willibald Jacob nach In­dien. Dafür kommen die Pfarrer C. S. R. Topno und Suresh Toppo in die DDR. Ein Austausch.

[2] Willibald Jacob, Trittsteine im Fluss, Berlin 1992 – Hindi Edition Marsallan Bage, Ranchi 2003 – Willibald Jacob, Andreas Schröder (Hg.): Zwischen Müritzsee und Assam’s Teegärten, Berlin 2004, davon in der Hindi Edition Kap I mit dem Titel Marsallan Bage, zwischen Berlin und Govindpur, Ranchi 2005


Karte der Landschaft Chotanagpur 2004

chotanagpurKarte mit dem im Beitrag genannten Orten

Quelle: Willibald Jacob, Andreas Schröder (Hg.): Zwischen Müritzsee und Assam’s Teegärten, Berlin 2004, davon in der Hindi Edition Kap I mit dem Titel Marsallan Bage, zwischen Berlin und Govindpur, Ranchi 2005

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