Feb 242017
 
Hier darf man lachen und schmunzeln!

Von Klaus A. Baier

Inhalt


Einführung

 Arzt: „Ich habe eine gute und ein schlechte Nachricht für Sie.“ – Patient: „Dann bitte die schlechte zuerst.“ – „Sie haben Alzheimer.“ – „Und was – bitteschön! –  soll daran gut sein?“ – „Bis Sie daheim sind, haben Sie’s vergessen.“

Finden Sie das lustig oder geschmacklos? Vielleicht geht es Ihnen wie meinem Freund Hannes: Als sein Arzt (der ihn gut kennt und er ihn), ihn nach einer niederschmetternden Diagnose… mit den Worten tröstete: „Alzheimer wirst du nicht mehr kriegen“, musste er dann doch unwillkürlich lachen auch wenn ihm der Schrecken in die Augen fuhr.

Warum diese irrationale Reaktion? Weil zwei Dimensionen unseres Daseins, zwei „Zonen der Wirklichkeit“ (P.L. Berger), die einander – eigentlich!, wirklich „eigentlich“? – ausschließen, aufeinanderprallen: im (eben angedeuteten) Fall die end-gültige Todeszone, die man handelnd nicht verändern kann, und die alltägliche Welt der Dinge, ihrer Sorgen und ihrer Herausforderungen, die man bewältigen muss und meist auch kann.

Worauf die Komik beruht, der ein Witz wie der eben erzählte entspringt, ist meiner Meinung nach diese Wahrnehmung einer Diskrepanz zwischen der alltäglichen Routine, mit der wir uns in der Welt eingerichtet haben, und einer Wirklichkeit, eines Ereignisses, einer Idee, die in unsere Routine einbricht, sie stört, durcheinanderwirbelt und damit in Frage stellt. Darum sind – ich komme noch drauf! – das Komische und das Tragische miteinander verwoben. Diese Wahrnehmung kann sich in einer bestimmten Form des Wissens äußern: im Witz. Peter L. Berger erinnert daran, dass da ursprünglich germanische Witz sich etymologisch von der indogermanischen Wuzel „ueid“ ableiten lässt, was „sehen“ und daher auch „wissen“ meinte. In der bis heute gebräuchlichen Redewendung „er/sie hat Witz und Verstand“ ist diese Bedeutung lebendig geblieben. Witz ist eine besondere Form des Wissen, des Wissens nämlich um die erwähnte Diskrepanz zwischen Alltagsroutine und Zerbrechen. und darum hat, wie Karl Valentin einmal gesagt hat – alles drei Seiten: Eine positive, eine negative und eine komische.[0]

Der Sinn des Wortes „komisch“ ist vielfältig, verzwickt und missverständlich, wie der kleine Dialog hier zeigt:

Vielfältig: Gast zum Kellner: „Herr Ober, die Suppe schmeckt komisch.“ Kellner: „Warum lachen Sie dann nicht.“

Verzwickt: „Sagt die Wahrsagerin; „Ihr Mann wird bald eines gewaltsames Todes sterben.“ „Komisch, sogar das wissen Sie. Und was wird aus mir? Werde ich freigesprochen?“

Missverständlich: Patient: „Komisch. Ich träume immer wieder vom Gefängnis oder vom Friedhof.“ – Psychiater: „Waren Sie schon einmal in einer Nervenanstalt?“ – „Noch nie – immer Gefängnis oder Friedhof.“

Wenn wir geklärt haben, was das Komische ist, können wir nach seiner Rolle im religiösen Zusammenhang und also in Theologie und Seelsorge fragen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Vielleicht etwas dem Vergleichbares, was dieser Witz erzählt, den ich neulich hörte?

Der Rabbi sitzt untätig, den Blick ins Weite gerichtet. Die Jünger fragen ihn: „Was ist los?“ „Pst“, flüstert einer, der Rebbe klärt.“ Man fragt den Rabbi respektvoll, was er klärt. Darauf der Rabbi sehr feierlich: „Ich habe soeben geklärt: Wenn man möcht‘ nehme alle Bäum‘, was sennen (sind) in der Welt, und machen daraus einen einzigen Baum; und wenn man möchte‘ nehmen alle Wasser, was sennen in der Welt, und machen ein einziges Wasser; und wenn man möchte‘ nehmen alle Äxte, was sennen in der Welt, und machen daraus eine einzige Axt; und wenn man möchte‘ schlagen den Baum, was ist gemacht aus alle Bäume, mit der Axt, was ist gemacht aus alle Äxte, so dass er fällt herein in das Wasser, was ist gemacht aus alle Wasser – oi, gibt das a Platsch!“

Der Witz macht sich über die bis heute unternommenen philosophischen und theologischen Versuche lustig, alles, was ist, in einem höchsten Sein (summum esse) konvergieren zu lassen. Das lass ich mal lieber …

Mal schauen, ob Ihnen der Apfel schmeckt, den ich Ihnen jetzt vom Baum meiner Erkenntnis darbiete.


1. Was ist eigentlich das Komische?

„Ein zentrales Element aller Witze … möglicherweise aller komischer Erfahrung ist die groteske Unangemessenheit oder Widersprüchlichkeit, die man plötzlich auf dem Hintergrund einer ganz anderen Erwartung wahrnimmt.“[1] Das kann hoch kompliziert daherkommen oder einfach nur blöd sein.

Sagt der Pfarrer in der Kirche: „Unser Organist kann heute nicht spielen. Ich stimme daher jetzt das Lied an, und danach fällt dann die ganze Kirche ein.“

Der Philosoph Immanuel Kant meint dazu: „Ein … Witz ist durch die Überraschung des Unerwarteten sehr aufmunternd.“[2]

Komisch kann aber auch das sein, wodurch sich ein Mensch unbewusst preisgibt, sagt Henri Bergson.[3] Hier ein Beispiel:

Der Arzt fragt: „Gnädige Frau, wollen Sie nicht auch etwas für unser neues Trinkerheim beisteuern?“ „Ja, gerne. Sie können meinen Mann kriegen.“

Das Komische und das Absurde liegen in einem oft Witz nah beieinander:

Der Oberarzt stürzt in die Leichenhalle des Krankenhauses: „Gute Nachricht für Sie, Herr Müller, ruft er, „nicht ihr Puls ist stehengeblieben – nur meine Uhr.“

Gelegentlich entsteht ein Witz dadurch, dass man etwas – absichtlich oder nicht – missversteht, so wie in diesem tollen Stückchen:

Bei einem Presseempfang sagt Goebbels zu einem amerikanischen Zeitungskorrespondenten: „Wenn ihr Präsident wie wir eine SS hätte, gäbe es bei Ihnen keine Gangster mehr.“ „Gewiss“, antwortet der Amerikaner, „die wären dann alle längst Standartenführer.“

Einen letzten Versuch, zu sagen, was ein Witz sei, will ich noch nennen; er ist von Kant, und er trifft exakt, was ich meine, wenn ich die eigen-artige Wirkung von Witzen beschreibe: „Das Lachen ist ein Effekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.“[4] Ein Beispiel:

Drei junge katholische Novizinnen wollen doch lieber ins weltliche Leben zurückkehren. Sie werden von der Schwester Oberin noch einmal gefragt, welchen Beruf sie denn draußen ergreifen wollen. „Verkäuferin“, sagt die eine. Die Schwester Oberin hat Bedenken. „Mannequin“, sagt die zweite, und die Oberin ist tief besorgt. „Und was willst du werden“, fragt sie die dritte. „Prostituierte“, sagt sie leise. Die Oberin fällt in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kommt, erkundigt sie sich noch einmal. Die Antwort ist wieder: „Prostituierte“. Da atmet die Oberin auf: „Gott sei Dank!“ sagt sie, „ich dachte schon, du wolltest Protestantin werden.“

Genug. Ich könnte noch allerlei anführen, was den Witz charakterisiert, z.B. seine Mehrdeutigkeit, die Situationskomik und die Narrheit bzw. das Närrische. Ich könnte über die verschiedenen Tendenzen sprechen, die er haben kann: die auslachende, die aggressive Tendenz, seine gelegentlich obszöne und grausame Seite, aber auch seine skeptischen und politischen Seitenhiebe, sogar seine versöhnliche Kraft:

Zum letztgenannten Aspekt dann doch etwas:

Nach einem Vortrag des großen Theologen Karl Barths über die christliche Versöhnungslehre und ihre Bedeutung für unseren Glauben an das ewige Leben, kommt eine feine Dame zu ihm und sagt: „Verehrter Herr Professor, sie haben mich sehr getröstet. Dann werde ich also alle meine Lieben im Himmel wiedersehen?“ „Ja“, antwortet Barth und schaut sie über den Rand seine Brille an, „aber die anderen auch.“

Damit wären wir dann endlich beim eigentlichen Thema meines Vortrags…


2. Das Komische und das Religiöse

Zunächst möchte ich etwas ausführlicher mit der Verwandtschaft des Komischen mit dem Religiösen beschäftigen, ihre in ihrem Ursprung begründete Ähnlichkeit; denn die fällt einem ja meist nicht sogleich ins Auge, wenn wir über die Entstehung des Komischen nachdenken. Das Komische und das Religiöse sind gleichsam Zwillinge der eben angedeuteten allgemein menschlichen Erfahrung der Widersprüchlichkeit unserer Existenz. Witz und Lachen auf der einen und religiöse Gefühle und Glaube auf der anderen Seite sind zwei mögliche Reaktionen auf diese Widersprüche, die den von uns entweder fraglos vorausgesetzten und/ oder im Laufe der Jahre von uns konstruierten Sinn unseres Lebens bedrohen.

Um besser zu verstehen, was ich meine, möchte ich Sie auf Aspekte der menschlichen Welterfahrung hinweisen, die die Wissenssoziologen und die Wahrnehmungspsychologen untersucht haben und mir, wie ich zeigen will, ermöglichen werden, vom Komischen als einem religiös bedeutsamen Phänomen zu sprechen.

2.1 Alltagswelt und Nebenwelt

Ich nehme eine Unterscheidung auf, die der Soziologe Alfred Schütz (1889-1959) in seinem Aufsatz On Multiple Realities (1945) gemacht hat.[5] Er unterschied zwischen verschiedenen Sektoren dessen, was die Menschen als Realität erleben. Sein besonderes Interesse galt der Beziehung zwischen der Alltagsrealität, die er als „dominante Wirklichkeit“ bezeichnete, und jenen Einschlüssen innerhalb der Alltagswelt, die er „geschlossene Sinnbereiche“ nannte (man kann sie auch als „Sinnprovinzen“ betrachten), die man aber vielleicht besser mit William James, auf den Schütz sich hier bezieht, als „Nebenwelt“ definieren sollte. Die Welt des alltäglichen Lebens ist natürlich die dominante Wirklichkeit, die „Nebenwelt“ ist eine in diese einbrechende Wirklichkeit, ein eigener, die alltägliche Welt für einen Moment ausschließender Sinnbereich.

Mein Onkel Karl, der schwer verwundet mit einer der letzten Flugzeuge aus dem Kessel von Stalingrad ausgeflogen worden war, erzählte Folgendes: Die Generäle der beiden Armeen hatten eine kurze Feuerpause vereinbart, damit man die Verwundeten versorgen konnte. Die Waffen schwiegen für eine Weile. Die Soldaten ruhten, vielleicht schrieb der eine und andere einen kurzen Brief nach Hause, nickte etwas ein, aß einen Brocken Brot. In die Stille drang durch die Trümmerlandschaft auf einmal fernes Klavierspiel. Als einige der Musik nachgingen, sahen sie einen Soldaten an einem wunderbarerweise intakten Flügel sitzen und in sich versunken spielen. In der dominanten Welt des Krieges war es fünf Uhr nachmittags in dem und dem Monat in dem und dem Jahr, in der Welt des Spiels war es vielleicht das Minuetto und Trio des 2. Satzes der berühmten Sonate A-dur KV 331 von Mozart. In einem weiten Bogen standen die Soldaten um den Mann am Flügel und lauschten den Klängen – Russen und Deutsche nebeneinander. Mein Onkel sagte an dieser Stelle seiner Erzählung immer: „Es war, wie wenn eine andere Zeit unsere Zeit eingebrochen wäre, die die Zeit des Kampfes ‚wie von oben her‘ außer Kraft setzte; mir war, als wenn ich aus meiner Zeit ausstieg und mich in eine andere begab. Nach einer Viertelstunde war das Spiel vorbei und kurz darauf umgab uns wieder die Welt des Kampfes.“

Was mein Onkel schilderte, nennt der Soziologe Peter L. Berger eine „Enklave in der ‚ernsten‘ Alltagswelt“.[6] Die Zeitstruktur der Sinnenwelt des Spiels ist eine andere als die der dominanten Zeit. Es ist Freudenzeit, Erwartungszeit; „Auszeit“ nennen wir das manchmal, was uns umgibt, wenn wir der Wirklichkeit unseres Alltags „entkommen“. Sie dauert solange sie „dauert“ und setzt die Regeln der „ernsten Welt“ außer Kraft.

„Solche Nebenwelten oder geschlossene Sinnbereiche werden jedenfalls erlebt, wenn das Individuum zeitweilig aus der dominanten Welt des Alltagslebens ausschert oder herausgerissen wird.“ Die Alltagswelt ist am stärksten und dauerhaftesten, so dass die anderen Wirklichkeitszonen gleichsam wie Inseln von ihr umschlossen werden. „Doch besitzen diese anderen Erlebniswelten, während sie erfahren werden, ihren eigenen ‚Wirklichkeitsakzent‘. Der Übergang von der dominanten Realität und wieder zurück wird jedesmal als kleiner Schock erlebt. Beispiele solcher Bereiche sind der Traum, das Theater, jegliche intensive ästhetische Erfahrung, … das Spiel des Kindes, das religiöse Erlebnis oder die leidenschaftliche Konzentration des Wissenschaftlers.“[7]

Alfred Schütz fügt noch ein weiteres Beispiel an: „… dass sich unsere Ratlosigkeit in Gelächter auflöst, wenn wir einen Witz hören und eine kurze Zeit lang bereit sind, die fiktive Welt des Witzes als Realität zu sehen, mit der verglichen unser Alltag töricht erscheint.“[8] Er geht in diesem Aufsatz nicht weiter darauf ein, aber diese kurze Bemerkung über die „fiktive Welt des Witzes“, die unseren Alltag als töricht erscheinen lassen kann, hilft uns weiter, wenn wir gleich über den Zusammenhang von Komik und Glaube, Lachen und Religion nachdenken. Zunächst möchte ich erklären, warum Humor, Witz und Lachen in religiösen Zusammenhängen und im theologischen Diskurs bis heute nicht so recht beheimatet sind.

2.2 „Lache nicht und sage nichts, was Lachen hervorruft“ (Ignatius von Loyola)

Für die meisten gläubigen Menschen ist es auch heute nicht selbstverständlich, wenn ein Theologe diese beiden Aspekte zusammenführt. Denn wenn es eine Jahrhunderte alte und weitgehend unbestrittene (sc. theologische) Überzeugung“ gibt, dann die Gewissheit, dass es in religiösen Dingen immer und ausschließlich ernsthaft zugehen müsse und die leichte Ironie ebenso verpönt sei wie der feine Witz und die grobe Satire: „Es muss etwas Feierliches, Ernsthaftes und Zartes über jeder Haltung liegen, die wir religiös nennen.“[9] Eine Meinung, die weit in die europäische Philosophie- und Theologiegeschichte zurückreicht! Schon Platon hat der Philosophie das Lachen ausgetrieben und behauptet, Ernsthaftigkeit sei das Wesen des echten Liebhabers der Weisheit, also eines philo-sophos. „Die gedankliche Strenge und geistige Tiefe der Ideen-Erkenntnis verträgt keine lächelnde Distanz, kein spielerisches Amüsement, keine leichtlebige Heiterkeit. Der Philosoph platonischen Typs lacht nicht. Es ist ihm alles wirklich ernst.“[10]

Man tut Platon Unrecht, würde man in ihm nur einen miesepetrigen Sauertopf sehen. Seine Skepsis ist durchaus begründet; sie richtet sich gegen den uralten in Griechenland damals weit verbreiteten religiösen Dionysoskultus. Dionysos ist eine Gottheit, die alle gewohnten Schranken zerbricht, und seine Anhänger/innen tun es ihm nach – in ekstatischen Festen geraten sie außer sich  und schlüpfen in die Rolle satyrartige Wesen, groteske Mischungen aus Mensch und Tier, die sich über alles, was in der polis recht ist und sie in Ordnung und Harmonie vereint, hinweg setzen und ins Lächerliche ziehen. Entsprechend gefährlich mussten sie Platon erscheinen, der die Ordnung und die Harmonie des Staates zentral stellte und die er mit Hilfe der von der Vernunft geleiteten Räson wahren wollte. Das komische Vergnügen sei bloß ein Ausdruck von Neid und Boshaftigkeit und darum moralisch verwerflich.

Ist am Lachen also etwas moralisch Dubioses? Für einen, der wie Platon von der Idee der Ordnung geradezu besessen war, eine überaus ernste Angelegenheit also, musste das Lachen (wie dann Platons Schüler Aristoteles[11] schrieb) als „hässlicher Fehler“ des menschlichen Geistes erscheinen, den es durch Philosophie zu überwinden und politisch auszumerzen galt. Dem sind fast alle Theologen seit den Kirchenvätern (ca. 200 n. Chr.) bis in die jüngste Zeit gefolgt. Manche hielten Lachen sogar für eine Beleidigung Gottes. „Das grundlegende theologische Argument gegen das Lachen war jedoch, dass den Evangelien zufolge Christus nie gelacht habe, wohingegen sein Weinen ja aufgezeichnet sei.“[12]

In seinem Roman „Im Namen der Rose“ hat Umberto Eco geschildert, welche Folgen das haben kann.[13] Humor und Komik werden von einem seiner Hauptfiguren, dem Bibliothekar Jorge, als Einfallstor von Unglauben, Unmoral und Ungehorsam dargestellt, das mit allen Mittel – bis hin zum Mord und zur Ketzer- und später, zur Hexenverbrennung – verschlossen gehalten werden muss. Fundamentalisten fürchten das Lachen als Gegenpol der Angst vor Strafe, die sie doch selbst haben, nämlich die Angst vor der Kraft des Gelächters. Eco wollte zeigen, dass die Verbannung des Komischen aus dem menschlichen Miteinander unweigerlich zu abstrusen Verschwörungstheorien, zu Verfolgung und in die Diktatur führt.

Immerhin hat Aristoteles – und darin geht er über Platon hinaus – erkannt, dass das Komische ein wesentlicher (!) Aspekt des menschlichen Lebens ist. In der Komödie kommt es zur Darstellung. Das Hässliche, der Fehler, die Verzerrung, die in der Komödie zur Sprache kommen, deuten auf die oben erwähnte „Diskrepanz, eine Unregelmäßigkeit, einen Riss im Material der Wirklichkeit“ hin. Sie bringen – im Unterschied zur Tragödie, die das auf ihre Weise auch tut – diesen Aspekt des Lebens auf schmerzlose und daher für eine Gesellschaft vielleicht weniger gefährliche Weise zum Ausdruck.[14] Der Mensch „ist nicht das, was er scheint. Die ganze Welt ist nicht das, was sie scheint.“[15] Und darum kann es passieren, dass wir etwas Bestimmtes erwarten – und etwas ganz anderes eintritt. Das ist häufig der „Ursprungsort“, an dem Witze entstehen.

Ein Tourist fragt den Bürgermeister des Kurorts: „Ist das Klima hier wirklich so gesund.“ „Und ob! Um den Friedhof endlich einweihen zu können, waren wir gezwungen unseren ältesten Einwohner zu vergiften.“

Und kennen Sie den?

„Herr Doktor, wohin bringen Sie mich denn?“ – „Ins Leichenschauhaus.“ – „Aber ich bin doch noch gar nicht tot!“ – „Wir sind ja auch noch nicht da …“

Oder den hier:

Der Junge kämpft mit den Wellen, geht unter, kommt wieder hoch. Die Mutter betet verzweifelt: „Bitte, bitte, o Herr, gelobt und gepriesen sei Dein Name, rette meinen einzigen Sohn. Ich will auch alles tun, was du von mir verlangst, aber erbarme dich!“ Die nächste Welle spült das Kind an den Strand. Verbitter blickt die Mutter nach oben: „Und wo ist seine Mütze?“

Erst winseln, dann undankbar – erst in ratloser Not und dann wieder wie immer! Ja, so sind sie, Nachkommen Adams und Evas. Und darum will ich noch ein wenig die Spur verfolgen, auf die ich Sie gesetzt habe – was nämlich die Erfahrung des Komischen mit Religion und Glaube zu tun haben.

2.3 Transzendenzerfahrungen

Ich erwähnte vorhin den Dionysoskultus, jenen wohl weit in die vorgeschichtliche Vergangenheit reichenden Ausbruch religiöser Ekstase, der dem ordnungsliebenden Philosophen Platon so unheimlich war.

Unter der Ek-stase versteht man einen seelisch-körperlichen Zustand des Außer-sich-Seins, ein „außerhalb Stehen“ – außerhalb der normalen Meinungen und Gewohnheiten des Alltags. „Die komische Erfahrung ist orgiastisch … nicht im alten Sinne sexueller Promiskuität, so doch im metaphorischen Sinne, dass sie zusammenbringt, was Konvention und Moral streng getrennt sehen wollen“[16], nämlich die Erfahrung des Göttlichen zugleich mit dem Lächerlichen, des Religiösen zugleich mit dem Komischen.

Zu Recht ist das Philosophen und Theologen un-heimlich, denn etwas Unheimliches ist ja auch die Ursache. Warum?

Weil, wie eingangs gesagt, hier zwei Dimensionen unseres Daseins aufeinanderprallen, zwei „Zonen der Wirklichkeit“ (P.L. Berger), die einander nach landläufiger Meinung ausschließen. Das ist ja der Zentralwiderspruch unserer Existenz, den man jenseits aller kulturellen und kontextuellen Relativierungen in allen Kulturen feststellen kann.[17] Als Menschen sind wir uns selbst widersprüchlich, unsere Existenz ist ein ständiger Balanceakt zwischen zwei Modi von Lebensbedingungen: Die eine besteht darin, dass wir ein Bewusstsein davon haben, zu sein, dass wir uns also außerhalb unserer selbst stellen und über uns reflektieren können. Wir sind dann gleichsam Herren unseres Handelns. Die andere besteht darin, dass wir einen Körper haben, der ganz unabhängig von unserem Bewusstsein seinen eigenen Gesetzen folgt. „Wenn dieser permanente Balanceakt zusammenbricht, übernimmt der Körper das Handeln: Lachen und Weinen zeigen diesen Zusammenbruch an.“[18]

Dieser Widerspruch begegnet uns in Form verschiedener Persönlichkeitsmerkmale auch in uns selbst z.B. als der zwischen dem Angst-Ich und dem vertrauenden Ich, zwischen dem Kritiker-Ich und dem selbstbewussten Ich usw. Diese Ich-Anteile sind meist – gleichsam wie in einem guten Team – aufeinander bezogen und ergänzen sich im Handeln eines Menschen. Das innere Team kann aber auch zerfallen, bis hin zu einer dissoziativen Störung, bei der Wahrnehmen, Erinnerung und Erleben der Identität der eigenen Person betroffen sind. Es muss ja nicht immer so schlimm sein wie in diesem – na, klar! –nicht ganz ernst gemeinten Witz:

Fragt der Psychotherapeut seinen Patienten: „Haben Sie Verwandte?“ Patient: Einen Zwillingsbruder. Wir wurden immer verwechselt. Wenn er was angestellt hatte, bekam ich die Prügel. Aber jetzt habe ich es ihm heimgezahlt.“ Therapeut: „Wie denn das?“ Patient: „Letzte Woche bin ich gestorben. Aber ihn haben sie beerdigt.“

Zurück zur Widersprüchlichkeit unserer Existenz!  Ein solcherart oder ähnlich sich manifestierender Zentralwiderspruch ist latent zwar immer vorhanden, aber offenbar wird er zumeist entstehen die Brüche durch das Eindringen einer anderen Wirklichkeit. Die Krebserkrankung kann so ein Einbruch sein. Der Krieg, eine Katastrophe ebenfalls. Aber auch die Geburt eines Kindes, das Ereignis der Liebe und Todesahnungen sind solche „Einbrüche“ von etwas, was über uns kommt; wenn es geschieht, dann geschieht es. Da passiert etwas, worauf wir weder vorbereitet sind noch auf das wir irgendeinen Einfluss haben. Es überfällt und überwältigt uns. Wir können es als etwas erfahren, das wir dann je nach Situation und gesellschaftlichem Kontext bzw. familiärer Prägung „heilig“ nennen oder „komisch“. Das Heilige und das Komische haben deswegen so vieles gemeinsam, weil beide in der Begegnung bzw. in der Erfahrung mit einer Wirklichkeit entstehen, der wir ausgeliefert sind.

Man kann sie mit dem Religionswissenschaftler Rudolf Otto „numinos“ nennen. Darunter versteht er – wie er schreibt – Erlebnisse des „Ganz-Anderen“. Sie sind vor-rational, Otto formuliert sogar – etwas in die Irre führend (weil wir dies Adjektiv leicht mit „verrückt“ assoziieren) sie seien „irrational“. Irrational bezeichnet hier nicht etwas Dumpfes, Dummes und noch nicht der Ratio Unterworfenes, sondern meint die „geheimnisvoll-dunkle“ Sphäre, in der das Numinose immer (und seinem „Wesen“ nach notwendig) bleibt: Das Numinose bleibe „im unauflöslichen Dunkel des rein gefühlsmäßigen unbegrifflichen Erfassens“. „Als das ‚ganz andere‘ entzieht es sich aller Sagbarkeit“.[19]

Im Unterschied zu Otto halte ich den Einbruch dieses sog. Numinosen nicht schon für das religiöse Grunddatum menschlichen Seins schlechthin, das von der Ratio sozusagen notwendigerweise als „heilig“ bezeichnet werden muss. Dass Otto es „heilig“ nennt, hat seinen Grund in der wohl Jahrtausende alten Tradition, entsprechende Erfahrungen religiös zu konnotieren. Das Numinose ist also keine religiöse Realität an sich. Ich verwende den Begriff des Numinosen hier zur Bezeichnung für die Erfahrung der widersprüchlichen Wirklichkeit menschlichen Lebens, die als numinos (im Sinne von „gestaltlos und unbegreiflich“) beschrieben werden kann. So verstanden ist auch für mich die Widersprüchlichkeit – um es in Ottos Worten zu sagen – als Grund-datum nicht definibel im strengen Sinne, sondern nur erörterbar.[20]

Kurz gesagt: Religion und Komik, Glaube und Lachen, Theologie und Witze haben eines gemeinsam: beides transzendiert die Wirklichkeit der normalen Existenz. Beides ist eine Reaktionen auf etwas Unerwartetes, etwas, was man nicht einordnen kann, „nicht auf die Rolle kriegt“, kurz: Religion und Lachen sind Reaktionen auf ein Paradoxon, dessen zwei Aspekte wir nicht miteinander vereinbaren können. Darum schreibt der Psychoanalytiker Luc Ciompi in seinem Buch über die Affektlogik: „Nicht von ungefähr gehen wir im wirklichen Leben den Paradoxa aus dem Weg, wo immer wir können: Sie erzeugen eine grundlegende Verunsicherung, indem sie … unser lebenswichtiges psychisches Instrumentarium zur Bewältigung der ‚Welt‘ in Frage stellen.“[21]

In diesem Sinne also haben das Heilige und das Komische viel gemeinsam. Das Komische ist ebenso eine Art, mit diesem Widerspruch umzugehen, wie das Religiöse. Letzteres hat in unserer Kultur seit der Erfindung des Tragödie im antiken Griechenland eher etwas mit Leid, Schmerz und Einverständnis in das unabwendbare Geschick zu tun, dem man sich von den Göttern (Gott) unterworfen sieht; auf der „Bühne des Lebens“ nimmt es die Form der Tragödie an. Das Komische hat eher mit dem Irritierenden und Lächerlichen dieses Geschehens zu tun; auf der „Bühne des Lebens“ ist es die Komödie, die das ausdrückt. Wenn nun beides – z.B. im religiösen Witz – zusammenkommt, dann ist – wie Kierkegaard in seinen Philosophischen Brosamen (Brocken) sagt – das Tragische der leidende, das Komische der schmerzlose Widerspruch.[22]

In der sich hier eröffnenden Perspektive diskutiere ich das Verhältnis von Religion und Humor, Komik und Witz und versuche zu klären, warum auf der Strecke zwischen Unendlichkeit und Nichts, auf die wir uns immer befinden,  mal der tragische, mal der schmerzlose Widerspruch dominiert.

Zur Religion komme ich gleich. Erst einmal will ich unter dem Aspekt des bisher Gesagten noch einmal auf die „komische“ Reaktion zurückkommen.

2.3.1 Die „komische“ Reaktion

Etwas flapsig gesagt ist das Komische eine rationale Reaktion unseres präfrontalen Cortex auf eine ziellos Reizübertragung von einer subkortikalen Nervenzelle auf eine andere. Sie wird also hervorgerufen dadurch, dass die durch interneuronale Synapsen vermittelten Signale nicht in vorhandene Wahrnehmungsmuster integriert werden können und dadurch Irritationen hervorrufen, die etwa durch einen Witz eingefangen und relativiert werden.

Was beim Hören eines Witzes abgeht und wie daraus das Lachen wird, erklärt die Ärztin für Neurologie Babara Wild in einem Spiegel-Gespräch (abgedruckt in der Ausgabe Nr.9/ 2006 vom 25. Februar 2006) so: “Erst wurden blitzschnell Gebiete in der Hirnrinde aktiviert, die für Erinnerung und Arbeitsgedächtnis zuständig sind: Ich muss den Witzanfang ja noch im Kopf haben, wenn die Pointe kommt. Dann waren Gebiete in der linken hinteren Hirnhälfte beteiligt, die uns helfen, Absichten zu erkennen. Anschließend werden die Gebiete nahe dem Broca Areal aktiv: Sie stellen Sprache, Zeichen und Symbole in einen Sinnzusammenhang. Und wenn wir den Witz kapiert haben, feuern, wie bei gutem Sex oder einem Lottogewinn, die Nervenzellen im mesolimbischen Belohnungssystem.“ Zum Schluss treten die Nervenzellen im Hirnstamm in Aktion und veranlassen Gesichtsmuskeln, Stimmband und Atemmuskulatur zu den Bewegungen, die wir als Lachen bezeichnen.[23]

Kurz gesagt: Das Komische ist eine Möglichkeit, mit intellektuellen oder habituellen Verunsicherungen umzugehen.

Unendlich Vieles kann in uns das Gefühl der Verunsicherung hervorrufen. Man kann darüber lachen und sich so vom Gefühl der Befangenheit befreien. Dann schließt man das, was einen verunsichert, gleichsam in die Logik des Witzes ein und entschärft so die bedrückende Situation, in die man – ungewollt oder unerwartet – geraten ist.

Ein schwäbischer Dorfältester: „I bin jetzt au schon übr neunzig. I muaß auch bald ans Schterbe denke. Aber des ischt net so arg. Des wer i au noch überlebe.“

Das Unheimliche des Todes wird hier gleichsam im Lachen weggesprudelt. So auch hier:

Ein Arzt geht über den Friedhof. Da hört er eine leise Stimme: „Herr Doktor … Herr Doktor …“ Als er der Stimme nachgeht, hebt sich ein Grabdeckel: „Herr Doktor, haben Sie nicht etwas gegen Würmer“?

Die unheimliche Vorstellung, einmal als Erde und Asche zu enden, wird hier mit Slapstick-Humor abgeschüttelt. „Die Pointe des Witzes befreit, schüttelt böse und bedrohliche Introjekte (sc. unverdauliche und/ oder unannehmbare Vorstellungen, die einem auf den Magen oder „schwer auf’s Gemüt schlagen“) ab und atmet sie in Form von Gelächter aus. Das ist es, was wir meinen, wenn wir sagen: Lachen befreit. Es ist die Freiheit von bösen Introjekten, und wir fühlen uns danach reiner und besser.“[24] Das Lachen ist so gesehen eine Reaktion, die Selbstbehauptung verrät – das letzte Wort behält der homo ridens (Helmut Plessner im Anschluss an Aristoteles).

Die Selbstbehauptung, die sich im Komischen und also auch im Witz durchsetzt, richtet sich gegen zwei Aspekte der menschlichen Natur. Einmal gegen die eigene Widersprüchlichkeit, die im Alltag immer wieder durchbricht – denken Sie an einen Politiker, der sich bei einer patriotischen Feierlichkeit übergeben muss, oder an den Pfarrer, der – wie es auf der Insel Pellworm geschehen sein soll – mit der Hand in der Tasche des Talars von der Kanzel herab gegen das in seiner Gemeinde verbreitete Kartenspiel wetterte, im Eifer die Hand aus der Tasche zog und dabei seine eigenen Spielkarten von der Kanzel herab trudelten. Dieser moralisch-ethische Widerspruch ist zum Lachen, ebenso wie die absurde ontologische Stellung des Menschen im Universum. Er, der sich für die Krone der Schöpfung hält, ist, wie der französische Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) sagte, doch nur das Wesen, das in der Mitte zwischen Nichts und All steht.[25] Diesen Widerspruch können wir erleben, wenn wir durch das Mikroskop in die Nano-Welt der allerkleinsten Teilchen des Universums schauen; dann fühlen wir uns riesenhaft. Schauen wir aber durch ein Teleskop nehmen wir uns wohl eher als Nichts in der Weite der Galaxien wahr.

Da kann einem schon un-heimlich werden – wir sind moralische und ontologisch gesehen schon recht komische Wesen. Im Witz setzen wir uns auf einigermaßen schmerzlose Weise mit dieser Ambivalenz unserer Existenz auseinander. Es gibt aber auch das Un-heimliche, das uns erschauern lässt und eine andere Reaktion generieren kann.

2.3.2 Die „tragische“ und/oder „religiöse“ Reaktion

Denn man kann nicht alles Un-heimliche weg-lachen oder alles Beglückende belächeln. Es gibt Ereignisse, bei denen uns das Lachen vergeht, der Witz im Hals stecken bleibt oder sich unser eine „heilige Scheu“ bemächtigt – weil sie uns definitiv unerklärlich bleiben: Krankheit, Tod, Leid, Katastrophen, „Schicksalsschläge“, Unglück usw., aber auch freudige Ereignisse wie Glück und Liebe, Geburt und Geborgenheit – alles Ereignisse, die kein Mensch begründen kann, die er weder verursacht noch zu verantworten hat.

Der Soziologe und Philosoph Hermann Lübbe spricht von der „handlungssinntranszendenten Daseinskontingenz“, der wir uns stellen müssen. Darunter versteht er unerwartet über uns hereinbrechende Ereignisse, auf die wir trotz aller unsere menschlichen technischen Möglichkeiten und geistig- rationalen Fähigkeiten nicht handelnd reagieren können.[26]

Auch sie versucht der Mensch „mental“ einzufangen.[27] Denn alles, was geschieht, muss – so arbeitet nun einmal unser Gehirn – eine Ursache haben. Wenn … Dann …![28] Wenn es im Schöpfungsbericht der Bibel heißt, Adam solle allen Tieren einen Namen geben (und damit definitorisch in Besitz nehmen), dann kann man das als Mentalisieren bezeichnen. Damit meine ich, dass wir als Menschen dazu neigen was uns begegnet, zu beleben, wir sprechen Ereignissen ein zielgerichtetes Wollen, eine mens zu. Wir meinen, die Geschehnisse, Dinge oder die Lebewesen haben eine Absicht, verfolgen einen Plan. Der Begriff besagt, dass wir als Menschen meinen, überall Absichten, Pläne, Wünsche oder sogar Gefühle erkennen zu können, sei es bei einem Tier, einer Pflanze, sogar in unbelebten Dingen oder bei einem „Rascheln im Busch“ (da muss doch was sein!?). Wir behandeln diese belebten oder unbelebten Phänomene als wären es rational handelnde Agenten, wir sprechen bzw. legen ihnen eine Intention zu, um deren Handlungen oder Bewegungen voraussagen (und ggf. beeinflussen) zu können.

Das Un-heimliche, und Über-raschende kann einen überfallen und Schrecken und Scheu hervorrufen. Das ist der Augenblick, in welchem ein Gefühl entsteht, das wir in unserem Kulturkreis als ein religiöses bezeichnen. Das Un-heimliche, das Un-sagbare ereignet sich, es ruft ein diffuses Gefühl hervor und provoziert mentale und körperliche Reaktionen.

Mental – man versucht den Schrecken, die Scheu zu bannen, indem man auf Riten, Vorstellungen und Deutungsmuster zurückgreift, die irgendwann in der Geschichte der Menschheit entstanden sind; man nennt das in der Fachsprache „rationalisieren“. Solche Rationalisierungen sind z.B. die Erklärung eines Raschelns im Busch oder einer merkwürdigen Himmelserscheinung als Handeln von göttlichen/ dämonischen Mächten. Körperliche – man kann die Haltung der Demut, des Einverständnisses, der Dankbarkeit usw. einnehmen; das nennt man dann „habitualisieren“. Solche Habitualisierungen sind z.B. einfache Gebetshaltungen oder Gebärden (dreimal „auf Holz klopfen“) bis hin zu komplexen monastischen Lebensentwürfen.

Was also passiert im Gemüt eines Menschen, wenn er – wie das im antiken Griechenland ja wohl vorgekommen ist – erzählt, er sei von einem „Schrecken“ erfüllt worden, als er im Glast (Glanz) der Mittagshitze eine Lichtung in einem Wald betrat, und diesen Schrecken auf den Gott Pan zurückführt? Mose entsetzte sich, als er den „Brennenden Busch“ sah, ein Naturphänomen in der Wüste, und es als ein göttliches Ereignis interpretierte“; was bedeutet das? Was ist das für ein Entsetzen, das die Menge ergriff als sie Jesu Botschaft hörten, so dass die einen sagten, er sei von Satan besessen, die anderen, er sei der wiedergekommene Prophet Elia, der wiedererstandene Johannes der Täufer oder gar der Messias Israels?[29] Oder er sei ein Fresser und Weinsäufer, ein vom Teufel Besessener, ein Narr.

Wie auch immer: Es handelt sich da um ein „Etwas“, das zur Nichtung des Selbst, zur Infragestellung des als dauernd verlässlich angesehenen alltäglichen gesellschaftlichen Seins-Rahmens. Dieses Gefühl des Überwältig-seins bezeichne ich dann als ein „religiöses“, wenn die davon Betroffenen damit auszudrücken, dass sie da etwas „gesehen“, „vernommen“ oder ertastet haben, das „wie ein Blitz“ einschlug und in seinem Licht in einem „Nu!“ alles, wirklich Alles anders erscheint; und wenn sie das, was ihnen widerfahren ist, auf „höhere Mächte“, jenseitige Kräfte, Dämonen, gar einen deus absconditus oder dergl. zurückführen.

Religion ist also eine spezifische Art der Kontingenzbewältigung und als solche ebenfalls – wie der Witz – ein Akt der Selbstbehauptung. Als solche gehört sie zum esse des Menschen, beide sind ausschließlich menschliche Phänomene. Als solche sind sie universell.

Also: Erlebnisse und Gefühle dieser un-heimlichen (vor-rationalen, vor-habituellen) Art haben zu können, ist eine universelle anthropologische Konstante.

Ebenso die Fähigkeit und Neigung zum „Mentalisieren“ und Rationalisieren der Erfahrung des Unheimlichen oder – mit Otto – des Numinosen. Sie können – wie Otto hinsichtlich der Religion sagt – erschreckend (tremendum) und faszinierend (fascinans), aber – so füge ich mit Bezug auf das Komische hinzu – eben auch irritierend (irritandum) sein.

Als „religiös“ kann man solche Erfahrungen nur dann bezeichnen, wenn sie von demjenigen, dem sie widerfahren, auf ein „Jenseits“ der jeweils als „meine Welt“ verstandenen Wirklichkeit bezogen werden. Das Unheimliche an sich ist also weder religiös noch komisch. Das eine oder andere wird es erst im Prozess der Deutung, der Interpretation und Rationalisierung. Das Unheimliche wird entweder als religiös und heilig oder als komisch und witzig interpretiert – oder manchmal auch als beides. Dazu  nun noch ein paar Bemerkungen.

2.4 Die Komplementarität des Komischen und Religiösen

Und Menschen stehen, das sollte nun deutlich geworden sein, zwei in vielen Variationen und mit größerer oder kleiner Nähe zueinander liegende Arten der kognitiven Reaktion auf Transzendenzerfahrungen zur Verfügung: die komische und die religiöse. Sie schließen einander nicht aus, sondern sind komplementär aufeinander bezogen. Man kann die Welt darum nacheinander auf zwei verschiedene Weisen betrachten, woraus sich zwei Perspektiven ergeben, die nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen müssen. Sie sind natürlich kulturell unterschiedlich ausgeprägt, die Komik bei den Franzosen ist eine andere als bei Chinesen und nicht jeder Witz wird in einem anderen kulturellen Kontext verstanden oder ist in jeder beliebigen Situation angemessen. Und nicht jede religiöse Form gefällt allen.

Ein Beispiel aus dem Bereich der Komik:

Chloe, eine siebenfache Witwe, ließ einen Grabstein setzen und darauf schreiben: Das hier habe ich gemacht.

Wenn man damals einen Gedenkstein setzen ließ, dann schrieb man an den unteren Rand: “Das hat N. N. gemacht“, um den Urheber der Setzung zu nennen. Diesen Witz versteht man nur mit dieser Erklärung.[30]

Ähnlich ist es mit diesem hier, den noch vor siebzig Jahren kaum jemand verstanden hätte.

Zwei Bazillen treffen sich. „Ich habe dich seit Wochen nicht gesehen, warst du krank?“ fragt der eine. „Ja“, antwortet der andere, „ich hatte Penicillin.“

Und im Blick auf die Religionen brauche ich nicht weiter zu erläutern, dass solche Erfahrung zu ganz unterschiedlichen religiösen Rationalisierungen und Manifestationen des Göttlichen führen kann. Die entsprechenden Beobachtungen haben schon in den frühesten literarischen Beschreibungen der religiösen Gebräuche und Anschauungen (etwa bei Herodot und Xenophon) ihren Niederschlag gefunden.

Die Inder geben ihm viele Namen und kreieren Hunderttausende von Göttern. Die Juden, Christen und Muslime begnügen sich mit einem – wenn auch ganz unterschiedlich. Die Wahrnehmung des Unheimlichen ist universell dieselbe. Die kulturelle Relativität der (un-heimlichen) Erfahrung ist wichtig, aber sie sagt uns wenig oder fast nichts über die kognitive Gültigkeit seiner Wahrnehmung.

Nun kann sich selbstverständlich auch bei religiösen Menschen das Komische des Unheimlichen in einem Witz Bahn brechen, der die religiöse Erfahrung sogleich wieder relativiert:

Ein Jesuit, der Archäologe ist, kommt in großer Aufregung zu seinem Ordensgeneral und erstattet Bericht über Ausgrabungen, die er in Jerusalem gemacht hat. Er habe das Grab Jesu entdeckt. „Das ist ja wunderbar,“ sagt der General. „Ja, ja“, entgegnet der Archäologe bedrückt, „aber das Grab war nicht leer. Das Skelett Jesu lag darin.“ „Was Sie nicht sagen“, antwortet der Ordensgeneral erstaunt, „dann hat er also wirklich gelebt.“

Die religiöse Ehrfurcht kippt hier in ein amüsiertes Nicht-ernst-Nehmen. Dazu noch ein Beispiel aus dem jüdischen Kontext:

Die Gattin kommt außer Atem ins Zimmer gestürzt. „Der Messias ist auf dem Weg in die Stadt!“ Statt zu jubeln stöhnt der Mann: „Das hat uns gerade noch gefehlt. Das Geschäft wirft inzwischen Gewinn ab. Wir haben uns mit dem Geld gerade ein neues Haus gebaut. Und nun sollen wir alles stehen und liegen lassen, um dem Messias zu folgen?“ Die Gemahlin, die sich wieder gefasst hat: „Reg dich nicht auf. Du weißt doch, wie viel unser Volk schon durchgemacht hat. Mit Gottes Hilfe werden wir auch den Messias überstehen.“

Dieser Witz relativiert eine bisher unerfüllte – vielleicht sich nie erfüllende? – Hoffnung alle frommen Juden, in ihm mischen sich Skepsis und Erwartung auf komische Weise. Er wird uns nachher in einem Gleichnis Jesu wiederbegegnen (beim Gleichnis vom Großen Abendmahl, Lk 14, 16-24) .

Auch die feste Überzeugung, dass all‘ unsere Gebete erhört werden, kann ins Komische kippen:

„Mein Gott“, sagt die Frau zu ihrem Mann, „wir haben vergessen, Tante Magdalene zu unserem Gartenfest einzuladen. Das müssen wir unbedingt noch machen, sonst wird sie sauer. Ruf sie doch gleich mal an!“ Der Mann tut es und entschuldigt sich ausführlich. „Ich wusste davon“ unterbricht ihn die Tante spitz, „aber ich komme nicht. Es ist zu spät, ich habe schon um Regen gebetet.“

Die Komik nimmt das nicht ernst, was uns eigentlich bedrohlich erscheint, weil es uns an unsere „handlungssinntranszendente Daseinskontingenz“ (Hermann Lübbe) erinnert. Selbst das Numinose wird dadurch erträglicher:

Eine Dame betritt die Buchhandlung und sagt, sie suche etwas für einen Kranken. „Etwas Religiöses?“, fragt der Buchhändler. „Ach nein“, sagt die Dame, „es geht ihm schon wieder besser.“

Und damit sind wir dann wieder bei der eingangs gestellten Frage, welche Rolle die Komik in unserer (christlichen) Existenz haben kann, ja sollte, nein: müsste. Dürfen wir angesichts des Ernstes unseres Lebens und Glaubens lachen und über uns und überhaupt über Glaubensdinge lachen?


3. „Heiter und lachend.“ Die Komik Jesu

Dass Komik und Religion allein aufgrund des von allen Menschen an allen Orten und zu aller Zeit erfahrenen Einbrechens einer numinosen Realität, die sie als komisch und/oder religiös empfinden und zu verstehen suchen, zusammengehören, ist – denke ich – deutlich geworden.

„Zumindest in der Geschichte des Westens (und sehr wahrscheinlich auch anderswo) sind die Ursprünge des Komischen (ich ergänze: und des Religiösen, K.B.) in großer Nähe zu der Begegnung mit dem Numinosen zu suchen. Beide Phänomene führen die Wahrnehmung einer … verwandelten Welt herbei …“[31] – wenigsten für kurze Zeit. Das Vertraute erscheint in einem neuen Licht und wird seltsam unvertraut. „Zeitweilig verliert man das Bürgerrecht in der gewöhnlichen Welt, man wird aus dem Alltag exiliert.“[32] In seiner komischen Variante ist dieser Vorgang nicht religiös. Und in seiner religiösen nicht komisch. Aber beide öffnen den alltäglichen Horizont und die Wirkungen bei denen, die ihnen begegnen bzw. die ihnen widerfahren, sind sich sehr ähnlich: ein „erlösendes Lachen“ (Peter L. Berger).

Es gibt nicht viele Bücher von Theologen über das Lachen. Vor Jahren hat Helmut Thielicke sein Buch „Das Lachen der Heiligen und der Narren“[33] veröffentlicht, etwas später Werner Thiede eines unter dem Titel „Das verheißende Lachen. Humor in theologischer Perspektive“[34]. Es gibt ein paar Sammlungen religiöser und theologischer Witze, z.B. das (längst vergriffene) Büchlein von Gerhard Orth „Und Gott schreibt auch auf krummen Linien grade“ (1958), und in letzter Zeit werden in Universitäten und Pastoralkollegs sogar Seminare zum Thema Humor und Theologie angeboten.

Aber seltsamerweise wird selbst heute noch in Theologie und Kirche hartnäckig daran festgehalten, dass die Ernsthaftigkeit des Glaubens mit Witz und Humor nicht kompatibel sei. In der Bibel werde schließlich auch nicht gelacht, und wenn, dann nur in dem Sinne, dass „der Herr über sein Feinde lacht und spottet“ (Ps 2; Ps 37,12) und die Frommen lachen werden, wenn Gott ihre Feinde zerschmettert (Hiob 5, 17-27). Freilich, gerne wird darauf hingewiesen, dass Abraham und Sara lachten, als Gott ihnen die Geburt eines Sohnes verhieß – und das obwohl es der Sara „nicht mehr nach der Weiber“ Art ging“ und Abraham ja auch schon auf die Hundert zusteuerte. (Gen 17f) Und es heißt auch: „Wenn der Herr die Gefangenen Israels erlösen wird, so werden wir sein wir die Träumenden. Dann werden unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der Herr hat Großes an ihnen getan.“ (Ps 126) Und in den Seligpreisungen Jesu heißt es, an diese alte Verheißung anschließend: „Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.“ (Lk 6, 20-23) Bei Paulus ist von der Freude die Rede (Rm 14,17), die die Gläubigen erfassen wird, wenn Gott sein Reich aufrichtet.[35] Es ist das Lachen der Erlösten, das dann in den späteren gotischen Kirchen und Kathedralen auf manchen Bildern und Skulpturen das Antlitz derer ziert, die ins Paradies eingehen.

Nach allem, was ich vorhin sagte, ist es schon erstaunlich, dass in der hebräischen Bibel und im Neuen Testament so selten vom Lachen gesprochen wird, geschweige denn Witze erzählt werden. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass es in der Bibel nichts zu lachen gebe, sei doch die christliche Lehre eine sehr ernst Angelegenheit, ist nicht plausibel. „Was das … nahezu völlige Fehlen von ausdrücklichem Humor in der Bibel betrifft“, bemerkt Peter L. Berger zu recht, „so müssen wir uns vergegenwärtigen, um was für eine Form von Literatur es sich hier handelt.“[36] Die Bibel berichtet von verschiedenen unheimlichen (numinosen) Erfahrungen, die in ihr als Offenbarungen Gottes verstanden werden; sie erzählt den Weg Gottes mit seinem Volk (da geht es zwar auch manchmal hoch her und Vieles ist zum Lachen, z.B. über Bileam und seine Eselin, Num 22), aber vor allem geht es um die Erfahrung einer als heilig konnotierten Realität und ihre Folgen für die Menschen. Die Bibel in ihrer jetzigen kanonischen Gestalt ist ja auch nicht zuerst als eine Art Geschichtsbuch entstanden, sondern wurde (und wird) als eine Sammlung heiliger Schriften verstanden – wenn sie im Gottesdienst verwendet wurden (z.B. die Psalmen) oder als „Gottes Weisung“ in der versammelten Gemeinde, dann war dem Empfinden der Gläubigen nach „das Heilige“ bzw. „der Heilige“ dermaßen nahe, dass sich jeder Witz ebenso von selbst verbot wie die systematisch-intellektuelle Analyse der „heiligen Schrift“. M.a.W.: es bedarf einer gewisse Distanz zur überwältigenden Gegenwärtigkeit des Numinosen bevor man es in seiner religiösen bzw. komischen Dimension reflektieren kann, bevor man sich mit Hilfe von Witz und/ oder theologischer Raffinesse zu ihm verhält.

Daraus folgt aber nicht, dass die Propheten Israels oder Jesus und später die Rabbiner und christlichen Gelehrten keinen Humor gehabt haben. In der volkstümlichen Frömmigkeit war die komische Kultur sicherlich mehr zuhause als in den Stuben der Gelehrten.[37] Im Rahmen dieses Vortrags ist es nicht möglich, darauf näher einzugehen. Ich möchte nur einen Aspekt der Verkündigung und das Verhaltens Jesu ins Licht rücken, der m.E. in Vergessenheit geraten und übersehen wird.

Ich erinnere an das Urteil der Pharisäer über Jesus von Nazareth, das im Neuen Testament überliefert ist. Jesus sei ein „Fresser und Säufer“ gewesen (Mt 11,19; Lk 7,34). Sicherlich bezogen sie sich dabei auf die Mahlgemeinschaft, die Jesus mit seinen Jüngern und bevorzugt mit denen hatte, die man damals als „Zöllner und Sünder“ aus den Kreisen der Frommen ausschloss. Jesus verkündigte wie andere vor und nach ihm das Kommen des Reiches Gottes. Aber Jesus war kein Asket wie Johannes der Täufer einer gewesen ist, der das baldige Kommen des Reiches als Gericht predigte, weshalb man Buße tun und asketisch leben sollte. Er teilte nicht die Meinung der Pharisäer, die zum Beispiel sagten, wenn einmal alle Juden am Sabbat alle 613 Gebote Gottes (um genau zu sein: 365 Verbote und 248 Gebote) halten würden, dann würde das Reich Gottes anbrechen. Er lehnte auch die Bemühungen der Leute von Qumran ab, durch strikteste Observanz ritueller Praktiken das Kommen des Reiches Gottes zu beschleunigen. Schon gar nicht unterstütze er den bewaffneten Kampf der Zeloten und anderer radikal-politischer Gruppierungen im damaligen Israel, die das Kommen des Reiches Gottes durch Schwert und Terror herbeizwingen wollten. Er verkündigte und lebte eine Weise des Kommens des Reichen Gottes, ja, seiner Gegenwart, die damals sondergleichen war – und deswegen eine andere, neue Weise religiöser Existenz eröffnete.

Die Mahlgemeinschaften Jesu müssen so auffällig anders verlaufen sein als die in anderen religiöser Gruppierungen damals, dass sie sich seinen Anhängern und späteren Generationen tief ins Gedächtnis eingeprägt haben. Sicherlich waren es keine orgiastischen Gelage (wie im oben erwähnten Dionysoskult), aber man aß und trank und – vor allem – man hörte Jesus zu und diskutierte über das, was er gesagt hatte. Das gemeinsame Mahl wurde schon bald so sehr mit dem verbunden, was Jesus sagte und tat, dass man nach seinem Tod im Mahl die Gegenwart Jesu selbst erfuhr – die Erzählung in Lk 24 von den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus, denen Jesus beim abendlichen Brotbrechen in der Herberge Jesus erscheint, stellt das sehr schön dar. Ursprünglich waren diese Mahlgemeinschaften noch nicht sakramental überformt und zur Eucharistie im späteren theologischen und liturgischen Sinne geworden. Es waren Symposien, wie sie in der Antike üblich gewesen sind, gesellige Zusammenkünfte, auf denen ernste und fröhliche Themen verhandelt wurden und auf denen es sicher manchmal auch recht lustig zugegangen ist, wie wir aus zahlreichen Beispielen aus jener Zeit wissen. Wenn Jesus dabei vom Lachen der Erlösten sprach, hat er wohl kein bierernstes Gesicht gemacht, und das berichtete Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2) hatte bestimmt nicht zur Folge, dass die Gäste trockene theologische Lehrgespräche führten.

Wenn Jesus mit seinen Gästen beim Mahl auch über moralische, ethische und theologische Themen debattierte, dann eher auf lockere Weise. Ein Beispiel dafür sind insbes. seine „Himmelreich-Gleichnisse“ („Mit dem Himmelreich verhält es sich … wie mit …“), etwa das Gleichnis vom Großen Abendmahl (Mt 22, 1-10; Lk 14, 16-24) oder das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16). Es sind „Vergleichungen“, mit denen er beschreibt, wie es ist, wenn das Reich Gottes anbricht bzw. wie es sich anfühlt und was es bewirkt, wenn es bereits angebrochen ist. Man wird annehmen dürfen, dass Jesu eigene Gotteserfahrung in den Gleichnissen, die er zur Sprache bringt, beheimatet ist und zum Ausdruck kommt: dass er also in seinem Reden und Tun den in seinen Gleichnissen hörbar werdenden Möglichkeiten des anbrechenden Reiches Gottes Gestalt gibt.[38]

Diese Gleichnisse sind „komisch“ in dem Sinn, wie ich vorhin ausführte. Sie wollen einen Riss im Denken des Hörers bewirken, sie sind „hirnrissig“, weil sie die alltäglichen Erwartungen und gewohnten Denkmuster sprengen und zur Wahrnehmung jener Diskrepanz zwischen der „dominanten Wirklichkeit“ und einen in sie hereinbrechenden „geschlossenen Sinnbereich“ verlocken und verleiten, von dem ich sprach. Für einen Augenblick ist der Alltag außer Kraft gesetzt und es gilt „die neue Welt Gottes“.[39] Das ist eine Art der Begegnung mit dem befremdlich-unheimlichen Charakter der Botschaft Jesu, der eine komische und eine religiöse Reaktion zugleich hervorrufen kann. Komisch insofern, als man über das Verhalten des Herrn des Weinbergs den Kopf schüttelt oder weil er die gewohnte Rangordnung beim Auszahlen des Tageslohns umkehrt („lächerlich, wie kann man das denn gerecht nennen?!“) oder darüber, dass die geladenen Gästen mit allerlei Ausflüchten die Einladung zum Gastmahl ausschlagen („lächerlich, sich so ein Gastmahl entgehen zu lassen“). Indem bei den Anhängern Jesu und dann in der christlichen Gemeinde die Komik der Gleichnisse mit dem Glauben an Jesus, den Christus und Sohn Gottes verbunden wurde, wurde die Komik religiös verstanden als Befreiung von der Angst vor dem Gericht Gottes, als Erlösung von den Gesetzmäßigkeiten dieser Welt und der unerbittlichen Faktizität der menschlichen Existenz und ihren Schmerzen. Oder – positiv formuliert – als Ermöglichung zur Liebe, Freiheit und Hoffnung. Und zwar derart, dass Jesus, der mit seinen Gleichnissen dieser Möglichkeit eine Gestalt gegeben hat, nach seinem Tod selbst zu einer Gestalt dessen wird, was er verkündigt hat: zur Gestalt der Gegenwart Gottes unter uns (vgl. Phil 2). Im Lichte des Glaubens eröffnet Jesu Komik eine Jenseits-Welt mitten in dieser Welt. Das Komische nimmt das Religiöse vorweg, das Religiöse spiegelt sich im Komischen.

Ähnliches kann man über die Wunder, die Jesus getan hat, sagen und überhaupt über sein ganzes Leben, das in den Augen der meisten seiner Zeitgenossen das eines Narren gewesen sein dürfte. Und so trieben denn seine Schergen ja auch ihren Spott mit ihm und die Gaffer unter seinem Kreuz machten sich über diesen „König der Juden“ lustig (vgl. Lk 22, 63f; 23, 35ff parr.). Einer derer, die dabei gewesen sind, ein(römischer) Hauptmann, soll den Tod Jesu im religiösen Sinn gedeutet haben: „Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen“ (Lk 23, 47). Ein Nachklang zum Kreuzigungsgeschehen dürfte sein, wie Paulus daraus eine christologische Formel macht: Der gekreuzigte Christus sei „… den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (1. Kor 1,23), denn in ihm habe Gott das, „…was töricht ist vor der Welt … erwählt (1. Kor 1,27f). Konsequent ist es, wenn Paulus in seinen Briefen an die Korinther von sich selbst als einem Narren spricht und von denen, die Jesus folgen, als „Narren um Christi willen“ (1. Kor 4,10).

Wie ein fernes Echo der Erinnerung an Verkündigung und Verhalten des „historischen Jesus“ klingt, was sich in der gnostisch-koptischen Apokalypse des Petrus, einer im 3. Jahrhundert  n. Chr. entstandenen Schrift, erhalten hat.[40] Der fiktive Apostel Petrus sieht in einer Vision einen, der heiter und lachend neben dem Kreuz steht; es ist der lebendige Jesus, der Erlöser selbst, der über jene, die ihn ans Kreuz genagelt haben, heiter lacht, weil sie meinen, damit, dass sie ihn getötet haben, sei das ausgemerzt, was er verkündigt und getan hat. Ihr Verhalten ist komisch – zum Lachen.

Peter L. Berger fasst treffend zusammen, was ich Ihnen vermitteln wollte. Man könne, schreibt er, die Welt der Komik als eine Andeutung einer Welt jenseits dieser Welt sehen, um dann fortzufahren: „Das Erlösungsversprechen ist in der einen oder anderen Form immer das Versprechen einer Welt ohne Schmerz. Empirisch gesehen ist die Komik ein begrenztes und endliches Spiel innerhalb einer ernsten Welt, die gekennzeichnet ist durch unseren Schmerz und unausweichlich zu unserem Tod führt. Der Glaube aber stellt die Empirie in Frage und bestreitet, dass sie wesentlich ernsthaft ist … Er stellt uns nicht eine Illusion, aber eine Vision einer Welt vor Augen, die unendlich wirklicher ist als alle Wirklichkeit dieser Welt.“[41]

Aber – aufgepasst! Ich habe diesen Vortrag als Theologe gehalten. Bei so einem muss man – wenn er alles gesagt hat – noch mal die Stirn runzeln:

Bei einem Flugzeugabsturz kann sich der Pilot noch gerade mit seinem Fallschirm retten. Der aber verheddert sich in einem hohen Baum, und der Pilot bleibt zehn Meter über dem Erdboden im Geäst hängen. Nach langer Zeit kommt endlich ein Mann auf einem Trampelpfad an der Unglücksstelle vorbei. Der Pilot ruft: „Helfen Sie mir doch bitte – wo bin ich hier eigentlich?“ Mit einem prüfenden Blick nach oben antwortet der andere: „Etwa zehn Meter über der Erde in den Ästen eines Baumes!“ – Der Pilot seufzt: „Vielen Dank – Sie sind sicher Theologe!“ – „Ja, aber wie kommen Sie denn darauf?“ – „Das ist an ihrer Antwort zu erkennen: sie ist vollkommen richtig – aber überhaupt nicht hilfreich.“


Anmerkungen

[0] Einige der Witze, die ich hier erzähle, habe ich bei Eike Christian Hirsch gefunden: Der Witzableiter oder Schule des Gelächters, Hamburg 1985, wieder andere sind „Wanderwitze“, die man in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen hören oder lesen kann. – Harald-Alexander Korp hat ein schönes Buch mit einem eingängigen Titel geschrieben: „Am Ende ist nicht Schluss mit Lustig. Humor angesichts von Sterben und Tod“. Darin fand ich eine treffende Metapher für das Lachen: „Lachen ist eine laute Kurzmeditation“.

[1] Peter L. Berger: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung. Berlin/ New York 1998, S. 30.

[2] Immanuel Kant: Vorlesungen zur Anthropologie. Werke Bd. VIII, Berlin 1922, 111.

[3] Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Zürich 1972, S. 101.

[4] Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Werke Bd V, Berlin 1914, S. 409, überhaupt ist der ganz § 14 ein Höhepunkt in der Philosophie des Lachens. Vgl. dazu ausführlich Manfred Geier: Worüber kluge Leute lachen. Kleine Philosophie des Humors. Reinbek bei Hamburg 2006, S. 110-143, bes. 130ff.

[5] Deutsche Übersetzung in Ges. Aufsätze Bd. 1, Den Haag 1971-1972. Ich beziehe mich hier auf die englischsprachige Ausgabe.

[6] Peter L. Berger: Auf den Spuren der Engel. Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz. Frankfurt/ M. 1972, S. 86.

[7] Peter L. Berger, a.a.O., S. 8f.

[8] Alfred Schütz: On Multiple Realities, in: Collected Papers, Bd. I, The Hague 1962, S. 231, bei Peter L. Berger, a.a.O., S. 9.

[9] William James: Die Vielfalt religiöser Erfahrungen. (Gifford-Lectures 1901/2) Freiburg/Br. 1979, S. 48.

[10] Manfred Geier: Worüber kluge Menschen lachen. Kleine Philosophie des Humors. Reinbek bei Hamburg 2006, S. 16.

[11] Aristoteles: Poetik, 1449a

[12] Johan Verberckmoes: Das Komische und die Gegenreformation, in: Jan Bremmer/ Herman Rodenburg (Hg.): Kulturgeschichte es Humors. Von der Antike bis heute. Darmstadt 1999, S. 81.

[13] Umberto Eco: Im Namen der Rose. München, Wien 1982.

[14] Peter L. Berger, a.a.O., S. 23.

[15] Peter L. Berger, a.a.O., S. 182.

[16] A.a.O., S. 20.

[17] Vgl. dazu Helmut Rosa: Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin 2016, S. 19ff.

[18] Peter L. Berger: S. 246.

[19] Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. München (1917), erweiterte Neuausgabe 2014, S. 76.

[20] A.a.O., S. 7

[21] Luc Ciompi: Über die Struktur der Psyche und ihre Entwicklung. Ein Beitrag zur Schizophrenieforschung. Stuttgart 1982, S. 200f.

[22] Nach Peter L. Berger, a.a.O., S. 34f.

[23] Fundort im Internet: Spiegel Archiv, Der Spiegel 9/ 2006, dort ist das ganze Interview nachzulesen: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46046468.html

[24] Martin Grotjahn: Vom Sinn des Lachens. Psychoanalytische Betrachtungen über den Witz, den Humor und das Komische. München 1964, S. 170.

[25] „Denn, was ist der Mensch in der Welt? Ein Nichts vor dem Unendlichen, ein All gegenüber dem Nichts, eine Mitte zwischen Nichts und All. Unendlich entfernt sind wir von dem Begreifen der Unendlichkeit, das Ende aller Dinge und ihre Gründe sind für uns undurchdringlich verborgen, unlösbares Geheimnis. Wir sind gleichermaßen unfähig, das Nichts zu fassen, aus dem wir gezogen werden, wie das Unendliche, von dem wir verschlungen werden.“ (Aus: Pensées sur la religion et autres sujets) Zitat bei Wilhelm Schmidt-Biggemann: Blaise Pascal. München 1999, S. 135.

[26] Hermann Lübbe: Religion nach der Aufklärung. Granz-Wien-Köln 1986, S. 144-188. „Die Religion hat ihren lebenspraktischen Ort da, wo es ganz sinnlos wäre, im Bemühen, Kontingenz in Sinn zu transformieren, auf unsere mannigfachen Vermögen, Wirklichkeit handelnd zu verändern, zu rekurrieren. Kurz: In religiöser Lebenspraxis verhalten wir uns zu derjenigen Kontingenz, die sich der Transformation in Handlungssinn prinzipiell widersetzt.“ (S. 154)

[27] Offen bleibt, ob „der Mensch“ hier Phänomene bzw. Ereignisse sakralisiert, ob er also bestimmte Erfahrungen als Begegnung mit etwas Unverfügbarem und Kontingentem mit Adjektiven wie „heilig“, „schicksalhaft“, „numinos“ etc. bezeichnet (um zu sagen, dass ihm da etwas begegnet ist, das er „nicht auf die Reihe bringt“, das ihn aber dennoch fundamental existentiell angeht), oder ob er das, was ihm da begegnet, als etwas versteht, das außerhalb seines Bewusstseins an sich existiert. – Meint er also, dass das Innere seines Bewusstsein das einzige ist, was es gibt und mithin Grund aller Erkenntnis, oder nimmt er eine Wirklichkeit „hinter“ dem an, was er aufgrund seiner physiologischen und psychologischen Prädisposition bzw. „Ausstattung“ als wirklich erkennen kann? Kurz: „Glaubt“ er an eine hinter der ihm als kontingent begegnenden Wirklichkeit eine Ursache, die er einem bewusst handelnden Agenten zuschreibt, den er zwar nicht „sehen“ kann, dessen „Wirkung“, dessen „Macht“ er aber gleichwohl fühlt? Oder reduziert er das auf psychisch-physische Vorgänge seines Wahrnehmungs- und Erkenntnisorgans?

[28] Okay – wir wissen spätestens seit Heisenberg (Unschärferelation) und Nils Bohr (Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik), dass das mit dem „Wenn-Dann“ nicht (immer) so ist – aber unsere evolutionäre Prägung hat uns diese „Prädisposition“ (Rupert Riedl) eingefurcht, so dass wir – ohne nachzudenken – der damit „gelegten“ Perspektive folgen und alles in dieser „Spur“ wahrnehmen und mit einer Bedeutung belegen.

[29] Ich denke auch an den „maßlosen“ Blick des alten Papuakriegers, der zum ersten Mal weißen Männern (Anthropologen, einer von ihnen hat die Begegnung gefilmt, Archiv der Mission in Neuendettelsau) begegnete – den Schrecken in seinem Blick (die Augen treten schier aus den Höhlen) und in seiner Haltung (demütig zusammengesunken, die Hände abwehrend vorgestreckt, eine zurückweichende Gebärde des Entsetzens). – Vielleicht gehört auch die mentale und physisch-psychische Starre und Lähmung aller rationalen Aktivitäten bei den Inka in diesen Zusammenhang, weil sie die Konquistadoren als „Gesandte der Götter“ „mentalisiert“ heben? Wohl auch die Schockstarre eines mit einer Krankheitsdiagnose konfrontierten Menschen und die bald einsetzende Suche nach Gründen für seine Erkrankung?

[30] Frei nach Karl-Wilhelm Weeber: Humor in der Antike. Stuttgart 2006, S. 63. Wenn man damals einen Gedenkstein setzen ließ, dann schrieb man an den unteren Rand: “Das hat N. N.  gemacht“, um den Urheber der Setzung zu nennen.

[31] Peter L. Berger, a.a.O., S. 243.

[32] A.a.O., S. 244.

[33] Stuttgart 1974

[34] Göttingen 1986.

[35] Ausführlich zum Thema siehe Friedemann Richert: Kleine Geistesgeschichte des Lachens. Darmstadt 2009, S. 45-77.

[36] Peter L. Berger, a.a.O., S. 238.

[37] Hingewiesen wird immer wieder auf das sog. Osterlachen und den Karneval.

[38] Auf den komischen Charakter der Gleichnisse Jesu macht Wolfgang Harnisch aufmerksam, vgl. Wolfgang Harnisch: Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung. Göttingen 1985, bes. S. 293ff.

[39] Vgl. dazu den auch heute noch anregenden Aufsatz Karl Barths aus dem Jahre 1917 „Die neue Welt in der Bibel“, in: Karl Barth GA Bd. 48, S. 317-343.  Vgl. auch Barths Hinweis auf Christof Blumhardt in „Auf das Reich Gottes warten“, in: a.a.O., S. 288-302.

[40] Die Apokalypse des Petrus, in: Nag Hammadi Deutsch . Bd.2 (Hrsg. von Hans-Martin Schenke, Hans Gebhard Bethge, Ursula Ulrike Kaiser), Berlin 2003, S. 591-600, hier: Visionsbericht p.81,3-82,17, S. 599 (=Koptisch Gnostische Schriften 3).

[41] Peter L. Berger, a.a.O., S. 248.


Link

Klaus A. Baier am 07.05.2007 in Prag