Mrz 052018
 
Wir sagen Nein zu Atomwaffen und zur atomaren Teilhabe Deutschlands
  • Ein Appell an die Regierung, an unsere Kirchen und an uns selbst
  • Ein oekumenischer Aufruf gegen die Verdrängung der atomaren Gefahr

Wir erinnern daran, dass vor siebzig Jahren in Amsterdam der Weltrat der Kirchen gegründet wurde. Von 1948 bis in unsere Tage hinein hat der Weltrat sich nachdrücklich und vehement gegen Atomwaffen ausgesprochen. Unter keinen Umständen dürfe es wieder zu einem Einsatz von Atomwaffen kommen. Nach Hiroshima und Nagasaki waren solche Bekundungen nur zu verständlich. Aber die Oekumenische Bewegung ist auch in den Jahrzehnten nach dem ersten Atomwaffenabwurf bei ihrer kritischen Haltung gegenüber einem Atomwaffeneinsatz geblieben. Sie bezeichnete ihn 1983 auf  ihrer Weltkirchenkonferenz in Vancouver als ein Verbrechen gegen die Menschheit. Atomwaffen stellen durch ihre bloße Existenz ein permanentes Kriegs- und Vernichtungsrisiko  dar, selbst wenn sie vorgeblich als Mittel der Abschreckung dienen sollen. Dies gilt umso mehr, als alle Bemühungen um Nichtverbreitung von Atomwaffen gescheitert sind.

Anfang Februar 2018 haben die USA eine neue Nuklearstrategie angekündigt. Sie setzt auf die Produktion „kleinerer“ Atomwaffen und erhöht damit bewusst das Risiko ihres Einsatzes. Sie sollen vor allem gegen Russland gerichtet sein, und ein Gegengewicht gegen Russlands wachsende atomare Kapazitäten darstellen – atomare Aufrüstung auf allen Seiten.

Der Weltrat der Kirchen hat seine Mitgliedskirchen und die Öffentlichkeit immer wieder darauf hingewiesen, dass die im Artikel VI des Atomwaffensperrvertrages von 1970 übernommene Verpflichtung der Atommächte, Verhandlungen über die „allgemeine und vollständige (nukleare) Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“ aufzunehmen, nicht eingelöst ist. Obwohl diese „unzweideutige“ Verpflichtung der Atommächte mit Unterstützung aller NATO- Staaten später erneuert wurde, scheiterten Überprüfungskonferenzen des Atomwaffensperrvertrages. Zuletzt 2015. Daraufhin trat der Weltrat der Kirchen der Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) bei,  die im Dezember 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Eine schöne, wichtige Geste, die aber niemanden darüber hinwegtäuschen kann, dass das Ziel einer atomwaffenfreien Welt weiter entfernt ist als je zuvor. Dass Atomwaffen eben nicht andauernde Sicherheit und Schutz bieten, sondern eine anhaltende Bedrohung der Menschheit und der Schöpfung bleiben, ist in den vergangenen Monaten vielen Menschen erneut bewusst geworden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat die Alarmstufe ROT ausgerufen, was die Gefahr eines drohenden Atomkrieges angeht. Ein Atomkrieg sei nur einen Wutanfall, einen einzigen Moment der Panik, ein verletztes Ego entfernt, hat eine ICAN- Sprecherin am 10.Dezember 2017 in Oslo erklärt, als sie den Nobelpreis entgegen nahm. Das Entsetzen über unverantwortlich grotesk agierende Politiker in Nordkorea und den USA ist nicht verflogen. Die politischen Führer der USA und Nordkoreas zeigen, dass der Besitz von Atomwaffen und das Konzept einer nuklearen Abschreckung eben nicht zwangsläufig zur Besonnenheit führen, sondern in einer Eskalation enden können, die die Welt ins Chaos stürzt.

Für Europa rückt die Gefahr eines atomaren Wettrüstens auch dadurch wieder näher, dass amerikanische Politiker den INF-Vertrag  von 1987 kündigen wollen, der die vollständige Vernichtung von amerikanischen Pershing- und russischen SS-20 Raketen vorsah. Washington und Moskau werfen sich heute gegenseitig vor, durch neue atomare Waffenentwicklungen gegen diesen INF-Vertrag zu verstoßen.

Lässt sich diese Eskalation stoppen, das Chaos vermeiden?

Die ICAN-Kampagne hat wesentlich dazu beigetragen, dass im Juli 2017 mehr als einhundertzwanzig Staaten bei den Vereinten Nationen in New York einem Vertrag zugestimmt haben, der Atomwaffen verbietet. Nach der Ratifizierung wird dieses Verbot geltendes Völkerrecht. Wir wissen, dass Verträge dieser Art nicht automatisch zur Abschaffung von Atomwaffen führen. Sich aber den Anstrengungen zu entziehen, Atomwaffen zu reduzieren, um sie letztlich abzuschaffen, ist nicht nur grob fahrlässig. Es ist ein Skandal. Denn solange die Unverzichtbarkeit von Atomwaffen für die eigene Sicherheit behauptet wird, kann niemand erwarten, dass die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu einem Ende kommt.

Deutschland hat seine Glaubwürdigkeit beschädigt, als die Bundesregierung beschloss, an den Verhandlungen über diesen Vertrag in New York nicht einmal teilzunehmen. Das nach außen immer mal wieder proklamierte deutsche Eintreten fürAbrüstungsschritte erweist sich als hohl. Glückwünsche der Bundesregierung für den Nobelpreis an ICAN wirken schal. Dabei ist Deutschland in besonderer Weise zuständig und in die Atomwaffenfrage eingebunden. Wir erinnern daran, dass im August 1990 beide deutsche Staaten vor den Vertretern von 190 Unterzeichnern des Atomwaffensperrvertrages feierlich erklärt haben, dass sie „ihre vertragliche und einseitige Verpflichtung bekräftigen, nukleare, chemische und biologische Waffen nicht herzustellen, sie zu besitzen oder über sie zu verfügen“. Diese Verpflichtung war damals ein entscheidender Beitrag für die Völkergemeinschaft, der Einheit Deutschlands zuzustimmen.

Die „nukleare Teilhabe“ im Rahmen der NATO ist Deutschland heute aber offenbar wichtiger als die feierliche Erklärung von 1990, wichtiger als jede Abrüstungsinitiative. Auch das Argument des Außenministeriums, ohne Mitwirkung der Atommächte könne man dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt sowieso nicht näher kommen, überzeugt nicht. Denn natürlich müssen Verhandlungen mit den Atommächten zur nuklearen Abrüstung folgen.

Vor fünfunddreißig Jahren haben Hunderttausende gegen amerikanische Pershing- und russische SS -20 Raketen protestiert. Die Friedensbewegung in Deutschland war ohne die Mitwirkung von Christen nicht denkbar. In den Kirchen der DDR wurde „Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“ eine Absage erteilt. Das Nein zu Atomwaffen erhielt theologisch den Charakter eines Bekenntnisses. Ethisch sei der Besitz von Atomwaffen nicht vertretbar, hat auch der Papst wiederholt erklärt und dazu aufgefordert, entschlossen für eine Welt ohne Atomwaffen zu arbeiten. Die Evangelische Kirche in Deutschland beschreibt sich neuerdings als eine Kirche auf dem Wege des Gerechten Friedens. Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche kritisiert vehement Tendenzen, aus der zivilen Friedensmacht Europäische Union eine Militärmacht EU zu machen. Er beklagt eine schleichende Militarisierung der Europäischen Union. Dass in der EU schon Forderungen nach einer eigenen atomaren Bewaffnung aufkommen ist ein höchst beunruhigendes Zeichen.

Unsere Kirchen riskieren als unglaubwürdig wahrgenommen zu werden, wenn sie die Bundesregierung nicht deutlich dazu auffordern, sich Abrüstungsinitiativen im Rahmen der UNO nicht länger zu verweigern, und allen Versuchen zu widerstehen, eine atomare Aufrüstung der EU zu unterstützen.

Wir lehnen die Politik der atomaren Teilhabe Deutschlands ab. Wir fordern den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland. Wir plädieren dafür, dass in unserem Grundgesetz ein Atomwaffenverzicht aufgenommen wird. Wir werden in Zukunft keine Partei in Deutschland wählen, die sich nicht für den Beitritt zu dem UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen ernsthaft einsetzt.

Wir wissen, dass die Oekumenische Bewegung und der sie wesentlich tragende Weltrat der Kirchen nicht mehr populär sind in unserem Land, nicht einmal in unseren Kirchen. Wir aber wollen, auch siebzig Jahren nach ihrer Gründung, nicht auf  ihre Stimme verzichten. Die erneute Verpflichtung auf die oekumenischen Aussagen zur Problematik der Atomwaffen könnte den Kirchen und uns selber helfen, eindeutiger und erkennbarer zu werden.

20. Februar 2018

Almuth Berger, Berlin; Volkmar Deile, Berlin; Heino Falcke, Erfurt; Joachim Garstecki, Magdeburg; Heiko Lietz, Schwerin; Ruth und Hans Misselwitz, Berlin; Elisabeth und Konrad Raiser, Berlin; Gudrun und Gerhard Rein, Berlin  


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