Mrz 212018
 
„Die Menschen schätzen Deutschland mehr als die USA“

Nahost-Expertin Karin Leukefeld über den Syrien-Konflikt und Vermittlungsmöglichkeiten des Westens

Wie stellt sich die aktuelle Lage in Syrien aus Ihrer Sicht dar?

Karin Leukefeld: Wir haben hier sehr unterschiedliche Realitäten. Es gibt ruhige Orte und Regionen, wo die Menschen ganz normal ihrem Leben nachgehen. Zum Beispiel die Küstenregionen und das sogenannte Tal der Christen. Aber in Damaskus, Horns und Aleppo haben wir eine Nachkriegssituation, wo alle nur versuchen, ihr Leben irgendwie zu leben. Hier müssen Wasser-, Stromversorgung repariert werden, das ist sehr teuer. Und im östlichen Umland von Damaskus dauern die Kämpfe an. Im östlichen Ghuta stehen wir vor einer langen Geschichte an gescheiterten Friedensvorhaben. Die Regie-rungstruppen scheinen nun entschlossen zu sein, das Gebiet mit allen Mitteln einzunehmen.

Was denken die Einheimischen über die ausländischen Mächte, die in den Krieg eingreifen?

Der USA und der Türkei wird großes Misstrauen entgegengebracht. Manche der Oppositionellen mit denen ich gesprochen habe, hatten lange Hoffnung, dass die Türkei als Regionalmacht vielleicht vermitteln könnte, aber diese Hoffnung ist dem Argwohn gewichen. Die Türkei verhält sich aus deren Sicht egoistisch und unterstützt stark religiös motivierte Kräfte.

Und die USA?

Gegenüber den USA hat man traditionell seit Jahren sehr große Vorbehalte. Das ist typisch für alle Menschen in der Region. Die USA haben derart viel Unheil im Nahen Osten angerichtet, dass es niemandem zu verdenken ist, in dieser ausländischen Macht eine Gefahr zu sehen. Anders verhält es sich mit Russland. Das hat auch historische Gründe. Die Menschen freuen sich über das militärische Eingreifen der Russen zugunsten der Regierung, denn dies hat das Blatt gewendet und die sich verhärtende Pattsituation aufgelöst. Doch es gibt über das politische Taktieren der Russen vereinzelt Misstrauen.

Hoffen die Menschen auf Europa als Vermittler?

Ja, solche Wünsche gab und gibt es vereinzelt noch immer. Vor allem Deutschland würden viele gerne in einer aktiveren Rolle sehen. Deutschland hat einen recht guten Ruf in der Region, weil es anders als Großbritannien und Frankreich keine koloniale Geschichte hat. Die Menschen schätzen Deutschland mehr als die USA, die zwar als Großmacht Bedeutung hat, aber nicht akzeptiert wird. Russland ist die neue regionale Ordnungsmacht, das sieht man im Westen nur ungern ein.

Was wird über die Invasion der Türkei in Afrin gesagt?

Das wird verurteilt. Vor allem auch da die Türkei mit islamistischen Kampfverbänden kooperiert. Die haben eine völlig andere politische Perspektive als das, was Kurden und Syrer wollen. Doch die Offensive der Türkei ist strategisch eine Zwickmühle für Syrien. Die Türkei ist ein Nato-Land. Würde Syrien die Türkei militärisch konfrontieren, auch aus Gründen der Verteidigung, birgt das Risiken. Eigentlich sollte die Türkei nach der Deeskalationsvereinbarung für Idlib eine neutrale Macht sein. Doch der türkische Präsident Erdogan nutzt die eingegangene Verantwortung aus, um seine nationalen Interessen durchzusetzen.

Gibt es eine Chance auf eine friedliche Lösung?

Dies war ursprünglich ein innenpolitischer Konflikt Syriens, der zu einem regionalen und dann zu einem internationalen Stellvertreterkrieg wurde. Die Situation ist sehr unübersichtlich. Wichtig wäre, die Waffenlieferungen zu stoppen und Russland als Ordnungsmacht anzuerkennen. Die USA und Russland müssen sich einigen. Dann müssen sie auf ihre jeweiligen regionalen Partner einwirken. Erst dann kann Syrien damit beginnen, den Konflikt selbst zu lösen. Doch derzeit sehen wir das komplette Gegenteil. Es ist absurd.

Sollte Deutschland einen ersten Schritt machen und der Türkei Grenzen aufzeigen?

Ja, das wäre eine Möglichkeit, aber es wird nicht passieren. Die Bundesregierung hat nur geringen Spielraum. Deutschland war immer das Land, das der Türkei in der Nato an die Seite gestellt wurde. Derzeit besteht für die Nato die Gefahr, dass die Türkei sich aus dem Bündnis entfernt. Die Türkei ist mit Russland und dem Iran verbündet, das löst eine gewisse Panik im Westen aus. Deutschland soll nun die Türkei wieder einfangen und man signalisiert Entgegenkommen, liefert Waffen, bietet Gespräche an. Gleichzeitig ist Deutschland – durch die US-geführte Anti-IS-Koalition Partner der syrischen Kurden, die die Türkei angreift. Das ist komplett verworren.


Karin Leukefeld ist freiberufliche Journalistin und lebt in Bonn.
Die 63-Jährige gilt als Nahost Expertin, da sie seit vielen Jahren schwerpunktmäßig
in Ländern des Nahen Ostens arbeitet.
Quelle: Weser Kurier vom 21.03.2018
Die Fragen stellte Gerald Weßel.


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