Die Indische Bibel eines Stralsunder Missionars ist zurück in der Hansestadt und nun Zeitzeugnis der Missionsgeschichte
Von Christine Senkbeil
Ihr Rücken ist schmal und ihr Einband zählt nicht zu den prunkvollsten. Und doch ist mit der ,Biblia Damulica’ ein Buch großen Wertes nach Stralsund zurückgekehrt. Es ist die indische Version des Matthäus-Evangeliums. Doch was sie zu berichten hat, geht noch weit über ihren Inhalt hinaus. Sie ist ein Zeitzeugnis der Missionierungen auf dem fernen Kontinent und erinnert an den Missionar Johann Balthasar Kohlhoff.
Bücher machen neugierig. Besonders alte Bücher. Und am meisten die, deren Inhalt fürs erste ein Rätsel bleibt.
So wie bei der ‚Biblia Damulica’. Einem Werk, das erst kürzlich nach Stralsund zurückgekehrt ist und nun seinen angestammten Platz im Inventar der alten Gymnasialbibliothek wieder einnimmt.
Nicht nur den Oberbürgermeister Dr. Alexander Badrow vermag sie in Freudenstimmung zu versetzen, sondern auch Dr. Burkhard Kunkel. Er ist Beauftragter für Historische Bibliotheken und Handschriftensammlungen im Archiv der Hansestadt. Er hat den seltenen Druck aus den Händen des Direktors der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel übernommen, von Professor Helwig Schmidt-Glintzer.
Der Rücken der Biblia Damulica ist schmal. Ihr Einband nicht eben prunkvoll. Doch schon ihr Name ist Exotik. Und öffnet sich der Buchdeckel, so eröffnen sich auch viele spannende Fragen, vor allem für den Laien.
Latein auf der linken Umschlagseite. Die Worte ‚Evangelium ‚Matthaei‘ treten hervor. Rechts werden orientalische Schriftzeichen sichtbar und bringen den Hauch der großen weiten Welt hier in den Norden. „Wir haben hier eine indische Übersetzung des Matthäus-Evangelium vor uns“, erklärt Burkhard Kunkel. Aber warum gehört eine indische Bibel hier nach Stralsund?
„Sie stammt von Johann Balthasar Kohlhoff, meint Kunkel. „Er war Missionar in Indien und 1729-32 Schüler des Stralsundischen Gymnasiums.“ Der Archivbeauftragte zeigt eine Widmung, in der besagter Königlich Dänischer Missionarius 1754 dem „Gymnasio“ dieses Büchlein schenkt, „in noch fortdauernder Dankbarkeit und Hochachtung“.
Ein königlicher Missionarius ist es also, der Stralsund heute dieses Buch beschert hat. Und gerade dieser Umstand macht das Buch für Kunkel auch so wertvoll. Noch neben seiner Seltenheit. Denn selten ist es: außer den Exemplaren in der Franckeschen Bibliothek in Halle sowie der Staatsbibliothek zu Berlin (in der es als Kriegsverlust ausgewiesen ist) gibt es so ein Buch nur noch in der Scool of Oriental and African Studies der Universität London, weiß Kunkel.
Aber der Besitzeintrag des Johann Balthasar Kohlhoff (1711-1790) legt eine direkte Spur vom Norden Deutschlands nach Ostindien. In eine Zeit, über die für uns Heutige vieles im Dunkeln liegt: die Zeit der Missionierungen.
Was hat ihn bis nach Indien getrieben, den jungen Missionar, 9000 Kilometer weit weg von zu Haus? Fünf Jahre nach seiner Gymnasialzeit war er 1737 mit zwei anderen Missionaren auf dem neuen Kontinent in Trankebar angekommen, wie im Band 5 der „Neuesten Religionsgeschichte“ von Christian Walchs von 1775 zu lesen ist. Ihm wird bescheinigt, „so lange er gesund gewesen, ein sehr fleißiger und treuer Arbeiter gewesen“ zu sein.
Ganz einfach ist es allerdings nicht, mehr Lebensgeschichte über Herrn Kohlhoff herauszufinden. Literatur über den „dänischen Missionarius“ füllt nicht gerade Regalreihen, bislang kennt auch das allseits gebildete Internet-Lexikon „Wikipedia“ Johann Balthasar Kohlhoff nicht.
Wie mag sich der Alltag so eines Missionars gestaltet haben? Wie fühlte es sich an, den christlichen Glauben „unter den Heyden“ auszustreuen? Und hatte Kohlhoff auch mal Heimweh?
Einigen Aufschluss geben die Missionsberichte, die dank der Digitalen Bibliothek der Franckeschen Stiftungen zu Halle/Saale im Internet sind.
Die Dänisch-Hallesche Mission war das erste organisierte Missionsunternehmen in der protestantischen Kirchengeschichte. Es arbeitete zwischen 1706 und 1845 im Osten von Tamil Nadu in Indien. Sechzig Missionare wurden in 150 Jahren von Halle aus nach Indien entsandt, die regelmäßig Briefe und Berichte nach Halle sandten.
An seine, Jierzlieben Eltern“ schreibt Kohlhoff darin: „Ob ich noch einmal nach Europa zurück kommen werde, ist dem Herrn bekannt; doch glaube ich schwerlich, daß wir uns in diesem Leben wieder sehen werden.“
Bedauern darüber scheint er jedoch nicht zu hegen, denn aus jeder Zeile, die der Missionar schickt, spricht das enorme Sendungsbewusstsein des Nordmanns. „Es ist auch nichts daran gelegen“, sagt er. „Genug, wenn wir uns nur mit Freuden in der frohen Ewigkeit wieder sehen.“
Achtzehn Monate nach seiner Ankunft in Trankenbar lobt er den Herrn für die „seligen Wege“, die er ihn führte. Obgleich er einräumt, dass „Fleisch und Blut anfänglich nicht gerne dranwollten, einen solchen weiten und beschwerlichen Weg zu thun“. Inzwischen jedoch beherrsche der die „Tamulische Sprache“ und sei in der Lage, „das süsse Evangelium“ zu verkündigen. Eine erfüllende Aufgabe und ein lohnendes Werk, offensichtlich. „Es ist alhier eine sehr grosse Erndte“, schreibt er 1738. „Nicht bey hunderten, nicht bey tausenden, sondern bey Millionen sitzen hier im Finstemiß und Schatten des Todes.“ An anderer Stelle werden Zahlen genannt: Um „474 Seelen“ habe der Herr im gleichen Jahr die Glieder einer Landgemeinde vermehrt.
Schrecken und Mitleiden empfinde Kohlhoff für das „arme Volk“, es sei eine „sichtbare Hölle“ um Trankenbar. Auch der Armut wegen. „Unter diesem armen Volcke ist eine solche grosse Hungersnoth, daß man manchen vor Hunger als ein Vieh auf der Gassen dahin fallen siehet. Vielen ist das Haus, weil sie es nicht reparieren können, übem Kopf eingefallen, und weil manche nicht so viel Kräfte haben, sich geschwind zu retiriren, sind sie lebendig darunter begraben worden.“
Auch das Klima bereitete dem Stralsunder offensichtlich Probleme. Seine Lebensart „in diesem geliebten Indien“ sei „ziemlich europäisch“, schreibt er, außer dass er „wegen der grossen Hitze, so vom Martio bis September währet, in Kleidung und Geträncke einige exeptiones machen“ müsse.
Seine Betrachtungen offenbaren, dass Kohlhoff im „fleissigen Ausgehen unter die Heyden“ seine Mission sah und weit davon entfernt war, einen kritischen Blickwinkel einzunehmen. „Ach dass doch viele in unserer Christenheit möchten zubereitet werden, die der Herr könnte ausstossen, und die solche verirrete Schafe auf den rechten Weg (…) führeten“, wünscht er.
Doch mit der Taufe sei es nicht getan, warnt er. „Es ist unser Zweck nicht, nur eine grosse Menge Christen zu machen, sondern auch, so viel an uns ist, daß sie alle wahre Glieder an dem Haupte Jesu Christo werden mögen.“ Für mehr als drei Jahrzehnte ist Kohlhoff mindestens in Indien. Ob er 1790 auch dort starb, gibt diese Quelle nicht wider. Um 1773 fanden die Chronisten ihn „bei geschwächter Gesundheit“, aber dennoch „im Segen bei dem Missionswerk stehend“.
Ein Segen, der nun zurück nach Stralsund kam. 2012 hatte die Herzog-August-Bibliothek das Buch ersteigert und nun zurückgeführt.
„Ein seltenes, tamilisch-sprachiges Zeugnis vom Beginn der Drucktätigkeit in Indien überhaupt“, sagt Burkhardt Kunkel. Vor allem aber ist es ein Buch, das weit mehr zu erzählen vermag, als sein Inhalt widergibt.
Quelle: Mecklenburgische & Pommersche Kirchenzeitung vom 07.09.2014
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