Jun 012018
 
IV. Die Heimreise

Die Reise bis Hamburg
(11.11.1946 – 03.12.1946)

Zum letzten Male öffneten sich für uns am 11.11.1946 die Tore des Internierungslagers, um sich nicht wieder hinter uns zu schließen. In einer unübersehbaren Kolonne marschierten wir mit wenigem Ge­päck (im Rucksack Schlafmatte und Decke und Proviant im Brotbeutel) zum Bahnhof Dehra Dun, wo ein langer Militärzug unter Dampf stand. Es dauerte auch nicht allzu lange und der Zug setzte sich mit uns in Richtung Süden in Bewegung.

Noch einmal genossen wir ein unvergessliches Schauspiel. Je mehr der Zug uns aus dem Gebiet der Vorberge herausfuhr, desto freier wurde der Blick auf das gewaltige, im strahlenden Weiß der Morgensonne da­liegende Himalajamassiv. Von der grünen Umgebung, durch die der Zug schneller und schneller fuhr, schweifte der Blick immer wieder zu den erhabenen, achtunggebietenden Höhen der Berg- und Gletscherwelt des Himalajas. Das Auge schaute und schaute und konnte sich an der weißen hellleuchtenden und eisig schimmernden Pracht nicht satt genug sehen. Während der Zug ununterbrochen auf der flachen Hochebene südwärts rollte, hatten wir den ganzen Vormittag über die Majestät und die ge­waltige Breite des Riesengebirges in klarer Sicht hinter uns. Schließ­lich versanken die Vorberge immer mehr wie kleine Hügel in den Boden. Sie hatten uns jahrelang die allerschönste Aussicht der Welt versperrt. Als wir nachmittags gegen drei Uhr schon etwa 300 km südlicher waren, war noch immer, wie eine helle Nebelwolke in weiter Ferne, die höchste Gebirgskette der Welt zu sehen. Das war der letzte Eindruck von dieser ewigen Eiswelt im Norden Indiens. Weil wir die Richtung nicht wussten, haben wir auf der Hinfahrt seltsamerweise dieses große Wunderwerk der Schöpfung gar nicht so beachtet. Unaufhaltsam rollte nun der Zug, Flüsse, Täler, Erhebungen und Ebenen überquerend, Tag und Nacht in Richtung Bombay, wo wir nach drei Tagen ankamen.

Nachdem unser ganzes Gepäck noch einmal durchsucht war, wurden wir auf die „Sloterdyk“ gebracht. Auf diesem holländischen Schiff waren auch noch Soldaten zur Bewachung, aber doch nicht mehr mit dieser rasanten Bewaffnung, wie wir das auf der Fahrt von Sumatra nach Indien im Januar 1942 erlebt hatten. Fast bis auf den Tag genau fehlten noch zwei Monate und wir waren volle 5 Jahre in Indien gewesen. Auf alles so seltsame, wunderbare und unvergessliche Erleben in Indien, von dem ich nur einiges darzustellen versucht habe, hätte ich doch, weil es durch Krieg und Internierung zustande kam, gerne verzichtet. Aber des Menschen Weg liegt nun einmal nicht in seiner eigenen Hand. „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein gibt, dass er fortgehe“ (Sprüche 16,9).

Die „Sloterdyk“, mit der wir am 15.11.1946 von Bombay abfuhren, war ein Truppentransporter und dementsprechend auf Massentransport ein­gerichtet. Die Behandlung und Verpflegung war korrekt, aber leider mussten wir in Landnähe stets unter Deck. Außer Wasser haben wir nichts gesehen. Zum Glück hatten wir eine gute Seereise mit einer recht sanften Dünung. Waren alle an Deck, dann war in den Gängen und an der Reling des Schiffes kaum ein Platz frei. Im Lager hatte ich mir recht­zeitig bei einem Klempner ein Klappstühlchen bestellt, was mir nun gute Dienste leistete. Weil es unten im Schiff furchtbar heiß war, setzte ich mich damit auf eine der großen mit glatten Platten zuge­deckten Ladeflächen des Schiffes. Hier hatte ich genügend Platz, frische Luft und freie Sicht. Eines Tages spielte eine stärkere Dünung mir einen üblen Streich. Bei der plötzlichen Schräglage des Schiffes kam mein Stühlchen ins Rutschen. Und ehe ich mich versah, rutschte ich unter dem Gelächter der Kameraden die ganze breite Ladefläche hinab. Diese unfreiwillige Rutschpartie an der heißen Sonne, ohne Eis und Schnee, ist mir von dieser Reise unvergesslich geblieben.

Wegen der Minengefahr wurden verschiedene Übungen mit Schwimmwesten veranstaltet. Besonders die Nordsee war noch voller Minen. Nur für die Schiffe war eine Fahrstraße geräumt. So waren wir dankbar, dass wir am 03.12.1946 sicher in Hamburg ankamen. Mit Güterwagen wurden wir bis in die Nähe des Lagers Neuengamme gefahren.

Gegenüber dem heißen Indien empfing uns im berüchtigten großen Lager Neuengamme, das viele mit Stacheldraht umgebene Abteilungen hatte, eine eisige Windeskälte. Der erste Appell auf deutschem Boden dauerte in der kalten Nacht unwahrscheinlich lang. Es fehlte nämlich Einer. Er war nicht geflüchtet, sondern wie sich dann herausstellte aus dem nasskalten Güterwagen nicht mehr herausgekommen. Der Tod hatte ihn ereilt und ihn so vor dem schrecklichen Anblick der zertrümmerten deutschen Heimat bewahrt.

In diesem letzten Durchgangslager mit viel Appell, Kartoffelsuppe mit Schale und überreichlichem Entnazifizierungsverfahren war ein un­beschreiblicher Schmutz in allen Baracken. Jede neue Gruppe trug neuen Staub – um nicht zu sagen Schlamm – hinein, aber keiner kehrte ihn wieder heraus. Jeder wusste: Hier dauert es doch nur noch einige Tage. Am elektrisch geladenen Drahtzaun traf man manchmal gute alte Bekannte, die in der benachbarten Abteilung einem längeren Entnazifizierungsverfahren ausgesetzt waren. Einige Zeit später konnte man einen persönlichen Gruß ihren Angehörigen überbringen.

Die Entlassung
(10.12.1946)

Missionsleute, wie z.B. Professor Freytag aus Hamburg, kümmerten sich um uns. Nur eine Woche dauerte der Aufenthalt in diesem schreck­lichsten aller Lager, die wir kennengelernt hatten. Nachdem man uns eine Art Ersatzpass, ein „Certificate of Identity“ ausgestellt hatte, wurden wir am 10.12.1946 entlassen. Stand auch noch manches Schwere bevor, so war hier doch erst einmal ein Abschluss der 6 1/2 Jahre und der bis Neuengamme sogar 2404 Tage des Internierungsleidens. So wurde auch für uns das Wort wahr: „Und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben“ (Jes. 60, 20b). Nun öffneten sich wirklich zum letzten Male Stacheldrahttore, um uns nie wieder einzuschließen.

Doch wie schwer war der Weg in die so ungewohnte Freiheit. Bisher hatten ja andere fast jeden Schritt und Tritt für uns überlegt und nun musste jeder von uns selber überlegen und handeln. Wie so seltsam war das: Gepäck aufzugeben, eine Fahrkarte zu kaufen, mit der Straßen­bahn zu fahren und einen Lichtschalter anzudrehen. Bisher war ja das Licht nur zentral an und ausgeschaltet worden – fast sieben Jahre lang! Wie seltsam, dass eine Frau einem die Hand reichte und nach einem Mit­internierten bei unserer Entlassung fragte! Sechs Jahre und sieben Monate hatte ich keiner Frau mehr die Hand gegeben.

Im „Rauhen Haus“ verbrachten wir die erste Nacht in Hamburg, um dann am anderen Tag mit dem Zug nach Wuppertal zu fahren. Mit unserem selt­samen Reisegepäck fielen wir ja sofort auf den Bahnhöfen auf. Ich höre noch, wie ein Kollege auf eine entsprechende Frage sagte: „Wir kommen direkt vom Himalaja!“ Der Fragende sagte nichts mehr. Vielleicht glaubte er einem Witzbold begegnet zu sein, der ihm auf eine weitere Frage vielleicht noch sagen würde: Wir kommen direkt vom Himmel! Aber da wollten wir ja erst hin, wenn alle Tage des Leidens einmal zu Ende sind. Unser näheres Ziel in Wuppertal war der Betsaal des alten Missionshauses, das bei dem Brandbombenangriff verschont geblieben war. Dort wurden wir herzlich und freundlich von der Missionsleitung begrüßt.

Wie abgehärmt und abgearbeitet sah doch so manches liebe und ver­traute Gesicht derer aus, die uns grüßten. Die Entbehrung der Hunger- und Brotkartenzeit konnte man von ihren eingefallenen Wangen ablesen. Wie sauber aber auch die Zimmer! Seit Jahr und Tag hatte man ja kein eingerichtetes Wohn- oder Schlafzimmer mehr gesehen. Bei aller Not der Umwelt kam es einem doch schon so vor, als ob man wenigstens im Vorhof des Himmels untergebracht sei.

Erich Klappert 1947 nach der siebenjährigen Internierung

Wie schnell verflog dieser Eindruck, denn von Wuppertal fuhr ich nach Siegen. Dort hatten in der über 90% zerstörten Stadt die Angehörigen zusammen mit meinem alten Vater das zerbombte Elternhaus wieder be­wohnbar gemacht. Nun begann das Erzählen, aber auch das Laufen nach den Ämtern, um all die notwendigen Bescheinigungen und Karten für Nahrung und Kleidung und für die Zuzugsgenehmigung zu bekommen. Städte und Orte wussten ja damals nicht, wie sie den Zustrom all der Heimkehrer, Flüchtlinge und der Ausgewiesenen bewältigen sollten. Es begann nun auch mit dem Einleben in Deutschland das zermürbende Warten auf die endgültige Heimkehr von meiner Frau und den Kindern. Mein Vater lebte noch, war aber – dadurch dass die Mutter beim zweiten Bombenangriff auf Siegen im Februar 1945 gestorben war – sehr mitgenommen. Das Leben hatte für ihn den Hauptinhalt verloren.

Von der Mission wurde mir bald ein Vertretungsdienst in Gerolstein zu­gewiesen, wo die so wunderschöne Mosaikkirche durch Kriegs- und Witte­rungsschäden ihren schönsten Schmuck zum Teil schon verloren hatte. Die Gemeinde war weit zerstreut, und die Räume im oberen Pfarrhaus waren nur durch eine Nottreppe zu erreichen. Die unteren Räume waren bis auf den Konfirmandensaal, den man notdürftig für Gottesdienste be­nutzen konnte, nicht zu gebrauchen. Es war in dem damals so zerstörten Gerolstein ein schwerer Dienstanfang. Auch das zertrümmerte Daun ge­hörte noch dazu. Mit vielen Menschen, die schwere Schicksale erlebt hatten, bin ich bis heute verbunden. Besondere Hilfe fand ich stets auf dem Eischeiderhof in Daun. Nach dieser Vertretung – nur in den kalten Monaten bis etwa Mitte April – war ich wieder im Missionsreisedienst von Siegen aus tätig.

Das Wiedersehen mit Frau und Kind
(10.07.1947)

Am 1. Juni 1947 kam auch für die Frauen und Kinder, die in Sumatra auf die Heimkehr nach Deutschland warteten, der Abreisetag. Am Tage vorher waren sie von Medan aus zum Hafen Belawan gebracht worden. Da der Hafen versandet und für größere Seeschiffe nicht zugängig war, wurden sie in einem kleinen Küstenboot hinaus aufs offene Meer ge­fahren. Als unser Bertold zum ersten Male das Weltmeer sah, sagte er zu seinem Freund: “Oh Klaus, wer hat das viele Wasser alle dahin geschüttet?“

Stundenlang warteten Frauen und Kinder in der heißen ungeschützten Tropensonne auf dem offenen Meer auf die Ankunft des Schiffes. Weil es nicht kam, mussten sie wieder zum Hafen zurück, wo es für sie keine rechte Schlafgelegenheit gab. So verbrachten sie mit den Kindern im Küstenboot eine bange heiße Nacht im Hafen Belawan. Am anderen Tage ging dann noch einmal dieselbe Prozedur vor sich. Doch nun kam glück­licherweise die „Oldenbarnevelt“, die aber nicht auf dem Weg nach Westen, sondern nach Osten, nach Java, war. Im Hafen von Djakarta, der Tandjung Priuk heißt, wurden Frauen und Kinder von der “Indrapura“ übernommen.

Sogleich wartete dort eine böse Überraschung auf sie. Als sie von der Schiffstreppe auf den Gang des Schiffes kamen, wurden sie nach dem Alter der Knaben gefragt. Die Jungens über sechs Jahren wurden un­barmherzig den Müttern abgenommen und in den Raum der rauen Seeleute gebracht. Das gab viel Tränen auf beiden Seiten. Sie durften wohl die “Sechsjährigen“ einmal am Tage sehen, die ihnen dann ihre Nöte er­zählten. Sie berichteten z. B. davon, dass die Seeleute ihnen die besten Stücke beim Essen Wegnahmen. Nur ein kleiner Sechsjähriger war deshalb dieser Not entgangen, weil er noch „für alle Fälle“ ausgerüstet war.

Der Hinweis darauf genügte, um die Seeleute von weiteren lästigen Fragen abzuhalten. Aber Gott sei Dank! Nach wenigen Tagen wurde diese unmögliche Anordnung und Schikane zurückgenommen. Die „Sechsjährigen“ durften wieder zu den Müttern, und Mutter und Sohn – unser Bertold gehörte auch zu den „Sechsjährigen“- hatten eine neue Gebetserhörung erfahren dürfen.

Auf diesem Schiff trafen sie eine Anzahl bekannter Frauen und Kinder, die auf der Todesinsel für Strafgefangene „Onrust“ interniert worden waren, und dort sehr schwere Zeiten hinter sich gebracht hatten. Auf dieser Insel wachsen kein Baum und kein Strauch. Selbst das Trink­wasser muss in Tankschiffen gebracht werden. Deutsche internierte Frauen und Kinder hatten die brütende Hitze dieser Insel aushalten müssen. Man hatte ihnen dasselbe zugemutet, was man sonst nur Strafgefangenen zumutet. Wir hatten es ja auch erlebt, dass Deutsche wie Strafgefangene und Verbrecher den Engländern übergeben wurden, die nur den Kopf darüber schütteln konnten. Aber nun gar bei Frauen und Kindern dieselbe Behandlung!? Auch da hatten die Tage des Leidens jetzt ein Ende.

Es ging nach vollen sieben Jahren der Trennung endlich heimwärts. Das Schiff kam Anfang Juli 1947 glücklich in Amsterdam an. Frauen und Kinder wurden dort unter Bewachung in einem Güterzug mit dreckigen Viehwagen und nassem Stroh in einer fürchterlichen Nachtfahrt quer durch ganz Holland nach Hamburg gefahren. Daselbst mussten sie eben­falls in dem schmutzigen Lager Neuengamme die Entlassungsprozedur über sich ergehen lassen. Weil der Wagen mit dem Gepäck der Frauen unglücklicherweise auf ein totes Gleis rangiert worden war und des­halb zuerst gar nicht aufzufinden war, zog sich die Entlassung von Frauen und Kindern bis zum 10. Juli hin. Nach genau 7 Jahren und 2 Monaten (10. Mai 1940 bis 10. Juli 1947) durften die wartenden Väter und Männer ihre Frauen und Kinder in die Arme schließen. (Bei den Frauen, die von Japan her zurückkehrten, dauerte es noch einige Wochen länger).

Unser zweites Kind, Anneliese, die vier Monate nach unserer Inter­nierung geboren war, hatte ich ja überhaupt noch nicht gesehen. Und Bertold war, als wir so unerwartet und unbarmherzig voneinander ge­trennt wurden, erst zehn Monate alt. Die Kinder kannten also den Vater nur von einigen Fotographien her. So musste die Mutter den Kindern den Vater vorstellen. Sie tat das mit dem mir zeitlebens unvergess­lichen schlichten Satz: „Kinder, das ist nun der Vater!“

Unter den Kindern, die ihre Väter begrüßten, war auch unsere spätere Schwiegertochter Dietlind Rebuschat. Zweimal war sie in der Zeit wunderbar behütet worden. In Padang hatte Frau Klaiss sie einmal beim Baden aus der dort mächtigen Brandung des Meeres gerettet. Wie oft habe ich später dem Sog dieser gewaltigen Brandung in Padang zugeschaut. Wäre ein Inländer den beiden, die dem Sog kaum standhalten konnten, nicht hilfreich beigestanden, dann hätten die Wellen leicht beide verschlingen können. Und zuletzt war ihr bei einem Sturz aus dem oberen Etagenbett in Neuengamme auf den harten Zementboden ebenfalls nichts passiert. Auch unsere Anneliese wäre beinahe einmal an Kakteenstacheln, mit denen sie in Berührung ge­kommen war und dann wieder ihre Finger in den Mund gesteckt hatte, erstickt. Zum Glück konnte ein Arzt der Mutter sagen, was sie tun sollte. So ging die arge Schwellung wieder zurück. Für all das und noch viel mehr gilt der Satz aus dem Lied: Lobe den Herren… „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!“ Nicht alle Kinder akzeptierten so ohne weiteres den ihnen bisher nur von einer älteren Fotographie her bekannten Vater. Ein Kind sagte glatt: „Den will ich aber nicht“. Wie vielen Vätern wird das in der Zeit ähnlich so ergangen sein. Bei Bertold und Anneliese war es nicht so schwer, obwohl das Aneinandergewöhnen im Laufe der Zeit einige Schwierigkeiten mit sich brachte. Und manchmal musste die Mutter mir sagen: „Du verstehst die Kinder noch nicht“.

Mit dem Wiedersehen nach mehr als siebenJahren begann ein neuer Lebens­abschnitt. Zuerst verbrachten wir einige Tage in Kaiserswerth, im Heim der Mission. Von dort ging es nach Siegen, wo wir in meinem auf­gebauten Elternhaus bis April 1948 eine Unterkunft fanden. Meine Frau und die Kinder wären wohl gerne noch in Kaiserswerth geblieben. Da aber damals eine Zuzugsgenehmigung nur unter Vorweis einer Wohngelegenheit gegeben wurde, blieb uns nichts anderes übrig, als nach Siegen zu ziehen. Dort wohnten auch alle unsere Verwandten und die alten Freunde vom CVJM.

Anna Klappert mit den Kindern Anneliese und Bertold 1947

Das zerstörte Siegen machte einen trostlosen Eindruck, aber überall regten sich wieder die aufbauenden Kräfte. Im April 1948 wurde ich von der Mission nach Wiehl versetzt, wo ein Missionshaus frei wurde. Unsere jüngste Tochter Ingeborg, das Kind „zweiter Ehe“, wie meine liebe Frau zu sagen pflegte, wurde im März 1949 in Wiehl geboren. Die Kinder sind alle in Wiehl und Gummersbach zur Schule gegangen. Sie haben alle das geistliche Erbe des Siegerlandes und des Oberbergischen mitbekommen.

Zum zweitenmal wurden wir von der Mission nach Indonesien, diesmal – von 1954 bis 1959 – nach Mentawai gesandt. Gott forderte mein Ver­sprechen, das ich ihm im finsteren Bauch der „Ophir“ getan hatte, ein. Und trotz all der schweren Erlebnisse in Sumatra bejahte meine Frau dies. Die Entscheidung war für uns beide nicht leicht. Ein völlig neues Insel- und Sprachgebiet lag vor uns.

Ich hätte wahrlich nie daran gedacht, dass ich noch einmal auf offener See und in haushohen Wellen – ich übertreibe nicht – mein eigner Steuermann in meinem Motorboot sein würde und auch sein musste. Bei den rund 10.000 km., die ich auf offener See, an der Küste und in den Flüssen Mentawais zurückgelegt habe, war Gottes große Gnade und Be­wahrung in vielen Stürmen und Nöten sichtbar über uns. In Zusammen­arbeit mit meinen Mitarbeitern durfte ich den Mentawaiern eine erste Übersetzung der Briefe des Neuen Testamentes und der Offenbarung übergeben. Das Alte Testament harrt noch ganz der Übersetzung.

Unsere drei Kinder blieben in der Zeit in der Obhut der Zwillings­schwester meiner Frau zurück, die in Liebe und Treue Mutterstelle an ihnen vertrat. Hatte ich von 1940 bis 1947 die Kinder nicht gesehen, so kamen nun für meine Frau – und natürlich für mich auch – noch fünf Jahre der Trennung von den Kindern dazu. Das unter dem Äquator liegende feuchtheiße Inselklima von ständig etwa 30 Grad im Schatten setzte mit den Jahren meiner Frau so zu, dass sie zuletzt unter vielen schweren Herzanfällen zusammenbrach. Ein Arzt gibt es ja in Mentawai nicht. Zum Glück konnte eine Missionsschwester bei den schweren Herzattacken ein gutes Herzmittel spritzen. Als die so kranke Mutter bei einer dieser Herzanfälle rief: „Meine Kinder, meine Kinder“, da dachte sie wohl selbst, dass sie die Kinder nicht Wiedersehen würde. In dieser schweren Not stärkte sie das Wort: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen“ (Psalm 118, 17).

So schnell wie möglich mussten wir das kühlere Klima Deutschlands und ärztliche Behandlung aufsuchen.

Wir haben nun viel Grund, Gott zu danken, dass er uns durch all die großen Nöte zu Wasser und zu Land gnädig hindurchgebracht hat und uns das Wiedersehen mit den Kindern schenkte. Ihm allein sei die Ehre.

Sind die Kinder nun auch in alle Richtungen ausgeflogen, so kommen sie doch gerne mit den Enkeln nach Wiehl, um die Großeltern zu be­suchen. Je länger je mehr ist Wiehl ihnen und uns zur Heimat ge­worden. Und ganz besonders dürfen wir als Eltern Gott dankbar sein, dass Wiehl ihnen auch geistliche Heimat geworden ist. Das ist be­sondere Gnade, denn wegen der langen Trennung der Kinder von den Eltern schlägt manches leicht ins Gegenteil um. Zum Ausklang sollen als Dank und Bitte einige Reime stehen, die sich am Schluss meines Büchleins von Dehra Dun finden, und die nun auch hier alle Auf­zeichnungen beschließen sollen:

Ausklang und Bitte

  1. Du ewiger Gott, Helfer in Taten,
    Zu Dir, unserm Hort, wir betend nähen:
  2. Deines Lichtes Schein, Deines Geistes Kraft
    Lass jetzt bei uns sein in der dunklen Nacht.
  3. Gib Deinen Frieden nach des Krieges Lärm,
    Lass auch in Tiefen uns leuchten ein Stern.
  4. Schenk neues Leben nach des Todes Wut,
    Wirk ernstes Streben zum heiligen Gut.
  5. Lehr reines Bitten ums tägliche Brot,
    Lass wenden sich wieder unsere Not.
  6. Weck wahren Glauben zu Dir und dem Sohn,
    Dass Gnad‘ uns leuchte vom göttlichen Thron.
  7. Richt müde Hände zu neuem Werke,
    Dass ohne Ende Dein Kraft uns stärke.
  8. Dein Heiliger Geist sei stets unser Licht,
    Damit in Zukunft wir irr gehen nicht.
  9. So hilf Volk und Land, dem versank die Pracht
    Zu weben ein Band, das trägt durch die Nacht.

(Dehra Dun 1946)

Kleiner Mentawi Anhang

Weihnachten in Mentawai

Zu Indonesien gehört die riesige Inselwelt, die Vorder- und Hinterasien vorgelagert ist. In einem Gebiet, das vergleichsweise eine Entfernung wie von Gibraltar bis Moskau aufweist, befinden sich rund 3000 Inseln, u.a. auch die große Insel Sumatra und die vier vorgelagerten Mentawai-Inseln, wo ich manches Jahr Weih­nachten unter heißem Tropenhimmel gefeiert habe.

Mehr als hundert Jahre waren Sendboten der Rheinischen Mission in Sumatra, Nias und Mentawai, und alleine auf diesen drei genannten Inseln wurden mehr als 1.300.000 Christen in aufopfernder Missions­arbeit gewonnen. Wie bei uns, so ist auch bei den Christen in Indonesien das Weihnachtsfest das Hauptfest des ganzen Jahres. Weil es in der Vorweihnachtszeit in dieser vorwiegend mohammedanischen Welt selbst am Abend in den Straßen und in den Geschäften keine be­sondere Weihnachtsreklame gibt, so kann die Botschaft von Jesus Christus als dem einzigen gottgesandten Heiland, Erlöser und Licht der Welt noch so ganz im Mittelpunkt stehen. Das geschieht innerhalb der Gemeinde durch die Adventspredigten und durch ganz intensive Vorbereitung des Weihnachtsfestes.

Rechtzeitig werden Chorgesänge eingeübt und die entsprechenden Bibelverse, die auf den großen göttlichen Heilsweg in Verheißung, Erfüllung und Vollendung hinweisen, an viele Gemeindeglieder, von den Kirchen­ältesten angefangen bis zu den Kindern der Sonntagsschule, verteilt. Weil in dieser islamischen Umwelt schon rein äußerlich jede Möglich­keit fehlt, um Geschenke in unserem Sinn vorzubereiten, so haben die christlichen Eltern nur den einen Wunsch, ihren Kindern wenigstens zum Weihnachtsfest ein neues Gewand zu schenken. Aber in der heutigen Zeit der Inflation und der Teuerung ist selbst das den Eltern kaum noch möglich. Schon alleine aus diesem Grunde war es wichtig, dass meine Frau in Mentawai mit den Dorffrauen Nähkurse abhielt. So ent­standen vor Weihnachten eine Fülle von Kinderkleidern, dass selbst die Kleinsten bei diesem großen christlichen Fest in einem neuen sauberen Gewand erschienen.

Die eigentliche Hauptweihnachtsfeier, an der die ganze Gemeinde – jung und alt – teilnahm, fand am Heiligen Abend statt. Für Kerzen und Baum­schmuck musste auf der weit auseinanderliegenden Inselwelt Mentawais oft schon im Oktober gesorgt werden. Bei der mangelhaften oder oft sogar ganz fehlenden Schiffsverbindung wäre sonst am Heiligen Abend in der Kirche mancher Gemeinde kein Kerzenschimmer zu finden gewesen. Außerdem musste für die aus den Heiden neugewonnenen Gemeinden auch noch für einen Festleiter gesorgt werden. Von der Nordinsel Siberut kam nämlich der Ruf: „Schickt uns zum Fest einen Lehrer, Ältesten oder Evangelisten von Sikakap, denn wir haben noch nie Weihnachten gefeiert und wir wissen nicht, wie man das Weihnachtsfest richtig gestaltet“. Diejenigen, die wir ihnen dorthin schickten, brachten das Opfer, auf die eigene Weihnachtsfeier zu verzichten. Sie nahmen müh­same Wege und viel Entbehrung an regelmäßiger Mahlzeit auf sich und waren meistens drei bis vier Monate vom eigenen Dorf und der eigenen Familie fort, um auf diese Weise den jungen Heidenchristen zu einer ersten Weihnachtsfeier zu verhelfen.

Zum Heiligen Abend hatte die Jugend die Kirche schön geschmückt. Aus dem nahe gelegenen Urwald hatten sie sich dazu schöne bunte Blätter, große weiße und rote Blumen und mächtige Palmzweige geholt. Ganz ge­schickt spalteten sie die feste Mitte, das Rückgrat der langen Blätter, haarfein in viele meterlange Bänder auf und bogen die beiden Enden des Blattstieles zu einem halbrunden Bogen zusammen. So entstanden auf dem Wege zur Kirche, an der Kirchtreppe und innen über der Kirchentür lieb­liche, hell leuchtende Ehrenpforten. Auch sonst war das Innere der Kirche festlich geschmückt. Weil die bei uns in der Weihnachtszeit so ge­schätzten Tannenzweige dort ganz fehlen, hatten sie die aus dem Wald geholten Blumen und bunte Blätter in viele kleine Bambusröhrchen ge­steckt und damit die Fenster eingerahmt. Die Holzwände der Kirche waren mit kleinen Palmzweigen verziert, denen sie die Form von Vögeln oder sogar von Krokodilen – die es ja in ihren Flüssen gibt – gegeben hatten.

Noch mehr Mühe hatten sie sich mit den großen weißen, blauen, roten und gelben Papierbogen gemacht, die wir allen Gemeinden zur Verfügung gestellt hatten und das für den Weihnachtsschmuck unentbehrlich war.

Aus diesem Papier machten sie lange bunte Ketten. Strahlenförmig vom Altarraum ausgehend, durchzogen diese langen Ketten die ganze Kirche. Auch dafür, dass es unter dem Äquator keine Tannenbäume gibt, wussten sie Rat. In die reichlich vorhandenen 30-40 Zentimeter starken Bananen­stämme, die ja nur ein einziges Mal blühen und Frucht tragen, bohrten sie Löcher und steckten grüne Laubzweige in das feuchte Mark, die sich erstaunlich gut hielten. Auf diese Weise wurde aus einem Bananenstamm ein Weihnachtsbaum, dessen Zweige mit vielen Sternen und kleinen bunten Papierketten geschmückt waren. Nur für den Kerzenschmuck des Baumes waren diese Zweige nicht zu gebrauchen.

Aber es gab ja genug Bambusrohr im Urwald, das sich sehr leicht auf einen halben Zentimeter Breite und einen Meter Länge spalten ließ. Sie stellten nun eine Menge von solch dünnen langen Stäben her, die sie auf beiden Seiten anspitzten. Das eine Ende kam eben­falls in den Bananenstamm. In das andere Ende steckten sie ein an­gebohrtes 6 bis 7 Zentimeter langes enges Bambusrohr, dessen kleine Öffnung genau so groß war, dass man mit Leichtigkeit eine Kerze darin befestigen konnte. Durch die weit heraus ragenden Bambusstäbe kam das Licht der Flamme nicht in einen zu nahen Kontakt mit den Papier­sternen und Papierketten. Bei keiner Weihnachtsfeier in Indonesien entstand ein Brand, wie ich es einmal in den Jahren der Internierung in Indien erlebte, wo solch ein künstlicher Weihnachtsbaum wie eine lodernde Fackel aufzischte. Um größeres Brandunglück zu verhüten, musste der ganze schöne Weihnachtsbaum blitzschnell umgeworfen und die Flamme ausgetreten werden.

Unter dem Weihnachtsbaum in Sikakap hatte die Missionsschwester eine Krippe mit Weihnachtsfiguren und Tieren aufgebaut, die allseitig bewundert wurde. Es gab ja auch sonst im ganzen Dorf und in keinem Haus einen Weihnachtsbaum oder eine Weihnachtskrippe. In ihrer Armut konnten sich die Leute noch nicht einmal einige Kerzen kaufen. So war die Weihnachtsfeier in der Kirche wirklich ein Höhepunkt in ihrem Leben.

Gegen 17.30 Uhr läutete am Heiligen Abend die Glocke in der Sikakapkirche und lud zur Weihnachtsfeier ein. Von der Kirche aus hatte man einen schönen Blick über die große blaue Meeresstraße, die Nord- und Süd-Pageh voneinander trennt. Da in Indonesien Tag für Tag die Sonne schon um 18.00 Uhr untergeht, so sah man beim Läuten der Glocke wie nun von allen Seiten die flinken Einbaumboote der Mentawaier herankamen. Schnell und gleichmäßig tauchten die Ruder in das klare Wasser. Die Kähne waren mit Männern, Frauen und Kindern dicht besetzt, denn die ganze Gemeinde jung und alt nahm an der Weihnachtsfeier teil. Fast alle trugen neue Gewänder und die Jünglinge stolzierten sogar in den so schön glänzenden schwarz lackierten Gummihalbschuhen herum.

Eine Stunde nach dem Läuten konnten wir die eigentliche Weihnachts­feier mit Gemeindegesang, Schriftlesung und Gebet eröffnen. Wie kräftig und frisch stimmten sie alle mit ein in das Lied:

„Vom Himmel hoch, da komm ich her…“

Ka manua bara aku ngangania et Tuhan Jesus,
Masisausau enunganmui ka lagai Ukui.

In der Übersetzung ist das Lied etwas anders geworden und lautet:

Vom Himmel bringe ich die Botschaft vom Herrn Jesus,
Sie zeigt euch einen Weg ins Reich des Vaters.

Es war wirklich ein großes Ereignis, als wir zum ersten Male den Gemeindegesang mit den Posaunen, die uns aus dem Siegerland geschenkt worden waren, begleiten konnten. Im weiteren Verlauf des Abends wechselten dann die Chorlieder der Frauen und Männer, ja selbst der Sonntagsschulkinder mit den Posaunenklängen ab.

Im Mittelpunkt der ganzen Feier standen aber die Fülle der Ver­heißungen aus dem Alten und Neuen Testament. Sie sagten der Gemeinde von dem, der der Schlange den Kopf zertreten sollte, der auf Bethlehems Fluren von den Engeln den Hirten verkündet wurde und der einmal der alleinige Herr des neuen Himmels und der neuen Erde sein würde.

Kinder, Jünglinge, junge Mädchen und selbst Erwachsene beteiligten sich beim Aufsagen der heiligen Worte von Verheißung und Erfüllung. Es bewegte mich tief, unter den Frauen auch solche zu sehen, die noch vor nicht allzu langer Zeit dem Heidentum angehört und den Geistern ge­dient hatten. Nur dadurch, dass andere, die schon lesen konnten, ihnen immer wieder die Verse vorgesagt hatten, hatten sie dieselben überhaupt lernen können. So hatte Gott sich aus dem Munde vieler Urwaldkinder ein Lob zugerichtet.

Nach dem Aufsagen der Verse folgten wieder einige Chorlieder. Besonders gern hörten sie von den Posaunen das Lied: „Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Fraun…“ und noch lieber die flottere Weise von „Tochter Zion, freue, freue dich…“ Als wir noch keine Posaunen hatten, be­nutzten wir zwischendurch Grammophonplatten. Nachdem ein früherer Zauberpriester auf diese Weise zum ersten Male volles weihnachtliches Glockengeläute und Kinderlieder gehört hatte, sagte er zu mir, indem er zugleich auf den Apparat zeigte: „Gib mir den Vogel, den du da drin hast“. Mit einer kurzen Predigt und Gemeindegesang fand die Feier am Heiligen Abend ihren Abschluss.

In einer kleinen Nachfeier wurde nun noch für alle Tee gekocht und auch Gebäck aus großen Blechkanistern gereicht. Und damit die Freude auch ganz voll wurde, bekamen die Erwachsenen noch alle eine Handvoll des für sie doch so wertvollen Sumatratabaks. Der Tabak ist das einzige Genussmittel, das die Mentawaier kennen. Weil er in den heißen Niederungen Mentawais nicht gedeiht, so muss er eingeführt werden und ist sehr teuer. Daher darf bei keiner Fest­gabe und bei keinem Besuch der Tabak als Gastgeschenk fehlen. Inzwischen ging es auf Mitternacht zu und da auch am anderen Morgen der Gottesdienst zur gewohnten Stunde war, so drängten einige nun zum Aufbruch. Man sah es daran, dass sie sich an dem offenen Feuer, an dem der Tee gekocht worden war, die Fackeln anzündeten, die ihnen auf ihrem Heimweg leuchten sollten. Das war nun am Ende der Feier­stunden für mich der eindrücklichste und schönste Augenblick. Die nachtdunkle stille Meeresstraße und die finsteren Urwaldpfade, die in die rechts und links von Sikakap liegenden Dörfer führten, er­hellten sich für eine gewisse Zeit im Licht der Fackelträger. Von Weihnachten her sollten wir alle solche Fackelträger sein. Vor meiner Seele leuchtete noch einmal das Wort der Weihnachtsgeschichte auf, das sie ja alle gehört hatten und das nun durch das Fackellicht derer, die heimkehrten, eine besondere Erklärung fand: „Und die Klar­heit des Herrn leuchtete um sie“.


Kleiner Mentawai-Anhang

Als ich im März 1954 nach Mentawai ausreiste, wusste ich nicht, ob die beiden Erstlinge der Mentawai-Mission, Pomanjang und Djagomandri, noch am Leben waren. Auf unserer ersten Erkundigungsreise, die ich zusammen mit Pandita Marpaung im Juni 1954 in Mentawai unternahm, hörten wir schon bald, dass Pomanjang, der aus dem Dorf Silabu auf der Insel Nord-Pageh stammte, schon im Jahre 1941 gestorben sei, dass aber Djagomandri, der in dem Dorf Silaoinan auf Nord-Paqeh wohnte, noch lebe. Es dauerte auch nicht lange, und wir lernten ihn kennen. In einem schmalen Einbaum war er mehr als zwei Stunden gerudert, um uns in Sawangtungku, dem Malaiendorf am Eingang der Sikakapstrasse, zu begrüßen.

Das war schon eine Leistung, dass er noch ganz allein in seinem Kahn so weit fahren konnte; denn er war sicher schon über 80 Jahre alt, als er uns begrüßte. Als er uns die Hand reichte, zog ein sonniges Lächeln über seine runzligen Züge, die dadurch ganz verklärt wurden. Mit großer Freude hieß er uns willkommen und meinte, dass das doch keine schöne Zeit ge­wesen sei, wo durch den 2. Weltkrieg bedingt, 14 Jahre lang kein Send­bote von der Rheinischen Mission mehr bei ihnen gewesen sei. Nun sollten wir aber nicht mehr fortgehen, sondern immer bei ihnen bleiben.

Djagomandris Weg bis zu seiner Taufe

Djagomandri hat die Mentawai-Mission von Anfang an miterlebt. Als Missio­nar Lett im Jahre 1901 mit dem Aufbau der Missionsstation Sikakap begann, war er ein junger Mann von etwa 25 bis 30 Jahren, der mit wachem Auge alles verfolgte, was die neue Zeit brachte. Von Anfang an fühlte er sich zum Missionar hingezogen und war auf Reisen öfters sein Begleiter. So war er auch dabei gewesen, als Missionar Lett vor 69 Jahren, am 19. August 1909, in Talopulei mit Buschmessern todwund gestochen wurde und dann in der Nacht des 20. August an diesen Wunden starb. Eindrücklich erzählte er mir von jener Begebenheit: In früher Morgenstunde war das holländische Schiff in Sikakap angekommen. Man nahm Missionar Lett an Bord, der auf Grund seiner Sprachkenntnisse im Ort Talopulei vermitteln sollte. Nach einer Fahrt von ungefähr zwei Stunden ankerte das Schiff in der weiten Bucht von Talopulei. Vom Schiff aus konnte man sehen, dass die Einheimischen sich am Strand versammelt hatten. Man fürchtete, dass Feindseligkeiten ausbrechen würden. Um Blutvergießen zu verhindern, beschloss Missionar Lett, allein und unbewaffnet sich an Land rudern zu lassen. Zunächst zeigten sich die Talopuleileute bereit, mit den holländischen Beamten an Bord des Schiffes zu verhandeln. Sie fragten Missionar Lett, ob sie ihre Buschmesser mit ins Boot nehmen dürften. Als Lett zustimmte, stiegen zwei Mentawaier zu ihm ins Boot, und sie ruderten auf das Schiff zu. Plötzlich riefen die anderen vom Strand: „Geht nicht an Bord des Schiffes; denn man wird euch nicht wieder loslassen!“ In dem Moment ergriffen die Mentawaier ihre Buschmesser und stachen auf Missionar Lett ein. Dann stürzten sie sich ins Wasser und schwammen an den Strand zurück. So schnell wie möglich holte man den verwundeten Missionar an Bord des holländischen Schiffes und verband ihn. Mit Vollkraft fuhr man nach Sikakap zurück, wo man seiner Frau den sterbenden Mann übergab. – Wie Jesus am Kreuz seinen Feinden vergab, so hat auch Lett seinen Mör­dern vergeben und ist dann in der Nacht an seinen schweren Wunden ge­storben. Ich selbst sollte es 45 Jahre später erleben, dass sein Werk in Talopulei nicht vergeblich war.

Aber auch dieses Erleben änderte Djagomandris heidnischen Sinn nicht; denn in jener Zeit wurde unter seiner Leitung das neue große Sippenhaus (Uma) in Silaoinan gebaut, das noch heute steht. Obwohl jenes Uma vom Rauch vieler Heidenfeste innen ganz schwarz ist, habe ich – da ja die neue Kirche jetzt erst gebaut worden ist – so manchen Gottesdienst und so manche Predigt in jenem alten Heidenuma gehalten. Einmal mussten wir sogar am hellen Tag Petroleumlampen anzünden; denn bei trübem Wetter konnte man noch nicht einmal die Agende in dem finsteren Heidenhaus lesen. Als im Jahre 1915 das Uma fertig war, forderten die Zauberpriester, dass nun ein mehrjähriges Punen (Opferfest gehalten werden sollte, was neue große Lasten auf Djagomandri legte und viele Opfer von ihm forderte. Da um diese Zeit Missionar Börger klar zu ihm sagte: „Djagomandri, Du musst Dich bekehren und den wahren Gott und nicht die Götzen anbeten“, öffnete er sein Herz jener Stimme, sagte sich von den Zauberpriestern los und bat Missionar Börger, seine Götzen und Zaubergeräte zu verbrennen. Das gab einen Aufruhr; denn selbst seine Frau und sein Sohn (Augustinus) zogen sich von ihm zurück. Aber der lebendige Gott, zu dem er sich betend wandte: „Sei du, o Gott, von nun an allein der Gott meines Lebens“, half ihm, alle Feindschaft zu überstehen. So empfing er zusammen mit Pomanjang im Jahre 1916 die Taufe in der Kirche zu Sikakap. Doch wie hart die Herzen der Mentawaier sind, geht auch daraus hervor, dass die Leute von Talupolei, dem Ort, wo Missionar Lett sein Blut vergossen hat, erst 45 Jahre später um die Taufe baten. Vor mir liegt ein Bild, das einen Teil der Täuflinge zeigt, die ich nach meiner Ankunft in Mentawai am 13.06.1954 im heidnischen Sippenhaus zu Talopulei taufte. Mehr als 80 Mentawaier hatten die Taufe empfangen. Das Wort: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche“ hatte sich auch für Talo­pulei bewahrheitet. Als ich zurückfuhr, dachte ich an jene Rückfahrt vor 45 Jahren. Damals war es eine Tränensaat, ein sterbender Missionar an Bord des holländischen Schiffes, jetzt aber war es eine Freudenernte. Jesus ist auch im Dorf Talopulei Sieger geblieben!

Kirchbau in Silaoinan

Von jener Erstlingstaufe bis zur Taufe der Talopuleileute war die Ge­meinde in Mentawai auf 8000 Seelen angewachsen. Auch im Dorf Djagomandris war ein Umschwung eingetreten. Schon längst waren seine Frau und sein Sohn, der den Namen Augustinus erhalten hatte, getauft worden. Als nun alle der neuen Lehre folgten, beschloss man, in Siiaoinan eine Kirche zu bauen. Augustinus, den man in der Nachkriegszeit zum Pandita ernannt hatte, und der neben seinen geistlichen auch große handwerk­liche Fähigkeiten besaß, übernahm die Leitung beim Bau der Kirche. Er setzte seine ganze Kraft und auch seinen Ehrgeiz darein, in Silaoi­nan eine Kirche zu bauen, die die größte und schönste auf ganz Mentawai sein sollte. Da er aber zugleich auch Pandita war, so kamen er, und nicht zuletzt auch wir, in einen nicht kleinen Konflikt; denn im Jahre 1955 öffneten sich uns die Türen zu den Heiden in Siberut. Gaben wir ihm den Auftrag in Siberut als Pandita die Heiden zu unterrichten und zu taufen, so kam er regelmäßig nach kurzer Zeit wieder nach Pageh zurück und ging in sein Dorf, um sein Reisfeld zu bebauen und um den Kirchbau voranzutreiben. Es muss auch gesagt werden, dass er mit seinem knappen Gehalt kaum in Siberut leben konnte. Er wie auch Pandita Philemon haben mehr als einmal Ratten gejagt, um ihren Hunger zu stillen.

So ist es zu verstehen, wenn Augustinus notgedrungen in seinem Dorf blieb und an der Kirche arbeitete; denn von seinem Feld konnte er wenig­stens genug holen, um seinen Hunger zu stillen und seine Familie zu ver­sorgen. Da es in ganz Mentawai keinen Markt gibt, so stehen alle un­sere Mitarbeiter mehr oder weniger in denselben Nöten und haben oft nichts zu essen. Als Augustinus trotzdem wieder einmal nach Siberut ging, erklärte sich der alte Djagomandri selbst bereit, mitzugehen.

Er hatte ja als Evangelist alle Dörfer in Mentawai bereist. Nur der Norden Siberuts war ihm verschlossen geblieben. Da wir aber um die unendlichen Mühen und Strapazen einer Reise im Urwald Siberuts Be­scheid wussten, so redeten wir ihm das aus.

Weil die Gemeinde Silaoinan aber auch an dem Schwiegersohn Augustinus, mit Namen Jesajas, eine starke Stütze hatte, so kam es doch dazu, dass wir trotz des Hin und Her von Pandita Augustinus am 11. April 1955 in Silaoinan den Grundstein zu der neuen Kirche legen konnten. Wir haben das damals mit etwas geteiltem Herzen getan. Für unseren eigenen Aufbau auf der Missionsstation Sikakap, wo 5 Häuser, eine Schule und eine Kirche gebaut werden mussten, konnten wir nur mit ganz großer Mühe und viel Geld einige mentawaiische Hilfskräfte gewinnen, die den batakschen Handwerkern zur Seite standen. Wenn wir nicht selber mit unserem Motorboot Sand, Steine und Bretter herangeholt hätten, dann wäre der ganze Aufbau steckengeblieben. Auch früher hatten gerade die Leute von Silaoinan beim Bau der Missionshäuser stets geholfen, die aber während des Krieges verfault und abgebrochen worden waren. Durch den Kirchbau fielen nun alle Kräfte, die wir vom Dorf Silaoinan so nötig gehabt hätten, aus. Das erschwerte und verzögerte den Neuaufbau der Missionsstation Sikakap ganz gewaltig. Weil aber für gewöhnlich die Mentawaier in aller Arbeit recht träge sind, – zum Teil bedingt durch dauernde Malaria und andere Tropenkrankheiten, sowie die stetig drückende feuchte Hitze von 30 Grad im Schatten – so hatten wir doch große Freude zu sehen, mit welchem Eifer alle Männer im Dorf Silaoinan Bäume fällten und Balken und Bretter aus dem tiefen Urwald für die neue Kirche holten. Für mentawaiische Verhältnisse war es ein Prachtbau, der gegen Ende 1956 fast vollständig fertig war. Schon überlegten wir, an welchem Tage wir die neue Kirche einweihen könnten.

Der Brand der Kirche

Doch es sollte ganz anders kommen. Am Abend des 7. Dezember übte die Jugend in der neuen Kirche Advents- und Weihnachtslieder. Da die vielen Moskitos die Menschen plagten – wie das ja abends in ganz Mentawai der Fall ist -, machten sie auf einigen Steinen ein kleines Rauchfeuer mitten in der Kirche, um die Moskitos zu vertreiben. Beim Aufbruch nach 10 Uhr hatten es alle sehr eilig, und man schüttete schnell die Asche an die Seite der Kirche. Sie hatten nicht beachtet, dass in der Asche noch einige Funken glühten und an der Seite der Kirche noch viel Hobelspäne lagen. So fand das Feuer bald Nahrung, und um Mitternacht brannte die Kirche so schnell ab, dass keine Rettung möglich war. Die Glocke, die wir schon aufgehängt hatten, fiel mit großem Krachen herunter und bekam nicht nur einen großen Riss, sondern es war auch ein faustgroßes Loch durch die furchtbare Hitze herausgeschmolzen. Pandita Augustinus überbrachte uns selbst diese Nachricht. Vom Motor­boot aus, an dem ich gerade arbeitete und die kaum glaubhafte Nachricht vernahm, eilte ich zum Haus von Pandita Philemon, wo Pandita Augustinus mit einigen Gefährten in sich zusammengesunken auf der Veranda saß. Seine Augen waren vom Weinen rot geschwollen, und er redete kein einziges Wort. Nicht nur die Kirche seiner Dorfgenossen, sondern sein Lebenswerk war zu Staub und Asche geworden. Auch Pandita Marpaung fand keine Worte, ihn zu trösten. Wir waren alle zutiefst getroffen. Damals wusste ich noch nicht, dass Gott durch diesen Brand insonderheit mit seinem Knecht Augustinus geredet hatte. Später sagte mir Pandita Augustinus einmal, dass deshalb, weil er sich Öfters geweigert habe, nach Siberut zu gehen, ihm Gott durch den Brand noch etwas Besonderes zu sagen gehabt und ihn ganz gedemütigt habe. Von jener Zeit an fiel es mir besonders auf, dass er, den ich wegen der Innerlichkeit und Wahr­haftigkeit seines Glaubensstandes besonders schätzte, sich mit noch größerer Ehrfurcht Gott nahte, wenn wir ihn in unserer wöchentlichen Sermonstunde zum Gebet aufforderten.

Der Neubau

Am Sonntag darauf fuhren wir mit dem Motorboot nach Silaoinan. Im alten Sippenhaus hielten wir Gottesdienst und trösteten die Gemeinde.

Mit bewegten Worten bat Pandita Augustinus um unsere Hilfe, damit die Gemeinde nicht verzweifelte. Alle Bewohner des Ortes waren tief traurig. Sie sagten, dass Gott sie wegen ihrer Sünde gestraft habe, denn sie seien oft mit Murren an den Kirchbau gegangen. Diesmal zeigte auch Djagomandris Gesicht bei der Begrüßung nicht das sonst so vertraute sonnige Lächeln, das mir sein Gesicht so unvergesslich lieb machte. Als ich ihn auf den Brand hin anredete, merkte ich, wie er sich selber unter die allgemeine Last mit beugte. Er sagte: „Meine Schuld ist es auch mit; denn ich bin lieber zu meinem Reisfeld gegangen als mich für den Bau der Kirche einzusetzen“.

Wir versprachen der Gemeinde rechte Hilfe für eine neue Kirche, die auch inzwischen sowohl von der Batakkirche als auch von der Rheinischen Mission eingetroffen ist. Und dann begannen sie die ganze Arbeit noch einmal von vorn. Ja, sie beschlossen sogar, zur Ehre Gottes nicht kleiner, sondern noch größer zu bauen. Durch die Hilfe, die wir ihnen gewährten, bekam diesmal die Kirche kein Blätterdach, sondern ein Wellblechdach, das mit roter Farbe gestrichen wurde. Den Grundstein für die neue Kirche legten wir im Beisein des Vorsitzenden der Batak-Mission, Pandita F. Siregar, am 10. September 1957. Wieder einmal waren die ganzen Arbeitskräfte des Dorfes über ein Jahr lang gebunden, und wir mussten uns mit unserem eigenen Aufbau in Sikakap, wo inzwischen unser Haus, sowie die Häuser von Pandita Marpaung, Schwester Marie und die für die bataksche Bibelfrau und Pandita Philemon, dazu eine Poliklinik und eine Mittelschule (S.M.P.) entstanden waren, weiter gedulden. Wir hatten nämlich gehofft, dass in den Jahren 1957 und 1958 die Arbeitskräfte von Silaoinan zur Verfügung stünden, um ein Lehrerhaus, ein Internat für die Mi

ttelschüler, ein gutes neues Kranken­haus und eine neue Kirche in Sikakap zu bauen.

Das Wunder Gottes

Inzwischen wurde Djagomandri immer schwächer. Im Dezember 1957 rechne­ten wir jeden Tag mit der Nachricht, dass er heimgegangen sei. Am Sonntag vor Weihnachten hielt ich noch einmal Gottesdienst in Silaoinan. Djagomandri konnte nur noch hilflos auf seiner Matte im Hause liegen.

In seinem Hause hielten wir zusammen mit Pandita Marpaung eine Abend­mahlsfeier. Als alle fortgegangen waren, blies ich ihm noch leise einige Weihnachtslieder, und wieder verklärte die alte so vertraute Freude seine leidenden Züge. Ich dachte bei mir: Die nächsten Posaunen wird er von den Engeln im Himmel hören. Wir ließen ihm noch einige Mittel zur Stärkung da. Und, o Wunder, Gott wollte es seinen treuen Knecht noch er­leben lassen, dass er auch die zweite neue Kirche sehen sollte; denn wider alles Erwarten besserte sich langsam sein Zustand, so dass er am 8. März 1959, als wir den ersten Gottesdienst in der neuen Kirche – unseren Abschiedsgottesdienst – hielten, schon vor uns in der Kirche saß. Es war ja noch nicht die Einweihung der neuen Kirche. Da wir aber im März abreisen wollten, hatten sie 14 Tage lang vorher mit Hochdruck gearbeitet, um für den ersten Gottesdienst soweit wie möglich bereit zu sein. Noch war der äußere Anstrich nicht fertig, aber innen glänzte die Kirche in einem schönen, elfenbeinernen Farbton. Die Fensterrahmen waren mit roter Lackfarbe gut abgesetzt. Auch das Holz der Decke war fast fertig gestrichen. Weil an dem Turm der Kirche stand: „Lobe den Herrn“, bliesen und sangen wir als erstes Lied: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren!“ Die Predigt hielt ich nach dem Chorgesang über das Wort Jesu: „Ich bin das Brot des Lebens“. Dazu passte gut der Spruch, den man vorn in der Kirche lesen konnte: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Matth. 24, 35).

Anna und Erich Klappert 1960

Es war für uns nicht nur ein großes Erlebnis, diese neue 9 x 22 Meter große Kirche zu sehen, sondern alles war ein großes Wunder Gottes: Dass Gott den Mentawaiern Mut und Stärke zu diesem doppelten Werk gegeben, dass Er dem alten Djagomandri die Freude schenkte, die zweite neue Kirche noch zu sehen und zu betreten, und dass selbst meine Frau nach ihrer ernsten Krankheit im Januar und Februar an dieser Feier teilnehmen konnte. Zum Abschied bliesen wir dann in der Kirche: „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl“.

Das Abschiedswort

Nach dem Gottesdienst fand ein Festessen für die Gäste statt. Pandita Augustinus hatte noch zum Schluss in der Kirche dem Dank der Gemeinde an die Batakkirche und an die Rheinische Missions-Gesellschaft Ausdruck gegeben. Er bat nur noch, dass die „paomian sabeu“, die große Gemeinde in Deutschland, doch noch ein Harmonium für diese neue Kirche stiften möge. Dank und Bitte gebe ich hiermit weiter. (Es kann ein altes Har­monium sein, das nicht mehr in der feuchten Luft Mentawais quillt). Nach dem Festessen stellte ich in der kurzen Ansprache, die ich noch an die Versammelten hielt, Djagomandri als Vorbild für die Gemeinde und die Gemeinde Silaoinan als Vorbild für die anderen Gemeinden hin. Daraufhin antwortete der Gemeindeleiter und sagte: „Wir sind noch weit entfernt davon, dass wir ein Vorbild für andere sein können, aber wir möchten Euch danken für Eure Hilfe. Ohne Eure Hilfe stände die Kirche jetzt nicht. Bis an Euer Lebensende werden wir Euch nicht vergessen und was Ihr an uns getan habt; denn Eure Liebe war unter uns wie die Liebe Jesu. Wenn Ihr nun nicht zurückkommt, dann schickt andere; denn wir haben noch Pfarrer, Schwestern und Ärzte nötig“. Nach einem kurzen Wort von Pandita Marpaung betete noch Pandita Philemon mit uns allen. Und nachdem wir allen die Hand zum Abschied gereicht hatten, bestiegen alle das Motorboot. Ich selbst aber ging noch einmal zum Hause von Djagomandri. Er saß allein auf der Matte in seinem dunklen Hause, das wohl einige Türen, aber keine Glasfenster hat. Wortlos ergriff ich seine Hand zum Abschied. Reden konnte keiner von uns; denn jeder wusste, dass es nun ein Abschied für immer sein würde. Dann legte ich ihm segnend die Hand auf sein altes graues Haupt. Auf seinem Gesicht lag das alte vertraute Lächeln, das ich nicht vergessen werde, so oft ich an diesen Erstling der Mentawai-Mission zurückdenken werde.

Quelle: Selbstverlag Erich Klappert, Wiehl  1978


Nachruf

Von Gustav Menzel

Missionar Erich Klappert starb überraschend am 15. Oktober 1982 in Wiehl, wo er seit seiner Rückkehr aus Mentawai/Indonesien im Jahre 1964 wohnte und seit dem 1. Juli 1974 seinen Ru­hestand verlebte. Er gehörte zu der Missionarsgeneration, die besonders daran zu lernen hatte, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Missionsarbeit in anderen Bahnen verlief als bis dahin. Erich Klappert war Siegerländer, geboren am 14. April 1908 in Siegen. Hier ist er zur Schule gegangen. Von Beruf war er zu­nächst Former in einer Siegener Fabrik. Den Anstoß, Missionar zu werden, erhielt er im Christlichen Verein Junger Männer. Er melde­te sich in Wuppertal-Barmen und besuchte von 1927 bis 1934 das Seminar der Rheinischen Mis­sion. Ursprünglich für China be­stimmt, konnte er zunächst nicht ausreisen, weil die Mission in der devisenarmen Zeit in großer Geldnot war. Schließlich wurde er 1936 nach Sumatra ausgesandt. Von 1937 bis 1940 arbeitete er in Djandji Matogu am Tobasee als Rheinischer Missionar in der Batakkirche. Mit allen übrigen Mis­sionaren wurde er am 10. Mai 1940, als die Holländer von deut­schen Truppen überfallen wur­den, interniert und von seiner Familie getrennt. Nach den Gefangenschaftsjahren in Sumatra und – seit 1943 – in Indien kam er Ende 1946 nach Deutschland zu­rück und war nach kurzer Über­gangszeit zunächst Heimatmissionar in Wiehl. Dort erreichte ihn 1953 der Ruf der Batak-Mission, um als ihr Missionar nach den Mentawai-Inseln zu gehen. Mit seiner Frau – die Kinder mussten in der Heimat bei der Schwester von Frau Klappert bleiben – war Erich Klappert dann noch fast sechs Jahre (1954 bis 1959) auf der Insel Sikakap tätig. Es waren schwere Jahre des Aufbaus in der Mentawai-Kirche, die damals durch die Batakkirche (HKBP) betreut wurde. Klapperts waren Brückenbauer und Evangelisten, Lehrer und Übersetzer auch des Neuen Testaments, von dem nur erst die Evangelien in der Mentawai-Sprache vorlagen.

Ehe sie nach Mentawai ausrei­sten, wählten sie sich das Losungs- und Abschiedswort: „So spricht der Herr, der im Meer Weg und in starken Wassern Bahn macht: Siehe, ich will ein Neues machen!“ (Jesaja 43,16 und 19). Dieses Wort bedeutete für ihn ein Zeichen seines klaren Glaubens und seiner unerschütterlichen Hoffnung.

Der Gesundheit wegen mussten Klapperts 1959 nach Deutsch­land zurückkehren. Wieder wur­de Wiehl ihre Heimat; von hier aus hat er noch lange Jahre im Heimatdienst der Mission ge­standen. Dazu muss man vor al­lem auch seine Mitarbeit in öku­menischen Gremien nennen und auch seine Darstellungen über das Vatikanische Konzil, die er im Jahre 1964 veröffentlichte.

Am 20. Oktober haben wir in der großen Kirche von Wiehl von ihm Abschied genommen. Die Ge­meinde von Wiehl und die Pfar­rerschaft des Oberbergischen Kreises sowie die Vertreter der Vereinigten Evangelischen Mis­sion gedachten des Heimgegan­genen als eines gewissenhaften und eindrucksvollen Zeugen der Gnade und Wahrheit unseres Gottes.


Traueranzeige

Wir wollen nicht trauern, dass wir sie verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir sie gehabt haben, ja, auch jetzt noch besitzen. Denn wer heimkehrt zum Herrn, bleibt in der Gemeinschaft der Gottesfamilie und ist nur vorausgegangen.

Kirchenvater Hieronymus (340-420)

Am Heimgang meines geliebten Mannes, meines Schwagers, un­seres Vaters und Großvaters, hat eine große Schar von Verwand­ten, Freunden und Nachbarn und von Geschwistern der Gemeinde Jesu Christi in Kirche, Mission, in Ökumene und Allianz großen Anteil genommen.

Wir sind dankbar für alle Zeichen der Verbundenheit, für die Blumengrüße und für so manches dankbar erinnernde und trö­stend ermutigende Wort, die uns erreicht haben.

Für die vielen Spenden, die zugunsten der Arbeit der Mission auf Sumatra und Mentawei eingegangen sind, danken wir herzlich.

Die zuletzt aufgeschriebenen Zeilen unseres lieben Heimgegan­genen, die wir auf seinem Schreibtisch fanden, standen auf einem kleinen Zettel und lauten:

„Herr, bleibe bei uns, denn es wird Abend werden und der Tag hat sich geneiget. ”

Anna Klappert und Familie

Wiehl, im November 1982

 


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