Ostafrika 2 von Carl Paul

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Die Mission in unsern Kolonien

Von Pfarrer Carl Paul

Neue Folge der Dietelschen Missionsstunden, Zweites Heft, Verlag Fr. Richter, Leipzig 1900, Seite 113 - 212 und 333 bis 352

Deutsch-Ostafrika 2

7,6 MB

Inhalt

Die Etappenstraße der englischen Kirchenmission ins Seengebiet

    1. Die erste Missionsstraße zum Victoria Nyanza
            Karawane nach Uganda
            Alexander Mackays Weg nach Uganda
            Alexander Mackay am Viktoriasee

    2. Auf dem harten Boden von Usagara
           Buschiri-Aufstand
           Mamboia
           Mpapua
           Kisokwe

Die Berliner Mission im Küstengebiet

    1. Der Beginn in Sturm und Drang
           Berlin III
           Sansibar
           Daressalam

    2. In Usaramo
           Kisserawe
           Maneromango
           Plagen

    3. Tanga
       
  Missionsstation
          Muensange

    4. Auf Evangelistenpfaden in den Bergen von Usambara
          Lutindi
          Wuga
          Hohenfriedeberg
          Bethel

Urambo

Anmerkungen 
Copyright von Bildern  
Ouellenschriften über die Mission in Deutsch Ostafrika  
Landkarten

Inhaltsverzeichnis


Links zur Einführung von  Carl Paul

  1. Was sind wir unsern Kolonien schuldig?
       Begangenes Unrecht wieder gut machen
       Schutzgebiete statt Kolonien
       Verderbliche Einflüsse
       Kolonialpflichten
       Kolonisierung nur mit gleichzeitiger Christianisierung

  2. Die Missionstätigkeit in unsern Kolonien
      Neues Interesse für die Mission
      Neue Herausforderungen für die Mission
      Eifersucht gegen England
      Überblick über Togo
      Überblick über Kamerun
      Überblick über Südwestafrika
      Überblick über Ostafrika
      Überblick über die Südsee
      Missionskräfte in Bewegung setzen

Inhaltsverzeichnis


Weitere Links

Inhaltsverzeichnis


Die Etappenstraße der englischen Kirchenmission ins Seengebiet

1. Die erste Missionsstraße zum Victoria Nyanza

Bereitet dem Herrn den Weg, machet auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserm Gott.

Jes. 40, 3.

Im Salisbury Square zu London, wo sich der Sitz der Kirchenmissionsgesellschaft befindet, traf man im November 1875 eine Entscheidung von großer Tragweite. Es handelte sich um ein neues Missionsunternehmen, das zu dieser Zeit in ganz England den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses bildete. Kurz vorher war in einer großen Zeitung ein Brief des Afrikareisenden Stanley erschienen, der auf feiner berühmten ersten Reise quer durch den dunkeln Erdteil gerade in Uganda am Nordufer des Victoria Nyanza weilte.

Bild aus Wikimedia Commens
Henry Morton Stanley

Er hatte beim dortigen König Mtesa freundliche Aufnahme gefunden und war von dem Entgegenkommen dieses afrikanischen Herrschers, sowie von den guten Eigenschaften seines Volkes ganz entzückt. Mtesa hatte sich kurz vorher von den arabischen Händlern an seinem Hofe bestimmen lassen, Mohammedaner zu werden, war aber auf Stanleys Zureden geneigt,  jetzt den Koran mit der Bibel zu vertauschen. Der Reisende selbst gab ihm den ersten christlichen Unterricht und überließ dem Könige einen von der Universitäten-Mission in Sansibar erzogenen Negerknaben als Vorleser. Damit war der schwarze Herrscher aber nicht zufrieden; er wollte weiße Lehrer in seinem Lande haben und Stanley übernahm es, ihm solche zu verschaffen. So war es zu dem Briefe gekommen, der das große Aufsehen in den englischen Missionskreisen machte. Am nächsten lag es für die Kirchenmissionsgesellschaft (Church Missionary Society, nach den Anfangsbuchstaben in der Regel kurz C. M. S genannt), der Einladung Folge zu leisten. Ein so weit ins Innere vorgeschobener Missionsposten forderte natürlich sehr große Mittel, sowohl an Menschenkräften wie an Geld. Die C. M. S. als die größte der englischen Gesellschaften war noch am ersten imstande, den Anforderungen zu genügen. Dazu kam, dass in ihrem Schoße schon Pläne für Innerafrika schlummerten, ja sie besaß sogar seit langen Jahren einen Stützpunkt an der ostafrikanischen Küste, nämlich in Mombasa und an einigen Orten des Festlands, dieser kleinen Insel gegenüber. Zwei deutsche Männer, Dr. Krapf und Rebmann, hatten hier Jahrzehnte hindurch mit bewundernswerter Geduld den Grund zur Bekehrung der Küstenneger gelegt. Ersterer war im Jahre 1844 auf Mombasa angekommen, sein Genosse zwei Jahre später. Aus Gesundheitsrücksichten verließen sie die Insel und siedelten sich drüben bei Rabai an, wo unter ihren Händen die Missionsstation Kisulutini entstand. Es war eine harte Arbeit, die sie unter den dort wohnenden Wanika fanden. Lange blieb ein von Rebmann getaufter Krüppel die einzige sichtbare Frucht ihrer Bemühungen. Noch schien für diesen Teil der Erde die Gnadenstunde nicht gekommen zu sein. Das konnte aber die glaubensstarken Männer nicht zum Verlassen ihres Postens bewegen. Da sie die Tore Afrikas von dieser Seite her zur Zeit verschlossen fanden, so wollten sie die Wartezeit wenigstens dazu benutzen, eine für ihre Nachfolger wichtige Vorarbeit zu tun. Sie wurden eifrige Sprachforscher. Das Kisuaheli fand in ihnen, besonders in Dr. Krapf, die ersten Bearbeiter; ebenso die Sprache der Wanika und einige andere Idiome, von denen sie wenigstens Wörtersammlungen anlegten. Auch als Pfadfinder nach dem Innern Afrikas haben sie sich Verdienste erworben. Krapf reiste wiederholt durch Ukamba und Usambara, überall Anknüpfung suchend, leider vergeblich. Rebmann kam noch weiter landeinwärts und entdeckte - es sind jetzt gerade 50 Jahre her - den Schneegipfel des Kilimandscharo. Wie gern hätten sie den vielen Völkern landeinwärts, von deren Vorhandensein sie die erste Kunde nach Europa schickten, das Evangelium gebracht. Aber teils die Verschlossenheit des Landes, teils die Zurückhaltung ihrer Missionsgesellschaft, die damals gerade das ostafrikanische Arbeitsfeld recht stiefmütterlich behandelte, ließen solche Pläne nicht zur Tat werden. So blieb es einstweilen ein schöner Traum, was der weitblickende Krapf sich ausgemalt hatte: eine Kette von Missionsstationen quer durch Afrika von Mombasa aus bis an den Golf von Guinea, wo jetzt unser Kamerun liegt. Es war ihm nicht vergönnt, zu Kisulutini noch ein zweites Glied der Kette hinzuzufügen. Mit gebrochener Gesundheit kehrte er in seine württembergische Heimat zurück, um die Mitte der 70er Jahre folgte ihm auch der blindgewordene Rebmann. Aber vor ihrem Tode wurde ihnen doch die Freude zu teil, dass jener Traum sich zu erfüllen begann. Uganda war bestimmt, eines der wichtigsten Glieder in der erhofften Missionskette zu werden.

Die C. M. S. hatte gerade ihre Mombasa-Mission zu verstärken begonnen und zu ihren Unternehmungen auf dem Festlande die große Sklavenfreistätte Freretown hinzugefügt, als Stanleys Aufruf für Uganda erschien. Da legte sich von selbst die Frage nahe, ob der Ruf nicht ihr gelte. Die Zustimmung ward der Gesellschaft noch durch eine hochherzige Gabe von 100.000 Mk. erleichtert, die Robert Arthington, ein reicher Missionsfreund in Leeds, für die Ugandamission zur Verfügung stellte. Wenn diese Summe auch bei weitem nicht ausreichte, eine Niederlassung am Victoria Nyanza ins Werk zu setzen, glaubte man doch nicht länger zaudern zu sollen. Die Vorsteher der C. M. S. traten vor ihre Freunde mit der Erklärung, sie hätten den an sie ergangenen Ruf so angesehen, wie der Apostel Paulus die nächtliche Erscheinung in Troas, die ihn von Kleinasien nach Europa hinüberrief, wovon es in der Apostelgeschichte heißt: "Da er das Gesicht gesehen hatte, da trachteten wir alsbald zu reisen in Macedonien, gewiss, dass uns der Herr dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen." Sie ernannten ein besonderes Victoria Nyanza-Komitee und eröffneten Sammlungen für das neue Unternehmen, Es gingen reiche Gaben ein, darunter noch eine von 100.000 Mk.; bald war nahezu eine halbe Million beisammen.

Die nötigen Männer fanden sich auch. Stanley hatte ausdrücklich hervorgehoben, dass in Uganda fürs erste praktische Lehrmeister erwünscht wären, die neben der religiösen Unterweisung den Waganda auch von ihren Krankheiten helfen könnten und im Hausbau und Ackerbau Bescheid wüssten. Daher wählte man neben einigen Theologen auch einen Architekten, zwei Ingenieure, einen Arzt und einen Handwerker aus. Mit der Führung der aus acht Europäern bestehenden Expedition ward Shergold Smith betraut, ein trefflicher Mann, der sich früher als Leutnant bei der Ashanti-Expedition in Westafrika beteiligt, in den letzten Jahren aber in der Heimat theologische Studien getrieben hatte.

Nun fragte sich's, welchen Weg man nach Uganda wählen sollte. Der alte Dr. Krapf, der von Korntal aus den Vorbereitungen mit begeisterter Freude folgte, schlug Mombasa als Ausgangspunkt vor. Von hier sollte die Reise am Kilimandscharo und Kenia vorbei direkt nach dem Nordufer des Nyanza gehen. Das schien bei näherem Zusehen aber nicht gut durchführbar, weil diese Gegenden noch zu wenig erforscht und die feindseligen Massaihorden zu fürchten waren. Andere wiesen auf den Nilweg hin, wo General Gordon damals mit gutem Erfolg in den Sudan vordrang. Man hat diesen Weg in den nächsten Jahren tatsächlich einige Male benutzt, fand auf ihm aber so bedeutende Schwierigkeiten, dass diese Route nur ausnahmsweise gewählt und später ganz fallen gelassen wurde. Die erste Expedition entschied sich für die alte Handelsstraße, die von der Ostküste ins Herz des dunkeln Erdteils führte, quer durch das jetzige Deutsch-Ostafrika. Die meisten Karawanen gingen von Bagamoyo aus, marschierten durch Usagara und Ugogo nach Tabora, um von hier entweder geradeaus an den Tanganjika-See oder nordwärts zum Victoria Nyanza zu gelangen. So war auch Stanley gezogen.

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Karawane nach Uganda

Im Juni 1876 standen die obenerwähnten acht Männer an der Ostküste. Die Ausrüstung, die man ihnen für die Reise und den Aufbau der Stationen mitgegeben hatte, türmte sich bergehoch vor ihnen auf. Da war das persönliche Eigentum der einzelnen Missionare, dann unzählige Ballen von Baumwollstoff, Perlen u. dgl., die als Tauschmittel dienen sollten, ferner Zelte, Bettstellen, Decken, Kochutensilien, Essgeschirr, Konserven und dergl. für die monatelange Wanderung. Den größten Umfang aber nahmen die Lasten mit den Instrumenten und Werkzeugen ein und vor allem die einzelnen Teile einer zerlegbaren Dampfbarkasse mit einem Dampfkessel und allem Zubehör, von der man sich auf dem Nyanza die größten Vorteile versprach. Das alles wurde in kleine handliche Lasten gepackt und eine Unmenge von Trägern angeworben, die das Missionsgut nach Uganda schaffen sollten.

Da die Verproviantierung der Karawane unterwegs umso schwieriger werden musste, je größer sie war, teilte sie der Führer der Expedition in vier Abteilungen. Die erste zog am 14. Juli 1876 von der Küste ab, 14 Tage später die zweite, nach weiteren vier Wochen die dritte, Mitte September die letzte. Welche Mühseligkeiten die Reisenden zu bestehen hatten, geht schon daraus hervor, dass die verschiedenen Abteilungen durchschnittlich 150 Tage brauchten, um an das Südufer des Nyanza zu gelangen. Wenn sie auch den viel begangenen Handelsweg ins Innere benutzen konnten, so gab es doch unendliche Scherereien beim Passieren der verschiedenen Landschaften. Jeder Häuptling forderte seinen Wegezoll und beim Einkauf der nötigen Nahrungsmittel stellten sich immer wieder neue Schwierigkeiten ein. Dazu kamen die Gefahren der Reise für Gesundheit und Leben. Man hat Afrika den Friedhof der Weißen genannt wegen der vielen Europäergräber, die man allenthalben findet. Auch der Weg nach Uganda ist reich an solchen Grabstellen. Von der ersten Expedition kamen nur einige wenige Männer ans Ziel; die andern sind unterwegs am Fieber gestorben oder von den Eingebornen erschlagen worden. Man erzählt, in blutigen Schlachten hätten die Führer den Kampfeseifer ihrer Getreuen dadurch aufs Äußerste angefeuert, dass sie die Fahne mitten unter die Feinde warfen. So nahm sich die Uganda-Mission in den ersten Jahren aus. Es hat unter den Missionsleuten diesseits und jenseits des Kanals nicht an Tadlern gefehlt, die das schnelle Vorgehen bis Uganda tollkühn nannten und der jungen Mission einen baldigen Untergang prophezeiten. Zuweilen sah es aus, als würden sie Recht behalten. So, als die anfängliche Begeisterung des vielgerühmten Mtesa erkaltete und sein Nachfolger Muangagar eine regelrechte Christenverfolgung ins Werk setzte. Auch die Jesuiten haben später das ihrige getan, das ganze Unternehmen zu gefährden, indem sie durch ihr Eindringen in das evangelische Missionsgebiet konfessionelle Streitigkeiten hervorriefen. Aber das waren doch alles nur Wolken, die am Morgenhimmel vorüberzogen. Die Sonne hat bald gesiegt. Wer heute die reichgesegnete Ugandamission, die ihresgleichen in Afrika nicht hat, ansieht, muss doch zu der Erkenntnis kommen, dass die Vorsteher der C. M. S. recht hatten, als sie die Vision des Apostel Paulus in Troas auf sich anwandten und mit einem "Gott will es" die Mission im Herzen des dunkeln Erdteils begannen.

Man hatte übrigens beim Beginn des Unternehmens nicht nur Glaubensmut, sondern auch Klugheit bewiesen. Es stellte sich bald heraus, "dass die Entfernung von der Küste bis an das Südufer des Sees, von wo man regelmäßig zu Schiff nach Uganda fuhr, viel zu groß war, als dass man sie für die Dauer in einem Zuge hätte zurücklegen können. Ferner war zu bedenken, dass es damals noch nirgends eine Europäerniederlassung in diesem Teile Afrikas gab, an die sich die Missionare in Notfällen anlehnen konnten. Sie mussten aber doch mit der Möglichkeit rechnen, dass sie einmal feindselige Negerstämme im Rücken hätten. Auch wollte man nicht bei jeder neuen Reisegesellschaft die enormen Kosten ausgeben, welche die erste Expedition verursachte. Darum fasste man von Anfang an die Anlage von Zwischenstationen am Wege ins Auge. Die erste ward nach Mpapua in Usagara gelegt. Schon Stanley und andere Afrikareisende hatten diesen Ort empfohlen wegen seiner gesunden Lage, wegen der reichlichen Nahrungsmittel, die sich dort fanden, und weil es ein Knotenpunkt verschiedener Karawanenstraßen war. So ward er denn als erster Ruhepunkt auf dem weiten Marsche gewählt. Hier sollten die vier nach einander von der Küste abgehenden Teilkarawanen auf einander warten, um dann frisch gestärkt ein weiteres Stück ihrer Aufgabe zu bewältigen. Tatsächlich wurde Mpapua auch schon im Oktober 1876 besetzt. Weil nach dem Durchzug der Reisenden die beiden hier stationierten Missionare bald erkrankten, ruhte allerdings die Arbeit eine Zeit lang, aber vom Mai 1878 an hat es als ständige Niederlassung gegolten. Sie liegt im Hochland von Usagara; die Entfernung von der Küste beträgt etwa 300 Kilometer, zu deren Bewältigung in der ersten Zeit regelmäßig drei Wochen nötig waren.

Träger um 1900

Der zweite feste Punkt ward am Südufer des Victoria Nyanza angelegt, wo der Fußmarsch sein Ende fand. Bei dem der Insel Ukerewe gegenüberliegenden Kageji ward der Stapelplatz der Mission eingerichtet. Hier legten die Träger ihre Lasten ab und kehrten nach der Küste zurück. Hier wurde das mitgebrachte Boot zusammengesetzt und dann die Seefahrt nach Uganda angetreten. Die Bevölkerung zeigte sich jedoch gerade in dieser Gegend so wenig entgegenkommend, dass diese Seestation wiederholt verlegt werden musste. Als der Häuptling in Kageji die Missionare immerfort belästigte, wählte man das am innersten Winkel des Smith-Sunds gelegene Msalala, sah sich aber später aus demselben Grunde genötigt, nochmals zu wechseln und nach Usambiro überzusiedeln. In neuester Zeit ist auch dieser Ort wieder aufgegeben und Nassa am Spekegolf Missionsstation geworden.

Einige Jahre begnügte man sich mit diesen beiden Ruhepunkten. Je öfter aber Karawanen nach Uganda zogen, und das geschah im ersten Jahrzehnt fast ohne Aufhören, umso lästiger wurde der weite Abstand von Mpapua bis an den Seestapelplatz empfunden. Es waren in der Regel vier Monate zur Reise zwischen beiden Orten nötig. Darum teilte man die Strecke nochmals und wählte Ujui in Unyanyembe als dritte Station, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Tabora.

Damit waren die notwendigsten Stützpunkte für die Missionskarawanen geschaffen. Später wurde im ersten Abschnitt der Etappenstraße, zwischen der Küste und Mpapua noch eine weitere Zwischenstation eingeschoben. Dort fand man eine dichtere Bevölkerung, als an den übrigen Wegstrecken. Je öfter nun Missionare durch diese reich angebaute Landschaft zogen, umso besser lernte man die Bewohner kennen und ganz von selbst legte sich der Wunsch nahe, auch ihnen etwas von dem köstlichen Gut zu geben, das eben nach dem fernen Uganda gebracht werden sollte. Als später Missionar Last nach dem Innern zog, fand er beim Häuptling der Wakaguru in Mamboia eine besonders freundliche Aufnahme. Trotz der Nähe der Küste schien das Volk viel weniger verdorben zu sein, als andere in den Verkehr gezogene Volksstämme. Last schrieb in die Heimat, er könne nicht einsehen, warum man an diesem gutartigen Völkchen mit dem Evangelium vorüberziehen solle, nur weil sie nicht so glücklich wären, in Europa ebenso bekannt zu sein, wie Mtesa von Uganda. Auf diese Anregung hin wurde denn auch Mamboia im Jahre 1880 zur Station erhoben.

So war also im Verlauf von vier Jahren eine Kette von Missionsstationen quer durch das jetzige deutsche Gebiet gelegt worden: Mamboia, Mpapua, Ujui und Kageji resp. Msalala-Usambiro. Das war eine Kraftleistung, die seitdem keine Missionsgesellschaft wieder gewagt hat. Welche Opfer dafür gebracht werden mussten, lässt sich wegen der innigen Verbindung dieser Niederlassungen mit den Unternehmungen in Uganda ja nicht genau berechnen. Aber man bedenke: In den ersten fünf Jahren hat die C. M. S. auf das neue Arbeitsfeld 26 Männer ausgesandt, neben Theologen aus dem Amt oder der Universität und dem Missionshaus drei Ärzte, ferner Ingenieure, Maschinisten und Handwerker; und gekostet hat die Mission schon in den ersten vier Jahren ungefähr ¾ Million Mark. Den größten Teil der aufgewandten Mittel hat in dieser Zeit sicherlich die Etappenstraße gefordert, dass die genannten vier Niederlassungen nicht lediglich Rastorte für die Uganda-Expeditionen sein sollten, ward bei Mamboia bereits angedeutet. Man hoffte, dass jede von ihnen der Mittelpunkt einer sich selbständig entwickelnden Mission werden würde. Besondere Schwierigkeiten erwuchsen schon bei der Anlage aus der Verschiedenheit der Sprachen. An jedem der genannten vier Orte wird eine andere Sprache geredet. Für den Reiseverkehr hätte ja das Kisuaheli ausgereicht, da man sich am Karawanenwege befand. Aber zum Lehren und Predigen war die Erschließung der Muttersprache nach evangelischen Missionsgrundsätzen unerlässlich. So machten sich die an der Etappenstrasse stationierten Missionare unverdrossen an die Arbeit.

Wie es heutigen Tages an dieser ostafrikanischen "Apostelstraße" aussieht, werden wir im nächsten Kapitel sehen. Jetzt wollen wir einen der Männer, die nach Uganda zogen, noch etwas genauer ins Auge fassen. Seine Erlebnisse, speziell im deutschen Gebiet, sollen uns einen tieferen Einblick in die Tätigkeit dieser Missionspioniere verschaffen.

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Alexander Mackays Weg nach Uganda

Unter ihnen befand sich ein junger Schotte, Alexander Mackay, der in Edinburg eine gute Schulbildung genossen hatte und sodann Ingenieur geworden war. Seine Jugendzeit ist um deswillen besonders interessant für uns, weil er einen Teil derselben in Deutschland zubrachte. Er kam 1873 nach Berlin und fand dort im Hause des Hofpredigers Baur liebevolle Aufnahme. Die Eindrücke, die er zu dieser Zeit in sich aufgenommen, sind ihm unvergesslich geblieben. Sie waren ohne Zweifel maßgebend für sein gutes Verständnis deutscher Art und deutschen Wesens, das ihn später bei seiner Tätigkeit am Victoria Nyanza auszeichnete, wo die deutsch-englischen Gegensätze besonders hart auf einander platzten. Im Jahre 1875 ging er als Ingenieur in eine Eisengießerei nach Cottbus. Aber er hatte diese Stellung kaum angetreten, als der Aufruf für Uganda erschien. Mackay war einer der ersten, die ihre Dienste anboten. Mit Rücksicht auf die guten Empfehlungen, die ihm zur Seite standen - er war neben seiner Berufsarbeit sowohl in der schottischen Heimat wie auch in Berlin schon für das Reich Gottes tätig gewesen - nahm man ihn bereitwillig an. So eilte er voll jugendlicher Begeisterung aus dem Spreewald nach London, wo binnen kurzem die erste Missionsexpedition verabschiedet wurde. Als er mit seinen Genossen im Konferenzsaale des Missionshauses abgeordnet wurde und jeder der Ausziehenden noch ein paar Worte sprach, sagte Mackay, der als jüngster zuletzt zum Worte kam:

"Eins haben meine Brüder noch nicht gesagt, das möchte ich nicht unerwähnt lassen. Innerhalb eines halben Jahres wird das Komitee wahrscheinlich hören, dass einer von uns tot ist. Wenigstens einer von uns, vielleicht bin ich es, wird zuvor fallen. Aber was ich sagen möchte, ist dies: Wenn diese Nachricht kommt, so werdet nicht mutlos, sondern sendet sogleich einen andern für den erledigten Posten."

Ein Vierteljahr später finden wir ihn mit der Reisegesellschaft an der ostafrikanischen Küste. Er ward der dritten Abteilung der nach Mpapua hinaufziehenden Karawane zugeteilt, hier aber schien es, als ob sich seine prophetischen Worte vom schnellen Sterben an ihm selbst erfüllen sollten. Auf dem Marsche durch Ugogo erkrankte er bedenklich und musste nach Sansibar zurückkehren. Glücklicherweise genas er bald vollständig und brannte nun vor Begierde, den Genossen nachzueilen. Damit hatte es aber gute Weile. Der Führer der Expedition hatte gefunden, dass der schmale Pfad der Eingebornen für den Verkehr der Missionskarawanen im Innern keineswegs genügte. Er sollte verbreitert und die den Weg kreuzenden Wasserläufe überbrückt werden. Die Ausführung wurde in Mackays Hände gelegt. Dieser griff die Arbeit mutig an. Im Mai des nächsten Jahres schreibt er aus Useguha, einige Tagereisen von der Küste entfernt:

"Ich habe viele Schwierigkeiten beim Wegbahnen zu überwinden, aber es ist mir gelungen, einen Fahrweg von fünfzig (engl.) Meilen Länge herzustellen. Wenn ich nicht sieben Tage gebraucht hätte, um ein Wasserbett zu überbrücken, so wäre ich noch weiter gekommen. Manch stattlicher Baum ist gefallen, um bei diesem Brückenbau als Verbindungsbalken oder für die Dämme und Palissaden der ersten Pionierarbeit auf der künftigen Landstraße nach Zentralafrika benutzt zu werden. Das Holz war hart wie Eisen und widersteht hoffentlich lange den zerstörenden Angriffen der weißen Ameisen. Die Eingebornen staunen das vollbrachte Werk wie ein Wunder an. Ich habe ungefähr 40 Arbeiter angenommen und sie mit Äxten, Beilen, Spitzhämmern, Spaten und Sägen ausgerüstet, lauter Werkzeugen, die ihnen bisher gänzlich unbekannt waren. Das dichte, dornige Gestrüpp der Dschungel, von der ich schon ein großes Stück überwunden habe, bot ganz merkwürdige Schwierigkeiten. Es besteht hauptsächlich aus Unterholz und Schlingpflanzen, welche dem Boden entwachsen, auf dem vor Zeiten ein Urwald stand. Einzelne übriggebliebene Baumstümpfe legen die Vermutung nahe, dass sie in früheren Zeiten gefällt wurden, um Platz für den Getreidebau zu machen. Als darauf die umliegenden Dörfer durch Krieg oder andere Ereignisse zerstört wurden, blieb das Land der Natur überlassen, die hier gezeigt hat, was sie leisten kann, wenn man sie schalten und walten lässt. Man stelle sich einen Wald voll hoher, schlanker Bäume vor, durch ein dichtes Gewebe dorniger Schlingpflanzen verbunden und unten solch undurchdringliches Gestrüpp, dass kaum eine Katze durchkriechen kann. Alles ist verzweigt, zugewachsen und verworren. Der hindurch führende Weg ist ein Pfad, der sich wie ein Reptil nach rechts und links krümmt und sich da, wo der wilde Wein und die dornige Akazie bereits wieder darüber gewachsen sind, von Zeit zu Zeit zu verlieren scheint. Karawanen von der Küste nach Unyanyembe, Uganda und Udschidschi sind diesen Weg hin und hergezogen, aber, obgleich die Kleider der Träger zerrissen wurden und die Warenbündel oft auf dem Boden fortgeschleift werden mussten, hat kein Mensch es gewagt, das Dickicht zu lichten und das volle Tageslicht eindringen zu lassen."

Aus dieser Beschreibung ersieht man, welche Schwierigkeiten die zuerst abgegangene Reisegesellschaft mit ihren vielen Trägerlasten zu überwinden hatte. Ein besserer Weg war offenbar eine unschätzbare Wohltat für die nachkommenden Missionsleute. Nur schade, dass jedes Menschenwerk in Afrika doppelt und dreimal so schnell verfällt, als in Europa und dass die geöffneten Wege dort mit erstaunlicher Schnelligkeit wieder zuwachsen, wenn nicht die bessernde Hand oder wenigstens das wachsame Auge des weißen Mannes dabei bleibt. Die Neger laufen, auch wenn sie noch so zahlreich kommen, ihrer alten Gewohnheit nach doch einer hinter dem andern und sorgen also auch nur für das Bestehen des schmalen Pfades. Ein anderes Mal beschreibt uns Mackay die Sorge ums tägliche Brot:

"Wenn man Tag für Tag auf die Nahrung angewiesen ist, die man hier am Wege kaufen kann, lernt man so recht mit Ernst beten: 'Unser täglich Brot gieb uns heute!' Manchmal kann man außer dem Korn auch ein Huhn bekommen; aber schlimm ist's doch, wenn man hungrig und ermüdet von dem Tagesmarsch sich erst die Nahrungsmittel verschaffen und dann warten muß, bis das Getreide zerstoßen und zubereitet ist. Man muss sich auch das Holz zur Feuerung versorgen, in der Nähe der Dörfer ist es aber gewöhnlich schlecht damit bestellt. Ebenso muss das Trinkwasser von weit her geholt werden und wenn es kommt, ist es schlecht. Frühstück und Mittagessen fallen daher meistens zusammen und da diese Mahlzeit erst gegen Abend zu bekommen ist, dient sie zugleich als Nachtessen."

Man denke sich diese Schwierigkeiten monatelang fortgesetzt, dazu die Anstrengungen des Marsches unter der afrikanischen Sonne! Wie groß mag da die Freude gewesen sein, wenn eine der Raststationen in Sicht kam.

Bild aus Wikimedia Commens
Alexander Murdoch Mackay
1849 - 1890

Mackay hat unter diesen Umständen über zwei Jahre gebraucht, ehe er nach Uganda kam. Dann war ihm dort vom November 1878 bis Mitte 1886 ein reichgesegnetes Wirken beschieden. Die letzten elf Monate stand er ganz allein auf dem schwierigen Posten. Es war gerade die Zeit der schlimmsten Gefährdung durch den Wüterich Muanga. Wie der wackere Mann damals das Schifflein der jungen Uganda-Mission durch Sturm und Wellen gesteuert hat; wie er dem Trotz des Königs und den listigen Anläufen der missgünstigen Araber und Jesuiten begegnete, das kann hier nur angedeutet werden, weil die Geschichte am Nordufer des Victoria Nyanza außerhalb des Rahmens dieser Darstellung liegt. Tatsächlich hat diese Mission eine Zeit lang lediglich auf seinen Schultern gelegen. Ihm ist es zu verdanken, dass sie durch die Stürme um die Mitte der achtziger Jahre hindurchgerettet wurde, später wieder aufleben und zu einem der wichtigsten Glieder in der Reihe der innerafrikanischen Missionsunternehmungen werden konnte.

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Alexander Mackay am Viktoriasee

Für uns kommen hier nur noch die letzten Lebensjahre Mackays in Betracht, die er am Südufer des Sees zubrachte, nachdem er den Klauen Muangas entronnen war. Am 21. Juli 1887 verließ er das Missionsgehöft, wo der argwöhnische König ihm alle Wirksamkeit unterbunden hatte. Nachdem er die "Eleonore", das Missionsboot, notdürftig ausgebessert hatte, fuhr er mit Hilfe einiger treuen Eingebornen über den See und landete Anfang August am südlichen Ufer in Ukumbi; von dort begab er sich nach Msalala. Er wollte vor den Toren von Uganda auf bessere Zeiten warten. Ein Mann wie Mackay konnte das aber nicht in träger Ruhe tun. Wir finden ihn daher bald wieder bei rühriger Arbeit. Er ging an den Aufbau einer neuen Station, die aber nicht in Msalala stehen sollte, weil der dortige Häuptling ein bettelhafter Quälgeist war, sondern in Usambiro beim Häuptling Makolo, mit dem der Missionar von früher her befreundet war. Die C. M. S. ging damals mit dem Plane um, das Schwergewicht ihrer innerafrikanischen Mission von Uganda an das Südufer des Nyanza zu legen. Hier gedachte man eine große Zentralstation mit festen Steinhäusern, verschiedenen Schulanstalten, einem Krankenhause und industriellen Werkstätten ins Leben zu rufen. Als Nebenplätze sollten in den auf dem Wasserwege leicht erreichbaren Landschaften rings um den See überall Zweigniederlassungen eingerichtet werden, von denen aus die Missionare in Notfällen leicht das sichere Hauptquartier erreichen könnten. Um dieses großgedachte Unternehmen ins Werk zu setzen, erschien gegen Ende 1887 der Missionsbischof Parker, der kurz zuvor sein Amt angetreten hatte, in Usambiro und hielt mit sämtlichen erreichbaren Missionaren der C. M. S. eine Konferenz ab. Es ward beschlossen, die Hauptstation am südöstlichen Seeufer, in Nassa am Spekegolf zu bauen. Bevor das aber geschehen konnte, starben Bischof Parker und ein andrer Missionar am Fieber und wurden unter einem Baum im Dschungel nahe bei Usambiro begraben. Nun schien es erst recht geboten, bei diesen Missionsgräbern eine Station zu erhalten. Mackay hat keine Mühe gescheut, die Wildnis in eine christliche Kulturstätte zu verwandeln. Was er in äußerlicher Hinsicht zustande gebracht hat, mag uns ein Bericht Stanleys erzählen, der auf seiner zweiten innerafrikanischen Reise drei Wochen bei ihm zu Gaste war. Er schreibt in seinem Werke "Im dunkelsten Afrika":

"Die Missionsstation kam in Sicht. Sie lag in der Mitte einer so gut wie grauen Wüste, welche sich, bedeckt mit seltsamen Haufen riesiger Steinblöcke zu einem dicht mit Papyrus bewachsenen Marschlande hinzog. Darüber glänzte ein heller Wasserstreifen hervor: eine Bucht des Victoria Nyanza. Außer dem Marschland gab es nichts Grünes zu sehen; das Gras war abgestorben, die Bäume welk und dürr, eine Folge der trockenen Jahreszeit. Wir traten in die aus hohen Pfählen bestehende Umfriedigung ein, welche die Station rings umgibt. Hier fanden wir die Spuren von beständiger unablässiger Geduldsarbeit unter dieser heißen Sonne und von der festen Entschlossenheit, immerzu den Geist tätig zu erhalten. Im Hofe war eine große solide Werkstatt mit Maschinen und Handwerksgerät angefüllt, gesetzte Arbeiter traten an uns heran, um uns mit abgezogenem Hut "Guten Morgen" zu wünschen. Ich wurde in ein Zimmer geführt, dessen zwei Fuß dicke Lehmwände glatt abgerieben und mit Missionsbildern und Plakaten geschmückt waren. Verschiedene Büchergestelle waren mit guten Büchern gefüllt."

In dieser Weise geht die Beschreibung weiter. Man kann es dem Reisenden, der diese anerkennenden Worte geschrieben hat, nachfühlen, wie wohltuend es gewesen sein muss, mitten in der afrikanischen Wildnis plötzlich auf eine solche Kulturoase zu treffen.

Und was tat der Erbauer dieser Missionsstation, als die Häuser fertig waren? Er konnte seinen Beruf als Ingenieur und Maschinenbauer nicht verleugnen; seine geübten Hände durften nicht ruhen. Er ging daran ein Dampfboot zu bauen, um den Verkehr über den See zu erleichtern, an dessen Ufern bald die neuen Stationen gegründet werden sollten. Dafür hatte er viele Lasten Schrauben, Tauwerk und andres Schiffbaumaterial von der Küste erhalten und schaffte nun das nötige Bauholz herbei. Das war aber ein saures Stück Arbeit, denn der Wald, aus dem die Bäume zu holen waren, lag stundenweit entfernt. Um den Transport zu ermöglichen, baute er einen starken vierrädrigen Wagen. Damit schaffte er das erste Fuhrwerk, das in Innerafrika gesehen wurde; die Eingebornen staunten es natürlich wie ein Wunderwerk an, fanden sich aber mit der Zeit ganz gut in seinen Gebrauch. Noch größere Schwierigkeiten, als die Zimmerarbeit bot die Zusammensetzung der Schiffsmaschine. Die Eisenteile lagen nämlich schon zehn Jahre am Seeufer; sie waren mit der ersten Uganda-Karawane gekommen und inzwischen vielfach schadhaft geworden. Da mussten Ersatzteile von der Küste bezogen, andere Stücken ausgeflickt werden. Kurz, mühsame Arbeit in Hülle und Fülle. Endlich aber schaukelte doch das Missionsschiff auf den blauen Fluten des Sees und harrte der aus der Heimat kommenden neuen Männer für Uganda.

Zu diesen äußerlichen Arbeiten, die freilich die meiste Zeit des Aufenthalts in Usambiro in Anspruch nahmen, kam auch ein Stück eigentlicher Missionsarbeit. Die eingeborne Bevölkerung am Südufer des Nyanza gab keine Hoffnung auf schnelle Erfolge. Mackay schreibt einmal davon:

"Die Bettelei ist hier grenzenlos; dazu kommt auch Argwohn und mehr oder weniger Feindseligkeit. Erst wenn diese Widerwärtigkeiten überwunden sind, können wir wirklich Gutes stiften. Den Argwohn zu entwaffnen und Freundschaften zu schließen, ist absolut notwendig; es geht das zwar langsam und ist auch eine sehr ermüdende und schwierige Arbeit, von der man keine glänzenden Missions« berichte schreiben kann, doch beruht die Zukunft unsers Werkes darauf. Wir haben hier noch sehr geringe Ernteaussichten; ja wir können noch nicht einmal säen! Noch müssen wir den Boden roden und die Wucherpflanzen des Argwohns und der Eifersucht ausreißen; müssen die harten Steine der Unwissenheit und des Aberglaubens wegräumen. Erst wenn der Boden richtig zubereitet und gelockert ist, können wir den Samen mit der Hoffnung auf eine von Gottes Weisheit bestimmte Ernte auswerfen."

Um das Vertrauen des Volkes zu gewinnen, nahm er sich zuerst der Kinder an. Er stand mit ihnen auf dem besten Fuß; stets war er von einer Schar kleiner Jungen umgeben, die ihm in allem behilflich sein wollten. Sonntags suchte er auch den großen Leuten nahe zu kommen und einige Strahlen des ewigen Lichts in ihre Seelen fallen zu lassen. Aber seine beste Kraft widmete er in dieser Zeit immer noch den Waganda. Infolge der damaligen Christenverfolgung in Uganda waren manche eingeborne Christen aus ihrem Heimatlande geflohen und hatten sich bei ihrem Missionar am Südufer eingestellt. Mackay ließ sie arbeiten, damit sie sich ihre Kleider und ihr Essen verdienten, zugleich aber nahm er den in Mengo drüben unterbrochenen Unterricht mit ihnen wieder auf. Er hoffte, sie nach ihrer Rückkehr als Lehrer ihrer Landsleute gebrauchen zu können. Zugleich mussten sie ihm bei seinen sprachlichen Arbeiten helfen. Er beschäftigte sich nämlich mit einer Evangelien-Übersetzung in die Sprache von Uganda. Wenn irgend einer, so war Mackay dazu berufen, die ersten derartigen Versuche zu machen. Er war von den im Jahre 1877 ausgezogenen Missionaren allein übriggeblieben und hatte nun eine mehr als achtjährige Wirksamkeit unter den Waganda hinter sich. Tatsächlich ist seine Übersetzung auch der Grundstock der vor einigen Jahren vollendeten Uganda-Bibel geworden.

Es war dem unermüdlichen Manne freilich nicht vergönnt, das so zubereitete Bibelwort auf der in Mengo stehenden Presse selbst zu drucken und die in Usambiro ausgebildeten Gehilfen in ihr Vaterland zurückzuführen. Er ist gleich vielen andern dem mörderischen Klima des südlichen Seeufers zum Opfer gefallen. Seine Freunde haben wiederholt versucht, ihn zur Rückkehr nach England zu bewegen, wenigstens für einige Zeit. Er wollte aber den infolge vieler Todesfälle schwach besetzten Posten nicht verlassen, "Wie können Sie mir schreiben: "Komm heim!"?, lautete seine Antwort. "Bei diesem schrecklichen Arbeitermangel darf keiner seinen Platz verlassen. Schicken Sie mir zuerst zwanzig Männer, dann komme ich vielleicht, und helfe Ihnen die zweiten zwanzig suchen," Fünf Wochen später war er bereits tot. Sein Grab liegt in derselben Gegend, wo Bischof Parker und andere Missionare begraben worden waren.

Das deutsche Ufer des Victoria Nyanza ist mit Missionsgräbern geradezu übersäet. Möge auch hier wahr werden, was Graf Zinzendorf einst für die in Westindien gefallenen Herrnhuter Brüder schrieb:

"Es wurden viele hingesät, als wären sie verloren;
Auf ihren Gräbern aber steht: Das ist die Saat der Mohren."

In der neuesten Zeit hat die alte Etappenstraße nach Uganda ihre Bedeutung fast ganz verloren. Die von Mombasa an den Victoria Nyanza gehende Eisenbahn hat den Verkehr nach Englisch-Ostafrika abgelenkt. Das kann aber die Verdienste der wackern Pfadsucher nicht schmälern, die sich in jahrelangem Ringen durch alle Schwierigkeiten hindurcharbeiteten, um dem Herrn und seinem Evangelium einen Weg in das Herz des dunkeln Erdteils zu bahnen, Ihre mit vieler Mühe ausgehauenen Wege sind wieder verwachsen, ihre Häuser zerfallen, auch die von ihnen errichteten Stationen zum Teil wieder aufgegeben. Trotzdem behält die von ihnen ausgestreute Saat ihren Wert. Vor Menschenaugen ist es jetzt verborgen, aber der große Erntetag am Ende der Welt wird es offenbar machen, dass auch aus der scheinbar vergeblichen Arbeit dieser englischen Missionare eine Frucht gekommen ist.

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2. Auf dem harten Boden von Usagara

Indem er säte, fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel und fraßen es auf.
Matth. 13, 4.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Afrikareisenden gewöhnlichen Schlages, auch viele Beamte und Kolonisten eine schlechtere Meinung von den Negern haben, als die Missionare. Noch ist es nicht lange her, dass einige von ihnen in allem Ernste behaupteten, die Afrikaner arbeiteten nicht und würden es auch nie richtig lernen. Als ihnen nachgewiesen wurde, dass das ein Irrtum war, beharrten sie doch bei Ansicht, die Neger seien eine wenig bildungsfähige Menschenrasse und es sei völlig ausgeschlossen, dass sie je gute Christen würden. Zu dieser unhaltbaren Behauptung mag der Umstand beigetragen haben, dass jene Leute fast nur die Küstenneger oder doch die an den großen Verkehrsstrassen wohnenden Eingebornen kennen lernen. Diese unterscheiden sich allerdings sehr zu ihrem Nachteil von den sogenannten "Wilden" im Innern und in den vom Verkehr wenig berührten Landschaften. Auch die Missionare haben nicht gern mit jenen zu tun. Wenn sie, wie es bei den meisten Missionen der Fall ist, einen Stützpunkt an der Küste brauchen, so freuen sie sich doch regelmäßig auf die Zeit, wo sie von den in allerlei afrikanische und europäische Laster versunkenen Küstennegern zu den "unverdorbenen" Eingebornen tiefer im Innern kommen. Es ist von diesem Gesichtspunkte aus wohl zu verstehen, dass die Mission in keiner der ostafrikanischen Hafenstädte recht gedeihen will. Die von kurzsichtigen Leuten vielgerühmte katholische Station Bagamoyo widerspricht dem nur scheinbar; ihr Gedeihen findet seine Erklärung in der klostermässigen Absonderung der römischen Missionszöglinge, die für ihre Umgebung weder Licht noch Salz sind.

Dieselben Einflüsse, welche die Missionsarbeit an der Küste erschweren, finden sich in gewissem Maße auch an den vielbegangenen Karawanenwegen in Innerafrika. Die dort verkehrenden vielen Lastträger, die alle Untugenden einer nicht sesshaften Bevölkerung an sich tragen, wirken durch ihr schlechtes Beispiel sehr demoralisierend. Am stärksten macht sich diese schädliche Einwirkung natürlich an den Endpunkten und an den großen Halteplätzen der Karawanen geltend. Das Volk, das sich dort tagelang aufhält oder wohl auch vorübergehend niederlässt, stellt den Missionaren ganz besonders schwere Aufgaben, Wer es hier unternimmt, den guten Samen des Evangeliums auszustreuen, muss mehr, als anderswo, darauf gefasst sein, dass er an den Weg säet und dass da viele gute Samenkörner zertreten oder von den Vögeln gefressen werden. Unter dieser Schwierigkeit hat offenbar die Tätigkeit der englischen Kirchenmissionsgesellschaft in Usagara zu leiden. Die dort liegenden Stationen, von denen uns Mamboia und Mpapua schon aus dem vorigen Kapitel bekannt sind, bilden den dauernden Ertrag der auf die Etappenstraße nach Uganda verwandten Bemühungen. Das früher erwähnte Ujui bei Tabora ist gegen Ende der achtziger Jahre ganz eingegangen. Es wurde als Raststation in demselben Maße entbehrlich, als der gerade Weg von Mombasa nach Uganda durchs englische Gebiet gangbar wurde, und da die Eingebornen sich als wenig zugänglich erwiesen, hob man den einsamen Vorposten eines Tages ganz auf. Mit Msalala und Usambiro am Südufer des Victoria Nyanza ging es nicht viel anders. Auch diese beiden Namen gehören jetzt nur der Missionsgeschichte an. Ganz verlassen hat die C. M. S. das deutsche Seeufer allerdings nicht. In dem weiter östlich gelegenen Nassa am Speke-Golf fand sie einen guten Ersatz für die verlassenen Plätze. Die Eingebornen sind hier offenbar empfänglicher, als dort. Die kleine Christengemeinde zählt nahezu 100 Seelen; die Zahl der Schüler ist sogar überraschend groß (350). Die auf dieser Station geübte Missionstätigkeit hat aber allen Zusammenhang mit den andern Niederlassungen der Gesellschaft in Deutsch-Ostafrika verloren. Da der Verkehr von der Küste zum Victoria Nyanza infolge des Bahnbaues durchs englische Gebiet sehr viel leichter geworden ist, hörte die Verbindung auf dem alten Wege ganz auf und Nassa wurde allmählich zu einem Zweige der Uganda-Mission. Dadurch blieben die Stationen in Usagara, ursprünglich Glieder einer langen Kette, auf sich allein angewiesen und bilden nun ein selbständiges Gebiet.

Eukaliptuswald Dattelpalmen bei Tabora

Die Landschaft Usagara mit ihrer verhältnismäßig gesunden Höhenlage, mit ihren anmutigen Bergzügen und Flussläufen, hat etwas anziehendes. Als Stanley sie bei seiner Aufsuchung Livingstones zum ersten Male durchwandert hatte, ließ er sie in seiner Schilderung geradezu wie eine Fata morgana vor den englischen Missionskreisen erscheinen. Er schrieb:

"In diesem afrikanischen Hochlande kann der Missionar unter den sanften Wasagara ohne Furcht und Unruhe leben und sich alle Genüsse des zivilisierten Lebens gönnen, ohne Angst, ihrer beraubt zu werden, inmitten der schönsten malerischen Szenen, die eine poetische Phantasie auszumalen vermag! Hier gibt es das herrlichste Grün, das reinste Wasser; hier sind Täler, die von Kornhainen, von Wäldern voll Tamarinden, Mimosen und Kopalbäumen strotzen. Hier findet sich der gigantische Mvale, der stattliche Mparamusi, die schöne Palme, kurz eine Landschaft, wie sie nur ein tropischer Himmel bedecken kann. Gesundheit und reichliche Nahrung sind dem Missionar hier sicher; ein sanftes Volk lebt zu seinen Füßen, das ihn gern willkommen heißt."

Als die Missionare bei Eröffnung der Etappenstraße wirklich nach Usagara kamen, zeigte sich auch hier, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Die Schilderung von der landschaftlichen Schönheit fanden sie allerdings bestätigt, zumal im östlichen Teile, wo Mamboia liegt. Usagara kann sich wirklich mit den schönsten Teilen unsers ostafrikanischen Besitzes messen. Hinsichtlich der Gesundheit waren die Erfahrungen bei längerem Wohnen schon weniger günstig. Das Fieber schleicht sich auch hier in die Missionshäuser ein und zwar nicht nur als vorübergehender Gast, den man sich von einer Reise durch die Niederungen mitbringt. Auch die schon länger im Lande wohnenden Männer und Frauen müssen ihm ihren Tribut zahlen. Die größte Enttäuschung aber erlebten die Missionare mit dem "sanften Volke, das zu ihren Füßen sitzen würde," Und wenn Stanley prophezeite, sie würden hier ohne Furcht und Unruhe leben können, so ist er damit ebenfalls kein richtiger Prophet gewesen, wie wir sogleich sehen werden.

Die hoffnungsfreudig begonnene Mission hatte eine Schwierigkeit nach der andern zu bestehen. Es ging den Ankömmlingen hier ähnlich, wie einst dem Lot, als er sich die fruchtbare Jordanaue bei Sodom erwählte, die wie ein wasserreicher Garten dalag. Unmittelbar auf den Bericht darüber folgen die Worte: "Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den Herrn." Derselbe Ton klingt aus vielen Berichten der Usagara-Mission heraus.

Wir sahen, wie die beiden Stationen Mpapua und Mamboia entstanden. Jenes liegt an der Westgrenze des Landes, wo die Wasagara schon so stark mit den Wagogo untermischt sind, dass das Kigogo als herrschende Sprache anzusehen ist; Mamboia im östlichsten Teile, wo das Bergland gegen die Massaisteppe im Norden abfällt. Man spricht hier das Kimegi, doch hört man auch andere Sprachen, weil in unmittelbarer Nähe verschiedene Volksstämme grenzen.

Es kam bald noch eine dritte Station Kisokwe hinzu. Ursprünglich sollte das nur der Frucht- und Gemüsegarten für das nahe Mpapua sein. Weil die ins Innere ziehenden Karawanen hier längere Zeit zu rasten pflegten, mussten die Stationsbewohner für Lebensmittel sorgen, besonders Obst, Gemüse und dergl. Das baute man in Kisokwe an. Mit den Jahren aber ward aus dem Vorwerk mit seinen Gärten und Wirtschaftsgebäuden eine richtige Missionsstation, die sich sogar in der letzten Zeit besser entwickelt hat, als ihre älteren Schwestern.

Als die Missionsarbeit eben in Gang gekommen war, traten politische Unruhen ein. Es war zu der Zeit, wo sich die deutsche Besitzergreifung von der Küste her in allen Teilen Ostafrikas fühlbar machte. Die arabischen Händler, die die ordnende Hand der neuen Herren besonders drückend empfanden, versuchten die Eingebornen gegen alle Weißen aufzuhetzen. Schon um die Mitte der achtziger Jahre fing es an zu gären. Auch Usagara und Ugogo wurden davon ergriffen. Die Missionskarawanen hatten wiederholt feindliche Angriffe zu bestehen. Das schwerste Wetter aber zog mit dem Buschiri-Aufstand im Jahre 1889 über die Missionsniederlassungen herauf.

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Buschiri-Aufstand

Nach Mpapua war eine deutsche Militärstation gelegt worden, die nur von zwei Offizieren und einer kleinen Abteilung der Schutztruppe besetzt war. Auf diesen schwachen Posten warf sich Buschiri um die Mitte des Jahres. Der Sturm kam nicht ganz unerwartet. Die Missionare wurden von der Küste her gewarnt, ja der englische Konsul in Sansibar schickte sogar eine Eskorte, um die Missionsgeschwister, wenn es nötig wäre, in Sicherheit zu bringen, doch konnten sich diese nicht zur Preisgabe ihrer, Stationen entschließen. Zwischen ihnen und der deutschen Besatzung bestand das beste Einvernehmen und die drohende Gefahr verband sie noch inniger. So oft wieder eine neue Nachricht ankam, wurden die Besorgnisse oder Hoffnungen ausgetauscht. Auf den drei Missionsstationen hat sich da manche aufregende Szene abgespielt, zumal da Missionar Cole in Kisokwe sogar Frau und Kinder bei sich hatte. Man ward bald gewahr, dass die Lage der deutschen Offiziere noch gefährdeter war, als die der Missionsleute. Jene hatten nicht nur Buschiri und seine Horde zu fürchten, sondern auch die Eingebornen von Mpapua, die ihnen von früher her grollten, weil sie ihnen den Tod einiger Volksgenossen zur Last legten. Die Missionare dagegen besaßen das volle Vertrauen der Landesbewohner. Es zeigte sich jetzt, dass die jahrelange Wirksamkeit der guten Männer doch nicht wirkungslos an den Herzen der Schwarzen vorübergegangen war. Als die Wagogo in Mpapua hörten, Missionar Price und die andern würden vielleicht das Land verlassen, kamen sie ganz aufgeregt an und baten sie zu bleiben. Sie wollten sich alle um die Missionsgeschwister scharen und für sie kämpfen, wenn sie bedroht würden.

Die Lage war trotzdem ernst genug, denn Buschiri kam wirklich. Es ist ergreifend, das Tagebuch der Station Mpapua aus jenen Tagen zu lesen, Missionar Price, auf dem die größte Verantwortung lag, erwog alle Gründe fürs Bleiben und Verlassen der Station. Er fasste aber schließlich den Entschluss, trotz der augenscheinlichen Lebensgefahr zu bleiben. "Wenn wir getötet werden sollen," schrieb er, "so ist es uns allen lieber, auf unserm Posten zu sterben, als auf der Reise nach der Küste. Wenn wir hier sterben, so wird das Volk sehen, dass wir sie mehr lieben, als unser eigen Leben." Und an einer andern Stelle heißt es: "Die Frage ist nicht, was wir für das geratenste und beste halten," sondern: "Herr, was willst du, das ich tun soll?" Das ist der rechte Mut, wie er sich für die Streiter im heiligen Kriege des Herrn ziemt. Die Missionare gingen auf allen drei Stationen ihrer Arbeit nach. Sie hielten ihre Gottesdienste und Schulstunden und gaben den wenigen Christen, die sie bisher gewonnen hatten, ein gutes Vorbild im täglichen Wandel.

Den ersten Schlag führte Buschiri gegen die Militärstation. Price war gerade zu einer Abendmahlsfeier für die Missionsgeschwister nach Kisokwe gegangen, als er von ferne die Kanonen von Mpapua hörte. Bald kamen auch Eingeborne hinüber, welche die Einzelheiten des Überfalls meldeten. Einer der deutschen Offiziere war dabei getötet worden, der andere entkommen. Letzterer, es war der Leutnant Giese, hat sich mit Hilfe der Missionare mehrere Tage in den Nachbardörfern vor den feindlichen Spähern verborgen gehalten und später auf abgelegenen Wegen die Küste erreicht.

Einige Tage schien es, als sollte den Missionsleuten kein Leid geschehen. Price kehrte auf seine Station zurück, in deren Nähe die Feinde ihr Lager aufgeschlagen hatten. Er fuhr fort, seine geistlichen Kinder zu versorgen, wenn auch mit bebendem Herzen. Da erschien eines Nachts ein junger Mann bei ihm, der früher Unterricht auf der Station empfangen, dann sich aber nach der Küste begeben hatte und jetzt unter Buschiris Anhängern lebte. Er hatte die empfangene Wohltat nicht vergessen und kam, den Missionar zu warnen. Der Räuberhauptmann hatte seinen Leuten eine Belohnung versprochen, wenn sie den Häuptling von Mpapua und Price mit List fingen. Der Anschlag sollte am nächsten Tage zur Ausführung kommen. In diesem nächtlichen Besuch erkannte der Missionar einen göttlichen Wink. Er rief alle die Seinen zusammen; es war etwa ein Dutzend schwarzer Christen einschließlich der Frauen und Kinder. Mit ihnen eilte er in der Nacht hinüber nach Kisokwe, das sie noch vor Tagesanbruch erreichten. Auf schnelle Benachrichtigung hin erschien dort auch der Missionar von Mamboia, so dass das abgelegene Kisokwe, das Buschiri entweder nicht kannte oder nicht anzugreifen wagte, in dieser schweren Zeit das Pella, die Zufluchtstätte der Christen wurde. Den Missionsgebäuden in Mpapua erging es nun nicht besser, als der Militärstation. Die Räuber schleppten alles hinweg, was ihnen wertvoll erschien, dann legten sie Feuer an und zerstörten die Kirche, das Wohnhaus, kurz die ganze Niederlassung. Price verlor alles mit Ausnahme einiger Kleidungsstücke, etlicher Bücher und eines Teils seiner Übersetzungen, die er am Tage vor der Flucht einem befreundeten Neger zur Aufbewahrung übergeben hatte.

Einen Lichtpunkt in dieser trüben Zeit bildete das Verhalten der Wagogo und Wasagara, die den Räubern zwar nicht entgegentraten, wie sie versprochen, aber doch auch nicht gemeinschaftliche Sache mit ihnen machten. Als Buschiri abgezogen war, kamen sie nach Kisokwe und baten, der Missionar möchte doch nach Mpapua zurückkehren. Price tat es auch und wohnte eine Zeit lang in einer Negerhütte, bis sich die Station wieder aus den Trümmern erhob.

Als nach diesen aufregenden Wochen die Missionare ihr Friedenswerk wieder aufnahmen, war es ihnen fast, als müssten sie die ganze Arbeit von vorn anfangen. Sie hatten nicht nur schöne Zeit verloren, auch die junge Saat, die sie vorher sprießen sahen, war vielfach zu Schaden gekommen. Kein Wunder, dass die ersten Berichte, die bei der Missionsgesellschaft in London einliefen, außer dem frohen Danke für Gottes gnädige Durchhilfe nicht eben glänzend lauteten. Aber die Glaubensboten waren doch weit entfernt, ihre Sache verloren zu geben, sie baten vielmehr ausdrücklich, dass die Usagara-Mission weiter getrieben würde. Das geschah auch, obwohl es für die C.M.S. gerade zu jener Zeit nahegelegen hätte, ihre Sendboten aus dem deutschen Gebiet zurückzuziehen. Auf deutscher Seite hatte sich eine sehr gereizte Stimmung gegen die englischen Missionare herausgebildet, ohne dass die letzteren begründeten Anlass dazu gegeben hatten. Die Missionsleute haben aber das ihnen widerfahrene Unrecht still getragen, zumal da sie sahen, dass sie in den deutschen Missionskreisen gute Freunde hatten. Sie sind in Usagara geblieben und haben seitdem zehn Jahre lang ohne jede Störung von außen ihr Werk treiben können.

Es sind treffliche, tüchtige Männer, die bis heute in Mamboia, Mpapua und Kisokwe wirken. Der mit den Verhältnissen am besten vertraute Price, der die Sprache der Eingebornen ganz beherrschte, ist leider vor einigen Jahren gestorben. Andere wie Wood, Cole und Beverley, die teilweise auch schon zehn afrikanische Jahre hinter sich haben, sind an seine Stelle getreten. Sogar einige unverheiratete Missionarinnen haben es gewagt, nach Usagara zu kommen. Im Gegensatze zu den katholisierenden Boten der Universitäten-Mission hält die kirchliche Missionsgesellschaft auf durchaus unanfechtbare, evangelische Grundsätze. Man sollte daher erwarten, dass bei den friedlichen Zuständen, die jetzt im Lande herrschen, auch diese Mission ein gutes Gedeihen fände. Und doch sind die Früchte ihrer Arbeit sehr gering. Dem im Jahre 1898 ausgegebenen ausführlichen Bericht ist zu entnehmen, dass die Gesamtzahl der Christen auf den drei Stationen noch nicht ganz 300 betrug, in den acht Schulen zählte man 384 Schüler, darunter merkwürdigerweise viel mehr Mädchen, als Knaben. Das hat seinen Grund offenbar in der Wirksamkeit der unverheirateten Missionarinnen, die die kleinen Mädchen an sich zu fesseln wissen. Sonst ist das Zahlenverhältnis in den afrikanischen Missionsschulen in der Regel umgekehrt. An Heidentaufen waren binnen Jahresfrist nur 16 zu verzeichnen. Unter den jetzt in Deutsch-Ostafrika wirkenden Missionen findet sich keine weiter, deren Zahlenerfolge in der gleichen Zeitdauer fo gering sind. Nur im Küstengebiet von Englisch-Ostafrika liegen die Verhältnisse ähnlich. Die unter den Wakamba wirkenden Sendboten der Leipziger Mission haben ein fast noch härteres Arbeitsfeld gefunden. Sie mussten im ersten Jahrzehnt geradezu ohne jeden sichtbaren Erfolg arbeiten. Wenn man damit den guten Fortgang des Missionswerks in den gar nicht fernliegenden Landschaften Usambara, Blondie oder Usaramo vergleicht, so fragt man sich vergebens, warum der Ertrag auf den nebeneinderliegenden Feldern ein so verschiedener ist. In der Tüchtigkeit der Arbeiter ist die Erklärung keinesfalls zu suchen. Es scheint doch jedes einzelne kleine Volk seine besondere Entwickelung zu haben. Bei einem jeden müssen wir warten, bis seine Zeit erfüllt ist. Erst hat Gott seine Weile, dann hat er seine Eile.

Wie es gegenwärtig in der Usagaramission aussieht, wollen wir jetzt bei einem Rundgang auf den Stationen sehen.

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Mamboia

In Mamboia stehen zur Zeit zwei Kirchen und zwei Missionshäuser. Die alte, vor zwei Jahrzehnten angelegte Station liegt auf einer Anhöhe, die Eingebornen haben sich aber mehr ins Tal hinuntergezogen, wo die Karawanenstraße vorbeiführt. Die Mission ist ihnen dahin gefolgt. Sie hat die alten Gebäude nicht aufgegeben, aber unten im Tale seit 1894 eine zweite Station eröffnet. Es liegen viele kleine Dörfer um sie her, so dass reichliche Gelegenheit zur Heidenpredigt ist. Die Missionare benutzen sie auch oft, klagen aber über große Gleichgültigkeit. Als besondere Hindernisse werden die häufigen Tanzfeste der Neger und das viele Pombetrinken erwähnt. Im Missionshause hört man oft die ganze Nacht hindurch den dumpfen Ton der Trommel, die zum Tanz geschlagen wird, und leider beteiligen sich zuweilen auch Leute an diesen wilden Vergnügungen, die am Sonntag zum Gottesdienst kommen. Kein Wunder, dass solche Zuhörer dann stumpf und unempfänglich sind. Bei den Frauen ist die Gleichgültigkeit besonders groß. Als die junge Missionarin, die sich ihnen ganz widmet, einer christlichen Negerin gegenüber sich einmal beklagte, sagte diese zwar: "Bibi, sie verstehen dich; sie sind nicht mehr, wie im vorigen Jahr, wo sie dachten, es wäre genug, wenn sie still sitzen; jetzt merken sie auf!" Wie es scheint, ist also doch ein kleiner Fortschritt zu verzeichnen. Nach der Ansicht der Missionsleute aber lässt die Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit noch viel zu wünschen übrig. Recht nachteilig haben die Zeiten der Hungersnot gewirkt. Usagara hat kurz nacheinander zweimal darunter zu leiden gehabt, im Jahre 1895 und 1898. Weil die Ernte sehr kärglich ausfiel und im Lande nichts zu verdienen war, zog die Mehrzahl der Eingebornen an die Küste hinab, auch manche Katechumenen und Christen. Dort in der versuchungsreichen Umgebung ist es nicht ohne Rückfälle und Sündendienst abgegangen, so dass nach ihrer Rückkehr gleich Kirchenzucht geübt werden musste. Unter solchen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, dass schon mehrere Jahre hindurch in Mamboia kein so schönes Tauftest wieder gefeiert werden konnte, wie zu Ostern 1894, wo 14 Erwachsene auf einmal getauft wurden. Das war ein großes Freudenfest. Die Taufe wurde von Missionar Wood unten am Fluss vorgenommen. Auf der einen Seite standen die Christen, auf der andern die Heiden. Die Taufbewerber stellten sich ganz in die Nähe des Missionars unmittelbar ans Wasser, doch so, dass sie noch auf der Seite der Heiden standen. Jeder von ihnen wählte sich nun zwei Taufzeugen aus der Zahl der Christen. An diese wandte sich der Missionar zuerst und ließ sich das Versprechen geben, dass sie sich ihrer "Patenkinder" annehmen wollten. Dann redete er zu den Täuflingen und legte ihnen endlich die üblichen Fragen vor, die zum Teil den Aberglauben und die heidnischen Sitten betreffen. Nachdem sie befriedigende Antworten gegeben, stiegen sie ins Wasser und wurden getauft. Nun traten die Paten zu jedem Einzelnen heran und führten ihn auf die Seite der Christen hinüber. Eine Ansprache des Missionars und ein gemeinsam gesungenes Loblied beschloss die erhebende Feier. Vielleicht kehren solche Freudentage in der kürzlich geweihten neuen Talkirche wieder. Es ist schon das zweite Gotteshaus an dieser Stelle, Die vor drei Jahren von den Eingebornen errichtete Kapelle siel dem Wetter und den weißen Ameisen zum Opfer. Die jetzige ist auch wenigstens teilweise von den schwarzen Christen und Heiden bezahlt worden. Sie fasst etwa 500 Menschen und da sie ziemlich massiv gebaut ist, wird sie für lange Zeit genügen. Neben den europäischen Missionsleuten sind in Mamboia auch Eingeborne als Gehilfen tätig. Vor allem ist hier Mugimwa zu nennen, der sowohl als Christ, wie als Missionsdiener das beste Lob empfängt. Er stammt aus dem Lande und hat, nachdem er erst von den Missionaren unterwiesen war, einen Lehrkursus in Freretown bei Mombasa durchgemacht. Seitdem er von dort zurückgekehrt ist, versieht er fast die Stelle eines europäischen Missionars. Beim Schulunterricht hilft ein zweiter Eingeborner Jeremiya Senyagwa; es weilen auch bereits zwei andere junge Männer in Freretown, das man die Hochschule der C. M. S. für die eingebornen Gehilfen nennen kann.

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Mpapua

In Mpapua, das ja ebenfalls an der lebhaften Verkehrsstraße liegt, finden sich ähnliche Verhältnisse. Die vor zehn Jahren aus der Asche wiedererstandene Station ist, äußerlich angesehen, in gutem Stande; das Missionsnetz wird auch fleißig und treulich ausgeworfen. An den Sonntagen findet früh ein Gottesdienst für die Christen, zu späterer Tagesstunde ein solcher für die Taufbewerber und Heiden statt. In letzterem lässt der Missionar gern einen der eingebornen Christen zu seinen Landsleuten reden. An den Wochentagen aber hält er täglich eine Morgen- und Abendandacht in der Kirche, wobei ein Schriftabschnitt gelesen und kurz erklärt wird. Der Schulunterricht findet an fünf Tagen der Woche nachmittags statt, am Sonntagnachmittag auch noch eine besondere Bibelstunde für die getauften Frauen. Letztere wird von der Frau des Missionars gehalten. Die Leute von Mpapua und Umgebung haben also reichliche Gelegenheit, das Wort Gottes zu hören, aber leider kann man ihnen nicht das Zeugnis geben, dass sie es mit Freuden aufnehmen. Viele wollen es überhaupt nicht hören. Entschuldigungen haben sie immer bei der Hand. Als 1895 die Hungersnot im Lande war, meinten sie, jetzt wäre die Not zu groß, sie müssten ihre ganze Zeit aus Nahrungssuchen und Gelderwerb verwenden. In den folgenden Jahren gab es Nahrungsmittel im Überfluss, nun aber wollten die Tage des Wohllebens gar nicht aufhören, das Tanzen und Trinken erstickte alle edleren Regungen, Die Zahl der Hörer ist also nicht groß, aber auch bei den wenigen ist nicht viel Teilnahme und Glaubensgehorsam zu finden. Zuweilen tritt den Missionaren eine geradezu lähmende Gleichgültigkeit entgegen. Wenn sie nach der Predigt mit den Leuten sprechen, wird kaum jemals einer sagen, er glaube das Gehörte nicht. Sie sind ganz empört, wenn man ihnen vorhält, dass sie die Wahrheit verachteten. Die Glaubensboten bekommen hier weder Widerspruch noch Spott zu hören. Aber die stumpfen Leute stimmen nur mit den Lippen bei, im Herzen bleiben sie gegen die Botschaft und die Boten völlig gleichgültig. Es gehört viel christliche Geduld dazu, unter solchen Umständen unverdrossen weiterzuarbeiten. Da lernt man für jeden kleinen Erfolg, für jeden einzelnen Lichtstrahl danken. In jüngster Zeit kehrte ein früher von Missionar Price getaufter Mann, der vor drei Jahren durch seine heidnischen Verwandten zum Abfall verführt worden war, reumütig zurück und legte in der Kirche ein offenes Bekenntnis ab. Solche Erlebnisse müssen für manche traurige Erfahrungen Ersatz geben, und wenn unter den Christen von Mpapua einige gefunden werden, bei denen ein Vorwärtskommen in ihrem persönlichen Christentum, sowie in ihrem Eifer für die Bekehrung der Heiden zu bemerken ist, so knüpft sich daran die Hoffnung, dass auch diejenigen, die der nüchtern urteilende Missionar einstweilen nur als Namenchristen bezeichnen zu müssen glaubt, einer bessern Zukunft entgegengehen.

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Kisokwe

Nicht ganz so düster ist das Bild, das uns in Kisokwe entgegentritt. Der Ort erinnert heute noch an seine ursprüngliche Bestimmung, Fruchtgarten und Kornkammer der Mission zu sein. Hier werden die prachtvollsten Bananen, Datteln, Apfelsinen, Papayafrüchte u. dergl. gezogen. Es fehlt aber auch nicht an Früchten geistlicher Art. Die Seelenzahl ist hier größer als auf jeder der anderen Stationen; auch die Taufe wird häufiger begehrt. Als Missionar Fincher im Jahre 1898 einzog kamen ihm zu seiner freudigen Überraschung etwa 200 Eingeborne ein Stück Wegs entgegen und begleiteten ihn unter Hymnengesang bis zum Missionshaus. In den Unterrichtsstunden drängten sich die Leute förmlich und die kleine Kirche konnte die Zahl der Besucher kaum fassen, so dass bald ein größerer Raum für die Gottesdienste beschafft werden musste. Außer der Station gibt es noch drei Predigtplätze in der Nachbarschaft; über Mangel an Hörern wird auch dort nirgends geklagt. In Kisokwe selbst wohnt eine große Kinderschar; 60 Knaben und Mädchen werden als Kostschüler in zwei getrennten Häusern auf der Station gehalten. Aus ihren Reihen wurden schon wiederholt die begabtesten Schüler nach Freretown zu weiterer Ausbildung gebracht. Als eine besonders erfreuliche Erscheinung ist bei dieser Station die rege Beteiligung der schwarzen Christen an der Gewinnung ihrer Landsleute zu erwähnen. Eine junge Frau, die Tochter des Häuptlings Madumiro, die als Hausmutter die Aufsicht über die Kostschülerinnen führt, zeigt sich besonders geschickt dazu. Da ist ferner in Chunyo, einem abgelegenen Dorfe, ein etwa 16jähriger junger Mann, der aus eigenem Antrieb jeden Abend die Dorfbewohner zur Andacht zusammenruft. Er kommt zwei bis dreimal in der Woche auf die Station, um den Unterricht des Missionars zu genießen, daheim aber gibt er das Empfangene weiter, Sonntags bringt er in der Regel andere Leute mit. Zu seiner Freude hat sich auch seine alte Mutter unter die' Taufbewerber aufnehmen lassen, und trotz ihrer vorgerückten Jahre kommt sie regelmäßig zum Unterricht. Ebenso lobenswert ist das, was uns von einer aus 18 Christen bestehenden Evangelistenschar erzählt wird, die die Wasserplätze in der Nähe der Station unter sich verteilt haben. Es gibt drei Stellen am Flusse, wo die Wagogo am liebsten Wasser schöpfen. Dahin ziehen diese eingebornen Helfer am Sonntag, um den Wasserträgerinnen eine ähnliche Gabe anzubieten, wie sie einst Jesus der Samariterin am Brunnen reichte. Auf diese Weise hören viele etwas von göttlichen Dingen, die wegen der großen Entfernung nicht zu den Gottesdiensten auf die Station kommen. Anfangs wurden die christlichen Männer und Frauen bei diesem ungewöhnlichen Beginnen zwar belacht und verspottet, sie haben das aber ruhig ertragen und werden jetzt ohne Störung angehört.

Da Kisokwe an der Grenze von Ugogo liegt, haben sich die Blicke der Missionare oft auf die Bewohner dieser großen Landschaft im Westen gelenkt, ja es sind auch wiederholt Abgesandte der Wagogohäuptlinge erschienen und haben um Lehrer gebeten. Wahrscheinlich dehnt sich die Usagara-Mission mit der Zeit gerade nach dieser Seite aus. Als Vorbereitung dazu haben die Glaubensboten einige Predigtreisen durch Ugogo unternommen. Die dabei gemachten Erfahrungen waren von ganz verschiedener Art. Price fand im Jahre 1893 ein Entgegenkommen, wie nirgends sonst. Er berichtet davon: "Ich habe einen Besuch in Ugogo gemacht. Der Häuptling von Ibwijili lud mich ein. Ich sollte sein Volk, unter dem die Pocken wüteten, impfen. Das konnte ich nicht, weil ich keine Lymphe mehr hatte. Ich ging aber doch hin und fand das Volk wunderbar vorbereitet, das Evangelium zu hören. Die Krankheit hatte die Leute sehr mürbe gemacht. Am Sonntag waren ihrer wohl 1.000 beisammen. Sie hörten uns ganz aufmerksam zu. Ich hatte zwei junge Männer von der Station bei mir, die mich beim Sprechen ablösten, so dass unsere Verkündigung drei Stunden dauerte. Nachdem wir unsere Botschaft ausgerichtet hatten, fragte ich, wer von ihnen sich wirklich zu Gott kehren, das alte Sündenleben bereuen und an Christus den Heiland glauben wolle. Sogleich stand die ganze Menge fast ausnahmslos auf, streckte beide Hände empor und rief laut: "Wir bereuen, o Gott! Jesus Christus, hilf uns, rette uns!" So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich betete dann und sie sprachen mir das Vaterunser nach. Darauf nahm ich sie beim Wort und sagte:

"Wenn ihr wirklich Reue spürt, so will euch Gott vergeben, euch retten; er wird euch ein neues Leben geben, welches besser ist, als dieses hier, das voll Übel, Krankheit und Unruhe ist. Wenn ihr aber wollt, dass Gott euer Vater sein soll, so müsst ihr das Hassen, Kämpfen und Morden aufgeben, müsst einander lieben und alle Menschen lieben."

Darauf erwiderten sie: "Ja, wir wollen nun unsere Waffen wegtun." Später hörte ich, wie einer sagte: "Er macht unsere Herzen hell!" Sie baten mich, zu bleiben, unter ihnen zu wohnen und mehr von Gott zu erzählen; sie wollten mir auch ein Haus bauen und eine Frau geben. Wenn ich nur gelegentlich einmal zu ihnen käme, vergäßen sie das Gehörte gar so bald. Ich sagte ihnen darauf, eine Frau wollte ich nicht von ihnen haben, aber wenn ich zu ihnen käme, würde ich mit anderen Forderungen vor sie treten.

Neben diesen guten Erfahrungen des einen Missionars stehen gegenteilige von Seiten eines andern. Beverley machte wenige Jahre später wieder eine Reise durch Ugogo, von einigen guten Christen begleitet. Er kam aber diesmal gar nicht zum Predigen. Es wurde gerade ein großes heidnisches Fest mit Trinkgelagen und unsittlichen Tanzen gefeiert. Die Eingebornen kamen zwei Monate lang nicht aus dem Festtaumel heraus, Beverley hatte die Heiden noch nie in so schrecklicher Verfassung gesehen. Das war ein Dämpfer auf die durch Price angeregten Hoffnungen. Sobald es dem Volke gut geht, ist es für das Wort von der Buße und Bekehrung verschlossen. Immerhin mehren sich die Anzeichen, dass sich das Evangelium nach Westen hin Bahn brechen wird.

Alles in allem ergibt sich, dass die Sendboten der C. M. S. mit der Usagara-Mission eine sehr schwere Arbeit übernommen haben. Das Land ihrer Wahl gleicht offenbar dem hartgetretenen Wege, auf dem die gute Saat nicht eindringen kann. Die große Völkermischung an der Karawanenstraße mag ja insofern ihr Gutes haben, als dadurch manches Samenkorn bis in die fernsten Teile von Innerafrika getragen wird. Dr. Pruen schrieb im Jahre 1887:

"Wir haben eine ganze Musterkarte von Afrikanern hier in Mpapua, meist krankes Volk, das von vorüberziehenden Karawanen zurückgelassen wurde. Neben Sansibarleuten sieht man Wanyamwezi, Wasagara, Wagogo, einen Mann von Udschidschi, eine Frau von Manuyema, dem Lande der Kannibalen u.s.w."

Diese Mischung der Bevölkerung hat sich unter dem deutschen Regiment, das die Verkehrsstraßen gesichert hat, eher noch vermehrt. Die Christen von Mpapua stammen nur zum vierten Teile aus Ugogo, die andern aus allen möglichen Gegenden; am stärksten sind die Wanyamwezi vertreten, die von je die Hauptrolle unter den Karawanenleuten spielten.

Die Spracharbeiten, die Missionar Price begonnen und Beverley in neuester Zeit fortgesetzt hat, stecken noch vielfach in den Anfangsschwierigkeiten, Vom Neuen Testament ist wenigstens ein Teil übersetzt, die Evangelien und einige Episteln. Außerdem gibt es ein Liederbuch in Kigogo und andere kleine Sachen. Auch damit wird eine Saat auf Hoffnung ausgestreut. Mehr als anderswo, müssen sich die Glaubensboten in Mamboia, Mpapua und Kisokwe in der Geduld üben und sich an den Trost halten: "Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfange den Morgenregen und Abendregen. Seid ihr auch geduldig und stärket eure Herzen." Jak. 5, 7. Ihre Brüder in Uganda, deren ehemalige Wegstationen sie besetzt halten, sammeln bereits ungezählte Garben ein. Wann wird die Zeit kommen, wo auch sie ernten dürfen ohne Aufhören?

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Die Berliner Mission im Küstengebiet

1. Der Beginn in Sturm und Drang

ls im Jahre 1884 der Grund zu den deutschen Erwerbungen in Ostafrika gelegt war, gingen die Wogen der politischen Bewegung bei uns sehr hoch. Auch die Missionskreise blieben nicht unberührt davon. Begeistert kehrten einige Pfadfinder der Kolonialpolitik aus Ostafrika zurück; sie traten mit zündenden Worten in die kirchlichen Kreise Berlins und riefen zu neuen Missionsunternehmungen auf. Ihre Reden waren vielleicht nicht ganz frei von Schwärmerei und zeugten auch nicht gerade von einem eingehenden Studium der bisherigen ostafrikanischen Mission, aber das Erfreuliche an ihnen war, dass sie von einer Kolonisation der neuen Gebiete ohne Christentum nichts wissen wollten. Ihr Ruf verhallte nicht ungehört. Die kirchlich Gesinnten unter den Kolonialfreunden nahmen den Gedanken auf und ließen es sich angelegen sein, mit den kolonisatorischen Bestrebungen auch christliche zu verbinden. Je länger je mehr wuchs in ihnen die Neigung selbständig vorzugehen.

Man fragt sich, warum nicht eine der alten Missionsgesellschaften, deren Deutschland damals zwölf besaß, die Sache in die Hand nahm. Es fehlte an dringenden Anfragen und Bitten bei ihnen nicht. An maßgebender Stelle war man sich auch völlig darüber klar, dass die Erwerbung der Kolonialgebiete ein Auftun neuer Pforten für die Heidenmission bedeute und dass es die Aufgabe deutscher Missionare sei, diejenigen Gebiete zu übernehmen, die von den in unserm Gebiet wirkenden englischen Glaubensboten unbesetzt geblieben waren. D. Warneck, der Leiter der einflussreichsten deutschen Missionskonferenz, erwarb sich das Verdienst, diese Gedanken in die weitesten Kreise zu tragen und das deutsche Volk zu neuen Missionsopfern aufzurufen. Er betonte dabei freilich auf Grund seiner Studien und Erfahrungen, dass es unklug wäre und nur zu einer Zersplitterung der Kräfte führe, wenn man zur Bewältigung der neuen Aufgaben neue Missionsgesellschaften gründen wollte. Die alten Gesellschaften wiederum, zumal Berlin I und Leipzig, verhielten sich keineswegs ablehnend zu den auftauchenden Plänen, nur mochten sie nichts übereilen. Die Verhältnisse in Ostafrika waren noch so verworren und der deutsche Besitz in seinen Grenzen noch so wenig festgelegt, dass es nicht ratsam schien, eilig vorzugehen. Die Folgezeit hat ihr Zaudern in mehrfacher Hinsicht gerechtfertigt. Der bald ausbrechende Buschiriaufstand fügte den jungen wie den alten Missionsunternehmungen empfindlichen Schaden zu, die später folgenden Grenzabmachungen aber brachten neue Verlegenheiten. In Bayern hatte man z. B. in der ersten Begeisterung einen Missionsverein gegründet, der den ausgesprochenen Zweck verfolgte, in den neuen deutschen Gebieten Mission zu treiben. Er erwählte das Land der Wakamba im Hinterland von Mombasa. Aber kaum hatten sich seine ersten Sendboten unter diesem Volk niedergelassen, als die deutsch-englische Grenzregulierung erfolgte. Dabei wurde zu ihrer peinlichen Überraschung Ukamba den Engländern zugesprochen, unter deren Regiment es mit der damals angelegten lutherischen Mission noch heute steht.

Man kann also das Zaudern der alten Missionsgesellschaften nicht ungerechtfertigt finden. Die oben erwähnten Freunde der Kolonialpolitik aber verstanden ihr Zögern nicht. So kam es zur Gründung einer neuen selbständigen Gesellschaft, der evangelischen Missionsgesellschaft für Deutsch - Ostafrika, die, weil sie ihren Sitz in Berlin nahm und die dritte am Orte war, den abgekürzten Namen Berlin III empfing.

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Berlin III

Die neue Vereinigung, in der neben Männern, wie Graf A. Bernstorff und Pastor Diestelkamp auch Frauen mit raten und taten wollten, kam längere Zeit zu keiner klaren Entscheidung über die einzuschlagenden Wege. Die einen, und das waren wohl hauptsächlich die Frauen, wünschten in erster Linie Krankenpflege zu treiben und damit im mohammedanisch-heidnischen Lande einen kräftigen Tatbeweis für die Herrlichkeit des Christentums zu liefern. Andere stellten die geistliche Pflege der deutschen Beamten und Kolonisten in den Vordergrund, während von dritter Seite doch auch die Notwendigkeit der direkten Bekehrungsarbeit an den Eingebornen betont ward. Wäre eine der größten und leistungsfähigsten Missionsgesellschaften damals in die Arbeit getreten, so hätte diese sich vielleicht den so verschiedenen Aufgaben gewachsen gezeigt, vorausgesetzt, dass sie auf alles dies eingegangen wäre. Die junge Gesellschaft aber bekam bei den vielseitigen Anforderungen, die sie selbst herbeigerufen hatte, einen schweren Stand. Sie konnte weder die erforderlichen Mittel, noch die nötigen Männer auftreiben und sah sich in der Folgezeit genötigt, von einigen der gewählten Arbeiten freiwillig zurückzutreten. Zuerst von der Krankenpflege, die von der Regierung übernommen wurde. Ein Teil der Frauen, die bei der Gründung der Missionsgesellschaft beteiligt waren, ging bald eigene Wege und rief den "Frauenverein für Krankenpflege in unsern Kolonien" ins Leben, der heute die Krankenhäuser in allen unsern Schutzgebieten mit Pflegerinnen versorgt. Auch die geistliche Versorgung unser Landsleute ist nach und nach zu einem selbständigen Amte unter der Leitung des preußischen Oberkirchenrats geworden, sodass sich die Missionsgesellschaft je länger je mehr auf die Ausbreitung des Evangeliums unter den Eingebornen beschränkte. Im Anfang aber wurden, wie gesagt, alle drei Aufgaben in Angriff genommen.

Auch die enge Verbindung mit den kolonialpolitischen Kreisen wurde allmählich aufgegeben. Bei diesen trat bald das Bestreben hervor, die Missionsleute in den Dienst der Politik zu stellen, ein Weg, der schlechterdings ungangbar ist für die Diener des Herrn, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Auf die Tage der ersten Begeisterung folgte eine Zeit der Klärung und Scheidung. Die Männer, die die Geschäfte der Missionsgesellschaft führten, hatten da zuweilen keinen leichten Stand. Kein Wunder, dass die Personen oft wechselten. Zuerst stellte man den erfahrenen "Afrikaner" Dr. Büttner an die Spitze, der aber bald einem früheren indischen Missionar P. Beyer Platz machte. Ihm folgte P. Winkelmann, von dem die Geschäfte vorübergehend auf einen früheren Missionar der Gesellschaft übergingen, bis der jetzige Missionsinspektor Lic. Trittelvitz die Leitung übernahm.

Um die erforderlichen Missionare zu gewinnen, klopfte der Vorstand an verschiedenen Türen an. Er wandte sich an die alte Berliner Missionsgesellschaft und erhielt von dieser die Zusage, dass sie wohl einige der in ihrem Seminar ausgebildeten Zöglinge überlassen würde, falls sie entbehrt werden könnten. Von dort ist auch tatsächlich ein tüchtiger Mann gekommen, Missionar Krämer, von dem später ausführlicher geredet werden wird. Weiter ging man an die Pilgermissionsanstalt St. Chrischona bei Basel, die seit langer Zeit Beziehungen zu Ostafrika hatte. Sie stellte ihren erfahrenen Missionar Greiner zur Verfügung, einen Schüler des Waisenhausvaters Schneller in Jerusalem, der bereits in Ägypten und Abessinien tätig gewesen war. Aber diese wenigen Männer, so tüchtig sie auch waren, genügten bei weitem nicht für die Größe der Ausgaben, die man sich gestellt hatte, zumal da das ostafrikanische Klima so sehr an der Kraft des Europäers zehrt, dass auch der tüchtigste Mann nur halbe Arbeit verrichten kann. In dieser Verlegenheit wurde Pastor von Bodelschwingh in Bethel bei Bielefeld um Hilfe angegangen. Er sollte aus seinen weitverzweigten Anstalten Diakonen, Diakonissen und Missionare abgeben. Der liebeseifrige Mann, der nichts lieber tut, als den Elenden aus ihrer Not zu helfen, sagte seinen Beistand zu, Diakonen und Diakonissen, wie sie für die Krankenpflege in Ostafrika gerade gebraucht wurden, standen bei ihm in größerer Zahl zur Verfügung, sodass sie sogleich ausziehen konnten. Und auch für Missionare hat er seitdem immer Rat geschafft. Bei seinen guten Verbindungen mit den kirchlichen Kreisen in Norddeutschland fiel es ihm nicht schwer, junge Theologen in das Kandidaten-Konvikt von Bethel zu ziehen, um sie hier durch wissenschaftliche Studien und praktische Tätigkeit in den Kranken- und Pflegehäusern der Anstalt für den Dienst in Ostafrika vorzubereiten. Fast sämtliche Missionare, die wir auf den nachfolgenden Blättern kennen lernen werden, sind durch diese Vorschule gegangen.

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Sansibar

Sehen wir nun, wie die Arbeit auf dem Missionsgebiet begann. Sämtliche alte und neue Unternehmungen in Ostafrika hatten damals noch ihren Ausgangspunkt in Sansibar, dessen Sultan Said Bargasch den Europäern dabei behilflich war, wenn auch nur notgedrungen. Mit Missionsanstalten war aber die Insel durch die Universitäten-Mission schon genügend versorgt. Für deutsche Missionsarbeit war also kein Platz mehr. So musste man sich hier auf die Krankenpflege beschränken. Dafür schien aber auch Sansibar der allergeeignetste Ort zu sein. Die von der Seeluft umwehte Insel ist gesünder, als irgendein Platz an der Küste. Hier lief der ganze Schiffsverkehr von den Küstenplätzen zusammen. Obendrein hatte man hier die größte Sicherheit für Leben und Eigentum. Kurz, viele günstige Umstände kamen zusammen, um Sansibar als den gegebenen Ort für ein deutsches Krankenhaus erscheinen zu lassen. Die erste Schwester, die in den Dienst der Missionsgesellschaft trat, war Marie Rentsch, eine in der Krankenpflege bewährte Kraft. Sie wurde am 30. Mai 1887 in der Elisabethkirche zu Berlin eingesegnet und kam am 20. Juli in Sansibar an. Dort fand sie bei Farbigen und Weißen die freundlichste Aufnahme, besuchte die Kranken, nahm eingeborne Kinder in ihr Haus und gewann in hohem Grade das Vertrauen der Schwarzen. Ein Vierteljahr später gesellte sich Schwester Aug. Hertzer aus dem Königsberger Diakonissenhause zu ihr. Nun ging man an die Einrichtung eines Hospitals, in welchem die "Deutsch-ostafrikanische Gesellschaft" alle ihre erkrankten Angestellten unterzubringen versprach. Mit Hilfe des Generalkonsuls mietete man das einem Goanesen gehöriges Haus in der Stadt, das Ende April 1888 eingeweiht werden konnte. Bald darauf lagen alle Zimmer voll von Kranken, sodass die Pflegekräfte kaum ausreichten. Weil infolge des immer wachsenden Zuzugs von Patienten auch der Raum eng wurde, kam man auf den Gedanken, eine leichtgebaute Baracke von Deutschland kommen zu lassen und auf dem platten Dache aufzustellen. Das konnte aber doch nur als Notbehelf gelten. Daher suchte man nach einem geeigneten Bauplatz draußen am Meer. Bald war ein solcher gefunden, der für ein neues Krankenhaus und eine daneben zu erbauende Kirche groß genug war, und vom Sultan auf 100 Jahre gemietet ward. Als jährlicher Mietzins sollten ihm 200 Dollars gezahlt werden, auf die er aber später aus Freude über eine im Krankenhause eingerichtete Poliklinik für Araber und Neger verzichtete. Wenn wir hören, dass im ersten Jahre etwa 1.000 Patienten behandelt wurden, so ist daraus zu ersehen, dass die Krankenpflege nicht nur den deutschen Landsleuten, sondern auch den Eingebornen zu Gute kam. In der Heimat fand der Aufruf zu einer Sammlung für den Krankenhausbau an vielen Orten einen freudigen Widerhall. Als der schöne Plan aber eben zur Ausführung kommen sollte, traten politische Ereignisse dazwischen. Der Buschiriaufstand war durch von Wissmanns kraftvolles Vorgehen niedergeschlagen. Im Zusammenhang damit geschah die Auseinandersetzung über die deutschen und englischen Ansprüche an der Küste. Dabei wurde Sansibar endgültig unter das Protektorat Englands gestellt, Deutschland aber erhielt freie Hand über das Festland von der Küstenstadt Wanga im Norden bis zur Rowuma-Mündung im Süden, Nun konnte man sich nicht zu einem großen Krankenhausbau auf dem englischen Sansibar entschließen. Dar-es-Salaam war als Hauptstadt für die deutsche Küste ersehen und dahin verlegte man den Bau des Hauses. Hier hatten sich aber inzwischen traurige Dinge abgespielt, bei denen auch die Missionsgesellschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Am 16. Juni 1887 war der erste Missionar der Gesellschaft, Johann Jakob Greiner aus Baden, mit seiner Frau und einer jungen Nichte Marie Fingerlin in Sansibar angekommen und bald darauf nach Dar-es-Salaam weitergereist. Damals bestand der Dampferverkehr zwischen beiden Orten, der heutzutage die Überfahrt in wenigen Stunden bewerkstelligt, noch nicht. Man musste sich mit den elenden Segelbooten der einheimischen Schiffer begnügen. Auf einer solchen Dhau lernte Greiner mit den Seinen alle Widerwärtigkeiten der ostafrikanischen Küstenfahrt kennen. Der gerade herrschende Südwestmonsum ließ das Fahrzeug kaum von der Stelle kommen. Nach langen Irrfahrten ward am vierten Tage endlich eine Stelle entdeckt, wo man landen konnte. Dar-es-Salaam sollte von hier nur noch einige Stunden entfernt sein. Darum beschlossen die Missionsgeschwister, zu denen sich ein Beamter der Deutsch - ostafrikanischen Gesellschaft gesellt hatte, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen. Sie sahen sich aber furchtbar enttäuscht. Die Entfernung war drei oder viermal so groß, als man ihnen gesagt hatte. Von einem ordentlichen Wege war keine Rede. Sie mussten bald durch Sümpfe und hohes Gras waten, bald sich durch Gesträuch und dichtes Gestrüpp hindurchwinden. Wären sie alle munter gewesen, so hätte es noch gehen mögen. Aber der junge Mann, der sich den Missionsleuten angeschlossen, hatte Fieber bekommen und musste von vier Eingebornen auf einer Tragbahre transportiert werden. So überraschte die Nacht unsre kleine Reisegesellschaft. Was nun tun? Man hatte kein Reisezelt für die kurze Seefahrt mitgenommen, und in der Wildnis ohne ein solches zu übernachten, wäre Vermessenheit gewesen. So baten sie in einem der kleinen Stranddörfer um ein Nachtlager, das sie auch erhielten; es fiel freilich hart und dürftig genug aus. Am nächsten Morgen gab es noch vier Stunden zu marschieren. Gegen Mittag des fünften Tages lag endlich Dar-es-Salaam vor ihnen. Auch für Frau Greiner, die sich auf den ungebahnten Wegen die Füße wund gelaufen hatte, war auf diesem letzten Teil der Reise eine Traggelegenheit beschafft worden, sodass der erste Missionar für Dar-es-Salaam recht kleinlaut an seinem Bestimmungsorte eintraf. Erst als die Eingebornen den Reisenden mit vielen freundlichen Jambo-Grüßen entgegentraten und das sogenannte Usagarahaus der Ostafrikanischen Gesellschaft ihnen seine gastlichen Pforten öffnete, konnten sie die soeben erlittenen Mühsale und Gefahren vergessen. 

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Daressalam

Dar-es-Salaam ist durch seine natürliche Lage - es hat den schönsten Hafen an der deutschen Küste - zu einem Stütz-« Punkt für die auf das Innere des Landes gerichteten Bestrebungen wie geschaffen, sein Name aber verlockt geradezu zur Anlage einer Missionsstation. Er bedeutet "Stätte des Friedens". Kann es eine passendere Bezeichnung für einen Missionsplatz geben? Der Ort glich bei Greiners Ankunft einem Kinde, das gerade vom Schlaf erwacht. Die Führer der Kolonialbewegung hatten die ganze Küste gegenüber Sansibar abgesucht und hier endlich gefunden, was sie brauchten. Zwischen Korallenriffen, die die Macht der Brandung brechen, öffnet sich die schmale Einfahrt zum Friedenshafen. Zwei mit Palmen bestandene vorspringende Halbinseln verdecken dem Seefahrer das Hafenbecken, bis er unmittelbar in dasselbe einläuft. Es ist so weit und tief, dass eine ganze Menge der größten Dampfer hier gleichzeitig vor Anker gehen kann. Die günstige Lage hatte schon vor der deutschen Besitzergreifung die Blicke auf sich gezogen. Ein früherer Sultan von Sansibar, der sich auf seiner Insel nicht recht wohl fühlen mochte, gedachte Dar-es-Salaam zu seiner Residenz zu machen. Er hatte ganze Scharen von Bauleuten geschickt, um einen glänzenden Palast zu errichten. Zugleich war ein englischer Ingenieur gekommen und hatte in seinem Auftrage eine breite Straße durch Usaramo zu bauen begonnen. Da war der Herrscher plötzlich gestorben, und sein Nachfolger ließ die Pläne fallen. An die Stelle des lebhaften Bauens und Treibens trat wieder die Friedhofsstille. Der Bau verfiel und auf der Mackinonstrasse wuchs das Gras. So fanden unsere Landsleute den Ort im Jahre 1885. Sie fingen an, den Schutt hinwegzuräumen und sich häuslich einzurichten. Generalsekretär Leue, der Bevollmächtigte der Ostafrikanischen Gesellschaft, besorgte mit einigen andern deutschen Männern die Angelegenheiten der neuen Kolonialverwaltung. Ihm gelang es, mit dem Wali (Statthalter) und dem Kadi (Richter) von Dar-es-Salaam, die noch als Untergebene des Sultans galten, in ein leidlich gutes Verhältnis zu kommen und den nicht gerade zahlreichen Bewohnern der Stadt klar zu machen, dass eine neue Zeit für sie gekommen sei, was nicht zu ihrem Schaden sein sollte, wenn sie sich freundlich zu den Ankömmlingen stellen würden.

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Daressalam um 1900

Unter solchen Verhältnissen trat unser Missionar ein. Seine erste Aufgabe war der Bau einer gefunden Wohnung. Greiner besah sich die Grundstücke in der Nähe der Stadt und fand bald einen Platz, der sich zur Anlage einer Missionsstation trefflich eignete. Es war die nördlichste der beiden Halbinseln zwischen Hafen und Meer. Ein Teil davon gehörte einem Araber und war schon zu einer Schamba (Pflanzung) benutzt; das Übrige lag unbebaut da, aber das Land war fruchtbar und die Lage wegen des Seewindes so gesund, als sie in Dar-es-Salaam nur überhaupt gefunden werden konnte. Nach umständlichen Verhandlungen ward die ganze mit Palmen und mächtigen Affenbrotbäumen bestandene Spitze der Halbinsel an die Mission übergeben. Greiner legte ihr den Namen "Immanuelskap" bei und ging sogleich daran, unter den Palmen eine Stätte zu errichten, wo das Wort Gottes den Christen, Mohammedanern und Heiden gepredigt werden könnte.

Der Hausbau, der ganz in seinen Händen lag, brachte selbst für den an afrikanische Verhältnisse gewöhnten Mann unsäglich viel Mühe und Verdruss mit sich. Zunächst war er der Landessprache noch nicht mächtig und musste den Eingebornen alles durch einen Dolmetscher sagen lassen. Der von Sansibar gekommene Zimmermann verstand sich nicht auf die Handhabung europäischer Werkzeuge und die Suahelimaurer waren arbeitsscheue Gesellen. Bald musste Greiner Anweisung zum Behauen der Balken geben, bald die in Unordnung gekommene Brettersäge wieder einrichten. Hier galt es Kalk aus Korallensteinen zu brennen, dort eine Schiffsladung mit Bausteinen schnell aufzukaufen, bevor die schlauen indischen Händler das wertvolle Material an sich brachten, um es nach einigen Stunden mit hohem Profit an ihn weiter zu verhandeln. Kurz, trotz der günstigen Lage am Meer hatte der Missionar fast dieselbe Mühe vom Bau, wie in irgend einer einsamen Gegend Innerafrikas.

Zu der Arbeit kam bald viel Krankheit. Zuerst bei seiner Frau und ihrer jungen Gehilfin. Das böse Fieber ward ihr täglicher Gast. Europäische Pflegerinnen gab es damals in Dar-es-Salaam noch nicht, so blieb dem guten Manne, wenn er todmüde von des Tages Last und Hitze nach Hause kam, nichts übrig, er musste die kranke Frau und Nichte Pflegen. Glücklicherweise hielt seine Gesundheit lange Stand. Später hat er freilich auch viele Fieberanfälle zu bestehen gehabt, ganz zu schweigen von den Beulen und Geschwüren, die seine Glieder bedeckten. Als das geschah, lag aber schon nicht mehr alle Arbeit auf seinen Schultern; die Missionsgesellschaft schickte gegen Ende des Jahres 1887 den Lehrer Gobau Desta, der früher mit ihm in Abessinien gewesen war, und den Diakon Karpinski zu seiner Unterstützung. Sie haben bei der Weiterführung des Baues und der Urbarmachung des Grundstücks wacker geholfen.

Inzwischen hatte auch die geistliche Arbeit begonnen. Zuerst unter den deutschen Landsleuten. Eine der ersten Amtshandlungen, die Greiner unter ihnen zu vollziehen hatte, war das Begräbnis des Baumeisters Wolff, eines treuen und gewissenhaften Mannes, der im Auftrag der Ostafrikanischen Gesellschaft stand. Unser Missionar übernahm selbstverständlich die Pflicht, bei dem feierlichen Begräbnis, an dem sich alle weißen und schwarzen Bewohner der Stadt beteiligten, die Überlebenden auf den Ernst des plötzlichen Todesfalls hinzuweisen. So ward er ungesucht zum Seelsorger seiner Landsleute, für die er nach Fertigstellung seines Hauses in regelmäßigen Zwischenräumen deutsche Gottesdienste abhielt. Leider war die Beteiligung oft ganz gering, so sehr sich auch die Zahl der Deutschen mit jeder neuen Schiffsgelegenheit mehrte. 

Daressalam 1906 Hafen von Daressalam

Aber die geistliche Versorgung der deutschen Landsleute war doch nur als Nebenaufgabe des Missionars zu betrachten. Sein eigentlicher Auftrag wies ihn an die Eingebornen des Landes, die Mohammedaner und Heiden. Ihnen das Wort Gottes nahezubringen, ließ er sich schon während der Bauarbeit angelegen sein. An den Wänden seiner Wohnung hingen Sprüche in arabischer Schrift. Der Wali äußerte einst bei einem Besuch sein Wohlgefallen daran und fragte auch nach arabischen Büchern. Damit konnte ihm Greiner dienen. Er brachte dem Mohammedaner ein schön gebundenes arabisches Neues Testament, aus dem der Besucher nun 1. Kor. 15 und einige andere Stellen laut vorlesen musste. Ein anders Mal kam ein vornehmer Inder und wollte von Jesu hören. Ihm ward der erste Teil der Bergpredigt vorgelesen und erklärt. Auch zu seinen Bauleuten konnte der Missionar bei Gelegenheit manches gute Wort reden. Zu einer geregelten Missionstätigkeit aber kam es zunächst noch nicht, höchstens die Erziehung einer Anzahl schwarzer Sklavenkinder konnte als eine solche bezeichnet werden. Diese Kleinen waren einem arabischen Sklavenhändler abgenommen und über Sansibar nach Dar-es-Salaam gebracht worden. Vor wenigen Wochen hatten sie noch vor der Peitsche des Sklaven« Händlers gezittert, jetzt durften sie im Missionshause den Sonnenschein der christlichen Liebe genießen. Kein Wunder, dass sie zu den Hauseltern mit inniger Dankbarkeit aufschauten. Besonders als sie ihr erstes Weihnachtsfest auf der Station erlebten, ging ihnen das Herz auf. Unter dem Christbaum, der für sie geschmückt wurde, sahen sie ihre neuen Eltern mit glänzenden Augen an. Natürlich konnten sie noch nicht recht verstehen, was an diesem Abend gefeiert ward, aber dass sie jetzt frei und glücklich waren, wussten sie alle; vielleicht ahnten sie auch etwas von der wahren Weihnachtsfreude, die allem Volke widerfahren ist, als bei den Klängen des Harmoniums das liebliche Lied ertönte: "O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit." So schön war Weihnachten noch nie in Dar-es-Salaam gefeiert worden. Nun schien der Name "Stätte des Friedens" zur Wahrheit zu werden. Die Friedensboten hofften in kurzer Zeit den Missionsacker bestellen zu können.

Da zogen aber plötzlich dunkle Wolken am Horizont auf. Im Sommer 1888 kam der Vertrag zwischen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft und dem Sultan von Sansibar zu Stande, wonach die ganze Küste des jetzigen Deutsch-Ostafrika unter die Verwaltung dieser Gesellschaft gestellt ward. Die Ausführung stieß jedoch auf unerwartete Schwierigkeiten. Die Bewohner der Küstenstadt wollten es sich nicht gefallen lassen, dass über ihre Köpfe hinweg über sie verhandelt wurde. Die Stimmung zwischen den neuen Herren des Landes und den Eingebornen, die unter dem Einfluss der Araber standen, ward täglich gereizter. Die Erregung stieg aufs höchste, als die deutsche und englische Regierung die bekannte Blockade der ostafrikanischen Küste ins Werk setzte, um dem schändlichen Sklavenhandel die Lebensader zu unterbinden. Jetzt rafften sie sich zu einem letzten Verzweiflungskampf auf. In allen größeren Küstenstädten, wo sich Deutsche niedergelassen hatten, brach der Aufruhr los, zuerst in Pangani, dann in Tanga, Kilwa u.s.w. An letzterem Orte sammelten sich 15.000 Rebellen, deren Anführer in eine Moschee zogen und den "Christenhunden" den Tod schworen. Buschiri führte die wilde Rotte an.

Gegen Ende des Jahres wurden die Bewohner der Missionsstation wiederholt durch die Nachricht erschreckt, dass die Aufständischen es auch auf ihre stille Niederlassung am Immanuelskap abgesehen hätten. Die unschuldige Ursache dazu waren die befreiten Sklavenkinder, die auf der Missionsstation untergebracht worden waren. Die Missionsgeschwister hatten sich der armen Kleinen liebevoll angenommen und nichts Arges dabei gedacht. Die Araber aber sahen mit verbissener Wut, wie die Kinder, die sie als ihr Eigentum betrachteten, im Hause dieser Europäer gehalten wurden. Die deutschen Beamten von Dar-es-Salaam waren über die Pläne der Aufständischen ziemlich genau unterrichtet und forderten schon im Oktober die Missionsleute zu erhöhter Wachsamkeit auf. Da diese noch immer am großen steinernen Missionshaus zu bauen hatten, mussten die Bauleute in die eine Hand Hammer und Mauerkelle nehmen, in die andere die Waffen zu ihrer Verteidigung. Ein Zeit lang lag beständig ein Fahrzeug unten am Meeresstrande bereit, die sämtlichen Bewohner der Station aufzunehmen. Im Dezember wurde die Lage immer ernster. Die Missionsgeschwister wurden aufgefordert, ihr Gehöft in Verteidigungszustand zu setzen oder in das Haus der Deutsch-ost-afrikanischen Gesellschaft zu kommen. Greiner zog das erstere vor, weil er die schwarze Kinderschar und das Missionseigentum nicht verlassen wollte. In dieser aufregenden Lage wurde das liebe Weihnachtsfest gefeiert. Es war schwer, in die rechte festliche Stimmung zu kommen, zumal für den Hausvater, der Flinten und Patronen zurechtlegen musste, ehe er die Christbescherung veranstaltete. Diesmal ward ein kleiner Mangobaum auf dem Hofe als Christbaum aufgestellt. Er hatte wenig Kostbares aufzuweisen; aber als die Kerzen ihr Licht auf die 80 Negergestalten warfen, die im Halbkreis umherstanden, ward es doch allen Teilnehmern recht festlich und feierlich zu Mute, zumal da zwei schon länger auf der Station wohnende schwarze Knaben die Weihnachtsgeschichte in Kisuaheli hersagten und der Missionar die Bedeutung des Festes erklärte. Als die Bescherung eben vorüber war und alles im tiefsten Frieden um den Christbaum saß, fielen draußen plötzlich einige Schüsse. Es war zwar nur ein Alarmsignal, das sich in der ganzen Nacht nicht wiederholte, aber es genügte, die Festfreude gründlich zu verscheuchen. An den folgenden Tagen verstärkten sich die Gerüchte von dem Näherkommen der Räuberbanden, sodass Greiner abwechselnd mit seinen Gehilfen die Nachtwache hielt. Eine unheimliche Stille lagerte über Dar-es-Salaam. Die Stadt schien wie ausgestorben. Als der Missionar in den letzten Tagen des Jahres einmal ins Usagarahaus ging, lief kein Hühnchen über die Straße, kein Mensch begegnete ihm. Die Eingebornen mochten wissen, was dem Orte bevorstand. Unter banger Sorge gingen die ersten Tage des Jahres 1889 hin. Glücklicherweise war ein deutsches Kriegsschiff angekommen, um den bedrohten Europäern im Notfall beizustehen. Zeitweilig schickte Greiner auch die Frauen hinüber, um sie in Sicherheit zu wissen; alle wertvollen Sachen aber wurden in das befestigte Haus der Ostafrikanischen Gesellschaft geschafft. Am 10. Januar, als man sich schon wieder etwas sicherer fühlte, brach der Sturm los. Frau Greiner, die mit ihrer Nichte ins Missionshaus zurückgekehrt war, rief plötzlich ihrem Manne zu, dass die Aufständischen auf dem Hofe wären. Diese mochten das Haus für verlassen gehalten haben; kaum aber hatten sie die Missionsleute entdeckt, als sie ein fürchterliches Kugelfeuer gegen deren Wohnung richteten. Wunderbarer Weise griff in diesem Augenblick das draußen vor Anker liegende Kriegsschiff in den Kampf ein. Eine Granate sauste über die Köpfe der Angreifer hinweg und setzte ein Wirtschaftsgebäude der Mission in Brand. Greiner erfasste den günstigen Augenblick und rief seinen Hausgenossen zu, sie möchten mit ihm hinunter an den Strand eilen. Dort lag ein gemietetes Lastboot, in welchem sich schon einer der deutschen Beamten befand. Die Mordbrenner bemerkten anfangs die Flüchtlinge nicht, weil sie das innere Gehöft durchstöberten und mit dem Wegtreiben des Viehes aus dem brennenden Gebäude beschäftigt waren. So gelangten diese glücklich ans Meer. Aber plötzlich erhob sich eine neue Gefahr. Die Revolvergeschütze des Kriegsschiffes richteten sich auf das Boot, in welchem man statt der Freunde die Aufständischen vermutete. Die Kugeln schlugen rechts und links ins Wasser. Eine ging sogar unmittelbar an Greiners Kopf vorüber, brachte seiner Nichte eine Verwundung an der Hand bei und tötete eine der befreiten Sklavinnen, die sich eben mit beiden Händen ans Boot klammerte, um auch gerettet zu werden. Wunderbarer Weise richtete der Kugelregen weiter keinen Schaden in der Missionsschar an. Auf ihr Winken erkannten die Marinesoldaten endlich ihren Irrtum und schossen nun über die Köpfe der Flüchtlinge hinweg auf die Feinde im Missionsgehöft. Wie groß der Jubel auf beiden Seiten war, als die Geretteten das deutsche Schiff bestiegen, ist unbeschreiblich. Bis auf die zerschossenen Finger bei Greiners Nichte war kein Christ zu Schaden gekommen; selbst von den Suaheligehilfen des Missionars waren einige mitgenommen worden, auch mehrere der befreiten Sklavenkinder. Die andern waren, wie sich später herausstellte, zum Teil ins Gesellschaftshaus geflohen und so vor einer erneuerten Gefangenschaft bewahrt geblieben; einem andern Teile aber war dies traurige Loos wieder zuteil geworden.

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Ev. Kirche in Daressalam um 1900

Drinnen in Dar-es-Salaam, wo die deutschen Beamten in ihrem befestigten Hause saßen und der feindlichen Übermacht trotzten, tobte der Kampf noch lange. Aber die wohlgezielten Schüsse der "Möwe" richteten große Verluste unter den Angreifern an. Leider wurde dabei auch die ganze Stadt eingeäschert. Dasselbe Schicksal traf einige Tage später das in der Vollendung begriffene Missionshaus, welches bisher ziemlich verschont geblieben war. Es verschanzten sich 50 bis 60 wohlbewaffnete Araber darin und beschossen eine Dhau der ostafrikanischen Gesellschaft, die einen kranken Kolonisten nach Sansibar bringen sollte. Um das Leben dieses Weißen zu retten, musste sich der Kommandant der "Möve" entschließen, einige Granaten in die Missionsstation zu werfen. Dadurch wurde das Wohnhaus völlig zerstört. Mit blutendem Herzen sah Greiner von Bord aus der Verwüstung zu. Die Arbeit so vieler Monate war in wenigen Stunden vernichtet; aus Dar-es-Salaam, der Stätte des Friedens ward ein Trümmerhaufen. Und doch blieb bei allem Unglück immer noch viel Grund zum Loben und Danken. Als der Hausvater auf dem Schiffe die Häupter seiner Lieben zählte, brauchte er keins zu vermissen. Als er nach einigen Tagen mit seinen Angehörigen die Brandstätte auf dem Immanuelskap besuchten, konnten sie noch immer rühmen: "Immanuel", d. i. "Gott mit uns".

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2. In Usaramo

Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, aber über dir gehet auf der Herr.
Jes. 60, 2.

Die Schreckenstage, welche Buschiri und seine Rotte über die deutsch-ostafrikanische Küste gebracht hatten, waren überstanden. Major von Wissmann, der den Aufstand niedergeschlagen hatte, kehrte hochgeehrt in die Heimat zurück. Nun galt es wiederaufzubauen, was der Krieg zerstört hatte. Als einer der ersten war Missionar Greiner am Platze. Er ließ sich die Mühe nicht verdrießen, unter den Trümmern am Immanuelskap aufzuräumen und das zusammengeschossene Missionsgehöft ebenso groß und schön wiederherzustellen. Das neue stattliche Wohnhaus erstand an derselben Stelle, wie das vorige; nur dass es mit Rücksicht auf die eben überstandenen Gefahren noch fester gebaut ward, mit dicken, massiven Mauern und kleinen Fenstern. Die Nebengebäude und eine große Mauer bildeten mit ihm zusammen ein geräumiges Viereck, so dass das Ganze einigermaßen den befestigten Klöstern des deutschen Mittelalters ähnlich ward. Greiner konnte ja beim Wiederaufbau nicht wissen, welche friedliche Entwickelung Dar-es-Salaam von nun an haben sollte. Die Stadt ist seit jenen Tagen in ungeahnter Weise aufgeblüht.

Sie wurde zum Sitz der Regierung erhoben und hat seitdem ein ganz verändertes Aussehen bekommen. Ihren Mittelpunkt bildet die Europäerstadt dicht am Hafen. Hier reiht sich ein prächtiges Gebäude an das andre: Gouvernement, Zollhaus, Offizierskasino, die Post, die katholische Kirche, das Sewa-Hadji-Hospital für Farbige u.a.m. Auch in dem sich anschließenden Stadtteil der Eingebornen sieht es besser aus, als früher. Die wohlhabenden Händler suchen es nach Kräften den Europäern gleichzutun, und selbst die Negerhütten sind hier, in der Hauptstadt des Landes, mit mehr Sorgfalt gebaut, als anderswo. Für Ordnung und Reinlichkeit auf den Straßen sorgt eine wachsame Polizei und für die Sicherheit der Bewohner die zahlreiche militärische Besatzung, Die Stadt zählt jetzt circa 16.000 Einwohner, unter ihnen nahezu 300 Europäer, Die Eingebornen sind größtenteils Wasuaheli, doch findet man auch fast alle Stämme aus dem Innern des Landes vertreten. Der Karawanenverkehr ist sehr bedeutend geworden und führt allerlei Volk hier zusammen.

Durch alles dies hat auch die Bedeutung von Dar-es-Sa-laam für die Mission zugenommen. Die Blicke der ganzen Kolonie richten sich mehr und mehr nach der Hauptstadt. Was die Besucher aus dem Innern hier sehen und hören, wird überall herumgetragen. In noch viel höherem Grade wird das geschehen, wenn die geplante Zentralbahn von Dar-es-Salaam nach dem Tanganjika-See gebaut wird. Da sollte man nun eigentlich erwarten, dass die Missionsgesellschaft ihre ganze Kraft darangesetzt hätte, auch das Evangelium hier auf den Leuchter zu stellen. Leider ist man nicht über schwache Anfänge dazu hinausgekommen. Als Greiner die Station wieder aufgebaut hatte, ward das Krankenhaus von Sansibar in sie verlegt. Jahrelang fand ein immerwährendes Kommen und Gehen von Kranken und Genesenden statt, bis die Arbeit den Missionsleuten über die Kräfte ging. Sie beantragten selbst die Übernahme der Krankenpflege seitens der Regierung. Im Frühjahr 1896 ging die Verwaltung des Krankenhauses denn auch an diese über und im Herbst 1897 wurde die ganze Tätigkeit vom Immanuelskap in das neugebaute schöne Regierungshospital verlegt. Erst jetzt also konnte das Missionshaus für seinen eigentlichen Zweck verwandt werden. Es hat ihm aber auch seitdem nur wenig gedient. Der einzige hier stationierte Missionar wurde meist durch die Seelsorge an den Deutschen in Anspruch genommen, bis auch diese Nebenarbeit in andere Hände gelegt ward. Der preußische Oberkirchenrat fasste die Gründung einer deutschen evangelischen Gemeinde in Dar-es-Salaam ins Auge und sandte im Februar 1898 den Pastor Roloff als ersten Geistlichen aus. Er wohnt und amtiert jetzt noch im Missionshause, welches der Mittelpunkt des evangelischen Lebens geblieben ist. Doch steht zu hoffen, dass die Gottesdienste bald in einer schönen Kirche gehalten werden können. Dank den Bemühungen des Gouverneurs Liebert ward ein ausreichender Baufonds gesammelt so dass im Frühjahr 1899 die feierliche Grundsteinlegung stattfinden konnte. Ein würdiges Gotteshaus als Mittelpunkt der evangelischen Gemeinde ist umso notwendiger, als die Katholiken, die mit besonderem Nachdruck in Dar-es-Salaam eingesetzt haben, bereits mehrere große Kirchen in und bei der Stadt besitzen.

Die Mission hat nun völlig freie Hand bekommen, aber wegen Mangel an Arbeitern bisher noch nicht viel ausgerichtet. Das ist umso mehr zu bedauern, weil gerade in der Hauptstadt allerlei Volk zusammenströmt. Es ist auch anzunehmen, dass viele, die nicht weiter im Lande herumkommen, die evangelische Mission nach ihren Leistungen an diesem wichtigen Punkte beurteilen werden. Missionar Cleve, der zuletzt hier wirkte, ließ sich zwar angelegen sein, auf Predigtgängen in den umliegenden Dörfern die Eingebornen mit dem Evangelium bekannt zu machen; er hatte auch die Freude, im Sommer 1898 die Erstlinge aus den Heiden zu taufen, musste aber nach kurzer Zeit aus Gesundheitsrücksichten schnell in die Heimat reisen, wodurch die Station zeitweilig ganz verwaist war. Die vier Neugetauften brachte man nach Kisserawe, einer der beiden aufblühenden Stationen, die landeinwärts von Dar-es-Salaam in Usaramo liegen.

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Kisserawe

Wer jetzt nach Kisserawe reist, findet einen für afrikanische Verhältnisse ausgezeichneten Weg. Der Ort liegt an der nach Tabora fühlenden deutschen Heerstraße. Von Zeit zu Zeit trifft man hier auf ein Rasthaus, das mit Tischen und Bänken, auch Schutzdächern für Pferde und Esel ausgestattet ist. So ist das zwischen Dar-es-Salaam und Kisserawe gelegene Neu-Helgoland beschaffen, wo die Reisenden gerne rasten und sich einige madafu, das sind unreife Kokosnüsse, bringen lassen, um die erfrischende Milch derselben zu trinken. So gut die Straße auch angelegt ist, ein Übelstand der Reise konnte bisher noch nicht beseitigt werden. Der Marsch ist gefährlich wegen der wilden Tiere, die in dem undurchdringlichen Dickicht zu beiden Seiten des Weges hausen. Bei Nacht wäre es nicht geraten, hier zu wandern. Sogar am hellen Tage kann es geschehen, dass ein Löwe über die Straße springt.

Die Landschaft wird immer schöner und freier, je weiter man in die Puguberge hinaufkommt. Bald wird der Blick auf Kisserawe oder Hoffnungshöhe, wie der deutsche Name der Station lautet, frei. Es ist ein liebliches Bild. Vor uns ein Tal, in welchem einige von hohen Bäumen beschattete Negerhütten zerstreut liegen. Im grünen Grunde der Ziehbrunnen der Mission, die auf einer mäßig ansteigenden Höhe liegt. Aus den Pflanzungen, die den Berg bedecken, leuchtet das mit einem schmucken Türmchen versehene Kirchlein herüber. Daneben stehen die beiden Missionshäuser; das alte niedrig und noch mit Gras gedeckt, wie die ersten Gebäude einer Niederlassung zu sein Pflegen, das neue groß und stattlich, im Schweizerstil gehalten und mit Wellblech gedeckt, dessen luftige Zimmer im oberen Stockwerk den Anforderungen der Gesundheit besser entsprechen, als die früher benutzten feuchten Wohnräume zu ebener Erde. Um die Station her liegt eine ganze Menge halb europäisch und halb afrikanisch gebauter Häuser, Das sind die Wohnungen der Christen, die sich an die Niederlassung der Weißen anschmiegen. Hier ist gut sein.

Den Grund zu dieser Missionsstation hat noch Greiner gelegt. Schon im Jahre 1888 hatte er eine Untersuchungsreise in das Hinterland von Dar-es-Salaam unternommen und Wohlgefallen an der Gegend und ihren Bewohnern gefunden. Das Land ist fruchtbar, vorausgesetzt, dass die Regenzeit regelmäßig wiederkehrt. Die Wasaramo sind scheu und furchtsam. Sie haben vor der deutschen Besitzergreifung eine böse Zeit durchlebt. Die tiefer im Innern wohnenden räuberischen Mafiti peinigten sie mit immer wiederkehrenden Überfällen, Das deutsche Regiment, welches Ordnung und Ruhe im Lande schaffte, war also eine rechte Wohltat für sie. Das merkte auch Greiner sogleich. Als er durch ihr Gebiet reiste und die Absicht, unter ihnen zu bauen, erkennen ließ, riefen sie aus: "Freut euch, der unser Land in Ordnung bringt, ist nun gekommen"!

Was ihn bewog, mit der Anlegung einer Station in dieser Gegend zu eilen, war hauptsächlich das Vordringen des Islam. In den Küstenstädten waren die Mohammedaner schon längst in der Mehrzahl, in den Dörfern von Usaramo aber sollte es erst noch dahin kommen. Die Jumben (Dorfhäuptlinge) waren meist schon für den Islam gewonnen, d, h. sie hatten von mohammedanischen Lehrern gelernt, wie man die erste Sure des Koran beten müsse. Das taten sie nun, wenn auch ganz mechanisch, und ohne dass die Lehre Mohammeds sonst einen Einfluss auf ihr Denken und Handeln ausübte. Aber es war unverkennbar, dass die Neigung zum Islam immer weitere Kreise ergriff. Die mohammedanischen Wanderlehrer bekamen Zulauf, namentlich von den jungen Leuten. Es war also hohe Zeit, dass das Christentum seinem Nebenbuhler zuvorkam.

Greiner beeilte sich daher, mit einigen Jumben Freundschaft zu schließen und versprach, bald wiederzukommen. Der Aufstand vereitelte aber seine Pläne vor der Hand. Erst im Jahre 1892, als die Station auf dem Immanuelskap vollendet war, kamen sie zur Ausführung. Der Jumbe Zanze von Kisserawe ging bereitwillig auf alle Wünsche ein, weniger aus Achtung und Liebe für das Christentum, als in der Hoffnung, dass sein eigenes Ansehen wachsen würde, wenn er den Weißen bei sich hätte. So entstand eine Station unter Greiners unermüdlichen Händen, Er hat hier noch eine Reihe von Jahren segensreich gewirkt, bis ihn zunehmende Kränklichkeit im Mai 1896 zum Verlassen des Ortes, wie des Missionsfeldes überhaupt zwang. An seine Stelle trat Bruder Worms und zuletzt Bruder Holst, die beide zuvor in Dar-es-Salaam tätig gewesen waren.

Kisserawe ist jetzt eine der fruchtbarsten Stationen im ganzen Küstengebiet und rechtfertigt völlig ihren schönen Namen Hoffnungshöhe. Es ist den Missionaren gelungen, das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. Die Leute fangen an einzusehen, dass die Christen ihnen den Frieden bringen, sowohl vor inneren, wie vor äußeren Feinden, Der Aberglaube und die Furcht vor bösen Geistern hat sie bisher arg geplagt. Der Hexenwahn forderte ungezählte Opfer. Überall im Lande fand man zahlreiche Kinyamkera-Häuschen, die einem vielgefürchteten weiblichen Dämon geweiht waren. Nun schwindet der finstere Aberglaube mehr und mehr; die armen Heiden fangen an, im Lichte zu wandeln, das über ihnen aufgeht, Ende 1898 waren 77 Getaufte vorhanden. Die Gottesdienste auf der Station werden fleißig besucht. Besonders schon aber gedeiht das Schulwesen. Dessen Anfänge gehen in das Gründungsjahr der Station zurück, wo Missionar Göttmann als Greiners Gehilfe einzog. Er sammelte die ersten Schüler um sich. Leider starb er schon nach zwei Jahren, sein Werk aber blieb und entwickelte sich unter seinen Nachfolgern immer besser. Die Kinder und jungen Leute kommen gern. Hin und wieder machten sie wohl den Versuch, das Lesen als eine Arbeit hinzustellen, die im Interesse der Missionare läge und also auch von ihnen zu bezahlen sei. Als aber niemand darauf einging, lernten sie auch ohne Entschädigung. In den ersten Jahren gab es nur die eine Schule bei der Station, auf die der Jumbe ganz stolz war. Nach und nach aber meldeten sich auch Schüler aus der Nachbarschaft, so dass Bruder Worms zwei weitere Schulen gründete, eine in Gogo, die andre bei Pasisumia, einem Jumben in der Nachbarschaft. Später kam noch die vier Stunden entfernte Außenstation Sungwi dazu, sodass Kisserawe jetzt schon von einem Kranze solcher Nebenstationen umgeben ist. Die Unterrichtshäuser dienen zugleich als Versammlungsorte für die Heidenpredigt. Eine Anzahl eingeborner Gehilfen unterstützt die Missionare bei der Arbeit. Der Unterricht auf den Außenstationen liegt fast ganz in ihren Händen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die christlichen Lieder, Man kann auf allen Wegen in der Umgegend singen hören: "Niede, niende, nimtazame Masiya" d. i. "Lasst mich gehn, lasst mich gehn, dass ich Jesum möge sehn!" Kisserawe hat auch schon einen Posaunen-Chor, dessen schwarze Mitglieder ihre Instrumente wacker zu handhaben wissen. Zum Gesang in der Kirche wird ein Harmonium gespielt; der Organist ist ebenfalls ein Eingeborner. Kisserawe hat eine Zeit lang die Aufgabe gehabt, Erziehungsstätte für die der Mission übergebenen befreiten Sklaven zu sein. Greiner wusste besonders gut mit ihnen umzugehen. Bei ihm paarten sich Liebe und Strenge in der rechten Weise, sodass er schon in Dar-es-Salaam von ihnen immer wie ein Vater angesehen wurde. Als er nun nach Kisserawe zog, nahm er seine Pflegebefohlenen mit und noch manche andre dazu. Er hielt die stillere Station für geeigneter zu ihrer Erziehung, als die immer unruhiger werdende Küstenstadt. Man dachte von vornherein nicht an eine Sklavenkolonie im großen Stile, wie das englische Freretown, sondern an eine beschränkte Anzahl von Pfleglingen, über deren Versorgung die Missionstätigkeit unter den umwohnenden Heiden nicht vernachlässigt zu werden brauchte. Und so ist es auch jahrelang gehalten worden. Die meisten der Pfleglinge, die fast ausnahmslos eine schreckliche Vergangenheit hinter sich hatten, waren dankbar für die erwiesene Liebe. Es fehlte allerdings nicht ganz an solchen, welchen die Zügellosigkeit des heidnischen Lebens lieber war, als die christliche Ordnung auf der Station. Diese liefen bald wieder davon, da man sie nicht mit Zwang zurückhalten mochte. Aber sie bildeten doch nur die Ausnahme. Die andern waren gleichsam die erweiterte Familie der Missionsgeschwister. Die Häuser, welche die Station umgeben, gehören den fleißigsten unter ihnen an. Die Missionare hatten wohl heute noch diese Freigewordenen unter ihrer Pflege, wenn nicht der evangelische Afrikaverein vor einigen Jahren mit dem Anerbieten an sie herangetreten wäre, eine besondere Sklavenfreistätte anzulegen. Er hat nach reiflicher Überlegung Lutindi an den südlichen Berghängen von Usambara dafür gewählt und mit Hilfe einiger Diakonen aus Bielefeld dort ein trauliches Heim für ehemalige Sklaven eröffnet. Wir werden es noch näher kennen lernen, wenn wir die Stationen von Berlin III in der Schambalai besuchen. Als diese Freistätte eröffnet wurde, gingen diejenigen Freigelassenen von Kisserawe, die noch Heiden waren, dahin über. Die inzwischen getauften blieben der Missionsstation treu.

Dass sich die Missionare in Kisserawe auch das leibliche Wohl und das Fortkommen ihrer Pfleglinge angelegen sein lassen, ist selbstverständlich. Die Anwesenheit einer europäischen Familie und ihres Haushalts übt schon ganz von selbst einen sittigenden und erzieherischen Einfluss auf die Neger aus, es fehlt aber auch nicht an bewussten Kulturbestrebungen. Hierher ist besonders der Handarbeitsunterricht zu rechnen, den ein Bielefelder Diakon den Eingebornen unter dem großen Mangobaum vor der Station erteilt. Es wird meist Zimmerei und Tischlerarbeit getrieben, damit die zu einem bessern Hausbau nötigen Fertigkeiten im Volke Verbreitung finden. Der Jumbe Zanze verweilt bei seinen Besuchen auf der Station am liebsten vor dieser Werkstätte im Freien und sieht staunend dem Sägen, Hobeln und Hämmern zu. "Hier ist es wie in Uleia" (Europa), sagt er dann und ist stolz, dass solches in seinem Machtbereich geschieht. Auch zur Sparsamkeit werden die Eingebornen angehalten. Missionar Holst hat eine Zwangssparkasse für die Christenkinder eingerichtet. Er behält regelmäßig einige Pesa vom Arbeitslohn zurück, die er ihnen später bei der Heirat zusammen auszahlt.

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Maneromango

Ein andrer Lichtpunkt im dunkeln Usaramo ist das zwei Tagereisen südwestlich von Kisserawe gelegene Maneromango. Der Weg dorthin führt über die obenerwähnte Außenstation Sungwi. Das ist ein stattliches Dorf mit etwa 40 Hütten, wo der schwarze Lehrer Stefano stationiert ist, einer der tüchtigsten Missionsgehilfen aus den Eingebornen. Er hat eins von den befreiten Sklavenmädchen geheiratet, die von Greiner erzogen wurden, und in ihr nicht nur eine gute Hausfrau, sondern auch eine tüchtige Gehilfin bei seiner christlichen Arbeit gefunden. Seine Stellung im Dorfe ist nicht leicht. Während der frühere Häuptling, auf dessen Veranlassung die Schule gegründet ward, der Mission zugetan war, ist der jetzige ein Mohammedaner, der als Lehrer und Verbreiter des Islam dem Stefano alle möglichen Hindernisse in den Weg legt. Dieser aber läßt sich nicht werfen. Mit Hilfe von christlichen und mohammedanischen Schriften, die ihm die Missionare verschafft haben, verteidigt er den neuen Glauben mutig und geschickt. Seine Schule hält er in gutem Stande. Die Schüler der ersten Abteilung können fließend lesen und leisten auch im Schreiben und Rechnen Tüchtiges, vor allem aber sind sie in der biblischen Geschichte bewandert. Im Schulhaus, dem ein kleines Brüderstübchen für den Besuch der Missionare angebaut ist, werden auch die täglichen Andachten und die Sonntagsgottesdienste gehalten. Stefano nimmt in den letzteren regelmäßig die Stelle des Predigers ein, wenn nicht gerade ein Missionar auf einer Predigtreise zugegen ist.

In Maneromango, das erst seit 1895 besteht, ist noch alles im Werden. Der Missionsplatz ist zum Schutze gegen Panther, Hyänen und Löwen mit einem hohen Palisadenzaun umhegt. Als Wohnhaus dient zur Zeit ein bescheidenes einstöckiges Gebäude, als Kapelle sogar ein noch einfacheres, von allen Seiten offenes Bauwerk, Die Leute sind aber bereits dabei, eine schöne Steinkirche zu bauen. Das Baumaterial ist infolge eines Aufrufs zusammengekommen, den Pastor von Bodelschwingh zur Linderung der letzten Hungersnot in ganz Deutschland verbreitete. Er bat da um "Brot für Steine", d. h. Almosen, mit deren Hilfe den hungernden Wasaramo Nahrungsmittel gegeben werden sollten, wenn sie dafür Steine zum Kirchenbau zusammentragen wollten. Die Zahl der Getauften ist natürlich noch gering, aber an Taufbewerbern fehlt es nicht. Am letzten Weihnachtsfest meldeten sich acht zu gleicher Zeit an, darunter zwei Häuptlingssöhne. In der Schule lernten zu dieser Zeit 49 Kinder, Die Umgegend ist sehr bevölkert. Zahlreiche kleine Dörfer liegen rings um Manermango im Gebüsch zerstreut.

Aus der jungen Geschichte der Station mögen zwei Einzelzüge hier Erwähnung finden, ein fröhlicher und ein trauriger. Zuerst eine Schilderung des Weihnachtsfestes aus der ersten Zeit. Die Schüler hatten sich schon lange auf das Fest gefreut. Kurz vor dem heiligen Abend zogen sie mit Äxten in das Kondetal, um einen Christbaum zu suchen. Zwei von ihnen hatten schon früher in Dar-es-Salaam mit Weihnachten gefeiert und wussten also ein wenig Bescheid. Der Baum, den sie brachten, hatte zwar nicht viel Ähnlichkeit mit unsern Weihnachtstannen; er war auch nicht regelmäßig gebaut. Als ihm aber einige Zweige zur Vervollständigung eingefügt waren, ließ er sich doch verwenden. Nachdem er vollends mit Schmuck behängt und mit Kerzen besteckt war, staunten die Knaben der Station und die Leute, die aus der Nachbarschaft gekommen waren, über seine Schönheit.

Die Feier am heiligen Abend fand im Wohnzimmer des Missionars - damals Bruder Peters - statt. Dabei wurden Weihnachtslieder in Kisuaheli gesungen, weil solche in der Muttersprache der Eingebornen noch nicht vorhanden waren. Mit dem Gesange von "Großer Gott, wir loben dich" begann das Fest, worauf der Missionar die Weihnachtsgeschichte vorlas und den Erschienenen sagte, dass auch für die Wasaramo der Heiland geboren sei und dass Gott die Glaubensboten ins Land gesandt habe, dem Volke diese Botschaft zu bringen. Nun stimmten alle an "Vom Himmel hoch da komm ich her". Dann folgte die Bescherung. Jeder Knabe erhielt unter anderem eine kleine Mundharmonika; die schien ihnen besondere Freude zu machen. Am Morgen des ersten Feiertags lud die vom Kindergottesdienst der Himmelfahrtskirche in Berlin geschenkte Glocke das Volk von Maneromango zum Gottesdienst. Es folgten aber nur wenige von den umwohnenden Heiden ihrem Rufe. Auch diese Wenigen kamen noch zögernd und furchtsam. Ein Glück, dass der als Predigtstätte dienende Raum von allen Seiten offen war. In ein geschlossenes Zimmer wären sie zu jener Zeit noch nicht gekommen, aus Furcht, von den Weißen ergriffen und nach Uleia verkauft zu werden, wie Böswillige ausgestreut hatten. So armselig der Predigtplatz auch war, das herrliche Evangelium leuchtete auch hier in seiner ganzen Klarheit. Am Nachmittag besuchte der Missionar zwei kleine Dörfer in der Nachbarschaft.

In Lukoma fand er eine Anzahl willige Hörer, in Mhasimu aber nur einige Frauen, die nicht näher kommen wollten. Er musste sich damit begnügen, mit seinen Begleitern Weihnachtslieder zu singen, die sie von ferne hörten.

So stand es im Jahre 1896. Seitdem hat sich die Station ohne Zwischenfall entwickelt. Die Eingebornen sind immer zutraulicher geworden. Sie schicken ihre Kinder - Knaben und Mädchen -ins Missionshaus und verkehren auch selbst ohne alle Scheu mit den Missionsgeschwistern. Ihre Kranken und Gebrechlichen werden mit erbarmender Liebe aufgenommen und denen, die Unrecht leiden, wird so viel als möglich zu ihrem Recht verholfen.

In den letzten Jahren war die Station vom Missionar Worms und seiner Frau besetzt, die sich beide trefflich auf die Behandlung der Eingebornen verstanden. Leider wurde der tüchtige Mann schon nach kurzem Wirken durch einen schnellen Tod abgerufen. Sein Heimgang war tief ergreifend. Er hatte bereits längere Zeit über Mattigkeit geklagt, die wohl von unbeachtet gebliebenen Fieberanfällen herrühren mochte. Eines Sonntags konnte er den gewohnten Predigtgang nicht unternehmen. Am nächsten Tage stellten sich die Vorboten ernsterer Erkrankung ein, aber er hielt doch noch die Vorbereitung zum heiligen Abendmahl mit den Getauften. In der Nacht verschlimmerte sich sein Zustand sichtlich. Das lebensgefährliche Schwarzwasserfieber brach aus. Der Kranke sah seinen Tod ganz klar kommen und sagte zu seiner Frau: "Dies ist das letzte Mal; ich weiß es, der Herr hat meine Tage gezählt, er ruft mich heim. Wir wollen alles ordnen." Er bezeichnete darauf den Platz, wo er beerdigt sein wollte, und ordnete auch an, dass recht viele Steine auf das Grab gelegt werden sollten, wegen der Hyänen. Es wurde ihm nicht schwer, aus dem Leben zu scheiden; aber das bekümmerte ihn, dass seine Sprachstudien in Kisaramo, worin er Hervorragendes geleistet hatte, nun liegen bleiben mussten. Er sprach in der Fieberhitze zumeist in dieser Sprache, in der er den Heiden gepredigt hatte, so dass ihn seine arme Frau immer wieder bitten musste, doch deutsch mit ihr zu reden. Am Dienstag Abend feierten sie noch das heilige Abendmahl miteinander. Während der folgenden drei Tage hatte der Kranke viel zu leiden. Schmerzen und Unruhe ließen ihn nicht liegen, so dass er angstvoll zum Herrn rief. Dazwischen tröstete er wieder seine Lebensgefährtin mit den Worten: "Gott wird's machen, dass die Sachen gehen, wie es heilsam ist." So kam der letzte Tag, der Freitag vor Palmarum herbei. Nachmittags traten die schwarzen Kinder herein und sangen mit ihrer bekümmerten Pflegemutter ein Trostlied. Unter den letzten Worten des Segens schlummerte der Kranke sanft ein.

Wie schwer das alles für die einsame Missionarsfrau war! Das Schwerste aber kam noch. Bei der Entfernung von Kisserawe war nicht vor Montag auf das Eintreffen eines der dortigen Brüder zu rechnen. Der Sterbende hatte ausdrücklich eine frühere Benachrichtigung derselben abgelehnt. So musste die schwer geprüfte junge Witwe selbst das Grab abmessen und bis in die tiefe Nacht hinein den Sarg zimmern helfen. Dann blieb sie einige Stunden mit dem teuren Leichnam allein. Am nächsten Morgen schmückte sie den Sarg mit Blumen und das Grab mit Palmen. Nun ging es ohne geistlichen Beistand zum Begräbnis. Die Schwarzen trugen und sangen, sie selbst sprach die Gebete. So entstand das erste Missionsgrab in Maneromango. Möge aus diesem Weizenkorn eine reiche Lebenssaat hervorgehen!

Die ostafrikanische Mission hat in Bruder Worms einen ausgezeichneten Mitarbeiter verloren. Er war einer der erfahrensten Sendboten der Berliner Gesellschaft. Nach seiner im Jahre 1890 erfolgten Aussendung wirkte er zuerst als Krankenpfleger in Sansibar, später als Hausvater im Krankenhause zu Dar-es-Salaam. Von 1893 an war er fünf Jahre lang in Kisserawe, tätig, bis er 1898 Maneromango übernahm. Er war eine besonders innige, tief und ernst angelegte Natur; ein Mann von seltener Treue und Hingebung an seinen Beruf. Für Spracharbeiten hatte er eine hervorragende Gabe. Die deutsch-ostafrikanische Zeitung teilte nach seinem Tode mit, dass er 14 Sprachen beherrscht habe. Welchen Wert ein solcher Mann für die grundlegenden Arbeiten auf einem neuen Missionsfelde hat, ist leicht zu ermessen. Man wird schwerlich bald einen Ersatzmann für ihn finden. Der Ertrag seines Lebens aber bleibt unverloren. Andere werden auf dem Grunde weiter bauen, den er gelegt hat.

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Plagen

Ganz Usaramo ist in den letzten Jahren von schweren Plagen betroffen worden, welche die Mission in Mitleidenschaft zogen, ihr aber auch reichliche Gelegenheit zur Übung christlicher Barmherzigkeit gaben. Da ist vor allem die Heuschreckenplage zu erwähnen und die in ihrem Gefolge sich einstellende Hungersnot. Es wären auch noch andere Nöte zu nennen, wie die Viehseuche, die fast alle Rinder hinwegraffte oder die Sandflöhe, die jetzt zum ersten Male in Ostafrika erschienen sind und die immer barfuss gehenden Neger schrecklich peinigen. Aber das sind doch nur kleine Leiden im Vergleich zur Heuschreckenplage und Hungersnot.

Man ist in Afrika an das zeitweilige Erscheinen der Heuschrecken gewöhnt. So lange sie nicht in ganz großen Schwärmen kommen, sieht man sie sogar nicht ungern. Alt und Jung macht sich hinter den plumpen Insekten her und fängt sie, um sie nach kurzem Rösten zu verspeisen. Aber diesmal folgte ein Schwarm auf den andern. Sie zogen oft in so dichten Wolken herauf, dass sie die Sonne verfinsterten. Da half kein Trommeln und Lärmen, sie ließen sich nicht mehr verscheuchen. Kaum dass ein Schwarm glücklich vorübergezogen war, so ließ sich der nächste auf der bedrohten Schamba nieder und fraß alles ab: Mais, Hirse und was sonst angebaut war. In kürzester Zeit war die Pflanzung kahl. Dann zogen die Plagegeister weiter, ließen aber leider noch ihre Gier zurück. Damit war der Keim zur Fortsetzung der Plage gelegt. Denn als die abgefressenen Stängel der Knollengewächse eben wieder ausschlugen, kroch die junge Brut aus und zerstörte nun allen jungen Pflanzenwuchs, bis ihr die Flügel wuchsen, die sie zur Heimsuchung andrer Gegenden weitertrugen.

Zu diesen Fressern, die in den letzten Jahren fast das ganze Deutsch-Ostafrika heimsuchten, kam eine langanhaltende Dürre. Wenn die Regenzeiten regelmäßig wiederkehren, gleicht das Küstengebiet an vielen Orten einem wohlangebauten Garten, bleibt aber die nötige Feuchtigkeit einmal längere Zeit aus, so ist an ein Gedeihen der Felder schlechterdings nicht zu denken und bei der leichten Lebensart der Neger, die keine Vorräte ansammeln, eine Hungersnot unvermeidlich. So ging es im Jahre 1898. Die Bestellung der Felder und Anpflanzungen war vergeblich. Wegen der Dürre des Bodens ging die Saat nicht auf, die vorhandenen Stauden aber vertrockneten zusehends; selbst manche Bäume gingen ein. Was sollten die armen Eingebornen nun tun? Die Bewohner der Küstenstriche konnten sich wohl Reis und andre übers Meer gekommene Nahrungsmittel verschaffen, wenn sie Geld dazu hatten, aber im Inlande war die Not groß. Die bei Kisserawe und Maneromango wohnenden Leute gingen in den Buschwald und gruben Wurzeln aus. Diese sind roh nicht zu genießen. Die beste Sorte heißt Mkalabaka. Sie muss aber erst in die Erde vergraben werden, bis sie ganz mürbe geworden ist. Dann wird sie an der Sonne getrocknet, zu Mehl gestampft und zu Brei verarbeitet. Die Ulanga-Wurzel ist so bitter, dass sie in geschabtem Zustande erst lange gewässert werden muss. Auch dann ist sie schwer verdaulich und wenig nahrhaft. Geradezu schädlich wirkt der Genuss der Ududu-Suppe, von der die Füße anschwellen. Aber was verzehrt man nicht alles, wenn man vom Hunger genagt wird! In den Missionshäusern hielten die Nahrungsmittel natürlich länger vor, als in den Hütten der Eingebornen. Darum waren sie in der schlimmsten Zeit täglich von Hungrigen umlagert. Erst brachten die Eingebornen diese und jene Habseligkeiten, um etwas Speise dafür einzutauschen. Schließlich aber boten sie sich selbst als Kaufpreis an. Mancher flehte: "Gib mir zu essen, ich will dein Sklave sein und allmählich alles abverdienen". Natürlich waren die Missionsleute mit ihren geringen Vorräten nicht imstande, allen zu helfen. Da flog manches herzbewegliche Brieflein übers Meer nach dem glücklicheren Uleia, und nicht umsonst. In den Missions- und Tagesblättern ward der Notstand beschrieben und um Liebesgaben gebeten. Der Aufruf des Pastors von Bodelschwingh, der "Brot für Steine" erbat, ward schon oben erwähnt. Es kam eine stattliche Summe zusammen, mit deren Hilfe man auf den verschiedenen Stationen Notstandsarbeiten anstellen konnte. Dadurch kamen viele der Hungernden zu Verdienst und Brot. Wie freuten sich die Missionare, als sie nun mit vollen Händen helfen konnten. Hatte die Not in mancher Hinsicht verwildernd auf die Schwarzen gewirkt, so dass z. B. viele Männer ihre Frauen und Kinder verkauften oder als Pfand setzten, so führte die auf den Missionsstationen geübte Liebestätigkeit jetzt manche näher herzu, die sich bisher ablehnend zu der Predigt des Evangeliums verhalten hatten. Mag die gute Wirkung hier und da auch nur eine vorübergehende sein, bei Anderen geht sie tiefer. Es fehlt nicht an solchen, die in der Not zum Gott der Christen beten gelernt haben. Sollte aber auch jeder unmittelbare Erfolg der Liebeswerke ausbleiben, um des Herrn willen müssen sie doch getan werden. Sie gleichen der Narde, mit der Maria in Bethanien den Herrn salbte, so dass das ganze Haus vom Geruch der köstlichen Salbe erfüllt ward, Wohl den Christenleuten in Usaramo, wenn er auch ihnen das Zeugnis geben kann: "Sie haben getan, was sie konnten."

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3. Tanga

Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.
Apostelgesch. 18, 10.

Tanga, die nördlichste unter den großen Hafenstädten der deutsch-ostafrikanischen Küste, ist zum Ausgangspunkt für das zweite Arbeitsfeld der Berliner ostafrikanischen Missionsgesellschaft geworden. Die Stadt ist ganz dazu angetan, ein wichtiger Missionsposten zu werden. Hier laufen die Fäden der deutschen Regierungsgewalt für den Nordkreis der Küste zusammen und bringen ein immer fortschreitendes Wachstum der Bevölkerung mit sich. Hier ist, weil die Tangabucht einen trefflichen Hafen bildet, die gegebene Kopfstation für die Wege in die fruchtbaren und schon jetzt vielfach mit Plantagen besetzten Landschaften Bondei, Handei und Usambara, sowie für das tiefer im Innern gelegene Kilimandscharo-Gebiet. Tatsächlich hat auch schon Dr. Krapfvor mehr als 50 Jahren in Tanga Fuß zu fassen und von hier aus die landeinwärts wohnenden Völker mit der Predigt des Evangeliums zu erreichen versucht. Damals war aber die Zeit noch nicht da, wo dieses Tor sich auftun sollte. Jetzt ist die Pforte offen. Zwischen Sandbänken und Korallenriffen öffnet sich die schmale, mit Tonnen und andern Seemerkzeichen kenntlich gemachte Fahrrinne. Der zur Rechten auf der Insel Ulenge befindliche Leuchtturm ermöglicht dem kundigen Schiffer auch noch des Nachts die Orientierung. Die Bucht grünt auf allen Seiten. Die niedrigen Ufer sind von Mangrovengebüsch umsäumt, die dahinter liegenden Hügel schmückt ein üppiger Pflanzenwuchs. Da sieht man Kokospalmen von seltener Schönheit, dazu mächtige Mango- und Affenbrotbäume, zwischen ihnen aber zahlreiche menschliche Ansiedelungen, die von wohlgepflegten Bananenpflanzungen umgeben sind. Wir nähern uns der Stadt und sehen die weißgetünchten Gebäude immer zahlreicher aus der grünen Umgebung hervorschimmern. Dasjenige, welches schon von weitem die Augen auf sich zieht, ist die Kirche der evangelischen Mission, die an einem der schönsten Punkte dicht neben der Stadt liegt.

Kaiserstraße in Tanga 1906

Tanga hat unter der deutschen Verwaltung einen ungeahnten Aufschwung genommen. Die alte Stadt mit ihren winkeligen und schmutzigen Straßen, mit den halbzerfallenen Negerhütten und den wenigen festen Steinhäusern der arabischen Händler ist fast ganz verschwunden. Jetzt schreitet der weißgekleidete Europäer auf breiten, sauberen Straßen dahin, die mit schattigen Bäumen bepflanzt sind. Da sieht man viele schöne, luftig gebaute Wohnhäuser. An den zahlreich angelegten Brunnen schwatzen die Negerweiber, wie die Mädchen in einer süddeutschen Kleinstadt; mit dem Eindringen der europäischen Kultur ist die von Haus aus spärliche Bekleidung noch reichlicher geworden, als es unter der arabischen Herrschaft schon der Fall war. Wir stoßen sogar auf eine überdeckte Markthalle mit zementiertem Fußboden, wo die indischen Händler mit ihren Frauen und Kindern sitzen, um einerseits die Landesprodukte anzubieten, andrerseits die Erzeugnisse des europäischen Gewerbefleisses unter die Neger zu bringen, die als Karawanenleute tief aus dem Innern gekommen sind und die seltsamen Gegenstände mit staunenden Blicken mustern. Die öffentlichen Gebäude machen einen sehr stattlichen Eindruck. Uns interessiert besonders das schöne Europäerkrankenhaus, wo die Schwestern vom roten Kreuz sich manchen Gotteslohn an ihren kranken Landsleuten verdienen und die Regierungsschule, ebenfalls ein ansehnlicher Bau mit einer kühlen Veranda hinter den weißen Säulen und Rundbogen. Letztere liegt mitten in der Stadt und ist von riesigen Mangobäumen umgeben, unter denen die Schüler spielen können. Der deutsche Lehrer unterrichtet in einem ganz europäisch eingerichteten Schulzimmer. Als Unterrichtssprache ist das Kisuaheli gewählt, es wird natürlich auch Deutsch gelehrt. Man hat es hauptsächlich auf die Häuptlingssöhne aus den umliegenden Landschaften abgesehen, die hier unterwiesen werden, damit die Regierung später an ihnen eine Stütze hat und schriftlich mit ihnen verkehren kann. Viele dieser jungen Eingebornen eröffnen nach ihrer Rückkehr in die Heimat kleine Schulen, deren es im Tangagebiet schon 22 gibt. Allzu große Hoffnungen wird man auf ihren Unterricht, bei dem jede christliche Beeinflussung ausgeschlossen ist, nicht setzen dürfen. Eine Schulbildung ohne religiösen Kern macht nur "schlaue Teufel". Es ist auch sicher nicht gerade vorteilhaft, dass die jungen Leute für die Schulzeit aus ihrer natürlichen Umgebung herausgehoben werden und dabei den vielen Versuchungen der Küstenstadt ausgesetzt sind. In den Missionsanstalten an der Küste begegnet man diesen Gefahren durch eine Art Alumnat mit strenger Beaufsichtigung. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass diejenigen Häuptlingssöhne, welche in den Missionsschulen unterwiesen werden, eine bessere Bildung und Erziehung empfangen. Aber wie wenigen ist bis jetzt Gelegenheit dazu gegeben! Man muss also vorläufig mit dem Notbehelf der Regierungsschule zufrieden sein. Der deutsche Lehrer hat übrigens in den arabischen Schulen von Tanga immer noch fühlbare Konkurrenten, Seltsamerweise haben deutsche Kolonialmänner eine Zeit lang dafür geschwärmt, die arabischen Schulen zu unterstützen. Wenn nicht von Seiten der Missionsleute so ernstlich davor gewarnt worden wäre, hätte es geschehen können, dass die Lehrer des Koran mit deutschem Gelde besoldet worden wären. Jetzt ist man davon zurückgekommen, weil man die Gefahr einer Ausbreitung des Islam im deutschen Gebiet zu rechter Zeit erkannte. So ist zu hoffen, dass die mohammedanischen Schulen immer mehr zurückgehen.

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Missionsstation

Doch wo ist die evangelische Mission, um derentwillen wir nach Tanga gekommen sind? Sie liegt draußen auf einer Anhöhe unmittelbar über dem Hafen. Wenn man aus der Stadt kommt, nimmt sich ihre Kirche, die zwischen Palmen und Mangobäumen herüberschaut, gar stattlich aus. Die mit einer festen Umzäunung umfriedigte Station ist von einem dichten Hain fruchttragender Bäume umgeben. In der Mitte des Gehöfts steht ein besonders großer Mangobaum, in dessen Schatten die Bewohner und ihre Gäste oft verweilen und viele Geschäfte verrichten, für die man wegen der drückenden Schwüle am liebsten die Enge des Hauses meidet. Hier hat man das ganze im Viereck gebaute Gehöft mit dem alten und neuen Missionshaus und der Kirche vor sich, daneben auch eine Reihe von weißgetünchten Lehmhäusern, in denen Christenfamilien wohnen. Das Grundstück ist glücklicherweise groß genug, dass sich noch manches neubekehrte Paar hier seine Wohnstätte fern vom heidnischen Treiben bauen kann. Zur Zeit zählt die Niederlassung gegen 60 Bewohner, die freilich noch nicht alle getauft sind.

Die Station besteht seit dem Jahre 1890. Da kam nach der Niederwerfung des Buschiri-Aufstands Missionar Krämer, ein Schüler Wangemanns, der einzige Missionar von Berlin III, der aus dem Missionshaus der alten Berliner Gesellschaft hervorgegangen ist. Er hatte mit den grundlegenden Arbeiten keine leichte Aufgabe. Das in der Hafenstadt zusammengelaufene Volk gehört meist zur Klasse der verdorbenen Küstenneger, die ihre heimische Religion über Bord geworfen haben und auch für eine neue nicht leicht zu haben sind. Bei den Mohammedanern und Indern findet der Same des göttlichen Wortes erst recht einen harten Boden. Wenn sie auch keine strengen Beobachter ihrer eigenen Religionssatzungen sind, so haben sie sich doch gewöhnt, ihren Glauben hoch über den der Neger zu stellen; sie sind sehr aufgeblasen und dünken sich auch dem Europäer gegenüber als Inhaber der höchsten Weisheit, Kein Wunder, dass Krämer anfangs unsicher hin und her tastete. Als er sah, dass das gepredigte Wort keine gute Aufnahme fand, versuchte er dem Herzen des Volkes durch Errichtung eines Krankenhauses näher zu kommen. Die Häupter der Stadt waren ihm auch dabei behilflich, desgleichen die wenigen Christen, die damals im Lande vorhanden waren; sogar in Hohenfriedeberg wurde eine Kollekte dafür gesammelt. Es ist gewiss mancher Anknüpfungspunkt für ihn und seine Nachfolger aus dieser Liebestätigkeit an den Eingebornen hervorgegangen, aber zu größeren Erfolgen unter der Stadtbevölkerung kam es trotzdem nicht. Ein Teil der Schuld lag sicherlich an dem unchristlichen Leben der meisten Europäer in jener ersten Zeit. Es hat an rühmlichen Ausnahmen nicht gefehlt, aber die große Mehrzahl derselben machte dem Christentum keine Ehre und die Neger konnten zuweilen spottend auf den geringen Besuch der für die Weißen gehaltenen Gottesdienste hinweisen. Da sich Krämer nun mit den Stadt- und Küstenbewohnern nicht recht befreunden konnte, wandte er seine geistliche Fürsorge mehr den Wadigo und Wabondei zu, zwei Volksstämmen, die hinter der Stadt landeinwärts wohnen. Er verweilte auf seinen Predigttouren gern unter ihnen und baute für sie kleine Kapellen in Muensange und Zoari, An beiden Orten wurden eingeborne Lehrer, die Krämer zu seinen Gehilfen herangebildet hatte, angestellt. Am besten hat sich die Schule in Muensange entwickelt. Unter den dortigen Wabondei entstand in den letzten Jahren eine Bewegung zum Christentum, als ein aus ihrem Volke stammendes und in Usambara zum Glauben gekommenes Ehepaar hierher zurückkehrte und die Volksgenossen dringend einlud, in die Nachfolge Christi zu kommen. Dieser Daudi Nyota und seine Frau Elisabeth haben unter den hiesigen Negern in ähnlicher Weise gewirkt, wie in der apostolischen Zeit Aquila und Priscilla zu Korinth.

Es war dem treuen Krämer, der neben Predigt- und Schultätigkeit besonders eifrig Sprachstudien trieb und die Kisuaheliliteratur um manches christliche Lied und biblische Geschichten bereichert hat, leider nicht vergönnt, die Früchte seiner Arbeit zu sehen. Im Jahre 1895 war seine Gesundheit so erschüttert, dass er sich zur Heimkehr entschließen musste. Er kam aber nur bis nach Ägypten, wo er im Januar 1896 starb.

Auf dem von ihm gelegten Grunde haben die Missionare Ostwald und Eisenberg in den letzten Jahren weitergebaut und die Station sowohl innerlich wie äußerlich wachsen sehen. Sie zählt jetzt 38 Getaufte und 40 Schüler. In allerjüngster Zeit bekam sie besonders reichen Zuzug infolge der Hungersnot, zu deren Linderung die Mission tat, was in ihren Kräften stand, teils aus eigenen Mitteln, teils mit dem, was die Regierung zur Unterstützung der Notleidenden durch die Hände der Missionsleute gehen ließ. Der Missionar könnte die Arbeit in der Stadt und auf den auswärtigen Predigtplätzen schon nicht mehr bewältigen, wenn er nicht an seinem Lehrer Emil, einem Christen aus Kisserawe, der aus der Schar der befreiten Sklaven stammt, einen tüchtigen Gehilfen hätte. Die seinerzeit von Krämer eingerichtete und viel Zeit raubende Krankenpflege hat er wieder aufgegeben, weil das inzwischen entstandene, viel größere und leistungsfähigere Krankenhaus der Regierung auch kranke Eingeborne aufnimmt und seine Poliklinik dem Bedürfnis vollauf genügt. Dafür verwendet er aber besondere Sorgfalt auf die geistliche Versorgung der am Orte wohnenden Deutschen. Die in der Veranda des Missionshauses abgehaltenen deutschen Gottesdienste werden jetzt ziemlich gut besucht, auch sind die Klagen über den Lebenswandel der Beamten und Kolonisten mehr und mehr verstummt. Das Missionshaus übt offenbar einen sittigenden Einfluss auf sie aus und bietet bei besonderen Gelegenheiten, z. B. am Weihnachtsabend, den alleinstehenden jungen Leuten eine christliche Heimstätte. Hoffentlich ist das nur die Vorbereitung zur Gründung einer besonderen evangelischen deutschen Gemeinde in Tanga, die gleich der in Dar-es-Salaam ihren Pastor und ihre eigene Kirche bekommt. Denn der Missionar ist doch in erster Linie für die Mohammedaner und Heiden da. Wenn es so weiter geht, wie bisher, und der Missionar alle Tage, außer Sonnabends, Taufunterricht halten muss, wird er bald keine Zeit und Kraft für die Seelsorge an den Weißen mehr übrig haben; denn die Heidenpredigt in den umliegenden Orten darf doch keinesfalls vernachlässigt werden.

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Muensange

Ehe wir Tanga verlassen, wollen wir noch dem wichtigsten der Aussenorte, Muensange, einen kurzen Besuch abstatten. Es liegt ungefähr eine Stunde entfernt. Der Weg dahin führt erst durch die Stadt, an der Markthalle und der Regierungsschule vorbei, dann über den Eisenbahnstrang, wo man ins Freie gelangt. Zu beiden Seiten der Straße stehen prächtige Kokospalmen mit Mangobäumen untermischt. Wir gehen in der Richtung der Telegraphenleituug, die Dar-es-Salaam mit Tanga verbindet, und gelangen so zu der im Schatten der Fächerpalmen liegenden Zweigstation. Die Kokospalme, die den Meeresstrand so sehr liebt, verschwindet hier. Wenn wir am Sonntag Nachmittag kommen, finden wir Gelegenheit, den eingebornen Gehilfen des Missionars bei feiner geistlichen Tätigkeit zu beobachten. Er führt uns in die Kapelle, ein einfaches Lehmgebäude, dessen Fußboden mit Matten belegt ist. Hier versammelt sich eine kleine Schar, sein Wort zu hören. Es ist ein Gottesdienst in den allerbescheidensten Formen, aber seine Verkündigung schöpft aus dem Born der ewigen Wahrheit und weiß die Neger an dem Punkte zu fassen, wo sie am ersten zugänglich sind. Daher darf auch diese unscheinbare Predigtstätte in Muensange als ein Lichtpünktchen im dunkeln Afrika bezeichnet werden.

Die Station der Berliner Gesellschaft ist nicht die einzige christliche Niederlassung in Tanga geblieben. Wie schon in einem früheren Kapitel erwähnt, hat die Universitäten-Mission im Interesse ihrer im Hinterlande liegenden Stationen ein Absteigequartier in der Stadt gebaut. Die deutsche evangelische Mission wird davon wenig berührt und jedenfalls nicht beeinträchtigt. Eher könnte das von Seiten der römischen Patres und Nonnen geschehen, die sich, wie fast überall, so auch hier in das evangelische Arbeitsfeld eingedrängt und ganz in der Nähe der evangelischen Station ein stattliches Missionsgehöft gebaut haben. Die Berliner Missionare halten es ihnen gegenüber mit dem Grundsatz: "So viel an euch ist, habt mit allen Menschen Frieden!"

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4. Auf Evangelistenpfaden in den Bergen von Usambara

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen.
Jes, 52, 7.

Von Tanga aus ist die Predigt des Evangeliums landeinwärts in das schöne Bergland von Usambara gedrungen. Der Anfang wurde im Mai 1891 gemacht. Da erschien eines Tages der Sohn des alten Häuptlings Si Kiniassi von Mlalo mit etwa 100 Leuten seines Stammes in Tanga. Sein Vater hatte ihn beauftragt, Missionare zu holen. Die vor kurzem aus Deutschland gekommenen beiden jungen Brüder Wohlrab und Johanssen waren eben erst von einer Untersuchungsreise aus den Usambarabergen zurückgekehrt, auf der sie auch das schön und gesund gelegene Mlalo aufgesucht und beim dortigen Häuptling gute Aufnahme gefunden hatten. Wie groß war die Freude der beiden, als nun die Eingebornen selbst kamen, um ihre Lehrer zu holen. Da gab es kein Zaudern mehr. So schnell als möglich wurde zusammengekauft und gepackt, was zur Anlage einer Station im Innern nötig ist. Es war eine große Trägerkolonne zum Transport erforderlich. Die Hälfte der Lasten übernahmen die Leute von Mlalo, für die übrigen warb man noch 50 Männer in Tanga an. So ward es eine stattliche Karawane. Ein Junge mit der schwarz-weiß-roten Fahne eröffnete den Zug. Ihm folgte Missionar Wohlrab, dann die Träger. Den Schluss der langen Kette machte Bruder Johanssen. Nach 14 Tagen - man reiste damals noch sehr langsam - war das Ziel erreicht. Si Kiniassi und sein Volk warteten schon sehnlichst. Unter Freudengeschrei und vielen Salutschüssen zogen die weißen Männer ein und bauten auf einem günstig gelegenen Hügel Mlalo gegenüber ihre Station, die sie Hohenfriedeberg nannten. Das war der Beginn der hoffnungsvollen Mission in Usambara, deren Niederlassungen wir jetzt in Augenschein nehmen wollen, so wie sie dem Wandrer, der von der Küste kommt, sich darstellen.

Das erste Stück der Reise können wir mit der Eisenbahn zurücklegen. Seit Jahren ist die Bahnstrecke Tanga - Muhesa als erster Teil der bis Korogwe am Pangani oder gar bis an den Kilimandscharo geplanten Linie in Betrieb. Wir müssen es aber gut treffen, wenn wir den gari ja moshi (Rauchwagen), wie die Eingebornen den Zug nennen, benutzen wollen, denn wegen des schwachen Verkehrs geht wöchentlich nur ein Zug oder höchstens zwei. Immerhin wird unser Marsch durch die Küstenebene dadurch in willkommener Weise abgekürzt. Von Muhesa aus müssen wir marschieren, wenn wir nicht Esel oder gar Pferde zur Verfügung haben. Das Reiten hat hier allerdings keine Schwierigkeit, denn wir befinden uns auf der von der Regierung gebauten großen Barrabarra, einer breiten Straße, die über Korogwe und Masinde nach dem Kilimandscharo führt. Auch hier hat sich die Kolonialverwaltung mit der Errichtung von Rasthäusern, in denen man nicht nur ein reinliches Unterkommen, sondern sogar Bettstellen, Waschständer, Tische und dergl. findet, ein wirkliches Verdienst erworben und die Strapazen der Reise auf ein geringes Maß beschränkt.

Bei unsrer Wanderung haben wir zur Rechten die östlichen Ausläufer des Usambara-Gebirges, das Bergland von Handei, welches von den weißen Ansiedlern mit Vorliebe zur Anlegung von Plantagen benutzt wird; zur Linken breitet sich die Ebene aus. Bei Korogwe berühren wir das schon früher beschriebene Arbeitsfeld der Universitäten-Mission. In Kwasigi am Pangani, einer Außenstation derselben, verlassen wir die heiße, fieberreiche Niederung und steigen nun in die kühleren Berge hinauf. Nach dem erschlaffenden Marsche in der Ebene ist es eine Lust, durch diese grüne Landschaft zu wandern, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Thüringer Walde hat. Wohltuender Schatten empfängt uns. Zwischen den schönen Laubbäumen, deren Formen uns an die deutsche Heimat erinnern, ranken endlose Schlinggewächse, das Unterholz aber wird zum Teil vom Riesenfarn gebildet, der hier nicht als Staude, sondern als Baum wächst. Unter den Blumen, die am Wege blühen, grüßen uns manche bekannte Arten, wie Geranien und Myrten, auch Vergissmeinnicht, daneben aber die Kinder der afrikanischen Flora, deren Namen wir nicht kennen. Der Wald ist ebenso belebt, wie in unsrer Heimat, nur dass statt der Finken und Nachtigallen hier die zierlichen Kolibris über den Weg stiegen und an die Stelle unsrer Eichhörnchen kreischende Affen treten. Die wilden Tiere, die in diesen Wäldern ihre Schlupfwinkel haben, scheuen glücklicherweise das Tageslicht, sonst könnte uns das Alleingehen gefährlich werden.

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Lutindi

Nach mehrstündigem Steigen erreichen wir unser erstes Wanderziel, die Sklavenfreistätte Lutindi und das dicht dabei liegende Erholungshaus für kranke Europäer. Beide gehören streng genommen nicht zu den Missionsunternehmungen. Der evangelische Afrikaverein hat sie ins Leben gerufen. Aber die Erziehung der befreiten Sklaven ist, wie wir in Dar-es-Salaam und Kisserawe gesehen haben, so lange in den Händen der Missionsleute gewesen, dass man die Anstalt in Lutindi doch eine Tochter der Mission nennen kann. Die Männer, die ihr vorstehen, zwei Diakonen aus Bielefeld, sind übrigens mit den Missionaren so befreundet und treiben ihr Erziehungswerk ganz und gar im christlichen und evangelischen Sinne, sodass man Lutindi getrost auf eine Stufe mit den Missionsstationen in den Bergen von Usambara setzen kann. Die Heimstätte der Freigelassenen liegt mitten im Urwalde, dessen Rodung mit zu den Aufgaben der Brüder und ihrer Pflegebefohlenen gehört. Infolgedessen ähnelt die Niederlassung jetzt noch den ehemaligen Ansiedelungen der Weißen unter den Indianern in Nordamerika. Da liegen mächtige Baumstämme umher, teils verbrannt, teils zersägt. Daneben sieht man auch schon besser urbar gemachtes Land, wo afrikanische Fruchtbäume und europäische Gemüse gezogen werden. An den Häusern, die aus rohbehauenen Baumstämmen zusammengefügt sind, ist noch keinerlei Luxus zu sehen. Man will die Afrikaner, die in der Freistätte eine neue Heimat gefunden haben, nicht vor der Zeit an die europäischen Bedürfnisse gewöhnen. Zurzeit sind etwa 40 Kinder, Knaben und Mädchen, hier untergebracht. Die Mädchen stehen unter der besonderen Pflege der Hausmutter; einer der Diakonen ist nämlich verheiratet. Die Kinder beiderlei Geschlechts aber empfangen eine sorgfältige christliche Erziehung, bei der allerdings der Nachdruck mehr auf die Arbeit, als den Schulunterricht gelegt wird. Welche Schwierigkeiten der letztere findet, erhellt daraus, dass die Zöglinge aus den verschiedensten Teilen Ostafrikas stammen und daher auch ganz verschiedene Sprachen reden. Die eine Sprache, die ihre Pflegeeltern hauptsächlich gebrauchen, verstehen sie freilich alle, die Sprache der Liebe.

Hinter der Kolonie, ein wenig abseits, damit das Geräusch der Kinder nicht störend wirkt, befindet sich das Erholungshaus des Afrikavereins. Es soll den krank und matt gewordenen Europäern zu schnellerer Genesung verhelfen, als eine Reise in die deutsche Heimat. Man hat es solid gebaut und bequem eingerichtet. Hier ist gut sein. Die kräftige Bergluft, die prächtige Aussicht, die über die grünen Hügel und den Panganifluss weit hinaus in die Ebene reicht, dazu der gemütliche Umgang mit den Hauseltern, das alles ist ganz dazu angetan, unsern kranken Landsleuten wohlzutun, mögen es nun Missionare, Beamte, Soldaten, Kaufleute oder Pflanzer sein.

Von Lutindi wandern wir tiefer in die Berge hinein nach den vier Missionsstationen, die an den wichtigsten Punkten der Schambalai - so heißt das ganze Bergland von Usambara -liegen. Bis zur ersten, nach Wuga, begleitet uns einer der Brüder, Man braucht in dem Gewirr von Bergen und Tälern, von Dörfern und Pflanzungen einen kundigen Führer. Wer hier nicht gut Bescheid weiß und nur in der angegebenen Richtung marschiert, wird sehr müde. Tief eingeschnittene Täler kreuzen den Weg und nötigen ihn zu manchem steilen Aufstieg, den der Kundige umgehen kann. Unser freundlicher Begleiter unterrichtet uns obendrein aufs beste über Land und Leute.

Waschambaa vor Hütte W. auf Jagd Waschambaafrauen

Die Schambalai ist eine der schönsten Gegenden von Deutsch-Ostafrika. Das ganze Bergland liegt hoch genug, um die afrikanische Hitze zu mildern. Der Boden ist fruchtbar und ergiebig, so dass er eine dichte Bevölkerung nähren kann, zumal da er auch reich bewässert ist. Die Waschambaa sind im Ganzen friedlich gesinnte und fleißige Leute, die von je mehr dem Ackerbau, als der Jagd oder gar Raub- und Kriegszügen ergeben gewesen sind. Ihre Pflanzungen bestellen sie mit großer Sorgfalt. Die Banane wird besonders häufig angepflanzt, daneben Zuckerrohr und Tabak. Letzteren verbrauchen sie selber; die Tabakspfeife ist eins der unentbehrlichsten Geräte für die Männer. Die Wohnungen liegen meist zerstreut, nur selten trifft man auf Ansiedelungen von 50 oder gar 100 Hütten. Trotzdem ist die Bevölkerung zahlreicher, als die ersten, flüchtigen Besucher vermuteten. Der Wschambaa liebt es nicht, nahe an den Weg zu bauen. Die Furcht vor feindlichen Überfällen hat ihn misstrauisch gemacht. Bis vor zehn Jahren war diese Scheu auch berechtigt. Da ging Gewalt vor Recht.

Als die Deutschen ins Land kamen, standen die Bewohner unter der Botmäßigkeit einer Herrscherfamilie, der Wakilindi, die nicht aus Usambara stammte. Der Ahnherr war ein Jäger in der Steppe gewesen. Die Waschambaa hatten ihn selbst herbeigerufen, weil ihre Felder zu der Zeit arg von Wildschweinen verwüstet wurden. Aus dem Wohltäter des Landes aber ward mit der Zeit ein Herrscher. Nachdem er eine Zeit lang in einem kleinen Bergdörfchen gewohnt hatte, holten ihn die Leute von Wuga, das seitdem zur Hauptstadt von Usambara wurde; die Nachbarlandschaften Bumbuli, Mlalo, Ubii, Mbaramu und Mti schlossen sich an und ernannten den Mbega, so hieß der Fremdling, zu ihrem Oberhaupt. Seine Erben und Nachfolger, die sich teils als Heerführer, teils als Wohltäter des Landes einen Namen machten, blieben hier wohnen. So der trotzige Kimueri, der sich das ganze Land von Pare bis zur Küste unterwarf; sogar die Küstenstädte Tanga und Pangani wurden ihm tributpflichtig. Damals war es, als die Missionare Dr. Krapf und Ehrhard vergebens in Wuga anklopften. Sein Sohn Sembodja verlegte seinen Wohnsitz hinunter nach Masinde an den Rand der Steppe, wo er beim Beginn der deutschen Herrschaft eine zweifelhafte Rolle spielte. Er galt als afrikanischer Raubritter, der die friedlichen Karawanen brandschatzte. Daher legte die Regierung eine militärische Besatzung in seine Nachbarschaft, unter deren Augen er vor einigen Jahren gestorben ist. Die Herrschaft in den Bergen war inzwischen auf mehrere Unterhäuptlinge übergegangen, deren einer der oben schon erwähnte Si Kiniassi von Mlalo war.

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Wuga

In Wuga (Vuga) hatte Sembodja seinen Sohn Kimueri II. auf den Häuptlingssitz gebracht, der ganz im Geiste seines Vaters wirtschaftete und im Jahre 1892 die Erlaubnis zur Anlegung einer Missionsstation versagte. Erst unter dessen Nachfolger Mputa, der ebenfalls ein Sohn Semlwdjas war, gelang es den Missionaren Lang Heinrich und Gleiß, in der Nähe der Stadt eine Niederlassung zu gründen. Mputa hatte aber offenbar nur aus Furcht vor den deutschen Soldaten in Masinde die Genehmigung gegeben. Im Stillen häufte er allerlei Schwierigkeiten für die bauenden Missionare. Er verbot z. B. seinen Leuten, ihnen Nahrungsmittel zu verkaufen oder beim Bauen hilfreich zu sein. Das Volk aber war schon lange unzufrieden mit der fremden Herrschaft geworden. Darum taten sie bei Nacht, was sie am Tage nicht wagen durften. Die Missionare gewannen die Sympathien der Eingebornen gegen ihren Häuptling. Als die Beamten in Masinde vollends hinter das böse Treiben Mputas kamen und ihn verschiedener Mordtaten überführen konnten, wurde ihm der Prozess gemacht, der mit seiner Hinrichtung endete. Damit ging die Herrschaft der Wakilindi in Usambara nach einigen Generationen wieder zu Ende. Jetzt ist Kiniassi, ein dem Christentum zugeneigter Mann, zum Häuptling von Wuga erhoben worden.

Nahe bei seiner Stadt liegt die Missionsstation. Sie heißt eigentlich Ngasi, wird aber in der Regel mit dem Namen der Hauptstadt bezeichnet. Auf einem kleinen Hügel in einem weiten grünen Tal gelegen macht sie einen sehr guten Eindruck. Wenn wir uns nach der Landessitte mit einigen Flintenschüssen anmelden, treten alsbald drüben die Missionare heraus und begrüßen uns mit einer wohlbekannten Melodie, wie "Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren", die sie zweistimmig auf ihrem Horn blasen. Die Station ist noch jung, kaum fünf Jahre alt, und doch aufs beste ausgebaut. Wie freundlich blickt die Kapelle mit dem Türmchen herüber, daneben das stattliche Wohnhaus! Es ist schon das zweite; die ärmliche Hütte, in der die Brüder Lang Heinrich und Gleiß anfangs hausten, genügte den Bedürfnissen schon lange nicht mehr, zumal da auch eine Hausfrau einzog. Auf der andern Seite der Kapelle steht ein Schulhaus, hinter diesen Hauptgebäuden noch einige kleine Häuschen, die teils zu Wirtschaftszwecken, teils als Wohnungen für eingeborne Christen benutzt werden. Zu all diesen Bauwerken ist nur wenig europäisches Material verwandt. Die Brüder haben sich soviel als möglich der landesüblichen Bauart bedient; die zur Errichtung der Mauern nötigen Ziegel wurden von zwei Christen aus Hohenfriedeberg hergestellt. Die Gebäude sind auf allen Seiten von Gärten und Ackerland umgeben. Hier werden viele Bananenarten gezogen, auch Ananas, Papaien und Negerhirse neben deutschem Gemüse, Die Hausfrau sorgt dafür, dass auch die Blumen der deutschen Heimat nicht fehlen.

Mit der eigentlichen Missionsarbeit stehen die Brüder natürlich noch in den ersten Anfängen, Wir hörten schon, wie schwierig der Eingang für die Boten des Evangeliums gerade in Wuga war. Die Wakilindi hinderten das Christentum offenbar deshalb, weil sie ahnten, dass mit seinem Eindringen ihrer Willkür-Herrschaft ein Ende gemacht werden würde. Nach der Beseitigung Mputas ward sogleich die Bahn frei. Die Brüder setzten sich jeden Abend vor das Missionshaus und sangen ihre zweistimmigen Lieder nach Wuga hinüber. Bald kamen denn auch einzelne Männer zum Gottesdienst, Jetzt, wo der Häuptling sich freundlich zu den Missionaren stellt und sogar selbst lesen und schreiben lernt, kommen die Stadtbewohner immer zahlreicher und zutraulicher herüber, aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis sie recht begriffen haben, was die Lehrer wollen. Zunächst haben sie es mehr auf die leiblichen Wohltaten abgesehen, die ihnen auf der Station erwiesen werden. Die Missionare nehmen sich der Kranken an. Es ist keine Seltenheit, dass an einem Tage deren hundert beraten oder verbunden werden. Auch im schönen Usambara fehlt es an Krankheiten nicht. Besonders oft kommen rheumatische Leiden und Erkältungen vor, ferner die durch Sandflöhe verursachten bösen Geschwüre. Die Missionare sollen für jedes Übel Abhilfe schaffen. Die meisten der Patienten stellen sich schon zur Morgenandacht ein, seitdem sie erfahren haben, dass die Missionare das wünschen. Da füllt sich die Kapelle, die mit gezimmerten Sitzbänken versehen ist und über deren schwarzbehängten Altar die Inschrift steht: "Mulungu ndiye Zumbe kale na kale", d. i, "Gott ist Herr in Ewigkeit." Die Knaben, die auf der Station wohnen, und die Leute aus der näheren Umgebung sind mit den Regeln des Anstands und den Formen der Erbauungsstunde schon ganz vertraut. Sie setzen sich still auf ihren Platz. Aber wenn ganz fremde hereinkommen, gibt es doch manche unliebsame Störung. Da schreitet ein Mann den ganzen Gang entlang bis zum sprechenden Missionar und ruft ihm ganz laut sein wohlgemeintes "Guten Morgen!" zu, bis ein andrer ihn am Kleide zupft und sich still niedersetzen heißt. Es kommt auch vor, dass sich einer mit seinen Frauen und Kindern herumstreitet. Doch bedarf es dann nur einer freundlichen Zurechtweisung, um solchen Störungen für die Zukunft vorzubeugen.

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Leben und Treiben auf der Missionsstation Vuga 1906 Schule in Vuga 1906

Eine schöne Feier sah die Kapelle am Sonntag Quasimodogeniti 1899. Da standen vier Taufbewerber vor dem geschmückten Altar und empfingen das heilige Wasserbad, dazu einen neuen christlichen Namen. Es war erst das zweite Mal, dass ein Tauffest in Wuga gefeiert werden konnte. umso denkwürdiger sind den Missionaren solche Tage. Unter den Knaben, die ganz auf der Station wohnen und täglich unterrichtet werden, sind noch einige, die sich nach dem Sakrament sehnen. Hoffentlich folgen ihnen auch bald die Leute aus der Stadt. An der Verkündigung des Wortes lassen es die Glaubensboten nicht fehlen, Sonntags wird regelmäßig gepredigt, auch am Montag früh wieder, wenn die Frauen zum Markte kommen, Erfreulicherweise steht am Sonntag überall der Weg für die Predigt offen. Die einflussreichen Männer von Wuga haben sich bald nach Gründung der Station ohne weiteres Zutun der Missionare dahin geeinigt, den Sonntag als gesetzmäßigen Feiertag einzuführen. Auch in der weiteren Umgebung ist hier und da schon ein bestimmter Predigtplatz vorhanden. Die Brüder haben für diesen Zweck kleine Häuschen in Masinde, Gale, Bungu und Ubii, die einige Stunden entfernt auf den Bergen ringsumher liegen, gebaut und besuchen diese Orte womöglich jede Woche einmal. An einem dieser Aussenorte, in Bumbuli, vier Stunden von Wuga, ist jüngst eine neue Hauptstation entstanden. Dagegen ist ihnen eine andre leider durch römische Eindringlinge verloren gegangen. Im September 1897 erschienen plötzlich einige Trappistenmönche in Usambara, die sich die Erlaubnis der Regierung in Dar-es-Salaam zur Niederlassung mitten im Arbeitsfelde der evangelischen Mission zu verschaffen gewusst hatten. Es war das wieder ein Beispiel jener hässlichen Missionspraxis der Römischen, die es überall auf Störung der evangelischen Arbeit abgesehen haben. Da half kein Protestieren, sie fingen in Gale, drei Stunden von Wuga, mit Bauen an. Die ersten Ankömmlinge erkrankten sehr bald. Einer von ihnen starb sogar und der andre musste von einem der Diakonen aus Lutindi gepflegt werden, der auf einer Reise gerade vorüberzog und sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, feurige Kohlen auf das Haupt des Mönches zu sammeln. Nach einiger Zeit kam Verstärkung an, sodass an dem weiteren Ausbau der römischen Niederlassung nicht mehr zu zweifeln ist. Gott gebe, dass es nicht zu Reibereien kommt, die das Glaubenswerk stören.

Gale liegt am Wege von Wuga nach Hohenfriedeberg. Das ist ein tüchtiger Marsch, der an einem Tage nicht zu bewältigen ist. Die Christen, die von einer Station zur andern wandern, was bei Tauffesten und auch sonst manchmal geschieht, übernachten in der Regel in irgend einem Weiler des Wambugu-ländchens, das sich hier wie ein Keil zwischen die Ansiedelungen der Waschambaa schiebt. Die Wambugu sind ein mit den Massai der Steppe verwandter Volksstamm, der sich, wie es scheint, noch nicht sehr lange hier niedergelassen und nach Verlust seiner Viehherden mehr dem Ackerbau zuwendet hat. Sie haben zwar ihre besondere, bisher von niemand erforschte Sprache, die meisten sprechen aber auch etwas Kischamba und Kisuaheli, so dass sich die Wanderer wohl mit ihnen verständigen können. Die christlichen Eingebornen und zumal die durchreisenden Missionare benutzen denn auch die Gelegenheit zur Reisepredigt; sie reichen als Gegengabe für die empfangene Gastfreundschaft eine Spende aus der Quelle des ewigen Lebens. Kaum haben wir das Gebiet der Wambugu durchschritten, so stehen wir auch schon vor der anmutigen, fruchtbaren Schelemulde; so nennt man das Flusstal der Umba, der sein Wasser nicht, wie die übrigen Flüsse von Usambara nach Süden in den Pangani sendet, sondern auf der Nordseite des Berglandes als selbständiger Flusslauf durch die Steppe dem Meere zueilt.

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Hohenfriedeberg

In Hohenfriedeberg haben wir den Mittelpunkt der Usambara-Mission erreicht. Hier, wo die christlichen Glaubensboten ungehindert einziehen, Jahre lang predigen und Schule halten konnten, sieht man bereits etwas davon, welche Gestalt das Leben der Eingebornen unter dem Einfluss des Evangeliums annehmen wird. Hohenfriedeberg hat das Glück gehabt, dass die beiden Begründer der Station, Wohlrab und Johanssen, bis zum heutigen Tage in der Gemeinde tätig sind. Dadurch ist eine gewisse Stetigkeit in ihre Entwickelung gekommen, die man auf den andern Stationen, die wir bisher kennen gelernt haben, wegen des häufigen Personenwechsels vermisste.

Als die beiden Brüder im Jahre 1891 ankamen, widmeten sie sich zuerst ganz der Bauarbeit und der Erlernung der Landessprache. Letzteres war nicht ganz so schwer, wie unter den Völkern, die fernab vom Verkehr wohnen. Hier bildete das Kisuaheli, das von den meisten Waschambaa notdürftig verstanden wird, die Brücke. Doch glich auch das Kischamba einem Urwalde, der bis dahin von niemand gelichtet war. Welche Schwierigkeiten bringt da die erste Verkündigung des Evangeliums mit sich! Aber nach einigen Jahren konnten die Brüder doch mit den Eingebornen in ihrer Muttersprache reden, einige leichte Lieder ins Kischamba übersetzen und so predigen, dass sie verstanden wurden. Später haben sie es noch weiter gebracht. Jetzt können sie ihren Schülern schon biblische Geschichten des alten und neuen Testaments, ja das ganze Evangelium des Marcus in die Hand geben. Die neuankommenden Missionare aber finden sogar ein Kischamba-Wörterbuch zur Erleichterung ihrer Sprachstudien vor.

Der Zugang zum Herzen des Volkes ward bald gefunden. Der alte Häuptling Si Kiniassi freilich wollte vom Christentum nichts wissen. Dass er den Missionaren anfangs so freundlich entgegengekommen war, hatte offenbar nur äußerliche Gründe gehabt. Er änderte später zwar sein wohlwollendes Verhalten nicht, blieb aber bis an sein Lebensende ein echter Heide. Als er sterben musste und Missionar Wohlrab ihn noch einmal besuchte, schrie er ihm zu, er möchte ihm doch einen Zauberer bringen, der ihn vom Tode befreien könnte. In seinem Häuptlingsherzen saßen die Wurzeln des Heidentums offenbar zu tief, dafür brachten aber die jungen Leute aus dem Volke der neuen Lehre einen empfänglicheren Sinn entgegen. Gerade als der Häuptling starb, meldeten sich mehrere Waschamba-Jünglinge zur Taufe, bald darauf auch einige Frauen. Das waren nicht die ersten Täuflinge in Hohenfriedeberg, aber die früheren waren eingewanderte Leute gewesen. Da jetzt die ersten Glieder des Volkes übertreten wollten, erhob sich ein großer Sturm. Die Waschambaa halten viel auf die Familiengemeinschaft, die durch gewisse Feste, an denen nur die Sippe teilnimmt, gefestigt wird. Die Regeln, die sie dabei beobachten, sind sehr streng. Wenn eine Waschambafrau von einem Manne, der nicht zu ihrem Volke gehört, zum Weibe genommen wird, so tötet man ihre Kinder, damit die Vorfahren nicht erzürnt werden. Nun war unter den Eingebornen die Anschauung aufgekommen, dass die, welche sich taufen ließen, damit von ihrer Sippe abfielen. Deshalb wurden die Taufbewerber, meist Knaben und Jünglinge, erst mit Bitten, dann mit Drohungen bestürmt, von ihrem Vorhaben abzustehen. Der Widerstreit fand seinen Höhepunkt kurz vor dem für die Taufe festgesetzten Tage. Ueber diese denkwürdige Zeit soll hier nach dem Tagebuch der Missionare etwas genauer berichtet werden.

Eines Abends kam Sabuni auf die Station zurück und sagte: "Als ich heute Morgen vom Unterricht heimkam, fragte mich meine Mutter: "Wo kommst du her?" "Von Kisungu" (der Europäerniederlassung). "Willst du dich etwa taufen lassen?" "Ja." Darauf fing sie an zu weinen und rief: "Mein Sohn geht verloren." Ich sagte ihr: "Nein, ich gehe nicht verloren"; sie aber rief wieder: "Mein Sohn geht verloren, mein Sohn geht verloren und es ist mein einziger Sohn." Gleich kamen die Leute zu ihr und sagten immer wieder: "Ihr seid Thoren, dass ihr euren Sohn taufen lasst; wenn die Europäer weggehen, nehmen sie euer Kind mit." Als Bruder Wohlrab darauf den Knaben fragte: "Was sagt dein Herz dazu?" antwortete er: "Ich kann Gottes Wort nicht lassen."

Ein andrer mit Namen Mtschalo erzählte, sein Vater sei sehr erzürnt darüber, dass er die Morgenandachten regelmäßig besuche; er wolle ihm alles zurückgeben, was der Junge ihm früher gelegentlich von seinem Tagelohn gegeben hätte, und damit das Band zwischen ihnen zerschneiden, eine Drohung, die er andern gegenüber noch dahin verschärfte, er wolle seinen Sohn sogar töten.

In solcher Weise wogte es hin und her. Die jungen Taufbewerber bekamen die ganze Bitterkeit des Wortes zu schmecken, das Christus (Matth. 10, 37) gesagt hat: "Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht wert." Sie baten erst, die Missionare möchten sie heimlich taufen, damit das Aufsehen nicht so groß würde. Als diese aber betonten, dass ein Christ auch ein Bekenner sein müsse und die Verfolgung nicht scheuen dürfe, willigten sie in die öffentliche Feier. Sie mussten zuvor auch hingehen und ihren Eltern sagen, was ihnen bevorstand. Das war für die meisten ein saurer Gang. Die Tränen standen ihnen in den Augen, als sie von der Aufregung erzählten, die ihre Nachricht zu Hause angerichtet habe. Bei den Vätern hatte es wilde Zornesausbrüche gegeben, bei den Müttern viele Tränen. Die einen hatten gesagt, ihr Sohn dürfe nie wieder nach Hause kommen, andere gar, dass sie mit Pfeilen nach ihrem Kinde schießen und die Totenopfer bringen wollten, weil sie einen getauften Sohn als verloren ansähen. Die also Angefochtenen blieben aber stark.

Während sich in den Hütten von Mlalo und der Umgebung solche aufregende Szenen abspielten, lag die Station wie ein stiller Zufluchtshafen da. Die Missionsgeschwister rüsteten alles für den Tauftag. Am Morgen des 12. Dez. 1894 läutete das Glöckchen den Festtag ein und der Ruf der Posaune schallte über das Tal hin. Auf dieses Zeichen versammelten sich die früher Getauften in der mit frischen Palmen geschmückten Kapelle, dann erschien der Zug der zwölf Katechumenen, von Missionar Johanssen geführt. Nur wenige Heiden fanden sich noch ein. Die meisten scheuten sich vor der Feier, die so viel Aufsehen im Lande machte. Nach dem Gesang des Liedes "Wie soll ich dich empfangen" hielt Missionar Wohlrab eine ergreifende Taufrede, in der er die Herrlichkeit des Christenglaubens schilderte, dem die Taufbewerber sich ganz versprechen wollten, aber auch die Opfer und Entsagungen nicht verschwieg, die damit zusammenhingen. Nachdem noch das Tauflied gesungen war! "Liebster Jesu, wir sind hier", wurden den Täuflingen fünf Fragen vorgelegt, die von ihnen allen freudig und fest beantwortet wurden. Nun kam der ergreifende Taufakt. Zuerst knieten die fünf ältesten Knaben um den Tauftisch und empfingen das Sakrament, dabei auch zugleich die neuen, biblischen Namen, welche die Christen für sie ausgewählt hatten. Unter Handauflegung ward das Schlussgebet aus Luthers Taufbüchlein über sie gesprochen. Nun trat Missionar Johanssen an den Taufstein und vollzog die heilige Handlung an vier Frauen und drei kleineren Knaben, die bei ihm vorher den Taufunterricht genossen hatten. Ein Dankgebet und Loblied schloss die schöne Feier.

Wie zu erwarten, blieb aber die Trübsal für die Neugetauften nicht aus. Als die Missionsleute am Abend des Festtags noch beisammen saßen, rief eine bekannte Stimme vor dem Tür leise: "hodi",1) Mit betrübter Miene trat der eben getaufte Lazarus herein und brachte ohne weiteren Gruß nur die kurze Meldung: "Ich bin vertrieben." Sein Vater hatte ihn beim Nachhaufekommen gefragt, woher er käme. Als er von dem Vollzug der Taufe gehört, hatte er ihn ohne weiteres fortgetrieben. So war es auch den Frauen ergangen. Drei von ihnen gehörten einem Manne. Dieser nahm ihnen ihre Hütten weg, so dass sie bei ihren Freundinnen ein Unterkommen suchen mussten. Nur ein einziger der Knaben ward nicht verstoßen. Die Verwandten kamen zwar und schalten seine Mutter, weil sie dem ungeratenen Sohne Speise gäbe; sie antwortete aber: "Ich kann es nicht mit ansehen, dass mein Sohn dann abmagert."

Unter solchen Kämpfen wurden vor fünf Jahren die ersten Waschambaa in die Christengemeinde von Hohenfriedeberg aufgenommen. Seitdem ist vieles anders geworden. Das Misstrauen gegen die Missionsstation und die Taufe ist ganz geschwunden. Die Leute haben eingesehen, dass die Getauften nicht aufhören Waschambaa zu sein, und dass sie ihren Angehörigen nicht entfremdet werden, ja dass sich das Familienband, auf das sie so großen Wert legen, unter den Christen sogar noch inniger gestaltet. Auch die Besorgnis, dass sie sich den öffentlichen Leistungen entziehen würden, hat sich als unnötig erwiesen. Die Getauften erfüllen diese Pflicht, wie zuvor. Eine Zeit lang hatten sie sich allerdings ausgebeten, dass ihnen eine besondere Schamba des Häuptlings angewiesen würde, wo sie nicht mit den Heiden zusammen zu sein brauchten, der jetzige Jumbe hat das jedoch wieder aufgehoben, dafür aber die Zusage gegeben, dass sie keine öffentlichen Arbeiten zu leisten brauchten, die mit dem Heidentum in irgend einem Zusammenhang stehen.

Der junge Häuptling Kiniassi steht offenbar dem Christentum näher, als sein Vater. Er war es, der seiner Zeit die ersten Brüder von Tanga holte; auch in den Jahren, wo sein Vater im starren Heidentum beharrte, blieb er den Missionaren aufrichtig zugetan. Diese waren gespannt, wie er sich zu ihnen stellen würde, nachdem er selbst Häuptling geworden. Er täuschte ihre Hoffnungen nicht im geringsten. Es war schon ein Fortschritt, dass er sich nicht mit dem Nimbus übernatürlicher Kräfte umgab, wie sonst die Häuptlinge zu tun pflegen. Bei seinem Regierungsantritt sagte er zu dem Volke geradezu: "Ihr Leute, Regen und alle Speisen empfangen wir von Gott. Kommt nicht zu mir, wenn ihr Regen haben wollt. Ich kann nicht Regen machen; der Regen kommt von Gott." Noch erfreulicher war seine Stellungnahme zum Worte Gottes, das er so oft gehört und offenbar lieb gewonnen hatte. Er erklärte den Missionaren eines Tages geradezu, er gedächte seine Herrschaft niederzulegen, denn er wolle ihren Worten folgen. Dies würden die Wakilindi nicht zugeben, da Mlalo der Ort vieler Ahnenopfer sei. Wie sich seine Untertanen zum Christentum stellten, könne für sein persönliches Verhalten nicht entscheidend sein. Wenn sie durch seine Zuneigung zum neuen Glauben aufgebracht würden, so wolle er seine Häuptlingschaft niederlegen. Die Missionare waren über diese Seele, die nicht fern vom Reiche Gottes ist, natürlich sehr erfreut, warnten ihn aber vor übereilten Schritten. Er möge nicht ohne Not den Feinden des Christentums weichen, Christ sein und Häuptling sein vertrüge sich wohl mit einander. Dadurch ließ er sich bestimmen, im Amte zu bleiben. Er kommt jetzt fast täglich mit einem jüngeren Bruder und einem Sklaven zum Unterricht.

Die Station hat sich in den letzten Jahren sehr vergrößert und verschönert. An die Stelle des kleinen Lehmhäuschens, das sich die Brüder bei ihrer Ankunft gebaut hatten, ist ein großes massives Wohnhaus getreten, in dem zwei deutsche Hausfrauen schalten. Wohlrab und Johanssen haben ein Schwesternpaar geheiratet, das ihnen nicht nur die Sorgen um den Haushalt und die andern Bedürfnisse des täglichen Lebens abnimmt, sondern auch bei der geistlichen Arbeit hilft. Die Erziehung ihrer eignen Kinder wissen die beiden Frauen mit der Fürsorge für die kleinen Schwarzen auf der Station trefflich in Einklang zu bringen.

Auch die erste gottesdienstliche Stätte von Hohenfriedeberg hat schon eine sehr erfreuliche Verwandlung durchgemacht. Die alte Kapelle mit ihren Lehmwänden und dem Schilfdach, mit dem gestampften Fußboden und den einfachen Bretterbänken reichte für die wachsende Zahl der Besucher bald nicht mehr aus. So musste zu einem Neubau geschritten werden. Es ward den Brüdern allerdings sehr schwer, mit eigner Hand die Stätte abzubrechen, da sie die segnende Nähe des Herrn so oft gespürt und bei den Tauffesten die Früchte ihrer Arbeit vor Augen gesehen hatten. Aber was half's? Das leichte Gebäude ging dem sichtlichen Verfall entgegen und dass die wachsende Gemeinde eine größere Kirche brauchte, war ihnen doch auch ein Anlass zu herzlicher Freude, Der neue Bau, zu dessen Errichtung der in Bausachen erfahrene Diakon Meier aus Bielefeld kam und bei dem die Christen der Station wacker geholfen haben, nimmt sich aus der Ferne ganz wie eine deutsche Dorfkirche aus. Auch das Innere ist ähnlich gehalten. Die Wände sind weiß bemalt, der Fußboden aus Zementguss. Die Sitzbänke ähneln denen in unsern Kirchen, für das Harmonium wurde sogar eine Empore gebaut und in den Kirchenfenstern prangt buntes Glas und Bemalung, Der Kirchweihtag mit der Predigt des Missionar Wohlrab über das am Altarbogen stehende Schriftwort: "Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt" ist heute noch unvergessen bei Christen und Heiden.

Es gibt jetzt gegen 100 Getaufte in Hohenfriedeberg. Die meisten von ihnen wohnen in den kleinen Dörfchen, die neben der Station entstanden sind. Sie haben lauter biblische Namen wie Ararat, Bethanien und Tarsus. Das erste verdankt seinen Ursprung einem alten Christen Noah Schemueta, mit dessen Taufe die erste vollzählige Waschambafamilie zum Christentum übertrat. Er war den Missionaren schon längst als ein ruhiger, ernster Mann bekannt, der jeden Sonntag zum Gottesdienst kam. Seinem Entschluss, Christ zu werden, stand anfangs der Umstand im Wege, dass er zwei Frauen mit je drei Kindern hatte. Er wußte, dass es der christlichen Ordnung widerspricht, zwei Frauen zu haben, darum zögerte er lange mit dem Übertritt. Endlich löste sich die Schwierigkeit von selbst. Die ältere Frau erklärte, sie wollte mit ihm Christin weiden, die jüngere aber sagte, ihr Vater habe ihr das untersagt und gegen den väterlichen Willen möge sie nicht handeln. Da überließ ihr Schemueta das Haus, die Kinder und Äcker, und trat mit der ersteren über. In der Taufe ward er Noah genannt. Er wählte sich einen neuen Wohnplatz auf dem Hügel gegenüber der Kapelle und nannte ihn in Erinnerung an die Stelle, wo Noah aus der Arche gegangen war, Ararat. Er ist ein erfahrener und angesehener Mann, dessen Rat gern von den Missionaren eingeholt wird; seit einiger Zeit dient er in Hohenfriedeberg mit einem andern Christen als Gemeindeältester. Noch näher bei der Kapelle bauten sich die Jünglinge an, deren Übertritt so großes Aufsehen machte, wie wir oben sahen. Sie nannten ihre Ansiedelung Bethanien. Ein Teil von ihnen hat sich bereits verheiratet. Das dritte Dörfchen ward von einem Christen Paulo Hosa gegründet und empfing seinen Namen von der Heimat des großen Heidenapostels. In diesen christlichen Ansiedelungen weht ein guter Geist. Man kann am Abend hier oft fromme Lieder singen hören, auch stehen die Bewohner sich bei allen Nöten hilfreich bei, wie es bei christlichen Nachbarn in der Ordnung ist. Den ungetauften Anhängern der Mission wird nicht geradezu verwehrt, in diese Christendörfer zu ziehen, sie müssen aber mit dem Eintritt ihre heidnischen Gebräuche preisgeben. So kam eines Tages Mbalagila, die Verwandte eines Christen, mit der Bitte, man möge sie bei den Getauften auf dem Ararat wohnen lassen. Sie wollte gern die heidnischen Opfer und Sitten aufgeben. Als sie erfuhr, dass man hier keine Amulette tragen dürfe, legte sie dieselben ab, zerschnitt sie und warf sie fort.

Die Christenhäuser unterscheiden sich schon auf den ersten Blick von den Hütten der Heiden. Die Waschambahütten sind rund, die Häuser in den Christendörfern aber viereckig, weil den Wohnungen der Missionare nachgebildet. Letztere lassen sich auch die Verbesserung der häuslichen Verhältnisse bei ihren Pfleglingen angelegen sein. Die christliche Sittlichkeit bringt ja von selbst eine Wandlung hervor, desgleichen der Schulunterricht. Die Schüler, die sich daheim im Lesen und Schreiben üben sollen, brauchen Tische und Stühle, auch besseres Licht in ihren Wohnungen. So kommen die Kulturfortschritte mit dem Christwerden ganz von selbst. Um den schwarzen Christen ein Vorbild zu geben, haben die Missionare am Fuße ihres Berges ein Stück Land gekauft und dort mit Hilfe der jungen christlichen Handwerker einige Musterhäuschen gebaut, die sie für einen angemessenen Preis verkaufen.

So hat sich Hohenfriedeberg nach allen Seiten hin schön entwickelt. Es gilt in jeder Hinsicht als Vorort des Christentums im Lande. Das heidnische Wesen geht mehr und mehr zurück, das Licht des Evangeliums sendet seine Strahlen in alle Lebensverhältnisse. Wenn die Christen auf der Station ihre Feste feiern, so geht es in ihrer Kirche schon ebenso andächtig und feierlich zu, wie bei uns in Deutschland.

Dass neben den Lichtseiten der jungen Gemeinde auch der Schatten nicht fehlt, ist selbstverständlich. Nicht alle Getauften sind ihrem Gelübde treu geblieben. Besonders die leidigen Heiratsgeschichten haben schon manchen jungen Christen zu Falle gebracht. Als jene erste Schar von Jünglingen getauft werden sollte, und die Eltern der ihnen versprochenen Bräute drohten, sie gäben ihre Tochter keinem Christen, hatten die Taufbewerber schnell entschlossen auf die heidnischen Mädchen verzichtet. Später, als die Begeisterung verflogen und die erste Liebe erkaltet war, sind einige doch recht lau geworden und haben sich wieder mehr dem heidnischen Wesen zugeneigt. Aber solche Verirrungen sind mit Hilfe einer strengen Kirchenzucht in der Regel glücklich überwunden worden. Dass hier und da einer in den Karawanenverkehr hineingezogen und in den Hafenstädten durch schlechten Umgang verdorben wird, ist bei der Freiheit, welche die evangelische Mission im Gegensatz zur katholischen grundsätzlich ihren Pfleglingen gewährt, unvermeidlich. Dafür bringt die häufige Berührung der jungen Christen mit den Heiden auch manche vorteilhafte Einwirkungen auf letztere mit sich. Der Same des Evangeliums wird von ihnen durch das ganze Land getragen, und so der eigentlichen Heidenpredigt vorgearbeitet.

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Bethel

Es bleibt nun noch eine Station in den Bergen von Usambara übrig, das in den äußersten Westen des Gebirges vorgeschobene Bethel. Der etwa sechsstündige Weg von Hohenfriedeberg dahin führt zuerst durch prächtigen Urwald, dessen Baumriesen mit einem dichten Gewirr von Schlinggewächsen durchzogen sind. Wenn man aus diesem Walde heraustritt, öffnet sich der Blick in manches schöne, grüne Tal, in dem sich ein plätscherndes Wässerlein hinabwindet. Hier stößt man auch wieder auf menschliche Ansiedelungen; zumeist sind es allerdings nur zerstreute Hütten oder kleine Weiler. Die Station Bethel ist nahe bei dem Städtchen Mtai, einem schwer zugänglichen Felsennest, angelegt, auf einem Bergrücken, der sich in die Umbasteppe hinausschiebt. Hier steht ein schönes Wohnhaus mit Wellblech gedeckt, daneben ein wohlbewässerter großer Garten. Es gibt auch schon eine bescheidene Kapelle und ein aus Backsteinen erbautes Schulhaus, bei dessen Herrichtung und Ausstattung viele afrikanische Hände geholfen haben.

Die Station wurde im Jahre 1893 gegründet. In den ersten Jahren haben die Missionare Becker und Döring hier gewirkt. Anfangs ging es durch viele Schwierigkeiten und Enttäuschungen hindurch. Man hatte den Fehler begangen, schon bei der Entstehung der Niederlassung eine Anzahl befreiter Sklaven mit hierher zu nehmen, die in der durchaus heidnischen Umgebung kaum in Zucht zu halten waren. Erst nach ihrer Entfernung - sie wurden damals noch nach Maneromango geschafft - konnten sich die Missionare ganz der Verkündigung des Evangeliums widmen. Das haben sie inzwischen fleißig getan. Besonders in dem einige Stunden entfernten Mbalu wurde ihre Predigt gern gehört. Der Erfolg blieb allerdings Jahre lang aus. Sie mussten sich zunächst damit begnügen, eine Saat auf Hoffnung auszustreuen. Auf eine Zeit großer Bereitwilligkeit, das Wort zu hören, folgte sogar eine Periode der größten Gleichgültigkeit und Verschlossenheit, so dass es schien, als ob dieser abgelegene Teil von Usambara ein besonders unfruchtbarer Missionsacker wäre. In den letzten Jahren sind aber doch Zeichen größerer Empfänglichkeit hervorgetreten. Die ersten wirklich dankbaren Seelen waren zwei Aussätzige, Kasidi und Kiase, die in völliger Abgeschiedenheit von ihrem Volke am Fuße der Felsen von Mti wohnten. In der durch ihre schreckliche Krankheit bedingten Verlassenheit tat ihnen der teilnehmende Zuspruch der weißen Männer besonders wohl, Kasidi, der ältere von ihnen, starb in seinem elenden Hüttchen, nachdem er kurz vorher die heilige Taufe empfangen hatte. Sein dadurch ganz einsam gewordener Leidensgenosse bat nun flehentlich um Aufnahme auf der Missionsstation, die ihm auch gewährt wurde. Am 1. Advent 1897 wurde er hier mit einem andern Taufbewerber, Nyimbue am Mbalu, feierlich in die christliche Gemeinschaft aufgenommen. Er wohnte seitdem in einer besonderen Hütte nahe beim Missionshaus; die Kapelle erhielt um seinetwillen einen kleinen Anbau, damit er an den Versammlungen teilnehmen und die Predigt hören konnte. Unter die andern Predigthörer durfte er sich nämlich nicht mischen, weil die Leute fürchteten, von seinem Aussatz angesteckt zu werden. Auch er ist inzwischen der bösen Krankheit erlegen. Seit der Taufe dieser ersten Christen in Bethel ist eine neue Zeit für die weit vorgeschobene Missionsstation gekommen. Die jetzt dort tätigen Missionare Röhl und Ruccius, die ihre erkrankten Vorgänger ablösten, haben mit ihren Schülern und Taufbewerbern alle Hände voll zu tun. Besonders die Schule, die von 45 Kindern besucht wird, gedeiht sichtlich und erweist sich als eine vortreffliche Pflanzstätte christlichen Glaubens und Lebens. Seitdem in Frau Missionar Ruccius auch eine Hausfrau auf der Station eingezogen ist, haben die Mädchen aus Mtai ihre frühere Schüchternheit aufgegeben und verkehren gern im Missionshause, wo sie christliche Lieder mit Harmoniumbegleitung singen. Damit scheinen also die Anfangsschwierigkeiten auch hier überwunden zu sein. Die jetzt in Bethel stationierten Missionare werden allem Anschein nach die Früchte der Sämannsarbeit ernten können, die von ihren Vorgängern hier und auf den Außenplätzen getan worden ist.

Unter allen Missionsfeldern des weiten deutschen Gebiets hat das im Berglande von Usambara die schnellsten und erfreulichsten Fortschritte gemacht. Es sieht fast aus, als ob die friedlichen Waschambaa nur auf die Glaubensboten gewartet hätten. Sie stimmen schon jetzt in größerer Zahl das Loblied an:

"Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen!"

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Urambo

Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber ist euch not.
Hebr. 10, 35.

Am 2. Januar 1898 traf eine große Karawane von Tabora her in Urambo ein. An der Spitze ritten zwei Europäer auf Eseln, hinter ihnen wurden zwei weiße Frauen von Negern getragen, ein heutzutage noch ziemlich seltener Anblick in der Nähe des Tanganjika-Sees. Eine fast unabsehbare Menge von Schwarzen folgten als Lastträger. Sie wurden ihrerseits noch von Frauen und Kindern begleitet, so dass der ganze Zug etwa 325 Köpfe zählte. Man sah es den Weißen wie den Schwarzen an, dass sie eine lange Wanderung hinter sich hatten. Sie waren am 31. Oktober von Bagamoyo aufgebrochen und fast ununterbrochen marschiert. Bei einer solchen Entfernung wird auch der schönste Reiseanzug unscheinbar und die frischen Kräfte machen einer gewissen Abspannung Platz. Hätten nicht die Missions- und Militärstationen am Wege - Mamboia, Mpapua, Kilimatinde und Tabora - die Reisenden in der entgegenkommendsten Weise beherbergt, so hätten sie dem Ende des Marsches wohl noch sehnsuchtsvoller entgegengesehen, als es so schon der Fall war.

Der Einzug in Urambo glich einem Triumphzuge. In großen Scharen kamen die Eingebornen unter Führung des Häuptlings herbei, die Ankömmlinge zu begrüßen. Sie hatten sich Fahnen aus bunten Stoffen zurecht gemacht oder hohes Schilfrohr abgebrochen, womit sie hin und her wedelten. Der junge Häuptling rückte mit seinen Keulen schwingenden Kriegern in seltsam vorwärts und rückwärts bewegtem Tanzschritt an; die Frauen und Mädchen umdrängten die Hängematten ihrer weißen Schwestern und brachten sie durch ihre ungestümen Liebesbezeugungen geradezu in Gefahr, herauszufallen; jede wollte einen Händedruck haben. Man denke sich dazu noch die nicht enden wollenden Jubelrufe und neugierigen Fragen, von denen die Europäer natürlich kein Wort verstanden. Kurz, es war ein so überraschendes Bild, dass die Reisenden ganz davon hingenommen waren.

Auf einem Hügel unter großen Bäumen machte die Karawane Halt. Das war ein Platz zum Rasten wie geschaffen. Hier tat sich eine entzückende Fernsicht in die wellige Landschaft von Unyamwesi auf. Unmittelbar zu ihren Füßen aber lagen die stattlichen Gebäude der Missionsstation von Urambo. Das war das Reiseziel. Die Karawane gehörte nämlich der Brüdergemeine, deren Missionare Dahl und Meier eben im Begriff standen, diese Station von der Londoner Mission zu übernehmen. Der Name "Urambo" war in den letzten Jahrzehnten zu einer gewissen Berühmtheit in Ostafrika gekommen. Sein Herrscher Mirambo hatte ihm dazu verholfen. Er war einer der reichsten "Sultane" im jetzigen deutschen Gebiet. Wie er dazu geworden, deutet schon sein Name an; er soll soviel heißen wie: "Einer, der viele Männer getötet hat." Durch planmäßige Eroberungen hatte er sein anfangs kleines Land auf einen für ostafrikanische Verhältnisse bedeutenden Umfang gebracht. Er beherrschte schließlich ein Gebiet so groß wie Württemberg. Einen ganz besonderen Nimbus verlieh ihm in den Augen der Neger der Widerstand, den er den Arabern leistete. Kein andrer Häuptling hatte es gewagt, dem blutsaugerischen Händlervolk den Weg zu verlegen. Mirambo aber trotzte ihnen. Jahre lang hat er sie am direkten Verkehr zwischen ihrem Hauptstapelplatz Tabora und ihrer wichtigsten Niederlassung am Tanganjika-See (Udschidschi) verhindert, ja auch in offener Schlacht ihnen siegreich widerstanden. Der überschwengliche Stanley, dem der hochgewachsene Negerfürst in feiner, arabischer Kleidung entgegentrat, hat ihm deshalb in seinen Reisewerken den ehrenvollen Beinamen eines "schwarzen Bonaparte" gegeben.

Die ersten Beziehungen zwischen dem Christentum und Mirambos Reich gehen auf den großen Livingstone zurück. Von ihm empfingen, wie wir früher sahen, sämtliche neuere Missionsunternehmungen im Seengebiet den ersten Anstoß. Als die englische Kirchenmissionsgesellschaft sich zur Besetzung von Uganda entschlossen hatte und zur Sicherung des Verkehrs die Etappenstraße durchs jetzige deutsche Gebiet anlegte, regte sich auch in den Kreisen der Londoner Mission der Wunsch, an der Bekehrung Ostafrikas teilzunehmen. Sie fassten die reichbevölkerten Landschaften am Tanganjika-See ins Auge. Udschidschi sollte der Mittelpunkt des neuen Unternehmens werden. Im Jahre 1877 wurde es ins Werk gesetzt. Heutzutage würden die dorthin reisenden Missionare ohne Zweifel den bequemen Wasserweg Sambesi - Schire - Nyassa benutzen. Der war aber damals noch nicht erschlossen. Man sah sich also auf die alte Karawanenstraße angewiesen, auf der Stanley und alle andern Forschungsreisenden ins Herz des dunkeln Erdteils gezogen waren. Die Londoner Mission konnte sich aber nicht entschließen, ihre Boten am Tanganjika ohne einen gesicherten Rückhalt zu lassen. Der erste Teil des Weges war ja von den Stationen der Kirchenmissionsgesellschaft Mamboia, Mpapua und Ujui besetzt. Aber zwischen Ujui und Udschidschi lag immer noch eine Entfernung von etwa 400 Kilometern. Sie durch Errichtung einer Zwischenstation zu verkürzen, lag umso näher, als die hier wohnenden Wanyamwesi zahlreich und zugänglich waren. Ein Besuch des Missionars Thomson bei Mirambo fiel sehr ermutigend aus. Der schwarze Herrscher wünschte lebhaft, Missionare bei sich zu haben. Er sicherte ihnen seinen Schutz und weitgehende Unterstützung zu. So kam es zur Gründung einer Missionsstation in der Nähe seiner Hauptstadt, die aus mehreren mit einer hohen Lehmmauer umgebenen Dörfern bestand. Ende Oktober 1879 zog der Missionsarzt Dr. Southon dort ein.

Die neue Niederlassung ward in der Regel kurz Urambo genannt und auch wir wollen bei dieser Bezeichnung bleiben. Streng genommen ist das aber nur der Name für die Landschaft. Sowohl der Wohnort des Häuptlings wie der Missionsplatz haben im Munde der Eingebornen ihre besondere Benennung. Da sich der Name Urambo aber einmal in der Missionsgeschichte eingebürgert hat, behalten wir ihn bei.

Dr. Southon wusste sich seinen mächtigen Landsherrn bald zum guten Freunde zu machen. Er bekam von ihm ein großes Stück Land geschenkt, dessen Grenzen so ausgedehnt sind, dass man zwei Stunden braucht, sie zu umgehen. Auch die Zuneigung des Volkes gewann er leicht, hauptsächlich durch seine ärztlichen Kuren. Leider war ihm aber nur eine kurze Wirksamkeit beschieden. Er starb im Jahre 1882 eines traurigen Todes. Sein schwarzer Diener hatte das Ungeschick, ihm auf einem Ausflug mit dem unversehens losgehenden Gewehr einen Arm zu zerschmettern. Leider war niemand da, der das Glied amputieren konnte. Erst nach einigen Tagen erschien der schleunigst herbeigerufene Missionar aus Ujui und nahm nach der Anweisung des Patienten den bereits brandig gewordenen Arm ab. Doch es war zu spät. Southon musste unter vielen Schmerzen sterben. Sein Tod war aber für die Heiden ein schönes Zeugnis, wie ein Christ leidet und heimgeht. Zugleich trat bei dieser Gelegenheit hervor, wie gut in der kurzen Zeit das Verhältnis zwischen Mirambo und dem Missionar geworden war. Der Sterbende bat den Häuptling, nach seinem Tode doch die Weißen, die zu seinem Ersatz kommen würden, freundlich aufzunehmen, worauf Mirambo tiefbetrübt antwortete:

"O Bruder, sprich nicht so; ich gäbe gern etwas her, lieber als dass du stürbest. Ob ich andre so lieb haben werde, wie dich, weiß ich nicht; aber was ich kann, will ich für sie tun."

Drei Monate nach Southons Tode kam der zu seiner Unterstützung bestimmte Missionar Shaw an, zu spät, um sich durch den Begründer der Station in die Verhältnisse einführen zu lassen, aber doch noch zu rechter Zeit, um in seine Fußtapfen zu treten. Er hat 13 Jahre lang in Urambo gewirkt. Was die Herrnhuter Brüder bei ihrem Einzug vorfanden, war in der Hauptsache sein Werk. Nicht als ob er immer allein geblieben wäre. Erst stand ihm ein Bauhandwerker Brooks, später ein gewisser Draper zur Seite. Seit 1888 auch seine Gattin. Aber die wichtigste Arbeit lag doch immer auf ihm, und wenn die Herrnhuter Brüder in ihrem ersten Bericht aus Urambo rühmen konnten, dass sie in die schönsten Häuser eingezogen wären, die das Innere von Deutsch-Ostafrika zu der Zeit aufzuweisen hatte, so wird man ihm das Hauptverdienst daran zuerkennen müssen. Das ist umso mehr hervorzuheben, als die ganze Bauarbeit nicht nur einmal, sondern viermal getan werden musste. Zweimal wurden die errichteten Gebäude durch Blitzschlag eingeäschert, einmal auch von ruchloser Hand angezündet. Kein Wunder, dass die meiste Zeit und die schönste Kraft der Missionsleute durch diese äußerlichen Arbeiten in Anspruch genommen wurden.

Als die Häuser endlich fertig waren und die eigentliche Missionstätigkeit des mit den Verhältnissen ganz vertraut gewordenen Missionars beginnen sollte, erfolgte seine Abberufung. Damit hatte es folgende Bewandtnis. Die Niederlassungen am Tanganjika-See, die das ganze Missionsunternehmen von Urambo veranlasst hatten, wollten nicht recht gedeihen. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe zu untersuchen. Die Hauptschuld lag wohl bei den arabischen Händlern, deren Macht damals noch nicht gebrochen war. Tatsache ist, das sowohl die zuerst angelegte Station bei Udschidschi, wie das bald darauf am Westufer des Sees entstandene Mtowa nur kümmerlich ihr Dasein fristeten. Etwas besser stand es um das am Südende des Sees gelegene Niamkolo, wohin die Londoner Mission das Schwergewicht ihrer Arbeit legte, als bei der deutsch-englischen Grenzregulierung ein Stück des südwestlichen Ufers unter englische Oberhoheit kam. Kurz vorher war auch die Verbindung vom Nyassa-See her immer günstiger geworden, sodass der weite und beschwerliche Landweg von den Missionaren gar nicht mehr benutzt wurde. Hatte Urambo erst unmittelbar am Wege nach dem Tanganjika-See gelegen, so lag es jetzt ganz abseits, ein einsamer Posten ohne allen Zusammenhang. Das bewog die Londoner Mission, sich zurückzuziehen. Sie fragte bei verschiedenen deutschen Gesellschaften an, ob sie an ihre Stelle treten wollten, erhielt aber überall abschlägigen Bescheid, Keine wollte sich aus das voraussichtlich sehr kostspielige Unternehmen einlassen. Die Brüdergemeine aber bewies auch hier ihre schon oft erprobte Opferwilligkeit. Sie erklärte sich zur Übernahme bereit. Als Lohn dafür erhielt sie kurz darauf ein Geschenk von 30.000 Mark, das ein Freund für die Besetzung der neuen Station zur Verfügung stellte.

So waren die obenerwähnten beiden Brüder Dahl und Meier, denen noch vor Ablauf des Jahres 1898 der aus Südamerika herbeigerufene Missionar Stern folgte, nach Urambo gekommen. Die Londoner Mission hatte einen ihrer Laienmissionare, den schon erwähnten Draver bis zur Übergabe der Station dagelassen.

Den Ankömmlingen wurde dadurch der Eingang in jeder Hinsicht erleichtert. Wir sahen schon, wie die Eingebornen ihnen entgegen kamen. Aber auch die sonst immer so schwierige Wohnungsfrage war in diesem Falle aufs beste gelöst. Die beiden Steinhäuser mit ihren schönen Dächern und Veranden genügten für die erste Zeit vollauf dem Bedürfnis. Erst als Missionar Stern mit Frau und Kind einzog, musste ein drittes Wohnhaus gebaut werden. Dazu kamen die von den Engländern geleisteten Vorarbeiten zur Bemeisterung der Landessprache und endlich auch die Willigkeit der Eingebornen, an den Wochentagen zum Schulunterricht, sonntags zum Gottesdienst zu kommen. Gleich am ersten Sonntag sahen die Brüder eine Versammlung von 5 bis 600 Leuten auf ihrer Station. Wie hätte ihnen da nicht das Herz aufgehen sollen?

Der erste Bericht, den sie in die Heimat sandten, war denn auch voll Lob und Dank. Der mit allen Verhältnissen und der Landessprache vertraute Draper führte sie überall aufs beste ein und erwies ihnen bei den alsbald in Angriff genommenen Sprachstudien die schätzenswertesten Dienste. Die Eingebornen aber machten zunächst alle einen sehr günstigen Eindruck. Die Brüder wurden in dieser guten Meinung auch noch bei Drapers Abreise bestärkt. Das Volk überhäufte den scheidenden Freund, der mit freigebiger Hand fast alle seine Habseligkeiten verteilte, mit rührenden Beweisen der Anhänglichkeit und Dankbarkeit.

Leider blieb aber die Enttäuschung nicht lange aus. Die begeisterte Aufnahme seitens der Leute von Urambo und der überraschend zahlreiche Besuch der Gottesdienste erwiesen sich bei näherem Zusehen als eine taube Blüte. Die freudige Begrüßung beim Einzug hatte, vielmehr den Warenballen, als den Missionaren gegolten, und der Zulauf zu den Gottesdiensten war nichts weiter, als eine schöne Gewohnheit, um keinen schlimmeren Ausdruck zu gebrauchen. Es war am letzten Karfreitag, als den Brüdern die Augen darüber vollständig aufgingen. Zu dem angesagten Gottesdienst fanden sich die Eingebornen in solcher Menge ein, wie nie zuvor. Aber wie wurde die Freude darüber gedämpft, als die Missionare sahen, dass einer nach dem andern mit Murren wieder abzog, weil sie keine neuen Kleider erhielten. Das waren sie von früher her gewöhnt. Ein ähnlicher Brauch hatte den guten Schulbesuch veranlasst. Die Schüler waren monatlich mit einem kleinen Geschenk bedacht worden. Als die neuen Lehrer beim Monatswechsel keine Miene machten, die offenen Hände zu füllen, gab es wieder enttäuschte Gesichter.

Das waren schmerzliche Erfahrungen. Die englischen Missionsleute hatten das Volk offenbar verwöhnt und die großen ihnen zu Gebote stehenden Geldmittel unklug angewandt. Ihre Nachfolger waren keinen Augenblick im Zweifel, was sie tun sollten. Sie mussten mit der unevangelischen Gewohnheit brechen, selbst auf die Gefahr hin, die Leute vor den Kopf zu stoßen. So sehr sie die von ihren Vorgängern übernommene Station zu schätzen wussten, über die von ihnen befolgte Missionsmethode haben sie im Stillen oft geklagt. In der geistlichen Arbeit mussten sie geradezu wieder von vorn anfangen. Die Schultätigkeit gaben sie vorläufig ganz auf. So lange sie die Landessprache noch nicht völlig beherrschten, konnten sie sich vom Unterricht nicht viel Erfolg versprechen. Die dadurch gewonnene Zeit benutzten sie zu eingehenden Sprachstudien. Sie stießen hierbei auf manche Mängel in den von den englischen Missionaren hinterlassenen Vorarbeiten. Shaw hatte seiner Zeit eine Übersetzung des Markusevangeliums angefertigt, bei den Gottesdiensten wurden auch Lieder von ihm in Kinyamwesi gesungen. Aber hier wie dort fanden sich sinnentstellende Sprachfehler. Das Evangelium musste von dem sprachbegabten Bruder Stern fast ganz neu übersetzt werden. Letzterer arbeitet auch eine Grammatik aus.

Durch alles das wurde die in den Anfangsberichten zum Ausdruck gekommene Freude stark abgekühlt. Die Missionare entdeckten auch immer mehr dunkle Seiten im Volksleben. Urambo wird von zwei Volksstämmen bewohnt, den Wanyamwesi und Watusi. Letztere sind ein schlanker, starker Menschenschlag und leben in kleinen Dörfern abgesondert von den Wanyamwesi. Sie haben eine ausgesprochene Vorliebe für ihr Vieh, was bei jenen durchaus nicht der Fall ist. Damit hängt eine gräuliche Sitte zusammen. Sie begraben ihre Toten innerhalb der Einzäunung, in der das Vieh die Nacht zubringt, und bedecken die Leichen nicht mit Erde, sondern mit Kuhdünger. Die Wanyamwesi dagegen haben einen unbändigen Wandertrieb. Man findet sie auf allen Karawanenstraßen. Dass dadurch ihre Leichtlebigkeit und ihr unzuverlässiger Charakter nicht gewinnen, liegt aus der Hand. Besonders nachteilig wirkt das Wanderleben auf das weibliche Geschlecht. Von den Frauen und Mädchen begleiten viele ihre Männer oder Väter bis zur Küste. An den Endpunkten und Rastplätzen der Karawanenwege herrscht aber ein unbeschreiblich leichtfertiges und sittenloses Treiben, So wächst die weibliche Jugend ohne Aufsicht und Zucht heran; die Mädchen laufen buchstäblich wie die Tiere des Waldes herum, bis sie sich verheiraten, d.h. eine der drei oder vier Frauen eines Mannes werden, der nun vielleicht ein strammes Regiment über sie führt.

Von Religiosität ist unter diesen Umständen bei den Wanyamwesi noch weniger zu spüren, als bei den andern ost-afrikanischen Völkern. Sie tragen allerdings sehr viele Amulette: am Hals, am Ober- und Unterarm, in den Haaren, Ohren, kurz fast am ganzen Körper; bald sind es Holzklötzchen, bald weiße Muschelsteine oder ähnliche kleine Dinge. Der Verehrung für die Geister der Verstorbenen begegnen wir auch hier. Für sie erbaut der Heide ganz kleine Hüttchen unmittelbar neben seiner Wohnung. Das ist die Stätte seiner Anbetung. Die bei besonderen Anlässen dargebrachten Opfer bestehen aus Ziegenfleisch und Hirsebier. Wenn lange Zeit Dürre geherrscht hat, wird die ganze Freundschaft eingeladen, um Regen zu erflehen. Das nötige Bier ist schon gebraut, die Glieder der Sippe sitzen im Kreise herum und lassen den aus Stroh geflochtenen Becher wandern. Der erste Schluck wird ausgespuckt, das ist das Opfer für die Geister. Was für eine traurige, niedrige Form der Anbetung!

Die Zauberer spielen natürlich im Volke eine große Rolle. Wenn so ein mfumu (so heißt der Wunderdoktor) von Hütte zu Hütte zieht, führt er in seiner Rindenschachtel eine Menge Zaubermittel mit sich, um sie an die Leute zu verkaufen. Da gibt es geröstete Herzen von Raubtieren, Vogelschnäbel, mit Gift gefüllte Hörner u. dergl.

Dem Treiben der Zauberer wirken die Missionare zunächst durch die auf der Station betriebene ärztliche Tätigkeit entgegen. Bruder Meier, der medizinische Kenntnisse mitbrachte, sah sich von Anfang an von zahlreichen Kranken umlagert. Er hat im ersten Jahre 800 behandelt und konnte vielen zur Gesundheit helfen. Die meisten bedanken sich mit einer Gabe von Früchten oder andern Nahrungsmitteln. Die Missionsleute sind übrigens mit ihrem Lebensunterhalt nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen. Ihr großes Grundstück liefert ihnen fast alles, was sie brauchen. Die Häuser sind von einem förmlichen Zitronenwald umgeben, der ihnen mehr Früchte bringt, als sie verbrauchen können. Die besten Stücke des Landes bepflanzen sie mit Erdfrüchten und Getreide; sie bauen auch fast alle europäischen Gemüse an. Mühelos fallen ihnen die Früchte des Landes freilich nicht in den Schoß. Es herrscht zeitweilig sehr trockene Witterung und dann ist die Bewässerung mit Schwierigkeiten und Kosten verbunden. Zu besonderer Vorsicht bei der Feldbestellung mahnt das wiederholt beobachtete Eintreffen von Heuschreckenschwärmen. Glücklicherweise waren sie bisher durch Klappern und Scheuchen zu vertreiben. Die Missionare setzen besondere Hoffnungen auf den Weizenbau, mit dem sie Versuche machen. Sie hoffen mit der Aussaat noch zurecht zu kommen, wenn die Schwarmzeit der Heuschrecken vorüber ist.

Neben dieser äußerlichen Arbeit geht die Erziehung von Waisenkindern einher, die der Missionsstation teils von den deutschen Beamten in Tabora, teils von den benachbarten Häuptlingen übergeben worden sind. Hier sei eingeschoben, dass Mirambo schon lange vor dem Eintreffen der Herrnhuter Brüder gestorben ist. Obwohl er bis an sein Ende im Heidentum beharrte, hinterließ er doch ein gutes Gedächtnis auf der Missionsstation. Sein junger Sohn, der beim Einzug der neuen Missionare Häuptling war, ließ sich schwere Verbrechen zu Schulden kommen und wurde deshalb abgesetzt. Das jetzige Oberhaupt der Landschaft scheint ganz von der deutschen Militärstation abhängig zu sein. Die Erziehung der genannten Kinder ist bisher ohne die unliebsamen Erfahrungen geblieben, welche die Missionare im Kondelande zu machen hatten. Zurzeit sind die Pfleglinge - zwölf Knaben und Mädchen - noch sehr jung. Erst wenn sie heranwachsen, wird sich's zeigen, ob sie für die genossene Liebe dankbar sind. Einstweilen streuen die Brüder und ihre Frauen unverdrossen eine Saat auf Hoffnung in die Kinderseelen aus.

Nachdem sie sich die Sprache der Eingebornen vollständig angeeignet haben, beabsichtigen sie, nächstens wieder einen Anfang mit der Schultätigkeit zu machen. Vorbereitet haben sie den Schritt durch Besuche in den umliegenden Dorfschaften. Die Gespräche, die sie dort mit den Leuten führten, waren darauf angelegt, diese zu überzeugen, dass der Besuch der Gottesdienste oder des Unterrichts weder mit Stoff- oder Fleischspenden noch mit irgend welchen anderen Belohnungen verknüpft sein wird. Wer nur irdische Vorteile sucht, soll seine Rechnung nicht finden. Der weitere Lauf der Dinge wird zeigen, ob nicht auch unter den Wanyamwesi und Watusi suchende Seelen vorhanden sind. Die Missionsstation besteht jetzt gerade 20 Jahre. Dass nach einem solchen Zeitraum noch keine Gemeinde gesammelt, ja noch nicht einmal die erste Taufe erfolgt ist, steht in der Missionsgeschichte von Ostafrika, vielleicht sogar in der ganzen Geschichte der evangelischen Mission einzigartig da. Mag auch die Herzenshärtigkeit der Wanyamwesi besonders groß sein, so sind doch wohl die früheren Missionare nicht ganz ohne Schuld an der bisherigen Unfruchtbarkeit des Arbeitsfeldes. Den neu angekommenen Brüdern hat der Umstand, dass sie seit ihrem Einzug nur taube Blüten zu sehen bekamen, schon manchen schweren Seufzer ausgepresst. Noch vor kurzem schrieben sie:

"Wenn uns doch der Herr, der die Herzen der Menschen lenkt wie die Wasserbäche, bald Erfolg unsrer Arbeit schenken wollte. Die hiesige Station steht schon so lange und noch kein Zeichen eines Lebens aus Gott!"

Man kann ihnen den Schmerz nachfühlen, mochte aber antworten: "Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Aber Geduld ist euch not." Auch der harte Boden von Urambo wird zu seiner Zeit seine Frucht tragen. Der Herr, in dessen Hand die Fäden des Missionsregiments zusammenlaufen, hat sicherlich das Heil der Heiden von Urambo im Sinn gehabt, als er die einen Glaubensboten durch die andern ersetzte. Wir wissen dieses schwierige Stück des ostafrikanischen Missionsfeldes bei den Herrnhuter Brüdern in guten Händen und dürfen auch dort in Zukunft die Erfüllung der göttlichen Verheißung erwarten, dass das gepredigte Wort nicht leer wieder zurückkommen soll.

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Schlußwort

Ein vielgestaltiges Bild ist bei Betrachtung der evangelischen Missionsbestrebungen im deutschen Gebiet an uns vorüber gezogen. Der große Livingstone ging als Herold voran. Erst wagten nur wenige seinen Spuren zu folgen, zuletzt aber zogen ganze Scharen von Glaubensboten in die erschlossenen Länder. Sechs verschiedene Gesellschaften sind gegenwärtig an der Christianisierung von Deutsch-Ostafrika beteiligt. Ein Blick auf die diesem Buche beigegebene Kartenskizze belehrt uns, dass das Arbeitsfeld von allen Seiten in Angriff genommen ist. Die Universitätenmission und Berlin III haben an der Küste eingesetzt, die Brüdergemeine und Berlin I tief im Innern am Nordende des Nyassa-Sees; die Leipziger Mission wirkt am Kilimandscharo und die englische Kirchen Mission in der Mitte des deutschen Gebiets, ganz zu schweigen von den einzeln liegenden Stationen Urambo und Nassa.

Die evangelische Mission ist aller Uniformierung abhold. Das ist uns auch hier entgegengetreten. Jede Kirchengemeinschaft kann ihre besonderen Kräfte und Gaben im Dienst der großen Sache entfalten, wobei der Umstand, dass deutsche und englische Missionare friedlich neben einander arbeiten, als Kennzeichen des wahrhaft ökumenischen Sinnes im evangelischen Missionsbetrieb ausdrücklich hervorgehoben sei. Jede Gesellschaft hat ihre berechtigte Eigenart. Hier stehen die auf Bekenntnistreue haltenden Lutheraner, dort die durch ihre evangelische Weitherzigkeit bekannten Herrnhuter. Unter den Engländern ist die hochkirchliche Richtung durch die Boten der Universitätenmission vertreten, aber auch die uns deutschen Protestanten vor allem sympathische Lowchurch. In der Praxis finden wir ebenfalls eine große Mannigfaltigkeit, Die einen lieben stark entwickelte Hauptstationen, wo das kirchliche Leben kräftig pulsiert. Die von ihnen aus bedienten Nebenplätze erscheinen dann nur als Sterne dritter oder vierter Ordnung. Magila ist ein Beispiel dafür. Andere errichten lieber kleine Stationen in größerer Zahl, die man auf weite Länderstrecken verteilt und sich ziemlich selbständig entwickeln lässt. Das ist die Praxis aller hier in Frage kommenden deutschen Gesellschaften. Auch die Stellung der Missionare zur Kulturarbeit ist eine verschiedene, Nie einen vermeiden fast ängstlich alles äußerliche Beiwerk, wie Gartenanlagen und Feldbestellung, um nicht in den Verdacht zu kommen, das ora et labora den Kolonialmännern zuliebe umzukehren, andere greifen mit vollständiger Harmlosigkeit auch diese Dinge an und pflegen sie mit Hingabe. Die einen begnügen sich Jahre lang mit den bescheidensten Wohnräumen, die geradezu an Einsiedlerhütten erinnern, andere wenden beträchtliche Mittel auf, schöne Gebäude erstehen zu lassen, die bei den Negern die höchste Bewunderung, bei den Kolonisatoren aber wenigstens Anerkennung finden. Die einen legen besonderen Wert auf Schulen und Erziehungsanstalten, die anderen mehr auf die Predigt des Evangeliums unter den Erwachsenen.

So verschieden aber dies oder jenes in der Praxis auch gehandhabt wird, in einem Punkte treffen alle Gesellschaften und Missionare zusammen. Sie betonen die geistliche Aufgabe der Mission, Ihr eigentliches Arbeitsfeld sehen sie in den unsterblichen Seelen der Afrikaner. Darum gilt ihnen als das hauptsächlichste Missionsmittel, gegen das alle andern weit zurücktreten, das Wort, die Lehre, Sie handeln nach dem Wort ihres Meisters im Gleichnis vom Sauerteig. Die heidnische Welt soll mit neuen Gedanken erfüllt und dadurch von Grund aus umgestaltet werden. Daher die Eile mit dem Erlernen der Landessprache, mit der Verkündigung des Evangeliums in Form von Predigt oder Unterricht und auch mit der Beschaffung einer christlichen Literatur, Daher aber auch die Geduld im Warten auf äußerliche Erfolge.

Wir haben die Missionsbestrebungen auf den einzelneu Arbeitsfeldern in verschiedenen Stufen der Entwickelung gefunden. Dem entsprechend war an der einen Stelle bereits ein reichlicheres Maß von Früchten zu sehen, an der andern nur wenige. Es konnte nicht anders sein. Für die Beurteilung des Ganzen ist aber im Auge zu behalten, dass die gesamte evangelische Mission in Deutsch-Ostafrika noch sehr jung ist. Das im Jahre 1867 gegründete Magila besteht am längsten, nahm sich aber in den ersten Jahren nur wie ein vereinzeltes Frühlingsblümchen aus. Erst nach einem Jahrzehnt kamen weitere Stationen in Usagara und am Rowuma hinzu. Auch diese hatten um ihre Existenz zu kämpfen, besonders während der politischen Unruhen in den achtziger Jahren. So ist eigentlich erst das Jahr 1890 als Beginn der mit Nachdruck betriebenen Missionstätigkeit im deutschen Gebiet anzusehen. Ein Jahrzehnt ist aber eine verschwindend kurze Zeit für die Bekehrung der Völker. Wir haben gesehen, wie es jetzt auf den verschiedenen Missionsfeldern zugeht. Einen Überblick auf die zur Zeit vorhandenen Arbeitskräfte und die Erfolge, soweit sie sich in Zahlen fassen lassen, gewährt die nachfolgende Tabelle.

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Diese Zahlen geben dem, der sie zu lesen weiß, eine Antwort auf die in unseren Missionskreisen oft erhobene Frage: "Was sind wir unseren Kolonien schuldig?" Diese 74 ordinierten Missionare nebst vier Diakonen, sechs Missionarinnen und fünf Handwerkern sind ein kleines Heer, das zur friedlichen Eroberung des deutsch-ostafrikanischen Gebietes für den König mit der Dornenkrone ausgezogen ist. Ihre 37 Hauptstationen sind als ebenso viele gesicherte Pflanzstätten christlichen Glaubens und Lebens anzusehen. Wenn in der Rubrik der Getauften die meisten Gesellschaften nicht mit großen Zahlen prunken können, so darf man nicht vergessen, dass sie es mit der Aufnahme in die christliche Gemeinschaft eben sehr genau nehmen, dass also die hier verzeichneten 2.400 Negerchristen eine auserlesene Schar darstellen. Dass sie noch keine fertigen Christen und Muster christlicher Tugenden sind, wissen ihre Lehrer besser, als jeder andere. Sie machen in ihren Berichten gar kein Hehl daraus, dass es eine "Freude mit Zittern" ist, die sie an ihnen haben, und dass das in ihnen angefangene gute Werk noch dauernder Behütung und Nachhilfe bedarf. Und doch beruht auf ihnen, wie auf den mehr als 3.000 Schülern die Hoffnung für einen gesegneten Fortgang der Arbeit.

Dass die Zahl der eingebornen Gehilfen noch so klein ist - nur die am längsten in der Tätigkeit stehende Universitäten-Mission konnte schon Eingeborne ordinieren - kann uns nicht überraschen. Es gehören in der Regel christliche Familien und womöglich ganze Generationen dazu, um tüchtige schwarze Lehrer und Prediger hervorzubringen. In einer späteren Periode der ostafrikanischen Missionsgeschichte wird diese Zahl beträchtlich wachsen und der der europäischen Missionare immer näher kommen, um sie zuletzt zu überflügeln. Die Mithilfe seitens der eingebornen Christen wird dann von hervorragender Bedeutung sein.

Wie groß die von den Missionsgesellschaften aufgewendeten Geldmittel sind, lässt sich nicht genau angeben, weil die, welche noch andere Gebiete in Ostafrika unter ihren Händen haben, nicht vollständig getrennte Rechnungen aufstellen. Es mögen im Ganzen etwa 400.000 Mark pro Jahr sein, im höchsten Falle eine halbe Million. Das ist eine sehr kleine Summe im Vergleich zu dem, was für Kolonisationszwecke aufgewandt wird. Die Militärstationen und die Schutztruppe erfordern jedenfalls viel größere Summen, als sämtliche hier erwähnte Missionsunternehmungen.

Wir können uns der schnellen Besetzung des ostafrikanischen Gebietes freuen, und doch ist das bisher Geleistete nur als bescheidener Anfang anzusehen. Das Ziel ist ja die vollständige Christianisierung der vielen Völker zwischen der Küste des Indischen Ozeans und den großen Seen im Herzen des dunkeln Erdteils. Die Verwirklichung dieses Planes liegt noch in weiter Ferne. Ein Blick auf die Karte zeigt uns, dass einzelne Landschaften, wie Usambara, das Dschagga- oder das Kondeland zwar gut besetzt, dass dafür aber andere weite Gebiete nur ungenügend versorgt sind. So der ganze Süden zwischen den Flüssen Rowuma und Rufidji. Die unermesslichen Länderstrecken im Westen und Nordwesten unseres Gebietes stehen heute noch fast leer. Zwischen dem Kilimandscharo und dem Victoria-Nyanza stößt man auf keine einzige Missionsstation, auch zwischen dem Victoria-Nyanza und dem Tanganjika-See sucht man vergebens nach evangelischen Niederlassungen. Es bleibt also noch viel zu tun. Ganze Völker leben noch in dicker heidnischer Finsternis dahin.

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Grasbedeckte Chaggahütte.
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Wir sind bei unserm Rundgang durch die ostafrikanische Mission auch wiederholt dem Sendboten der römischen Propaganda begegnet. Bei der großen Ausdehnung unseres Kolonialgebietes sind die Berührungen mit ihnen glücklicherweise bisher nicht allzu häufig gewesen. Das Schwergewicht ihrer Tätigkeit liegt an der Küste in Bagamoyo und Dar-es-Salaam, ferner in der Landschaft Ukami und im Innern hauptsächlich am Tanganjika-See und am Südufer des Victoria-Nyanza. Sie hatten mit ihrer alten Niederlassung in der zuerst genannten Küstenstadt von Anfang an einen Vorsprung vor der evangelischen Mission, machen aber auch in der neuern Zeit kolossale Anstrengungen, um ihr zuvorzukommmen.2) Den 37 evangelischen Stationen stehen 33 katholische gegenüber, den 89 evangelischen Missionsleuten sogar 162 katholische. Bei dem ausgesprochenen Bestreben der Katholiken, sich in die von den Evangelischen besetzten Gebiete einzudrängen, ist zuweilen geradezu ein Wettlauf beider Konfessionen zu verzeichnen gewesen, wenn es sich um die Gründung neuer Stationen handelte. Auf evangelischer Seite sieht man das als ein Unglück an. Man würde die leidige Konkurrenz am liebsten vermeiden und tut es auch, so viel man nur kann. Jedenfalls darf man den etwa daraus hervorgehenden Störungen des Missionswerkes mit gutem Gewissen entgegensehen. Etwaige Reibereien sind von den Katholiken verschuldet. Etwas Gutes kann übrigens auch aus dem Zusammentreffen der beiden Konfessionen hervorgehen. Die Römischen gehen hier viel vorsichtiger zuwege, als anderswo. Sie halten es sogar für nötig, in ihren Berichten zu betonen, dass sie ihre Taufbewerber gründlich vorbereiten und keine Massentaufen vornehmen. Gerade nach dieser Seite hin haben sich die katholischen "Missionare" bekanntlich in der ganzen Welt in den übelsten Ruf gebracht. Wir freuen uns, dass die Nähe evangelischer Stationen diese sittigende Wirkung ausübt. Die evangelischen Missionskreise mögen ihrerseits in dem eifrigen Vorgehen der Römischen einen Ansporn zum Einsetzen aller ihrer Kräfte sehen, damit in Deutsch-Ostafrika nicht die trübe Flamme des römischen Kirchenwesens, sondern das reine Licht des evangelischen Glaubens auf den Leuchter gestellt werde.

Die Reisenden, welche um die Wende des Jahrhunderts Ostafrika besuchten und Vergleiche zwischen dem deutschen, englischen und portugiesischen Gebiet anstellen konnten, loben einstimmig die Fortschritte der Länderstrecken, die unter die deutsche Hoheit gekommen sind. Das ist von der natürlichen Entwickelung des Landes, von Ordnung und Sicherheit, von Plantagen und Wegebau, von Schutztruppe und Beamtenschaft zu verstehen. Die deutschen Missionsfreunde aber erstreben noch ein höheres Lob. Sie sähen es gern, dass das deutsche Gebiet auch am besten christianisiert wird.

Das Himmelreich ist gleich einem Netz, das ins Meer geworfen ist, damit man allerlei Gattung fängt (Matth, 13, 47). Wir haben es in unserer Kolonie wirklich mit einem Völkermeer zu tun, und wie wir im ersten Kapitel dieses Buches gesehen haben, fehlt es an wilden, ja sogar widerwärtigen Zügen im Wesen dieser Völker nicht. Aber wenn sie einmal dem großen Menschenfischer ins Netz gegangen sind, wird ihre Unart überwunden und ihre Eigenart geläutert und verklärt. Die oberflächlichen Wasuaheli, die flatterhaften Wanyamwesi, die wilden Waruscha und die trotzigen Wahehe stellen jetzt der Mission manche schwere Aufgabe, aber auch ihr Wesen ist der Veredelung fähig und auch sie werden dereinst den ihnen bestimmten Platz im Reiche Gottes ausfüllen, wenn sie dem untertan geworden sind, der da spricht: "Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht."

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Anmerkungen

1)
Das ist die Art. wie sich die Eingebornen an der Türschwelle anmelden. Weil sie barfuss gehen, hört man sie sonst nicht kommen.

2)
Nach einer in "Gott will es", der Zeitschrift des Afrika-Vereins deutscher Katholiken, März 1899 enthaltenen Zusammenstellung ist Deutsch-Ostafrika von der Propaganda in fünf Apostolische Vikariate geteilt, deren Bestand aus folgen Zahlen zu ersehen ist:

Apost, Vik. Nord-Sansibar hat

12 Stat,

22 Patres

23 Fratres

21 Schwestern

Apost, Vik. Süd-Sansibar hat

  7    "

  9      "

15       "

16            "

Apost, Vik. Tanganjika hat

  5    "

12      "

  7       "

  4            "

Apost, Vik. Unyanyembe hat

  5    "

11      "

  4       "

  4            "

Apost, Vik. Süd-Nyanza hat

  4    "

  9      "

  5       "

  0            "

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Ouellenschriften über die Mission in Deutsch Ostafrika

(Nach der Reihenfolge der Kapitel in diesem Buche geordnet)

  • Das Leben David Livingstones.
    Von W. G. Blaikie.
    Uebersetzt und mit Erläuterungen versehen von O. Denk, 2 Bände.
    Gütersloh 1881, C. Bertelsmann.
     
  • "Central-Africa"
    Monatsblatt der Universitäten-Mission.
    London, 9 Dartmouth Street, Westminster.
     
  • Alexander M. Mackay, Pionier-Missionar von Uganda.
    Von seiner Schwester. Uebersetzt von Nebinger.
    Mit einer Skizze seiner Persönlichkeit aus persönlichem Verkehr von D. Wilh. Baur.
    Leipzig 1891, Hinrichs.
     
  • Church Missionary Intelligencer.
    Organ der englischen Kirchenmission.
    London, Salisbury Square.
     
  • Bilder aus Ostafrika.
    Von Dan. von Cölln. Berlin 1891, Zillessen.
     
  • Morgendämmerung in Deutsch-Ostafrika.
    Ein Rundgang durch die ostafrikanische Mission (Berlin III).
    Von P. Paul Döring, Missionar.
    3. Aufl. Berlin 1899, M. Warneck.
     
  • Nachrichten aus der ostafrikanischen Mission.
    Monatsblatt der evangelischen Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika. Berlin.
     
  • Evangelische Mission im Nyassa-Lande.
    Von P. J. Richter. 2, Aufl, Berlin 1898,
    Buchhandlung der evangelischen Missionsgesellschaft, Friedenstr. 9.
     
  • Deutsche Arbeit am Nyassa,
    Von Missionssup. Merensky.
    Berlin 1894. Ebenda.
     
  • Die Mission der Brüdergemeine in Missionsstunden.
    Von Missionsdir. a. D. G. Burkhardt.
    8. Heft. Deutsch-Ostafrika, Nyassa-Gebiet.
    Leipzig 1898, Fr. Jansa. Berliner Missionsberichte.
    Monatsblatt der Berliner Missionsgesellschaft (Berlin I),
    Berlin NO, 43. Georgenkirchstr. 70.
     
  • Missionsblatt der Brüdergemeine.
    Monatsblatt, herausgegeben von Th, Bechler, Herrnhut.
     
  • Evangelisch-Lutherisches Missionsblatt.
    Organ der Leipziger Mission,
    Herausg. von Missionar R. Handmann. Leipzig, Hohestr.7.
     
  • Karl Segebrock und Ewald Ovir,
    Zwei früh vollendete Missionare.
    Von Missionsdir. C. von Schwartz.
    Leipzig 1897, Hohestr. 7.

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Landkarten

 

Karte von 1896

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