Die Bibliothek des Pfarrers Reinhold Forster in Nassenhuben
bei Danzig enthielt mehr gelehrte Folianten, als man um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts in einem Pfarrhaus im polnischen Preußen erwarten
konnte. Theologische Werke waren freilich darin nur spärlich vertreten, um so
reichlicher Naturkunde, Historie und Sprachwissenschaften, vor allem die
orientalischen Sprachen. Denn Reinhold Forster war ein gelehrter Mann, der in
seinem Leben siebzehn Sprachen erlernte und sich in vielen Wissenschaften
betätigte. Vor allem befasste er sich mit der Übersetzung von
Reisebeschreibungen, für die er später geradezu eine literarische Großmanufaktur
betrieb. Er entstammte väterlicherseits einer schottischen Adelsfamilie, die als
Anhänger Karls I. und um ihres protestantischen Glaubens willen im siebzehnten
Jahrhundert nach Deutschland geflohen war. Seine Bildung war vielseitig und auf
manchen Gebieten gründlich, aber er war ein rechthaberischer und streitsüchtiger
Mensch, der sich durch unstetes und launenhaftes Wesen immer wieder mit seinen
Förderern und Freunden verzankte, über seinen wissenschaftlichen Studien und
Träumereien von Seefahrten und Forschungsprojekten vernachlässigte er sein
geistliches Amt und konnte sich bedenkenlos in Schulden stürzen, um kostbare
wissenschaftliche Werke zu kaufen.
Zwischen diesen Büchern wuchs sein ältester Sohn Georg heran,
der 1754 geboren wurde. Er war ein zartes und empfindsames Kind, sehr begabt und
unglaublich frühreif. Der Vater unterrichtete ihn selbst und erweckte in dem
Knaben schon in früher Jugend eine besondere Neigung für die Naturkunde, so dass
er ihn bald als Gehilfen für seine wissenschaftlichen Streifzüge brauchen
konnte.
Im Jahre 1765 erhielt er endlich einen Forschungsauftrag, wie er ihn schon lange
ersehnt hatte. Die russische Regierung schickte ihn an die untere Wolga, um dort
die Voraussetzungen für die Anlage von deutschen Siedlungen zu untersuchen.
Forster, der den Sohn als Handlanger bei seinen Arbeiten nicht mehr entbehren
konnte, nahm den elfjährigen Georg mit auf die Reise. Von Saratow aus
durchstreiften sie ein halbes Jahr lang die Kirgisensteppe bis an den Elton-See,
zogen Erkundigungen über die landwirtschaftlichen Möglichkeiten ein und legten
botanische Sammlungen an, bei deren Ordnung sich. Georg das neue System des
großen schwedischen Naturforschers Linne zu eigen machte.
In Petersburg arbeitete Reinhold Forster seine Berichte aus
und entwarf ein Gesetzbuch für die Wolgakolonisten, während Georg einen Winter
lang die berühmte Petrischule besuchte. Der Vater Forster bemühte sich um eine
leitende Stellung in dem Kolonisationsunternehmen, aber der Gouverneur von
Saratow, dessen Tätigkeit er in seinem Bericht kritisiert hatte, vereitelte das.
Als die Regierung ihm auch für die geleistete Arbeit keinen hinreichenden Lohn
zahlen wollte, musste er alle seine Hoffnung aufgeben, in Russland einen neuen
Wirkungskreis zu finden.
Inzwischen war seine Pfarrstelle in Nassenhuben neu besetzt
worden. Um seine Familie vor der schlimmsten Not zu bewahren, musste er seine
wertvolle Bibliothek in Danzig verkaufen lassen. Nun war ihm die Rückkehr in die
Heimat erst recht verleidet, und er beschloss, sein Glück in England zu
versuchen. Auf der Seereise lernte Georg mit solchem Erfolg die englische
Sprache, dass er schon bald nach der Ankunft ein russisches Werk ins Englische
übersetzen konnte. Reinhold Forster fand eine Anstellung als Sprachlehrer an der
Dissentersakademie in Warrington und ließ seine Familie nachkommen. Bald
entzweite er sich mit der Leitung der Akademie und siedelte 1770 nach London
über. Er versuchte vergeblich, von der Ostindischen Kompanie den Auftragt zu
einer Reise nach Indien zu bekommen. Mit Georgs Hilfe leistete er allerlei
literarische Lohnarbeit, deren Ertrag kaum ausreichte, um seine Familie zu
ernähren, aber wenigstens seinen Namen in wissenschaftlichen Kreisen bekannt
machte.
Weltumsegelung
Ein Glücksfall brachte schließlich beiden Forsters, dem Vater
wie dem Sohne, die große Chance ihres Lebens. Im Frühjahr 1772 rüstete sich
Kapitän Cook zu seiner zweiten Entdeckungsreise in die Südsee. Auf der ersten
Fahrt hatten ihn Sir Joseph Banks und der schwedische Botaniker Solander als
Naturforscher begleitet. Auch diesmal sollte Banks mitfahren, versagte aber aus
Verärgerung über die schlechte Unterbringung an Bord kurz vor der Abreise die
Teilnahme. An seiner Stelle wurde Reinhold Forster in Vorschlag gebracht, der
natürlich mit Freuden zusagte, allerdings unter der Bedingung, dass ihn Georg
als sein Gehilfe begleiten durfte. Innerhalb von zwei Wochen mussten beide ihre
Ausrüstung für die auf etwa drei Jahre berechnete Reise beschaffen, wobei sowohl
die Erfordernisse eines langen Aufenthaltes in den Tropen wie auch im Polarklima
zu berücksichtigen waren. Die 4.000 Pfund, die hierfür zur Verfügung standen,
waren mehr als hinreichend, um auch noch den Unterhalt seiner Familie in England
sicherzustellen, aber in den Händen Reinhold Forsters zerrann auch diese
bedeutende Summe allzu rasch.
Die großen Seefahrer des sechzehnten und siebzehnten
Jahrhunderts waren Portugiesen, Spanier oder Italiener gewesen. Der Engländer
James Cook war ihr später, aber durchaus ebenbürtiger Nachfahre, ein Mann von
großer nautischer Erfahrung, zäh und entschlossen. Er jagte nicht nebelhaften
Gerüchten von Goldschätzen nach, sondern verfolgte nüchterne seemännische Ziele,
die Kartierung der neuentdeckten Küsten und die Erforschung der Länder, die für
die britische Seefahrt und Politik von Interesse zu werden versprachen. Die
Umrisse der Kontinente in den tropischen und gemäßigten Breiten waren zu seiner
Zeit in großen Zügen festgelegt. Fast unerforscht waren dagegen die südlichsten
Teile der großen Ozeane. Gerade hier aber erwartete man noch wichtige
Entdeckungen, denn aus theoretischen Erwägungen vermuteten viele Gelehrte als
Gegengewicht gegen die großen Festlandmassen der Nordhalbkugel der Erde im Süden
einen großen antarktischen Kontinent, die "Terra Australis", die auf vielen
alten Karten erscheint. Cook wurde auf seine zweite Reise ausgesandt mit dem
klaren Auftrag, die südliche Erdhalbkugel zum ersten Male vom Kap der Guten
Hoffnung in östlicher Richtung zu umfahren und dabei so weit wie möglich nach
Süden vorzudringen, um Ausdehnung und Charakter des vermuteten Südlandes
festzustellen. Für die Reise standen ihm zwei Schiffe zur Verfügung, die
.Resolution" mit 462 und die "Adventure" mit 336 Tonnen. Die Besatzung beider
Schiffe bestand aus 193 Mann. Dazu kamen die beiden Forster als Naturforscher,
zwei Astronomen und der Maler Hodges sowie deren Bedienung.
Reinhold Forster, damals schon 43 Jahre alt, hoffte durch die
wissenschaftlichen Entdeckungen auf der Fahrt endlich die Aufmerksamkeit der
Welt auf sich zu lenken, um die er so lange vergeblich gerungen hatte. Wie sein
Sohn später in der Vorrede zu dem Weltreisewerk schrieb, meinte er, die
britische Regierung habe ihn als Naturforscher auf die Reise geschickt "nicht
etwa bloß dazu, dass er Unkraut trocknen und Schmetterlinge fangen, sondern dass
er alle seine Talente in diesem Fache anwenden und keinen erheblichen Gegenstand
unbemerkt lassen sollte. Mit einem Wort, man erwartete von ihm eine
philosophische Geschichte der Reise, von Vorurteil und gemeinen Trugschlüssen
frei, worin er seine Entdeckungen in der Geschichte des Menschen und in der
Naturkunde überhaupt ohne Rücksicht auf willkürliche Systeme, bloß nach
allgemeinen menschenfreundlichen Grundsätzen darstellen sollte; das heißt eine
Reisebeschreibung, dergleichen der gelehrten Welt bisher noch keine war
vorgelegt worden."
In dieser Hoffnung wurde er bitter enttäuscht. Schon während
der Fahrt verdarb er durch sein schwieriges Wesen das Verhältnis zu Cook
gründlich, und nach der Rückkehr wurde ihm die Herausgabe einer eigenen
Reisebeschreibung verwehrt. Ein solches Werk sei allein Sache des Kapitäns, er
als "Schiffsphilosoph" sollte lediglich das Material dazu liefern. Um wenigstens
etwas für die Familie Forster zu retten, machte sich sein Sohn, der durch
keinerlei vertragliche Vereinbarungen gebunden war, unter Benutzung der
Tagebücher des Vaters und seiner eigenen Erinnerungen an die Abfassung des
Reisewerkes. Zweifellos geht die Fülle der wissenschaftlichen Beobachtungen im
wesentlichen auf den Vater zurück. Der Stimmungsgehalt des Ganzen aber, der
Versuch, die Vielfalt der Erscheinungen in Natur und Menschenleben in ihrer
Gesamtheit aufzufassen, ist das Verdienst des Sohnes.
Am 13. Juli 1772 lichteten beide Schiffe in Plymouth die
Anker. Die Fahrt bis zum Kap dauerte dreieinhalb Monate und war bei schönem
Wetter voll Abwechslungen und Kurzweil, ein heiteres Vorspiel des Kommenden.
Madeira und die Kap Verdischen Inseln wurden angelaufen, fliegende Fische und
Delphine, Wale und Haifische erregten das Interesse der Neulinge zur See. Unter
dem Äquator erforschten sie die Temperatur des Meerwassers bis 450 Meter Tiefe,
und später bemühten sie sich, dem Rätsel des Meeresleuchtens auf die Spur zu
kommen, indem sie die in der See umher schwimmenden leuchtenden Körperchen unter
dem Mikroskop untersuchten.
Kapstadt war auf Jahre der letzte Punkt europäischer
Zivilisation, den sie berührten. Die saubere Kolonialstadt der
Holländisch-Ostindischen Kompanie gefiel ihnen weit besser als die
portugiesische Niederlassung auf den Kap Verdischen Inseln. Die
Schiffsastronomen prüften hier noch einmal ihre Instrumente, und unter dem
Eindruck der vielgestaltigen Pflanzenwelt des Kapgebietes kam Reinhold Forster
die Besorgnis, er könnte trotz allen Fleißes mit seinem Sohne allein nicht
imstande sein, die Menge der botanischen Schätze zu sammeln, zu zeichnen und zu
beschreiben, die er in den neu zu entdeckenden Ländern anzutreffen hoffte. Er
war daher glücklich, hier einen gelehrten Botaniker zu treffen, den Schweden Dr.
Sparrmann, der unter Linne studiert hatte und aus Begeisterung für sein Fach
bereit war, die Reise in die Südsee mitzumachen.
Antarktis
Schiffe auf der Ostindienfahrt pflegten die Südspitze Afrikas
rasch zu umfahren und dann vor den gefürchteten Weststürmen sogleich nach Norden
auszuweichen. Cook dagegen steuerte vom Kap unmittelbar auf den südlichen
Polarkreis zu. Georg Forster fühlte sich feierlich gehoben in dem Bewusstsein,
auf einem Kurs zu segeln, den vor ihm noch nie ein Mensch befahren hatte.
Albatrosse umkreisten in Mengen das Schiff; an einem Tage wurden gleich neun mit
der Angel gefangen, darunter einige von mehr als zehn Fuß Spannweite. Die Zeit
der Entbehrungen begann. Da man nicht wusste, wann es wieder frisches Süßwasser
geben würde, wurde das Trinkwasser streng rationiert. Sogar der Kapitän musste
sich mit Meerwasser waschen. Diese Sorge erwies sich jedoch bald als unnötig,
denn man machte die Entdeckung, dass das Meereis salzfrei war und darum zur
Ergänzung der Süßwasservorräte benutzt werden konnte.
Noch einer anderen Gefahr galt es zu begegnen, dem Skorbut,
der unter den Seefahrern damals große Verheerungen anrichtete. Auf den
Truppentransportschiffen der Holländischen Kompanie, die bis zu achthundert
Menschen beförderten, starben mitunter allein auf der Fahrt nach Kapstadt
achtzig bis hundert Mann an dieser furchtbaren Krankheit. Cook hatte den
Ehrgeiz, auf der Reise neue Mittel zur Skorbutbekämpfung ausfindig zu machen.
Vor allem schwor er auf die heilsame Wirkung von Sauerkraut, von dem allein die
"Resolution* sechzig riesige Fässer an Bord hatte. Er wachte eisern darüber,
dass beim Fehlen von sonstigen frischen Lebensmitteln jeder Mann mindestens
zweimal wöchentlich eine große Portion davon verzehrte. Tatsächlich erwies sich
dies als das beste Vorbeugungsmittel. Beim Auftreten der Krankheit wurden
Fleischbrühwürfel, syrupartig eingekochte Bierwürze und eingedickter Zitronen-
und Orangensaft als Heilmittel gegeben. Die Erfolge waren hervorragend; Cooks
Erfahrungen auf dieser Fahrt wurden epochemachend für die Schiffsverpflegung auf
langen Seereisen.
Zwei Wochen nach dem Verlassen des Kaps stießen sie auf das
erste Treibeis. Anfangs waren es nur einzelne kleine Schollen, bald aber
ungeheuere Eistafeln von mehreren tausend Fuß Länge, die doppelt so hoch wie der
größte Schiffsmast aus dem Wasser emporragten. Man sah darin die ersten Vorboten
des ersehnten Landes. An die Mannschaften wurden Angelgeräte ausgeteilt, damit
jeder sogleich auf Fischfang ausgehen könnte. Mehrmals glaubten die Matrosen, in
der Ferne Land zu sehen, aber immer wieder erwies es sich, dass Eisberge,
Nebelbänke oder Wolken die Täuschung verursachten. Das Eis wurde immer häufiger
und die Navigation schwieriger. Schließlich verhinderte unter 67 Grad südlicher
Breite ein unabsehbares Eisfeld jedes weitere Vordringen. Es erwies sich als
unmöglich, hier bis zu dem vermuteten Südkontinent vorzustoßen. Der Kapitän
entschloss sich daher zur Umkehr und segelte außerhalb der Eiszone in gerader
Linie auf Neuseeland zu.
Cook entwickelte die Technik der ozeanischen
Entdeckungsreisen zäh und methodisch zu einer Vollkommenheit, wie sie vor ihm
noch kein Seefahrer erreicht hatte. Vorstöße ins Polarmeer versprachen nur im
Südsommer Aussicht auf Erfolg. Den Winter verbrachte er jedoch nicht untätig in
einem Erholungshafen, sondern benutzte ihn zu weiteren Fahrten durch die
unendliche Inselflur der Südsee bis fast zum Äquator. Im zweiten Sommer brach er
erneut zur Polarfahrt auf, diesmal zur Erforschung des anschließenden
antarktischen Bogens von Neuseeland bis fast zum Kap Hoorn. Ein denkwürdiger Tag
für die Schiffsbesatzung war der 6. Dezember. "Gedachten Tages befanden wir uns
um sieben Uhr abends im 51. Grade 33 Minuten südlicher Breite und unterm 180.
Grade der Länge; folglich gerade auf dem Punkt der Antipoden von London. Hier
nötigte die Erinnerung dort zurückgelassener häuslicher Glückseligkeit und
gesellschaftlicher Freuden jedem Herzen, das noch väterliche oder kindliche
Liebe zu fühlen imstande war, eine Empfindung des Heimwehes ab! Wir waren die
ersten Europäer, und ich darf wohl hinzusetzen die ersten menschlichen
Kreaturen, die auf diesen Punkt gekommen, den auch nach uns vielleicht niemand
wieder besuchen wird."
Stürme, wie man sie bisher noch nicht erlebt hatte, brachen
mit berghohen Wellen über das Schiff herein und füllten Verdecke und Kajüten mit
ungeheuren Wasserfluten. "Unsere Lage war nunmehr in der Tat höchst elend,
selbst für diejenigen, die noch gesund waren, und für die Kranken, die an ihren
gelähmten Gliedern beständige Schmerzen litten, war sie im eigentlichen
Verstande unerträglich. Der Ozean um uns her war wütend und schien über die
Keckheit einer Hand voll Menschen, die es mit ihm aufnahmen, ganz erbost zu
sein. Finstre Melancholie zeigte sich auf der Stirn unsrer Reisegefährten, und
im ganzen Schiff herrschte eine fürchterliche Stille. Die eingesalzenen Speisen,
unsre tägliche Kost, waren uns allen, sogar denen zum Ekel geworden, die von
Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Essens war uns verhasst, denn der
Geruch der Speisen kam uns nicht sobald unter die Nase, als wir schon unmöglich
fanden, mit einigem Appetit davon zu genießen. Das alles beweist wohl genugsam,
dass diese Reise mit keiner von den vorhergehenden zu vergleichen sei." Selbst
Georg Forster, dessen jugendlicher Forscherdrang sonst durch keine Mühsal
gedämpft werden konnte, hatte Augenblicke, in denen er der Verzweiflung nahe
war. "Wir lebten nur ein Pflanzenleben, verwelkten und wurden gegen alles
gleichgültig, was sonst den Geist zu ermuntern pflegt. Unsre Gesundheit, unser
Gefühl, unsre Freuden opferten wir der leidigen Ehre auf, einen unbesegelten
Strich durchkreuzt zu haben!" Doch Cook, der selbst erkrankt war, verfolgte
eisern sein Ziel. Diesmal konnte man ungehindert bis über den Polarkreis
vordringen, aber jenseits des 71. Breitengrades versperrte auch hier ein
geschlossenes Eisfeld den weiteren Weg nach Süden.
O-Taheiti
Die Fahrten im Polarmeer boten den beiden Forster wenig
Gelegenheit, ihrer eigentlichen Aufgabe als Naturforscher nachzugehen. Erst die
Kreuzfahrten durch die Inselwelt der warmen Südsee, die von Neuseeland bis zur
Osterinsel und wieder westwärts bis zu den Neuen Hebriden und Neukaledonien
führten, brachten für sie den Höhepunkt der Reise. Es war eine märchenhafte
Welt, die sich ihnen hier auftat, und eine der Inseln wurde für sie zum
Inbegriff für alle: O-Taheiti (Tahiti).
Reinhold Forster hatte keine Neigung zu wissenschaftlichem Spezialistentum, eher
bestimmte ihn seine vielseitige Begabung zum Polyhistor. Die Gesteine, der
Aufbau der Korallen- und Vulkaninseln wurden eifrig untersucht, die Tierwelt
beobachtet und zahlreiche unbekannte Pflanzen gesammelt und gezeichnet. Als
Naturkundiger war er verpflichtet worden, aber neben diesem engeren
Arbeitsgebiet reizte ihn nicht weniger die Erforschung der Eingeborenen. Sie
waren anfangs meist scheu und furchtsam, doch bald entwickelte sich an den
Landeplätzen ein lebhafter Tauschhandel, in dem gegen Perlen, Nägel und Äxte
neben Lebensmitteln auch große Mengen von Hausrat, Waffen und Schmuck der
Insulaner für die ethnographischen Sammlungen eingehandelt wurden. Erhebliche
Schwierigkeiten bereitete anfangs die sprachliche Verständigung, doch erwies
sich hierbei das Forst ersehe Sprachtalent als höchst nützlich, so dass man sich
bald nicht nur über die Dinge des täglichen Lebens einigermaßen verständigte,
sondern auch schon wertvolle Nachrichten über die gesellschaftliche und
politische Verfassung und selbst über die religiösen Vorstellungen der
Südseebewohner sammeln konnte.
"Ein Morgen war's, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter
beschrieben, an welchem wir die Insel O-Taheiti (Tahiti) (Tahiti) zwei Meilen
vor uns sahen." Es war nicht das schwärmerische Auge Rousseaus, mit dem sie
diese neue Welt sahen, noch weniger die süßliche Romantik, mit der wenig später
der französische Dichter Bernardin de St. Pierre in seinem Roman "Paul et
Virginie" ein Bild von südlichem Inselglück malte, aber es War doch der Geist
dieses empfindsamen Zeitalters, der die Sehweise des jungen Georg Forster
bestimmte. Der Fluchtversuch eines Matrosen, der bei der Abfahrt des Schiffes
auf O-Taheiti (Tahiti) bleiben wollte, reizt ihn zu vergleichenden Betrachtungen
über das Los des Menschen in Europa und der Südsee. Was kann ein Matrose, ja was
können sie alle, die auf der Reise tausend Mühsale und Entbehrungen auf sich
genommen haben, nach der Rückkehr in der Heimat erwarten? Neue Arbeit und Mühe,
um nur das Notwendigste zum Leben zu erhalten. .Wie ist hingegen beim Tahitier
das alles so ganz anders! Wie glücklich, wie ruhig lebt nicht der! Zwei oder
drei Brotfruchtbäume, die beinahe ohne alle Handanlegung fortkommen und fast
ebenso lange tragen, als der, welcher sie gepflanzt hat, leben kann, drei solche
Bäume sind hinreichend, ihm drei Vierteile des Jahres hindurch Brot und
Unterhalt zu geben. - Die ganze Kunst und Mühe, einen Brotfruchtbaum anzuziehen,
besteht darin, dass man einen gesunden Zweig abschneidet und in die Erde steckt.
Der Pisang sprosst alle Jahre frisch aus der Wurzel auf. Die königliche Palme,
diese Zierde der Ebene und das nützlichste Geschenk, womit die gütige Natur ihre
Schoßkinder, die hiesigen Einwohner, bedacht hat, der goldene Apfel und eine
Menge noch anderer Pflanzen, sie alle schießen von selbst auf und erfordern so
wenig Wartung, dass ich sie fast als gänzlich wild wachsend ansehen möchte. Die
Zubereitung des Kleidungszeuges, womit sich die Frauenspersonen allein abgeben,
Ist mehr für einen Zeitvertreib als für eine wirkliche Arbeit anzusehen, und so
mühsam der Haus- und Schiffbau, ingleichen die Verfertigung des Handwerkszeugs
und der Waffen auch immer sein mögen, so verlieren alle diese Geschäfte doch
dadurch viel von ihrer Beschwerlichkeit, dass sie ein jeder freiwillig und nur
zu seinem eigenen unmittelbaren Nutzen übernimmt. Auf solche Art fließt das
Leben der Tahitier in einem beständigen Zirkel von mancherlei reizendem Genusse
hin."
Durch die großen Entdeckungsreisenden des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts hatten die Menschen in Europa wohl mancherlei von den
wundersamen neuen Ländern jenseits der Ozeane gehört, aber diese Kunde
erschöpfte sich meistens in nüchternen geographischen Angaben und in
umständlichen Berichten über Kriegszüge und die abscheulichen Sitten der
Eingeborenen. Auch diese alten Seefahrer hatten mitunter ihre
"Schiffsphilosophen" an Bord, doch die sahen meist diese neue Welt ebenfalls
nicht mit wesentlich anderen Augen. Erst das Aufkommen eines neuen Naturgefühls
im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts, die wachsende Kritik an der europäischen
Kultur und die Idee der Humanität als des Mitgefühls für alles Menschliche
ließen plötzlich auch diese neuen Länder und ihre Bewohner in einem ganz anderen
Licht erscheinen. Es ist die Geburtsstunde der modernen Reisebeschreibung, und
der zwanzigjährige Georg Forster ist ihr erster und zugleich klassischer
Vertreter. Dieses neue Daseinsgefühl ließ ihn Bilder von unvergleichlicher
suggestiver Kraft schauen und gestalten.
"Wer es je selbst erfahren hat", schreibt er in einer
Schilderung von der Insel Tanna auf den Neuen Hebriden, "welch einen ganz
eigentümlichen Eindruck die Schönheiten der Natur in einem gefühlvollen Herzen
hervorbringen, der, nur der allein kann sich eine Vorstellung machen, wie in dem
Augenblick, wenn des Herzens Innerstes sich aufschließt, jeder sonst noch so
unerhebliche Gegenstand interessant werden und durch unnennbare Empfindungen uns
beglücken kann. Dergleichen Augenblicke sind es, wo die bloße Ansicht eines
frisch umgepflügten Ackers uns entzückt, wo wir uns über das sanfte Grün der
Wiesen, über die verschiedenen Schattierungen des Laubes, die unsägliche Menge
der Blätter und über ihre Mannigfaltigkeit an Größe und Form so herzlich, so
innig freuen können. Diese mannigfaltige Schönheit der Natur lag in ihrem ganzen
Reichtum vor mir ausgebreitet. Die verschiedene Stellung der Bäume gegen das
Licht gab der Landschaft das herrlichste Kolorit. Hier glänzte das Laub des
Waldes im goldenen Strahl der Sonne, indes dort eine Masse von Schatten das
geblendete Auge wohltätig erquickte. Der Rauch, der in bläulichen Kreisen
zwischen den Bäumen aufstieg, erinnerte mich an die sanften Freuden des
häuslichen Lebens. Der Anblick großer Pisangwälder, deren goldne, traubenförmige
Früchte hier ein passendes Sinnbild des Friedens und Überflusses waren, erfüllte
mich natürlicherweise mit dem herzerhebenden Gedanken an Freundschaft und
Völkerglückseligkeit, und das Lied des arbeitenden Ackermanns, welches in diesem
Augenblicke ertönte, vollendet« dies Gemälde gleichsam bis auf den letzten
Pinselstrich."
Das hochmütige Urteil früherer Seefahrer über die Bewohner
dieser Inselwelt kann Forster naturgemäß nicht teilen. Er findet sie gastfrei,
gutherzig uneigennützig, ein liebenswürdiges Volk, das bei allen seinen
Unvollkommenheiten unschuldigeren und reineren Herzens ist als viele, die es in
der Verfeinerung der Sitten weiter gebracht haben. Gewiss ist ihre materielle
Kultur bescheiden. Ihr Geschick in der Anfertigung von Gerätschaften und Waffen
aber ist bedeutend, und vor allem verraten ihre bis zu 90 Fuß langen Boote und
der Gebrauch, den sie auf weiten Seereisen davon zu machen wissen, ungewöhnliche
Fähigkeiten. Ja er findet es bei aller Verehrung für die Antike nicht abwegig,
einen ausführlichen Vergleich zwischen der Seefahrt bei den Griechen Homers und
bei den Tahitiern anzustellen. Die vereinte Macht von ganz Griechenland, meint
er, die gegen Troja in See ging, konnte nicht beträchtlicher sein als die Flotte
von 159 Doppelschiffen, die vor seinen Augen der König O-Tuh zum Angriff gegen
die Nachbarinsel Eimeo rüstete, und er kann sich deren Anblick nicht furchtbarer
vorstellen als eine solche Zahl tahitischer Kriegsfahrzeuge, die mit je 50 bis
120 Ruderern bemannt sind.
Freilich werden die Südseebewohner wild und unberechenbar,
wenn sie von unverständigen Europäern brutal oder ungerecht behandelt werden.
Durch die Vorsicht und Erfahrung des Kapitäns Cook wurden trotz mancher
schwierigen Lage ernstere Konflikte mit ihnen vermieden. Weniger glücklich war
das Begleitschiff, die "Adventure", die schon unterwegs die Verbindung mit der
"Resolution" verloren hatte und im Verlauf der ganzen Reise nicht wieder mit ihr
zusammentraf. Auf Neuseeland wurde die zehnköpfige Besatzung eines ihrer Boote
von den Eingeborenen bis auf den letzten Mann erschlagen. Die Suchmannschaft,
die ausgesandt wurde, um nach dem Schicksal ihrer unglücklichen Kameraden zu
forschen, fand kurz nach dem Überfall an der Stelle der Tat viele Körbe voll
zerstückelter menschlicher Glieder, während noch am Strande die Hunde der
Neuseeländer die herumliegenden Eingeweide fraßen. Aber auch solche Vorkommnisse
und selbst die Abscheu vor der Menschenfresserei, die viele der Inselstämme
betreiben, können ihn nicht an einer gerechten Würdigung dieser Eingeborenen,
ihrer Sitten und Lebensweise hindern. Fast immer sind es nach Forsters Ansicht
die Europäer, die an solchen Ereignissen die Schuld tragen. Das Schiffsvolk ist
den Eingeborenen gegenüber roh und kennt hier keine Hemmungen der europäischen
Zivilisation. Auf der Osterinsel, wo die Reisenden die rätselhaften steinernen
Bildwerke bestaunten, spielten sich tolle Orgien mit den eingeborenen Weibern
ab, die sich den Matrosen meist willig hingaben. "Die wenigen, welcher wir hier
und da ansichtig wurden, waren die ausschweifendsten Creaturen, die wir je
gesehen. Sie schienen über alle Scham und Schande völlig weg zu sein, und unsre
Matrosen taten auch, als wenn sie nie von so etwas gehört hätten; denn der
Schatten der colossalischen Monumente war ihnen in Hinsicht auf ihre
Ausschweifungen schon Obdachs genug."
Gleich beim ersten Zusammentreffen mit den Eingeborenen von
Tahiti wirft er die Frage auf, was wohl in Zukunft aus diesen Menschen unter dem
Einfluss der europäischen Zivilisation werden wird. Fast glaubt er noch, dass
dieser Kontakt nur vorübergehend sein könnte. "Es ist wirklich im Ernste zu
wünschen, dass der Umgang der Europäer mit den Einwohnern der Südseeinseln in
Zeiten abgebrochen werden möge, ehe die verderbten Sitten der zivilisierten
Völker diese unschuldigen Leute anstecken können, die hier in ihrer Unwissenheit
und Einfalt so glücklich leben. Aber es ist eine traurige Wahrheit, dass
Menschenliebe und die politischen Systeme von Europa nicht miteinander
harmonieren." Immer wieder beschäftigt ihn der Gedanke, dass der Einbruch der
Europäer in die Welt der Südsee beiden Teilen kein Glück bringen wird. Beim
Abschied von Tahiti schreibt er: "Wahrlich, wenn die Wissenschaft und
Gelehrsamkeit einzelner Menschen auf Kosten der Glückseligkeit ganzer Nationen
erkauft werden muss, so wäre es für die Entdecker und Entdeckten besser, dass
die Südsee den unruhigen Europäern ewig unbekannt geblieben wäre."
Nach mehr als zweijährigem Aufenthalt in der Südsee
entschloss sich Kapitän Cook endlich zur Heimkehr. In der Zone der braven
Westwinde ging die weite Fahrt von Neuseeland bis zur Südspitze Südamerikas
ungewöhnlich rasch vonstatten. Im Durchschnitt wurden täglich 40 Seemeilen
zurückgelegt, was für ein Schiff von der Bauart der "Resolution", das speziell
für Forschungszwecke im Eis und auf langer Fahrt ausgewählt war, schon eine hohe
Geschwindigkeit bedeutete.
In der unwirtlichen "Tierra del Fuego" lernten sie noch
einmal ein neues Volk kennen, das wegen des einzigen Wortes, «las die
Eingeborenen unentwegt in klagendem Ton ausstießen, die "Pesserähs" genannt
wurde. Nach Forsters Urteil sind die Feuerländer die elendesten und kläglichsten
Menschen, die es wohl auf der ganzen Welt gibt, dem tierischen Zustand näher als
jedes andere Volk. Es waren kleine, hässliche Kerle, die rohes, halbverfaultes
Seehundfleisch und ekelhaftes tranartiges Fett aßen und davon einen
unerträglichen fauligen Gestank ausdünsteten, so dass man sie mit geschlossen
Augen schon aus weiter Entfernung wittern konnte. Dieser Gestank war so schlimm,
dass hier zum ersten Male auf der ganzen Reise selbst die Matrosen sich nicht
mit den Weibern der Eingeborenen abgeben wollten.
Im Atlantik steuerte Cook noch einmal nach Süden, entdeckte
die Inselgruppe von Süd-Georgien und stieß wieder bis 60 Grad Breite gegen den
Polarkreis vor. Als auch hier der Südkontinent nicht erreicht war, nahm er
endgültig Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung und kehrte nach einem kurzen
Erholungsaufenthalt in Kapstadt über Sankt Helena nach England zurück. Am Mittag
des 30. Juli 1775, drei Jahre und 18 Tage nach ihrer Abfahrt von Plymouth, ließ
die "Resolution" auf der Reede von Spithead die Anker fallen. Die
Weltumsegelung, die erste in östlicher Richtung, dazu die erste Südpolarfahrt
überhaupt, war vollendet. Die Reisenden hatten auf der "Resolution" in diesem
Zeitraum eine größere Anzahl von Meilen zurückgelegt als je ein anderes Schiff
vorher. Die Gesamtlänge ihrer Kurslinie betrug mehr als das Dreifache des
Erdumfangs.
Mit bescheidenem Stolz zieht Forster das Ergebnis dieser drei
Jahre: "Der Hauptzweck unsrer Reise war erfüllt. Wir hatten nämlich entschieden,
dass kein festes Land in der südlichen Halbkugel innerhalb des gemäßigten
Erdgürtels liege. Wir hatten sogar das Eismeer jenseits des antarktischen
Zirkels durchsucht, ohne so beträchtliche Länder anzutreffen, als man daselbst
vermutet hatte. - In andern Jahreszeiten hatten wir das stille Weltmeer
innerhalb der Wendezirkel befahren und daselbst den Erdbeschreibern neue Inseln,
den Naturkundigen neue Pflanzen und Vögel und den Menschenfreunden insbesondere
verschiedene, noch unbekannte Abänderungen der menschlichen Natur aufgesucht."
So viel aber auch diese Reise zur Erweiterung der Kenntnisse von der
Beschaffenheit der Erde beigetragen hat, unvergleichlich viel mehr bleibt noch
zu tun. "Unzählig sind die unbekannten Gegenstände, welche wir, aller unsrer
Einschränkungen ungeachtet, noch immer erreichen können. Jahrhunderte hindurch
werden sie noch neue, unbeschränkte Aussichten eröffnen, wobei wir unsere
Geisteskräfte in ihrer eigentümlichen Größe anzuwenden und in dem herrlichsten
Glänze zu offenbaren Gelegenheit finden werden."
Das gespannte Verhältnis, das zwischen Reinhold Forster und
Kapitän Cook während der ganzen Reise geherrscht hatte, führte in England zum
offenen Konflikt. Die Admiralität griff ein und versagte Forster nicht nur das
vorher zugestandene Anrecht auf Mitbenutzung der herrlichen Kupferstiche, die
nach den Bildern des Malers Hodges von Menschen und Landschaften der Südsee
gefertigt worden waren, sondern sie untersagte ihm überhaupt jede selbständige
Veröffentlichung über den Verlauf der Reise. Für Reinhold Forster, der wirkliche
Forscherqualitäten mit einem erstaunlichen Maß an Geltungsbedürfnis verband, war
dies der schwerste Schlag seines an Enttäuschungen reichen Lebens. Dass nun an
seiner Stelle sein Sohn Georg die große Reisebeschreibung herausgab, übrigens
unter voller Würdigung der Leistungen des Vaters, erfüllt ihn mit tiefer
Verbitterung. Statt sich der Vollendung der eigenen Arbeit im Werke des Sohnes
zu erfreuen, sah er in ihm von jetzt an den großen Rivalen. Georg Forster
veröffentlichte sein Buch 1777 in London unter dem Titel "A Voyage round the
World", im gleichen Jahre, in dem auch Cook sein Reisewerk herausgab. Die
deutsche Ausgabe erschien mit einer Widmung an Friedrich den Großen in den
Jahren 1778 und 1780 bei Haude und Spener in Berlin.
Georg Forsters Schilderungen haben das deutsche Bild von der
Südsee auf fast ein Jahrhundert entscheidend geformt, nicht nur in
wissenschaftlichen Fachkreisen, sondern darüber hinaus im allgemeinen
Bildungsbewusstsein. Der Literarhistoriker Hermann Hettner nennt es ein
Meisterwerk feinster Menschenbeobachtung und zugleich ein Meisterwerk
unnachahmlicher Poesie. "O-Taheiti vor allem ist der Zaubername, der sich
seitdem in jedes fühlenden Menschen Phantasie festsetzte. Will Jean Paul das
Süßeste irdischer Glückseligkeit nennen, so ruft er uns O-Taheiti (Tahiti) ins
Gedächtnis Ähnlich wie Italien durch Jahrhunderte das Land der Sehnsucht für
viele Völker Europas war, wo sie unter südlicher Sonne auf klassischem Boden
Ergänzung und Erfüllung des eigenen Wesens suchten, so wurde die Südsee zum
Sehnsuchtsziel für viele europamüde Geister, die wie R. L. Stevenson oder der
Maler Paul Gauguin neue Reize und exotische Stimmungen suchten.
Kassel und Wilna
Da nun auch die erhoffte materielle Belohnung für seine
Teilnahme an der Erdumsegelung ausblieb, versank Reinhold Forster in Erbitterung
und neue Schulden. Seine Familie hatte kaum die nötigsten Mittel zum
Lebensunterhalt. Georg reiste nach Paris und versuchte, dort wertvolle
ethnographische Sammlungsgegenstände aus der Südsee zu verkaufen. Dann ging er
nach Deutschland in der Hoffnung, hier für den Vater und für sich selbst eine
Anstellung zu finden. Der Ruhm des Weltreisenden öffnete ihm viele Türen.
Landgraf Friedrich II. von Hessen, derselbe, der Tausende seiner Landeskinder an
England zum Kampf gegen die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung verkaufte,
wollte ihn als Professor der Naturwissenschaften an seinem Collegium Carolinum
in Kassel halten. Vergebens versuchte Georg, den Ruf auf seinen Vater
abzulenken; man wollte ihn selbst, nicht den streitsüchtigen Reinhold Forster.
Schließlich nahm er an, und es gelang ihm, später für den Vater eine Dozentur in
Halle zu erwirken.
Im Alter von fünfundzwanzig Jahren wurde Georg Forster, der
in Petersburg und in England insgesamt kaum mehr als zwei Jahre die Schule und
nie eine Universität besucht hatte - beides mussten ihm der Umgang mit dem Vater
und die Weltreise ersetzen -, Hochschullehrer. Fünf Jahre, von 1779 bis 1784,
blieb er in Kassel. Neben seiner Lehrtätigkeit und der Verwaltung des
Naturalienkabinetts musste er sich mit vielerlei literarischer Kleinarbeit
befassen, um sein bescheidenes Gehalt zu erhöhen, denn wie der Vater verstand
auch er nicht, mit Geld umzugehen, sondern befand sich dauernd in finanziellen
Nöten. Aus religiösen Motiven geriet er mit seinem Freund, dem Chirurgen Sömmering, in die Kreise der Rosenkreuzer, eines damals weit verbreiteten
Geheimbundes, von dem er sich später nur unter heftigen inneren Kämpfen und
Schwierigkeiten lösen konnte. Zu größeren wissenschaftlichen Arbeiten kam er
nicht, fand aber anregenden Verkehr an der Universität Göttingen, wo er sich
besonders an den berühmten klassischen Philologen Heyne und den Physiker
Lichtenberg anschloss.
Auf die Dauer konnte ihn jedoch die Tätigkeit in Kassel nicht
recht befriedigen. Als man ihm daher im Jahre 1784 einen Ruf an die soeben
erneuerte polnische Universität in Wilna anbot, sagte er zu, weil ihn die dort
gestellten Aufgaben, Pflege der angewandten Naturwissenschaften, vor allem
Erforschung der Bodenschätze und Förderung der Landwirtschaft durch Erprobung
nützlicher Pflanzenkulturen, besonders reizten. Vor der Abreise verlobte er sich
mit Therese Heyne, einem nicht gerade schönen, aber klugen und reizvollen
Mädchen, das gleichzeitig mehr als einen Liebhaber in Atem zu halten verstand.
Zur Reise nach Wilna nahm er sich fast ein halbes Jahr Zeit.
In Clausthal und Zellerfeld im Harz und in Freiberg studierte er den Bergbau, um
sich auf seine künftige Arbeit vorzubereiten. In Wien blieb er nahezu zwei
Monate. Joseph II. empfing ihn in Audienz. Der Kaiser ließ sich von der Südsee
und von Cook erzählen und interessierte sich für den Nutzen des Sauerkrautes auf
Seereisen. Schließlich fragte er nach Forsters Absichten in Polen. Als dieser
tiefgründige Ausführungen über den allgemeinen Bildungswert der
Naturwissenschaften machte, die er dort lehren wollte, sagte der Kaiser: "Wenn
Sie Leute finden, die Sie verstehen, ist's schon gut, aber ich fürchte sehr das
Gegenteil." Er meinte, man sollte dort statt der Wissenschaften lieber erst das
Alphabet lehren.
Auch in der Wiener Gesellschaft wurde der junge ruhmreiche
Gelehrte überall herzlich aufgenommen. Theaterbesuche, Ausflüge und Liebeleien
wechselten mit Empfängen bei Staatsmännern und Gelehrten. Es war eine Zeit
heiterer Geselligkeit und unbekümmerten Lebensgenusses, die einzige in Forsters
kurzem Leben. Man machte ihm Angebote, in Wien zu bleiben, und langsam begann es
ihm zu dämmern, dass sein Entschluss, nach Wilna ans Ende der zivilisierten Welt
zu gehen, ihn auf einen Irrweg führen könnte. "Liebes Wien", schreibt er in sein
Tagebuch, "welche Rosenketten windest Du um den armen Forster. O, wer frei wäre,
bliebe hier, aber Liebe und Pflicht weisen mich nach Sarmatien. Liebe, englische
Therese, ich opfere dies alles auf und ziehe um Deiner Liebe willen nach Polen."
Dort angekommen findet er alles noch weit schlimmer, als er
es erwartet hatte. "So gefasst ich auf alles war", schreibt er in einem Brief an
Jacobi, "erschrak ich doch heftig bei meinem Eintritt in dieses Land, es war der
Verfall, die Unfläterei im moralischen und physischen Verstande, die
Halbwildheit und Halbkultur des Volks, die Ansicht des sandigen, mit schwarzen
Wäldern überall bedeckten Landes, die über alle Vorstellungen gingen, die ich
mir hatte machen können." Selbst die polnische Sprache missfiel ihm, er fand sie
schwer und barbarisch, weil darin alle die Konsonanten zuviel sind, die die
Otaheitier zu wenig haben.
Seinen eigentlichen Arbeitskreis an der Universität fand er
erträglicher. Die Kollegen waren durchweg annehmbare Leute, die Einheimischen
meist Jesuiten, daneben mehrere Ausländer. Seine Vorlesung über Naturgeschichte,
die er auf Lateinisch hielt, wurde von dreißig bis vierzig Hörern besucht,
vorwiegend Mönchen, aber auch fünfzehnjährigen Knaben und einigen polnischen
Damen, die etwas von Botanik hören wollten. Freilich fehlte es überall an Geld
zum Ausbau der Universitätseinrichtungen. Der botanische Garten, den er betreuen
sollte, war klein und gänzlich verkommen, die Naturaliensammlung nennt er "ein
Kind in der Wiege und nicht einmal ein schönes Kind." Gleich zu Anfang wurde ihm
klar, dass er es allein hier nicht lange aushalten könnte. Es fehlten ihm die
Freunde, der Verkehr mit Gleichgesinnten und das ernsthafte geistige Leben, das
ihm in seiner Kasseler Zeit wenigstens Göttingen geboten hatte. "Ich fand keinen
Schädel, der dem meinigen hätte Nahrung geben können." Im Sommer des nächsten
Jahres reiste er nach Deutschland, um Therese zu heiraten und nach Wilna zu
holen.
In Göttingen fand er seine Braut in einer heftigen Liebschaft
mit dem jungen Regierungsauditor Meyer, einem ehemaligen Lieblingsschüler ihres
Vaters. Die Situation schien verfänglich, doch Forster war zur Nachsicht bereit
und willigte in eine schwärmerische Freundschaft zu dritt. Im September fand die
Hochzeit statt. Auf der Rückreise besuchte das junge Paar Goethe in Weimar. In
Halle erwarb Forster rasch den medizinischen Doktorgrad, um durch Ausübung einer
Praxis sein Einkommen erhöhen zu können. Noch vor Beginn des Winters kamen sie
in Wilna an.
Die Briefe Forsters aus den ersten Monaten sprechen von
jungem Eheglück, vergnügtem häuslichem Leben und abendlicher gemeinsamer
Lektüre. Doch sehr bald stellte es sich heraus, dass Therese sich hier nicht
wohlfühlen konnte. Mehr noch als Forster, der wenigstens seine berufliche Arbeit
hatte, entbehrte sie die Geselligkeit, den Umgang mit interessanten Menschen,
die sie beachteten und verstanden. Auch die Gekurt einer Tochter vermochte sie
nicht mit dem Leben in Wilna auszusöhnen. Forster veröffentlichte mehrere kleine
Arbeiten, darunter einen schönen Essay über Cook, der auf seiner letzten Reise
in die Südsee von Eingeborenen auf Hawaii erschlagen worden war. Zu einem
größeren wissenschaftlichen Werk fehlten ihm hier alle Voraussetzungen. Sein
Vertrag band ihn auf acht Jahre an die Universität Wilna. Da er bedeutende
Vorschüsse genommen hatte, war er aus eigener Kraft nicht imstande, ihn
vorzeitig zu lösen.
Plötzlich trat ein Ereignis ein, das seinem Leben eine ganz
neue Richtung geben sollte. Die Zarin Katharina plante, mit fünf Schiffen eine
auf mehrere Jahre berechnete russische Expedition in die Südsee zu schicken, an
der Forster als bewährter Naturforscher und bester Kenner der pazifischen
Verhältnisse teilnehmen sollte. Die Bedingungen waren für ihn sehr günstig. Sie
lösten alle seine Verbindlichkeiten in Wilna, sicherten den Unterhalt seiner
Familie während der Reise und stellten ihm eine lebenslängliche Pension in
Aussicht. Forster sagte begeistert zu, und mit dem Gefühl eines freigelassenen
Gefangenen verließ er im August 1787 mit Frau und Kind Polen, um in Göttingen
seine Reisevorbereitungen zu treffen. Aber dann blieben die Nachrichten aus
Petersburg aus, und schließlich wurde ihm mitgeteilt, dass wegen des
Kriegsausbruches zwischen Russland und der Türkei das Unternehmen auf
unabsehbare Zeit verschoben werden müsste. Forster war schwer enttäuscht und
stürzte sich sofort auf ein neues Reiseprojekt, den Plan der Spanischen
Regierung, eine Expedition auf die Philippinen zu entsenden. Doch auch dies
zerschlug sich. Als Gewinn blieb ihm die Lösung seiner Verpflichtungen in Wilna
und die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt, die durch diese Forschungspläne
wieder auf seine Person gelenkt worden war.
Zu dem Schmerz über das Scheitern der Reiseprojekte kamen für
Forster häusliche Kümmernisse. Therese hatte in Göttingen die Beziehungen zu
ihrem alten Liebhaber Meyer wieder aufgenommen. Es kam zu ehelichen
Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Forster zeitweilig an Scheidung dachte.
Aber schließlich fehlte ihm dazu die Kraft; trotz allem konnte er sich das Leben
ohne die geistvolle, lebendige Frau nicht mehr vorstellen. Durch die Abreise
Meyers nach England wurde der Konflikt äußerlich beigelegt.
Ansichten vom Niederrhein
In Kassel und Wilna hatte Forster erfahren, dass er zum
Universitätsdozenten weder die rechte Neigung noch besonderes Talent besaß. Als
sich ihm daher die Möglichkeit bot, in Mainz, wo schon sein alter Freund
Sömmering tätig war, die Stelle des Universitätsbibliothekars zu bekommen, nahm
er das Angebot gern an in der Erwartung, dadurch die Muße und Unabhängigkeit zu
ungestörten eigenen Arbeiten zu finden.
Im Herbst 1788 trat er das neue Amt an. Seine Stellung als
Protestant an der katholischen Kurmainzer Universität war anfangs nicht einfach,
doch gewann er durch sein verbindliches und ausgleichendes Wesen bald an Boden.
Noch immer umgab ihn der Ruhm des Weltreisenden. Viele durchreisende Fremde
besuchten sein Haus, in dem Therese eine betriebsame Geselligkeit entfaltete. Um
die Mittel dafür aufzubringen, musste er sich wieder mit mancherlei
literarischen Nebenarbeiten befassen, die seinen eigentlichen Interessen fern
lagen. Bald klagte er seinem Freund Jacobi: "Den ganzen Winter muss ich
kompilieren und übersetzen! Mein Kopf ist leer, ich weiß der Welt nichts
Eigenes mehr zu sagen. Wer doch auch nach Italien oder nach England oder nach
Spanien oder noch weiter hin, wo nur irgend Neues zu sehen ist, reisen könnte!
Denn am Ende, mehr hat man doch nicht, als was einem durch diese zwei kleinen
Öffnungen der Pupille fällt und die Schwingungen des Gehirns erregt! Anders als
so nehmen wir die Welt und ihr Wesen nicht in uns auf. Die armseligen
vierundzwanzig Zeichen reichen nicht aus; etwas ganz anderes ist die Gegenwart
der Dinge und ihr unmittelbares Einwirken. Ich werde in diesen Tagen
fünfunddreißig Jahr alt, die beste, weit die beste Hälfte des Lebens ist dahin
und mir wie unnütz verflossen!"
Da ihm das Schicksal einen neuen Aufbruch in ferne
überseeische Welten versagt hatte, entschloss er sich zu einer Reise
rheinabwärts nach England, auf der er neue Anregungen sammeln wollte und
zugleich in London eine nachträgliche Belohnung für sein Südseewerk zu erlangen
hoffte. Die Beschreibung dieser Reise, die "Ansichten vom Niederrhein", ist das
zweite große Werk, das seinen Namen berühmt machte. Sein Begleiter wurde der
zwanzigjährige Alexander von Humboldt. Der Weg führte in drei Monaten über die
Städte des Niederrheins, Brüssel, Antwerpen und Holland nach England.
Der Kulturhistoriker W. H. Riehl hat in einem Aufsatz "Das
landschaftliche Auge" darauf hingewiesen, dass jede neue Epoche in der
Geistesgeschichte zugleich auch einen neuen "Blick" für eine andere Art
landschaftlicher Schönheit zur Folge hat. "Dies greift so tief", sagt Riehl,
"dass man sich wohl gar der Täuschung hingeben könnte, verschiedene Zeiten
hätten nicht nur mit unterschiedlichem Geistesauge, sondern auch mit anderer
Sehkraft die Naturschönheit angeschaut." Auch Forster sieht die Landschaft
anders als die Menschen vor ihm und nach ihm. Nicht das Engtal des Rheins
zwischen Bingen und Rhens, das mit seinen felsigen Schluchten und Burgen später
für das romantische Naturgefühl zum Inbegriff landschaftlicher Schönheit wurde,
verdient nach seinem Urteil den höchsten Preis. "Für die Nacktheit des verengten
Rheinufers unterhalb Bingen erhält der Landschaftskenner keine Entschädigung.
Die Hügel zu beiden Seiten haben nicht jene stolze, imposante Höhe, die den
Beobachter mit einem mächtigen Eindruck verstummen heißt, ihre Einförmigkeit
ermüdet endlich... Einige Stellen sind wild genug, um eine finstere Phantasie
mit Orkusbildern zu nähren, und selbst die Lage der Städtchen, die eingeengt
sind zwischen den senkrechten Wänden des Schiefergebirges und dem Bette des
furchtbaren Flusses, - furchtbar wird er, wenn er von geschmolzenem Alpenschnee
oder von anhaltenden Regengüssen anschwillt, - ist melancholisch und
schauderhaft." Dagegen geht ihm das Herz auf in den fruchtbaren Flächen des
Rheingaues und vor allem in der Gegend von Koblenz: "Hier öffnet sich ein
Reichtum der Natur und der Verzierung, den das Ufer des Rheins seit der Gegend,
wo der Fluss die Schweiz verlässt, nirgends zeigt."
Dass der Rhein unterhalb von Bingen in engem Felstal das
Schiefergebirge durchbricht, statt sich in die flachere Gegend zu ergießen, ist
auf den ersten Blick kaum begreiflich. Das Problem verdient nähere Betrachtung.
Gleich im Anschauen des Gegenstandes entwickelte Forster eine Hypothese zur
Erklärung. "Wenn es überhaupt dem Naturforscher ziemt, aus dem vorhandenen
Wirklichen auf das vergangene Mögliche zu schließen, so scheint es denkbar, dass
einst die Gewisser des Rheins vor Bingen, durch die Gebirgswände gestaut und
aufgehalten, erst hoch anschwellen, die ganze flache Gegend überschwemmen, bis
über das Niveau des Bingerlochs anwachsen und dann unaufhaltsam in der Richtung,
die der Fluss noch jetzt nimmt, sich nordwärts darüber hinstürzen mussten.
Allmählich wühlte sich das Wasser tiefer in das Felsenbett, und die flachere
Gegend trat wieder aus demselben hervor." Wenn auch dieser Erklärungsversuch mit
unserer heutigen Auffassung von der Entstehung derartiger Talbildungen nicht
mehr ganz übereinstimmt, so war er doch ein notwendiger Schritt auf dem Wege zur
Gewinnung der späteren morphologischen Erkenntnisse.
Das Vorkommen von Basalt und Bimsstein im Siebengebirge führt
zu eingehenden Erörterungen über die neptunistische und plutonistische Theorie
zur Erklärung der Erdgeschiente, die damals die Gemüter bewegten. Der junge
Alexander von Humboldt, der auf dieser Reise die entscheidenden Anregungen für
seine künftige Forschungsrichtung empfing, ist der rechte Gefährte für solche
Betrachtungen, wobei niemals vorgefasste Theorie, sondern kritische Beobachtung
der Natur den Ausgangspunkt bildet. Zu gesicherten Erkenntnissen über die
Geschichte der Erdoberfläche, meint Forster, wird man nicht kommen, ehe man
nicht wenigstens ein paar Meilen tief in die Erde hinabgestiegen ist. "Bedenkt
man aber, mit welchen Schwierigkeiten wir bisher nur wenige Klafter tief in das
Innere der Gebirge gedrungen sind, so müssen wir über die Arbeit staunen, die
nicht uns, sondern den späten Nachkommen des Menschengeschlechtes aufgehoben
bleibt, wenn sie vor lauter ewigem Frieden nicht wissen werden, was sie mit
ihrer Zeit und ihren Kräften anfangen sollen."
Auch der Weinbau, durch den weite Strecken des Rheinufers ihr
Gepräge erhalten, gibt Anlass zu mancherlei Betrachtungen. In ästhetischer
Hinsicht, findet Forster, ist er kein Gewinn für die Landschaft. "Der Weinbau
gibt wegen der krüppelhaften Figur der Reben einer jeden Landschaft etwas
Kleinliches; die dürren Stöcke, die jetzt von Laub entblößt und immer steif in
Reih und Glied geordnet sind, bilden eine stachlige Oberfläche, deren nüchterne
Regelmäßigkeit dem Auge nicht wohl tut." Auch für die Menschen, die im Weinbau
tätig sind, ist seine Wirkung nach Forsters Meinung nicht günstig. Er fordert
nur kurze Zeit im Jahr angestrengte Arbeit, nur auf sechs bis sieben mäßige oder
schlechte Jahre kommt ein gutes. Als Folge davon glaubt Forster Leichtsinn und
Indolenz, ja sogar eine daraus entspringende Verderbtheit des moralischen
Charakters feststellen zu müssen. Der Grundeigentümer freilich kommt, rein
wirtschaftlich gesehen, immer auf seine Kosten, denn der Ertrag des guten Jahres
entschädigt ihn vollauf für die Verluste der schlechten. "Man rechnet, dass die
guten Weinländer sich, ein Jahr ins andere gerechnet, zu sieben bis acht Prozent
verinteressieren, des Misswachses unbeschadet. Es wäre nun noch die Frage übrig,
ob dieser Gewinn der Gutsbesitzer den Staat für die hingeopferte Moralität
seiner Glieder hinlänglich entschädigen kann."
Auf dem Ehrenbreitstein gab es mancherlei zu sehen, ein
Zeughaus mit seltsamen alten Waffen, den Vogel "Greif", eine ungeheure Kanone,
die eine Kugel von 160 Pfund bis nach Andernach schießen soll, "aber doch wohl
nie geschossen hat", und vor allem die wunderbare Aussicht auf Koblenz, den
Rhein und die Mosel, die wie eine Landkarte dem Beschauer zu Füßen liegen. Aber
nichts von all dem macht ihm einen so tiefen Eindruck wie der Anblick einer
Schar von Gefangenen, die in einem Verließ mit ihren Ketten rasseln und durch
dunkle Gitterfenster die Vorübergehenden um Mitleid und ein Almosen anflehen.
Das Bild von Menschen, die auf solche Weise der Freiheit beraubt sind,
erschüttert ihn tief. "Wäre es nicht billig, fiel mir dabei aufs Herz, dass ein
jeder, der Menschen zum Gefängnis verurteilt, wenigsten einen Tag im Jahre mit
eigenen Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende Klage vernehmen müsste, damit
ihn nicht der tote Buchstabe des Gesetzes, sondern eigenes Gefühl und lebendiges
Gewissen von der Rechtmäßigkeit seiner Urteile überzeugte?" Die Abschaffung der
Todesstrafe, findet er, hat die Menschen nur noch grausamer gemacht, als sie
vorher waren. Wenn schon der "bürgerliche Vertrag" dem Richter erlaubt, um der
Sicherheit aller übrigen willen einem Menschen auf Lebenszeit die Freiheit zu
nehmen, so ist es doch mehr als fraglich, ob das nicht zwecklose Grausamkeit und
im Grunde schlimmer als ein Todesurteil ist. "Allein die Furcht vor dem Tode,
die nur durch eine der Würde des Menschen angemessene Erziehung gemildert und in
Schranken gehalten wird, lehrt den Richter, das Leben in immerwährender
Gefangenschaft als eine Begnadigung schenken, und den Verbrecher, es unter
dieser Bedingung dankbar hinnehmen. Auch hier wirkt also die Furcht, wie sie
sonst immer zu wirken pflegt: sie macht grausam und niederträchtig."
In Neuwied besucht er eine Kirche der Herrnhuter, ein
einfaches helles Gebäude, das ihm gut gefällt. An der Stelle des Liebesmahles
der alten Christen ist hier die Sitte des gemeinschaftlichen Teetrinkens in der
Kirche eingeführt, wozu sich die Gemeinde regelmäßig versammelt. Nicht nur weil
er selbst ein begeisterter Freund des Tees ist, begrüßt Forster diese
Gewohnheit; man sollte alles fördern, was zu Geselligkeit und frohem Genuss des
Daseins führt. Davon findet er freilich bei den Herrnhutern nicht gerade viel.
Dass sie zum Beispiel die ledigen Männer und Frauen mit klösterlicher Strenge
von einander trennen, ist ihm ein Zeichen von Weltflucht, die zu nichts Gutem
führen kann. "Ich glaube in meiner Erfahrung hinlänglichen Grund zu der
Überzeugung zu finden, dass man in der Welt nie stärker gegen das Böse und seine
Anfechtungen ist, als wenn man ihm mit offener Stirne und edlem Trotz
entgegengeht: wer vor ihm flieht, ist überwunden."
Von allen Städten am Ufer des Rheins bot keine aus der Ferne
einen so reizvollen Anblick wie Köln mit seinen unzähligen Türmen. Trotzdem
nennt er es finster und traurig. Das Innere der weitläufigen, damals halb
entvölkerten Stadt stimmte wenig überein mit dem vielversprechenden Anblick von
der Flussseite her, und krasse Unduldsamkeit, für Forster eine der schlimmsten
Verirrungen des menschlichen Geistes, war hier zu Hause. Vor kurzem hatte der
Magistrat endlich auch den Protestanten freie Religionsausübung gestattet, zog
aber dann die Erlaubnis wieder zurück, weil der Pöbel mit Aufruhr, Mord und
Brand drohte.
Und doch barg diese Stadt eines der großartigsten Werke, die
Menschenhand je geschaffen, den Dom, zu Forsters Zeit noch ein unvollendeter
Torso, der ihn zu einer unvergleichlichen Schilderung hinreißt: "So oft ich Köln
besuche, geh ich immer wieder in diesen herrlichen Tempel, um die Schauer des
Erhabenen zu fühlen. Vor der Kühnheit der Meisterwerke stürzt der Geist voll
Erstaunen und Bewunderung zur Erde; dann hebt er sich wieder mit stolzem Fluge
über das Vollbringen hinweg, das nur eine Idee des verwandten Geistes war. Je
riesenmässiger die Wirkungen menschlicher Kräfte uns erscheinen, desto höher
schwingt sich das Bewusstsein des wirkenden Wesens in uns über sie hinaus. Wer
ist der hohe Fremdling in dieser Hülle, dass er so in mannigfaltigen Formen sich
offenbaren, diese redenden Denkmäler von seiner Art, die äußeren Gegenstände zu
ergreifen und sich anzueignen, hinterlassen kann? Wir fühlen Jahrhunderte später
dem Künstler nach und ahnen die Bilder seiner Phantasie, indem wir diesen Bau
durchwandern.
Die Pracht des himmelan sich wölbenden Chors hat eine
majestätische Einfalt, die alle Vorstellung übertrifft. In ungeheurer Länge
stehen die Gruppen schlanker Säulen da wie die Bäume eines uralten Forstes; nur
am höchsten Gipfel sind sie in eine Krone von Ästen gespalten, die sich mit
ihren Nachbarn in spitzen Bogen wölbt und dem Auge, das ihnen folgen will, fast
unerreichbar ist. Lässt sich auch schon das Unermessliche des Weltalls nicht im
beschränkten Räume versinnlichen, so liegt gleichwohl in diesem kühnen
Emporstreben der Pfeiler und Mauern das Unaufhaltsame, welches die
Einbildungskraft so leicht in das Grenzenlose verlängert."
Nach dem Eindruck des erhabenen Bauwerkes vermag Forster
seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf Einzelheiten zu lenken, weder auf die
Glasmalereien der Chorfenster noch auf die kostbaren Reliquien. Doch ganz etwas
anderes fesselt ihn, der Anblick seines Begleiters Alexander von Humboldt.
"Meine Aufmerksamkeit hatte einen wichtigeren Gegenstand, einen Mann von der
beweglichsten Phantasie und vom zartesten Sinne, der zum ersten Male in diesen
Kreuzgängen den Eindruck des Großen in der gotischen Bauart empfand und bei dem
Anblick des mehr als hundert Fuß hohen Chors vor Entzücken wie versteinert war.
O, es war köstlich, in diesem klaren Anschauen die Größe des Tempels noch
einmal, gleichsam im Widerschein, zu erblicken!"
In der Stadt gab es viele reiche Leute, daneben aber auch
unendliche Armut. In allen Straßen sah er Scharen von zerlumpten Bettlern, die
ihr Gewerbe in Köln geradezu systematisch betreiben, indem sie zum Beispiel ihre
Plätze an den Kirchentüren erblich hinterlassen oder zum Heiratsgut ihrer
Töchter schlagen. Nirgendwo auf der ganzen Reise meint er mehr Aberglauben und
mechanische Religionsübung gefunden zu haben als hier. Das bringt ihn auf die
Frage, welche Ursachen wohl eine Religion in den verschiedenen Ländern so
umbilden können, dass sie auf den Charakter der Bewohner ganz verschiedene
Wirkungen ausübt. Warum, fragt er, herrscht in Köln ein schwarzgalliger
Fanatismus, in Rom dagegen Leichtsinn und heitere Freude? Sind es die
niederländischen Nebel und die milden, gestirnten Nächte Italiens, die diesen
Unterschied bewirken? Oder steckt es schon seit undenklichen Zeiten den
Italienern und den Deutschen im Blute, dass sich dort der Zauber einer erhöhten
Sinnlichkeit über alle Gegenstände breitet, während hier selbst eine Religion,
die doch so lebhaft auf die Sinne zu wirken versteht, finster und
menschenfeindlich macht? Den Unterschied zwischen dem niedrigen Bettler in Köln
und dem edleren Lazzarone in Neapel möchte er größtenteils auf klimatische
Gründe zurückführen. In Italien, meint er, entwickelt allein schon das Klima den
gesunden Menschenverstand. Wer dort faulenzt, ist nur eben gerade nicht hungrig.
Sobald und solange ihn hungert, greift er zur Arbeit. Wer dagegen den Bettlern
in Köln von Arbeit sprechen wollte, hätte vergebliche Mühe.
Einen himmelweiten Unterschied fand Forster zwischen Köln und
dem reinlichen, wohlhabenden Düsseldorf, einer schön gebauten Stadt mit
prächtigen, massiven Häusern und stets geschäftigen und gut gekleideten
Einwohnern. Vor zwei Jahren hatte der Kurfürst einen Teil der Festungswerke
niederreißen lassen und seinen Untertanen erlaubt, auf diesem Platz zu bauen.
Jetzt stand schon eine ganz neue Stadt da mit mehreren langen, nach der Schnur
gezogenen Straßen, und in wenigen Jahren wird Düsseldorf noch einmal so groß und
um vieles prächtiger sein. Das Geheimnis einer guten Staatsverwaltung, stellt
Forster fest, ist gar nicht so schwer zu lösen, es ist eigentlich das Ei des
Kolumbus: Der Regent muss nur zur rechten Zeit aufhören, in allem und jedem
selbst zu regieren. "Es gehört ein entschiedenes Maß von gutem Willen und ein
etwas seltener, selbst bei guten Menschen, wenn sie Macht in Händen haben,
ungewöhnlicher Grad von Selbstverleugnung dazu, um nicht zur Unzeit wirken zu
wollen und sich lediglich darauf einzuschränken, die Hindernisse aus dem Wege zu
räumen, welche der freien, willkürlichen, unbedingten Tätigkeit eines jeden
Bürgers im Staate entgegen stehen."
Viele Tage lang besuchte Forster in Düsseldorf die
Gemäldegalerie, in der sich damals noch bedeutende Schätze an Rubensbildern
befanden. Er hält nicht viel von der Beschreibung von Kunstwerken; wichtiger ist
es ihm, die Gedanken und Empfindungen wiederzugeben, die im Beschauer beim
Betrachten wach werden, und dadurch die Stimmung zu wecken, aus der heraus es
entstanden ist. Forsters ästhetische Anschauungen gehen aus von einer
schwärmerischen Verehrung der Antike. An der modernen Kunst tadelt er die
Vermengung von künstlerischen und moralischen Gesichtspunkten und die Wahl der
Stoffe aus religiösen Motiven. So lässt er die Niederländer und vor allem Rubens
nur mit vielen Vorbehalten gelten. Vom .Jüngsten Gericht" meint er: "Nein, es
war keine der Musen, die den Künstler zu solchen Ausgeburten begeisterte. An der
dithyrambischen Wut, die durch das Ganze strömt, an diesen traubenähnlichen
Gruppen von Menschen, die als ekelhaftes Gewürm ineinander verschlungen, eine
verworrene Masse von Gliedern und - schaudernd schreib' ich, was ich sehe -
einen kannibalischen Fleischmarkt vorstellen, erkennt man die wilde,
bacchantische Mänas, die alle Bescheidenheit der Natur verleugnet und voll ihres
Gottes den Harmonieschöpfer Orpheus zerreißt." Die Kunstbetrachtungen Forsters
in den "Ansichten vom Niederrhein" gaben den Brüdern Boisserée die Hauptanregung
für ihre bedeutsame Sammlung von Werken deutscher Kunst, die später in den
Besitz der Münchener Pinakothek überging. Sie sind zugleich der Ausdruck einer
beginnenden Wandlung, die sich in Forster vollzog, die Abkehr von den
Einzelproblemen der Naturwissenschaft und die Hinwendung zu Fragen der Ästhetik
und der Kulturphilosophie.
In Düsseldorf verlassen die Reisenden den Rhein und wenden
sich westwärts. Bei Aachen werden mehrere Tuchfabriken besichtigt, die spanische
Wolle verarbeiten und ihre Erzeugnisse wieder in ferne Länder senden. Dieser
blühende Handel über die Grenzen von Staaten und Völkern hinweg begeistert den
Sohn des Humanitätszeitalters. "Mir wenigstens ist es immer ein fruchtbarer
Gedanke, dass hier Tausende von Menschen arbeiten, damit man sich am Euphrat, am
Tigris, in Polen und Russland, in Spanien und Amerika prächtiger und bequemer
kleiden könne; und umgekehrt, dass man in allen jenen Ländern Tücher trägt, um
den Tausenden hier Nahrung und Lebensbedürfnisse aller Art zu verschaffen. Das
Phänomen des fortwährenden Austausches verschiedener Produkte der Natur und der
Kunst gegen einander ist aber unstreitig desto wichtiger, weil die Ausbildung
des Geistes so innig damit verbunden ist."
Bei solcher Bewertung des Handels muss auch der Beruf des
großen Kaufmannes besonders bedeutungsvoll erscheinen. Sein Unternehmungsgeist
wird einer unabsehbaren Zahl von Menschen zur Quelle des Wohlstandes und des
häuslichen Glücks. Seine Spekulationen umfassen das ganze Rund der Erde und
knüpfen die Kontinente aneinander. Durch seinen unmittelbaren Einfluss auf die
Entwicklung und Bildung der Menschheit wird er nicht nur einer der
aufgeklärtesten, sondern zugleich einer der glücklichsten Menschen.
Die Reise geht weiter nach Brabant, Flandern und Holland.
Fruchtbare, dicht bevölkerte Landschaften wechseln mit alten Städten, die vom
Ruhm der Vergangenheit leben, und anderen, in denen Handel und moderne
Manufakturen neues Leben schaffen. Alle sind sie durchzittert von der
politischen Bewegung, die von den ersten Ereignissen der französischen
Revolution ausging und ihre Wellen auch in die Gebiete jenseits der Grenzen
Frankreichs schlug. Forster entwickelt hier eine ganz neue Form der
Städteschilderung. Die Reisebeschreibungen seiner Zeit erschöpften sich bei der
Betrachtung der Städte meist in langatmigen statistischen Erörterungen, die dann
noch durch die Aufzählung von allerlei Kuriositäten belebt wurden. Forster
dagegen sieht die Städte als historisch gewordene Organismen, als die
großartigen Schauplätze konzentrierter menschlicher Tätigkeit.
In den ebenen Gefilden von Artois und im Hennegau umsäumen
Reihen von schlanken Ulmen, Espen und Pappeln jedes Feld, jeden Weg und die
Kanäle. Sie laufen meilenweit fort in majestätischen Alleen und bilden anmutige
Gehölze um verstreute Hütten und stille Dörfer. "Dies ist das Land der
lieblichen, der kühlen Schatten." Der Teppich der Wiesen ist in den feuchten
Frühlingstagen herrlich grün geworden, und auch die Weizenäcker schimmern in
zarten Smaragdtönen. Schon spürt man in der Atmosphäre den Einfluss der nahen
See. "Jener unermessliche blaue Horizont, der sich an die Wölbung des azurnen
Himmels anschließt, muss der hiesigen Aussicht eine erhabene Vollkommenheit
geben, die nur in wenigen Punkten unserer Erde erreicht werden kann."
In Dünkirchen sieht Forster nach zwölf Jahren zum ersten Male
wieder das Meer. Der Eindruck bewegt ihn tief. Das Bild jener drei Jahre, die er
an Bord der "Resolution" auf dem Ozean zugebracht hatte und die sein ganzes
weiteres Leben bestimmten, trat mit zwingender Gewalt vor seine Seele. "Die
Unermesslichkeit des Meeres ergreift den Schauenden finstrer und tiefer als die
des gestirnten Himmels. Dort an der stillen, unbeweglichen Bühne funkeln ewig
unauslöschliche Lichter. Hier hingegen ist nichts wesentlich getrennt; ein
großes Ganzes und die Wellen nur vergängliche Phänomene. Ihr Spiel lässt nicht
den Eindruck der Selbständigkeit des Mannigfaltigen zurück; sie entstehen und
türmen sich, sie schäumen und verschwinden; das Unermessliche verschlingt sie
wieder. Nirgends ist die Natur furchtbarer als hier in der unerbittlichen
Strenge ihrer Gesetze; nirgends fühlt man anschaulicher, dass gegen die gesamte
Gattung gehalten das Einzelne nur die Welle ist, die aus dem Nichtsen durch
einen Punkt des abgesonderten Daseins wieder in das Nichtsein übergeht, indes
das Ganze in unwandelbarer Einheit sich fortwälzt."
Doch nicht nur zu ästhetischen Betrachtungen reizt ihn der
Anblick. Für Forster wird das Weltenmeer zur Quelle von Völkergröße und
Völkerschicksal. "Wir ahnten in Gedanken das gegenüberliegende Ufer und die
entfernten Küsten, die der Ozean dem kühnen Fleiße des Menschen zugänglich
macht. Wie heilig ist das Element, das Westteile verbindet!"
Amsterdam war die letzte Station Forsters auf dem Kontinent.
Seine Beschreibung der großen Metropole Hollands ist eine der eindrucksvollsten
Städteschilderungen in deutscher Sprache. Er besucht das Arsenal der
Admiralität, ein mächtiges Gebäude von mehr als zweihundert Fuß im Quadrat, das
auf 18 000 Pfählen erbaut ist. In drei Stockwerken sind hier die
Ausrüstungsgegenstände für ganze Flotten aufgestapelt, Ankertaue und Segel in
jeder Größe, Waffen aller Art, Laternen, Kompasse und Flaggen. Vom Werftplatz
überschaut er die unermessliche Wasserfläche des Hafens, erst in dämmernder
Ferne blinkt der flache Sandstrand des jenseitigen Ufers auf. Wie ein Wald
erheben sich die vielen tausend Mastbäume der Indienfahrer, die hier versammelt
sind; ankommende und auslaufende Fahrzeuge mit ihren Begleitbooten beleben die
Szene. Zum Stapellauf einer großen Fregatte hat sich eine tausendköpfige Menge
eingefunden. Auch Forster ist unter den Zuschauern. Die letzten Blöcke werden
weggeschlagen, das Haltetau gekappt, und unter dem Jubel der Massen gleitet das
Schiff in die Fluten. "So hebt sich himmelan das Herz in stolzer Freude über das
Wollen und Vollbringen des menschlichen Geistes." Von Holland aus trat Forster
die überfahrt nach England an. Sein Aufenthalt hier brachte ihm nicht den
gewünschten Erfolg. Man nahm ihn kalt und zurückhaltend auf. Es gelang ihm
nicht, die erwartete nachträgliche Belohnung für das Weltreisebuch zu erlangen,
und auch seine andere Hoffnung, die Mittel und den Verleger für ein großes
systematisches Werk über die Pflanzenwelt der Südsee zu finden, ging nicht in
Erfüllung. Anfang Juli 1790 reiste er über Frankreich zurück nach Mainz.
Das Ergebnis der Reise sind die "Ansichten vom Niederrhein",
die in den Jahren 1791-94 bei Voß in Berlin erschienen. In den ersten beiden
Bänden, die den Verlauf der Fahrt bis Holland enthalten, verarbeitete er den
Inhalt seiner Tagebücher mit den Briefen, die er an seine Frau geschrieben
hatte. Der dritte Band mit den Aufzeichnungen aus England erschien erst nach
Forsters Tode.
Die Jahre seit dem Abschluss seines Südsee-Reisewerkes waren
für Forster angefüllt mit nüchterner Pflichtarbeit, die ihm keinen neuen
Aufschwung geben konnte. Erst die Fahrt am Niederrhein brachte ihm die neue
Befreiung und Entfaltung seiner Kräfte. Freilich war es keine Vergnügungsreise
gewesen: "Es gibt vielleicht keine Arbeit, welche so die Kräfte erschöpft als
dieses unaufhörliche, mit aufmerksamer Spannung verbundene Sehen und Hören f
allein wenn es wahr ist, dass die Dauer unseres Daseins nur nach der Zahl der
erhaltenen Sensationen berechnet werden muss, so haben wir in diesen wenigen
Tagen mehrere Jahre an Leben gewonnen." - Nach der Weite des durchmessenen
Raumes war die Reise nicht entfernt mit der Erdumsegelung zu vergleichen. Aber
auch diese Fahrt war in gewissem Sinne eine Weltreise, ein "Blick in das Ganze
der Natur" und ein Weg durch den Kosmos aller menschlichen Dinge. Erdgeschichte
und Landschaft, Wirtschaftsleben, Handel, kirchliche, soziale und politische
Fragen, die Kunst und das wissenschaftliche Leben sind seine Themen. Der ganze
Umkreis menschlicher Interessen wird von einem reichen Geist durchleuchtet und
geklärt. Leichtigkeit und Tiefe machen das Buch zu einem klassischen Werk
deutscher Prosa. Lichtenberg nannte es eines der ersten Werke der Nation.
Noch einen anderen Ertrag brachte die Reise, die erste
Verdeutschung von Kalidasas "Sakontala", einer altindischen dramatischen
Dichtung, die Forster nach der Übertragung des Engländers Jones übersetzte.
Heute ist Forsters Fassung überholt, da mehrere Übersetzungen unmittelbar aus
der Ursprache vorliegen, aber zu seiner Zeit gab sie den entscheidenden Anstoße
zu einer vertieften Beschäftigung des deutschen Geistes mit der Dichtung des
alten Indien. Herder war begeistert über das Werk, und Goethe entnahm ihm die
Anregung zu dem "Vorspiel auf dem Theater" im Faust. Kurz nachdem er Forsters
Übersetzung erhalten hatte, schrieb er die Verse:
-
Will ich die Blumen des frühen, die Früchte des späteren Jahres,
will ich, was reizt und entzückt, will ich, was sättigt und nährt,
will ich den Himmel, die Erde mit einem Namen begreifen,
nenn' ich, Sakontala, dich, und so ist alles gesagt.
Revolution in Mainz
Gleich nach der Übernahme des Amtes in Mainz hatte Forster in
sein Haus den kursächsischen Legationssekretär Ferdinand Huber gezogen, einen
Schöngeist, der sich in dramatischen Dichtungen versuchte und von Forster
Förderung seiner poetischen Bemühungen erhoffte. Therese, die sich von Forster
schon seit Wilna unverstanden fühlte und sich in Göttingen ganz von ihm
entfremdet hatte, versuchte, den jungen Huber zu erziehen. Daraus wurde bald
eine schwärmerische Freundschaft und während der Abwesenheit Forsters auf der
Rheinreise leidenschaftliche Liebe. "Denn eh Forster nach England ging",
schreibt Therese, "hatten wir nie in irgendeinem Verhältnis gestanden, der
Zufall entdeckte unsern Herzen, wie nahe sie waren, und Forsters häusliche Ruhe
war dahin. Was ich fühlte, diesen Mann immer zu betrügen!" Forster fand wieder
nicht die Kraft, seine Ehe zu lösen, und willigte abermals in ein Verhältnis zu
dritt. Die kommenden revolutionären Ereignisse trafen einen Mann, der in seinem
eigenen Hause ein Fremdling geworden war.
Forster hatte auf der Rückreise von England in Paris die
Vorbereitungen zum großen Nationalfest auf dem Marsfeld erlebt. Er fand den
Anblick der Begeisterung im Volk herzerhebend, "weil er so ganz allgemein durch
alle Klassen des Volkes geht und so rein und einfach auf das gemeine Beste mit
Hintansetzung des Privatvorteils wirkt." Auch die weitere Entwicklung der
Revolution im nächsten Jahr fand seinen Beifall. Als Goethe im August 1792 durch
Mainz kam, verbrachte er mit dem Ehepaar Forster, Huber und einigen anderen
Freunden "zwei muntere Abende", aber die Gegensätze in der Beurteilung der
Ereignisse waren unverkennbar. "Von politischen Dingen war die Rede nicht",
schreibt er in der "Kampagne in Frankreich" von diesem Besuch, "man fühlte, dass
man sich wechselseitig zu schonen habe; denn wenn sie republikanische
Gesinnungen nicht ganz verleugneten, so eilte ich offenbar, mit einer Armee zu
ziehen, die eben diesen Gesinnungen und ihrer Wirkung ein entschiedenes Ende
machen sollte."
Im Oktober rückte eine Revolutionsarmee unter General Custine
in Mainz ein. Der Kurfürst, viele Beamte und Bürger flohen über den Rhein. Auch
Huber zog sich auf Anweisung seiner Regierung nach Frankfurt zurück. Forster
entschloss sich, in Mainz zu bleiben. Er mochte sich nicht von seinem Haus und
Besitztum trennen und fürchtete als überzeugter Anhänger der Revolution für sich
und die Seinen keine Gefahr. Auch hoffte er, durch sein Bleiben die Interessen
der Universität bei den Franzosen vertreten zu können. Sein Schwiegervater Heyne
billigte diesen Entschluss, gab ihm aber den dringenden Rat, sich nicht in eine
zu enge Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht einzulassen. Forster befolgte
diesen Rat nicht. Am 10. November trat er in den Mainzer Jakobinerklub ein. Auch
Therese scheint ihn zu diesem Entschluss gedrängt zu haben, durch den sie von
Forster frei zu kommen hoffte, um sich mit Huber vereinigen zu können. Fünf Tage
später hielt er im Klub eine große Rede "über das Verhältnis der Mainzer gegen
die Franken", worin er die These vertrat, Mainz müsse für alle Zeiten bei der
französischen Republik bleiben und der Rhein sollte in Zukunft die Grenze
zwischen Deutschland und Frankreich werden. Forster hatte sich entschieden, und
er war sich klar darüber, was das für ihn zur Folge haben musste. "Ich habe mich
für eine Sache entschieden, der ich meine Privatruhe, meine Studien, mein
häusliches Glück, vielleicht meine Gesundheit, mein ganzes Vermögen, vielleicht
mein Leben aufopfern muss. Ich lasse aber ruhig über mich ergehen, was kommt,
weil es als Folge einmal angenommener und noch bewährter Grundsätze
unvermeidlich ist."
Forsters Annahme, dass sich die verbündeten Mächte dem
Ansturm der revolutionären Kräfte am Rhein militärisch nicht gewachsen zeigen
würden, erwies sich als falsch. Anfang Dezember rückten preußische Truppen in
Frankfurt ein, und Mainz war bedroht. Therese, die sich mit ihren Kindern nicht
den Gefahren eines erneuten Kampfes aussetzen wollte, reiste am 7. Dezember ab,
um zunächst in Straßburg die weitere Entwicklung abzuwarten.
Finale in Paris
Forster empfand den Umbruch dieser Jahre als eine der ganz
großen Wendezeiten der Geschichte. "Es ist eine der entscheidenden Weltepochen,
in welcher wir leben. Seit der Erscheinung des Christentums hat die Geschichte
nichts Ähnliches aufzuweisen." Kurz nach der Hinrichtung des Königs ging er als
Deputierter der Mainzer nach Paris und verlas dort am 30. März 1793 im Konvent
eine von ihm selbst verfasste Adresse, worin er namens des "rheinisch-deutschen
Volkes" den Anschluss der von den Franzosen besetzten Rheingebiete an Frankreich
forderte. Unter dem Eindruck dieser Kundgebung beschloss der Konvent daraufhin "par acclamation" ein Dekret, das diesem Wunsche entsprach.
"Ich bin immer noch
mit der Revolution zufrieden", schrieb er am folgenden Tage, "ob sie gleich
etwas ganz anderes ist, als die meisten Menschen darunter denken."
Aus innerster Überzeugung hatte sich Forster in Mainz zu den
Gedanken der Revolution bekannt. Hier in Paris, wo er die Dinge und die
handelnden Personen aus nächster Nähe kennenlernte, brachen alle seine Hoffnung
und Ideale in wenigen Wochen zusammen. Am 8. April schreibt er: "Aus der Ferne
sieht alles anders aus, als man's in der nähern Besichtigung findet. Ich hänge
noch fest an meinen Grundsätzen, allein ich finde die wenigsten Menschen ihnen
getreu. Alles ist blinde, leidenschaftliche Wut, rasender Parteigeist und
schnelles Aufbrausen, das nie zu vernünftigen, ruhigen Resultaten gelangt." Acht
Tage später kommt er zu der Überzeugung: "Je mehr man in die Geheimnisse der
hiesigen Intrigue eingeweiht oder besser: je näher man mit dem ekelhaften
Labyrinth bekannt wird, worin sich hier alles windet und dreht, desto mehr kalte
Philosophie bedarf man, um nicht an allem, was Tugend heißt, zu verzweifeln und
nun ruhig von der Gerechtigkeit des Himmels einen guten Ausgang zu erwarten. Es
fehlte noch nach allem, was ich die letzte Zeit gelitten habe, dass mir die
Überzeugung käme, einem Unding meine letzten Kräfte geopfert und mit redlichem
Eifer für eine Sache gearbeitet zu haben, mit der es sonst niemand redlich meint
und die ein Deckmantel der rasendsten Leidenschaften ist."
Hat die Revolution den Franzosen das Glück gebracht, das sich
die meisten davon erträumt haben? Ob sie glücklicher im gewöhnlichen Sinn des
Wortes dadurch geworden sind, meint Forster, können nur diejenigen fragen, die
über menschliche Angelegenheiten nie nachgedacht und keine Erfahrungen gesammelt
haben. "Die Natur oder das Schicksal fragt nicht nach dieser besonderen Art von
Glück. Ihre Sache ist es, dass die Menschen wirken und leiden und in beidem bald
Freude genießen, bald Schmerz empfinden."
Im Sommer erhielt er den Auftrag, mit den Engländern über den
Austausch von Gefangenen zu verhandeln. Er begab sich zu diesem Zweck
vorübergehend nach Arras, aber die Angelegenheit kam nicht vorwärts. Sein Leben
in Paris, wo er gar keinen Anschluss an gleichgesinnte Freunde fand, wurde immer
einsamer. "Ich bin jetzt da, wo Menschen in meiner Lage sich immer glücklich
schätzen können hinzugelangen: im Hafen der Resignation. Aber der Name selbst
lehrt schon, dass es die letzte, öde Zuflucht des von Stürmen umhergetriebenen
Herzens ist. Ich bin ruhig, aber ich bin ausgebrannt." Alle diese Bekenntnisse
sind an Therese gerichtet, denn sie ist jetzt der einzige Mensch, dem er sich
noch offenbaren mag. Am 16. April schreibt er an sie: "Du wünschest, dass ich
die Geschichte dieser greuelvollen Zeit schreiben möchte? Ich kann es nicht. Oh,
seit ich weiß, dass keine Tugend in der Revolution ist, ekelt es mich an. Ich
konnte, fern von allen idealischen Träumereien, mit unvollkommenen Menschen zum
Ziel gehen, unterwegs fallen und wieder aufstehen und weitergehen, aber mit
Teufeln und herzlosen Teufeln, wie sie hier sind, ist es mir eine Sünde an der
Menschheit, an der heiligen Mutter Erde und an dem Licht der Sonne."
Für einen Forster, der zu solchen Erkenntnissen gekommen war,
hatte die Revolution keine Verwendung. Mehr und mehr wurde ihm bewusst, dass
seine Rolle ausgespielt war. "Es ist schlechterdings unmöglich, dass ein Mann
von meiner Denkungsart, von meinen Grundsätzen, von meinem Charakter sich in
einem öffentlichen Posten erhalten und folglich dem Staat nützen könne." Noch
glaubt er, dass sich ihm der Rückweg zu einer stillen Gelehrtenexistenz oder zu
einem Forschungsauftrag ins Ausland öffnen könnte. Er bewirbt sich um eine
Sendung nach St. Domingo, dann wieder denkt er an eine Reise nach Italien, wo er
mit einer Reisebibliothek, seinem Malkasten und schönem Zeichenpapier ein
stilles Forscherglück zu finden hofft. Wenn er nur vierhundert bis fünfhundert
Pfund Sterling auftreiben könnte, möchte er auch noch Persisch und Arabisch
lernen und über Land eine Forschungsreise nach Indien machen. In einem Brief an
Therese malt er sich dieses Zukunftsbild aus. "Ich könnte vier bis sechs Jahre
ausbleiben oder noch länger, ohne zu alt zum Genuss des Überrestes meines Lebens
in die Arme meiner Kinder zurückzukehren, und indem ich sie glücklich
wiederfände, für die Erfüllung Deiner mütterlichen Pflicht auch Dir einen
dankbaren Freund wieder zuzuführen."
Noch lange hatte Forster auf eine Wiedervereinigung mit
seiner Frau gehofft. Aber Therese war von Straßburg nach Neuenburg in der
Schweiz übergesiedelt, wohin Forster nicht reisen konnte, und Huber war ihr
dahin gefolgt, nachdem er den diplomatischen Dienst aufgegeben hatte. Zu einer
Rückkehr zu Forster war sie nicht zu bewegen. Nur einmal noch, im November 1793,
sah Forster seine Frau und die Kinder bei einer kurzen Begegnung an der
Schweizer Grenze.
Auf der Rückkehr von dieser Reise zog er sich eine
rheumatische Erkrankung zu, und in Paris musste er sich mit einer
Brustfellentzündung zu Bett legen. An den langen Abenden, die er einsam und
traurig verbrachte, kamen ihm Todesgedanken. "Wenn es nicht die so dunkle und
nun so oft getäuschte Hoffnung wäre", schreibt er kurz vor Weihnachten an
Therese, "Euch noch etwas nützen zu können, so hätt' ich doch nun nichts mehr
hier zu suchen und wäre wohl berechtigt, meinen Abschied zu fordern. Hundertmal
hab ich nun schon erfahren, dass es größer ist zu leben als zu sterben. Jeder
elende Hund kann sterben. Aber wenn hernach der Teufel, oder wer ist der
schadenfrohe, zähnefletschende Geist in uns, der so einzusprechen pflegt, wenn
der mit einem höllischen Spötteln fragt: Was ist dir nun die Größe? Bist du
nicht ein eitler Narr, dich für besser als alle anderen zu halten, damit du dich
über wirkliches Übel, über unverbesserliche Ungerechtigkeit der Natur täuschen
kannst? - Was hat man diesem Adrammelech zu antworten? O mein Gott! da versink
ich in meinen Staub, nehme meine Bürde auf midi und gehe weiter und denke nichts
mehr als: du musst, bis du nicht mehr kannst, dann hat's von selbst ein Ende."
Krankheitserscheinungen, wie er sie auf der Südseereise bei
Skorbutanfällen erlebt hatte, schwächten seinen Körper immer mehr. Die
Einsamkeit um ihn war jetzt vollkommen. Ein anderer Mainzer Flüchtling, der
Schriftsteller Haupt, war der einzige Mensch, der sich in seiner letzten
Krankheitszeit noch um ihn kümmerte. Ein Schlaganfall brachte schließlich das
Ende. In Deutschland als Vaterlandsverräter geächtet, von Frau und Freunden
verlassen, arm und einsam starb Georg Forster am 10. Januar 1794 noch nicht
vierzigjährig in der Fremde.
Georg Forsters Bild hat im Wandel der Zeiten eine sehr
verschiedenartige Beurteilung erfahren. Der Ruhm, den er sich in jungen Jahren
durch die Teilnahme an einer der großen Entdeckungstaten seines Jahrhunderts und
durch das Weltreisewerk erwarb, blieb auch über die für Forster unfruchtbare
Zeit in Kassel und Wilna lebendig. Er erneuerte und vertiefte ihn durch die
"Ansichten vom Niederrhein", brachte sich aber gleich nach deren Erscheinen
durch seine politische Laufbahn um jede Wirkung. Sein Tod gab Anlass zu vielen
gehässigen Angriffen. Schiller, dem Forster in seinen ästhetischen und
kulturphilosophischen Anschauungen besonders nahestand, widmete ihm drei
höhnische Xenien. Goethe urteilte weniger hart: "So hat der arme Forster denn
auch seinen Irrtum mit dem Leben büßen müssen, wenn er schon einem gewaltsamen
Tode entging. Ich habe ihn herzlich bedauert."
Im Bewusstsein der Öffentlichkeit blieb sein Bild lange Zeit
getrübt; der politische Irrweg der letzten Jahre überschattete seine Leistungen
als Schriftsteller und Künstler. Einer hielt ihm die Treue, sein Schüler und
Reisegefährte Alexander von Humboldt. Er hat ihm nicht nur fünfzig Jahre später
in seinem Alterswerk, dem "Kosmos", voll tiefen Verständnisses ein literarisches
Denkmal gesetzt, sondern er hat in seiner ganzen Lebensarbeit Forsters
Anschauungen entwickelt und auf weiten Gebieten der Forschung und der
Darstellung fruchtbar gemacht. Humboldt sieht in Forsters Werk "den Keim zu
vielem Großen, das die spätere Zeit zur Reife gebracht hat", den Beginn einer
neuen Epoche naturwissenschaftlicher Erdbetrachtung, deren Ziel die
vergleichende Völker- und Länderkunde ist.
Die moderne Erdkunde hat diese Anschauungen in
wissenschaftlicher Spezialisierung unendlich bereichert und vertieft, an
Klarheit und Wärme der Darstellungskunst aber selten erreicht und nicht
übertroffen. Die geistigen und seelischen Kräfte, in denen diese Kunst wurzelt,
hat Forster in einem Aufsatz "Die Kunst und das Zeitalter" angedeutet: "Schön
ist der Lenz des Lebens, wenn die Empfindung uns beglückt und die freie
Phantasie in ewigen Träumen schwärmt. Uns selbst vergessend im Anschauen des
gefühlerweckenden Gegenstandes fassen wir seine ganze Fülle und werden eins mit
ihm. Nicht bloß die Liebe spricht: gebt alles hin, um alles zu empfangen. Bei
jeder Art des Genusses ist diese unbefangene Hingebung der Kaufpreis des
vollkommenen Besitzes. Aber auch nur was so innig empfangen, uns selbst so innig
angeeignet ward, kann wieder ebenso vollkommen von uns ausströmen und als neue
Schöpfung hervorgehen." |