Von Groenland bis Lambarene 2

Gaebler Info und Genealogie

Home neu • Genealogie • Christoph Gäbler • Hannelore  Schwedes • Indien • Ökumene • Politik • Bildung • Kunst • Was noch? • Privat • Kontakt • Suchen
 

Johannes Paul
Südwestafrika
Südafrika
Amboland
J. Paul - Essays
Georg Forster
Sven Hedin
A. v. Humboldt
Fridtjof Nansen
Marco Polo
Fürst Pückler
J. G. Seume
Missionare 1
Missionare 2
Missionare 3

Von Grönland bis Lambarene

Reisebeschreibungen christlicher Missionare aus drei Jahrhunderten

Herausgegeben von Johannes Paul

Kreuz Verlag Stuttgart 1958

Inhalt dieser Webseite

Weitere Reisebeschreibungen


Wilhelm Posselt

Wilhelm Posselt aus WikpediaWilhelm Posselt stammte aus einfachen Verhältnissen. Er wurde 1815 zu Diekow in der Neumark geboren, wo sein Vater Dorfschullehrer war. Seine Mutter stammte aus einer pommerschen Bauernfamilie; sie konnte notdürftig lesen, schreiben hat sie nie gelernt. Seinen Wunsch, Theologie zu studieren, konnten seine Eltern nicht erfüllen, denn es waren neben ihm noch fünf Geschwister zu versorgen. So wurde der Knabe schon mit siebzehn Jahren Hilfslehrer und Kantor in einem märkischen Dorf. Als er dann zur Ausbildung auf das Lehrerseminar in Neuzelle kam, fasste er den Entschluss, Missionar zu werden. Er fand Aufnahme im Berliner Missionshaus, und nach fünf Jahren wurde er 1839 nach Südafrika entsandt.

Die Ausbreitungsbewegung der Buren,  die von Kapstadt aus allmählich in das  Innere von Südafrika vordrangen, hatte bei der eingeborenen Bevölkerung keinen ernsthaften Widerstand gefunden, solange sie sich im Bereich der nomadischen Hottentottenstämme vollzog. Erst als sie im Osten das Gebiet der sesshaften und kriegerischen  Kaffernvölker  erreichte, kam es  zu  einer  langen Reihe von Kriegen und Aufständen. Mitten in diesem damals noch unbezwungenen Kaffernland nahm Posselt seine Arbeit auf. Seine erste Station war Itemba am Kaifluss. 1843 erhielt er den Auftrag, eine neue Station anzulegen, die er Emmaus nannte. Von seinem dritten Heim am Indwe vertrieb ihn mit Weib und Kind der wieder ausbrechende Krieg. Er fand eine neue Arbeitsstätte in Natal am Fuße der Drakensberge. Dort verlor er seine Frau und zwei seiner Kinder. Deutsche Siedler, die sich in Natal nahe bei Durban niedergelassen hatten, beriefen ihn 1848 als Pfarrer. Er folgte diesem Ruf unter der Bedingung, dort zugleich auch die Missionsarbeit fortsetzen zu können. Neben der deutschen Ansiedlung nahe der Küste des Indischen Ozeans gründete er eine Missionsstation, die er nach seiner verstorbenen Frau Christianenburg nannte. Fast vier Jahrzehnte lang hat er hier das doppelte Amt eines Missionars und Pfarrers der deutschen Gemeinde ausgeübt.

Posselt hat eine Lebensbeschreibung hinterlassen, die erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde. Er zeigt darin keinerlei literarischen Ehrgeiz. Ungekünstelt, oft in derben Worten und gelegentlich mit heiterer Selbstironie schildert er seine Fahrten und sein Leben in den Anfangsjahren fern von jeder Zivilisation, die er kaum entbehrte. Er war ein einfacher, unkomplizierter Mensch, dem dieses Leben zusagte. Von Gelehrsamkeit hielt er nicht viel, aber täglich, auch in den Wirren der Kaffernkriege, las er ein Kapitel des Alten und des Neuen Testaments in der Ursprache. Ungeschminkt und ohne jede Phrase berichtet er vom Leben der Kaffern, die er wie wenige seiner Zeit kannte. In den letzten Jahrzehnten lebte er auf Christianenburg wie ein Patriarch inmitten seiner schwarzen und weißen Gemeinde. Als er 1885 starb, schied mit ihm eine der großen Pioniergestalten der Missionsarbeit in Südafrika.

Die Gründung der Station Emmaus im Kaffernlande

Wilhelm Posselt, der Kaffernmissionar. Ein Lebensbild aus der Südafrikanischen Mission, heraugegeben von E. Pfitzner und D. Wangemann. Berlin, Verlag der Berliner Mission 1888.

 Im Jahre 1843 erhielt ich die Anweisung, in Gemeinschaft mit meinem teuren Bruder Liefeldt eine neue Station anzulegen. Wir suchten uns eine liebliche Gegend aus, reich an Wasser, Weide und Holz; auch wohnte daselbst eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Kaffern. Wir nannten den Ort Emmaus; jetzt heißt er Wartburg. Unsre Frauen ließen wir auf Bethel, reisten mit dem Wagen fort und fingen an, zwei Häuser zu bauen. Die Kaffern mussten uns erst eine Hütte errichten, welche wir inzwischen bewohnten. Ruten von der Dicke eines Daumens werden gespitzt und in die Erde im Kreise eingetrieben. Die oberen Enden bindet man zusammen und befestigt darüber kreuzweise noch andre Ruten, so dass das ganze Gestell wie ein Netzwerk aussieht. Drei bis vier Stützen von Mannshöhe werden inwendig angebracht, und dann wird eine große Menge Gras darauf gebunden. Der Eingang ist ein Loch von etwa zweieinhalb Fuß Höhe, durch welches man ein- und auskriecht. Der Fußboden wird aus Lehm gestampft und sauber geglättet. In der Mitte zwischen den Stützen befindet sich eine runde, seichte Aushöhlung mit erhöhtem Rande; das ist der Feuerherd, um welchen die Bewohner des Hauses sowohl hocken als schlafen; die Füße werden dann nach dem Feuer gekehrt. Die Tür versieht ein Flechtwerk aus Rohr, welches inwendig an die Öffnung angebunden wird. Eine solche Hütte machten die Wilden für uns fertig, und wir wohnten und schliefen darin nach Kaffernart. Eine Matte diente als Unterbett und ein Pferdesattel als Kopfkissen. Der Kaffer lässt beim Schlafen den Kopf auf einer kurzen, schmalen Holzbank ruhen, welche eben nur für den Nacken passt, auf welchem er eigentlich liegt. Kein Wunder, wenn der Nacken dieses Volkes dick und steif wie eine eiserne Ader ist.

Für unsere Häuser fällten wir Bäume von geringem Umfang, zersägten sie und setzten sie in die Erde, umflochten sie mit Ruten, warfen Lehm daran, deckten sie ein, setzten Herd und Schornstein, glätteten und verputzten das Innere und Äußere, und in gar kurzer Zeit standen auf dem runden Hügel von Emmaus, welchen ein wasserreicher, klarer Bach umfließt, zwei Wohnungen. Dann holten wir unsre teuren Lebensgefährtinnen und ließen durch ihre geschickten Hände das Inwendige weiter ausschmücken. Und da ich unser Wohnstübchen recht zierlich haben wollte, so sägte ich die niedrigen Balken ab und schlug die Wölbung bis an die Hahnebalken mit weißem Kattun aus. Meine Christiane zog Vorhänge vor die Fenster, stellte dazwischen ihr Nähtischchen, das ihr jemand geschenkt hatte; ich verfertigte Tisch und Sofa, beides so schön, dass ich mir einbildete, ein ausstudierter Tischler könne es nicht besser machen. Ich brachte sogar eine Schublade zustande, welche ich mit Abteilungen für Messer, Gabeln und Löffel versah; ja, ich machte es so künstlich und fein, dass ich mittels Taschenmesser das Inwendige des Schubkastens mit rotem Holz auslegte, während das Äußere aus Gelbholz bestand. Diese Verzierung befestigte ich durch gelbe Nieten, denn mein Leimen wollte nicht zusammenhalten. Weil es uns an Möbeln gebrach, so überkleidete meine liebe Christiane unsre Kisten, soweit sie in dem Wohnzimmer aufgestellt waren, mit weißem oder buntem Zeuge. Selbst der König von Preußen kann mit seiner Gemahlin in seinem Schlosse zu Berlin nicht glücklicher leben als ich mit meiner Christiane in der niedrigen Strohhütte zu Emmaus, mitten im Lande der wilden Kaffern. - Doch unser Häuschen sah wohl recht nett aus, aber es war nicht fest. Ohne die Balken vermochten die Wände das Dach nicht zu tragen. Sie wurden hinausgedrückt und drohten mit Umsturz. Ich sah mich daher genötigt, Stützen von außen anzubringen, was dem Hause ein sehr übles Ansehen gab.

Nun machte sich mein lieber Mitarbeiter an den Bau einer Kirche, wobei er sich des Rasens bediente. Aus demselben Material errichtete ich eine viereckige, glatte Mauer, fünf Fuß hoch; das sollte ein Stall für unsre Schafe und Ziegen sein. Auch gruben wir eine Wasserleitung und einen kleinen Teich und legten einen Graben an, welchen wir mit Wein und Obstbäumen bepflanzten; auch vergaßen wir die Blumen nicht. Die Front meines Hauses zierte ein Gärtchen mit diesen Schönheiten der Natur.

An Stelle meiner Wohnung mit den hängenden Mauern errichteten wir ein besseres. Br. Liefeldt, als der geschicktere von uns beiden in dergleichen Sachen, war der Baumeister, während ich den Rasen stach und ihm zutrug. Er machte seine Arbeit gut, wölbte sogar über dem Herde, obgleich dem Bogen die rechte Rundung fehlte. Und da sich die Giebel der Kirche verschoben hatten und ihre Spitze gut zwei Fuß über der Grundlinie hing, so riss er das Dach ab und gab ihnen wieder eine senkrechte Stellung; dadurch nahm er den andern lieben Brüdern die Gelegenheit, uns beim Anblick unserer Bauwerke als Pfuscher zu verlachen.

Emmaus lag im Gebiete dreier Herren. Da war Umhala, der mächtigste Fürst, welcher die Nation unter seine schirmenden Flügel nehmen wollte. Da war unser nicht unbedeutender Kapitän Gazela, welcher dasselbe versprach. Dann meldete sich der an Knochen stärkste und an Untertanen ärmste Häuptling Vuta, der ebenfalls unser Hort sein wollte. Doch der Schutz dieser Herren ist nicht sehr verschieden von demjenigen, den das Schaf vom Wolfe zu erwarten hat. Hunde und Schakale hält er wohl ab; aber es fällt als sichere Beute in seinen Schlund. Ich dankte ihnen für ihre Dienstbeflissenheit, erklärte jedoch, dass eine Missionsstation unter dem Schutz des Allmächtigen stehe und ihm allein vertraue. Ich hielt es aber entschieden mit unserm Gazela, welcher mich wirklich liebte, so weit nämlich so ein wüster, leidenschaftlicher heidnischer Fürst einen Boten des Evangeliums zu lieben fähig ist. Er drang auf die Anlegung seines Kraals auf Emmaus; doch so nahe wollte ich den kleinen blitzenden und donnernden Mann nicht haben. Ich redete daher nach dem Sprachgebrauch der Kaffern also zu ihm: "Du bist ein großer Bull, und ich auch. Wohnen wir dicht zusammen, so werden wir uns stoßen. Besser ist: wir bleiben getrennt." Er erkannte die Wahrheit dieser Worte und lachte dazu.

Um Weihnachten 1844 kam er eines Tages zu mir, begleitet von seiner großen Frau und einigen Dienern. Er hatte etwa zehn Weiber, unter welchen eine die große Frau heißt. Ihr ältester Sohn wird des Vaters Nachfolger. Sie trugen ein kleines, nacktes Mägdlein, etwa ein Jahr alt, Gazelas eignes Kind von der großen Frau. Voran wurden drei Kühe und einige Ziegen getrieben. "Diese meine Tochter übergebe ich dir", sagte er. "Lehre sie gut die Sprachen, besonders die englische, und behalte sie bis zur Verheiratung. Dann will ich sie wieder holen. Hier sind Kühe und Ziegen, mit deren Milch du sie großfüttern kannst." - Das Dingelchen konnte noch nicht stehen. Ich mietete ihm eine Amme, in deren Armen sie auch des Nachts schlief. An kalten Tagen setzten wir es auf den Herd an die Kohlen, um es zu erwärmen. Später hat es meine Christiane mit unserm Sohne Johannes groß gezogen. Sein Name war Noschintela; jetzt heißt sie Johanna; sie ist seit vielen Jahren Mitglied meiner schwarzen Gemeinde, verheiratet, Mutter von elf Kindern, hängt an uns mit der Liebe eines Kindes und ist, die Fürstentochter, unsre Wasch- und Plättfrau.

Das war unstreitig ein Beweis, nicht, dass Gazela sein Herz dem Evangelio geöffnet hatte - so weit ist er leider nicht gekommen -, sondern dass er meine Person lieb hatte. Ich will hier gleich sein Ende erzählen. Seine Zank- und Habsucht sowie sein heftiger Jähzorn entfremdeten ihm die Herzen seines Volkes, und bei den übrigen Fürsten war er auch nicht beliebt. Sie beneideten ihn, weil er ein Freund der Engländer war und Lehrer hatte. Des Lebens und der Habe im eignen Lande nicht sicher, zog er mit einem Teil seiner Untertanen in das Gebiet der Engländer, wo er bald an der Schwindsucht erkrankte. Kurz vor seinem Tode besuchte ich ihn noch einmal. Ich fand den sonst flinken, lebhaften Mann, wie er allein in seiner Hütte auf einer Matte saß, bleich und abgezehrt. Er streckte die dürre, sehnige, gelbe Hand nach mir aus und hieß mich niedersitzen. Er redete kaum ein Wort, denn er fühlte, dass der Tod ihm mitten in seinen kühnen Plänen begegnet sei. Auch mein Herz wurde mir schwer, ich betete mit ihm, wünschte ihm Gottes Gnade und ging. Von seiner Tochter erwähnte er nichts. Im März 1845 starb er, kaum fünfzig Jahre alt.

Schon während der Aufführung der Gebäude verkündigte ich fleißig den Kaffern das Evangelium. Zum Text meiner ersten Predigt wählte ich den Text: "Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen" (Joh. 17,3). - Die Heiden stellten sich zu den Gottesdiensten ziemlich zahlreich und regelmäßig ein. Unter ihnen befand sich ein vor Alter fast erblindeter, angesehener und verständiger Mann, der dem Worte ganz besonders zuhörte. Auch für zwei Hottentottenfamilien, welche holländisch redeten, eröffneten wir einen Gottesdienst in dieser Sprache. Mit einer Schule wurde ebenfalls der Anfang gemacht. Doch ließen wir uns an diesem Maß geistlicher Arbeit noch nicht genügen, sondern ritten auch zu den entferntesten Kraalen und predigten Jesum, der unser Friede ist. An einem Ostermontage zogen wir abermals aus, um Arbeiter zu mieten für den Weinberg des Herrn und Sünder zur Buße zu rufen. Da lasen wir auf den Pferden in einem einsamen Tale die herrliche Geschichte von den Jüngern zu Emmaus, wie der auferstandne Heiland zu ihnen als dritter kam. Auch zu uns trat er dort, denn unsere Herzen brannten vor Liebe gegen ihn zueinander. Unsere Freundschaft und Gemeinschaft lebt bis auf diesen Tag fort, obwohl wir uns in zwanzig Jahren nicht mehr gesehen haben.

Drakensberge aus Wikipedia

Ein Kaffer besaß eine Sklavin, die er nicht gut behandelte. Das Kind jammerte mich; ich kaufte es für eine Kuh, um ihm zu seiner Freiheit zu verhelfen. Allein die rabenschwarze Dirne erwies sich ebenso steifköpfig wie boshaft. Sie stieß einmal meine Christiane heftig an die Küchenwand, wofür ich sie derb züchtigte. Am nächsten Morgen sollte sie waschen gehen. Sie weigerte sich. Mit unglaublicher Frechheit stellte sich das fünfzehnjährige kurze Dingelchen vor mich hin und fragte, warum ich sie gestern Abend gemordet habe. Kleine wie große körperliche Schmerzen verursachen, nennt der Kaffer morden. Er sagt also vom Zahn- Kopf- und Leibschmerz: Der Zahn, Kopf, Bauch mordet mich. Ich holte den Sambock und mordete sie noch einmal, und als das nichts half, zum dritten Male. Aber ich glaube, ich hätte sie wirklich morden können; zum Waschen war das Geschöpf nicht zu bewegen. Ich jagte sie daher fort. Da klatschte sie in die Hände und sprach hohnlächelnd: "Ja, das ist's, was ich wollte." Da ging mir die Geduld aus. Ohne Mütze und Schuhe rannte ich, sie zu greifen und sie zum letzten Male zu morden, doch sie war mir zu schnell. Auf dem hohen Hügel vor der Station angekommen, trillerte sie ein geistliches Lied, das ich sie gelehrt hatte. Kaum waren acht Tage verflossen, so stellte sie sich wieder ein und bat um Vergebung, welche sie auch sofort erhielt. Aber es wollte nicht gehen; wir konnten mit der halsstarrigen Dirne nicht fertig werden. Mir schien es, als ginge sie mit Heiratsgedanken um. Ein Kaffernmädchen hat wenig Verstand; fängt sie aber an, erst verliebt zu werden, dann geht der Verstand ihr ganz aus. Ich setzte mich zu Pferde und ritt zu den benachbarten Kraalen, ihr einen Mann zu suchen. Wer sie nehmen wolle, solle sie umsonst haben. (Ein Kaffer kauft seine Frau für Vieh, wie später erzählt werden soll). "Nein," entgegneten die jungen Kerls, "ein Mädchen, das wir umsonst kriegen sollen, wollen wir nicht, denn das taugt nichts." -Eine Zeitlang trugen wir ihre Last; als wir aber sahen, dass sie uns wirklich das Leben verbitterte, entließen wir sie mit der Andeutung, sie dürfe nicht wiederkommen. Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht.

Die Wölfe richteten unter unserem Vieh großen Schaden an. Sie zerrissen eines unserer Pferde, sprangen über die Mauer in den dachlosen Schafkraal und würgten etliche. Da wir die folgende Nacht wieder einen Besuch von ihnen erwarteten, so legten wir ein Stück Aas in die Nähe, banden daran eine Waschleine und führten das andere Ende in die Hütte des Hirten, wo wir mit scharf geladenen Gewehren Posto fassten. Die Läufe lagen in Schießscharten, welche durch die Hüttenwand gebrochen und nach dem Aase zu gerichtet waren. Damit der Wolf den Braten nicht heimlich wegtrüge, während wir drinnen schliefen, band ich das hereingeleitete Ende um meinen Leib, um im Notfalle an unsere Pflicht gemahnt zu werden. Die Nacht war sehr finster und kalt, und Isegrimm wollte nicht kommen. So lieb war er uns nicht, dass wir um seinetwillen die ganze Nacht gefröstelt hatten. Nach Mitternacht zogen wir uns in unsere warme Stube zurück. Bald darauf bellte unser großer Hund Viktor heftig. Wir wussten, was das bedeutete, vermochten jedoch nicht, uns den Armen des süßen Schlummers zu entreißen. Am Morgen war Aas und Leine vom Wolf weggetragen. Ob er letztere auch verschluckt oder sich daran aufgehängt hat, kann ich nicht sagen.

Ein englischer Händler ließ sich bei uns nieder. Für Beile, Hacken, Perlen, Messingdraht und rote Erde, womit sich die Wilden bemalen, tauschte er von ihnen Felle, Hörner und Baumharz ein. Dieser besaß einen gezähmten Strauß, einen tückischen Vogel, der es nur darauf anlegte, Schaden zu tun. Kam er nach unseren Gehöften, so setzte er entweder seine tölpelhafte Klaue auf ein Huhn und trat es tot, oder er schritt mit seinen hohen Stelzbeinen über die Gartenmauer, legte den langen, schlangenartigen Hals auf unser Dach und zupfte das Stroh heraus. Denn so ein Bursche ist aufrechtstehend acht Fuß hoch. Oder er spreizte seine zottigen Flügel, scheuchte die Pferde, welche vor ihm in wilder Flucht dahinstürzten - er dicht auf ihren Fersen; denn seine Beine sind so lang und stark, dass er es im Rennen mit dem besten Pferde aufnimmt. Auf keinerlei Weise konnte ich dem unartigen Schlingel beikommen. Versuchte ich, ihm etliche Hiebe mit der Ochsenpeitsche aufzuknallen, so schaute er mich mit seinen boshaften Augen an, drehte um und lief stolzen Schrittes weg. Eines Tages belustigte er sich wieder mit den Pferden und jagte sie durch Graben, Fluss und Pfütze. Ich hetzte unsern Viktor nach; der fiel ihm mit seinem großen Maul an die Brust und zerfetzte ihn dermaßen, dass er seine bübischen Besuche seitdem einstellte.

Auf Itemba hatten mir die Kaffern eine schöne Stute gestohlen. Meine Leute benachrichtigten mich, sie sei im Lande des Königs Sandili gesehen worden. Ich reiste hin und nahm acht Zeugen mit, welche sie gut kannten. Wir übernachteten auf einem Kraale in dem herrlichen, reichbewaldeten Gebiete des Königs. Man nahm uns freundlich auf und gab uns eine Hütte zum Schlafen. Wir legten uns auf Matten, mit den Füßen nach dem Feuerherd. Meine schwarze Reisegesellschaft versank alsbald in einen tiefen Schlaf und schnarchte. Ich konnte meine Augen nicht schließen, obwohl ich vom Ritt sehr müde war. Es kribbelte mir so schrecklich auf dem ganzen Leibe, dass ich mich wenden und kratzen musste, die ganze Nacht bis zum Morgen. Sobald es licht geworden war, ging ich in den Busch und zog die Kleider aus. O liebe Zeit, wie wimmelte es da! Abscheuliches Ungeziefer hatte Besitz von meiner Kleidung genommen und auch bereits für eine zahlreiche Nachkommenschaft gesorgt. Ich befreite mich von den unheimlichen Gästen, so gut es ging. Mein Körper war voller Blasen und Beulen.

Wir marschierten weiter und erreichten gegen Mittag Sandilis Kraal. Nächsten Morgen nahm die gerichtliche Untersuchung mit allen Förmlichkeiten ihren Anfang. In einen Karoß aus Tigerfellen gehüllt, saß der König, ein junger Mann von düsterem, stupidem Aussehen und an dem einen Fuße lahm, auf der Erde, umgeben von seinen Räten, denen die Advokatenschlauheit aus den großen, rollenden Augen leuchtete. In einiger Entfernung saß der Besitzer meines Pferdes nebst einem Haufen Leute; ich und meine Zeugen bildeten die dritte Gruppe. Des Königs erster Minister, ein feister Mann in den besten Jahren mit glotzenden Augen und dem kahl geschorenen Kopf, mit der Kinnkette eines Pferdes geschmückt, begann die Untersuchung mit den üblichen Fragen, die er an mich richtete: "Wer bist du? Woher? Wohin? Was suchst du?" Nach Beantwortung derselben trug ich stehend meine Klage vor. Tintenklexer hat der Kaffer nicht. Nichts wird aufgeschrieben, sondern das ganze Verhör wird dem Gedächtnis anvertraut. Jeder, dem das Wort vergönnt wird, spricht, ohne unterbrochen zu werden, so lange, wie er will. Kein Lärmen, kein Durcheinander ist erlaubt. Als ich fertig war, erhielt der Angeklagte das Wort. Er behauptete, das Pferd weit im Binnenlande vor so und so vielen Jahren gekauft zu haben. Der König stellte mich auf die Probe, indem er zwei einander sehr ähnliche Stuten, von denen die eine mir gehörte, in bedeutender Entfernung vorüberführen ließ. "Welches von diesen beiden Tieren ist das deinige?" fragte er. "Wir Kaffern kennen unser Eigentum, du weißer Mann musst das deinige auch kennen", setzte er hinzu. Ich wollte mich den Tieren nähern, aber er ließ es nicht zu. Ich berief mich auf meine Zeugen, deren Augen für mich sehen sollten; doch von diesen trennte er mich. Ich berief mich darauf, dass ich ein Lehrer sei und gewiss nichts beanspruchen würde, was mir nicht zukäme. Doch Seine schlaue Majestät ließ sich auf nichts ein. Auf den letzten Punkt entgegnete er: "Adam und Eva sind gefallen; auch Lehrer können sündigen." Das Examen erwies sich als zu schwer für einen, der keinen Kennerblick für Rinder und Pferde hatte. Meine Kaffern kniffen die Augen, um mich durch diese Zeichensprache zu belehren, denn sie wussten, welches von den beiden Pferden mein Eigentum war. Doch meine Dummheit siegte vollständig. Ich zeigte nach dem anderen Pferde, das mir nicht gehörte. Die Sache war hiermit entschieden. Der König entließ mich mit folgender erbaulicher Rede: "Geh' deinen Weg, den du gekommen bist! Du suchst hier etwas, was nicht dein ist. Beanspruchen wir Kaffern bei euren Magistraten eine Sache, die uns nicht gehört, wie du heute tust, so würde man Ketten an unsere Füße legen und uns in ein schwarzes Loch stecken. Wir Kaffern handeln edler als ihr Weißen. Wir entlassen dich. Geh'!" Saul suchte seines Vaters Eselinnen, fand sie nicht, aber erhielt eine Königskrone. Ich suchte mein Pferd, fand es, aber empfing statt seiner eine Menge ekelhaften Ungeziefers. "Wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen", sagt ein altes Sprichwort. Die Brüder und meine Christiane lachten mich herzlich aus, und ich musste mitlachen. Glücklicherweise wurde ich das mitgebrachte Ungeziefer bald los.

Auf Emmaus besuchte mich einige Male das Haupt aller Kaffernfürsten, Sachili, ein junger, hübscher Mann mit rollenden, funkelnden Augen und einer Habichtsnase. Er war der Sohn des Königs Hinza, welcher im Kriege gegen die Engländer 1836 sein Leben verloren hatte. Dieser junge Mann gewann mich lieb und bat, ich möchte in sein Land ziehen. Zu dem Ende unternahm ich drei Reisen zu Pferde in seinem Reiche, um eine gute Stelle zu suchen. Die Konferenz beschloss auch demnächst, dass ich und Br. Schmidt nach dem Lande des Königs Sachili ziehen sollten. Br. Liefeldt blieb auf der Station Emmaus.

Kurz vor meiner Wegreise besuchte mich ein teurer englischer Freund mit Frau und Kind. Wir verlebten ein paar höchst glückliche Tage. Ein Schweinchen wurde geschlachtet und deutsche Wurst gemacht. Eines Morgens saßen wir am Tisch, und ich erteilte meinem Freunde Unterricht auf der Violine. Meine Christiane ging mit ihrem neun Monate alten Johannes auf die Speisekammer, um ein Kleinfrühstück zu bereiten. Totenbleich kam sie mit dem Angstruf zurück: "Ach Gott, unser Haus steht in Flammen!" Es wehte gerade ein heftiger Sturm. Nur wenige Minuten, und die teure, traute Hütte lag in Asche. Nicht viel unserer Habseligkeiten konnte gerettet werden. Des treuen Amtsbruders Wagen stand dicht hinter dem Hause. Sein Dienstmädchen setzte sich auf die Vorderkiste und rauchte. Der Wind trieb die glühende Kohle ihrer Pfeife ins Dach, so war das Feuer entstanden. Meine lieben Brüder unterstützten mich mit ihren Gaben aufs beste. Dies geschah im September 1845, und im folgenden Monat verließ ich mein geliebtes Emmaus, wo ich das Werk des Herrn zwei Jahre mit Lust und Liebe getrieben hatte. Von den Früchten meiner Arbeit konnte in so kurzer Zeit noch nicht viel gesehen werden. Indessen war der gute Same mit viel Gebet und Hoffnung ausgestreut. Die Heiden betrübten sich über meinen Weggang, denn sie hingen mit Liebe an mir. Kann auch ein Missionar keinen Bekehrten aufweisen - denn die Bekehrung des Sünders ist allein ein Werk der göttlichen Gnade - so soll er doch mindestens einen guten Geruch zurücklassen, dass auch den verstocktesten Heiden das Zugeständnis abgenötigt wird: Der Mann liebte uns und meinte es gut.

 


David Livingstone

Wer heute mit der Eisenbahn, im Auto oder Flugzeug durch Afrika reist, kann sich kaum mehr vorstellen, dass noch vor hundert Jahren vom Inneren dieses riesigen Erdteiles kaum mehr als ein Zehntel notdürftig erforscht war. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann hier die Zeit der großen Entdeckungsreisen, und an ihrem Beginn steht, zugleich als ihr klassischer Vertreter, David Livingstone. Im Verlauf von wenigen Jahrzehnten wurden die großen geographischen Rätsel im Wesentlichen gelöst, und es begann jene gewaltige Umwälzung auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, in der Afrika noch heute steht.

David Livingstone gemalt von Frederick Havill in WikipediaDavid Livingstone wurde im Jahre 1813 in dem Fabrikdorfe Blantyre in Schottland als Sohn eines armen Händlers geboren. Von seinem zehnten Lebensjahre an musste er seinen Lebensunterhalt als Arbeiter in einer Baumwollspinnerei selbst verdienen. In unbändigem Lerneifer brachte er es fertig, sich neben der Arbeit, die von morgens sechs bis abends acht Uhr dauerte, selbst weiterzubilden. Später konnte er durch harte Arbeit im Sommer genug verdienen, um im Winter in Glasgow Vorlesungen über Medizin, Theologie und klassische Sprachen zu hören. Das Studium von Reisebeschreibungen, wozu ihn sein Vater anhielt, und ein Bericht des deutschen Missionsarztes Gützlaff, der in China gearbeitet hatte, brachten ihn zu dem Entschluss, ebenfalls als Arzt im Dienste der Londoner Missionsgesellschaft nach China zu gehen. Als er jedoch sein Studium abgeschlossen hatte, war der Opiumkrieg ausgebrochen, so dass an eine Ausreise dorthin nicht zu denken war. Da lernte er auf einer Missionsversammlung den damals berühmten Afrikamissionar Moffat kennen, und diesem gelang es, Livingstone für die Arbeit in Südafrika zu gewinnen. Im Jahre 1840 betrat er nach einer Seereise von drei Monaten in Kapstadt den Boden Afrikas, dem nunmehr seine Lebensarbeit gewidmet blieb.

In Kuruman traf Livingstone wieder mit Moffat zusammen; kurz danach heiratete er dessen Tochter. Acht Jahre hat er zunächst im Betschuanenland in der Stille als Missionar gewirkt, dann aber begann jenes unruhige Reise- und Forscherleben, dem er bis zum Tode getreu bleiben sollte. Es ist eine eigenartige Mischung von christlichem Missionseifer, humanitärer Leidenschaft zur Bekämpfung der Sklaverei und rein geographischem Forscherdrang, die ihn dabei leiteten. Er wollte das Innere Afrikas dem ehrlichen Handel erschließen, um dadurch den Sklavenhandel auszurotten und den Weg für die Ausbreitung des Christentums freizumachen. Auf diesen Reisen hat er die großen innerafrikanischen Seen Ngami, Meru, Bangweolo, Schirwa und Njassa entdeckt, hat den gesamten Verlauf des Sambesi festgestellt und als erster wissenschaftlicher Forschungsreisender den Erdteil von West nach Ost durchquert. Seine Frau, die ihn auf einigen Reisen begleitete, erlag am Ufer des Njassasees dem Fieber und wurde dort begraben.

Nur zweimal ist Livingstone zu kurzem Aufenthalt nach England zurückgekehrt, um seine Reisewerke herauszugeben. Als berühmtestem Forschungsreisenden seiner Zeit wurden ihm vielerlei Ehrungen zuteil; die Regierung ernannte ihn zum Konsul von Innerafrika. 1866 brach er zu seiner letzten Ausreise auf. Diesmal zog er von Sansibar aus ins Innere, um das Rätsel der Nilquellen zu lösen. Lange Zeit war er von jeder Verbindung mit der zivilisierten Welt abgeschnitten und galt bereits als verschollen. Darum erhielt der Journalist und Reisende Stanley den Auftrag, Livingstone zu suchen. Als er ihn schließlich im November 1871 in der historischen Begegnung von Udjidi am Tanganjikasee traf, fand er einen schwerkranken Mann. Es gelang Stanley jedoch nicht, ihn zur Heimkehr zu bewegen.

Livingstone war Afrika verfallen. Das Problem der Nilquellen ließ ihn nicht los; er sollte es jedoch nicht endgültig lösen. Sein durch jahrzehntelange Strapazen im feuchten Tropenklima geschwächter Körper konnte der Ruhr und dem Fieber nicht mehr Widerstand leisten. Im Morgengrauen des 1. Mai 1873 fand ihn sein Diener, mit gefalteten Händen vor seinem Bett kniend, tot auf. Seine Leute bestatteten sein Herz unter einem großen Baum, seinen Körper brachten sie quer durch ganz Ostafrika bis zur Küste. In der Westminsterabtei zu London, wo die großen Söhne seines Landes ruhen, wurde er beigesetzt.

Die Entdeckung der Viktoria-Fälle des Sambesi

David Livingstone: Missionsreisen und Forschungen in Südafrika. Deutsche Ausgabe in zwei Bänden Leipzig, Verlag Hermann Costenoble 1858.

Nachdem wir zehn Meilen stromabwärts gefahren, kamen wir zu der Insel Nampene, am Anfange der Stromschnellen, wo wir die Kähne verlassen und längs dem Ufer zu Fuß weitergehen mussten. Am nächsten Abend schliefen wir der Insel Tschondo gegenüber, überschritten dann den Lekone oder Ledwine und waren zeitig am nächsten Morgen auf der Insel Sekotes, Kalai genannt. Dieser Sekote war der letzte der Batoka-Häuptlinge, welche Sebituane ausrottete. Die Insel ist von einem felsigen Ufer und tiefen Kanälen umgeben, durch welche der Fluss mit großer Kraft hindurchströmt. Sekote, der sich auf seiner Insel sicher glaubte, wagte es, die Matebele, die Feinde Sebituanes, überzusetzen. Nachdem sie sich zurückgezogen, machte Sebituane einen jener Eilmärsche, die er immer bei jeder Unternehmung ausführte. Er kam von Naliele her den Lecambye herab, indem er am Tage am Ufer und während der Nacht in der Mitte des Stroms hinsegelte, um die Flusspferde zu vermeiden. Als er Kalai erreichte, benutzte Sekote die größeren Kähne, die sie in den Stromschnellen verwenden, und floh während der Nacht nach dem entgegengesetzten Ufer. Die meisten seiner Leute wurden erschlagen oder gefangengenommen, und seitdem hat die Insel immer den Makololo gehört. Sie ist für eine bedeutende Stadt groß genug. Auf der Nordseite fand ich die Kotla des älteren Sekote, welche mit zahlreichen Menschenschädeln auf Stangen umgeben ist; daneben lag eine große Menge Hirnschalen von Flusspferden, deren Zähne nur die Zeit berührt hatte. In geringerer Entfernung unter einigen Bäumen sahen wir Sekotes Grab, das mit siebzig großen Elefantenzähnen geschmückt war, welche mit den Spitzen nach innen gestellt waren; andere dreißig standen auf den Gräbern seiner Verwandten. Sie zerfielen sämtlich infolge von Sonne und Wetter; nur wenige, die im Schatten gelegen, waren noch ziemlich gut erhalten. Ich hätte mir gern einen solchen Flusspferdzahn mitgenommen, da es die größten waren, die ich je gesehen; aber ich fürchtete, die Leute möchten mich als einen Grabschänder ansehen, wenn ich es täte, und in irgendeinem ungünstigen Ereignis in der Folge eine Strafe für das Sakrileg erkennen. Die Batoka glauben, dass Sekote hier einen Topf mit Medizin vergraben hat, der, wenn man ihn öffnet, eine Epidemie im Lande erzeugen würde. Diese Tyrannen benutzten die Furcht ihrer Völker zu allem möglichen.

Da dies die Stelle war, wo wir uns nach Nordosten wenden wollten, beschloss ich, am folgenden Tage die Viktoria-Fälle zu besuchen, die von den Eingeborenen Mosioatunya oder früher Schongwe genannt wurden. Von diesen Fällen hatten wir oft gehört, seit wir in das Land gekommen, und Sebituane richtete wirklich die Frage an uns: "Habt ihr Rauch in eurem Lande, welcher tost?" Sie gingen nicht nahe genug, um sie zu untersuchen; sie blickten sie nur mit Staunen aus der Ferne an und sagten in Bezug auf den Rauch und den Lärm: "Mosi oa tunya" (d. h. hier tost Rauch). Früher hieß der Ort Schongwe; die Bedeutung dieses Namens kenne ich nicht. Das Wort, welches Topf bedeutet, klingt ähnlich, und vielleicht soll es heißen: siedender Kessel; aber ich weiß es nicht mit Bestimmtheit.  In der Überzeugung, dass Oswell und ich die einzigen Europäer waren, welche je den Sambesi im Zentrum des Landes besuchten, und dass diese Stelle das Bindeglied zwischen dem bekannten und unbekannten Teil des Flusses ist, nahm ich mir dieselbe Freiheit wie die Makololo und gab dem Wasserfall einen englischen Namen; es ist der einzige Fall, in dem ich in diesem Teile des Landes einen Ort benannte. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass dieser Fluss früher unbekannt war, als dass ein Herr, der nie gereist, der aber einen großen Teil seines Lebens mit dem Studium der Geographie Afrikas zugebracht und alles kannte, was von Ptolemäus an über diese Gegend geschrieben war, wirklich, während ich auf dem Roten Meer fuhr, im Athenäum behauptete, dieser prächtige Fluss, der Leeambye, "stehe mit dem Sambesi nicht in Verbindung, sondern fließe unter der Kalahari-Wüste hin und verschwinde"; ferner "der Sambesi entspringe, wie alle alten Karten zeigen, auf eben den Hügeln, zu denen wir jetzt gekommen sind". Diese bescheidene Behauptung ist ungefähr so, wie wenn ein Eingeborener von Timbuktu erklärte, die Themse und der Pool seien verschiedene Flüsse, während er weder den einen noch den anderen gesehen. Leeambye und Sambesi haben aber ganz dieselbe Bedeutung, nämlich Fluss.

Sekeletu wollte mich begleiten; da aber nur ein Kahn anstatt zwei gekommen war, so verzichtete er darauf. Nach zwanzig Minuten Fahrt von Kalai aus sahen wir zum ersten Male die Rauchsäulen, die sich in einer Entfernung von fünf bis sechs Meilen erhoben, gerade wie wenn große Strecken Gras in Afrika angebrannt werden. Es stiegen fünf Säulen auf, deren Spitzen sich mit den Wolken zu vermischen schienen. Unten waren sie weiß, höher aber wurden sie dunkel, so dass sie fast wie Rauch aussahen. Die ganze Szene war außerordentlich schön; die Ufer und die auf dem Fluss verstreuten Inseln sind mit Waldbäumen der verschiedensten Farben und Gestalt geschmückt. Während unseres Besuchs blühten mehrere Bäume. Jeder Baum hat seine eigene Physiognomie. Hier steht über alle erhaben der große starke Baobab, von dessen Armen jeder einzelne  den  Stamm  eines  ansehnlichen Baumes  abgeben  könnte,  neben Gruppen schlanker Palmen, welche mit ihren federartigen Zweigen, die sich am Himmel abspiegeln, viel zur Verschönerung der Szene beitragen. Wie mit Hieroglyphenschrift rufen sie dem Beschauer fast immer die Worte zu: weit von der Heimat, denn sie geben jedem Gemälde, jeder Landschaft ein fremdländisches Aussehen. Der silberfarbige Mohonono, der in den Tropen die Zeder des Libanon vertritt, bildet einen angenehmen Kontrast zu dem dunkelfarbigen Motsouri, der wie eine Zypresse gestaltet und jetzt mit schönen scharlachroten Früchten bedeckt ist. Manche Bäume sind auch großen Eichen ähnlich, andere unseren Ulmen und Kastanienbäumen; aber niemand kann sich nach dem Schönsten, was er anderwärts  gesehen, den schönen Anblick vergegenwärtigen. Noch kein Europäer vor mir ist hierher gekommen; aber so liebliche Szenen müssen selbst von den Engeln auf ihrer Flucht angestaunt worden sein. Das einzige, was man vermisst, ist ein Hintergrund mit Bergen. Die Fälle sind auf drei Seiten von drei- bis vierhundert Fuß hohen Bergketten eingeschlossen, die mit Waldbäumen bedeckt sind, zwischen denen der rote Erdboden durchschimmert. Etwa eine halbe Meile von den Fällen ließ ich den Kahn zurück, mit dem ich bis hierher gekommen war, und bestieg einen leichteren mit Leuten, die mit den Fällen genau bekannt waren und, in der Mitte des Stromes fahrend, zwischen hervorstehenden Felsen hindurch mich an eine Insel brachten, die hart am Rande des Abgrundes lag, über welchen das Wasser hinunterstürzte. Hier war Gefahr, von der Strömung zu beiden Seiten der Insel mit fortgerissen zu werden; aber der Fluss war jetzt niedrig, und wir fuhren an eine Stelle, wo es, wenn das Wasser hoch ging, ganz unmöglich war zu fahren. Aber obwohl wir die Insel erreicht hatten und nur wenige Ellen von der Stelle entfernt waren, von wo aus ein Blick das ganze Rätsel lösen sollte, so glaube ich doch, dass niemand sehen kann, wohin die Wassermasse geht; sie schien sich in der Erde zu verlieren, da die gegenüberliegende Seite des Spaltes, in der sie verschwand, nur achtzig Fuß entfernt war. Wenigstens konnte ich es mir nicht erklären, bis ich voll Scheu bis an den äußersten Rand kroch und in einen großen Spalt schaute, der von einem Ufer des Sambesi bis zum anderen reichte; da sah ich, dass der Strom etwa tausend Ellen breit war, hundert Fuß tief hinunterstürzte und dann plötzlich in einem Räume von fünfzehn bis zwanzig Ellen eingeengt wurde. Die Fälle sind nichts weiter als ein Riß in den harten Basaltfelsen vom rechten nach dem linken Ufer des Sambesi, der sich am linken Ufer noch etwa dreißig bis vierzig Meilen weit fortsetzt. Wenn man sich die Themse unmittelbar unterhalb des Tunnels bis nach Gravesend mit niedrigen baumbedeckten Hügeln angefüllt dächte, statt des Schlammes ein von schwarzen Basaltfelsen umgebenes Bett, einen Spalt von dem einen Ende des Tunnels nach dem andern, durch die Schlusssteine des Bogens hindurch, und vom linken Ende des Tunnels noch dreißig Meilen durch Hügel fortsetzt, ferner vom Flussbette aus einen hundert Fuß weit hinuntergehenden Weg, die Ränder des Spaltes achtzig bis hundert Fuß voneinander entfernt, sodann die Themse, die in diesen Abgrund hinunterstürzt, dann ihre Richtung ändern und vom rechten nach dem linken Ufer zu fliehen müsste, und endlich wallend und tosend durch die Hügel weiter flösse, - so hätte man ungefähr eine Idee von dem wundervollsten Anblick, den ich je in Afrika gehabt habe. Wenn man rechts von der Insel in den Spalt hinunterblickt, sieht man nichts als eine dichte weiße Wolke, auf welcher sich, als wir dort waren, zwei glänzende Regenbogen zeigten. Aus dieser Wolke erhob sich eine große Dunstsäule zwei- bis dreihundert Fuß hoch, welche dicker wurde, die Farbe von dunklem Rauch annahm und in einem dichten Regen herunterfiel, der uns bald bis auf die Haut durchnässte. Dieser Regen fällt namentlich auf der entgegengesetzten Seite des Spaltes, und wenige Ellen vom Rande steht eine Gruppe immergrüner Bäume, deren Blätter stets nass sind. Von ihren Wurzeln rieseln eine Unzahl kleiner Bäche in den Abgrund zurück; aber während sie an der steilen Wand herabrinnen, leckt sie die aufsteigende Dunstsäule rein vom Felsen weg, und sie steigen wieder empor. Sie fließen beständig hinunter, aber erreichen nie den Boden.

Victoriafälle aus WikipediaLinks von der Insel sieht man das Wasser auf dem Boden, eine weiße Masse, die nach der Verlängerung des Spaltes zu, welcher sich nahe am linken Ufer des Flusses abzweigt, ihren Weg nimmt. Ein Felsstück liegt links von der Insel und ragt aus dem Wasser unten hervor; von da fällt das Wasser wohl immer noch ungefähr hundert Fuß. Die Wände des riesigen Spaltes sind senkrecht und bestehen aus einer Felsmasse ein und derselben Art. Der Rand an der Seite, über welche das Wasser hinunterstürzt, ist zwei bis drei Fuß ausgewaschen, und Felsstücke sind hinuntergefallen, so dass der Rand wie eine Säge aussieht. Die gegenüberliegende Seite ist ganz gerade, die linke Ecke ausgenommen, wo sich ein Riß zeigt und ein Stück herunterzufallen droht. Das Ganze ist noch ungefähr in demselben Zustande wie zur Zeit seiner Bildung. Der Fels ist dunkelbraun, nur etwa zehn Fuß vom Boden nicht, bis wohin jährlich das Wasser steigt. Links von der Insel kann man gut sehen, wie die Wassermasse, welche eine der Dunstsäulen entsendet, ganz hell aus dem Felsen hervorsprudelt und in einem dicken ununterbrochenen Strahl, schneeweißer Wolle ähnlich, bis auf den Boden hinunterläuft. Als er sozusagen in Stücke sprang, die alle derselben Richtung folgten, gingen von jedem Schaumstrahlen aus, wie Stahl in Sauerstoff geglüht Funken sprüht. Die schneeweiße Fläche sah wie Myriaden kleiner Kometen aus,  die sich nach derselben Richtung bewegten und von denen jeder Schaumstrahlen hinter sich zurückließ. Ich habe über diese Erscheinung nirgends etwas gelesen. Es scheint die Wirkung des Wassers zu sein, das in einer Masse klar aus dem Felsen quillt und nur allmählich sich in einzelne Arme teilt. Ich sagte oben, dass wir fünf Dunstsäulen aus dem geheimnisvollen Abgrunde aufsteigen sahen. Sie werden offenbar durch das Aufschlagen des herabstürzenden Wassers in den nicht nachgebenden spaltförmigen Raum gebildet. Von den fünf Säulen waren zwei zur Rechten und eine zur Linken der Insel die größten. Es war jetzt niedriger Wasserstand im Leeambye, aber soweit ich es beurteilen konnte, war es ein fünf- bis sechshundert Ellen breiter, am Rande des Abgrunds wenigstens drei Fuß tiefer Strom. Ich schreibe in der Hoffnung, dass andere, welche besser als ich Entfernungen zu bemessen verstehen, den Ort besuchen, und teile nur den Eindruck mit, den die Szene damals auf mich machte. Ich dachte und denke es noch, der Fluss oberhalb des Falls war tausend Ellen breit; aber ich kann die Entfernungen auf dem Wasser nicht gut beurteilen. Eine Strecke in Loanda, die ich auf vierhundert Ellen angab, war, wie mir ein auf der See erfahrener Freund mitteilte, neunhundert Ellen. Ich versuchte es, den Leeambye in Ermangelung von etwas Besserem mit einem starken Bindfaden zu messen, aber als die Leute zwei- bis dreihundert Ellen weit waren, kamen sie so eifrig ins Gespräch, dass sie nicht hörten, als wir ihnen zuriefen, der Faden habe sich verwickelt. Da sie immer weiter fuhren, riß er und ging im Strome verloren. Vergeblich suchte ich mich zu erinnern, wie man mit dem Sextanten einen Fluss misst. Dass ich es einstmals wusste und dass es keine Mühe machte, war das einzige, was mir einfiel, und ich ärgerte mich nur um so mehr. Doch maß ich den Fluss weit unten an einer anderen Stelle, und später fand ich, dass die Portugiesen ihn bei Tete gemessen hatten; dort war er über tausend Ellen breit. Bei den Wasserfällen ist er ebenso breit wie bei Tete, vielleicht noch breiter.  Wer nach mir den Ort besucht, wird gewiss nicht sagen, dass ich übertrieben habe.

Der Spalt soll nach den Angaben der Makololo nach Osten hin tiefer sein; an einer Stelle fallen die Wände schräg ab, so dass, wer daran gewöhnt ist, hinabrutschen kann. Die Makololo sahen, als sie einige flüchtige Batoka verfolgten, wie diese, da sie nicht imstande waren, am Rande ihre eilige Flucht zu hemmen, buchstäblich in Stücken unten ankamen. Sie sagten, der Strom hätte am Boden wie ein "weißes Seil" ausgesehen und wäre so tief (vielleicht 300 Fuß) unten hingeflossen, dass sie schwindelig wurden und gern wieder fortgingen.

Obwohl die Felswand, über welche der Fluss fällt, nur drei Fuß weit ausgewaschen ist und die entgegengesetzte Wand, so weit sie sichtbar ist, am Fuße nicht ausgewaschen zu sein scheint, so ist es doch wahrscheinlich, dass da, wo der Fluss jenseits der Fälle weiterfliesst, die Wände des Spaltes Platz gemacht haben und die nicht sichtbaren Teile breiter sind als jenes "weiße Seil". Vielleicht hat der Spalt auch Verzweigungen, durch welche ein Teil des Stromes abläuft; aber ich konnte dies nicht untersuchen.

Wenn wir Wert darauf legen, dass der Rand des harten Basaltfelsen so wenig ausgewaschen ist, so kann die Periode, in welcher der Fels sich spaltete, nicht sehr weit zurückliegen. Ich bedauerte, dass mir die Mittel fehlten, die Breite des Felsens zu messen, damit man künftig hätte bestimmen können, ob sie zunehme oder nicht. Es schien, als könnte ein Palmbaum von der Insel aus quer darüber gelegt werden. Nimmt die Breite zu, was auf einen großen natürlichen Abfluss hindeutete, so könnte man hoffen, dass Afrika eines Tages ein gesunder Kontinent würde. Wenigstens hat es sich in einer verhältnismäßig jungen Periode rücksichtlich seiner Seen ungemein verändert.

An drei Stellen nahe an diesen Wasserfällen, darunter auch auf der Insel in der Mitte des Stromes, auf welcher wir uns befanden, richteten drei Batoka-Häuptlinge Gebete und Opfer an die Barimo. Sie beteten mitten im Tosen des Wasserfalls, im Angesicht des glänzenden Regenbogens in den Wolken. Sie müssen mit Ehrfurcht auf die Szene blicken. Furcht mag sie zur Wahl dieses Ortes bestimmt haben. Der Fluss selbst ist geheimnisvoll für sie. Die Schiffer singen: "Leeambye, niemand weiß, woher er kommt und wohin er geht." Das Farbenspiel des doppelten Regenbogens in den Wolken, das sie sonst nur am Himmel bemerkten, mag sie auf den Gedanken gebracht haben, dass dies die Wohnung der Gottheit sei. Einige Makololo, die mit mir nach Gonye kamen, betrachteten diese Erscheinung mit gleicher Ehrfurcht. Den Regenbogen am Himmel nennen sie motse oa barimo, d. h. Götterstab. Hier konnten sie nahe an das Sinnbild herantreten und es ruhig über dem lärmenden Aufruhr unten stehen sehen - ein Bild dessen, der als der Höchste thront, allein unveränderlich und doch Herr alles Veränderlichen. Aber sie wussten nichts von dem wahren Wesen Gottes, sie hatten in ihrem Innern keine Bewunderung für das Schöne und Gute. Sie nahmen sich seine Güte nicht zum Vorbild, denn sie waren eine blutdürstige, gewalttätige Rotte, und Sebituane tat etwas Gutes, als er die grausamen "Herren der Insel" aus ihren Festungen verjagte.

Nachdem ich mich an dem schönen Anblick ergötzt hatte, kehrte ich zu meinen Freunden in Kalai zurück, und als ich Sekeletu sagte, er habe nichts Sehenswerteres in seinem Lande, bekam er auch Lust, am nächsten Tage hinzugehen. Ich begleitete ihn, um auf der Insel Beobachtungen anzustellen, aber der Himmel war ungünstig; daher beziehen sich meine Beobachtungen nur auf Kalai (17° 51' 54" südlicher Breite, 25° 41' östlicher Länge). Sekeletu gestand, er habe Angst, dass er von dem Abgrund verschlungen werden möchte, ehe er noch die Insel erreichte. Seine Begleiter warfen zum Vergnügen Steine hinunter und wunderten sich, dass sie in Stücke sprangen und selbst verschwanden, ehe sie noch den Boden erreichten.

Ich hatte noch einen anderen Zweck, als ich nach der Insel zurückkehrte. Ich bemerkte, dass sie mit Bäumen bedeckt war, deren Samen wahrscheinlich der Strom aus dem fernen Norden mitgebracht, und von denen ich mehrere noch nirgends gesehen hatte; dann und wann trieb der Wind den Dunst über die Insel, so dass der Boden immer feucht und mit grünem Grase bedeckt war. Ich wählte mir eine Stelle nicht zu nahe am Rande (denn dort nährt der beständige Niederschlag der Feuchtigkeit eine Menge Polypen von pilzähnlicher Gestalt und Fleischkonsistenz), sondern etwas weiter zurück, und legte einen kleinen Garten an. Ich steckte ungefähr hundert Pfirsich- und Aprikosenkerne und eine Anzahl Samen vom Kaffee. Ich hatte schon früher den Versuch mit Obstbäumen gemacht, aber die Makololo, in deren Pflege ich sie ließ, hatten sie jedes Mal verkommen lassen. Ich schloss mit einem Makololo den Handel um einen Zaun ab, und wenn er Wort hält, so habe ich alle Hoffnung, dass Mosioatunya einen vortrefflichen Gärtner abgeben wird. Meine einzige Furcht sind die Flusspferde, deren Fußspuren ich auf der Insel sah. Nachdem ich mit den Vorbereitungen zum Garten fertig war, schnitt ich die Anfangsbuchstaben meines Namens und die Jahreszahl 1855 in den Baum. Dies war das einzige Mal, wo ich einer solchen Eitelkeit nachgab.

Link

 


John G. Paton

Von glücklichen Inseln träumen die Menschen schon seit alter Zeit, von Inseln, die irgendwo weit im Ozean liegen, auf denen das Leben leicht ist, die Sorgen fern und die Menschen gut und glücklich sind. Der französische Dichter Bernardin de St. Pierre, ein Freund und Schüler Rousseaus, hat diesem Traum in seiner Erzählung "Paul und Virginie" eine besonders packende Gestalt verliehen. Fern vom Fluche der Zivilisation in Harmonie mit einer paradiesischen Natur zu leben, schien diesen Naturschwärmern im Gefolge Rousseaus eine sichere Gewähr menschlichen Glücks zu geben. Im Anschluss hieran entwickelte sich dann die Auffassung, dass ganz allgemein die Naturvölker ursprünglich diesen glücklichen Zustand verkörperten und dass erst der Einbruch der europäischen Kultur mit allen ihren Folgen dem ein Ende bereitet habe.

So gewiss es ist, dass die Ausbreitung der modernen Zivilisation für die Naturvölker vielfach verhängnisvolle Folgen gehabt hat, so sicher ist es auch, dass die Ansicht von dem glücklichen, unschuldsvollen Urzustand der Naturvölker an keiner Stelle der Erde der Wirklichkeit entspricht. Zahlreiche Berichte von Forschern und Missionaren aus allen Teilen der Welt bestätigen das. Zu den eindrucksvollsten Zeugnissen dieser Art gehören die Erinnerungen, die der schottische Missionar John Paton über sein Leben auf den Neuen Hebriden hinterlassen hat.

John G. Paton in WikipediaPaton wurde im Jahre 1824 als Sohn eines armen Strumpfwirkers auf dem Pachtgut Braehead in Südschottland geboren. Er hatte zehn Geschwister. Das patriarchalische Dorfleben und die landschaftlichen Schönheiten seiner Heimat machten auf den heranwachsenden Knaben einen tiefen Eindruck. Noch im Alter, nachdem er viele Länder und Städte gesehen hat, bekennt er: "Nach meiner Ansicht ist ein schön gelegenes Dorf mit gesunden und glücklichen Heimstätten für Gottes Kinder der bedeutendste Zug in jeder Landschaft." Nachdem er die Schule besucht hatte, erwarb er sich als Hilfslehrer und Stadtmissionar in den Elendsvierteln von Glasgow die Mittel zu theologischen und medizinischen Studien, um sich so für die Arbeit in der Heidenmission vorzubereiten. 1857 wurde er von der Reformierten Presbyterianischen Kirche Schottlands, der er angehörte, zur Missionsarbeit auf den Neuen Hebriden bestimmt, und im folgenden Jahre trat er mit seiner jungen Frau die Ausreise nach dieser östlich von Australien im Stillen Ozean gelegenen Inselgruppe an.

Die Neuen Hebriden waren ein schwieriges und an Opfern reiches Missionsfeld. 1839 war hier John Williams, der "Apostel der Südsee", auf der Insel Erromanga mit seinem Mitarbeiter erschlagen worden. Drei Jahre später konnten zwei Missionare auf Tanna sich nur durch schleunige Flucht vor der Mordlust der Eingeborenen retten. Auch Paton war für die Insel Tanna bestimmt. Schon wenige Monate nach der Ankunft starben ihm Frau und Kind, und auch zwei seiner Mitarbeiter mit ihren Frauen mussten hier ihr Leben lassen. Nur unter beständiger Todesgefahr konnte er fünf Jahre auf Tanna aushalten, dann brachte ihn in einem Augenblick höchster Gefahr ein Schiff in Sicherheit. Nach einer kurzen Reise in seine schottische Heimat, wo er zum zweiten Male heiratete, ließ er sich auf der Insel Aniwa nieder, und hier war endlich seiner Arbeit der ersehnte Erfolg beschieden.

In den späteren Jahrzehnten seines langen Lebens hat Paton auf weiten Reisen in ganz Australien und Kanada, in den Vereinigten Staaten und Großbritannien als einer der erfolgreichsten Werber für die Ausbreitung des Missionsgedankens in der englisch sprechenden Welt gewirkt. Als er 1907 im Alter von 83 Jahren in Melbourne starb, waren bereits drei seiner Kinder in der nunmehr gefestigten Missionsarbeit auf verschiedenen Inseln der Neuen Hebriden tätig.

Unter Kannibalen auf den Neuen Hebriden

John G. Paton: Missionar auf den Neuen Hebriden. Eine Selbstbiographie. Deutsche Ausgabe Leipzig, Verlag H. G. Wallmann 1891.

 Am ersten Dezember 1857 wurden mein Gefährte und ich als Missionare bestätigt. Am 23. März 1858 wurden wir in Gegenwart der zahlreichen Gemeinde in Glasgow ordiniert und speziell den Neuhebriden zugewiesen. Am 16. April verließen wir den heimatlichen Hafen in der "Clutha".

Unsere Reise nach Melbourne war von ziemlich langer Dauer, endete aber gut, und Kapitän Broadfoot, ein gutherziger Schotte, tat alles für uns, was in seinen Kräften stand, Er führte den Gesang bei den Gottesdiensten selbst, die bei gutem Wetter auf Deck, bei schlechtem unten gehalten wurden. Er erlaubte uns auch zu Zeiten, wo es mit dem Dienst der Mannschaft verträglich war, Bibelerklärungen zu halten, was uns beiden zu großer Befriedigung gereichte.

In Melbourne bestiegen wir am 12. August den "Franzis P. Sage", ein amerikanisches Schiff, nach Penang bestimmt; der Kontrakt war, dass der Kapitän uns und unsre fünfzig Kisten in Aneityum, Neuhebriden, landen und dafür 100 Pfund Sterling erhalten sollte, die wir im voraus bezahlen mussten. Es wehten so furchtbare Stürme, dass er erst am 17. August auslaufen konnte. War auf der "Clutha" alles still und ruhig abgemacht worden, so war dafür der Lärm auf dem "F. P. Sage" entsetzlich. Der Kapitän behauptete, er hielte sich den zweiten "Maat" ausschließlich zum Schimpfen, Fluchen und zum Schlagen der Mannschaft! Glücklicherweise dauerte diese sehr unangenehme Reise nur zwölf Tage; wir waren am 29. vor der Insel angelangt, aber der Kapitän weigerte sich, uns in seinen Booten ans Land zu bringen, wahrscheinlich weil er fürchtete, es möchten die so übel behandelten Matrosen nicht wieder zu ihm zurückkehren. Jedenfalls hatte er seine 100 Pfund Sterling, und wir konnten nichts tun als warten.

Wir waren vor der Insel vor Anker gegangen; endlich kam das Boot eines Händlers, um zu fragen, was wir bedürften. Wir sandten einen Brief an den dortigen Missionar Dr. Geddie, der früh am nächsten Morgen mit seinem Boot erschien, um uns zu holen. Mit ihm kam ein kleiner Missions-Schoner, der  "John Knox", und ein größeres Missionsschiff, namens "Columbia", beide mit guten eingeborenen Matrosen bemannt. Bald waren unsere fünfzig Koffer und Kisten auf die Schiffe gebracht, die dadurch schwer beladen wurden; um so schwerer, als jenes Boot, das die andern ans Land ziehen sollte, leer bleiben musste. Dr. Geddie, Mr. Mathieson, meine Frau und ich waren zwischen unsern Kisten an Bord des "John Knox" und mussten uns an diesen, so gut wir konnten, festhalten. Beim Abschwenken vom "F. P. Sage" zerbrach einer von dessen Davits den Mast unseres kleinen "John Knox" dicht über Deck, der auf meine Frau gefallen wäre und sie unfehlbar zerschmettert haben würde, hätte ich sie nicht auf eine uns allen fast unmöglich erscheinende Weise auf die Seite zu reißen vermocht. Er fiel nahe vor Mr. Mathieson nieder, doch ohne ihn zu verletzen. Das Boot, ohnehin überladen, war natürlich unfähig zu segeln; wir waren zehn Meilen weit vom Lande und in bedeutender Gefahr; trotzdem lichtete der "Sage" die Anker, segelte fort und überließ uns unserem Schicksal!

Wir trieben gegen Tanna zu, eine von Menschenfressern bewohnte Insel, welche unsern Besitz genommen und uns verzehrt haben würden. Wir waren im Tau von Dr. Geddies Boot, während Mr. Copeland und seine Eingeborenen hart arbeiteten, um die "Columbia" und ihre Ladung nach Aneityum zu bringen. Obgleich der Passatwind nicht unbedeutend wehte, war die See verhältnismäßig ruhig; trotz aller Mühe trieben wir aber vom Lande ab, bis Dr. Inglis, der von der Ankunft des Schiffes gehört hatte, vom Hafen aus unsere hilflose Lage beobachtend, mit mehreren Booten zu Hilfe kam. Alle diese wurden unserm Schoner vorgespannt, und den vereinten Anstrengungen aller Ruderer gelang es endlich, das Schiff vorwärts zu bewegen. Nach stundenlanger Arbeit unter dem Brande einer fast tropischen Sonne landeten wir um sechs Uhr abends des 30. August in Aneityum, d.h. vier Monate und vierzehn Tage nachdem wir den schottischen Hafen verlassen hatten. Die freundlichste Begrüßung von Seiten der Frauen der Missionare und jener Eingeborenen, die bereits Christen waren, berührte uns sehr angenehm. Unser Dank gegen Gott, der uns aus der Gefahr errettet und an diesen friedlichen Ort inmitten der Neuhebriden gebracht hatte, war groß und erfüllte unsere Herzen gänzlich.

Mr. Copeland, meine Frau und ich erhielten zunächst Unterkunft und die liebevollste Aufnahme auf der Station des Dr. Inglis. Da er soeben damit beschäftigt war, sein Haus durch verschiedene Zubauten zu vergrößern, so fand ich hier außer der Schulung in höheren Dingen auch sehr notwendige Übung im Errichten von Missionshäusern. Dann kamen meine Brüder an der Arbeit zusammen, um zu beraten, auf welcher der vielen Inseln der Anfang gemacht werden sollte. Der Beschluss war der, dass Mr. Mathieson und seine Frau, bisher in Nova Scotia, auf der Südseite der Insel Tanna in Kwamera sich niederlassen sollten, während meine Frau und ich auf dieselbe Insel in das auf der Ostseite gelegene Port Resolution zu gehen hätten. Mr. Copeland sollte auf beiden Stationen beschäftigt werden, je nachdem Mr. Mathieson oder ich seiner Hilfe gerade am meisten bedürften.

Dr. Inglis und einige seiner besten Eingeborenen begleiteten uns nach Kwamera auf Tanna. Wir kauften dort Land für Missionshaus und Kirche, legten die Grundsteine und begannen den Bau, dessen Weiterbeförderung dann Mr. Mathieson überlassend. Dasselbe geschah in Port Resolution; wir kauften Land und errichteten ein Haus für uns; Kalk erhielten wir durch Brennen von Korallenblöcken; das Dach sollte aus Zuckerrohr bestehen, welches die Eingeborenen dazu besonders zu präparieren verstehen. Für die Arbeit sowohl als für Grund und Boden wurde bezahlt. Unglücklicherweise erfuhren wir erst zu spät, dass beide Missionshäuser zu nahe der See angelegt und dass sie dadurch dem Fieber ausgesetzt waren, das den Europäern jene Südseeinseln so gefährlich macht.

Auf beiden Stationen fanden wir die Bewohner in sehr unruhigem, aufgeregtem Zustande. Krieg und Kämpfe, teils mit entfernteren Stämmen, teils mit den Nachbardörfern, ja mit den nächsten Nachbarn, hielten sie in Schrecken. Die Häuptlinge verkauften sowohl in Kwamera als in Port Resolution uns Grund und Boden gern; es schien ihnen nicht unlieb, dass Missionare unter ihnen leben würden. Jedenfalls waren es die Messer, Äxte, Fischhaken, Decken und Kleider, welche sie als Bezahlung erhielten, die sie so willig machten. Sie mochten auch hoffen, durch Plünderung mehr davon zu bekommen als durch Arbeit, denn sie verweigerten es durchaus, uns ihren Schutz zu versprechen. Alles, was erzielt werden konnte, war, dass sie sich verpflichteten, selbst nichts gegen uns zu unternehmen; was die Stämme des Inlands tun würden, daran könnten sie nichts ändern. Solche Zusagen bedeuteten nichts und sollten es auch nicht. Die Tannesen sowohl als die Bewohner meiner zweiten Niederlassung Aniwa glaubten, sie seien ihrem Versprechen treu, wenn sie nicht selbst uns Schaden zufügten, sondern dies nur durch von ihnen bezahlte Hände geschehen ließen. Keinem der Heiden konnte nur um einen Schritt weiter getraut werden, als seine Absicht, sein eigenes Interesse reichte, und nichts Erdenkliches war zu niedrig oder zu grausam, wenn es dem Zweck des einzelnen oder aller dienen konnte.

Neu Hebriden aus WikipediaMeine ersten Eindrücke ließen meinen Mut tief sinken. Diese Eingeborenen in ihrer Nacktheit, mit ihren bemalten Körpern, ihrem Elend und ihren ganz unverdeckt zur Schau getragenen Sünden erfüllten mich allerdings mit dem innigsten Mitleid, aber auch mit Abscheu! Würde es möglich sein, ihnen Begriffe von Recht und Unrecht beizubringen? Würden sie zu gesitteten Menschen, zu Christen zu machen sein? Aber diese Angst ging vorüber; mein Abscheu verwandelte sich in Teilnahme, und bald arbeitete ich so gern unter ihnen wie früher unter meinen Armen in Glasgow. Hatten wir doch die wunderbaren Erfolge der Dr. Geddie und Inglis in Aneityum vor Augen gehabt, und so hofften wir, durch unermüdliche Ausdauer und Gottes Beistand in Tanna das gleiche zu erreichen. Unsere Frauen, begeistert von der Arbeit unter den weiblichen Wilden, wie Mrs. Inglis und Mrs. Geddie sie in ihren Stationen auf Aneityum verrichteten, waren, während wir bauten, dort geblieben, um sich von ihnen unterrichten zu lassen und um mit ihnen zu wirken. Den Tannesen waren Dr. Inglis und ich sichtlich ebenso wohl Gegenstände der Neugier als der Furcht; sie kamen in Haufen, unserm Bau von Holz, Korallen und Kalk zuzusehen, und sprachen unaufhörlich untereinander in augenscheinlicher Verwunderung.

Ein Trupp Bewaffneter folgte dem andern; sie kamen und gingen, große Beunruhigung hinterlassend. Man ließ uns durch unsere Lehrer aus Aneityum versichern, es werde niemand unsere Arbeit hindern und überhaupt würden die Bewohner von Port Resolution keinen Kampf beginnen, sondern sich nur gegen Angriffe verteidigen. Eines Tages kam es zwischen unsern Nachbarn und Leuten aus dem inneren Teil der Insel zu lautem, wüstem Zanken; die Fremden traten den Heimweg an, wurden aber von unsern Leuten, die doch nicht hatten fechten wollen, mit den Waffen verfolgt. Flintenschüsse und furchtbare Schreie der Wilden im nahen Wald zeugten von tödlichem Kampfe. Schreck und Furcht lag auf den Gesichtern unserer Nachbarn; Bewaffnete mit ihrem Federschmuck in den Haaren sah man in allen Richtungen kommen und vorbeirennen, die Gesichter rot, schwarz oder weiß bemalt, manche mit einer roten und einer schwarzen Wange, die Stirn weiß, das Kinn blau! In der Tat, je mehr Farben und an möglichst dem ganzen Körper aufgelegt waren, um so höher galt die Kunst des Trägers. Manche der Weiber suchten mit ihren Kindern versteckte Zufluchtsorte auf; andere schienen die Gefahr, in welcher ihre Angehörigen schwebten, nicht mehr zu beachten, als wenn sie diese bei einem Fest gewusst hätten, denn sie standen lachend und Zuckerrohr kauend am Strande. Als am Nachmittag der Tumult des Gefechts und die Flintenschüsse uns näher und näher kamen, sagte Dr. Inglis: "Die Mauern Jerusalems sind in unruhigen Zeiten gebaut worden; warum nicht auch das Missionshaus in Tanna? Aber lassen Sie uns für heute aufhören mit der Arbeit; wir wollen für diese armen Heiden beten."

Wir zogen uns in eine Hütte zurück, die uns überlassen worden war, so lange wir ihrer bedürften, und beteten mit vollem Herzen. Nach und nach ward der Lärm geringer, und es schien, als ob die Eindringlinge zurückgeschlagen seien. Spät am Abend kehrte die Bevölkerung in die uns nahen Dörfer zurück, und es verlautete, dass fünf oder sechs der Erschlagenen gebraten und verzehrt worden seien, und zwar an einer heißen Quelle, die kaum eine Meile von unserm Hause in der Nähe der Bai hervorsprudelte! Wir erfuhren es durch einen Knaben, den Dr. Inglis mitgebracht hatte und der uns als Koch diente. Er pflegte abends Wasser aus dem heißen Quell zu holen, um uns Tee zu machen. Diesmal kam er mit leerem Geschirr heim und sagte: "Missi, dies ist ein böses Land. Die Leute tun dunkle Taten. Sie haben ihre Feinde gegessen und haben das Blut in die Quelle laufen lassen! Alles ist rot; ich kann Ihnen heute keinen Tee machen! Was soll ich tun?" Dr. Inglis sagte, er möge sich nach anderem Wasser umsehen; für heute würden wir Kokosnussmilch trinken wie schon öfters. Der Knabe schien erleichtert, dennoch sahen wir deutlich, dass trotz seiner schon länger dauernden Erziehung in der Mission zu Aneityum ihm das Töten und Essen der Feinde etwas Bekanntes, fast Natürliches schien, dass in seinen Augen das Verderben des Wassers das bei weitem größere Unrecht war! Wie sehr sind doch alle unsere Anschauungen die Wirkungen der Umstände und Umgebungen! Wäre ich an seiner Stelle geboren, so würde ich wahrscheinlich ebenso empfunden haben.

Am nächsten Abend, als wir unsere Aufgabe besprachen, hörten wir furchtbares, lang anhaltendes Geschrei aus den Dörfern schallen. Auf unsere Frage, was geschehen, hieß es, einer der gestern Verwundeten sei eben gestorben, und man habe nun unter verschiedenen Zeremonien seine Witwe erdrosselt, damit sie in einer anderen Welt ihm dienen könne wie hier. Man hatte soeben die beiden Leichen zur Bestattung im Meer nebeneinander gelegt. Wir waren entsetzt, dass das in verhältnismäßiger Nähe hatte vorgehen können, ohne dass wir davon gewusst und versuchen konnten, es zu verhindern. Kein Tag verging, ohne uns neue Einblicke in die Finsternis zu gewähren, in welcher dies unselige Volk lebte. Wie sehnten wir uns, ihnen von Jesus und der Liebe Gottes sprechen zu können! Wir sammelten fleißig jedes Wort ihrer Sprache, dessen Bedeutung wir erfuhren, um möglichst bald den Reichtum von Gottes Gnade vor den armen Betörten auszubreiten und sie von solchen Sünden zu befreien. Nachdem wir mit dem Hause ziemlich weit gekommen waren, übergaben Dr. Inglis und ich noch verschiedene Arbeiten wie Kalkbrennen und Holzsägen gegen Bezahlung mit Messern, Baumwollstoffen usw. an die Tannesen. Dann fuhren wir nach Aneityum zurück, um meine Frau und unsere Kisten womöglich noch vor Anbruch der Regenzeit nach Tanna zu bringen, die bald eintreten musste.

Da unser kleines Missionsschiff, der "John Knox", gar nicht auf Personentransport eingerichtet war, freuten wir uns, ein Handelsschiff zu finden, dessen Kapitän uns und unsere Kisten für fünf Pfund Sterling nach Tanna bringen wollte. Nach einer Fahrt von wenigen Stunden betraten wir am 5. November 1858 die Insel, die nun unsere Heimat sein sollte. Meine Frau und ich, ebenso Dr. Copeland, hatten nun zu versuchen, uns so bald und so gut es gehen würde mit den Leuten einzuleben. Die Tannesen waren, wie schon bemerkt, tatsächlich am ganzen Körper bemalt; die Kinder liefen ohne jede Kleidung umher; die Frauen trugen eine kleine, von Gräsern geflochtene Schürze, die Männer sackförmigen Gürtel.

Alle kamen, um uns staunend zuzusehen bei dem, was wir taten. Wir verstanden sie nicht; wir konnten ihnen kein einziges Wort sagen. Wir sahen sie an, lächelten und nickten ihnen freundlich zu. Das war unsere erste Begegnung. Einer der Wilden hob einen uns gehörigen Gegenstand auf und sagte: "Nunski nari enu?" Ich schloss, dass er sagte: "Was ist das?" Ich nahm ein Stückchen Holz, zeigte darauf und fragte: "Nunski nari enu?" Sie lachten und sahen einander an. Dann nannten sie mir das Wort, mit welchem sie das Holz bezeichneten, und ich sah, sie hatten meine Frage verstanden. So konnte ich denn durch diese drei Worte die Namen, welche die sichtbaren Dinge in ihrer Sprache führten, erfahren; ich notierte mir die Worte sorgfältig und wählte die Buchstaben dazu nach dem Gehör, auch die uns fremden Laute möglichst genau zusammenstellend. Eines Tages kamen zwei Männer zu mir, von denen der eine ein Fremder war. Er deutete mit dem Finger nach mir und fragte: "Se nangin?" Glaubend, er wolle meinen Namen hören, machte ich seine Bewegung mit dem Finger nach und fragte: "Se nangin?" Sie lachten und nannten ihre Namen. Nun hatten wir das Mittel, Namen von Menschen und Dingen zu erfahren. Wir schrieben alles auf, lernten es laut und gewöhnten so unser Ohr an die fremden Töne. Da wir jeden Augenblick des Beisammenseins mit Eingeborenen benützten und bald auch kleinere Sätze ihrer Unterhaltung auffingen und notierten, so machten wir gute Fortschritte. Natürlich war es auch das erste Mal, dass ihre Worte durch Buchstaben wiedergegeben wurden, denn sie hatten keine sichtbaren Zeichen für ihre Sprache. Ich bezahlte einige der Intelligenteren dafür, dass ich sie zu mir kommen ließ, um zu sprechen und mir Gelegenheit zu neuen Notizen zu geben. Anfangs gab es viel Missverständnisse, aber auch absichtliche Täuschungen ihrerseits, die erst aufhörten, als wir weiterkamen und dieselben bemerkten. Später entstand bei diesen primitiven Lehrern sogar ein Interesse an unseren Fortschritten, und von da an halfen sie uns gern weiter.

Unter denen, die uns am meisten leisteten, waren zwei schon ältere Häuptlinge, Nowar und Nouka, beide von edlerer Natur als die übrigen und von gewisser natürlicher Würde im Benehmen. Aber sie standen beide in der Gewalt des kriegerischen Oberhauptes Miaki, einer Art dämonischen Herrschers über viele Dörfer und Stämme. Er und sein Bruder waren die allgemein anerkannten Führer in allen Kämpfen und Kriegen; sie rühmten sich des vergossenen Blutes und der geschlachteten Feinde, und sie besaßen Macht über eine große Zahl von Leuten, die ohne Besinnen auch ihren verbrecherischen Befehlen folgten.

Die Tannesen hatten steinere Götzenbilder, Zaubermittel und geheiligte Gegenstände, die sie in feigster Weise fürchteten und an deren Wirksamkeit sie fest glaubten. Ihre Gemüter hingen fest an ihren heidnischen Übungen, und zahllose verschiedene Arten von Aberglauben erfüllten Alte und Junge. Ihr Götzendienst war von lauter Furcht eingegeben und bezweckte nur, diesem oder jenem bösen Geist zu wehren, ihnen Schaden zu tun. Ihre Häuptlinge machten sie zu Göttern, so dass fast jedes Dorf einen "geweihten" oder "verehrten Mann" besaß; einige hatten sogar viele solche. Man glaubte mit aller Sicherheit, dass diese Leute durch ihre Zaubereien Gewalt über Leben und Tod aller besäßen, welche die Insel bewohnen. Natürlich brachte man ihnen von allen Seiten Geschenke, um den ihnen zugeschriebenen Einfluss auf die Götter auszuüben, um Krankheiten zu heilen oder solche durch den Nahak hervorzurufen, das heißt durch einen Zauber, den sie über einen Rest von Speisen aussprachen, welchen der zu Schädigende übrig gelassen hatte. Sie verehrten auch die Geister ihrer Vorfahren, indem sie hölzerne und steinerne Bilder von ihnen machten. Sie fürchteten diese Geister und suchten doch deren Hilfe; vor allem galt es jene zu versöhnen, die Krieg und Frieden, gute oder schlechte Ernten, Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod geben konnten. Ihre ganze Götzenanbetung ging aus sklavischer Furcht hervor, wenigstens habe ich nicht ein einziges Zeichen finden können, dass sie auch einen gütigen Gott kannten.

Ich möchte hier meine Ansicht über die Frage aussprechen, ob es Völker gibt, welche ohne jeden Gottesbegriff, ohne jede Verehrung, wenn auch nur von Götzen, leben. Wenn irgendwo, so hätte es auf diesen abgeschiedenen Inseln der Fall sein können; aber im Gegenteil, sie sind mit Götzenbildern angefüllt! Den wahren Gott nicht kennend, suchen sie, im Finstern tappend, doch stets nach ihm. Sie sind nicht imstande, ohne irgendeine Art von Gott zu leben, und haben fast alles zum Gegenstand ihrer Verehrung gemacht: Bäume und Haine, Felsen und Steine, Quellen und Flüsse, Insekten und andere Tiere, Menschen, lebende und verstorbene, Haare und Nägel von Toten, die Vulkane, kurz alle Wesen und alle Dinge sind von ihnen schon als Götter angerufen worden. Sicher ein vollgültiger Beweis dafür, dass auch die niedrigsten Völker den Drang haben, ein höheres oder mächtigeres Wesen, als sie selbst sind, zu verehren und sich auf dasselbe zu stützen. Unvollkommene Kenntnis der Sprache und Gebräuche mögen die frühesten Entdecker der einzelnen Völker zu dem Ausspruch geleitet haben, sie hätten keinerlei Verehrung, wenn sie keinerlei Götzenbilder vorfanden; aber selbst wo diese nicht sind, finden sich geheimnisvolle Gebräuche und symbolische Handlungen, welche nur ihre Priester und ihre "geweihten Männer" verstehen. Diese befinden sich gut dabei, wenn sie das Volk im Dunkeln über deren Bedeutung erhalten, und es ist ihnen ein leichtes, einen fremden Forscher verneinend abzuweisen.

Gerade die Tatsache, dass diese armen Heiden an das Fortleben ihrer Vorfahren und ihrer Helden glaubten, dass sie sich überhaupt Begriffe von einer unsichtbaren Welt und ihren Bewohnern gebildet hatten, konnte es ermöglichen, sobald wir nur ihre Sprache reden und ihrem Ideengang folgen konnten, ihnen Jehova, den neuerschaffenen Gott, der alles erhält, nahe zu bringen. Natürlich konnte es nicht sogleich geschehen, nicht in ein paar flüchtigen Lektionen. Herz, Seele und Leben mussten daran gesetzt werden. Die Einsicht in die Tatsachen der allgemeinen Sündhaftigkeit, der Erlösung, die aus der Liebe Gottes hervorgehend durch seinen eingeborenen Sohn vollbracht ward, die Gewissheit, dass Jesus jeden in die ewigen Wohnungen aufnehmen will, der ihn über alles liebt und an ihn glaubt, - konnten nur langsam ihrem Bewusstsein einverleibt werden. Aber es war möglich, da sie Menschen waren! Und es war geschehen, das hatten wir in Aneityum gesehen, und so erhoben sich unsere Herzen zu der Höhe unserer Aufgabe, indem sie sich mit sicherer Hoffnung erfüllten.

Die Tannesen bezeichneten den Himmel mit Aneai; später entdeckten wir, dass derselbe Name einem Dorfe ihrer Insel, dem am höchsten und schönsten gelegenen, entnommen war. Ihr bestes Stückchen Erde war den Heiden Sinnbild und Typus des Himmels; auch besaßen sie eine Prophezeiung, nach der sie ein anderes Land, ein "Canaan", erhalten sollten. Dass sie überhaupt ein Aneai hatten und auf ein versprochenes Land hofften, öffnete ihre Seelen in natürlichster Weise für unsere Botschaft von Glaube und Hoffnung. Das bei ihnen allen vorherrschende Bestreben, mächtige Götter zu suchen und für sich zu gewinnen, ließ uns, sobald wir uns in ihrer Sprache ausdrücken konnten, williges Gehör finden, als wir ihnen vom lebendigen Gott und seinem Sohn Jesus Christus erzählten. Aber als wir weiter gingen und sagten, dass, wenn sie diesem allmächtigen Gott dienen wollten, sie ihre Götzen verlassen, ihre heidnischen Gewohnheiten aufgeben müssten, standen sie in Wut gegen uns auf, verfolgten jeden aufs grausamste, der sich uns freundlich erwies.

Ich möchte in einem kleinen Rückblick zusammenfassen, was vor 1858 auf diesen Inseln versucht worden war, um das Evangelium zu verbreiten. Die allerersten waren John Williams und sein junger Gefährte Harris; sie landeten in Erromanga am 30. November 1839, wurden aber, als sie kaum den Fuß aufs Land gesetzt hatten, von den Wilden erschlagen und - gegessen. So war gleich Märtyrerblut auf diesen Boden geflossen, und er gehörte nun umso mehr dem Herrn. Sein Kreuz musste umso gewisser dort gepredigt werden, wo seine Boten in seinem Namen das Leben hingegeben hatten, und so sandte die Londoner Missionsgesellschaft 1842 die Herren Turner und Nisbet ab. Sie wählten die Insel Tanna, als die Erromanga am nächsten liegend. Nach sieben Monaten waren die Wut und die Mordlust der Tannesen nicht mehr zu bändigen; nach wiederholten Bedrohungen ihres Lebens versuchten beide Missionare in einem kleinen Boot zu entfliehen, in dem sie dem sicheren Verderben entgegen gingen, wenn die Wogen sie nicht wieder ans Land geworfen hätten. Am andern Morgen fuhr ein größeres Schiff vorüber und wendete dann plötzlich der Insel zu. Gott sandte ihnen diese Rettung, auf die sie durchaus nicht hatten hoffen können, da fremde Schiffe sich nie dieser Insel zu nähern pflegten. Die Pläne waren also abermals hinausgeschoben; der Herr verwendete Turners Arbeit in anderer Weise; er hat in Samoa viele Eingeborene zu tüchtigen Lehrkräften ausgebildet, die segensreich gewirkt haben, und seine Tätigkeit auf Übersetzen der Bibel verwendet, von der viele Auflagen in die Hände der Heiden kamen; noch jetzt, im Herbste des Lebens, sind Mr. Turner und seine Frau damit beschäftigt, für die Heiden in ihrer Sprache gute belehrende Bücher zu verfassen. - Nun versuchte man, Eingeborene von Samoa, welche Turner ausgebildet hatte, auf die eine oder andere dieser Inseln zu senden; aber teils erlagen sie dem Klima, teils litten sie so entsetzlich unter der Grausamkeit der Wilden, dass ihres Bleibens nicht war.

So hatte denn das Christentum immer noch nirgends auf den Neuhebriden Fuß gefasst, als Rev. John Geddie und seine Frau 1848, Rev. John Inglis 1852 auf Aneityum, der südlichsten Insel, ihr Werk im Auftrage der "Presbyterianischen Mission" begannen. Von der Londoner Missionsgesellschaft ward Rev. T. Powell dem Dr. Geddie beigegeben, um ihm bei der Ansiedlung zu raten und beizustehen. Hier nun fand sich wunderbarerweise eine Bevölkerung, die von Anfang an Interesse zeigte und bald den Missionaren treu anhing. Nach wenigen Jahren erreichten die  beiden eifrigen Männer, dass dreitausendfünfhundert Wilde  ihre Götzenbilder vernichteten, ihre heidnischen Gebräuche verließen und sich zum Christentum bekannten. Langsam nur legten sie das Heidentum ab, aber nachdem es geschehen, gingen sie sicher und voll Hoffnung in der christlichen Erkenntnis vorwärts. Nach längeren Jahren wurde eine einfache häusliche Andacht eingeführt, die in jedem Hause treu gehalten ward; man betete bei den Mahlzeiten; Friede und Ordnung waren ungestört; das Eigentum war völlig sicher geworden unter dem heilenden, erhebenden Einfluss des Evangeliums. Und nach und nach erlebten diese Missionare die Freude, die ganze Bibel in den Händen der jungen Christen zu sehen! Sie und Mr. Copeland hatten sie mit großem Fleiße und endloser Mühe übersetzt;  die  "Britische und ausländische Bibelgesellschaft", diese edle Dienerin des Herrn in allen Missionen, hatte sie gedruckt. Und wie war das zustande gekommen?

Als die Aneityumesen Einblicke in das Wort Gottes bekommen hatten, war es ihr größter Wunsch, die Heilige Schrift in ihrer eigenen Sprache zu besitzen. Nie war in derselben auch nur eine Seite niedergeschrieben worden! Während die Missionare sich mit der schwierigen Übertragung beschäftigten, arbeiteten die Eingeborenen eifrig daran, das Geld für den Druck zu beschaffen, das auf zwölfhundert Pfund Sterling veranschlagt war. Durch fünfzehn Jahre bauten sie Arrowrot "für den Herrn"; sie gönnten sich diese Speise nicht mehr, sondern brachten die ganzen Ernten den Missionaren, die sie nach Australien und Schottland sandten, wo Freunde der neuen Christen sie möglichst gut verkauften und den Ertrag sammelten. Als das große Unternehmen beendet war, als die ersten Bibeln den sehnsüchtig Wartenden zugesendet wurden, fand es sich, dass die ganze Summe von den Aneityumesen verdient worden war!

Mein erstes Haus in Tanna war auf der Stelle erbaut, welche auch Mr. Turner und Nisbet gewählt hatten; sie erschien praktisch, weil unfern der See alles, was jetzt und später von Schiffen gebracht wurde, nicht weiter zu tragen war und weil wir die Nähe des Meeres für kühlend hielten. Ach, wir hatten, wie alle unsere Brüder in unbekannten Ländern, zu lernen! Bald zeigte es sich, dass jene Gegend eine wahre Brutstätte für Wechselfieber und Malaria sei und dass wir viel besser getan haben würden, auf hochgelegenem Platze zu bauen, wo die Passatwinde die Luft reiner erhielten. Niemand konnte dafür getadelt werden, da man nach bestem Wissen gehandelt hatte. Hinter dem Hause erhob sich ein etwa vierhundert Fuß hoher Hügel, der demselben Schutz gab; ohne diese Höhe wäre es gesünder gewesen! Ringsum standen herrliche, viel Schatten gebende Bäume, teils Brotfrüchte, teils Kokosnüsse tragend; die Kühle unter denselben hatte uns angezogen und mit zur Wahl des Platzes beigetragen; aber es zeigte sich, dass sie Licht und Luft abhielten, die uns nötig gewesen wären, da wenig tiefer als das Haus, gegen das Meer zu, ein großer Sumpf stand. So hörte denn die Malaria bei uns nicht auf! Einst, nachdem ich wieder einen tüchtigen Anfall davon zu bestehen gehabt hatte, sagte mir einer der Häuptlinge:

"Missi, wenn Sie hier bleiben, sterben Sie! Kein Mann von Tanna würde es überleben, schliefe er so nahe dem Meer wie Sie, und Sie können es weniger. Wir sind höher oben und sind gesund durch den Passatwind. Sie müssen das auch tun."

Ich hatte das selbst längst eingesehen und beschloss, sobald als möglich dem Rate zu folgen, koste es was es wolle an Mühe und Arbeit.

Meine liebe Frau Mary Ann Robson und ich waren am 5. November 1858 in vollster Gesundheit in Tanna angekommen. Am 12. Februar 1859 schenkte sie mir einen Sohn; zwei Tage lang ging es beiden gut, und unser Inselexil schien uns so herrlich! Aber Angst und Sorge folgten der Freude auf dem Fuße. Die Kräfte meines Lieblings schwanden sichtlich; ein Anfall von Malariafieber, den sie kurz vorher durchgemacht, kehrte mit Heftigkeit wieder und verzehrte jeden zweiten Tag die Kräfte! Jeder folgende Paroxysmus war stärker als der vorhergehende; der fieberfreie Tag genügte nicht, um sich zu erholen! Symptome von Lungenentzündung und hie und da leichtes Delirium machten den Zustand trostlos! Am 3. März entschlief meine teure Gattin! Um mein Leid noch zu erhöhen, meine Einsamkeit zu vermehren, starb auch mein Knabe, den ich nach seinem Großvater mütterlicher Seite Robert Robson getauft hatte, am 20. März. Wer durch solche Nacht des Leides hat wandeln müssen, wird mit mir fühlen; wen Gott davor bewahrt hat, dem kann man den ganzen Schmerz doch nicht schildern.

Jetzt, wo es zu spät war, wusste ich, dass wir uns zu kurz vor der Regenzeit hier angesiedelt hatten. Aber ich hatte auf unser beider feste Gesundheit gehofft und machte täglich das Haus wohnlicher und besser, in Aussicht auf lange Jahre, indem wir hier für den Herrn zu arbeiten gedachten. O wenn ich meine Frau bis nach der Regenzeit bei den Freunden in Aneityum gelassen hätte! Aber niemand hatte das vorgeschlagen, und sie selbst, voll Begeisterung für unsern Beruf, eilte demselben so schnell als möglich entgegen. So begaben wir uns in eine Gefahr, von der ich hier nur rede, weil ich andere vor solchem Fieber bewahren möchte.

Betäubt von dem entsetzlichen Verlust gleich zu Anfang meiner Laufbahn, immer wieder von Fieber und Malaria niedergeworfen, verlebte ich schwere Zeiten. Aber nie fühlte ich mich ganz verlassen: der ewig gnädige Gott war stets bei mir; er stärkte mich für die schwere Arbeit, meine Teuren der Erde zu übergeben, die ich ja, obgleich mein Herz fast brach, größtenteils selbst zu verrichten hatte. Ich fasste den Boden und die Wände mit Korallenblöcken ein, wählte die Stelle zum Grabe möglichst nahe dem Hause, und so wurde es in den folgenden Jahren, inmitten von Tod und Gefahren, mein Ruheplatz, an dem ich meinen Gott suchte, wo ich in Gebet und Tränen das Land vom Herrn erbat, in dem ich meine Toten begraben hatte. Ohne Jesus und ohne die Gemeinschaft mit ihm wäre ich an jenem einsamen Grabe wohl wahnsinnig geworden.

Seit ich mit ihr vereinigt war, hatte ich oft ein sonderbares Vorgefühl von baldiger Trennung gehabt. Vielleicht bin ich nicht der einzige, der mit solchen sündhaften Gefühlen kämpft, dass das, was uns so kostbar, so beseligend erscheint, uns genommen werden wird! Unser kurzes Beisammenleben war wolkenlos und glücklich; ich fühlte den Verlust in jenem dunklen Lande tiefer, als es sich vorstellen lässt. Es war sehr schwer, Ergebung zu erringen, so allein in so sorgenvollem Leben. Aber im Bewusstsein, dass Gott zu weise ist, um zu irren, zu liebend, um etwas zuzulassen, das uns schadet, sah ich immer wieder zum Herrn um Hilfe empor und versuchte, seinen Auftrag zu erfüllen. Ich maße mir nicht an, in das Geheimnis der göttlichen Führung zu blicken, wenn er diejenigen abruft, die in der Fülle der Jugendkraft und Leistungsfähigkeit stehen und die wir hier noch für sehr nötig halten; aber das weiß ich mit Sicherheit aus der Zeit meiner Prüfungen, dass es uns allen gebührt, den Herrn Jesus zu lieben und ihm zu dienen, damit wir für den Ruf zu Tod und Ewigkeit allezeit bereit sind.

Link

 


Jane Edkins

Frauen sehen die Welt mit anderen Augen an, als Männer es tun. Als die junge schottische Missionarsfrau Jane Edkins mit 23 Jahren auf einem Schiff vor Taku starb, hatte sie erst zwei Jahre in China gelebt und von dem Riesenreich nur ein winzig kleines Stück kennengelernt. Aber dieser Ausschnitt wurde ihr zu einer neuen Welt. Sie sieht diese Welt, in der sie leben und an der Seite ihres Gatten arbeiten wollte, anders als ein Mann, bildhaft und anschaulich, sie sieht die kleinen Szenen und Bilder des Alltags, und über alles berichtet sie aus unmittelbarem Erleben an ihre Eltern zu Hause in Briefen, die von ihr nie für die Veröffentlichung gedacht waren.

"Wohl hängt sie mit herzlicher Liebe an ihrem Heimatland. Bei der Schilderung chinesischer Landschaften kommt ihr immer wieder voll Sehnsucht der Vergleich mit den Bergen ihrer Heimat, und auch in China bleibt ihr nach heimischer Gewohnheit die Teestunde "die liebste und geselligste aller Mahlzeiten". Aber sie ist entschlossen und fähig, sich dem Lande, in dem sie wirken soll, mit jugendlicher Aufgeschlossenheit ganz hinzugeben, und das macht ihre Schilderungen so reizvoll.

Jane Edkins wurde im Jahre 1838 in einem Pfarrhause in Stromness in Schottland geboren. Ihre Jugend verbrachte sie im Elternhaus in der Fürsorge für ihre Mutter, die nach dem Tod ihres ältesten Sohnes lange Zeit schwermütig geworden war. Die alljährlichen Missionsfeste in der Gemeinde hatten bei ihr die Liebe für die Mission geweckt. Im Hause ihres Bruders lernte sie den auf Urlaub in der Heimat weilenden Missionar Joseph Edkins kennen, der schon zehn Jahre lang im Dienst der Londoner Missionsgesellschaft in Schanghai tätig gewesen war. 1859 heiratete sie ihn, und wenige Monate danach traten beide ihre Reise nach China an.

Es war die Absicht von Joseph Edkins, sich mit seiner Frau in Peking als Missionar niederzulassen. Aber die politischen Verhältnisse erlaubten das damals noch nicht. So blieb er in Schanghai, und besonders gehörte es dort zu seinen Aufgaben, auch in den Ortschaften der weiteren Umgebung dieser großen Hafenstadt die Missionsarbeit auszubreiten. Auf diesen Reisen, meist Flussfahrten, begleitete ihn häufig seine Frau. Jane Edkins lernte eifrig die chinesische Schrift- und Umgangssprache und sammelte Kinder in einer Missionsschule. Gerade als sie anfing, ihrem Mann eine wertvolle Hilfe bei seiner Arbeit zu sein, wurde sie im Jahre 1861 ein Opfer der Dysenterie.

Ihr Vater hat die Briefe, die sie in diesen zwei Jahren nach Hause schrieb, gesammelt und herausgegeben. Dieser schmale Band, dem die nachfolgenden Seiten entnommen sind, vermittelt ein lebendigeres und anschaulicheres Bild von den ersten Eindrücken eines Europäers im damaligen China als manche langatmige Reisebeschreibung.

Eine Frau erlebt China

Jane Edkins: Ein Missionsleben in einer Reihe von Briefen. Deutsche Ausgabe Gütersloh, Verlag C. Bertelsmann 1871.

 Schanghai, den 19. Sept. 1859

BRIEF AN DIE MUTTER

So sind wir denn nun glücklich in Schanghai gelandet und eingezogen in unsre neue Heimat. Mit warmer Liebe wurden wir von den Missionaren, die hier anwesend sind, empfangen, - das einzige Traurige war, dass keine Briefe aus der Heimat da waren. Doch hatten wir Nachricht von Edkins Verwandten, und sie erwähnten, dass sie einen Brief aus Stromness hatten, und dass Ihr alle wohl wäret, als wir England verließen; das erleichterte den Schmerz in etwas, doch war ich für einige Zeit sehr niedergeschlagen. Ich sagte mir selbst, dass die Briefe nach Anger gegangen sind, und dass unsre schnelle Fahrt an dieser Enttäuschung schuld ist. Es ist dies keine geringe Prüfung für mein Herz!

Wir hatten eine recht langweilige Fahrt von Anger hierher. Oft amüsierte es uns, wie beim Essen das "ob der "Wind günstig oder ungünstig sei" die stets wiederkehrende Unterhaltung war. Wir entgingen jedoch allen Wasserhosen und können nicht dankbar genug dafür sein. Unser Schiff landete am vergangenen Dienstag um zwei Uhr vor Wusong, und um vier Uhr fuhren wir alle in einem niedlichen Boot nach Schanghai weiter. Wir erfreuten uns sehr an dem frischen grünen Rasen und den herrlichen Bäumen zu beiden Seiten des Wassers. Die Gegend, obwohl nicht so schön wie die von Anger, schien uns den heimatlichen Landschaften verwandter zu sein. Der Wusong ist ein breiter Strom mit vielen Krümmungen, belebt durch eine zahllose Menge von Dschunken von dem wunderlichsten Bau und viele englische Fahrzeuge. Es ist ein lebendiger, sehr heiterer Anblick. Erhöht wird das Malerische desselben durch die Chinesen, die in ihren reinlichen, leichten Gewändern an beiden Ufern ab und zu gehen oder lustig in ihren kleinen Booten, "Sampans" genannt, umherrudern. Als wir um eine scharfe Biegung kamen, stießen wir auf eine starke Gegenströmung. Obwohl der Wind günstig war, konnten wir nicht von der Stelle, so dass wir wendeten und in einer kleinen Bucht ankerten. Wir berieten, ob wir unsern Weg in Sänften fortsetzen oder die Rückkehr der Flut abwarten sollten, und entschieden uns für das letzte, besonders deshalb, weil die Sänften so entsetzlich teuer sind. Wir mieteten einen Sampan und ließen uns mittlerweile in die Stadt Wusong rudern. Das Boot, in welchem wir nach Schanghai fuhren, gehörte einem Kaufmann, der unserer Kapelle mit vorstand, so erzählte uns der junge Mann, der den Befehl hatte, in einer Stunde etwa den Tee für uns bereit zu halten. Wir waren in wenigen Minuten am Ufer, und nachdem wir einen halbzerfallenen Damm erstiegen und ein großes Tor hinter uns hatten, befanden wir uns in der Stadt, auf allen Seiten von kaufenden, verkaufenden, schwatzenden, Tee trinkenden, rasierenden, kurz, alles nur mögliche auf offener Straße treibenden Chinesen umgeben. Die Läden haben keine Fenster und Türen; alles liegt auf Tischen ausgebreitet frei da. Hier näht ein halbes Dutzend Schneider emsig drauf los, die nächste Bude gehört einem Fleischer, in der folgenden sind Früchte zu kaufen. Die Straßen in Wusong sind ungefähr so breit wie die Fenster in Deinem Visitenzimmer, es können nur eben zwei Leute nebeneinander gehen. Wir waren nach der langen Reise recht in der Stimmung, uns über alles zu freuen, und so ergötzten wir uns nicht wenig an diesem bunten Leben. Die engen Straßen ausgenommen fand ich alles viel reinlicher, anziehender und freundlicher, als ich mir's je von den Chinesen gedacht. Durch die Stadt gelangten wir endlich ins Freie und brachten eine schöne halbe Stunde zwischen Reisfeldern und unter den grünen Bäumen zu. Allein aber waren wir auch hier nicht, denn ein Haufen Volkes, alt und jung, kam wie eine Leibgarde hinter uns her. Wir Frauen waren der Gegenstand ihrer Neugierde und angelegentlichen Unterhaltung. Eine alte Chinesin beschaute mich recht genau und fragte dann Edkins, ob ich seine Frau sei und wie alt ich wäre. Er antwortete ihr freundlich, die fremden Damen lassen ihr Alter nicht gern wissen, das sei so ihre Art.

Wir kehrten nun zu unserem Boot zurück, wo uns ein köstlicher Tee erwartete mit frischen Eiern, Brot und Obst. Wir ließen es uns herrlich schmecken, dann gingen wir aufs Verdeck, wo wir uns auf orientalische Weise niederließen und eine schöne Stunde zubrachten, indem wir die ersten sehr freundlichen Eindrücke, die China und seine Bewohner auf uns machten, miteinander besprachen.

Wir segelten etwa um neun Uhr von Wusong ab und hatten eine schöne mondhelle Fahrt auf dem Flusse. Die Sterne schauten in ihrer reinsten Pracht vom Himmel auf uns nieder, als wollten sie uns willkommen heißen. Wir erreichten Schanghai um Mitternacht. Es ist herrlich, so in der Stille der Nacht zu landen, wenigstens mir war es unendlich schön, und ich war so glücklich, als meine Füße den vielbekannten Hafendamm von Schanghai betraten mit dem schönen Anblick vor uns.

Bild vom Zweiten Opiumkrieg aus WikipediaDa stehen zunächst, von reizenden Gärten umgeben, die Häuser der Kaufleute. Sie sehen mit ihren endlosen Fenstern, Toren und Verandas mehr wie Paläste aus und nicht wie Häuser. Hier im Fremdenquartier der Stadt sind auch die Straßen breit und luftig. Wir hatten einen tüchtigen Weg zu gehen, bis unser Zug, mein Mann an der Spitze und vier Träger mit unserm Gepäck als Nachtrab, vor dem Missionsgehöfte ankam. Eigentümlich friedvoll lag es vor uns im schönen Mondlicht da, und die Bäume rauschten, als wollten sie uns willkommen heißen, als wir uns dem Eingang zu Missionar Muirheads Wohnung näherten. Wir zogen die Glocke, und im Augenblick empfing uns Mr. Muirhead auf das herzlichste. Auf der Treppe empfing uns Mrs. Muirhead mit offenen Armen. Alles ward wach, und du würdest gelächelt haben über diese Versammlung von Schlafröcken und Morgenkleidern in Mrs. Muirheads Wohnzimmer. Alle waren so glücklich, uns dort zu haben. Am nächsten Morgen war eine vollständige Versammlung von allen Freunden aus der Stadt zu unserer Begrüßung. Abends tranken wir Tee bei Missionar John und trafen dort außer allen Missionaren von der Londoner Gesellschaft auch Missionar Burdon von der kirchlichen Mission. Der letztere war außerordentlich erfreut, midi zu sehen, da er bei uns im Pfarrhause von Stromness war und Dich und Papa kennt. Es war ein köstlicher Abend mit einem Worte, und ich fühlte mich so erfrischt in diesem innigen Missionskreise. Seitdem bin ich auch mit so lieben anderen Leuten zusammengekommen und bin in Wahrheit glücklich in Schanghai und froh, nun auch in kurzem Hand ans Werk legen zu können und für die Mission zu arbeiten.

Ich hoffe, teure Mama! Du machst Dir hiernach in keiner Weise Sorge um mich. Du weißt es, dass, obwohl weit von Euch getrennt, ich im Schutze des besten und gütigsten Mannes lebe. Auch bin ich gewiss, Du gönnst mir das Glück, einen geringen Anteil an diesem Dienste des Herrn zu haben. Du weißt, der Herr liebt einen fröhlichen Geber. Wärest Du gesund gewesen, so weiß ich, dass niemand mehr als gerade Du froh gewesen wäre, Deine Jeanie als Missionarin zu sehen. Lass uns fest glauben, es ist Gottes Wille, dass ich hier bin, und es ist meiner Seele Verlangen, Seinen Willen zu tun. Wohl kann niemand eine wärmere Liebe zur Heimat haben, als ich sie habe, doch kann ich fröhlich selbst Dir, meiner Herzensmutter, sagen, dass ich lieber noch hier bin, lieber mich verzehren will im Dienste Jesu Christi als irgend etwas anderes in der Welt. Sei durchaus nicht ängstlich um der verwirrten Verhältnisse in China willen, wir sind vollkommen sicher hier. Nur sind Edkins Pläne für dieses Jahr dadurch erschüttert. Anstatt, wie er es wünschte, tiefer ins Innere zu gehen, bleiben wir vorerst in Schanghai. Wir haben eine niedliche, bequeme Wohnung gefunden, freilich herrscht jetzt noch eine solch' großartige Unordnung darin, dass ich sie Dir lieber nicht beschreiben will, bis alles nett ist und jedes Ding an seinem Ort. Morgen will ich meine chinesischen Studien anfangen, und wie fleißig will ich sein!

Deine Dich zärtlich liebende Jeanie

Schanghai, Oktober 1859

BRIEF AN DEN VATER

Wir verließen Schanghai am Donnerstagmorgen. Der Himmel war dunkel und regnerisch. Kein heller Sonnenblick begrüßte uns, als wir das kleine Boot betraten, das unsre augenblickliche Heimat sein sollte. Mr. und Mrs. John ließen nicht lange auf sich warten, und in kaum einer halben Stunde waren wir dem Geräusch Schanghais entflohen und befanden uns auf den friedvollen Wassern des Wuson-Keang. Es ist dies ein schöner Strom mit vielen Krümmungen, dessen reiche Ufer herrlich bebaut sind. Manche alte epheubewachsene Brücke und manch kleiner, halb zwischen den Bäumen versteckter Buddha-Tempel zog an unsern Augen vorüber, als wir sanft auf dem Flusse dahinglitten. Freitag blieb die Gegend der vom vorhergehenden Tage ziemlich ähnlich. Dann und wann verließen wir unsere Boote, um ein wenig an den schönen Ufern des Flusses umherzuschweifen und uns zu ergehen. Wir schreckten dabei manchen faulen Büffel in seiner feuchten Heimat auf, wenn er breit dalag, um sich zu sonnen, und dazwischen hinein wieder in die frischen, kühlen Fluten tauchte. Am Sonnabendmorgen weckte mich mein Mann, um einen wunderschönen Anblick zu genießen. Ich ging rasch, und wie dankte ich es ihm. Das kommende Morgenlicht durchbrach die nächtlichen Schatten. Hie und da drang ein Sonnenstrahl durch die dunklen Wolken. Auf beiden Seiten tauchten schöne Trauerweiden ihre sanftgebogenen Zweige in den klaren Strom. Weiterhin dehnten sich golden wogende Kornfelder, aus denen manch' niedliches Farmhaus, von einer Fülle prachtvoller Bäume umgeben, hervorschaute. Wir nahten uns eben einer schön gewölbten und von blühenden Schlingpflanzen überzogenen Brücke. Die Sonne war jetzt vollends aufgegangen und erleuchtete das ganze liebliche Bild, und wir standen und konnten es kaum erwarten, bis wir eine Biegung des Flusses erreichten, um die Landschaft noch besser übersehen zu können. Auf dem Gipfel eines schönen, grünen Hügels stand eine verwitterte Pagode, deren zahlreiche mit Bronze und Kupfer bekleidete Türmchen und Erker von der Morgensonne beschienen wurden und in ihren Strahlen funkelten. Gerade vor uns lag ein munteres mit Einwohnern überfülltes Dorf. Wir fuhren durch das Brückentor ein und nahmen dann unseren Weg durch das Städtchen. Haufen Volks liefen zusammen, um uns anzusehen, und manches Paar Essstäbe, mit Reis gefüllt, ward auf seinem Wege zum Munde aufgehalten, um "die Barbaren" sehen zu können. Wir schritten rasch hindurch. Ich wollte, ich könnte Euch die ganze Szene lebendig vorführen. Ich müsste dann Körbe voll schnatternder Enten, Tische mit herrlichen Früchten, Haufen roten Kattuns Euch vorzaubern mit  einer endlosen Menge Menschen, Männer, Frauen, Kinder, einige hübsch, andere treuherzig anzusehen, - alle plappernd, erzählend, sich durch die engen Straßen und über die kleinen baufälligen Brücken hin und her drängend, dann wieder in Haufen stehend, um uns aufzupassen. Ich bemerkte manches ganz hübsche Gesicht unter den Frauen, doch sehen im Allgemeinen die Männer in China interessanter aus als die Frauen. - Es ist mir unmöglich, das endlose Gedränge dieser kleinen Stadt wirklich zu schildern. Eding ist ihr Name. Wir ließen das eine Boot zurück, um einige Einkäufe zu machen, und eilten mit dem anderen aus dem Bereich des Ortes, um die Gegend zu genießen. Wir kamen an einem Buddhisten-Tempel vorüber, seine Vorderseite war schmal und niedrig, aber nach hinten stieg er zu einer für ein chinesisches Gebäude beträchtlichen Höhe hinan. Die Tür stand halb offen, und es kamen und gingen unaufhörlich Leute hinein und heraus. Wir konnten nur einen raschen Blick im Vorüberfahren hineinwerfen, ich sah einige glänzende goldene Gegenstände darin, konnte sie aber der Entfernung halber nicht deutlich unterscheiden. Lange nachdem wir vorbei waren, tönte der Schall von Trommeln uns noch übers Wasser nach. Drei Priester standen am Rande des Ufers, dumme, einfältig aussehende Leute, ich möchte sagen Knaben, so jung schienen sie mir noch. In beträchtlicher Entfernung von der Stadt landeten wir, und hier war es, wo ich zum ersten Mal in China Berge sah, die mit denen meiner Heimat Ähnlichkeit hatten. O wie mein Herz schlug! Mir war, als wären es alte Freunde, und die teuren Berge von Hoy, jede Spitze, jeder Vorsprung, deren Erinnerung so tief dem Gedächtnis eingeprägt, erwachten ungesucht, und mit ihnen alle Eindrücke der Heimat und des Glückes meiner Kindheit.

Wie ein Ton von gold'nen Saiten
Fiel Dein Name mir in's Ohr,
Aller Lande Herrlichkeiten
Zog ich Deine Fluren vor.

Die unendliche "Wehmut bei der Erinnerung an die teure Heimat trübte freilich meine Begeisterung etwas, aber dennoch empfand ich fort und fort in ihrem Anblick eine tiefe Freude. Unser Boot ankerte friedlich am Fuße der schönen Berge. Wir gingen am Rande des Flusses hin, pflückten viele Feldblumen und sprachen von vergangenen Dingen und unseren Missions-Hoffnungen und Bestrebungen. Wir sprachen von Soochow und unsrer zukünftigen Heimat, wenn es anders so von Gott bestimmt ist. Es war reizend, wie höflich die Chinesen uns aufnahmen, wir hörten auch nicht ein einziges unangenehmes Wort von ihnen. Wir ruhten am Ausgang einer der vielen chinesischen Brücken aus und erfreuten uns an der waldigen Gegend und an dem schönen Fluss mit seinen mannigfachen Windungen, die von unzähligen Booten und Dschunken, alle voll von Menschen und Leben, wie übersät war. Am Ufer befand sich ein Grab, ohne Zweifel von einem Mandarin. Der Entwurf von einigen dieser Gräber ist wirklich hübsch und sinnvoll. Dieses wird vorne von zwei steinernen Löwen bewacht, das Monument selbst ist in Form eines Bogens, der jedoch vor Alter im Zerfallen und ganz grün überzogen war. Rings um das Grab waren Trauerweiden gepflanzt, die bei jedem Luftzug ihre Zweige wehmütig über dem Dahingeschiedenen neigten. Viele größere und kleinere Monumente lagen und standen in dem Räume zerstreut umher, einige noch erhalten, andere zertrümmert. Auf eins derselben setzten wir uns, freuten uns miteinander an dem Lande und seinen Einwohnern und kamen zu immer vorteilhafteren Schlüssen über beide. Je mehr ich davon sehe, desto mehr muss ich China lieben, und mein Herz schlägt bereits warm für dieses Volk, insbesondere aber für die Kinder.

Nun ging es wieder zurück in unser Boot, auf dessen Vorderteil wir uns zusammendrängten, damit uns nichts entging von allem, was schön und bedeutsam war. Ein langer steinerner Wall teilte einen schönen See, der sich so weit ausbreitete, wie das Auge vom Flusse aus reichte. Gerade als wir unser größeres Boot einholten, gewahrten wir auch Soochow und seine Umgebung und hatten einen vollständigen Anblick auf seine stolze Pagode und die lieblichen Berge, die wir nun bald ersteigen sollten. Nicht lange mehr, so sahen wir die Mauer der Stadt, von deren Anblick ich angenehm überrascht wurde. Ich hatte sie mir alt und zerfallen gedacht wie in Schanghai, und wie groß war mein Erstaunen, als sie hoch und gut gebaut vor uns lag und sehr reinlich aussah, da, wo sie nicht mit Grün und Schlingpflanzen überwachsen war. Sie hat fünf Stunden im Umfange. Wir verweilten vorerst am nördlichen Eingang, da wir fürchteten, es würde nicht ohne Störung abgehen, wenn wir geraden Weges durch die Stadt gingen. Welch ein wunderbarer Gedanke war es, fast zwei Millionen Seelen nahe zu sein, die noch nie den Namen Jesu Christi gehört hatten. Zwei Millionen! - Zwei Drittel der Bevölkerung von ganz Schottland! Siehe dort die Kirchen und Geistlichen und hier diese unermessliche Bevölkerung ohne Lehrer, ohne geistliche Führer. O möchte man in der Heimat die Wirklichkeit dieses Zustandes zu Herzen nehmen. Es ist doch etwas ganz anderes, dies in einer Missionsstunde erzählen zu hören und es an Ort und Stelle vor Augen zu sehen. Ich glaube, dass, wenn Christen aus Britannien nach verschiedenen Gegenden Chinas versetzt würden, selbst solche, die da glauben, ganz genau die Missionsarbeit zu übersehen und zu beurteilen, schaudern würden, wenn sie diese Tausende und Zehntausende sähen, die da Gott suchen in ihren Religionsübungen, ohne ihn zu finden, und die anbeten "sie wissen nicht was". Ich glaube, sie würden alles aufbieten, die frömmsten Männer auf das Missionsfeld schicken zu können. Welch ein ergreifender Gedanke war es, als unser kleines Boot so an den langen, steinernen Mauern dahinglitt und zwei Jünger trug, die diesen armen Chinesen zuerst eines Erlösers Liebe verkündigen sollten! Wie klein neben dieser äußern Macht! Und doch werden, wenn Gottes Stunde schlägt, anstatt Tempel des Buddha hier schöne Kirchen ihr Haupt erheben und unter diesen schönen Bäumen friedliche Pfarrhäuser die gottgewollte Stätte finden. Dann werden auch hier am Sabbat die Kirchen mit Scharen derer gefüllt sein, deren Herzen zu dem einigen Herrn, unserem Gott, bekehrt sind.

Wir fingen an, die Aufmerksamkeit der Leute auf uns zu ziehen, und Edkins hielt es für das beste, dass Mrs. John und ich in der Kabine blieben. Halb widerstrebend gehorchte ich, aber wie froh war ich, dass ich es tat. Welch ein gemischter Haufen Volks sammelte sich nach und nach am Ufer an, um uns anzugaffen. Zu fünfzigen, hunderten standen sie zusammen und redeten durcheinander, doch ganz friedlich. Wir warteten, bis der Lärm allmählich verstummte und es uns in der Kabine zu eng wurde, dann steuerten wir eine Stunde weiter an eine ruhige Stelle. Wir erreichten unser Ziel gegen fünf Uhr nachmittags und stiegen auf der Stelle aus, um den wunderschönen, mit Tempeln übersäten und mit einer stolzen Pagode geschmückten Berg zu ersteigen, an dessen Fuß wir landeten. Wir sahen, dass der Weg sich fast rund herum wand, und wir gingen mehrmals unmittelbar am Ufer und dann wieder unter schattigen Bäumen, verschlungenen Farnkräutern und schönen Sonnenblumen. Als wir an einem hübschen Garten vorbeigingen, überredete ich meinen Mann einzutreten. Alle Sträucher und Pflanzen standen in Blumentöpfen. Es waren viel herrliche Blumen da in reicher Abwechslung. Die blühende Staude zur Würze des Tees war die vorherrschende Pflanze im Garten; sie hat eine liebliche, weiße, hängende Blüte. Nachdem wir den Garten verlassen, gingen wir eilig bis auf die Höhe des Berges. Doch hatten wir vorerst noch über einen Fluss zu setzen. Ein alter Fährmann ließ sich bereit finden, uns überzusetzen. Als wir die andere Seite gewonnen hatten, stiegen wir einige Stufen hinan und gelangten über eine sehr niedliche, grün bemooste Brücke an das äußere Tor des ersten Tempels. Wir traten ein. Gerade vor uns in einer Art Schrein, jedoch im Freien, stand ein Bild. Dann klommen wir eine endlos lange Treppe hinauf, die uns in den Tempel führte, der ein schöner, großer Raum ist und dessen Dach auf reich geschnitzten und vergoldeten Balken ruht.

Eine ungeheure Messingstatue nahm die Mitte des Raumes ein. Auf jeder Seite standen sechs vollständig bekleidete Bildsäulen, einige in militärischer Uniform von rotem Tuch mit Goldborden und Stickereien. Es war ein wunderlicher Anblick! - Vor der mittleren Statue befand sich der Altar, auf dem drei Weihrauchpfannen brannten, und zur Seite ebenfalls zwei ungeheure Wachslichter, wohl sechs Fuß hoch. Das Tageslicht war ganz ausgeschlossen, kein Lichtstrahl drang herein, und so war der Widerschein der Lichter auf dem Messingkoloss, vor dem sie brannten, von ganz eigentümlicher Wirkung. Die Bilder zu beiden Seiten standen auf einer erhöhten Plattform. Viele Leute gingen aus und ein, und zwar durch diesen Raum in andere Gemächer oder Räume, doch folgten wir ihnen nicht. Durch Nachfragen erfuhren wir, dass das Hauptbild der Gott des Krieges war, und dass an diesem Tage seine Siege gefeiert wurden. Wir gingen hinaus und erreichten auf einem schmalen Fußpfade endlich den Berg, der sich aus der Ferne an einem schönen Sommerabend eigentümlich ausnimmt. Vom Fuß bis zur Spitze ist er mit Tempeln bedeckt, was reizend und malerisch aussieht. Ihre mit schwarzen Ziegeln gedeckten Dächer sehen allenthalben aus den Bäumen hervor, überragt von sonderbar geformten Felszacken. Wir klommen nun auf den ersehnten Berg hinan und eilten ängstlich voran, stets sagend: "excelsior" (höher hinauf!), aber es wollte nicht gehen, - meine Kräfte reichten nicht hin, und ich musste mich zufrieden geben, die halbe Höhe erreicht zu haben. Edkins und Mr. John waren schon hier gewesen, so tat es ihnen weniger leid, aber es war betrübend; doch hatten wir von der Stelle, bis wohin wir gekommen waren, eine weite Aussicht. Es fing an zu dämmern, und so gingen wir hinab, und als wir unser Boot erreichten, war es fast dunkel. Wir tranken Tee, und während ich hier saß, um unsre Erlebnisse niederzuschreiben, hörten wir plötzlich ein gewaltiges Geklingel, Geschrei und Geschwätz. Wir sahen hinaus, um die Ursache zu entdecken, und erblickten eine Drachenprozession, die vorbeizog. Zuerst kamen bunte, an hohen Stangen befestigte Laternen, dann gellende Glocken und endlich ein ungeheurer papierner Drache, hoch über den Köpfen seiner Träger schwebend, und durch eine Menge kleiner Lichter inwendig erleuchtet. Es sah wunderlich aus, das vielfarbige Papier warf ein sonderbares Licht auf alles; Haufen Volkes begleiteten den Zug und zogen schreiend an uns vorüber. Es war ein milder, ruhiger Abend. Wir haben nicht das liebliche Zwielicht hier, das in Schottland so schön ist, doch ist der Abend sehr schön, besonders ehe der Mond hervortritt. An diesem Abend war es ganz besonders schön, es war etwas so Reines und Süßes in der ganzen Luft. Die tiefen Schatten spielten mit den Wellen, und wir erkannten deutlich den Widerschein unseres Bootes. Die Bäume am Ufer standen ernst und wehmutsvoll, ihre frischen, grünen Blätter färbten sich immer dunkler, und glänzende Leuchtkäfer in seltener Schönheit spielten Verstecken in ihren Zweigen. Ein Gefühl feierlicher Stille erfüllte meine ganze Seele, bis der Mond aufging und einen Hauch von Leben über die ganze Szene ergoß. "China ist schön" möchte ich ans Ende jeder Seite schreiben, so lieb hab ich "das blühende Land". Es ist in Wahrheit ein blühendes Land! Ich bin oft gerührt und erfreut über die allgemeine Liebe der Chinesen zu den Blumen und finde, es ist ein beachtenswerter Zug in ihrem Charakter. Wie oft sah ich in einem ärmlichen Hause, welches traurig und wüst dastand, dessen Einwohner schmutzig und krank aussahen, an den zerbrochenen Fenstern eine Anzahl Blumen in Töpfen, deren Blütenpracht Kensingtons Gärten geschmückt hätten, - und in mancher ärmlichen Dschunke, wo alles schmutzig und abstoßend scheint, so dass man nichts Liebliches darin vermuten sollte, ragt zwischen Bündeln und Lumpen und altem Geräte eine schöne Blume hervor. Doch nie sah ich dies, ohne auch eine Frauengestalt wahrzunehmen, welches mir deutlich zeigte, durch wen sie dorthin kam.

Am Sonntag regnete es. Nach kurzer Beratung beschlossen wir, nach Soochow zu gehen. Wir ankerten an der Westküste. Der Lehrer brachte uns drei Neubekehrte und einen die Wahrheit suchenden Chinesen, und Mr. John und Edkins sprachen mehrere Stunden ganz allein mit ihnen. Der eine nach Wahrheit Suchende verlangte sehnsuchtsvoll nach der Taufe, und die andern baten so dringend für ihn, dass sie (John und Edkins) einwilligten, ihn zu taufen. Frau John und ich wünschten sehr, gegenwärtig sein zu dürfen, und so geschah die heilige Handlung in unserer Gegenwart. Tiefe Stille herrschte in der kleinen Kabine, als mein Mann nach der Taufe ein inbrünstiges Gebet für ihn sprach. O möge, was hier vorging, im Himmel eingeschrieben sein! Möge er in den vielen, vielen Versuchungen bewahrt bleiben, die nun seiner harren! Es war eine ergreifende Stunde, und unsre Herzen voll von Hoffnung für China! Es sind solche Augenblicke, wo man eine Frucht seiner Arbeit sieht, eine unendliche Freude für einen Missionar. Gegen Abend predigten die beiden Männer in der Stadt, und Mrs. John und ich machten einen einsamen Spaziergang. Den folgenden Tag gingen wir, um die Höhen zu ersteigen, und ließen uns in Berg-Sänften auf den höchsten Gipfel tragen. Solch eine wundervolle Aussicht, wie dort unsrer harrte, habe ich in langer Zeit nicht genossen, aber die Zeit fehlt mir zu näherer Beschreibung. Am Dienstag kehrten wir unser Boot der Heimat zu, sagten Soochow Lebewohl und sind fröhlich und gesund wieder hier.

Den 31. Januar 1860

BRIEF AN DEN VATER

Heute, Dienstag, den 31. Januar, verließen wir Schanghai um 3 Uhr. Als der Sampan an dem Boote anhielt, das uns aufnehmen sollte, empfingen uns bereits die Herren John und Cox mit freundlichem Willkommen. Ein helles Feuer brannte behaglich in dem Ofen der Kajüte. Zwei Strohstühle und zwei Baumstämme, an jeder Seite des Feuers, waren unsere Sitze. Zwei kleine Ruhebetten an beiden Seiten der Kajüte und ein schmaler Tisch in der Mitte ist das Ameublement. Dem Ofen gerade gegenüber ist die Tür zu einem noch kleineren Gemach, der Schlafstätte von Herrn John und Herrn Cox. Wir haben zwei Fenster an jeder Seite der Kajüte, ungefähr einen Fuß groß ein jedes und auswärts mit braunem durchsichtigem Zeuge bedeckt. Ein leichter Wind führte uns schnell dahin. Unsere Segel waren aufgezogen, und bei dem frischen Wind erreichten wir, indem wir in der Stunde acht Seemeilen machten, rasch den Hwanghoo. Wir hatten eine wundervolle Aussicht aus den Fenstern auf all die Schiffe, Boote und Dschunken, als wir den Fluss aufwärts fuhren, und Schanghai sah aus der Ferne schön und anmutig aus. Aber der kalte Wind blies heftig, und wir mussten sowohl Fenster wie Verdeck verlassen. Es ward Licht angesteckt, die Ofentür ward aufgemacht, und wir tranken Tee, - diese liebste und geselligste aller Mahlzeiten. Nach dem Tee setzten wir uns dicht um das Feuer und verlebten so einen der schönsten Abende, dessen ich mich erinnere, seit ich die Heimat verließ. Nachdem wir uns anfangs über Poesie unterhalten hatten, sprachen wir dann weiter über unsere Arbeit als Missionare, und unsere Herzen taten sich gegenseitig auf, als wir so redeten. Wir waren alle tief ergriffen von unsern großen Pflichten und fühlten, wo allein unsere Kraft liegt, und unsere Herzen wurden hinaufgezogen zu unserem Vater im Himmel, als wir so sprachen, und die Erde mit ihrem bunten Gemisch von Freude und Leid schien zu entschwinden, und unsre Seelen wurden erfrischt und gestärkt. Die Erinnerung an diese herrliche Unterhaltung wird noch lange im Innersten meines Herzens nachklingen.

Mittwoch, den 1. Februar

Eine warme Frühlingssonne schien auf uns herab. Ich lag wachend und sah die tanzenden Schatten, wie sie spielten, bald hier, bald da. Es ist etwas so wunderbar Reines und Schönes in den ersten goldnen Sonnenstrahlen, besonders wenn sie in eine kleine Schiffskoje fallen. Ich war früh auf, wie immer, und hatte Feuer gemacht, ehe die Herren aus ihrem Schlafe erwachten. Ein entgegengesetzter Wind und Strömung hielten uns diesen Morgen sehr auf. Wir aßen früh und gingen ans Land. Eine hübsche kleine Pagode lag dicht vor uns, und dahin lenkten wir unsere Schritte. Erst als wir nahe kamen, bemerkten wir, dass sie auf einer kleinen Insel lag, und wir mussten eine lange schmale Brücke passieren, die aus zwei schmalen Brettern bestand und kein Geländer hatte. Es sah fast gefährlich aus, aber mit etwas Beistand kamen wir alle glücklich hinüber und nahmen den Tempel in Augenschein. Er war Buddha geweiht, der in der Mitte thronte. Achtzehn Figuren waren rund um ihn zu beiden Seiten aufgestellt, die meisten in indischem Kostüm und alle, mit dem Ausdruck gewaltsamer Erwartung, die Augen auf Buddha gerichtet oder in Ekstase verdreht. Der Priester war ein kleiner, geschwätziger Mann. Sein Name übersetzt heißt "See der Wünsche". Er sprach schnell und viel mit Edkins. Wir gingen dann durch einen schmalen Weg hinter der Pagode auf den Hügel. Die Stufen, die hinaufführten, waren schmal, steil und fast völlig zerbrochen, so dass es eine Art Hand- und Fuß-Manöver war, hinaufzusteigen. Jedoch der Gipfel war erreicht, und die Aussicht belohnte uns. Soweit das Auge reichen konnte, war Sumpf von Wasser unterbrochen und umgeben. Auf der andern Seite lagen die Berge von Soungkong grün und freundlich. Sie sind nicht besonders hoch, diese Berge, aber tun unendlich wohl nach dem ermüdenden Anblick der Ebene von Schanghai. Die Sonne schien warm auf die baumlosen Ufer des Flusses und auf das Eis, das hie und da weiß glänzend den Boden bedeckte. Es hatte sich inzwischen eine Anzahl Menschen versammelt, und Edkins und Mr. John redeten zu ihnen, während ich mit Mr. Cox rund um die kleine Insel ging, schwatzend und alle kleinen Pflanzen, die mir merkwürdig waren, aufsuchend. Endlich kamen Edkins und Mr. John zurück, und wir machten noch einen erquicklichen Spaziergang auf unserm Heimwege zum Boote. Es ward hier ein Versuch gemacht, unser schwer beladenes Boot zu erleichtern, und wir stießen ab, doch bald hörten wir die Anker fallen, und wir blieben für die Nacht liegen. Am Abend saßen wir wieder rund um unser Ofenfeuer und lasen Tennysons "Prinzessin" vor. Es befriedigte uns nicht, und wir fühlten uns enttäuscht nach so viel schöner Lektüre, obwohl sie zuweilen schöne Stellen enthält. Doch Tennyson ist kein Dichter nach meinem Herzen.

Donnerstag

Diesen Morgen hatten wir einen wenig schönen Teil des Flusses zu passieren und wurden dazu durch entgegenkommenden Wind festgehalten. Die drei Herren waren fast den ganzen Tag am Lande, um zu predigen. Gegen Abend machten wir alle einen kurzen Spaziergang und hatten dann wieder unsre schöne Abendstunde am offenen Ofen.

Freitag morgen

Suzhou - Venedig des Ostens aus WikipediaHeut früh lag unser Boot an der westlichen Seite von Soochow - dieses chinesischen Venedigs - vor Anker. Nachdem wir gefrühstückt, gingen die Herren ans Land und in die Stadt. Ich fürchtete einen Auflauf der Leute, wenn ich mitging, und blieb deshalb im Schiffe. Aber sie kamen bald höchst ungehaltenen Angesichts zurück. Die Torwächter hatten ihnen sehr höflich den Eingang verweigert. Sie erwarteten dies allerdings halb und halb, da es Mr. Muirhead und mehreren andern während der letzten Monate ebenso gegangen war. Sie sandten deshalb Nachricht zu den Leuten, dass sie in den Vorstädten predigen würden, und ehe die Dämmerung eintrat, nahmen wir ein Boot und fuhren nach Houchew. Das Boot, darin wir uns augenblicklich befinden, ist sehr klein, jedoch ist die sehr enge, zweifenstrige Kajüte reinlich und nett. Wir ruderten wohl an dem belebtesten Teile Soochows vorüber. Der Fluss war besät mit Booten und Dschunken und mit Mandarinen-Booten mit ihrer schönen Bedachung. Allenthalben umgab uns das Gesumse von Stimmen, das Geklingel der Bootsmänner und das Geräusch der Ruderer. Lange ehe wir Houchew erreichten, war die Sonne untergegangen und der Mond voll und ruhig langsam an dem tiefblauen Himmel aufgestiegen. Endlich stiegen wir bei einer kleinen Werft ans Land, fast unmittelbar neben der Pagode, die in ihrer altertümlichen, ernsten Schönheit vor uns stand. Wir klommen eine felsige, steile Anhöhe hinauf und kamen dann über mit Moos und Grün wildbewachsene Felsstücke hinweg auf einen schönen Fußpfad. Dann gingen wir durch eine Art Torweg in die Anlagen, die wirklich schön sind: hohe Felsmassen durch kleine Brücken verbunden, die hie und da auf einen hervorstehenden Vorsprung oder zu einer in den Fels gehauenen, mit Grün bekleideten Höhle führten. Eine Reihe breiter Stufen führte uns dann zu dem Tempel, durch welchen wir hindurchgingen und nun vor der Pagode standen, die im klarsten, bezauberndsten Mondlicht mit all ihren wunderlichen Ecken und Schnörkeln malerisch vor uns lag. Der milde, etwas bezogene Himmel bildete einen schönen Hintergrund, und unsre Herzen schlugen ordentlich vor Bewegung über die wunderbare Schönheit, die uns umgab. In der Ferne die duftigen Berge von Soochow, deren Gipfel hier sichtbar, dort in Schatten gehüllt waren, wie es die Streiflichter des Mondscheins erlaubten, dann die weite Ebene, der Strom mit seinen mannigfaltigen Windungen, der doppelt schön in einer fast zauberartigen Beleuchtung erschien, und über dem allem ein leichter Nebel hingegossen, der den ganzen Anblick noch verschönerte. Hie und da erhoben sich dunkle Oliven- oder die immer grünen Fichtenwälder, und das Sternenlicht glänzte aus mancher Wohnung in der Ebene zurück, oben der blaue Himmel mit seinen Sternen. Kann man wohl etwas Schöneres sehen? so fragte es in aller Herzen, als wir Viere auf dem reizenden Hügel standen und in stummer Bewunderung diese Schönheit einatmeten. Wenn die Seele so ganz hingenommen ist von der Herrlichkeit der Natur in der feierlichen Stille der Nacht, so überkommt sie eine Wonne, die kein Wort ausdrücken kann. Zögernd gingen wir abwärts zurück durch den Tempel. Mancher Blick ward rückwärts geworfen, als wir zum Boote zurückkehrten. Wir waren alle so dankbar und gehoben durch das Herrliche, was wir gesehen hatten. Wir ruderten rasch zurück und sprachen auf dem Heimwege von der Heimat und dem nahen Jahrestage unserer Hochzeit. Es war wohl acht Uhr, als wir unser Boot wieder erreichten, wo uns der Tee erwartete und der eingeborene Lehrer, der mit uns trank, ein eingehendes Gespräch mit Edkins und Mr. John hatte.

Sonnabend

Da Herr Cox so begierig war, vor unserer Abreise die Berge zu besuchen, so mieteten wir ein kleines Boot und fuhren nach dem Frühstück fort, nachdem die Einrichtungen mit dem Lehrer getroffen waren. Es war ein etwas regnerischer Morgen, aber die Luft war reizend. Langsam wurden wir gerudert, abwechselnd von einem Mann und einer Frau. Die Gegend war prachtvoll. Manch schönen Blick hatten wir durch die alten, in Bogen gebauten Brücken und die wechselnde Gegend, die schöne Unterhaltung, die wir führten, und hinter uns die heiseren, durch die Kehle kommenden Töne und Ausrufungen der Familiengruppe unserer Ruderer. - Alles miteinander gab ebensoviel Stoff zu wirklicher Freude wie zur Heiterkeit. In China leben ganze Familien zusammen in einem ganz kleinen Boot, kochen, essen und leben in sechs Quadratfuß Raum. Als wir den Bergen näher kamen, legten wir in einer kleinen Bucht an, wo wir uns von allen Seiten von Bergen umgeben fanden. Mein Herz sprang vor Freude, wenn ich hinaufblickte. In einigen Minuten hatten wir den Landungspunkt erreicht. Aber es regnete immerzu, ein feiner, durchdringender Regen - schottischer Nebel, wie die Herren behaupteten, - durchdrang alles. Ich hüllte mich fest in ein warmes Plaid und setzte mich in einen Tragstuhl, und dann ging es, auf den Schultern getragen, den Berg hinan. Der Weg war außerordentlich gut, ein Kiesweg mit steinernen Stufen hin und wieder. Die Herren gingen rasch voran. Einer von ihnen hielt mir dann und wann einen Regenschirm über, was ich jedoch jedes Mal ablehnte, da es mir immer halb die Aussicht nahm, und die war entzückend. Bei dem ersten Haltepunkt sahen wir auf einen Kirchhof nieder, nicht etwa vernachlässigt und traurig und verkommen, sondern ganz regelmäßig und so gut gepflegt wie manche unserer heimischen Kirchhöfe, aber in der vollen Üppigkeit und reichen Fülle einer herrlichen Natur. Obwohl eben der Januar erst vorüber, so blühten die Sträucher, und die Bäume neigten ihr reiches, frisches Grün über die Gräber; das lange braune Gras zog Wellen darüber hin und verbarg zum Teil die schmalen Grabsteine, die hie und da zum Vorschein kamen. Er war in einer schönen Höhlung oder Spalte des Gebirges gelegen, von steilen Anhöhen geschützt, die mit reichem Baumwuchs gekrönt waren. Es geht oft ein Gefühl der Öde durch die Seele beim Anblick der Ruhestätten der Abgeschiedenen,  aber hier war das Gegenteil.  Die Lage, die ganz eigentümliche Schönheit dieser Stelle, der sanft fließende Strom zu Füßen und der alte Tempel und die Pagode zu Häupten auf dem Gipfel des Berges, alles nahm die Düsterkeit der Grabstätte so ganz hinweg, obwohl eine tiefe Pein durch das Herz zog bei der Frage: "Wo sind diese wohl jetzt?" Als wir vorschritten, ward der Weg sehr steil, und die Höhen gestalteten sich zu abschüssigen Granitfelsen, deren Gipfel meist bewachsen waren. Ab und zu kamen wir an kleine, grün bewachsene Einsiedeleien.  Als wir den Gipfel erreichten,  regnete es so dicht und so fein, dass die Aussicht dadurch sehr gehindert ward, wir hatten trotzdem eine, wenn auch sehr begrenzte, so doch schöne Aussicht. Der Yai ho-See lag zu unsern Füßen ausgebreitet, ein schönes, großes Wasser mit vielen kleinen Inseln. Bergketten begrenzen ihn von allen Seiten und verleihen ihm einen besonders malerischen Charakter. Ach, ich war so glücklich, mich einmal auf wirklich hohen Bergen zu fühlen. Dann gingen wir in den Tempel, wo wir den Priester antrafen, der uns die verschiedenen Räume zeigte. Es waren viele und große Götzen da, denen ähnlich, die ich Euch schon oft beschrieben habe. Der Priester wünschte eine Gabe für den einen oder andern Gott, was wir natürlich abschlagen mussten. Dann stiegen wir sehr rasch bergab und waren bald wieder in unserm kleinen Boote. Unser eigentliches Boot erreichten wir gegen sechs Uhr, wo wir zugleich zu Mittag aßen, Tee tranken und unsere Abendmahlzeit einnahmen, und dann kamen die zwei eingeborenen Lehrer, mit denen Edkins und Mr. John lange zu reden hatten.

Sonntag morgen

Der Tag war schön, und die Lehrer kamen mit den Getauften um zehn Uhr in unser Boot und blieben bis ein Uhr. Der Gottesdienst war sehr interessant für mich. Ich folgte manchem völlig und konnte mit Hilfe meiner englischen Bibel Vers für Vers mitlesen. Einige von ihnen beteten sehr schön, und wir alle sangen einige unserer lieblichen Lieder, die ins Chinesische übersetzt sind. Nachdem sie uns verließen, gingen die drei Missionare fort, um in den Vorstädten zu predigen bis etwa halb fünf Uhr, wo die getauften Eingeborenen noch einmal kamen bis um sieben Uhr abends. Es war ein reizender, segenbringender Tag. Nach dem Tee machten wir einen Spaziergang an der Stadtmauer entlang, es war ein schöner Mondschein-Abend. Wo wir gingen, hatten wir die wohl einige vierzig Fuß hohe Mauer zu einer Seite, den Strom zur andern, und es war hell genug, um die kleinen, mit Händen und Füßen rudernden Kähne zu erkennen, wie sie so eilig dahinglitten. Wir unterhielten uns viel über China und die Arbeit der Mission. Am nächsten Montag früh gingen alle drei Herren, um etwas zur Erinnerung an Soochow zu kaufen; sie kamen um elf Uhr zurück, und Herr John brachte mir ein hübsches Pelzwerk und Edkins mehrere kleine Geschenke zu unserm Hochzeitstage, der morgen ist. Ich war sehr erstaunt, jeden von ihnen mit einem jungen Fasanen und wilden Enten beladen zu sehen. Sie hatten dieselben zur Feier des morgigen Tages gekauft und eine Stunde weit getragen. Um zwölf Uhr mittags zogen wir die Anker auf und wandten uns der jetzigen Heimat zu.

Dienstag, den 7. Februar

Heute ist der Jahrestag unserer Hochzeit. Edkins und ich wurden sehr freundlich beglückwünscht beim Frühstück. Unser großes Diner ging um vier Uhr vor sich, gerade als wir vor Soungkong vor Anker gingen. Danach gingen wir ans Land, besuchten Yien, den Lehrer, und baten ihn, rasch zu uns ins Schiff zu kommen. Am Abend, als wir ums Feuer saßen, wandten sich alle unsre Gedanken der fernen Heimat zu, und die Erinnerungen der bewegten Tage des vorigen Jahres in Stromness erfüllten unsre Herzen ganz. Ach, wie standet Ihr alle, Du und Mama und Maggie, so lebendig vor meinem Geiste, so dass ich sehnsüchtig auf die glücklichen Stunden  dieser Unterhaltung zurücksehe. Am folgenden Morgen hatten wir einen schönen, erhebenden Gottesdienst in Yiens Hause. Es waren vierzig bekehrte Eingeborene anwesend. Edkins hielt eine Ansprache und taufte zwei, ein dritter ist jetzt im Unterricht. Yien bestand darauf, wir sollten bei ihm essen, so aßen wir bei ihm zu Mittag. Früchte, Fische, Fasanen, Hühner und Eier kamen auf einmal auf den Tisch, und jeder bekam ein Schüsselchen mit Reis und schwarze Essstäbchen. Die Herren griffen tüchtig zu, ich weniger. Dann sagten wir ihnen allen Lebewohl, aber manche der Getauften wollten gerne noch aufs Schiff kommen, um uns noch einmal zu sehen. Ich hörte hier aus einem Briefe der Mrs. John an ihren Mann, dass drei Briefe für uns da seien, - O wie verlangte ich da zurück! Wir segelten ab und kamen den andern Morgen um sieben Uhr nach Schanghai, wo ich die fröhliche Kunde der Nachrichten aus der Heimat tatsächlich auf dem Tisch im Wohnzimmer fand.

Lebt innigst wohl. Eure treu ergebene Jeanie


Alexander Merensky

Als Alexander Merensky im Jahre 1837 geboren wurde, war das Innere Afrikas zum größten Teil noch gar nicht entdeckt. Als er 1918 starb, war der Erdteil restlos aufgeteilt und in die europäische Kolonialwirtschaft und damit in die Weltpolitik und Weltwirtschaft einbezogen. Seine Lebenszeit umspannt also diese ganze entscheidende Epoche in der Geschichte Afrikas. Er erlebte die gewaltigen Umwälzungen, die diese Entwicklung für die afrikanischen Völker zur Folge hatte, und er hat an der Lösung vieler Probleme, die sich daraus ergaben, selbst aktiven Anteil genommen.

Merensky stammte aus einem schlesischen Forsthaus. Der Wunsch des Knaben, Offizier zu werden, ging nicht in Erfüllung, da sein Vater frühzeitig starb. Im Waisenhaus entschloss er sich zum Missionsberuf. 1859 wurde er nach Südafrika entsandt und hat hier dreiundzwanzig Jahre im Dienst der Berliner Mission gearbeitet. Nach einem vergeblichen Versuch, im Swasiland eine Station zu errichten, ließ er sich im Lande des Herrschers Sekukuni in Osttransvaal nieder. Es gelang ihm hier, Fuß zu fassen, aber schon nach kurzer Zeit wurde er mit seiner kleinen Gemeinde von Sekukuni vertrieben. Dies wurde der Anlaß zur Gründung von Botschabelo, das heißt Zufluchtstätte, einer Missionssiedlung von höchst eigenartiger Prägung, über deren Entstehen er in seinem Buch "Erinnerungen aus dem Missionsleben in Südost-Afrika 1851 bis 1882" ausführlich berichtet. In den krisenreichen Jahren bis zur ersten Annexion Transvaals durch die Engländer hat er Botschabelo aus kleinsten Anfängen zum Zentrum der Berliner Missionsarbeit in Transvaal ausgebaut und gegen alle Gefahren zu sichern gewusst.

Als nach der Erwerbung Ostafrikas durch Deutschland die Berliner Mission ihre Arbeit auch dorthin ausdehnen wollte, beauftragte sie 1891 Merensky mit der Leitung der Expedition, die im Kondeland am Njassasee die Grundlagen hierfür schaffen sollte. Merensky war eine ungewöhnlich starke und vielseitige Persönlichkeit. Neben seiner eigentlichen missionarischen Arbeit hat er noch eine umfangreiche wissenschaftliche und literarische Tätigkeit entfaltet. Mit dem Postmeister der Transvaalrepublik Fr. Jeppe schuf er die ersten zuverlässigen Landkarten von Transvaal.

In der Geschichte Südafrikas hat es nicht an Versuchen gefehlt, die missionarische Verkündigung mit politischen und wirtschaftlichen Tendenzen zu verquicken. Demgegenüber gehört Merensky zu den unbedingten und radikalen Vorkämpfern für die Menschenrechte der Eingeborenen, die er wohl zur Arbeit erziehen, aber gegen jede Ausbeutung durch die europäische Kolonialwirtschaft schützen wollte.

Eine Untersuchungsreise in Transvaal

Alexander Merensky: Erinnerungen aus dem Missionsleben in Südostafrika (Transvaal) 1859 - 1882. Bielefeld und Leipzig, Verlag Velhagen und Klasing 1888.

In Berlin hatte man unsere Schritte und die Anfänge unserer Arbeit nicht nur mit dem allergrößten Interesse verfolgt, sondern hatte unser Tun auch vollständig gutgeheißen und war in treuester Fürsorge darauf bedacht, die junge Transvaalmission zu unterstützen, damit sie sich weiterentwickeln könne. Man wollte aber früher gehegte Pläne, welche ein weiteres Vordringen nach Norden, sozusagen ein Überspringen Transvaals, ins Auge gefasst hatten, noch nicht ganz fallen lassen. Es herrschte damals die Meinung, dass das Drakensgebirge sich in ununterbrochener Kette nach Norden fortsetze; denn es war noch unbekannt, dass dieser gewaltige Bergzug im nördlichen Transvaal sich gegen den Limpopo hin verliert und dann erst weiter nach Norden sich in einzelnen Bergketten aus dem ungesunden, ebenen Tieflande wieder erhebt. Gern erfassten wir den Gedanken, den unser väterlicher Freund, Missionsinspektor Wallmann, zum öfteren brieflich aussprach, dass das Land und die Völker nach Norden hin erkundet werden müssten. Von der Stadt Sekukunis aus sahen wir, dass am nördlichen Ufer des Olifantsflusses sich ein Gebirge hinzog. Diese blauen Berge waren das Ende der bekannten Gebiete, was dahinter lag, war terra incognita; auf den besten Karten fand sich hier der bekannte weiße, leere Raum.

Und doch waren einige Berichte über die südlich vom Sambesi gelegenen Gebiete vorhanden, welche dem Wunsch, dorthin vorzudringen, immer wieder neue Nahrung gaben. Hier war das Land Monomotapa zu suchen, von dem alte portugiesische Berichte Wunderbares erzählten. Hier sollten sich in Simbaoe oder Simbabye, östlich von Sofala, wunderbare Ruinen finden, über welche de Barros im sechzehnten Jahrhundert von den Arabern in Sofala genaue Nachrichten erhielt. Gewaltige Mauern, aus behauenen Werkstücken ohne Kalk aufeinander geschichtet, sollten bezeugen, dass hier einst ein Kulturvolk gewohnt habe. Über dem Tor einer auf einem Felsenberge errichteten Feste hatten arabische Reisende eine Inschrift gesehen, die sie nicht hatten entziffern können. Ein Turm sollte dort stehen, siebzig Fuß hoch, und die Eingeborenen hielten damals diese Ruinen in hohen Ehren, es befand sich daselbst ein königliches Hoflager. Andere Berichte erwähnen, dass die Araber erzählten, nach ihrer Tradition, die durch Aufzeichnungen festen Halt habe, sei hier das Ophir Salomos zu suchen. Dass in historischer Zeit von Sofala aus durch Araber Gold exportiert worden ist, steht fest, und man kann wohl sagen, dass die Hypothese, dass hier das alte Goldland Salomos liegt, die allergrößte Wahrscheinlichkeit für sich hat und durch die Forschungen der Neuzeit immer mehr begründet wird.

Wir hatten bald nach unserer Ankunft in Transvaal versucht, von den Buren, welche in jenen Strichen alljährlich der Elefantenjagd nachgingen, etwas Zuverlässiges über Land und Leute zu erfahren, allein alles, was wir hörten, war unbedeutend. Nur wurden die früheren Nachrichten bestätigt, wonach sich östlich von Sofala im Innern ein gebirgiges Hochland erheben sollte. Außerdem berichteten manche von verwilderten Pflanzungen, die sich dort fänden, von Apfelsinengärten und Weinstockplantagen. Auch portugiesische und arabische Berichte bezeugen, dass hier in früheren Jahrhunderten eine für Afrika hohe Kultur geherrscht hat. Hier blühte der Bergbau in solchem Maße, dass von Sofala aus ein beständiger Export von Waffen nach Indien stattfand. Von dieser höheren Kultur fanden sich überall noch Spuren, als das Land von den Portugiesen entdeckt wurde. Obwohl die Eingeborenen Monomotapas in den gewöhnlichen, aus Lehm, Holz und Gras hergestellten kleinen ostafrikanischen Häusern wohnten, so wird doch von ihnen berichtet, dass sie viele Reichtümer besaßen und sich in Seide und Baumwolle kleideten. Schiffe fand man in ihrem Besitz, welche die Kennzeichen hohen Altertums an sich trugen, die stark genug waren, der Gewalt der Stürme zu widerstehen. Sie waren mit Charakteren beschrieben, welche die Portugiesen nicht entziffern konnten. Von alledem war nach Berichten der Eingeborenen und Buren in jenen Ländern nichts mehr zu finden. Die Sklavenjagden der Portugiesen und später die Raubzüge der Sulu hatten dem alten Reiche Monomotapa schon längst ein Ende bereitet.

Als wir uns nach dem Vorhandensein der Ruinen erkundigten, fanden wir bald, dass fast alle Leute, die von Norden kamen, etwas davon wussten. Der eine erzählte von Höhlen, an deren Wänden Tiere und Menschen die Abdrücke ihrer Leiber, ihrer Arme und Beine zurückgelassen hätten, als die Felsen noch weich gewesen wären, ein anderer berichtete  von Figuren aus Stein, menschlichen und  anderen, welche lebendig aussähen und zu wandeln schienen, die aber doch feststünden; ja unter unseren Arbeitsleuten fand sich ein Mann, Malema mit Namen, welcher bei Gelegenheit einer Handelsreise die Ruinen selbst gesehen hatte. Nahe heran hatte er sich nicht gewagt, aus Furcht vor den an solchen Orten hausenden bösen Geistern. Die Banyai, welche jetzt das Land im Norden vom Limpopo bewohnen, wurden uns als unterdrücktes, nur noch in kümmerlichen Resten hie und da in den Bergen hausendes Volk geschildert.

Tsetsefliege aus WikipediaDiese unbekannte Welt zu erkunden, war keine leichte Aufgabe. Die Tsetsefliege, welche dort noch überall sich fand, hinderte das Vordringen mit dem Wagen. So weit als der Reisende in Südafrika den Wagen benutzen kann, hat er wenig auszustehen, sobald er den Wagen hinter sich lassen muss, beginnen die Schwierigkeiten. Nicht nur, dass er selbst Mühe hat, über Berg und Tal, durch Fluss und Morast vorwärts zu kommen, es fehlt ihm der Ort, wo er bei Tage und bei Nacht sicherer Ruhe pflegen kann, es fehlen ihm die Vorräte, die er im Wagen bequem mit sich führt. Wenn der Wagen durch eine Trägerkarawane ersetzt werden muss, wird die ganze Reise ungleich schwieriger. Eine Haufe von Trägern lässt sich nicht so leicht und sicher regieren wie ein Spann tüchtiger afrikanischer Ochsen, denn gewöhnlich bringt der Reisende nur einen Haufen Gesindels zu seinem Dienst zusammen. Wir waren ja in diesem Stück besser daran, waren so günstig wie möglich gestellt, denn wir nahmen neun treue Leute, Christen, Katechumenen und einige Heiden aus den Bapedi mit, welche sich auf der ganzen Reise musterhaft betrugen, die uns auch in keiner Gefahr im Stich ließen und je im Stich gelassen hätten. Allein mit den Trägern, welche unterwegs bald ergänzt und ersetzt werden mussten, da die Bapediträger sich nur auf einige Tagereisen weit vermietet hatten, sollten auch wir Not haben.

Wir beschränkten uns darauf, nur das Allernotwendigste mitzunehmen, und dies bestand für jeden von uns in einem Anzug zum Wechseln, in drei wollenen Schlafdecken, Medizinen und einigen Kleinigkeiten; dies alles war in Ledersäcken verpackt, welche nachts an Stelle von Matratzen als Unterlage dienen sollten. Das ganze Küchengerät und sämtliche Eßvorräte trug ein Mann. Letztere bestanden aus Kaffee, Tee, Zucker und etwas Reis. Eine Last Perlen und eine Last Kupferdraht sollten dazu dienen, Lebensmittel unterwegs zu kaufen, dazu kamen einige Traglasten Munition.

Nördlich vom Olifantsflusses passierten wir die Bapedistadt Machakal; an den dort regierenden Häuptling war eine Schwester Sekukunis verheiratet, welche uns freundlich aufnahm und verpflegte. Dann überstiegen wir den Gebirgskamm, einen Ausläufer der Drakensberge, und stiegen an dessen Nordostseite mit Staunen durch die ungeheuren Urwälder, welche sich hier an den Abhängen der steilen Berge hinziehen, in das ebene flache Barokkaland hinab. Solche Gebirgswälder finden sich hier bis fast nach dem Limpopo hin; es sind Wälder, welche, nach den Beschreibungen zu urteilen, den Wäldern am Kamerungebirge und am Kilimandscharo genau gleichen. Auch nach Süden hin finden sich solche Wälder an Gebirgsterrassen, welche nach der See hin abfallen, an denen sich deshalb die Dünste des Meeres häufiger zu Niederschlägen verdichten. Dicke, kerzengerade Stämme gewaltiger Bäume standen hier nebeneinander, von Schlingpflanzen umzogen und durch Schlinggewächse verbunden. Die meisten Bäume sind Gelbholzbäume (taxus elongata), aber es fehlt nicht an Stinkholz-, Eisenholz- und Mahagonibäumen; unter den Schlinggewächsen finden sich auch solche Arten, deren eingedickter Saft den Kautschuk gibt.

Unter dem Gebirge dehnt sich nach Osten hin ein ungeheures Tiefland aus, in welchem man von oben keinen Berg erkennen kann. Nur an den Abhängen des Gebirges war das Land damals dichter bewohnt. Makoapa und Barokka wohnen hier. Letztere sind den übrigen Transvaal-Bassuto nahe verwandt. Sie bauen der Natur ihres Landes gemäß einige mehr tropische Gewächse. Reis und echtes Zuckerrohr fanden wir bei ihnen. Man ließ uns auch nicht darben, sondern versorgte uns mit allerlei Speise, trotzdem fühlten wir uns auf ihren Dörfern nicht wohl, denn es herrschte in den Häusern und um die Häuser herum ein entsetzlicher Schmutz. Dies ist auffallend, da die Barokka sehr kunstfertig sind. Überall hörte man von Erzgewinnung, und bald sahen wir selbst die nicht hohen, aber geschickt angelegten Öfen, in denen die Leute Eisen und Kupfer schmelzen. Erzeugnisse ihrer Kunst in Form von Zierat und Pfeilspitzen, Beilen, Hacken, Speeren und schönen Streitäxten konnte man hier in Menge sehen und einhandeln, sie waren indes damit keineswegs billig.

Weiter nach Norden hin wussten die Barokka nicht Bescheid. Sie wiesen uns an einen in der Nähe wohnenden alten Knobneusen-Häuptling, bei dem wir uns infolgedessen einquartierten. Schmutz und Unreinlichkeit herrschten hier wie dort, allein der alte Häuptling interessierte uns nicht wenig. Er trug, wie seine alten Ratsleute, noch eine Reihe künstlerischer Warzen vom oberen Rande der Stirn bis zur Nasenspitze, um deren willen das Volk den Namen "Knopfnasen" erhalten hat. Das jüngere Geschlecht hatte auf diese Zierde bereits verzichtet. Die Männer gingen vollständig nackend, die Weiber trugen Röcke aus baumwollenem Zeuge. Obwohl diese Makoapa den Bapedi von Machakal unterworfen waren, machten sie doch auf unsere Leute einen so ungünstigen Eindruck, dass sich ihrer etliche Wache haltend vor die Tür des Hauses legten, in dem wir schliefen. Der alte Serobane war das leibhaftige Bild eines alten schwarzen Juden. Er konnte viel erzählen und erzählte manches. Seine Väter waren Fürsten und Könige gewesen, den Weißen gleich an Reichtum und Pracht der Kleider. Von der Küste sei er von den Sulu vertrieben, aber auch mit den Buren, bei denen er Schutz gesucht habe, hätte er sich nicht vertragen können. So sei er hierher gezogen. Erstaunt war er, als er hörte, dass wir die Ruinen von Simbabye suchten. Woher wir etwas von deren Vorhandensein wüssten, fragte er. Wir erklärten, dass unsere Bücher uns davon berichteten, und beschrieben das, was da geschildert war. Da sahen wir, dass er nur sehr ungern sich herbeiließ, uns Wegweiser zu geben. Was er fürchtete, ließ sich nicht erkennen. Die Bapedi in Machakal hatten uns gesagt, dass die Makoapa uns nicht nach dem Ruinenorte bringen würden, denn sie grüben dort nach Schätzen. Endlich wurde der alte Mann dadurch, dass wir ihm ein Gewehr schenkten, mild gestimmt und gab uns einen Wegweiser, einen Mann aus dem Banyailande, der Makeritsane hieß, unter dessen Führung es denn auch endlich weiterging.

Hätte Gott uns nicht wunderbar behütet, so wäre aber unsere Expedition gar bald zu einem schlimmen Ende gekommen. Wir betraten das Land der Königin Motyatye, deren Name weit und breit gefürchtet war, denn man hielt sie für die größte und stärkste Zauberin. Hatten doch die Bassuto die böse Lungenkrankheit, welche von Holland nach dem Kap und von dort überall hin verschleppt, ihr schönes, geliebtes Vieh hinraffte, nach dem Namen dieser Königin "Motyatye" genannt, weil diese allein so boshaft und stark sei, eine so furchtbare Krankheit zu verbreiten. Von den uns begleitenden Knopneusen wurden einige Male Bemerkungen fallen gelassen, dass das Volk Motyatyes uns töten würde, weil es mit den Weißen in Unfrieden lebte. Wir hofften, dass es uns gelingen werde, uns als die Missionare Sekukunis zu legitimieren; denn dass wir mit Gottes Hilfe sicher waren, wenn man als solche uns erkannte, stand uns fest, da Sekukuni nach dem erfolgreichen Kriegszug gegen Mochoete bei allen Nachbarstämmen sehr gefürchtet war. Freilich mussten wir annehmen, dass allerdings unter dem Volk, in dessen Gebiet wir eintraten, tiefer Hass gegen alle Weißen Wurzel gefasst habe. Im Winter des verflossenen Jahres hatte hier ein Haufen der Zoutpansberger Bauern schrecklich gehaust. Die Eingeborenen behaupteten, sie hätten bis dahin in Frieden mit ihren weißen Nachbarn gelebt und hätten deshalb von ihren Heerhaufen keinen Angriff erwartet, sondern hätten ruhig zugesehen, wie diese bei Motyatyes Stadt hätten Rast gemacht. Ochsen wären ihnen geschlachtet worden und Elfenbein hätte die Königin herbeitragen lassen, um dadurch ihre Unterwürfigkeit zu beweisen. Plötzlich seien sie von allen Seiten angegriffen worden, besonders die schwarzen Hilfsvölker der Buren hätten entsetzlich gehaust. Hunderte des Volks seien getötet worden, die Dörfer verbrannt und das Vieh geraubt.

Wir kamen an dem Abend, da wir unter diesem Volk das Lager aufschlagen mussten, in schwere Gefahr. Unsere Knopneusenführer wollten uns nicht in die Dörfer bringen, die in der Nähe sein sollten, die wir aber in der Dunkelheit nicht finden konnten. "Die Barokka werden mit uns Streit anfangen, wenn wir weißen Leuten die Lage ihrer Ortschaften anzeigen", so hieß es, und auch der Umstand deutete Schlimmes an, dass die verräterischen Makwamba am Abend nicht mit uns zusammen kampieren wollten, sondern sich eine Strecke weit von unserem Lagerplatz eigene Feuer anzündeten und dort, wo sie schlafen wollten, wüste, wilde Tänze mit Gesang oder vielmehr Gebrüll aufführten. Gott aber, in dessen Schutz wir uns befahlen, bewahrte uns im Dunkel der Nacht gegen drohende Gefahr. Als der Tag graute, erwachte ich. Wissend, dass ein Überfall jetzt nicht mehr zu fürchten sei, erstieg ich eine höher gelegene Stelle und bemerkte von hier, dass Leute, mit Pfeil und Bogen ausgerüstet, uns beobachtend umherschweiften, aber unsere Bapedi gingen mutig auf einige derselben zu, gaben an, woher wir kämen, und ließen sich zu dem Häuptling führen, der in der Nähe war. Bald kam er, von ihnen geleitet, mit einer Zahl seiner Männer. Diener trugen einige Töpfe mit Kafferbier herbei, ein sprechendes Zeichen guten Einvernehmens. Vor uns setzte der alte Mann sich freundlich nieder, klappte die Hände aneinander, grüßte und fragte: "Mein Vater, weshalb bist du gestern nicht in das Dorf gekommen, weshalb schläfst du draußen? Sekoati war der Vater Motyatyes, seine Lehrer sind unsere Freunde." Als wir erwiderten, dass wir ja nicht gewusst hätten, wo sein Dorf zu finden sei, und dass die Makwamba uns nicht hätten weiter führen wollen, wurde er erregt und erzählte, die Makwamba hätten ihm berichtet, dass hier weiße Leute lagerten. Er habe sogleich Anstalt gemacht, das Volk zusammenzurufen, damit der Überfall des vorigen Jahres gerächt werde. Da sei ein Mann aufgestanden und habe um Gehör gebeten. Sie hörten doch, hätte der gesagt, dass Leute Sekoatis bei den Weißen seien. Er wäre nach Sekoatis Tod in Sekukunis Lande gewesen. Die Leute Mapochs hätten seine Freunde, mit denen er nach der Kapkolonie auf Arbeit ziehen wollte, ermordet, nach seiner Rettung sei er müde und elend zu den Missionaren gekommen, die im Bapedilande wohnten, die hätten ihn freundlich aufgenommen und ihm gesagt, sie würden auch das Barokkaland einmal besuchen. Er rate zu warten. Wenn man die Missionare töte, würde Sekukuni sie gewiss schwer rächen, und Missionare würden überhaupt nicht getötet. Gott gab es, dass man diesem Manne Gehör gab, denn wenn auch wohl keiner unserer Bapedi uns feig im Stich gelassen hätte, wenn wir überfallen worden wären, so wäre doch im Dunkel der Nacht eine Verständigung und eine erfolgreiche Abwehr nicht denkbar gewesen.

Die Stadt Motyatyes konnten wir nicht besuchen. Gerüchte, dass die Pocken unter dem Volke herrschten, zwangen uns, den Weg nach Norden durch unbewohnte Gegenden zu nehmen. Die Pockenkrankheit ist von den Eingeborenen mit Recht überaus gefürchtet. Die Bapedi impfen mit Erfolg, und zwar impfen sie die Krankheit selbst ein; sie wählen als Impfungsort die Muskeln dicht oberhalb des Knies, aber da diese Prozedur gefährlich ist, indem manche der Geimpften sterben, so wird zum Impfen immer nur dann geschritten, wenn eine Epidemie bereits Einzug gehalten hat. So waren nicht alle unserer Leute geimpft, und alle fürchteten, dass solche angesteckt werden können. "Wenn einer von uns an diesem Übel erkrankt", sagten sie, "wird keiner von uns nach Hause zurückkehren dürfen; aus Furcht, dass wir die Krankheit einschleppen können, wird man uns wehren, unsere Heimat zu betreten." Wir konnten also dem Volke, unter dem wir als erste Missionare erschienen, damals im Vorüberziehen das Evangelium nicht predigen, sondern mussten jede nähere Berührung mit den Leuten ängstlich meiden und das Land verlassen.

Heute steht in der Nähe der Hauptstadt dieses Volkes unsere Missionsstation Medingen, und nahe der Stelle, wo uns nächtlicherweise Gefahr drohte, stand das Christendorf des Häuptlings Kchaschane, der am Karfreitag des Jahres 1884 bei einem Angriff der Heiden in so tapferer Weise sein Leben opferte, dass er noch im Tode ein Zeuge davon ward, wie tief die Gnade Gottes einen afrikanischen Heiden ergreifen und sein Herz umschaffen kann.

Die Ebenen, welche wir jetzt tagelang zu durchwandern hatten, waren dürr und trocken. Freilich war hier "Buschfeld", d. h. die Ebene war mit Bäumen bestanden, allein diese stehen weit voneinander entfernt und haben meist einen halb verkrüppelten Wuchs und wenig Blätter, meist gehören sie den dornenreichen Mimosenarten an, so dass sie weder das Auge erfreuen noch Schatten geben. Welcher Kontrast zwischen den üppigen, feuchten Urwäldern an dem hinter uns liegenden Gebirge und diesen Wüsten, in denen man Wasser nur an den Flüssen findet, die vom Gebirge herkommend den Überfluss der dort häufigen Niederschläge dem Meere zutragen! Auch in manchen der tieferen Rinnsale sucht der Reisende vergeblich nach Wasser, denn der durstige Boden hat es aufgesaugt. Größere Flüsse wie der Lechlaba bleiben freilich auch in diesen brennenden Einöden wasserreich und sind infolgedessen im Bette mit oleanderartigen Bäumen, an den Ufern mit mächtigen wilden Feigenbäumen bestanden. Von einem Hügel aus sieht man ihren Lauf sich wie eine grüne Ader durch das graugefärbte Landschaftsbild hinziehen. Oben an dem genannten Flusse stehen einige sehr schöne Palmen, die vielleicht auch an eine vergangene Epoche höherer Kultur erinnern, welche dieses Land einst gesehen hat.

Wir hatten bei den Tagesmärschen von Durst, nachts von der Kälte, bald auch von Hunger zu leiden, denn das reichlich vorhandene Wild hält sich an den Flüssen auf, welche wir auf unserem Marsche nach Norden durchquerten. Bald kamen wir durch Tsetsestriche. Dass das Wild dem Stich der Tsetse nicht erliegt, dass aber die Haustiere durch ihn zugrunde gehen (man sagte, durch den Stich von fünf oder mehr Fliegen), nicht schnell hinsterbend, sondern wochenlang, ja monatelang hinsiechend, ist eine allgemeine Tatsache. Rätselhaft ist und bleibt es, dass der Stich Menschen nicht schadet. Wir sind viel hundertmal ebenso wie andere Reisende gestochen worden, ohne dass wir das geringste Unbehagen davon gespürt hätten. Die Fliege sieht wie eine kleine Hundsfliege aus, ihr Stich schmerzt. Weiter ist es merkwürdig, dass die Tsetse niemals angriffsweise in solche Gebiete vorgeht, welche durch Menschen kultiviert sind. Die Leute Sekukunis legten Viehplätze dicht bei Straßen an, die von Tsetse infiziert waren, doch übte das Vieh auf die giftige Fliege keine Anziehungskraft aus. Sie bleibt da, wo das Wild sich findet, welches sie liebt, besonders da, wo sich Büffel aufhalten. Dass sie mit dem Wilde verschwindet, haben wir in Transvaal an allen Grenzen des bewohnten Landes beobachten können. Als die Feuergewehre das Wild ausgerottet oder vertrieben hatten, war auch die Tsetse verschwunden. Sie bildet jetzt kein Hindernis mehr, mit dem Ochsenwagen die Limpoponiederung zu passieren. Jäger und Händler ziehen alljährlich durch Striche nach Norden, in welche früher sich kein Weißer mit dem Wagen wagte. So ist also diese Barriere für weiteres Vordringen der Transvaalmission nach Norden hin gefallen. In früheren Zeiten durchzogen jagende Buren schmalere Tsetsestriche bei Nacht, und die Eingeborenen gaben Rindern und Hunden, wenn sie Tsetse fürchteten, die Fliegen selbst als Gegenmittel gegen das Tsetsegift ein und behaupteten, dass das von guter Wirkung sei.

Noch ein anderes Insekt fanden wir, welches unsere Aufmerksamkeit in hohem Grade erregte. Wir fanden Nester stachelloser Bienen, die unseren Stubenfliegen ähnelten, und konnten uns an dem angenehm süß-säuerlich schmeckenden Honig laben, den sie in einem Baumstamm gesammelt hatten. Zwei Arten dieser Bienen gebe es hier, sagten die Führer. Mir ist nicht bekannt, dass in Afrika sonst noch das Vorkommen dieser in Südamerika häufigen Bienenarten beobachtet worden ist.

Die Reise war im Übrigen einförmig. Jeden Abend wurde das Lager in folgender Weise hergerichtet. Man wählt der Fiebergefahr wegen einen möglichst hochgelegenen Ort, wenn es sein kann unter einem Baume, der einigermaßen Schatten gibt, damit man in dem Falle, dass Umstände zu längerem Verweilen zwingen, von der Sonne nicht zu arg zu leiden hat. Hier misst man einen Halbkreis ab, der für die Wanderer hinreichend Raum bietet, und umgibt ihn auf der Windseite mit einer starken Hecke aus Baumzweigen. An der Hecke entlang wird der Boden geebnet, Gras und Steine werden entfernt. Durch dünne Baumstämme, welche am Erdboden durch Pflöcke befestigt sind, wird die Streu von dem Feuerherd geschieden, welcher den Halbkreis außen abschließend möglichst groß angefacht und während der Nacht unterhalten wird. Solch großes, gut unterhaltenes Feuer ist in ungesunden Gegenden ein Schutzmittel gegen das Fieber. Unsere Bapedi lagerten nicht mit den Makwamba zusammen, und unsere eigene Schlafstätte wurde als "Moschate", als Häuptlingssitz, von den übrigen auch nach Möglichkeit abgegrenzt.

Nach beschwerlichen Märschen erreichten wir endlich den aus den Spelunken bei Zoutpansberg kommenden Fluss Lechlabane, an dessen frischem, klarem Wasser wir uns gründlich labten, und kamen drüben wieder in angebaute Gegenden. Etliche Stunden westwärts zeigte man uns den Pisangkop, einen Berg, an welchem der damals in Transvaal vielgenannte Portugiese Albasini wohnte. Dieser Mann hatte die Trümmer verschiedener Makwambastämme um sich gesammelt, hatte sich eine tüchtige Armee gebildet, die mit Schießgewehren bewaffnet war, und regierte so sein eigenes Reich. Manchmal führte er kleine Kriege allein, manchmal in Gemeinschaft mit den Zoutpansberger Buren, mit denen er in ziemlich loser Verbindung stand. Er führte den Titel eines portugiesischen Konsuls und wurde von den Eingeborenen als regierender Fürst angesehen. Sie nannten ihn Soao (aus dem portugiesischen Namen Joao gebildet). Er lebte in seiner umschanzten Wohnung in engem Verkehr mit seinen schwarzen Ministern und, wie behauptet wurde, auch mit seinen schwarzen Zauberern. Es hieß, er konsultiere diese häufig, ganz nach Weise der heidnischen Eingeborenen. Die Leute erzählten viel von seiner Macht und auch von dem Handel, den er mit erbeuteten schwarzen Kindern treibe. Die uns begleitenden Männer von Serobane behaupteten, sie würden von ihm als Feinde behandelt und selbst in unserer Gegenwart getötet werden, weil sie einst zu seinen Untertanen gehörten, dann aber geflohen seien. Jedenfalls war ihnen in dieser Gegend nicht wohl zumute. In der Weise, wie dieser energische Mann sich hier sein Reich geschaffen hatte, sollen am Sambesi viele Portugiesen gehandelt und dann wie er geschaltet und gewaltet haben, was bei der Ohnmacht des portugiesischen Regierungsapparates in jenen Gegenden auch sehr leicht verständlich ist. Wir standen nun an der Grenze des Bawendalandes und waren am Eisenberge, wo die Bawenda für ihre ausgedehnte Eisenindustrie das Erz graben, angelangt. Hoffnung erfüllte unsere Herzen, dass es uns nun mit verhältnismäßiger Leichtigkeit gelingen werde, den Limpopo zu erreichen, denn in diesem bewohnten Berglande hätten wir vermittelst unserer Tauschartikel Nahrungsmittel genug für uns und unsere Leute einhandeln können, als die Pocken unserem Vordringen ein unerwartetes Ziel setzten. Weiber in den Gärten sagten, dass die Krankheit herrsche, und als wir unterhalb eines festungsartig ummauerten Bergdorfes haltmachten, kam von oben dieselbe Nachricht. Sie traf uns schwer, denn wir sahen die Unmöglichkeit ein, weiter vorwärtszudringen. An Umgehen der infizierten Striche war nicht zu denken. Da die Krankheit von Norden gekommen war, mussten wir annehmen, dass bereits alle Stämme von ihr heimgesucht seien. Unsere Leute durften wir der Gefahr, angesteckt zu werden, nicht aussetzen; so mussten wir schweren Herzens den Befehl zur Umkehr geben.

Die Pocken verbreiteten sich weiter nach Süden und machten ihre Erscheinung im Bapedilande ein Jahr später. Da unser Volk zum Teil bereits früher geimpft war und nun auch wieder zu dem Mittel der Impfung griff, fielen der bösen Krankheit hier nur wenige zum Opfer. Desto mehr Leute starben bei solchen Nachbarstämmen, z. B. den Swasi, welche mit dem Impfen nicht vertraut waren.

Unsere Makwamba wären nun am liebsten auf dem kürzesten Wege in ihr Land zurückgekehrt. Sie hatten, wie es schien, wenig Freunde, aber viele Feinde in der Welt. Wir wären lieber den Lechlabene abwärts gezogen und dann am Olifantsfluss aufwärts nach Hause, allein diese Menschen verstanden es, die Ausführung des Planes zu verhindern. Nur mit Mühe gelang es uns, sie zu zwingen, ein wenig weiter östlich mit uns vorzudringen. Wir erreichten den großen Lechlaba einige Tagereisen unterhalb von der Stelle, an der wir ihn oben durchschritten hatten, und kehrten dann, indem wir seinen Lauf und darauf den seines Nebenflusses Letschitele aufwärts verfolgten, zu dem Häuptling Serobane zurück.

Soutpansberg aus WikipediaAuf dem Rückwege hatten wir zum Jagen mehr Zeit, und an Lust dazu fehlte es uns auch nicht. Denn nicht unsere Leute allein hatten in den letzten Tagen gehungert, sondern wir selbst hatten den Hunger manchmal recht schwer gefühlt. Obwohl manches Stück Wild angeschossen worden war, so waren doch nur Zebras und eine Hyäne wirklich erlegt worden. An letzterer, welche von unseren Bapedi als reißendes Tier verschmäht wurde, erlabten sich die Makwamba, welche erklärten, dass sie so gut schmecke wie ein fettes Schaf. Zebrafleisch aßen auch unsere Bassuto, wir aber waren daran nicht gewöhnt, da Weiße das Fleisch dieser Tiere wegen seines unangenehmen Geruches ungenießbar finden. Am Feuer geröstet und dick mit Gewürz bestreut, konnten wir es am besten genießen. Die seltene schwarzweiße Antilope hatten wir ziemlich häufig angetroffen, auch Giraffen, deren Anblick den Europäer stets erregt. Von Elefanten sahen wir viele Spuren, manchmal überschritten wir Wege, die sie getreten hatten. An solchen Stellen, wo eine Herde sich getummelt hatte, sah man tiefe Furchen, welche die starken Tiere durch einen Schlag des Fußes in den Boden gewühlt hatten, Bäume, die von ihnen zerbrochen waren, und Losung (Mist), die sie zurückgelassen hatten. Die gewaltigen Tiere selbst sahen wir nicht. Den Spuren zu folgen, hätte uns zu viel Zeit gekostet, denn wir hatten die Reise nicht zu dem Zwecke unternommen, Elefanten zu jagen. Die Barokka sagten, dass die Elefanten im Mai und Juni, wenn die berauschend wirkenden Früchte der Murulabäume reif seien, im Suchen nach dieser Leckerei aus dem Tieflande näher an den bewohnten Strich am Fuße des Gebirges herankämen. Sie seien aber in dieser Zeit gefährlich, weil sie betrunken wären. Rhinozerosse trafen wir nicht, sie schienen diese Gegend bereits verlassen zu haben, obwohl sie sich damals noch häufig in dem unbewohnten Teile von Sekukunis Gebiet fanden. Dort hatte ich schon an Rhinozerosjagden teilgenommen. Freilich mehr in passiver Weise. Denn ein weibliches Tier, gefolgt von einem Kalbe, kam in offenem Terrain so furchtbar schnaubend auf mich angestürzt, dass ich mich hinter einen Baum retten musste, und da mein Gewehr eine zu kleine Kugel schoß, den Leuten die Verfolgung überließ, welche das Junge glücklich erlegten. Ähnlich sollte es mir auf dieser Reise mit dem ersten Büffel gehen, den ich sah. Schon oft hatten uns Buren und Schwarze von diesem furchtbaren Tiere erzählt, dessen Hörner ihresgleichen sonst nicht haben, der an Stärke, Behendigkeit und Wut alle anderen Tiere seiner Gattung hinter sich lässt. Immer wieder waren Weiße und Schwarze bei der Jagd dieses Ungetüms umgekommen. Auch unsere Jäger erzählten viel von den Gefahren, welche sie bei der Büffeljagd bestanden hätten. Kubate, ein tüchtiger Schütze, erzählte, dass er einen Löwen und einen Büffel im Felde tot nebeneinander gefunden habe, sie hätten in wütendem Kampfe einander umgebracht. Alte Büffel greift ein einzelner Löwe nicht an, und an die Kälber wagen sich wilde Tiere nicht heran, wenn die Alten in der Nähe sind.

Wir hatten Spuren von Büffeln gesehen und waren nicht wenig begierig, mit den vielbesprochenen Tieren Bekanntschaft zu machen. Ich lag mit einigen Leuten am Ufer des mit hohem Rohr bestandenen Flüsschens Molotose, als wir oberhalb Schüsse hörten, denen lautes Rufen folgte. "Die Büffel, Büffel!" riefen wir, sprangen auf und eilten in der Richtung, welche die Schüsse angaben, vorwärts. Fußwege zogen sich in dem Flüsschen hin, aber nicht solche, die von Menschen, sondern die von Elefanten und anderem großem Wild getreten waren; auf diesen Wegen eilten wir vorwärts. Ich war meinen Begleitern voran und wollte eben eiligst in eine Regenschlucht hinabstürzen, als ich plötzlich einen mächtigen Büffelkopf vor mir sah, dessen Träger auf dem schmalen Wege, der hinabführte, aus der Schlucht heraus wollte. Ich sehe den ungeheuren Kopf mit den gewaltigen Hörnern noch heute vor meinen Augen. Schoß ich, so musste ich tödlich treffen, sonst war ich tot, - aber es war kaum Raum mehr für das Gewehr zwischen mir und meinem Feinde. So machte ich unwillkürlich kehrt und floh zwanzig oder dreißig Schritte weit, da stand ein Baum; unter diesem, der doch einigen Schutz bot, wandte ich mich und wollte schießen, aber - mein Feind war, als er oben angekommen war, nach der entgegengesetzten Seite ausgerissen. Er hatte vielleicht ebenso wenig bisher einen Europäer gesehen, wie ich einen Büffel, und war deshalb ebenso vor mir erschrocken, wie ich vor ihm.

Am Lechlaba ruhten wir einige Tage und fütterten uns und unsere Leute auf. Büffel und anderes Wild wurde geschossen, so hatten wir reichlich Fleisch. Wir Europäer konnten die Zungen, das Mark und sonstige bessere Stücke für uns behalten. Das tat uns gut, denn wir lebten fast nur von Fleisch. Wenn wir dazu eine Untertasse voll Reis kochten, dann teilten wir diesen ganz gewissenhaft. Immer von hartem Wildfleisch leben ohne Brot ist schwer. Es entschädigte uns aber die Aufregung des Jagdlebens. An einem Tage fanden wir eine Büffelherde schlafend im Grase. Wir umstellten sie und feuerten dann von allen Seiten. Eine andere Herde traf ich, während ich allein mit einem Schwarzen war; ich lief an die alten Tiere, die halb schlafend Wache standen, bis auf fünfzig Schritte heran und schoss einen mächtigen Bullen aufs Blatt, dann auch mit dem anderen Lauf auf den Leib, aber die Tiere flohen, starke Schweißspuren zurücklassend. Missionar Nachtigal wurde auf einen Ameisenhaufen getrieben, einer der Leute niedergeworfen, einem anderen das Hemd zerfetzt, einer musste sich auf einen Baum retten. Zwei Büffel aber waren erlegt, von denen einer erst durch die achte Kugel getötet worden war. Ich war an dem Tage auch in Gefahr gewesen, von Eingeborenen angegriffen zu werden. Die wenigen Leute, die in diesen Wildgegenden hausten, waren selbst so scheu wie Wild. Wenn sie uns von ferne kommen sahen, flohen sie eiligst davon. Als ich nun einmal allein durch die Büsche streifte, hörte ich ein Geräusch und bemerkte, als ich aufschaute, eine Anzahl von Männern, welche, durch meinen Anblick überrascht, ihre Traglasten fortgeworfen hatten, aber zugleich, wohl ermutigt durch ihre Zahl, eine drohende Haltung einnahmen. Sie hatten die langen Giftpfeile an die Sehne der Bogen gelegt und waren bereit zu schießen. Ich blieb ruhig, veränderte die Lage meines Doppelgewehres nicht, welches schussfertig in meiner Hand ruhte, und ging, die Feinde im Auge behaltend, ganz langsam weiter. Sie begleiteten jede meiner Bewegungen mit scheuem, wachsamem Blicke, ließen mich aber gehen, etwa so, wie der Jäger einen vorbeispazierenden Löwen vorüberziehen lässt. Die Entfernung zwischen mir und ihnen wurde größer, und ich hatte Gott wieder für eine Errettung aus Gefahr zu danken.

Auch drei Löwen trafen unsere Leute an diesem Tage. Sie belästigten uns nicht. In der Nacht aber hörten wir das klägliche Gebrüll eines Büffels im Rohr des Flussdickichts ganz in der Nähe des Lagers. Es tönte schauerlich durch die Stille, und zwar dauerte dies Gebrüll, wie es uns schien, stundenlang. Am anderen Tage zeigte es sich, dass die Löwen einen Büffel hier zerrissen hatten. Sie hatten wohl, als er kampfunfähig, aber noch nicht völlig tot war, ihr grausames Mahl begonnen.

Die Löwen werden selten dem Menschen lästig, wenn sie, wie es hier der Fall war, inmitten vielen Wildes leben. Desto mehr scharten sich hungrige Hyänen um unser Lager, wohin sie der Duft des vielen Fleisches lockte. Sie fangen gesundes, lebendes Wild kaum jemals, sondern müssen sich mit den Resten der Mahlzeiten der Löwen oder mit dem Töten kranker Stücke Wildes begnügen. Beständig heulten sie des Nachts in den Büschen ringsumher, waren aber vorsichtig genug, sich nicht zu zeigen, da ihre weißliche Farbe im hellen Mondschein ein zu gutes Zielobjekt geboten hätte. Wenn aber die Leute nachts zum Flusse nach Wasser zu gehen hatten, mussten sie ein Rohrdickicht passieren, in dem auch diese feigen Tiere gefährlich werden konnten; da nahmen sie einen Feuerbrand in den Mund, das Wassergefäß in die eine und einen Speer in die andere Hand. Mehrere zugleich sprangen so in das Rohr hinein, leuchtend, schreiend, einer Bande Dämonen gleich, und die Hyänen sprangen und heulten mit ihnen um die Wette.

Endlich brachen wir das Lager ab, kehrten nach dem Krale Seobanes und dann auf dem Wege, den wir gekommen waren, in das Bapediland zurück.

Der eine Zweck unserer Reise war erreicht. Wir hatten das Land erkundet und die dort wohnenden Völker kennengelernt. Als Resultat der Untersuchung hatte sich herausgestellt, dass weitere Fortschritte der Mission über Machakal hinaus von Süden her unmöglich sein würden. Unsere Aufmerksamkeit lenkte sich deshalb auf die östlich gelegenen Gegenden Transvaals, wo das Land noch höher und deshalb fieberfreier war, wo man mit dem Ochsenwagen verkehren konnte, weil sich dort keine Tsetse fand, wo die Buren auch bereits in den Distrikten Waterberg und Zoutpansberg wohnten. Dorthin wendeten sich auch unsere Missionare, nachdem in dem Bapedilande durch Sekukunis Feindschaft der Missionsarbeit ein nur zu jähes Ende bereitet worden war.

Unsere Hoffnung, die Ruinen zu erreichen, war freilich nicht erfüllt worden. Wir hatten aber manche interessante Nachricht über diesen Ort von den Eingeborenen erhalten. Unser Führer Makeritsane war aus dem Banyailande gebürtig. Er sprach von den Ruinen nur mit größter Scheu, die würden heilig gehalten, denn das sei ein Ort der Götter. Wasser sei da in einem Brunnen auf eines Berges Spitze zu finden, aber nur dem quelle es, der zu beten verstünde. Auch in einem Tierbilde finde sich Wasser. Nichts Lebendiges dürfe dort getötet werden. Wolle man von einem Baum einen Zweig abbrechen, so spräche der: "Brich mich nicht!" Wolle man ein Tier dort schlachten, so spräche es: "Töte mich nicht!" Wenn man dort ein Stück Wild erlege, ziehe man sich schweres Unheil zu. Bis vor etwa fünfzig Jahren hätten dort die Balotse oder Barotse gewohnt, seien aber anhaltender Dürre wegen ausgewandert. Diese Barotse hätten die Gebäude zu verehren gewusst, von den jetzigen Bewohnern der Gegend werde den an der wunderbaren Stätte wohnenden Geistern allerdings auch noch geopfert, aber sie verstünden sich nicht mehr recht darauf.

 onmousedown="ET_Event.link('Link%20auf%20www.gaebler.info',