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Ludwig Schmaderer

Inhalt


Siniolchu

Aus dem Tagebuch von Ludwig Schmaderer

Zwischen Kantsch und Tibet, München 1950, Seite 105 bis 111

Siniolchu! Wie oft haben wir von dieser nadelfeinen Silberspitze geträumt und gesprochen - drüben in der Heimat und herüben in unseren Zelten -, wie oft ist einer von uns dreien, oder sind wir alle auf die Seitenmoräne des Zemugletschers hinaufgerannt, um den "schönsten Berg der Erde" zu bewundern! Wenn sich dann die Rilleneiswände aus den Wolken schälten, die kühnen Gratkanten in gotischer Linienführung aufstrebten - immer höher und himmelnäher -, dann verstummten wir meist, und in uns wurde das Verlangen übermächtig, einmal ganz oben zu stehen. Unsere Träger brachten dem Berg andere Empfindungen entgegen; sie duckten sich vor ihm und den Göttern und Dämonen hinter den Wolken. Manchmal fuhr einer der Darjeelingmänner mit der Hand zum Hals und murmelte: "Finish." Er wollte uns damit andeuten, dass Göttner und Wien, die Erstersteiger vom vorigen Jahre, nun auch bereits tot seien. Nima erklärte gar, der Siniolchu sei unersteiglich und würde alle ihn angreifenden Menschen in die Tiefe schleudern. Wir drei Bergsteiger aber kommen trotz der Niederlage an den Twins und am Tent Peak, trotz der Monsunwolken und Schneeflockenwirbel nicht von diesem Himalayariesen los.

Entschlossen rüsten wir zum Angriff, prüfen und vervollständigen das Rüstzeug. Seile, Steigeisen, Eishaken und Schlafsäcke liegen im Hauptlager bereit, und Nahrungsvorräte für zehn Tage werden aufgestapelt und verpackt. Wir sind bestrebt, alles Unnötige zurückzulassen, um die Träger für die zu erwartende schwierige Eisarbeit nicht übermäßig zu belasten. Sie sind von unserem Entschluß nicht sonderlich begeistert, stecken die Köpfe zusammen und munkeln.

Am trüben Morgen des 20. September brechen wir zu dritt mit den fünf Trägern auf. Sie ziehen gelassen und singend dahin, leben ganz der Gegenwart. Im Augenblick haben sie weder Angst noch eigene Meinung, denn sie vertrauen ihren Göttern, die groß und sehr mächtig sind. Nach 1½ stündigem Marsch über den schuttbedeckten Zemugletscher gelangen wir zur orographisch rechten Seitenmoräne des Siniolchugletschers. Ohne sie zu ersteigen, winden wir uns zwischen großen Blöcken bis zur Mitte des hier harmlosen Eisstromes aufwärts. Später erfordern kleinere Spalten Achtsamkeit, und dann bäumen sich die Eisabbrüche steil auf. Wie gut war es, dass ich schon vom Hauptlager aus mit dem Fernglas einen Durchschlupf gesucht und festgelegt hatte! Die schlechte Sicht verhindert jeden Überblick. Wir wissen, dass drüben unter der Nordwand des Siniolchu flacheres Gelände ein leichteres Aufsteigen gestatten würde, aber wir fürchten dort die Lawinen. Unser Bestreben geht nach größtmöglicher Sicherheit. Das schlechte Wetter erlaubt uns heute nicht mehr, in den Eisbruch einzusteigen, und so beschließen wir schon um 13 Uhr, einen Lagerplatz auszubauen. Drei Zelte stehen bald in einer Höhe von 5.000 m.

Am Abend bekommen wir heraus, dass Pency die Schneebrille und die warme Unterwäsche sowie Handschuhe und Socken unten im Hauptlager gelassen hat. Warum, beim Teufel? Der braune Sünder zuckt nur mit den Achseln, und sein Mienenspiel verrät nichts. Schließlich muss ich noch feststellen, dass zwei Träger ihre Steigeisen nicht mitgenommen haben. Eine bittere Pille - aber wir sind nicht gewillt, Zeit zu verlieren oder gar auf den Berg zu verzichten. Unser Ziel ist jetzt der Siniolchu, und wir wollen alle unsere Kraft einsetzen, um es zu erreichen. Wenn unsre Träger auch das Grauen vor den Steilflanken packt, wenn auch das Zeltdach im eisigen Wind knattert und der Schnee immer neue Bollwerke baut! Früh schlüpfen wir am 21. September aus den Zelten ins Freie. Der Siniolchu leuchtet hoch und fern im Widerschein der Sonne. Gewölk umspielt den breiten Sockel, steigt auf und zerflattert im weiten Raum. Vom Morgen bis zum späten Nachmittag ringen wir mit den Eiswänden und sperrenden Steilstufen. Es ist eine harte Arbek. Die Träger finden wenig Gefallen daran. Gleich zu Beginn gleitet einer ohne Steigeisen aus, fliegt auf die Nase und streckt erstaunt alle viere von sich. Ich spüre in einem finsteren Herzenswinkel so etwas wie Genugtuung. Den nächsten Sturz erlaubt sich unser Nyma. Der Kochtopf hat sich von seinem Gepäck gelöst und saust über den steilen Hang der Tiefe zu. Da ich gerade unten stehe, schnappe ich ihn blitzschnell wie einen Fußball. Ein Paket Tabak und andere Kleinigkeiten müssen wir aus einer Spalte holen. Nach rund 200 m ist der Steilaufschwung überwunden und läuft in spaltenreiches Gelände aus. Manche Kluft erfordert zeitraubende Umgehungen. Meist tappen wir im dichten Nebel umher und können nur mittels Karte und Höhenmessers unseren jeweiligen Standort feststellen. 5.500 m! Hier wollen wir bleiben. Gegen Abend lockert leichter Wind die milchigen Schwaden auf, und wir erkennen den folgenden Anstieg durch den zerrissenen Gletscherbruch. Nachts bleibt ausnahmsweise der gewöhnliche Schneefall aus. Wir wundern uns darüber, und manchmal schreckt uns jäh Lawinendonner aus dem leichten Schlaf Weiter Kameraden! Es ist beinahe ein Genuss, über die hartgefrorenen Schneehänge gegen den zweiten Eisbruch anzusteigen. Nur kein Übermut! Bald haben wir uns wieder an den glasigen Wülsten und Wänden verbissen, Schollen splittern unter Pickelhieben, und die Träger folgen mit ihren Lasten am gespannten Seil. Bei Gelegenheit zücke ich die Schmalfilmkamera. Schluss damit - schon wieder wirbeln Schneeflocken wie weiße Papierschnitzl um uns. Über uns hängen fallbereite Eismassen, und wir fühlen uns alle nicht recht wohl. Rasch überwinden wir die heiklen Stellen, und am Nachmittag stellen wir im Schutz einer himmelanstrebenden dunklen Granitmauer unsere Zelte auf. Wir beziehen das Ausgangslager für den Angriff auf den Gipfel des Siniolchu. Ein einsamer, unsagbar wilder Bergwinkel! Eistürme und Felswände, gähnende Klüfte und bauschige Wolken wirken auf uns im steten Wechsel der Beleuchtung. Und über allem thront unser Berg. Am Donnerstag, dem 23. September, brechen wir noch bei Dunkelheit auf. Von den Trägern soll nur Pency bis an die Scharte am Fuße des Westgrates mitkommen. Wir haben uns auf das nötigste Gepäck beschränkt: ein kleines Hochtouristenzelt, Zdarskysack, Primuskocher und Verpflegung für fünf Tage. Eine riesige Lawine ist vor kurzem hier abgegangen, Fünf bis zehn Meter tief haben sich die Schneemassen zwischen den Eistürmen gestaut. Beklemmend wirkt die Wildheit der Umgebung im kalten Mondlicht. Der unter seiner Last gebeugte Pency schrickt einmal auf, starrt ins Leere und sagt: "Finish!" Dazu macht er seine übliche Handbewegung zum Halse. "Buddha ist gut, Pency!" Das Eis bäumt sich steiler auf, es wird unmöglich. Ein gewagter Quergang hilft weiter. Der Träger wimmert kläglich, wir wissen nicht, ob er weint oder betet. Alles ist zu groß, zu gewaltig und schwer für den armen Burschen. Abwechselnd hissen wir seinen gewichtigen Rucksack und dann ihn selbst hoch. Ohne Aufenthalt schrauben wir uns höher und höher, bevor die Morgensonne die Fesseln des Frostes löst.

Nach sechsstündiger gefährlicher und anstrengender Arbeit stehen wir im tiefen lockeren Pulverschnee etwa 70 m unterhalb der Scharte. Keuchend spuren und wühlen wir bergan, oft bis zu den Hüften einsinkend. Harte Stunden raufen wir um lumpige 100 m. Das Wetter ist beständig wie immer, das heißt: es schneit recht ergiebig. In 6.250 m Höhe nächtigen wir. Drei Weiße und ein Brauner kauern im knappen Zelt, kochen Suppe und füllen heißen Tee in Thermosflaschen. Es ist ein Wunder, dass die Nähte unserer Leinwandbehausung nicht reißen. Kälte frißt sich bis ins Mark unserer Knochen. Um 3.30 Uhr kriechen wir ins Freie. Fast eine Stunde lang mühen wir uns ab, um die froststarren Schuhe über die kalten Füße zu stülpen, dann ziehen wir ohne Pency los. Wir gewinnen den Grat etwa 80 m oberhalb der Scharte. Urgewaltig wuchtet uns gegenüber im fahlen Dämmerschein der Kangchendzönga. Allmählich wachsen seine Umrisse scharf aus dem Zwielicht - jetzt entzündet die Sonne die ersten Flammenzeichen auf dem Gipfel. Minuten später glühen Twins und Tent Peak auf. Ein Tag des entschlossenen Kampfes beginnt.

Über einen steilen Grathöcker gelangen wir unter den Vorgipfel, der sich hier als feingeschwungener First aufbaut. Weit ausladende Wächten am jähen Grat geben uns zu denken. Wir sind bestrebt, die kostbaren Morgenstunden zu nützen und steigen rasch aufwärts. Nach 100 m stellt sich die erste Wächte entgegen. Viel, sehr viel Zeit würde die Überwindung dieses Eisbollwerkes erfordern. In der lawinengefährlichen Nordflanke suchen wir unter dem gewaltigen Wächtendach querend einen Durchschlupf. Die folgende Wächte überlisten wir an der haltlos und steil abschießenden Passanramtalseite. Noch ein kurzes scharfes Gratstück, und wir stehen auf dem Vorgipfel. Phantastisch leuchtet das Rilleneis der Gipfelpyramide, die dünne klare Luft läßt sie greifbar nahe erscheinen. Ein großes Fragezeichen unseres weiteren Aufstieges ist der folgende "70-m-Turm". Überaus steil und mit lockerem Neuschnee überladen strebt der Grat auf. Wolken steigen aus den Tälern auf und hüllen uns ein. Es ist 11 Uhr. Bis zu den Hüften stehen wir im Schnee, und der Wind wirbelt Flocken um uns. Bei jedem Schritt ist zu befürchten, dass eine Lawine abgeht. Die Sicherung ist mehr als fragwürdig, wir sind jetzt eine auf Gedeih und Verderben zusammengeknüpfte Seilschaft von drei Kameraden. Kameradschaft ist oberstes Gesetz im Himalaya! Das letzte Viertel des Turmes ist gerade hinauf wegen des rieselnden, haltlosen Schnees unmöglich. Vielleicht ist er auf der Südseite tragfähiger? Sehr gewagt ist die Querung, und wir schnaufen auf, als wir die Pickelschäfte endlich wieder in festeren Grund rammen und sichern können. Zwei Stunden für zwei Seillängen!

Fast waagrecht leitet der scharfe, unheimlich ausgesetzte Grat weiter. Die Gipfelwand macht mir Sorgen. Ich verhehle den Gefährten nicht, dass ich "schwarz sehe". Doch unser Auftrieb ist noch ungebrochen; wenn nur der Schnee nicht so unverschämt tief wäre! Bleischwere Stollen kleben zwischen den Zinken der Steigeisen. "Wir schnallen sie ab und erleben dasselbe Spiel mit den Nagelschuhen. Spuren - und nicht verzweifeln! Grob schleppt kameradschaftlich in der großen Höhe den schwersten Rucksack und streitet immer wieder um den Vortritt. Einer muss für den anderen einstehen. Über 12 Stunden sind wir heute schon unterwegs und erkennen, dass wir den Gipfel vor Einbruch der Nacht nicht mehr erreichen. Was bleibt uns übrig, als ein eisiges Biwak im Zeltsack! In 6.650 m Höhe hacken wir eine Höhle ins Eis und verkriechen uns für eine lange Nacht. Draußen ziehen flirrende Sterne ihre Kreise. An ein Schlafen ist nicht zu denken. Schier unerträglich steigert sich die Kälte.

Endlich erlöst uns die Zeit des Aufbruchs. Es bereitet viel Mühe, mit klammen Fingern die Steigeisen anzuschnallen und die Seile umzubinden. Alles Entbehrliche bleibt zurück. Bei Dunkelheit ziehen wir, zu härtestem Kampf entschlossen, los. Trotz dicker Fäustlinge wird Grobs rechte Hand gefühllos und muss mit Schnee abgerieben werden. Ich selbst habe mir nachts eine Zehe leicht erfroren. Seillänge um Seillänge geht es in gefahrvollem Steigen aufwärts. Die Wand schießt ins Bodenlose ab. Pulverschnee auf spiegelglattem Blankeis zwingt uns zu besonderer Vorsicht. Hundert wirre Gedanken kreisen im Hirn - über allem aber strahlt der Gipfel. Wir rücken ihm immer näher. Fast sind wir verwundert über das nahe Glück nach all den Wochen des Unwetters, der Versuche und des Verzichtes. Weit hängt die Gipfelwächte nach Norden über. Schon überdacht sie uns, und wir queren ausgesetzt nach rechts um die Kante, um das Hindernis zu überlisten. Plötzlich kommt ein scharfer Wind auf, peitscht mir die Schneekristalle ins Gesicht, verklebt die Augen und raubt mir den Atem. 30 m bin ich am Seil ausgegangen und stehe in der gefährlichen Querung. Ich darf nicht wanken, nicht stürzen! Peinlich muss ich bedacht sein, beim Aufsetzen der Brille das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Die Würfel fallen zu unseren Gunsten: 9.30 Uhr stehen wir auf dem höchsten First. 1½ Stunden bleiben wir oben, und jeder von uns dreien wird sie zu den gehaltvollsten seines Lebens zählen. Das Glück überkommt uns wie ein Rausch. Wir vermeinen auf dem höchsten Punkt der Erde zu stehen; denn unser Berg ragt frei und einsam auf. In 6.000 m Höhe wogt ein unabsehbares Nebelmeer und brandet gegen die Inseln der höchsten Berge des Himalaya. Wir werden nicht satt, zu schauen und zu bewundern. Dann empfinden wir noch einmal alle Sehnsucht nach diesem Gipfel, erleben die Enttäuschungen, die Vorarbeiten und das aufopfernde Ringen - den ganzen Weg vom Wunsch bis zur Erfüllung. Mehr als nach allen Erfolgen daheim in den Alpen empfinden wir, dass Bergsteigen mehr ist als sportliches Stürmertum und dass im Drang, etwas Großes zu leisten und zu erleben, im Einsatz des Lebens und im Verzicht auf klingenden Lohn und Auszeichnung die Lockung und Befriedigung zu suchen ist.

Bild aus Wikipedia
Siniolchu vom Zemugletscher
Foto von Vittorio Sella

Und wir denken an Göttner und an Wien, die fast auf den Tag genau vor einem Jahr als erste Menschen den Siniolchu eroberten. Ist es zu glauben und zu fassen, dass die beiden tot im Eis des Nanga Parbat liegen? Dass wir sie nie mehr lachen sehen, nie mehr reden hören werden? Göttner war mein Seilgefährte auf vielen schwersten Fahrten. Mitsammen sind wir in der Jugendabteilung und Jungmannschaft der Sektion München aufgewachsen und haben in senkrechten Kalkwänden und im Eis der Westalpen sowie im fernen Kaukasus manchen harten Strauß durchgehalten. Der Sieg über den "schönsten Berg der Erde" war wohl seines kurzen Lebens größtes Erlebnis.

Mitten in unsere Gedanken, in unser Schauen und unser Glück spricht einer vom Absteigen. Das Wort mahnt uns an die Wirklichkeit, und wir sehen dunkelballige Wolken aus dem Passanramtal aufsteigen. Wir nehmen den flatternden Wimpel unserer geliebten Heimat und den des englischen Gastlandes von den Eispickeln und verwahren sie in einer Blechdose, dann rüsten wir uns zum Abstieg. Es liegt wie eine dunkle Drohung in der Luft: Schlechtwetter! Unser Weg ist weit, schwer und gefährlich bis hinunter zu den schirmenden Zelten. Noch hat uns der Siniolchu in seiner Gewalt, noch sind wir drei winzige Menschen Spielzeug einer übermächtigen Natur und eines der stolzesten Berge, die jemals betreten wurden.

Es ist elf Uhr. Drei Männer am Seil steigen abwärts. Jeder Schritt will erwogen, bedacht und erzwungen sein, wenn sich unter den Steigeisenzinken ein Abgrund von 3.500 m auftut. Erst jetzt beim Absteigen empfinden wir den schauerlichen Tiefblick. Es gilt kaltblütig zu bleiben; obwohl die Spuren bei Belastung immer nachgeben und ausbrechen, beeilen wir uns sehr. Der mit Sicherheit erwartete Schneefall setzt gegen 13 Uhr ein. Die Luft ist wärmer geworden und erweicht den Schnee immer mehr. Je tiefer wir kommen, desto gefährlicher wird dieser Zustand. Schon längst schleifen wir wieder schwere klumpige Stollen mit. Die Steigeisen greifen unsicher. Das ist sehr schlimm, wo doch ein einziger Fehltritt das Verderben der ganzen Seilschaft bedeuten würde. Weiter, nur tiefer! An einem, mir schon beim Aufstieg verdächtig erschienenen Hang, löst sich ein Schneebrett und poltert über die ungeheure Nordwand. Vor dem "70-m-Turm" wird der Grat sehr scharf und schwierig. Die Zeit drängt, denn es ist schon später Nachmittag geworden. Am Turm ist zu befürchten, dass sich der allzu dicke Schneebelag löst und uns mit in die Tiefe reißt. Sorgfältige Sicherung ist unerlässlich. In Abständen von 30 m steigen wir ab, stets darauf gefasst, dass einer mit einer abbrechenden Wächte stürzt. Heftiger Wind peitscht uns Schneeböen entgegen. Im Dämmerlicht waten wir überaus anstrengend zum Vorgipfel. Plötzlich teilt sich das Gewölk, und uns gegenüber reckt sich der Kantsch auf. Noch nie ist uns der Riese so unheimlich und gewaltig erschienen. Am violettrot gefärbten Himmel stehen blauschwarze fischförmige Wolken. Es ist die eigenartigste Stimmung, die ich je in den Bergen erlebte. Wir werden alle drei das drückende Gefühl nicht los, jeden Augenblick könne ein furchtbares Unwetter losbrechen. Unser Abstieg wird zum Wettrennen mit der Dunkelheit. Jetzt ist es stockfinster. Nur noch 50 m sind wir vom Zelt unter dem Grat entfernt, dieses Wegstück birgt jedoch einen nahezu senkrechten Eisabbruch und mehrere Spalten. Ganz auf unseren Berginstinkt und das Seil vertrauend, tasten wir durch den hier metertiefen Pulverschnee der Nordflanke. Pency, der treue, bei dem Zelt zurückgebliebene Träger, hört unsere Rufe nach Licht. Er entzündet einen Primuskocher, leider zu weit entfernt; dann watet er uns mit einer verglimmenden Taschenlampe entgegen. Wirklich genügt der schwache Schein, um uns den schwierigen Weg über eine letzte Eiswand zu weisen. Wir sind ungewöhnlich durstig und ausgedörrt. Es wird fast Mitternacht, bis der schnurrende Benzinkocher zur Ruhe kommt und das blaue Flämmlein erlischt. Noch nie hat mir der Tee aus Schneewasser so trefflich geschmeckt. Eng aneinanderliegend verbringen wir die Nacht zu viert im Zelt und dämmern hinüber in einen traumlosen Schlaf. -

Der 26. September verspricht wider Erwarten ein schöner Tag zu werden. Unsere Hoffnung, morgen den kleinen Siniolchu erstmals zu bezwingen, wächst. Doch schon um 10 Uhr bricht heftiges Schneetreiben los. Sollte es den erwarteten Wettersturz einleiten? Wie sollten wir dann unsere wartenden Träger durch die schwierigen Eisbrüche hinunterbringen.

Wir beschließen, einen Tag abzuwarten. Über Nacht ist die Schneedecke neuerdings gewachsen. Bis zum Bauch einsinkend, pflügen wir dahin. Es ist wohl gefährlich, aber abwärts nicht übermäßig anstrengend. Wir sind ordentlich froh, als wir gegen neun Uhr die letzten Eistürme hinter uns haben und bei den Trägern ankommen. Sie begrüßen uns mit einem schneidigen "Salam!" und freuen sich über unsere Rückkehr. Die Luft ist ungewöhnlich lau und der Schnee faul geworden. Unter diesen Umständen wollen wir erst am nächsten Morgen weitergehen, denn wir fürchten Lawinen. Häufig schreckt uns während der Nacht donnerndes Gepolter auf. Der Tag beginnt mit Schneefall. Rasch sind die Zelte zusammengelegt, und wir schlängeln uns durch den verschneiten Eisbruch abwärts. Wie verrückt rennen die Träger, wo es irgend möglich ist, weil es nun heimwärts geht. Kaum sind wir aus den größten Schwierigkeiten, so legen sie in einem unbeobachteten Augenblick das Seil ab. Sie gehen nicht gerne angeseilt und unterschätzen mitunter in kindlichem Leichtsinn die Tücken der Gletscher.

Plötzlich versinkt ein Träger im Schnee, eine Spalte hat ihn verschluckt. "Sahib ...!" höre ich noch ängstlich rufen. Ich male mir bereits im Geiste einen unvermeidlichen Abtransport aus und will zu Hilfe eilen, da taucht das angstverzerrte braune Gesicht wieder an die Oberfläche. Diesmal ist es gut abgegangen. Strenger Befehl: "Anseilen!" Wir durcheilen das gefährdete Wegstück unter der Nordwand des Siniolchu. Myngma gleitet einmal aus und macht einen Kopfstand. Unsere Träger übertreffen sich gegenseitig im Laufen, sie veranstalten ein förmliches Wettrennen über den Zemugletscher. In tollen Sprüngen setzen sie über Klüfte und zeigen sich sehr geschickt. Um 17 Uhr sind wir vollzählig im Hauptlager vereint. Welche Überraschung hier! Manbahadur, unser Koch, ist wiedergekommen, nachdem er malariakrank vier Wochen im Hospital von Gangtok verbracht hatte.

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Schicksal Himalaja
Ludwig Schmaderer zum Gedenken

Von Herbert Paidar

Jahrbuch des Deutschen Alpenvereins 1951, Seite 39 bis 47

Ein Wunsch war in Erfüllung gegangen. Am Pfingstmontag, den 5. Mai 1939, standen wir zu dritt - Ernst Grob, Ludwig Schmaderer und ich - auf dem 7.363 m hohen Gipfel des Tent Peak. Als erste Menschen, niemand hatte vor uns den Gipfel erreicht. Wohl waren verschiedene Versuche gemacht worden, aber man hatte stets den langen Grat, der vom Nepal Peak (7.153 m) zum Tent Peak zieht, unterschätzt, so dass alle Vorstöße bereits zu Beginn gescheitert waren. Auch wir drei hatten 1937 den Gedanken gehegt, den Tent Peak über den Wächtengrat anzugehen, aber erst zwei Jahre später war es uns gelungen, den herrlichsten Siebentausender Sikkims zu betreten.

Im Juli erreichten wir den Kongra-La (5.100 m) an der Grenze zwischen Sikkim und Tibet und gingen weiter bis zum Sebu-La, der bereits auf tibetischem Boden liegt. Tief aus dem Tale grüßte Kampa Dzong und der matte Spiegel des Tsomo-Tretung-Sees zu uns herauf. Dahinter verloren sich die Ketten des Transhimalaja in blauen Fernen. Weit, weit im Westen leuchtete der Kailas, der heilige Berg der Inder und Tibeter.

Wir wandten uns anderen Zielen zu. Im August rangen wir an der Pyramide (7.132 in) um den Erfolg, der uns leider versagt blieb. Der Monsun schüttete Schnee und Eis auf unsere Zelte und schlug uns vom Langpo-La (6.400 m) nach Norden zurück. Ende August hatten wir von Schnee und Eis genug und entschlossen uns, die Zelte abzubrechen. Grob zog mit den Scherpas Pency und Illa über den Lungnak-La (5.000 m) nach Thangu und weiter nach Lachen. Schmaderer und ich wählten den Weg über den Hidden Col (6.000 m) und überschritten von hier aus den Green Lake Peak. Über einen scharfen Firngrat verließen wir die weiße Gipfelwelt des Himalaja. Die Randkluft erforderte mit den Trägern noch einige Vorsicht, dann standen wir zwischen den Felsblöcken des Gratrückens. Tief unten sahen wir auf der Moräne unsere Zelte. Etwa am oberen Ende des Grünsees bemerkten wir, daß in unserer Abwesenheit ein Lager errichtet worden war.

Schmaderer dachte sofort an Krieg. "Die sind gekommen, um uns abzuholen", meinte er bitter. "Da gehen wir am besten gar nicht hinunter". Wie richtig er die Entwicklung in Europa eingeschätzt hatte, erlebten wir zehn Tage später. Als wir bei unseren Zelten standen, kamen die Bewohner des anderen Lagers herbei. Es waren keine Soldaten, keine Polizisten, sondern Vermessungsbeamte der Suruey of India, die an einer Karte arbeiteten. Man hörte buchstäblich den Stein die Moräne hinabpoltern, der Schmaderer vom Herzen fiel, als die Leute auf unser Befragen von Europa nichts Neues zu berichten wussten. 

Bild aus "Zwischen Kantsch und Tibet"
Lachen unten rechts

Einige Tage später kamen die Träger von Lachen herauf. Wir mussten Abschied von den Bergen nehmen. Am rauschenden Zemubach, an dessen Ufern immer noch Edelweiß und Enzian blühten, zogen wir entlang. Die Prachtzeit der Blüte war vorbei. Bei unserem Einzug in Gangtok waren wir noch voll des Erlebens, das uns der Weg aus dem Eis der höchsten Berge in das üppige Wachstum der Subtropen beschert hatte.

Hier erfuhren wir vom Kriegsausbruch in Europa. Es war eine schlimme Nachricht von schicksalhafter Bedeutung. Wir, die wir vor kurzem noch Pläne für künftige Fahrten geschmiedet hatten, sahen uns nun für unbestimmte Zeit festgehalten, getrennt von unseren Freunden, von den Bergen, von der Heimat. Grob versuchte uns Trost zuzusprechen, was aber an der Tatsache nichts änderte. Nahezu drei Wochen hielten wir uns noch in Gangtok auf. Eine Ehrenwache begleitete uns bei jedem Schritt, den wir ins Freie taten. Grob musste nach Darjeeling, ihm fiel die ganze Last der Auflösung der Expedition zu, während wir untätig' der Dinge harrten, die da kommen sollten.

Wenigstens konnte das Bildmaterial sicher in die Heimat kommen. Mr. Gould, der damalige "Political Officer of Sikkim", hatte die Freundlichkeit, die Kisten zu versiegeln, so dass Grob, der ja Schweizer ist, die Sachen ungehindert aus Indien herausbringen konnte. Schwer fiel uns der Abschied von unserem Freund und Bergkameraden Ernst Grob, verband uns doch unvergessliches Erleben einer Kameradschaft bis zum Letzten. Bei solchen Gelegenheiten ist eine rasche Trennung das Beste. Ein harter, langer Händedruck, ein Glückwunsch - Grob ist gegangen.

Bild aus "Zwischen Kantsch und Tibet"
Ludwig Schmaderer (1)

Am 19. September wartete unten in Rangpo, an der Grenze Sikkims, eine Eskorte von zehn Mann auf uns. Wir sagten Gangtok Lebewohl, fuhren im Wagen hinunter nach Rangpo. Hier war Wagenwechsel. In einem Omnibus, in dem wir mit unserem stattlichen Aufgebot Platz fanden, ging es nach Siliguri. Eine Nachtfahrt mit der Bahn brachte uns nach Kalkutta. Das war das Ende eines Lebensabschnittes und zugleich der Beginn eines neuen, nämlich der Gefangenschaft. Für einen Bergsteiger vom Format Schmaderers nicht gerade der naturgegebene Zustand, heißt das doch Aufgabe eines Lebens ungebundener Freiheit und urgewaltigsten Erlebens.

Nach viermaligem Lagerwechsel landeten wir im Oktober 1941 in Dehra Dun am Fuße der Himalaja-Vorberge. Schon damals, als der Zug die Steigung durch die Siwaliks hinaufkeuchte und die ersten Eisgipfel hoch und fern über den Moosurie-Randbergen erstrahlten, kam in Schmaderers Augen ein Aufleuchten, das mehr sagte als alle Worte. Schon damals wurde der Fluchtgedanke geboren. Zunächst ging es aber ins Lager.

Premnagar, unser Lager in Dun, einer durchschnittlich 15 km breiten Ebene zwischen Siwaliks im Süden und den Vorbeigen im Norden, war schön gelegen. Durchzogen von einigen Flussläufen, die allerdings nur während der Regenzeit Wasser führen, sind hier einige große Teegärten angelegt, gemischt mit einigen Bananenpflanzungen oder Baumgruppen. Im angrenzenden Dschungel gibt es noch allerhand Raubzeug, darunter auch Tiger und Panther. Die Berge im Norden sind bis zu einer Höhe von 1.000 in von dichtem Dschungel bestanden, dann wird der Baumwuchs lichter und in etwa 1.900 in Höhe mischt sich Rhododendron unter den Eichenbestand. Steht man oben auf dem Badraj (2.300 m), so ragen über den bewaldeten Vorbergen die eisgepanzerten Beigriesen des Garhwal-Himalaja in den Himmel. Vom Lager durften wir Ausflüge in die Umgebung machen, wozu uns neun Stunden zur Verfügung standen. Was lag näher, als die im Norden liegende Kette zu ersteigen, und bald kannten wir jeden Weg, jedes Bachbett, jeden Gratrücken, der hinaufführte. Oft stand ich mit Schmaderer auf diesen Gipfeln. Sehnsüchtig wanderten dann unsere Blicke hinüber zu den Eisbergen im Norden.

Im Frühjahr 1943 dachte Schmaderer ernstlich an baldige Flucht. Diese gelang ihm auch im Mai. Aber schon nach drei Wochen kam er wieder zurück. Oben an der Jummna war er von Eingeborenen verhaftet und der Polizei übergeben worden.

Dieser Versuch in die Berge zu gehen, war nichts anderes als eine Reaktion auf die Enge des Lagers, ein Auflehnen gegen das körperliche und geistige Erlahmen durch das Einerlei des Gefangenenlebens. Fast zwei Jahre vergingen. Da sollten 20 Internierte, die im Laufe der Jahre aus dem Lager geflohen waren, in ein anderes Lager versetzt werden, und zwar nach Deoli. Gelegen in Rajputana, am Rande der Wüste, hatte es nicht gerade den besten Namen.

Wie Schmaderer nun eben war - rasche Entschlüsse waren immer seine starke Seite - beschloss er zu fliehen, und zwar wieder in die Berge, um derentwillen wir ja eigentlich hinter Draht saßen. Er teilte mir dies noch mit, bevor er das Lager verließ. Wir vereinbarten, dass ich, im Falle sein Versuch glücken sollte, in den nächsten Tagen folgen würde. Schon am Abend kam die Nachricht ins Lager, dass Schmaderer ausgerissen war. Nun hieß es so rasch wie möglich die nötigen Sachen zusammen zu suchen. Auf vieles musste verzichtet weiden, nur das Lebensnotwendigste konnte mitgenommen weiden. Es war damit zu rechnen, dass wir die ersten vier Wochen unsere Sachen selbst schleppen mussten. Drei Tage später, in der Nacht zum 28. März 1945, verließ ich das Lager.

Wir trafen uns in einem der Täler, die die Berge im Norden durchreißen und die wir wie unsere Tasche kannten. Es war eine herrliche Vollmondnacht, in der wir, zwischen den von der Tageshitze noch warmen Felsblöcken am Ufer des Suarnabaches sitzend, uns für den kommenden Aufstieg stärkten. Ringsum dunkel und schweigend der Dschungel, nur ab und zu huscht ein Nachtvogel über das Bachbett. Durch tiefes Dunkel steigen wir auf, spärlich fällt ab und zu Mondlicht durch das dichte Gewirr der Zweige. Über moosige Felsen, glitschigen Lehmboden und verfaulende Äste finden wir den Pfad, der zum Batoli-Reitweg hinaufführt. Als sich die Bäume lichten, wird der Blick ins Tal frei. Tief unten liegt das Lager, umgeben vom Lichterkranz der Umzäunung. Niemand ahnt, dass wir zwei hier oben stehen. In steilen Kehren erreichen wir das Dorf Batoli, das wir auf leisen Sohlen durchschreiten. An den kahlen Hängen des Badraj geht es entlang, dem Kar-su-Sattel zu. Ein kühler Wind verrät uns die Nähe des Sattels. Hier heißt es wieder vorsichtig sein, doch bald haben wir die Häuser hinter uns. Im Gegensatz zur kahlen Südseite finden wir an der Nordseite dichten Rhododendrenwald mit Eichen vermischt. Kühl und feucht ist es, man merkt deutlich, dass es hier in den Nordflanken mehr Niederschläge gibt. Da die Nacht zu Ende geht, müssen wir uns einen geeigneten Lagerplatz für den Tag suchen, denn wir dürfen uns ja nicht sehen lassen. Auf einer steil abfallenden, von hohen Föhren geklönten Kuppe finden wir das Gewünschte. In der nächsten Nacht laufen wir den steilen Rücken ins Jummnatal hinunter, aus dem noch undeutlich das Rauschen des Flusses herausdringt. Geheimnisvoll dröhnt das Trommeln der Tabla, einer indischen Trommel, durch die Nacht. Gegen elf Uhr sind wir an der Jumna. Einige hell erleuchtete Hütten, vermutlich Brückenwache und Zollstation zugleich, denn hier sind wir an der Grenze der United Provinces und des Tehri Garhwal, lassen wir hinter uns. Dort am Hang muss irgendwo der Chakrata-Moosurie-Reitweg emporziehen. Nach längerem Suchen haben wir ihn gefunden.

Tief unter uns bleibt die Jumna zurück, ihr Tosen wird immer schwächer. Und so wie hinter uns der Fluss versinkt, so versinkt auch der ganze Lagerkram. Schmaderer ist wie umgewandelt. Die Unrast, die ihn während des größten Teiles der Gefangenschaft beherrschte, ist verschwunden. Er ist frei. Kein Drahtzaun trennt ihn mehr von den Bergen, die jahrelang vor ihm standen, ohne dass er sie erleben durfte. Bisher dachte immer ein anderer für uns, ob Lagerleitung oder Kommandant war gleich. Nun verlangte das Leben wieder eigene Entschlüsse.

Wir sind im Aglartal, einem Seitental der Jumna. In weiten Schleifen führt der Weg an den tief eingerissenen Hängen entlang, an wildromantischen Mühlen und strohbedeckten Hütten, aus denen noch ab und zu Feuerschein leuchtet, vorbei. Große Schafherden liegen hier, die mit dem fortschreitenden Frühjahr wieder hinauf in die Berge ziehen. Einmal werden wir rau in die Wirklichkeit zurückgerufen. Hinter uns hören wir plötzlich das Bellen wütender Hunde und als wir uns umdrehen, können wir gerade noch ein paar Steine aufgreifen, um damit die Bestien abzuwehren. Da tauchen aber auch schon zwei Gestalten aus dem Dunkel auf. Es sind Schäfer, die in der Dunkelheit dachten, wir hätten ihnen ein Schaf gestohlen. Als sie aber Weiße in uns erkannten zogen sie sich mit einem tiefen Salam zurück. Uns war die Straße leid geworden. Mehr solche Begegnungen wünschten wir uns keineswegs, deshalb suchten wir einen Abstieg zum Fluss...

Zwei Nächte sind wir nun am Aglar unterwegs. Während des Tages liegen wir im Dickicht und warten auf das schützende Dunkel. Nachts reißen wir uns an den Domen die Haut in Fetzen oder fallen von einem Wasserloch ins andere. So sind wir jede Nacht 10 bis 11 Stunden unterwegs und untertags lassen uns Hitze und Mücken kein Auge schließen.

Endlich haben wir den Eingang ins Deosarital erreicht. In Deosari liegt eine Karawane vor dem Rasthaus, da heißt es auf der Hut sein, um die Schäfer nicht zu wecken. An mehreren Dörfern vorbei, durch Reis- und Gerstenfelder hindurch, steigen wir hinauf zum 3.000 m hohen Chaur-Pass und sind bei Sonnenaufgang auf der Passhöhe. Was wir hier erleben, entschädigt uns voll und ganz für die Schinderei der letzten Tage. Wir stehen unter purpurrot blühenden Rhododendronbäumen und blicken nach Norden. Aus den fahlen Farben des Morgens schälen sich langsam gigantische Eisriesen - die Sechstausender des westlichen Garhwal-Himalaja. Licht in unermesslicher Fülle flutet über die Grate und taucht die Berge in eine Symphonie aus Blau und Gold. Wir stehen und staunen. Nach langem Schweigen sagt neben mir Schmaderer: "Und wenn sie uns jetzt schnappen, das allein war es wert, dass wir, getürmt sind". Und ich musste ihm recht geben.

Am letzten Apriltag ist es, da stehen wir wieder auf einem Pass, dem Thaga La (5.350 m), hoch an der Grenze Tibets. Im Osten steigt die Sonne empor und überschüttet das Gipfelmeer des Garhwal-Himalaja, der nun im Süden liegt, mit flammendem Rot. Tage schwerster Anstrengungen lagen hinter uns. Von Nelang (3.600 m hoch) mussten wir uns durch Schnee und Eis heraufkämpfen. Lange Nächte lagen wir frierend im Zelt, am Tage wühlten wir uns durch aufgeweichten Firn unter einer sengenden Sonne dem Pass entgegen. Und nun standen wir oben auf der Wasserscheide.

Vor uns im Norden weitet sich die tibetische Landschaft; Berg reiht sich an Berg, von tiefen Schluchten getrennt. Etwa 200 km im Norden durchreißt die wilde Schlucht des Sutlei das Land, dahinter baut sich in violetten und blauen Femen der Transhimalaja auf. Hinter jenen Bergen liegt irgendwo Gartok. Noch trennt uns ein langer, schwerer Weg von diesem Ziel. Lange sitzen wir am Steinmann und besprechen den Weiterweg. Am Abend steht unsere Behausung auf einem kleinen ausgesperrten Fleckchen auf etwa 4.000 m Höhe. Aus ewigen vertrockneten Wurzeln und Dornbüschen machen wir ein kleines Feuer und kochen unser kärgliches Essen. Unser Proviant geht merklich zur Neige. Am nächsten Tag treffen wir am Abstieg bei Feldern, die den Namen Tschang führen, einige Tibeter, die hier schon beim Ackern sind. Es sind seit drei Wochen wieder die ersten Menschen, denen wir begegnen. Sie wollen sofort Medizin von uns, denn jeder Weiße ist ihrer Ansicht nach ein Doktor Sahib. Um Mittag sind wir unten am Ob, einem wilden Bergwasser, an dem entlang wir uns einen Weg erschwindeln. Wie sich später herausstellte, hätte es einen besseren Weg gegeben. Einen steilen Schutthang, über den dauernd Steine herabkommen, schleichen wir hinauf, dann haben wir ein großes Trümmerfeld gewonnen, das von einem gewaltigen Bergsturz herrühren muss. Der Tag geht zur Neige, die Felswände ringsum flammen tiefrot auf, darüber spannt sich ein leuchtender, grünblauer Himmel. Auf einem zwischen riesigen Platten eingelagerten Wiesenfleckchen verbringen wir die Nacht. Noch stehen die Sterne am Himmel. Wir brechen früh auf, haben wir doch schon wieder einen 5.000 m hohen Pass vor uns. Es ist ein einziges Wühlen im aufgeweichten Firnbrei, in dem wir zeitweise bis zu den Hüften versinken. Unsere selbstgemachten Schuhe nach tibetischem Muster sind vollständig aufgeweicht und sehen aus wie nasses Fensterleder. Von der Passhöhe ziehen weit hinunter noch die Firnfelder, bis wir endlich auf einem alten Moränenrücken festen Fuß fassen können. Zwischen fußhohen Dornsträuchern und Felsblöcken und über schmierige verschlammte Hänge steigen wir ab. Wir wollten heute noch nach Pulling kommen, aber daraus wird nichts. Die Nacht überrascht uns und wir müssen auf dem Moränenrücken das Zelt aufschlagen. Unser Proviant ist nun wirklich zu Ende; es gibt nur noch eine Mehlsuppe mit Currypulver. Den Rest unseres Zwiebacks und die wenigen Nüsse, vermischt mit Rosinen, haben wir bei der Passüberschreitung verzehrt. Anderntags finden wir nach langem vergeblichen Suchen nach dem Dorf Pulling einen Schafhirten, von dem wir nach endlosen Verhandlungen zwei kleine, bereits abgezogene Zicklein bekommen, über die wir uns mit Heißhunger hermachen. Auch Milch und Fett gibt er uns, nach den letzten Tagen ein ausgesprochenes Festessen. Zwei Tage darauf sind wir in Pulling. Die Aufnahme ist nicht sonderlich, man will uns nichts verkaufen. Und wir sind doch vollständig abgebrannt. In unseren Rucksäcken ist nichts Essbares. Als uns die Leute dann doch etwas Tsampa, Gur und Fett verkaufen, müssen wir Phantasiepreise bezahlen. Wir bleiben einige Tage, ziehen aber dann mit dem Raja von Pulling nach Par, einem kleinen schmutzigen Dorf nordwestlich von Pulling. Hier ist auch der Dzong-poen (Distriktsgouverneur) von Schangtse eingetroffen, der uns bald besucht und uns eröffnet, dass wir auf schnellstem Wege wieder Tibet verlassen müssten, da wir keine Erlaubnis hätten, uns hier aufzuhalten. Wir versuchen, ihn umzustimmen, aber es will absolut nicht gelingen. Der hohe Herr seinerseits will uns eine Uhr abhandeln aber in diesem Punkt sind wir unerbittlich. Nach etwa acht Tagen wird unser Gepäck auf einige Yaks verladen und nun geht es nach Nordwesten, Richtung Shipki.

Ein Monat ist vergangen seit unserem Eintritt nach Tibet, nun stehen wir wieder an der tibetisch-indischen Grenze. Unsere Eskorte ist verschwunden, wir sind wieder allein. Am 1. Juni sind wir in Nam-gar auf indischem Boden. Wir sehen in jedem Dorfbewohner einen Agenten der CID, und dem Bürgermeister, der uns fragt, wo wir denn hin wollen, erzählen wir, dass wir das Sutlej-Tal hinabziehen wollen.

In der folgenden Nacht schleichen wir uns im Mondenschein durch das Dorf. Nach einigen Verhauern haben wir den Pfad gefunden, der hinab zur Brücke führt. Drüben geht es steil nach Tashigang hinauf, das wir aber nicht mehr vor Tagesanbruch hinter uns bringen. Deshalb verkriechen wir uns für den Tag unter einigen riesigen Felsblöcken, die eine Höhle bilden.

Nun wandern wir ins Spitital hinein. Durch die Orte Nago und Chhang eilen wir ohne den geringsten Aufenthalt und kommen nach drei Tagen zum Zusammenfluss der beiden Flüsse Spiti und Pari. Da wir jedoch von diesem Gebiet keine Karte besitzen und Schmaderer glaubt, man müsste den Spiti zehn Tage aufwärts verfolgen, wenden wir uns dem ersteren zu. An den steilen Hängen führt uns der Weg am Fluß entlang. Schwer drücken die Rucksäcke, die wir nun wieder selbst tragen müssen. In Lari, dem ersten Dorf am oberen Spiti, kaufen wir verschiedenes ein, wobei Schmaderer ungeahnte Fähigkeiten entwickelt. Er hat aber auch allerhand Ärger.

Meist beginnt so ein Handel damit, dass die Eingeborenen behaupten, sie hätten überhaupt nichts zu verkaufen, es sei eine sehr schlechte Zeit und sie hätten selbst nichts zu essen. Nach einer ihnen angemessen erscheinenden Zeit bringen sie dann kleine Mengen der gewünschten Ware heran, jedoch zu unverschämten Preisen, da sie glauben, den Käufer genügend begehrlich gemacht zu haben. Nun beginnt unsererseits das Preisdrücken, das auch wieder längere Zeit in Anspruch nimmt. Bevor so ein Handel endlich abgeschlossen ist, wenden sich die beiden Partner wiederholte Male zum Gehen. Man kann immer rechnen, dass so ein Kauf ein bis zwei Stunden dauert; je nachdem man in Stimmung ist, nicht gerade ein Beruhigungsmittel.

Durch eine wilde Lößlandschaft erreichen wir Dabo. Lange Manimauern stehen vor dem Ortseingang, dahinter erhebt sich das Kloster von Dabo, welches sich in einem aus der Winterzeit herrührenden See spiegelt. In Dabo bleiben wir über Nacht und ziehen am nächsten Morgen mit einem gemieteten Esel weiter, von einem der Daboleute begleitet. Gegen Mittag sind wir in Poo, einem größeren Dorf mit einigen Pappeln und riesigen Wacholderbäumen. Am Nachmittag ziehen wir weiter nach Dankhar. Auf halbem Wege bei der Niederlassung Ra-shing will unser Tragtierführer nicht mehr weitergehen. Er verlangt eine Rupie mehr, die Schmaderer nicht bezahlen will. Erst als der Tibeter Miene macht, abzuladen, bekommt er seine Rupie. Am Abend sind wir in Dankhar. Es ist dies ein wildromantischer Ort. Das Kloster liegt auf abenteuerlich zersägten Felsen 60 m über den terrassenartig angelegten Feldern. Die Häuser des Dorfes sind gleich Schwalbennestern an die Felsen geklebt und von abenteuerlichster Architektur. Den Talhintergrund schließen Eisberge ab, deren Gipfel golden in der Sonne leuchten und einen wunderbaren Kontrast zu den gelbroten und braunen Felsen der nächsten Umgebung bilden. Mit den Klosterbrüdern stehen wir bald in regem Geschäftsverkehr, nur muss man achtgeben, dass man nicht über die Ohren gehauen wird.

Einige Tage später ziehen wir weiter mit einem Ortskundigen, der sich angeboten hat, uns zu begleiten. Der nächste größere Ort Lingti liegt schon sehr weit oben im Spitital. Auf dem Weg dorthin erfahren wir im Laufe des Gesprächs, dass wir auf dieser Route nur mit einem großen Umweg nach Gartok gelangen, dass wir aber schneller ans Ziel kommen, wenn wir wieder zurückgehen zum Zusammenfluss des Spiti- und Pariflusses und diesem folgend, bei dem Ort Jamba nach Osten wendend, den Takum-La zu erreichen suchen. Wir drehen deshalb um und ziehen wieder talab. Bevor wir Dankhar erreichen, kaufen wir einen Esel, da wir die Schlepperei satt sind. Auch ist es nicht üblich, dass ein Weißer seine Sachen selbst trägt, das ist seinem Ansehen nur abträglich. Allerdings ist der Preis für das Grautier sehr hoch, und als wir damit in Dankhar einziehen, bereut Schmaderer den Kauf bereits.

Er versucht den Kauf rückgängig zu machen, hat aber kein Glück. Es ist Mitte Juni und wir sitzen hier oben in Sum-gyl. Inzwischen hat die Schneeschmelze eingesetzt und angeblich die Brücke über den Sum-gyl-Bach weggerissen. Außerdem warnen uns die Eingeborenen vor dem Bibi-La, einem 5.606 m hohen Pass auf dem Wege zum Takum-La. Wir würden auf dem Pass elend erfrieren, unser Esel würde den Strapazen erliegen. Wir müssten ihn tragen, wir würden kein Futter finden und derlei Geschichten. Schließlich wurde uns das alles zuviel und wir beschlossen loszugehen und zu versuchen über den Pass zu kommen. Als wir zwei Tagesmärsche weiter oben im Tal unser Lager aufgeschlagen haben und eben mit der wichtigen Tätigkeit des Kochens beginnen, tauchen plötzlich Tibeter auf: einer, zwei, drei - es werden immer mehr - schließlich zählen wir 27 Mann. Sie kommen heran und lagern im großen Halbkreis um unser Zelt. Da sitzen sie nun, schweigend und beobachten unser Tun. Nach etwa einer Stunde kommt eine Abordnung, geführt von einem Händler, den wir schon unten in Sum-gyl kennen gelernt haben. Er eröffnet uns, daß es unmöglich sei weiterzugehen, wir würden umkommen und drüben seien keine Dörfer - die alte Geschichte. Außerdem hätten wir kein Hukkum, das heißt keine Erlaubnis des Maharadscha von Tashigang am Indus und dann säßen eben dort zwei Engländer, die uns ebenfalls aufhalten würden. Zum Schluss meinte er noch, wenn wir es trotzdem versuchen sollten, dann wären sie schließlich in der Überzahl und wüßten uns zu hindern. Da saßen wir also wieder fest. Siebenundzwanzig Mann waren doch zuviel, um damit Händel anzufangen. Also hieß es schweren Herzens umkehren; es gab keine andere Möglichkeit. Am nächsten Tag waren wir wieder zurück in Sum-gyl. Hier bekamen wir den für den Rückmarsch versprochenen Proviant, jedoch erst nach einem endlosen und lebhaften Palaver, bei dem sich jeder der Betroffenen um die Lebensmittelabgabe herumdrücken wollte.

Von einigen Tibetern hatten wir erfahren, dass es noch einen Weg über Bartiok und Karat nach Gartok geben sollte. Als wir nun in Tsurup, einem Dorf am Pari-Fluss ankamen, erkundigten wir uns noch mal nach diesem Weg und bekamen denselben Bescheid. Um nichts unversucht zu lassen, zogen wir Anfang Juli die steilen Hänge hinauf. Unter uns verschwand Tsurup. Um die Mittagszeit hatten wir die Passhöhe erreicht. Vor uns lag wieder das Hochland Tibet ausgebreitet und im Norden baute sich in blauen Ketten der Transhimalaja auf. Wieder lebten unsere Hoffnungen auf ein Durchkommen nach Gartok auf. Noch immer lockten die unbekannten Achttausender Nepals, ein Wunschtraum Schmaderers.

Am späten Nachmittag sind wir unten in Bartiok. Hier bekommen wir auch einen Träger, der mit uns nach Karak gehen will. Zu früher Morgenstunde sind wir schon unterwegs. Eine lange Strecke müssen wir im Flussbett dahinziehen. Kleine Wiesenfleckchen mit verkrüppelten Weiden laden zur Rast. Wir aber eilen weiter. Ferne Ziele locken. Über einen Sporn hinweg gewinnen wir ein anderes Flussbett, das noch zu überschreiten ist. Dann steigen wir steil bergan, oft müssen wir dem Esel über schwierige Felsstufen hinauf helfen. Endlich wird das Gelände flacher, kleine Wiesen, auf denen Primeln und Enzian stehen, mehren sich. Da sehen wir einen einzelnen Mann die Hänge herabsteigen. Bald ist der Tibeter herangekommen, fragt nach Woher und Wohin, nach unseren Absichten und vieles mehr, wie das im Innern Asiens so üblich ist.

Nun erfahren wir, dass er, der Tibeter, von Karat komme und beim Flussübergang seinen Kameraden verloren habe, er selbst nur mit knapper Not dem Tod des Ertrinkens entronnen sei. Wir sollten ja nicht probieren, den Pari zu überschreiten, denn er habe Hochwasser und ohne Reittiere wären wir verloren. Unseren Esel würden wir ebenfalls verlieren, denn er sei viel zu schwach. Als unser Träger diese Geschichten hörte, weigerte er sich weiterzugehen; auch nach längerem Verhandeln kamen wir zu keinem Resultat.

Nun entschlossen wir uns, den Nepal-Plan vollständig aufzugeben und uns statt nach Osten nach Westen zu wenden. Wir wollten uns an der Nordgrenze Kaschmirs entlang Afghanistan zuwenden. Also zurück ins Spitital.

Zum zweiten Mal sind wir im Spitital, ziehen den uns bekannten Weg hinauf an den langen Manimauern vorbei, kommen an den nun leeren Höhlen vorbei, in denen vor einem Monat Hirten hausten, die uns gastfreundlich bewirteten. Zwei Tage verbringen wir auf einem schönen Lagerplatz unten am Fluss, ein alter knorriger Wacholderbaum versorgt uns mit Brennholz und eine klare Quelle stillt unseren Durst.

Als wir nach Lari kommen, ist das Dorf fast menschenleer und auf unsere Fragen erfahren wir, dass der weitaus größte Teil der Bewohner das Tal hinauf auf bessere Weidegründe gezogen ist. Zu kaufen gibt es nichts weiter als etwas geröstetes Getreide. Wir halten uns nicht weiter auf und suchen den nächsten Biwakplatz zu erreichen.

Bild aus "Zwischen Kantsch und Tibet"

Herbert Paidar (2)

Es mag etwa der 11. oder 12. Juli sein als wieder Dabo in Sicht kommt. Wir haben noch eine halbe Meile bis zum Dorf, da meinte Schmaderer, er wolle vorausgehen und schauen, ob er irgendwelchen Proviant bekäme. Ich selbst zog mit dem Esel, der sehr langsam ging, hinterher. Als ich das Dorf erreichte, war Schmaderer schon im Handeln mit den Dorfbewohnern, die wieder ungeheuerliche Preise verlangten. Es mag ungefähr halb zwölf Uhr gewesen sein, als ich mich von Schmaderer verabschiedete, der sich sofort wieder in den Handel stürzte. Schmaderer meinte, da der Esel so langsam ginge, solle ich nur weitergehen und weiter oben im Tal auf einem uns bereits bekannten Lagerplatz auf ihn warten; ich könne ja inzwischen alles zum Kochen bereit machen. Er würde dann in kürzester Zeit nachkommen, da er ja allein schneller gehen könne. Das waren die letzten Worte, die ich mit Schmaderer wechselte.

Ich zog dann mit unserem Tragtier am Spiti entlang auf und ab, bis ich kurz vor dem besagten Lagerplatz ein größeres Stück ansteigen musste. Auf der Höhe der Steigung blicke ich noch einmal auf den Weg zurück, den ich eben gekommen bin. Da sehe ich unten an der Biegung einige Punkte, die sich verhältnismäßig rasch vorwärts bewegen. Dies war um 13.30 Uhr und könnte eventuell Schmaderer gewesen sein. Ich rechnete deshalb, dass Schmaderer spätestens bis drei oder halb vier hier sein würde.

Kurze Zeit später bin ich am Lagerplatz und mache mich daran, etwas Holz zu suchen, was ja hier oben immer ein Problem ist. Es wird vier, fünf, es wird sechs Uhr - Schmaderer kommt nicht. Das ist ganz gegen seine Art. Was kann da sein? Er hätte schon vor zwei Stunden hier sein müssen. Alles mögliche geht mir durch den Kopf - am wahrscheinlichsten erscheint mir, dass er mit den Eingebornen Streit hatte und auf irgendeine Art zu kommen verhindert ist. Das Beste ist sofort nach Dabo zurück! Und schnell muss es gehen, da es bereits zu dämmern beginnt. Ich packe mir die beiden Säcke auf den Rücken, den Esel zu beladen würde zuviel Zeit in Anspruch nehmen, und im Eiltempo trabe ich zurück nach Dabo, das ich in tiefer Dunkelheit erreiche. Kein Mensch ist zu sehen, die Häuser sind alle dunkel, nur in einer der tiefer gelegenen Gassen höre ich Menschen flüstern. Auf Rufe meinerseits kommen nur einige Steine aus dem Dunkel geflogen. Erst nach wiederholtem Anrufen kommen einige Bewohner angeschlürft. Auf meine Fragen, ob sie nicht wüssten, wo mein Freund wäre, meinten sie, er sei doch nach Puh gegangen. Nun ist Puh ein Dorf, das noch weiter oben im Tal liegt als der Lagerplatz, an dem wir uns treffen wollten. Ich setzte ihnen also auseinander, dass das unmöglich wäre, denn da müsste ich meinen Freund ja gesehen haben. Darauf meinten sie, ich solle nur nach Puh gehen, da würde ich ihn bestimmt treffen. Mehr ist nicht aus den Leuten herauszubringen. In aller Frühe des nächsten Morgens breche ich auf. Einige schwere Stellen kurz vor Puh machen mir mit dem Esel zu schaffen. Die Leute von Puh kennen mich noch vom letzten Mal, als wir hier oben waren. Auf meine Frage, ob mein Kamerad hier wäre, bekomme ich nur eine verneinende Antwort, und als ich ihnen den Sachverhalt schildere, setzen sich einige der Frauen, die unter den Zuhörern waren, nieder und fangen jämmerlich an zu weinen, was mich eigenartig berührt, da es hier oben eigentlich nur üblich ist, einen Toten zu beweinen. Am Abend bin ich wieder in Dabo. Aber auch hier wieder dieselben Antworten auf meine Fragen. Ich suche nach Spuren, laufe noch mal ein Stück des Weges am Fluss entlang, kann aber nichts finden.

Nun wollen sie mir erzählen, Schmaderer sei wahrscheinlich ins Wasser gefallen und ertrunken, noch dazu in einem Bach, der ungefähr einen Meter tief ist. Um nichts unversucht zu lassen, suche ich die Bachufer ab, kann aber nichts finden. Nach dreitägigem Nachforschen gebe ich es auf und gehe zur indischen Grenze zurück. Das Verschwinden des Gefährten muss aufgeklärt werden und der erste Polizeiposten ist erst im Sutlej-Tal. 14 Tage brauche ich, bis ich unten in Tashigang am Sutlej bin. Immer wieder bleibe ich auf den von uns benützten Lagerplätzen einige Tage, in der Hoffnung, von Schmaderer irgendetwas zu hören. Es ist alles nutzlos, jeder Tag verringert die Aussichten. Es muss etwas Furchtbares passiert sein. Kurz vor Tashigang treffe ich einige Tibeter, die wir bei unserem Marsch zum Shipki-Pass in Sargon kennen gelernt haben. Auch sie fragen mich nach meinem Kameraden und machen sorgenvolle Gesichter, als sie hören, was passiert ist.

Am Abend, als wir gemeinsam in Tashigang am Feuer sitzen, kommt ein wenig Vertrauen erweckender Bursche, setzt sich ans Feuer und fängt an zu erzählen. Nach längerer Zeit wendet sich der Sargonmann an mich und übermittelt mir die ziemlich rasch geführte Unterhaltung.

Es ist die Geschichte von Schmaderers Verschwinden: Schmaderer hatte in Dabo eingekauft und bei der Bezahlung hätte er Geld aus einer Büchse genommen, in der auch Goldstücke, zwei Uhren und andere Tauschgegenstände gewesen seien. Er hatte diese Sachen auch den Leuten gezeigt. Dann hätte Schmaderer das Dorf verlassen. Unterwegs wäre er von mehreren Eingeborenen überfallen, erschlagen und ausgeraubt worden.

Das also soll das Ende Ludwig Schmaderers gewesen sein. Er, der im Fels das Letzte wagte, der im Eis das Schwierigste meisterte, der unzählige Bergfahrten unternahm, der Kamerad auf drei Expeditionen, er wurde hier in diesem gottverlassenen Winkel schnöder Geldgier willen ermordet.

Im November 1945, als ich schon wieder im Lager bin, kommt ein Inspektor der Kangra-Polizei, um verschiedene Gegenstände identifizieren zu lassen, die die Polizei bei einer Durchsuchung in Dabo gefunden hat und die Schmaderer unzweifelhaft bei sich hatte, als er verschwand. Die Polizei hatte in Dabo auch drei Mann verhaftet, die die Tat verübt hatten, wovon allerdings zwei Mann wieder flüchteten. Nun sitzt einer der Täter, der Tibeter Raqzin Cherrup in Dharamsalla im Gefängnis und wartet auf seine Aburteilung. Der Gerechtigkeit ist damit wohl Genüge getan, unseren Ludwig Schmaderer kann uns das jedoch nicht wieder zurückgeben. So musste einer unserer erfolgreichsten und besten Bergsteiger auf tragische Weise sein Leben lassen. Auch der kleine Hoffnungsschimmer, daß man von Schmaderer nichts gefunden hat und er deshalb als vermisst anzusehen ist, ist wohl im Laufe der Jahre erloschen.

So ist zu den Opfern des Himalaja, zu den Opfern der Berge überhaupt, wieder ein neues dazu gekommen. Aber Schmaderer soll nicht vergessen sein. In der Geschichte des Alpinismus wird sein Name weiterleben und den Jungen soll er immer ein Vorbild sein.

Anmerkung

1
Zitat auf Seite 9 des Buches "Zwischen Kantsch und Tibet" von Herbert Paidar von Mai 1949: "Mit Dir, Ludwig Schmaderer, ist einer der besten Bergsteiger von uns gegangen. Du wirst mir immer in leuchtender Erinnerung bleiben als Kamerad auf schwerer Fahrt und als Freund in den langen Jahren der Gefangenschaft, und als ich damals an der Grenze Indiens die furchtbare Gewissheit Deines Todes bekam, da war es mir, als hätte ich einen Bruder verloren. In den Herzen Deiner Kameraden aber wirst Du weiterleben, und den Jungen sollst Du immer Vorbild und Ansporn sein. Ein Mensch, den wir liebten und achteten, ist erst dann tot, wenn wir ihn vergessen haben."

2
Zitat zu dem Bild auf Seite 56 des Buches "Zwischen Kantsch und Tibet": "Er spricht wendig, studiert viel und versenkt sich am liebsten allein in die Schönheiten der Natur, was er aber anfasst, führt er entschlossen und treu bis zum äußersten durch."

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Deutscher Himalaja-Bergsteiger im Spiti-Tal ermordet

Echo der Woche vom 12.11.1948, Seite 14
Nach privaten Briefen und Berichten von Ewald Beckmann

Am 11. Juli 1945 wurde der Münchner Bergsteiger Ludwig Schmaderer auf der Flucht aus dem Internierungslager Dehra Dun nach Lhasa im Dorfe Lari im Spitital im Zentralhimalaya von Dorfbewohnern in einem Hause erwürgt. Sie glaubten, viel Gold bei Schmaderer zu finden.

Der weisse Mann ist ein Ereignis

Reisende Kalenderverkäufer, Händler mit Neujahrsfähnchen für die Zelte der Nomaden, hören das Gebet eines Hirten. Ein wohlhabender Mann aus dem Pundjab treibt fünfhundert Schafe, beladen mit Salzsäcken, zur Grenze. Einige besonders kostbare Lasten bergen Moschus, und in seinen Pelz hat der Mann Gold eingenäht. Ein Fährmann, auf dem. Gebirgsfluss erhebt eine Salzsteuer und erzählt eine Geschichte von einem Deutschen, der im Spitital' verschwunden ist. Hinter der Grenze, drüben in Nepal, wird dieser Bericht weitergegeben, während der Rast, nachts, in einem Basar, Man kaut roten Bethal, raucht eine Wasserpfeife, Kamele schnauben und Tänzerinnen schweben vorüber. Ein indischer Polizist, der das Schreiben erlernte, sieht seinen Ehrgeiz darin, das Gehörte in wunderschönen Buchstaben niederzumalen, und eines Tages ist die Geschichte bei der indischen Regierung in Lahore angelangt. Ein vornehmer Moslem und ein junger weißer Sahib plaudern auf der Terrasse eines Gartens.

Der Sahib hat den gleichen Bericht in ähnlicher Form von verschiedenen Punkten der Grenze bekommen: Der aus dem Lager Dehradun entflohene und zurückgekehrte deutsche Bergsteiger Paidar hat berichtet, unter welchen Umständen er seinen Kameraden verloren hat. Es wird also stimmen. Der englische Gesandte in Lhasa wird Vorstellungen erheben müssen. Der tibetanische Premierminister wird seinen Gouverneur mit der Untersuchung beauftragen.

Das Land Tibet wird von zwei Millionen Menschen bevölkert. Priester, Ackerbauer, Händler und Hirten. Nomaden, die ihre Herden durch die Gebirge und über die Grasebenen treiben. Die Bauern und Hirten sind unwissend und arm. Das Auftauchen eines weißen Mannes ist noch immer ein Ereignis in Tibet. Einige tausend dieser Halbgötter regierten zweihundert Jahre lang das Riesenreich hinter der Südostgrenze, Indien und dreihundert Millionen Inder. Ein Weißer ist immer auch ein Reicher. Man wird seinen Besitz begehren. Drüben, auf der anderen Seite des Himalaya, jedoch wird man dieses Leben im Auge behalten. Und wenn es vorzeitig zu Ende geht, wird für Bestrafung der Schuldigen gesorgt werden. Und hier der Bericht. Im Frühjahr 1945, als der Krieg in Europa zu Ende ging, beschlossen Ludwig Schmaderer und Herbert Paidar, von den phantastischen Siegesberichten des englischen Rundfunks verwirrt, noch einmal zu fliehen. In der Nacht vom 27. zum 28. März trafen sie sich fünf Meilen vom Lager Dehradun entfernt auf der großen Straße nach Poundar. Hierher hatten sie schon Kleidung, Proviant und ein Zelt dirigiert.

Nach den Erfahrungen früherer Fluchtversuche sahen sie allein in dem Wege nach Tibet eine Chance. Sie wanderten durch das Baghiritital, dem Tor der Gletscher zwischen Abgründen und Eisschründen entgegen. In Par trafen sie den Distriktsgouverneur von Shangdse, der ein Verhör mit ihnen anstellte. Da sie keine Erlaubnis zur Einreise nach Tibet vorweisen konnten, dirigierte der Beamte sie wieder zurück. Er begleitete sie bis zum Shipki-Pass. Hier trennte er sich von ihnen.

Paidar und Schmaderer in Dehradun

Aber Schmaderer und Paidar gingen nicht weiter zurück. Sie mieteten sich einen Maulesel und zogen über Namgar nach Trashigang und in die Spitigegend. Inzwischen war es der 1. oder 2. Juni 1945 geworden. Nachdem sie die Dörfer Nago und Chang passiert hatten, überschritten sie den Tsurub-Fluss. Bis zum 15. Juni führte sie ihr Marsch über die Dörfer Lari, Tabu, Po und Rashing nach Tangar.

Sie besaßen ungefähr vierhundertsechzig Rupien, was etwa siebenhundert Goldmark entspricht. Schmaderer war der Verwalter des Geldes und machte die Einkäufe. Das wurde ihm zum Verhängnis. Im ganzen Distrikt verbreitete sich das Gerücht, die beiden Deutschen würden tausende Goldstücke bei sich führen. Die Nomaden lockt das Gold.

Nach einem Aufenthalt von drei Tagen marschierten sie weiter nach Sungil. Hier sagte man ihnen, sie könnten nicht weiterkommen, da alle Berge mit Schnee bedeckt seien. Aber nach acht bis zehn Tagen starteten sie trotzdem in der Richtung auf den Pobila-Pass. Als sie nach einigen Tagen die Passhöhe erreichten, kam abends eine Gesellschaft von zwanzig oder fünfundzwanzig Nomaden an ihr Feuer, die ihnen offenbar schon von Sungil her mit bestimmten Absichten gefolgt war. Die beiden Deutschen befanden sich in einer ungemütlichen Situation. Sie beherrschten kaum die Sprache der Nomaden. Notdürftig verstanden sie, dass ihnen vorgeworfen wurde, keinen Paß und keine Reiseerlaubnis vom Raja von Trashigang zu haben. Die Rotte belästigte sie. hartnäckig und fortgesetzt. Es war deutlich erkennbar, dass ein Grund zum Streit gesucht wurde. Die Gier nach dem durch die Gerüchte geisternden Gold der Deutschen war offenbar vorhanden. Nicht aber die Entschlossenheit zum Raubüberfall. Es war ganz klar, dass die Nomaden einen Streit zum Vorwand der Plünderung suchten.

Schmaderer und Paidar erkannten ihre Lage und versuchten allen Klippen mit orientalischer Freundlichkeit aus dem Wege zu gehen. Sie unterwarfen sich den Anordnungen der Rotte um so lieber, als der Weg ins Tal zurück sie nach wenigen Tagen aus der Verlassenheit des Gebirgspasses wieder in die Dörfer führte. Sie marschierten bis zu dem Dorfe Tonrup.

Reisende auf der Talstraße schilderten ihnen die Flüsse als unpassierbar wegen der Sommerhochwasser, die nördliche Route über das Gebirge als unmöglich, weil keine Pässe vorhanden waren. Da aber, wo es Pässe gab, gäbe es auch Räuber.

Nachdem sie einige Tage ziemlich ratlos und ziellos durch das Tal gewandert waren, erreichten sie wieder das Dorf Lari. Es war ihnen unmöglich, hier Lebensmittel zu kaufen, weil die gesamte Bevölkerung sich auf den Weidegründen in den Bergen befand. So gingen sie am selben Tage nach Tabu weiter, das sie gegen Abend erreichten. Schmaderer bat Paidar, einen passenden Lagerplatz oberhalb des Spitiflusses neben dem Karawanenpfad auszusuchen, während er selber die notwendigen Einkäufe besorgen würde. Später wollte er mit dem Freunde am Lagerplatz wieder zusammentreffen. Schmaderer suchte ein ihm bekanntes Haus auf, wo er früher schon gekauft hatte. Dabei wurde er von Dorfbewohnern gesehen. Er ging am Fluss entlang.

Ein unheimlicher Begleiter

Paidar hatte einen Lagerplatz am Wege nach dem Dorfe Po gefunden. Hier wartete er vier oder fünf Stunden auf seinen Kameraden. Dann in der Nacht, jagte ihn Unruhe und Angst wieder auf. Er bepackte seinen Esel und trieb ihn durch die braunen Nebel, die die nächtliche bizarre Landschaft nicht freundlicher aussehen ließen, nach Tabu zurück, das er spät in der Nacht erreichte.

Da Schmaderer Militärstiefel mit Nägeln trug, beobachtete Paidar den Boden, fand aber keine Spuren. Im Dorfe wurde ihm erklärt, dass sein Gefährte, nachdem er seine Einkäufe gemacht hatte, das Dorf in der Richtung auf Po verlassen hätte. Paidar kampierte noch einen Tag und eine Nacht an der Straße außerhalb des Dorfes Er fand nirgends eine Spur. Am nächsten Tage kehrte er noch einmal nach Tabu zurück. Jetzt wurde ihm auf seine Fragen erklärt, dass sein Freund möglicherweise in den Fluss gestürzt und ertrunken sei. Paidar sagte den Dorfbewohnern, dass das ja ganz unmöglich wäre, weil der Fluss zu seicht und außerdem eine Brücke vorhanden sei, so dass es gar nicht notwendig war, durch den Fluss zu gehen. Trotz der Unwahrscheinlichkeit, dass Schmaderer im Fluss umgekommen sein sollte, untersuchte Paidar beide Ufer bis zu der Stelle, wo er gelagert hatte, ohne irgendwelche Anzeichen zu finden. Alles deutete auf eine Verabredung, eine Verschwörung unter den Dorfbewohnern hin, aber die Menschen waren nirgends zu fassen. Sie entzogen sich allen Nachforschungen mit kühler, höflicher Unbeteiligtheit und asketischer Undurchsichtigkeit. Paidar sah die Ergebnislosigkeit; weiterer Untersuchungen ein. Er konnte wenig Hindustanisch und noch weniger Tibetisch sprechen. Er beschloss, nach Indien zurückzukehren. Auf dem Rückwege nach Trashigang machte er mehrmals Station in Lari, in Chang und in Naho, immer in der Hoffnung, dass Schmaderer vielleicht noch auftauchen würde. So brauchte er vierzehn Tage bis Trashigang.

Als Paidar in Trashigang lagerte kam ein Tibetaner zu ihm, der ihm erzählte, dass er vor einigen Tagen in Tabu gewesen sei und dort gehört hätte, dass Schmaderer während seiner Einkäufe in diesem Dorf gefangengenommen worden sei. Fünf Männer hätten ihn gepackt, Kleider und Körper durchsucht und ihn dann ermordet. Der Tibetaner erbat sich etwas Geld, dann würde er bereit sein, seine Aussage auch vor den Polizeibeamten in Rampur zu machen. Aber er verschwieg seinen eigenen Namen und berichtete keine weiteren Einzelheiten über den Mord.

Paidar holte einen Distriktsbeamten und ersuchte ihn, die Aussage des Tibetaners niederzuschreiben, Der Tibetaner bat, von seiner Forderung nach einer Bezahlung nichts zu erwähnen.

Als Paidar am nächsten Morgen nach Namgar weiter zog, erschien der Tibetaner wieder und begleitete ihn. Seinen Namen hatte er noch immer nicht genannt. In Namgar versuchte er den Deutschen zu überreden, nicht im Dorfe zu übernachten. Er zeigte ihm einen steinigen und sandigen Platz, vierzig bis fünfzig Minuten von Namgar entfernt. Kein Wunder, dass Paidar Verdacht schöpfte. Er schickte den Tibetaner ins Dorf zurück, Wasser zu holen, da er Tee bereiten wolle. Während der Abwesenheit seines rätselhaften Begleiters erschienen einige Dörfler bei ihm, die ihn vor seinem Gefährten und vor dem gewählten Lagerplatz warnten. Sie begleiteten Paidar bei anbrechender Nacht zum Gouvernementshaus von Namgar zurück, wo er nun sein Nachtquartier arrangierte.

Sonam Sharin einer der Mörder

Am nächsten Morgen, als er kaum zehn Minuten weitermarschiert war, holte der verdächtige Tibetaner ihn wieder ein und begegnete allen Versuchen, ihn abzuschütteln, mit einer gleichbleibend höflichen und bestimmten Anhänglichkeit. Im Dorfe Po vermochte Paidar durch den dortigen Schulmeister den Tibetaner als einen gewissen Sonam Sharin zu identifizieren. Ein Wegeinspektor von Spiti kannte ebenfalls diesen Sharin.

Paidar blieb fünf Tage in Po, verkaufte seinen Esel und mietete einen Träger, um, wenn Sharin ihn gegen seinen Willen wieder begleiten sollte, nicht mit ihm allein zu sein. Aber Sharin begleitete ihn nicht weiter. Paidar erreichte die Polizeistation von Kamgar, wo er seinen Bericht über die Ermordung Schmaderers zu Protokoll gab. Während seines vier-zehntägigen Aufenthaltes in der Polizeistation kamen drei Tibetaner vorbei, die ebenfalls von dem Mord gehört hatten. Sie berichteten, unter den fünf Mördern Schmaderers sei einer bekannt gewesen als ein Sonam Sharin.

Paidar wurde nun unter Eskorte nach Dehradun zurückgebracht Inzwischen ist er lange in die Heimat entlassen und zurückgekehrt.

Tibet ist weiträumig. Man kann ein Gebiet von der Ausdehnung einer deutschen Provinz durchreisen, um von einem Dorf in ein anderes zu gelangen. Das Leben eines Europäers ist immer noch ein Ereignis in diesem Land. Man kann einen Europäer ermorden und lange Zeit mag es aussehen, als ob nichts dagegen unternommen wird. Aber eines Tages, es kann nach einem oder nach zwei Jahren sein, wird der englische Gesandte in Lhasa den Fall vortragen, und die tibetanische Regierung wird sich überzeugen und den Schuldigen bestrafen.

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Destiny Himalaya

By Herbert Paidar

Himalayan Journal, Vol.15, 1948, pp 69-74.

Schmaderer and Paidar had taken part in the fine ascent of Tent Peak in May 1939

It was about noon when we arrived at Gangtok, the capital of Sikkm. We were coming down from the high mountains round the Zemu glacier, ignorant of what was happening in the wide world. Next day - it was the 3rd September - we learnt that Britain was at war with Germany. That was the end of our second Sikkim Himalayan Expedition of 1939. Grob, who was of Swiss nationality, could leave for Europe and, because of the kindliness and help of the Political Officer of Sikkim, Mr. B.J. Gould, could take with him all our photos and films, but Schmaderer and myself, being Germans, had to be interned.

After several changes of camp, we landed at last at Premnagar, near Dehra Dun, at the foot of the Mussoorie Hills. That was in October 1941. It was not until May 1943 that Schmaderer made his first escape, with Schuemmer. They made their way along the Jumna, but near Rajgarhi they were recaptured and brought back, after three weeks' absence from the camp.

Ludwig Schmaderer, Herbert Paidar and
Ernst Grob on the Tent Peak

In March 1945, twenty-three internees were ordered to be transferred to Deoli, a camp in Rajputana, among them Schmaderer. To be sent away from the mountains which meant so much to him was more than he could stand, and he escaped again, having arranged that I should escape and join him, three days later. A cart called: daily to take the rubbish out of camp to the refuse-ditches a mile away and, on 27th March, having had the driver called away on some pretext or other, I boarded this vehicle and was covered down with tins, straw, and filth by my comrades. The water-buffalo seemed uneasy as if there were something unusual with his load, but the driver noticed nothing at all - it was a very hot day and everybody a little lazy. The gates were opened and rumbled out. Luck was with me. Before the refuse-ditches were reached, the driver stopped, unharnessed his buffalo, and disappeared! The sun was hot, his home was near, and no one was due at the ditches until 4 o'clock. I made for the jungle.

Two hours later I met Schmaderer in the Swarna Nulla, and that same night we reached the Jumna by way of the Kara-su saddle. The first ten days we did our marching by night, in case of arrest. About what we took to be the 14th April we reached Nelang, a village high in the Jadhganga valley, and it was the end of April when we stood on the top of the Taga-la (c: 18,000 feet), a pass on the border of Tibet and India. The winter of 1944/5 was a hard one and from 10,000 feet onwards paths and slopes were snow-covered. Our tennis-shoes were in shreds, we had no boots, our rations were melting like snow in the sun, and we had another pass of 16,000 feet to cross before we reached habitation.

However, we reached Pulling at last, a small village, typically Tibetan and none too clean. The people were not very friendly and at first were unwilling to sell us the fat and ghur (sugar) we needed so badly. But there we met the Raja of Tulling and accompanied him down to Par, a more congenial village where we stayed eight days, making the acquaintance of the Dzong-pen of Shang-tse, who travelled with a tea caravan to Shipki. We put our few belongings on one of his yaks, and accepted his offer of escort to Shipki, travelling through barren country to a pass leading to the Ob, a tributary of the Sutlej. On our march we visited Ri, a picturesque place in an amphitheatre opening to the south on a wild and narrow gorge, with a monastery and an old chorten with beautiful paintings on the walls. From Ri we went via Chuse gom-pa down to Sarang, crossing the Sutlej and climbing the Shiring-la (17,000 feet) from where we marched down to Mai-yang, and it was the end of May when we reached Shipki, high above the Sutlej with the rock and ice-walls of Riwo Phargyul in the background.

On 1st June we arrived at Nam-gya on Indian territory again, to learn that Aufschneiter and Harrer had been, like us, escorted to Shipki, in 1944. We had to decide between going down the Sutlej valley, with the possibility of being interned again, or try Tibet a second time. If we could have known that the war in Europe was over, our plans would have been different and Schmaderer would still be alive, but as it was, our anxiety was to get away, and so that night we escaped down the slopes to the suspension bridge crossing the Sutlej, and in the early hours of the morning we camped in the neighbourhood of Tashigang. Four days' forced marches took us to Lari, the first village in the upper Spiti valley. All the way we had to carry our entire belongings so we got plenty of first-hand experience in what it means to take a load of 60 to 70 lb. at altitudes of 16,000 and 17,000 feet, and reminded us of our porters and their heavy packs on our 1937 and 1939 expeditions.

Schmaderer's idea was that we should follow the Spiti for some days and then go eastwards to Gartok, but this proved to be wrong. We made up the Spiti valley as far as Dankhar, hanging like an eagle's nest among steep cliffs, and thence to Kibar, where the people told us the best way to Gartok would be via Sum-gyl. So we turned back to try this route, and bought a donkey to relieve our weary shoulders.

At Sum-gyl we met traders who were on their way to Trashigang on the Indus. Asking about the way to the Bibi-la, we were told it was impassable and dangerous, but our hearts were set on trying to reach Nepal and see the mighty mountains of the Lidi valley, so we decided to try it, in spite of the villagers' forebodings - they even offered us rations for our return journey!

Next morning when the waters of the Sum-gyl river were low we crossed and four hours later pitched camp. We were preparing our evening meal when from behind a small hill a man mysteriously appeared, followed by another, and later yet another - at last twenty-seven men in all, who formed a half circle around us in a very ominous manner. After an hour a spokesman came up and told us that on no account could we proceed to Trashigang and if we did not return to Sum-gyl there would be trouble - and accordingly back we had to go.

We next tried the road to Tibet without success, from Bartiok and then decided to abandon all plans for Nepal, and turn west for Kashmir. So up the Spiti valley we went again, by now the middle of July. Lari was our first objective where we found the inhabitants had all moved to higher and better grazing grounds, and food was therefore not obtainable. However, we knew a farmer at the next village, Tabo, who had sold us cheese and tsampa before, and so Schmaderer decided to stop at Tabo and bargain for some food, while I continued to pitch our next camp, half-way between Tabo and Poo.

I went off about 11.30 and two hours later was climbing the little hill which leads to the camping-ground. From there I looked back over the route I had come, and about 2 miles off I could see three tiny dots moving, in my direction. That must have been about the time Schmaderer was murdered, because the three dots never materialized - no one came to join me. After four or five hours of waiting I became very anxious, and went back to Tabo. I could find no trace of Schmaderer's footprints, his army boots, heavily nailed, and everyone I asked told me the same story - 'he had bought his provisions and left Tabo on the road for Poo.' As often as I questioned them, so often did I receive the same reply.

Early next morning I arose, loaded the donkey, and set off for Poo again. It was not an easy path to follow, disappearing as it does every now and then in the waters of the river, to the great despond-ency of the donkey, who had to be forced through the flood. Under overhanging rocks, in one place, there is a steep bridge to ascend, dangling and swaying in the air, with the hungry waters of the Spiti rushing below, and it was hard to drive the frightened donkey over this. However, at noon I reached Poo, to find that no one knew anything of Schmaderer - he had not reached that village. A few women who overheard me sat down and started weeping, which alarmed me, as it is only customary in that land to weep for the dead, but I got no clue and had to return to Tabo. There I got the same replies as before, but with a new suggestion: could my companion have been drowned by the river while crossing it? It seemed in-credible that a trained man like Schmaderer could have been drowned in water that was only knee-deep, however fiercely it was flowing; moreover, there was a bridge and no reason to ford it. However, I searched both banks widely, and the neighbourhood generally, and after three days of fruitless inquiry and investigation decided I had better return to India. Something had to be done in this matter, and, I was sure, the people knew what had happened.

In fourteen days' time I reached Tashigang, meeting on the Way. I a Tibetan from Sargong with whom we had struck up a friendship on the pulling-Shipki march. Tashigang was much nicer than it had been in June. The trees were green and the apricots were ripe, and the sheep were grazing on the new grass. I set up my tent each evening with a heavy heart; I was beginning to doubt that Schmaderer would return and the troubles and anxieties of the past fortnight be ended.

In the late afternoon one day a Tibetan arrived at Tashigang, and from him I learnt the story of my friend's disappearance, as we sat by the fireside of the Tibetan from Sarong.

The informer was a resident of Lari and had picked up the tale on the way through Tabo - Schmaderer had been murdered in Tabo. He had let the natives see his money and valuables when he paid for his provisions, and they had then and there murdered him and robbed him. When I asked for the names of the murderers, the Tibetan demanded money, to accompany me to Rampur and report the matter there. When I told him I had no money, as it had all been with Schmaderer, he disappeared and was not seen again. The friendly Tibetan from Sarong warned me not to trust this man and on no account to stay by myself at night, and one way and another I thought it would be best to push on to Poo (1) on the road back to India.

On arrival there I told my story to the schoolmaster, Neg Dharam Bag, and the headman of Poo, Devi Chand. They identified the suspicious Tibetan as Sonam Chhering, a very bad character, a robber and a thief, and were strongly of the opinion that he was after any remaining money or possessions of value. Accordingly I placed a full report with the Superintendent of Police at Saharan, where I rested for a fortnight after my journey there via Chini.

Before my rest was up I was told that immediate action had been taken by the Deputy-Commissioner of Police, Kangra, while on inspection duty at Spiti. The culprits had been arrested, though two of them escaped afterwards, and one man, Raqzin Chherrup, was brought to Kangra, put into jail, and charged with the robbery and murder of Schmaderer. A police-inspector of Rampur, Parshotam Dass, told me it had been forty years since such an offence had been committed.

By the end of August I was in Rampur where the escort from the C.I. Camp Premnagar was waiting for me, and I returned to Dehra Dun via Simla, arriving on 6th September. Nearly a month later I was restored to Deoli, Rajputana, a sad blow, as I missed the mountains, valleys, and woods of the Premnagar camp so badly. During our internment we had many privileges to relieve the mono-tony of seven years' imprisonment, and the greatest privilege was to be allowed excursions, as we were. In September 1946 when the Italians from Deoli were repatriated, we Germans returned to Dehra Dun. Here I got another light on Schmaderer's murder, which I believe to be the true one. The natives saw the money, gold: coins, and watch, &c, in his possession while he was at Tabo, arid after he had left, three men followed him to the steep and narrow bride on the way to Poo. There while he was talking they pushed him over into the river, killing him with stones from above, and drowning him in the Spiti, where they threw his body. His valuables were found by the Inspector on the Tibetans at Tabo, and this story was told to a fellow internee while on excursion, by a nomad he encountered who came down every year from the Sutlej valley. This story he had heard seems to record the ending of Ludwig Schmaderer, a fine mountaineer, and my friend and comrade of three expeditions.

Peter Aufschnaiter and Harrer had escaped from Dehra Dun to Tibet just a year prior to Schmaderer and Paidar, using much the same route to the frontier. They are still in Lhasa.

Appendix

(1) Not to be confused with the other village of that name, near Tabo.

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