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Wirklichkeit und Religion

Innerungen über Gott, Mensch und Natur 

Von Sadhu Sundar Singh

Inhalt

VORWORT
1 DER ZWECK DER SCHÖPFUNG
2 DIE MENSCHWERDUNG
3 GEBET
4 INNERUNG
5 DAS ZUKÜNFTIGE LEBEN
6 DIE NEUE GEBURT
7 LIEBE
8 GEDANKE UND SINN
9 PHILOSOPHIE UND EINGEBUNG
10 VOLLKOMMENHEIT
11 WIRKLICHER FORTSCHRITT UND ERFOLG
12 DAS KREUZ
13 DER FREIE WILLE
14 GESUNDHEITSREGELN
15 DAS GEWISSEN
16 DIE ANBETUNG GOTTES
17 DAS SUCHEN NACH DER WIRKLICHKEIT
18 REUE UND RETTUNG
19 ERBSÜNDE
20 VEDANTA UND PANTHEISMUS
21 CHRISTUS UNSERE ZUFLUCHT
22 FEINDE GROSS UND KLEIN
23 "GÄSTE UND FREMDLINGE AUF ERDEN"
24 GLAUBE UND REINHEIT
25 OFFENBARUNGEN CHRISTI
26 DEMUT
27 ZEIT UND EWIGKEIT 

VORWORT

In diesem Büchlein habe ich einige Gedanken und Bilder niedergelegt, die ich als Frucht meiner Innerung1 empfangen habe. Ich bin weder Philosoph noch Theologe, sondern ein demütiger Diener des Herrn. Und meine hohe Freude ist es, der Liebe Gottes und den großen Wundern Seiner Schöpfung nachzusinnen. Es ist mir unmöglich, alles zu beschreiben, was ich durch meine inneren Sinne in Innerung1 und Gebet über die Wirklichkeit2 erkannt habe und fühle. Worte können all die tiefen Wahrheiten, die in diesen feierlichen Augenblicken die Seele empfindet, nicht ausdrücken. Aber wenn solche Wahrheiten auch unausgesprochen bleiben, so werden empfängliche Gemüter sie doch bereitwillig und leicht verstehen. Wörter können in der Tat mehr zu Missverstehen als zu wirklichem Verstehen führen.

Ich vermag nicht - ich wiederhole es - alle meine tiefen Gefühle und Gedanken auszudrücken; aber ich werde versuchen, wenigstens einige, so gut wie ich kann, niederzuschreiben. Sollte dieser Versuch den Lesern wenigstens eine kleine Hilfe sein, so will ich später versuchen, auch meine anderen Gedanken und Erfahrungen darzulegen. Gegenwärtig zögere ich noch, aus verschiedenen Gründen, sie einem weiteren Leserkreis zu übergeben.

Subathu, Simla Hills, September 1923

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1  DER ZWECK DER SCHÖPFUNG

"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. .. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist" (Joh. 1, 1-3).

Das Ewige Wort (Logos) war vor aller Zeit und vor der Erschaffung des Weltalls. Durch Ihn wurde Alles geschaffen, das Beseelte und das Unbeseelte. Leblosen Dingen ist es unmöglich, dass sie aus sich selbst heraus entstehen oder lebendige Wesen erzeugen; denn Leben allein schafft Leben, und die Quelle allen Lebens ist Gott. Durch Seine Schöpfermacht schuf Gott alle unbeseelten Dinge. Denen flößte Er Leben ein, und dem Menschen als dem höchsten unter den geschaffenen Wesen "blies Er ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele". "Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf Er ihn und gab ihm Herrschaft über die ganze Erde." 

  1. Gott hat die Schöpfung nicht unternommen, um irgendeinen Mangel in Seinem Wesen auszufüllen, denn Er ist in Sich selbst vollkommen; sondern Er erschafft, weil es in Seinem Wesen liegt zu erschaffen. Er gibt Leben, denn Leben zu verleihen gehört zum ureigenen Wesen Seiner lebenspendenden Macht und Wirksamkeit. Und die Menschen durch Seine Schöpfung glücklich zu machen und ihnen durch Seine lebenspendende Gegenwart wirkliche Freude zu geben, gehört zum ureigenen Wesen Seiner Liebe. Aber die Glückseligkeit, die wir aus der Schöpfung gewinnen, hat ihre Grenzen. Denn Gott allein kann den Mangel der Menschenherzen ausfüllen und ihnen vollkommene Zufriedenheit schenken. Wenn Menschen ohne diese Freude leben, dann kommt das daher, dass sie unwissend oder ungehorsam sind und sich auflehnen gegen Gott.
     

  2. Die Schar der Wesen in den sichtbaren wie unsichtbaren Welten ist nicht zu zählen. Durch diese zahllosen Arten werden Gottes zahllose Eigenschaften offenbart. Jede Art spiegelt, so weit ihre Fähigkeit reicht, irgendeine Seite von Gottes Wesen wider. Sogar durch Sünder wird Seine väterliche Liebe offenbart, denn Er gibt ihnen Gelegenheit, zu bereuen und in Ihm das ewige Leben des Friedens und der Freude zu haben.

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2  DIE MENSCHWERDUNG

  1. Ein Kind mag das Wort "Gott" bloß als ein Wort lesen, ohne dass es irgend etwas von der Wahrheit3 erfasst, die dahinter steht. Wenn aber sein Geist heranreift, fängt es an nachzudenken und wenigstens etwas von dem zu verstehen, was jenes Wort bedeutet. Ebenso ergeht es dem Anfänger im geistlichen Leben: wie gelehrt er auch sein mag, zuerst wird er Christus, das Mensch-gewordene Wort, nur für einen großen Mann oder vielleicht sogar für einen Propheten halten; doch weiter kommt er in seiner Würdigung nicht. Wenn aber seine geistliche Erfahrung wächst und er sich Seiner Gegenwart erfreut, beginnt er einzusehen, Christus ist tatsächlich Gott in Menschengestalt, in dem "die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" wohnt (Kol. 2, 9). "In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen" (Joh. 1,4).
     

  2. Ein Mensch kann seine Persönlichkeit durch Worte nicht hinreichend aussprechen, auch wenn er gelegentlich sogar neue Wörter prägt, um seine Gedanken auszudrücken. Auch Zeichen und Bilder helfen letztlich nicht. Und auch der Leib vermag nicht, alle die Eigenschaften und Kräfte der Seele, die mit zur Persönlichkeit gehören, darzustellen. Mit anderen Worten: solange ein Mensch in dieser Welt ist, bleibt vieles in seiner Persönlichkeit verborgen, und nur ein Teil wird offenbar. Ein Geisteswesen kann sich nur in einer Geisteswelt vollkommen aussprechen, wenn alle Bedingungen, die äußeren wie die inneren, sein Verlangen befriedigen und ihm helfen fortzuschreiten.

    Wenn das schon von einem menschlichen Geist gilt, wie unmöglich ist es dann, dass das ewige Wort Seine Gottheit durch einen Leib hinreichend offenbare! Er offenbarte sich selbst soweit, wie es möglich und zu des Menschen Heil nötig war. Aber Seine wirkliche Herrlichkeit wird in ihrer Fülle erst im Himmel offenbar.
     

  3. Da mag sich die Frage erheben: Wie können wir an die Wirklichkeit2 glauben, ohne dass wir sie sehen und vollkommen erkennen? Dazu möchte ich hier sagen: Wenn wir an die Wirklichkeit2 glauben sollen, dann brauchen wir dazu keine volle Erkenntnis der Wirklichkeit2. So bleiben beispielsweise einige Organe unseres Leibes, von denen unser Leben gar sehr abhängt, vor unseren Augen verborgen. Noch niemand hat sein eigenes Hirn oder Herz gesehen, und dennoch leugnet keiner, dass er sie hat. Wenn wir also nicht einmal unser eigenes Hirn und Herz sehen können, von denen unser Leben weithin abhängt, wie viel schwieriger muss es da sein, den Schöpfer unseres Hirns und Herzens zu sehen, von dem unser ganzes Leben abhängt!

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3  GEBET

  1. Es gibt einige Pflanzen, deren Blätter und Blüten schließen sich, wenn die Sonne sinkt, und öffnen sich wieder, wenn das Licht der Sonne sie am Morgen sanft berührt. Auf diese Weise nehmen sie Wärme und Leben der Sonne in sich auf, die für ihr Wachsen und Gedeihen so nötig sind. Genau so öffnen sich unsere Herzen im Gebet der Sonne der Gerechtigkeit, und wir sind vor den Gefahren und Nöten der Finsternis geborgen und wachsen in die Fülle Christi hinein.
     

  2. Durch das Gebet können wir, wie manche Leute zu denken scheinen, Gottes Pläne nicht ändern. Aber der Beter selbst wird verändert. Die Fähigkeiten der Seele, die in diesem unvollkommenen Leben selber unvollkommen sind, wachsen täglich der Vollkommenheit entgegen.

    Ein Vogel sitzt brütend auf seinen Eiern. Zunächst ist in den Eiern nur eine Art Flüssigkeit ohne Gestalt. Aber indem die Mutter immer weiter auf ihnen sitzt, wird die ungeformte Masse in den Eiern in die Gestalt der Mutter verwandelt. Die Verwandlung geschieht nicht in der Mutter, sondern in den Eiern. Ebenso ist es, wenn wir beten: nicht Gott wird verändert, sondern wir werden in Sein herrliches Ebenbild und Gleichnis verwandelt.
     

  3. Der Dunst, von der Sonnenhitze erzeugt, steigt von der Erde empor. Als wolle er dem Gesetz der Schwere widersprechen, erhebt er sich in die Lüfte, fällt dann wieder als Regen herab und macht die Erde fruchtbar. Ebenso verhält es sich mit unseren wirklichen Gebeten: vom Feuer des Heiligen Geistes entzündet, überwinden sie Sünde und Übel, steigen zu Gott empor und kehren, Seiner Segnungen voll, zur Erde zurück.
     

  4. Die Rippenquallen sind so außerordentlich zart, dass ein leichter Wellenschlag sie in kleine Stücke zerreißt. Wenn sie nur ein kleines Zeichen dafür wahrnehmen, dass ein Sturm naht, versinken sie tief ins Meer, so dass Sturm und Wellen sie nicht mehr erreichen können. Ebenso handelt der betende Mensch: wenn er in der Welt spürt, Satan will ihn angreifen und Sünde und Leid ihn bestürmen, dann taucht er sogleich tief in das Meer der Gottesliebe ein, wo ewiger Friede und Stille ist.
     

  5. Ein Philosoph besuchte einen Mystiker. Sie saßen einige Zeit schweigend beisammen. Dann sagte der Mystiker zu dem Philosophen, als dieser wieder gehen wollte: "Ich fühle alles, was du denkst." Und der Philosoph sagte: "Aber ich kann nicht einmal all das denken, was du fühlst." Es ist klar, irdische Weisheit kann die Wirklichkeit2 nicht erfühlen noch verstehen. Nur wer mit Gott Gemeinschaft hat im Gebet, kann wirklich die Wirklichkeit2 erkennen.
     

  6. Der wunderbare Friede, den der Beter während des Gebets empfindet, entsteigt nicht seiner eigenen Einbildung oder Kraft des Denkens, sondern kommt daher, dass Gott in der Seele gegenwärtig ist. Der Dunst, der von einem kleinen Teich aufsteigt, kann nicht zu großen Wolken werden und wieder als Regen herunterfallen. Nur aus dem mächtigen Ozean können sich so große Wolken erheben und den Regen spenden, der die durstige Erde tränkt und fruchtbar macht. Nicht aus unserem Unterbewusstsein, sondern aus dem grenzenlosen Meer der Gottesliebe kommt der Friede, und mit diesem Meer sind wir verbunden im Gebet.
     

  7. Wenn die Erde sich nicht drehte, so würde die Sonne immerwährende Mittagshitze glühen. Der Wechsel von Tag und Nacht und der Gang der Jahreszeiten haben ihre Ursache nicht in der Sonne, sondern in der Erdumdrehung. Ebenso steht es mit der Sonne der Gerechtigkeit: sie ist dieselbe "gestern und heute und auch in Ewigkeit" (Hebr. 13, 8). Wenn uns Freude erhebt oder wir in Trübsinn versinken, so kommt das von unserer Stellung zu ihr. Wenn wir unsere Herzen der Sonne der Gerechtigkeit öffnen in Innerung1 und Gebet, dann werden ihre Strahlen die Wunden unserer Sünden heilen und uns vollkommene Gesundheit schenken (Mal. 4, 2).
     

  8. Gott hat die Naturgesetze zu Werkzeugen bestimmt, mit denen Er im Menschen wie in anderen Geschöpfen zu ihrem Fortschritt und Nutzen wirkt. Wunder stehen den Naturgesetzen nicht entgegen. Denn es gibt noch höhere Naturgesetze, die wir für gewöhnlich nicht kennen. Die Wunder stehen im Einklang mit jenen höheren Gesetzen. Im Gebet kommen wir dahin, dass wir jene höheren Gesetze allmählich erkennen.

    Das höchste Wunder ist, wenn Friede und Freude unsere Seelen erfüllt. Wir mögen denken, solcher Friede sei in einer Welt der Sünde und des Leidens unmöglich. Aber das Unmögliche wird möglich! Äpfel wachsen nicht in heißen Ländern, noch Mangos in Ländern, wo Schnee fällt. Wenn sie dennoch dort wüchsen, so dürften wir von solch einem Ereignis als einem Wunder sprechen. Dennoch können tropische Pflanzen auch in kalten Ländern wachsen, wenn ihnen alles geboten wird, was sie zum Leben brauchen.
     

  9. Wenn alle Menschen den empfänglichen Geist und das offene Ohr hätten und Gottes Stimme hören könnten, wie sie zu ihnen spricht, dann wäre es gar nicht nötig, dass Evangelisten und Propheten umherzögen und den Willen Gottes verkündigten. Aber nicht alle Menschen sind so empfänglich. Daher sind Prediger des Wortes nötig. Doch mitunter kann durch Beten mehr Gutes gewirkt werden als durch Predigen. Ein Mann, der in einer Höhle hingegeben betet, kann anderen Menschen durch sein Gebet gar sehr helfen. Von ihm gehen Wirkungen aus und verbreiten sich, wenn auch schweigend, so doch spürbar in der Runde, gerade so wie der Rundfunk auf unsichtbare Weise Botschaften sendet und die Worte, die wir sprechen, durch geheimnisvolle Schwingungen anderen übermittelt werden.
     

  10. Manchmal findet man grüne und fruchtbare Bäume in trockener Erde stehen, wo es nicht viel Regen gibt. Wenn man sie aber sorgsam untersucht, so entdeckt man: diese Bäume sind deswegen so frisch und grün und fruchtbar, weil ihre verborgenen Wurzeln verborgene Wasserläufe berühren, die in der Erde fließen. Wir mögen überrascht sein, wenn wir Gebetsmenschen sehen, wie sie mitten in dem Elend und der Sünde der Welt voller Frieden sind, vor Freude strahlen und ein fruchtbares Leben führen. Das kommt daher: die verborgenen Wurzeln ihres Glaubens erreichen im Gebet die Quelle des Lebendigen Wassers und ziehen aus ihr Kraft und Leben und bringen Früchte zum ewigen Leben (Ps. 1,3).
     

  11. Die Enden der Baumwurzeln sind so empfindsam, dass sie - sozusagen aus eigenem Antrieb - sich von den Stellen abwenden, wo sie keine Nahrung finden, und sich dorthin ausbreiten, wo sie Saft und Leben sammeln können. Gebetsmenschen haben auch diese Kraft der Unterscheidung. Untrügliche Einsicht hilft ihnen, dass sie sich von Trug und Täuschung abwenden und die Wirklichkeit2 finden, von der alles Leben abhängt.
     

  12. Menschen, die nicht im Gebet Umgang haben mit Gott, sind nicht wert, dass sie Menschen genannt werden. Sie gleichen abgerichteten Tieren, die bestimmte Dinge auf bestimmte Weise zu bestimmten Zeiten tun können. Manchmal sind sie noch schlimmer als Tiere, weil sie weder einsehen, wie nichtig sie in sich selber sind, noch ihr Verhältnis zu Gott sowie ihre Pflichten gegen Gott und Mensch erkennen. Aber die Gebetsmenschen erlangen das Recht, Söhne Gottes zu werden, und werden von Ihm nach Seinem Bild und Gleichnis umgestaltet.

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4  INNERUNG

  1. Das Gehirn ist ein sehr zartes und empfindsames Werkzeug: es ist mit vielen feinen Sinnen ausgestattet; diese empfangen in der Innerung1 Botschaften aus der unsichtbaren Welt und rufen Gedanken hervor, die das durchschnittliche menschliche Denken weit überragen. Das Gehirn erzeugt diese Gedanken nicht, sondern empfängt sie aus der unsichtbaren oberen Geisteswelt und gibt sie in Ausdrücken des menschlichen Lebens wieder, die den Menschen vertraut sind. Manche Menschen empfangen solche Botschaften in Träumen, andere in Gesichten und wieder andere in wachen Stunden während der Innerung1. Das Gebet befähigt uns zu unterscheiden, welche dieser Botschaften von Nutzen sind und welche nicht; denn im wirklichen Gebet strömt Licht aus von Gott und erleuchtet den allerinnersten empfindsamen Teil der Seele: das Gewissen oder den sittlichen Sinn. Reiche Farben, feine Musik und andere wundervolle Gesichte und Klänge aus der unsichtbaren Welt spiegeln sich im Innern des Gehirns wider. Dichter und Maler versuchen, in ihren Gedichten und Gemälden diese unsichtbaren Wirklichkeiten, die auf sie eindringen, zu deuten, verstehen aber oftmals ihre wirkliche Quelle nicht. Doch der Mensch der Innerung1 berührt, sozusagen, das Herz dieser Wirklichkeiten und genießt ihre Seligkeit, denn seine Seele und die Geisteswelt, woher sie kommen, sind einander nahe verwandt.
     

  2. Manchmal, wenn wir neue Orte besuchen, ist es uns, als seien wir schon einmal dort gewesen, oder als hätten wir irgendeine unbekannte Verbindung mit ihnen. Diese Tatsache lässt sich auf dreifache Weise erklären. Erstens kann ein anderer, der die Orte besucht hat, über sie nachgedacht und, ohne unser Wissen, uns seine Gedanken auf geheimnisvolle Weise mitgeteilt haben. Zweitens können wir andere ähnliche Orte gesehen haben, und die Erinnerung an die Ähnlichkeit kann uns auf neue Weise erschienen sein. Oder drittens könnte ein Abglanz der unsichtbaren Welt in unser Gemüt gefallen sein, denn unsere Seelen sind mit jener Welt verbunden, und oft wirken auf uns, ohne dass wir es wissen, Eindrücke aus jener Welt ein. Diese Welt ist der unsichtbaren Welt nachgebildet oder, mit anderen Worten, die Offenbarung der Geisteswelt in stofflicher Gestalt. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Welten bewegt unsere Gedanken immerfort. Wenn wir genug Zeit in der Innerung1 verbringen, wird dieser Zusammenhang zwischen den beiden Welten immer deutlicher und klarer.
     

  3. In der Innerung1 wird der wirkliche Zustand unserer Seelen offenbart. In der Innerung1 geben wir gewissermaßen Gott eine Gelegenheit, dass Er zu uns spricht und uns mit Seinen reichsten Segnungen beschenkt.

    Was auch immer wir vermuten, von unseren Gedanken, Worten oder Taten wird niemals etwas ausgelöscht. Vielmehr ist es unserer Seele eingeprägt - mit anderen Worten: im "Buch des Lebens" eingetragen. Die Innerung1 macht uns fähig, dass wir alles in der Furcht und Liebe Gottes tun und die Einträge in das Buch des Lebens rein erhalten; denn davon hängt unsere zukünftige Seligkeit oder Qual ab.
     

  4. Gott ist unendlich, und wir sind endlich. Wir können wirklich den unendlichen Gott nicht vollkommen verstehen, aber Er hat in uns einen Sinn geschaffen, der uns befähigt, uns Seiner zu erfreuen. Der Ozean ist unermesslich, und wir können seine ungeheure Ausdehnung nicht überblicken, noch alle seine großen Schätze kennenlernen. Doch mit unserer Zungenspitze können wir sofort schmecken, der Ozean ist salzig. Wir wissen noch nicht alles, was der Ozean an Wissenswertem birgt, aber wir haben durch unseren Geschmack eine höchst wichtige Tatsache über die Art seines Wassers herausgefunden.
     

  5. In Furcht, Zorn oder Wahnsinn tun Menschen außergewöhnliche Dinge, da zerbrechen sie sogar eiserne Ketten. Diese Kraft wohnt offenbar dem Menschen inne; doch sie kommt nur zum Ausdruck, wenn sich seine gesamte Tatkraft auf ein einziges Ziel richtet. Gleicherweise kann des Menschen Kraft, durch göttliche Macht verstärkt, in der Innerung1 die Sündenknechtschaft zerbrechen und große und nützliche Arbeit verrichten. Doch zu gleicher Zeit kann diese von Gott gegebene Kraft, wenn sie auf falsche Weise gebraucht wird, sich als gefährlich erweisen. Bomben, Maschinengewehre, Kanonen - wie mächtig sind sie und dennoch, wie zerstörend und gefährlich!
     

  6. Wenn wir in Gedanken versunken sind, beachten wir, obgleich bei vollem Bewusstsein, weder den Wohlgeruch der Blumen noch den Zauber der Musik oder die Schönheit der Natur. Sie scheinen für uns nicht vorhanden zu sein. Ebenso ergeht es den Leuten, die in weltliche Dinge versunken sind: geistliche Wirklichkeiten scheinen für sie nicht vorhanden zu sein. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren hören sie nicht (Matth. 13,13).
     

  7. Eines Tages sah ich eine Blume und begann, über ihren Wohlgeruch und ihre Schönheit nachzusinnen. Als ich mehr in die Tiefe drang, schaute ich den Schöpfer hinter Seiner Schöpfung, obwohl Er meinem Blick verborgen war. Das erfüllte mich mit Freude. Doch meine Freude wurde noch größer, als ich entdeckte, wie Er auch in meiner Seele wirkt. Da trieb es mich auszurufen: "Oh, wie bist Du wunderbar! Von Deiner Schöpfung getrennt, erfüllst du sie dennoch mit Deiner herrlichen Gegenwart."
     

  8. Christus schrieb nichts, noch hieß Er Seine Apostel, Seine Lehre niederzuschreiben. Das geschah erstens deshalb, weil Seine Worte Geist und Leben sind. Er weiß, Leben lässt sich nur Lebendigem einflößen, nicht aber den Seiten eines Buches. Zweitens ist zu sagen: andere Lehrer hinterließen Bücher, denn sie schieden von ihren Schülern und wollten ihnen durch ihre Bücher, die an die Stelle ihrer lebendigen Stimme traten, in Zeiten der Not helfen. Unser Herr dagegen hat Seine Nachfolger niemals verlassen. Er ist immer bei uns, und Seine lebendige Stimme und Gegenwart gibt uns immer Rat. Nach Seiner Himmelfahrt begeistete derselbe in ihnen wohnende Geist die Jünger, so dass sie die Evangelien schrieben.
     

  9. Wenn wir immer wieder denselben Gedanken, dasselbe Wort oder dieselbe Tat wiederholen, so wird es uns zur Gewohnheit, und Gewohnheit bildet den Charakter. Deshalb müssen wir bei allem, was immer wir denken, sagen oder tun, sorgfältig bedenken, wie die Folgen sein werden, ob gut oder schlecht. Wir sollen im Wohl tun nicht gleichgültig werden, sonst laufen wir Gefahr, dass wir die Fähigkeit zum Wohl tun verlieren. Eine Sache gut zu tun, ist schwierig; etwas Falsches ungeschehen zu machen und wieder zurechtzubringen, ist noch schwieriger; aber etwas zu verderben, das ist sehr leicht. Viel Zeit und Mühe ist nötig, um einen Baum aufzuziehen; aber ihn zu fällen, das ist so leicht. Wenn er dürr und tot ist, dann ist es unmöglich, ihn wieder ins Leben zurückzubringen.

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5  DAS ZUKÜNFTIGE LEBEN

  1. Bei allen Völkern findet sich zu allen Zeiten der Glaube an ein zukünftiges Leben. Wo ein Verlangen ist, da muss auch Erfüllung möglich sein. So setzt Durst Wasser voraus und Hunger Nahrung. So beweist auch das Verlangen nach ewigem Leben, dass es gestillt werden kann.
     

  2. Zum andern haben wir ein höheres, edleres Verlangen des Geistes, das in dieser Welt unmöglich erfüllt werden kann. Deshalb muss es noch eine andere Geisteswelt geben, in der dieses Verlangen gestillt werden kann. Diese Körperwelt kann keineswegs dieses Sehnen unseres Geistes befriedigen.
     

  3. Das wirkliche Verlangen der Seele kann nur Gott erfüllen; denn Er hat die Seele erschaffen und in sie das Verlangen nach Ihm hineingelegt. Gott hat den Menschen nach Seinem Ebenbild geschaffen; deshalb hat der Mensch etwas von der göttlichen Art in sich, die nach Gemeinschaft verlangt mit Ihm. Gleiches verlangt nach Gleichem, das ist ein Gesetz des Seins. Und wenn wir im Ewigen Wesen eingewurzelt sind, dann werden wir nicht nur volles Genüge, sondern auch ewiges Leben haben in Ihm.

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6  DIE NEUE GEBURT

  1. Es ist eine anerkannte Tatsache, Kinder erben weitgehend den Charakter ihrer Eltern. Auch ihre Umgebung wirkt auf sie ein, z. B. die Gewohnheiten ihrer Eltern und anderer, mit denen sie ständig Berührung haben. Kinder schlechter Eltern werden, wenn sie in einer schlechten Umgebung leben, sicherlich auch schlecht. Die Lebensbedingungen machen es ihnen unmöglich, gut zu werden. Wenn solche Kinder dennoch gut werden, ist es ein großes Wunder. Wir wissen, solche Wunder haben sich mehr oder weniger überall ereignet. Diese Wunder beweisen: da ist eine große verborgene Macht, die zerbricht Fesseln, befreit Menschen aus der Knechtschaft der Sünde und verwandelt Sünder in neue Kreaturen. Das ist die neue Geburt. Die große verborgene Macht ist der Heilige Geist. Der wirkt zum Heil derer, die bereuen und an Christus glauben.
     

  2. Es hat viele Verbrecher gegeben, die, obwohl ihre Regierung sie streng gestraft hatte, sich doch kein bisschen geändert haben. Noch haben die Liebe und Ermahnungen ihrer Angehörigen und Freunde irgendeine Wirkung auf sie ausgeübt. Alle möglichen Mittel sind versucht worden, um sie zu bessern, aber alles ohne Erfolg. Doch mitunter, wenn sie zu Christus geführt wurden, sind sie in einem Augenblick völlig verwandelt und neue Menschen geworden. Dann wurde das Leben derer, die selbstsüchtig waren und in Sünde lebten, neu, und sie begannen, anderen zu helfen und ihnen zu dienen. Früher verfolgten und töteten sie andere; jetzt sind sie selber bereit, um anderer willen Verfolgung und Tod zu erleiden. Das heißt: wiedergeboren sein. Ist das noch nicht Beweis genug für die Tatsache: Christus ist der Heiland der Menschen, Er ist der Große Arzt, der die Krankheiten der Menschen richtig erkennt und sie heilt? Wer kann denn sonst das zerbrochene Herz heilen als Er, der des Herzens Schöpfer ist? Wer sonst als Er kann Sünder in Heilige verwandeln?

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7   LIEBE

  1. Gott ist die Quelle der Liebe. Die Anziehungskraft, die im Raum die Welten in ihrer Ordnung erhält, offenbart sozusagen in der Körperwelt jene geistige Anziehungskraft der Liebe, deren Quelle Gott ist. Ein Magnet zieht Stahl an, nicht weil Stahl ein wertvolles Metall ist, sondern weil Stahl die Fähigkeit hat, sich anziehen zu lassen. Gold zieht er nicht an. Gold mag kostbarer sein, aber es lässt sich nicht anziehen. In gleicher Weise zieht Gott Sünder an, wie sündig sie auch sein mögen, wenn sie nur bereuen und Ihm antworten. Aber andere, die selbstgerecht sind und sich der Macht Seiner Liebe nicht hingeben, zieht Er nicht zu sich.
     

  2. Ein Kuss ist das äußere Zeichen dafür, dass eine Mutter ihr Kind liebt. Wenn das Kind eine ansteckende Krankheit hat, mag die Mutter sich enthalten, es zu küssen, aber sie wird ihr leidendes Kind deshalb nicht weniger, sondern nur noch mehr lieben, denn es braucht ihre Liebe und Fürsorge um so mehr. Genau so mag es nach außen hin scheinen, als habe Gott die Menschen, die der Seuche der Sünde zum Opfer gefallen sind, verlassen; jedoch Seine Liebe zu ihnen ist unendlich größer als einer Mutter Liebe zu ihren Kindern (Jes. 49,15). Gleich Seinen anderen Eigenschaften ist auch Seine Geduld unendlich. Menschen, kleinen Kesseln ähnlich, kochen beim geringsten Unrecht gar schnell vor Wut. Wie anders dagegen Gott! Wenn Gott Sich ebenso erzürnte, dann wäre die Welt schon längst ein Trümmerhaufen geworden.
     

  3. Wenn zwei Menschen dieselbe Person lieben, werden sie Nebenbuhler und aufeinander eifersüchtig. So ergeht es aber nicht mit des Menschen Liebe zu Gott. Wer Gott liebt, ist nicht eifersüchtig auf andere, wenn auch sie Gott lieben. Er ist vielmehr betrübt, wenn sie Ihn nicht lieben. Des Menschen Liebe zum Menschen unterscheidet sich von seiner Liebe zu Gott deshalb, weil Gottes Liebe unendlich ist. Ein Mensch kann nicht mit gleicher Zuneigung alle, die ihn lieben, wieder lieben, denn seine Liebesfähigkeit ist begrenzt. Aber Gottes Fähigkeit zu lieben ist unbegrenzt und reicht deshalb für alle aus.
     

  4. Wenn Christus in uns lebt, wird unser ganzes Leben dem Seinen ähnlich11. Wenn man Salz im Wasser auflöst, so mag es verschwinden, aber es hört nicht auf, da zu sein. Wir können seiner Gegenwart gewiß werden, indem wir das Wasser schmecken. Genau so steht es mit dem Christus in uns: obwohl Er nicht zu sehen ist, nehmen die anderen Ihn in der Liebe wahr, die Er uns verleiht.

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8  GEDANKE UND SINN 

  1. Gedanken sind nicht nur die Eindrücke, welche außer uns liegende Dinge auf unsere Sinne machen, sondern auch die Antworten, die unser Verstand auf die Eindrücke gibt, die durch unsere Sinne zu uns kommen. Somit hängen Wachstum und Fortschritt des Verstandes zur Vollkommenheit von äußeren wie inneren Bedingungen ab. Ein Baum mag Leben in sich selber haben; aber damit seine Blätter sich entfalten, seine Blüten blühen und seine Früchte reifen können, braucht er Luft und Licht und Wärme. Somit hängen Wachstum und Reife des Baumes von gewissen äußeren wie inneren Bedingungen ab.
     

  2. Durch die äußeren Sinne lernen wir die äußere Welt kennen und durch die inneren Sinne die innere Geisteswelt. Wenn im Verstand ein Gedanke über etwas auftaucht, so ist damit nicht nur bewiesen, dass ein denkender Verstand da ist, sondern auch, dass jenes Ding vorhanden ist. Mit anderen Worten: wir können sagen, in jenem Gedanken spiegelt sich jenes Ding in unserem Verstand wider. Gelegentlich werden wir, ohne dass wir es wollen, dazu gebracht, dass wir denken; das heißt, etwas außerhalb spiegelt sich in unserem Verstand. Wo ein Wohlgeruch ist, da müssen auch Blumen sein. Gestalt oder Farbe dieser Blumen können unseren Augen verborgen sein, aber der Duft verrät uns die Blumen. So setzen auch Gedanken Gegenstände voraus. Der Verstand gleicht einem Spiegel. Wenn der Spiegel Bilder zeigt, so bedeutet dies, dass sich vor dem Spiegel Gegenstände befinden. Ob es dem Spiegel gefällt oder nicht - sie spiegeln sich in ihm. Andererseits ist zu beachten: der Spiegel hat kein Leben, wohl aber der Verstand. Der Spiegel kann keine Bilder schaffen, er kann sie nur widerspiegeln. Der Verstand dagegen hat auch angeborene Gedanken. Sonst aber gleicht der Verstand einem Spiegel, denn in seinen Gedanken spiegeln sich äußere Dinge, mitunter sogar ohne dass der Verstand selber an dieser Widerspiegelung teilhat. Abstrakte Gedanken sind die Funken, die dem Feuer der Wirklichkeit2 entspringen.
     

  3. Was unser Verstand widerspiegelt, entspricht nicht immer der Wirklichkeit. Verschiedenen Menschen mag es verschieden erscheinen, je nach ihrer besonderen Fähigkeit.

    Unsere Gedanken über Gott sind jetzt noch unvollkommen. Aber wenn wir beständig in Seiner Gegenwart leben, werden wir Sein Wesen wirklich verstehen lernen.

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9  PHILOSOPHIE UND EINGEBUNG

  1. Man muss zugeben, die Philosophie hat Jahrhunderte hindurch keinen Fortschritt gemacht. Dieselben alten Fragen und Lösungen werden wiederholt, wenn auch in neuer Gestalt und Sprache. In Indien trottet ein Ochse mit verbundenen Augen den ganzen Tag hindurch im Kreise um eine Ölpresse. Wenn am Abend seine Augen geöffnet werden, entdeckt er, dass er nicht weit gewandert, sondern nur im Kreise gelaufen ist; doch immerhin hat er etwas Öl ausgepresst. Obgleich die Philosophen schon Jahrhunderte hindurch unterwegs sind, haben sie ihr Ziel noch immer nicht erreicht. Zwar haben sie hier und dort allerlei gesammelt und daraus auch etwas Öl gepresst, und das haben sie uns in ihren Büchern hinterlassen. Doch dieses Öl genügt nicht, um die Dürre der menschlichen Nöte zu beseitigen. Darüber hinaus fortzuschreiten, ist das Werk des Glaubens und der Eingebung, nicht der Philosophie. Wie riesig unser Wissen auch sein mag, so hat es schließlich doch seine Grenzen.
     

  2. Einige Philosophen nahmen, als ihr Durst nach Erkenntnis nicht gelöscht wurde, sich selbst das Leben. Empedokles stürzte sich in den Krater des Ätna: er wollte seinen Durst nach Erkenntnis stillen, indem er, ohne eines natürlichen Todes zu sterben, die Gemeinschaft mit den Göttern gewann. Einem Astronomen gelang es nicht, die sonderbaren Bewegungen von Ebbe und Flut zu erklären; deshalb stürzte er sich voll Verzweiflung in die Wellen und suchte im Wasser sein Grab. Solche Männer fanden den Schöpfer in Seiner Schöpfung nicht und kamen deshalb nicht zum Frieden; vielmehr verloren sie den Schöpfer sowie sich selbst in Seiner Schöpfung. Darin sehen wir: obgleich die Philosophie darauf ausgeht, die Wirklichkeit zu begreifen, gelingt es ihr doch nicht; denn niemand kann die Wirklichkeit2 mit dem Verstand begreifen. Wenn irgend jemand meint, er könne die Wirklichkeit2 mit seiner Erkenntnis erfassen, so irrt er sich. Denn wer ein Ding von Grund auf erkennen wollte, der müsste das All erkennen, denn ein jedes Ding steht zu jedem anderen in Beziehung. Und wer alles wissen wollte, der müsste alle seine Beziehungen kennen. Hier müssen wir uns vor der Wirklichkeit2 beugen und im Glauben weiterschreiten.
     

  3. Die Eingebung ist so empfindsam wie die Fingerspitze: sie lässt uns, wenn sie uns berührt, sogleich die Gegenwart der Wirklichkeit2 fühlen. Die Eingebung gibt uns zwar keine logischen Beweise, aber sie urteilt so: ich bin völlig zufrieden - solcher Friede kann nur aus der Wirklichkeit2 kommen - deshalb habe ich die Wirklichkeit2 gefunden. Das Herz hat Gründe, von denen der Kopf nichts weiß. Wer viel von einer Blume wissen will, braucht viel Zeit. Aber nur ein Augenblick ist nötig, um sich ihres Duftes zu erfreuen. So wirkt auch die Eingebung.

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10  VOLLKOMMENHEIT

  1. Die Naturgesetze schreiben vor: wer Vollkommenheit erreichen will, der muss allmählich, stufenweise, wachsen. Auf diese Weise allein können wir uns auf die Bestimmung vorbereiten, für die wir geschaffen worden sind. Plötzlicher oder übereilter Fortschritt macht uns nur schwach und unvollkommen. Der Hafer, der in Lappland in wenigen Wochen wächst, hat nicht denselben Nährwert wie der Weizen, der sechs Monate zum Reifen braucht. Der Bambus wächst täglich drei Fuß und schießt 120 Fuß hoch empor, aber er bleibt innen leer und hohl. Zur Vollkommenheit können wir deshalb nur langsam und allmählich fortschreiten.
     

  2. Es ist wahr, Vollkommenheit können wir nur in einer vollkommenen Umgebung erreichen. Bevor wir aber in eine vollkommene Umgebung eintreten, müssen wir eine unvollkommene durchschreiten, wo wir uns abmühen und kämpfen müssen. Dieser Kampf stärkt uns und bereitet uns auf die vollkommene Umgebung vor. Das ist ganz ähnlich wie bei der Seidenraupe: sie muss sich im Kokon abmühen und entschlüpft ihm deshalb als schöner Schmetterling. Wenn wir den vollkommenen Zustand erreichen, werden wir sehen, wie diese Dinge, die zuerst als Hindernis erschienen, uns in Wirklichkeit - wenn auch auf geheimnisvolle Weise - geholfen haben, die Vollkommenheit zu erreichen.
     

  3. Der Mensch trägt in sich die Keime zahlloser Fähigkeiten; aber er kann sie in dieser Welt nicht entwickeln, weil hier die Hilfen fehlen, die ihr Wachstum und ihre Entwicklung zur Vollkommenheit fördern. In der künftigen Welt werden sie die Umgebung finden, die sie brauchen, um Vollkommenheit zu erlangen. Doch zu wachsen beginnen müssen sie schon hier. Es ist jedoch noch zu früh, als dass wir schon im Einzelnen sagen könnten, was wir sein werden, wenn wir die Vollkommenheit erreichen. Aber wir werden vollkommen sein, gleich wie unser Vater im Himmel vollkommen ist (Matth. 5, 48).
     

  4. In dieser Welt gibt es keinen wirklichen Frieden. Der Friede in dieser Welt ist wegen der Sünde vernichtet. Wirklicher und dauerhafter Friede ist nur im "Friedefürsten" zu finden. Wasser fließt von den Höhen hernieder oder spritzt aus den Tiefen empor, denn es sucht Gleichgewicht und Ruhe. Ebenso muss der Mensch von den Höhen seines Stolzes herabsteigen und sich aus den Tiefen seiner Sünde erheben, damit er sein Gleichgewicht findet und in Frieden und Stille verweilen kann.
     

  5. Obgleich die Jünger noch nicht die Vollkommenheit erreicht hatten, erfreuten sie sich auf dem Berg der Verklärung doch so sehr der Nähe unseres Herrn sowie Elias und Moses, dass sie drei Hütten errichten und dort wohnen bleiben wollten (Matth. 17, 3-4). Wie viel mehr werden wir, wenn wir vollkommen sind, uns der Gemeinschaft unseres Herrn und Seiner Heiligen und Engel im Himmel auf ewig erfreuen!

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11  WIRKLICHER FORTSCHRITT UND ERFOLG

  1. Wenn Menschen die äußeren Sitten und Lebensgewohnheiten zivilisierter Völker annehmen, aber sich nicht die Grundsätze aneignen, auf denen der Fortschritt beruht, dann wird das Ergebnis vernichtend sein.

    Die Regierungen dieser Welt sind nur Abbilder der himmlischen Regierung, deren König Gott ist. Deshalb laufen die Regierungen dieser Welt Gefahr zu verfallen und zu versinken, wenn nicht Gott, die Quelle aller Güte und Ordnung, in den Herzen der Behörden wie der Bürger, der Herrscher wie der Untertanen herrscht. Einige wollen ein sittliches Leben führen ohne Gott, aber sie vergessen, ohne Gott ist alle Sittlichkeit hohl und tot.
     

  2. Ohne geistlichen Fortschritt ist der weltliche Fortschritt Trug und Täuschung, denn weltlichen Fortschritt können wir nur erreichen, wenn wir anderen Menschen Schaden zufügen. Wenn Menschen um die Wette laufen, kann nur der den Sieg erringen, der die anderen überholt. Ihre Niederlage wird sein Sieg. Der eine Kaufmann erwirbt sein Vermögen auf Kosten der anderen. Demgegenüber ist geistlicher Fortschritt allein etwas Wirkliches. Denn der Fortschritt des einen hilft auch den anderen, ja, er hängt seinerseits wieder von deren Erfolg ab. Die Erfahrung beweist: wer für das Wohl der anderen arbeitet, empfängt Hilfe, oft ohne dass er selbst es weiß.

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12  DAS KREUZ

  1. Ob wir wollen oder nicht, dem Kreuz können wir nicht entrinnen. Wenn wir nicht das Kreuz Christi tragen wollen, dann müssen wir das Kreuz der Welt tragen. Zunächst mag das Kreuz Christi uns schwer erscheinen und das Kreuz der Welt leicht. Aber die Erfahrung zeigt: das Kreuz der Welt ist tatsächlich schwer, denn wer es nimmt, muss wie in den Tagen des Römischen Reiches schließlich den Tod eines Sklaven sterben. Christus jedoch hat Sein Kreuz in Herrlichkeit verwandelt. Früher war das Kreuz ein Sinnbild der Schande und des Todes; nun aber bedeutet es Sieg und Leben. Wer das Kreuz trägt, weiß aus Erfahrung, das Kreuz trägt ihn und bringt ihn sicher zu seiner Bestimmung. Aber das Kreuz dieser Welt zieht uns hinab und führt uns ins Verderben. Welches Kreuz hast du auf dich genommen? Halt inne und besinne dich.
     

  2. Bei verschiedenen Leuten ist das Kreuz verschieden, je nach ihrer Arbeit und dem Zustand ihres Geistes. Von außen mag es voller Nägel erscheinen, aber in seinem Wesen ist es süß und friedevoll. Die Honigbiene hat zwar einen Stachel, aber sie erzeugt süßen Honig. Wir sollen uns nicht vor den äußeren Schwierigkeiten des Kreuzes fürchten, sonst verlieren wir seine geistlichen Segnungen.
     

  3. Ein unwissender Wanderer, vom Auf- und Niedersteigen in den Bergen ermüdet, könnte denken, Gott habe einen Fehler gemacht, als Er die Berge erschuf, und es wäre viel besser, Er hätte nur ebenes Land geschaffen. Dies zeigt, er hat noch nicht eingesehen, wozu die Berge und die in ihnen aufgespeicherten Schätze gut sind. Um nur eines zu nennen: die Berge bewirken den Kreislauf des Wassers, und der ist in der Welt ebenso nötig wie der Kreislauf des Blutes im Leibe. In derselben Weise bewirken das Auf und Ab des Lebens und das Ungemach des Kreuztragens, dass unser geistliches Leben in Bewegung bleibt, bewahren es vor Erstarrung und bringen der Seele zahllose Segnungen.
     

  4. Während des Weltkrieges wurden in einer fruchtbaren Gegend Gräben ausgehoben und Felder zerstört. Nach einiger Zeit begannen in diesen Gräben schöne Blumen und Früchte zu erscheinen. Man entdeckte, der Boden war fruchtbar, aber darunter war die Erde noch viel fruchtbarer. So kommen, wenn wir das Kreuz tragen und leiden, die verborgenen Reichtümer unserer Seele ans Licht. Wir sollen nicht über dem verzweifeln, was als Zerstörung erscheint, denn es treibt die verborgenen, brachliegenden Kräfte unserer Seele zum Wirken.
     

  5. In der Schweiz brach einmal ein Schäfer das Bein eines Schafes. Als man ihn fragte, wozu er das getan habe, sagte er, es habe die schlechte Angewohnheit gehabt, dass es die anderen Schafe in die Irre führte und sie zu gefährlichen Höhen und Abgründen leitete. Das Schaf war so böse, dass, wenn der Schäfer es füttern kam, es mitunter ihn zu beißen versuchte. Aber nach einiger Zeit wurde es freundlich und leckte seine Hände. Ebenso verfährt Gott mit denen, die ungehorsam und widerspenstig gewesen sind: Er führt sie durch Kummer und Leiden auf den Weg der Geborgenheit und des ewigen Lebens.
     

  6. Jedes Gas nimmt in kühlem Zustande einige Lichtstrahlen auf, und wenn es erhitzt wird, sendet es sie wieder aus. Genau so leben wir, wenn wir geistlich kalt sind, in der Finsternis, obgleich die Sonne der Gerechtigkeit fortwährend um uns herum scheint. Wenn aber durch die Reibung des Kreuzes das Feuer des Heiligen Geistes in uns entzündet und dadurch Wärme erzeugt wird, dann werden wir zunächst selber durch seine Strahlen erleuchtet und bringen das Licht zu anderen.
     

  7. Die Schönheit der Diamanten blendet uns erst, wenn sie geschliffen sind. Dann fallen die Sonnenstrahlen auf sie und lassen sie in wundervollen Farben scheinen. So werden auch wir, wenn wir durch das Kreuz geschliffen sind, als Edelsteine im Reiche Gottes scheinen.

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13  DER FREIE WILLE

  1. Wir haben die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und eins von beiden zu wählen. Das heißt, wir können innerhalb der Grenzen unseres Wesens frei handeln. Sonst hätte die Kraft, die wir haben, um zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, keinen Sinn. Der Geschmack sagt uns, was bitter ist und was süß. Er würde keinen Sinn haben, wenn wir nicht frei wären, nur das zu essen, was wir wählen. Wir sind frei, nicht weil wir auch hätten anders handeln können, sondern einfach weil wir handeln.

    Wenn ich z. B. die Kraft habe, hundert Pfund zu tragen, dann habe ich die Freiheit, das Ganze oder nur einen Teil davon zu tragen. Und wenn eine Last schwerer ist als hundert Pfund, dann übersteigt sie meine Kraft und auch meine Verantwortung: dann bin ich von der Notwendigkeit, die Last zu tragen, befreit; denn der mir die Last aufgelegt hat, verlangt von mir nicht mehr, als ich leisten kann. Somit habe ich Freiheit in jedem Fall. Und wenn ich das nicht tue, was im Bereich meiner Kraft liegt, dann muss ich für meine Pflichtversäumnis und Gleichgültigkeit leiden, denn ich habe die mir gegebene Kraft missbraucht.
     

  2. Bosheit und Verbrechen können nicht dadurch ausgetilgt werden, dass man den Verbrecher bestraft. Wenn man das erreichen könnte, dann dürften bald alle Gefängnisse geschlossen werden. Trotz der strengen Strafe, die den Übeltätern zugemessen wird, finden wir keine Veränderung. Und das Böse werden wir vom Angesicht der Erde erst dann vertreiben können, wenn sich ein jeder Mensch aus freiem Willen entschließt, es bis zur Grenze seiner Fähigkeit zu vertilgen. Wenn andere ihn zwingen wollen, so erreichen sie gar nichts. Gott hält die Hand des Mörders nicht fest, noch schließt Er die Lippen des Lügners, denn Er tritt dem freien Willen des Menschen nicht in den Weg. Wenn Gott sich so verhielte, dann gliche der Mensch nur einer Maschine. Auch schätzte er dann die Wahrheit3 nicht, noch fände er Freude darin, ihr entsprechend zu handeln; denn Freude kann nur aus einer Tat freien Willens folgen.
     

  3. Die Welt empört sich in gewisser Weise gegen Gott und macht die Nachfolger Christi zu Sklaven. Wenn diese durch Gottes Gnade von der Knechtschaft und Macht der Welt befreit sind und in die himmlischen Örter eingehen, dann wird die Welt selbst ihnen Untertan, denn die Welt erkennt, sie sind mit der lebendigen Macht im Bunde, die sie [die Welt] geschaffen hat. Dann wird sie, anstatt zu siegen, selbst besiegt. Gott gewährt denen, die aus eigenen freien Willen Ihm in Liebe dienen, auf ewig vollkommene Freiheit.

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14  GESUNDHEITSREGELN 

  1. Grundsätze der Gesundheit, der leiblichen wie geistlichen, sind selbst schon Mittel zur Gesundheit. Grundsätze sind nichts anderes als die festgesetzten Mittel, durch die man bestimmte Ziele erreichen kann. So hat z. B. das Geld keinen Sinn in sich selber. Es ist nur ein Mittel, das zu erreichen, was wir brauchen.

    Musik, Wohlgeruch, leckeres Essen, Licht und Wärme - all dieser Dinge können wir uns erfreuen, wenn wir sie mit Maß genießen. Haben wir nicht genug, dann spüren wir den Mangel; haben wir mehr als genug, dann leiden wir. Gott hat uns äußere und innere Sinne gegeben, damit sie uns vor drohenden Gefahren warnen oder uns wirkliches Glück anzeigen. Schmerz ist das Zeichen dafür, dass in unserem Leib oder Geist etwas nicht in Ordnung ist. Gehorchen wir den Gesetzen der Wirklichkeit2, so haben wir Ruhe und Glück.
     

  2. Wenn wir der Natur widerstreben, so ist sie wider uns. Aber wenn wir versuchen, naturgemäß zu leben, dann wird sie, anstatt uns zu schädigen, uns helfen, jenes Ziel vollkommener Gesundheit zu erreichen, von dem Gott haben wollte, dass wir es durch diese Mittel erreichen. Und indem wir vollkommene Gesundheit erlangen, gewinnen wir die ewige Seligkeit in Gott, und danach geht das erste Verlangen unserer Seele.

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15  DAS GEWISSEN

  1. Das Gewissen ist das sittliche Gesetz oder der sittliche Sinn in uns. Es ist der Persönlichkeit nur im Keim angeboren. Es bedarf der Erziehung, Zucht, Übung und Gewöhnung. Auch die Umgebung übt großen Einfluss auf sein Wachstum.

    Gleich wie wir den Geschmack haben und damit zwischen dem Hässlichen und Schönen unterscheiden können, so haben wir das Gewissen, das uns hilft, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
     

  2. Schmerz in irgendeinem Organ des Leibes ist ein Alarmruf, der eine Gefahr anmeldet. In gleicher Weise bewirkt die Sünde Qual und Unruhe der Seele. Wie der Tastsinn uns im Bereich des Leibes warnt, so warnt uns das Gewissen vor kommender Gefahr und Zerstörung und drängt uns, die Schritte zu tun, die zur Rettung nötig sind.
     

  3. Wenn die Schiffe in der Nähe der Küste den Leuchtturm oder die Felsen oder die Umrisse des Landes sehen, so wissen sie, wo sie sind. Aber draußen auf hoher See können sie sich nur nach Sternen und Kompass richten. Ebenso braucht unsere Seele auf ihrer Reise zu Gott sehr notwendig das Gewissen und den Heiligen Geist, damit wir unser Ziel erreichen, ohne irre zu gehen.

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16  DIE ANBETUNG GOTTES

  1. Man findet kaum Menschen, die nicht Gott oder irgendeine Macht anbeten. Wenn gottlose Denker oder Wissenschaftler, von materialistischer Weltanschauung erfüllt, Gott nicht anbeten, dann neigen sie oft dazu, große Männer und Helden oder irgendein Wunschbild zu einer Macht zu erheben und zu verehren. Buddha lehrte nichts über Gott. Das Ergebnis war, seine Anhänger begannen ihn selber anzubeten. In China hatten die Menschen nicht gelernt, Gott anzubeten, deshalb verehrten sie ihre Ahnen. Selbst des Schreibens unkundige Menschen verehren irgendeine Macht oder irgendeinen Geist. Kurzum, wir Menschen können nicht anders, als zu verehren oder anzubeten. Dieses Verlangen nach Anbetung, von dem der Mensch nicht loskommen kann, hat ihm der Schöpfer anerschaffen, damit er, von diesem Verlangen geleitet, mit seinem Schöpfer verbunden sei oder sich ewiger Gemeinschaft mit Ihm erfreue.
     

  2. Die aber zu halsstarrig sind, um an Gott zu glauben, obgleich man ihnen die auf Planmäßigkeit und Ordnung gegründeten Beweise für Sein Dasein vorlegt, würden an Ihn auch dann nicht glauben, wenn sie Ihn selber sähen. Und zwar aus zwei Gründen. Wenn Gott Sich ihnen offenbarte und ihnen Gründe gäbe, die Seine Gottheit beweisen, und zwar Gründe göttlicher Logik, dann würden sie Ihn doch nicht verstehen, denn solche Gründe überragen weit ihre menschliche Logik und Philosophie. Wenn Er ihnen aber andererseits Gründe gäbe, die der Richtschnur menschlicher Erkenntnis folgen, dann würden sie ihn doch verachten und sagen: "Das kennen wir alles schon. Gott ist nicht viel besser als wir, denn Seine Art zu denken, scheint der unseren zu gleichen. Er mag ein wenig höher stehen als ein menschliches Wesen, aber nur ein wenig, mehr nicht."
     

  3. Der Mensch ist ein Teil des Weltalls und ein Spiegel, der es widerspiegelt. Deshalb spiegelt sich in ihm die sichtbare wie unsichtbare Schöpfung wider. In dieser Welt ist er das einzige Wesen, das die Schöpfung deuten kann. Er ist sozusagen die Sprache der Natur. Die Natur spricht wohl, aber schweigend. Diese stillen Äußerungen der Natur faßt der Mensch in Worte.
     

  4. Der Mensch ist ein begrenztes Wesen. Somit sind auch seine Sinne, die inneren wie die äußeren, begrenzt. Deshalb kann er des Schöpfers Schöpfung nicht von allen Seiten schauen. Wollte er es, so brauchte er unzählige Sinne. Unsere wenigen Sinne können nur wenige Seiten der Schöpfung und ihrer Natur wahrnehmen und diese nicht einmal vollkommen. Trotz dieser Begrenzungen hat das Herz Erkenntnis der Wirklichkeit2, denn diese hängt weder vom Verstand ab, noch kann der Verstand sie begreifen. Das menschliche Auge ist zwar in sich selber klein, aber es wandert über ungeheure Entfernungen und erreicht Orte, wohin der Mensch selbst nicht gehen kann. Es schaut die Sterne, die Millionen Meilen entfernt sind, beobachtet ihre Bewegungen und erfreut sich ihres Glanzes. Genau so blicken die Augen des Herzens aufmerksam auf die Geheimnisse Gottes, und diese Einsicht drängt den Menschen dazu, Ihn anzubeten, in dem allein die Nöte seines Herzens für immer vollkommen gestillt sind.

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17  DAS SUCHEN NACH DER WIRKLICHKEIT

  1. Die Weisen aus dem Morgenlande kamen aus weiter Ferne und wurden durch den Stern zur Sonne der Gerechtigkeit geführt. Diesen Männern, die von so weither kamen, wurde, als sie den König der Gerechtigkeit sahen und anbeteten, das Verlangen ihres Herzens erfüllt, während in einem gewissen Sinne Sein eigenes Volk, die Juden, Ihn verwarfen und kreuzigten und dadurch ihren Segen verloren. Aus Ost und West kommen Leute zu Ihm: sie suchen die Wirklichkeit2 und finden Ihn, beten Ihn mit Herz und Seele an und legen sich selbst als Opfer Ihm zu Füßen. Durch dieses Opfer ererben sie ewiges Leben in Seinem Reich. Andererseits verwerfen Ihn Christen, die sozusagen Sein eigenes Volk sind, mit Wort und Tat und erleiden dadurch unsagbaren Verlust. Die Weisen aus dem Morgenlande verweilten nicht lange genug, so dass sie Christi Lehre nicht hörten und Seine Wunder, Seine Kreuzigung, Seine Auferstehung und Himmelfahrt nicht sahen; deshalb hatten sie auch keine Botschaft für die Welt. Ebenso ergeht es manchen, welche die Wirklichkeit2 suchen: sie leben nicht in seliger Gemeinschaft mit dem Herrn und erfahren deshalb auch nicht Seine Leben schenkende und rettende Macht; so haben sie keine Botschaft für die Welt.
     

  2. "Wer da hat, dem wird gegeben, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden" (Matth. 25, 29). Wenn ein Mensch nicht hat, wie kann dann etwas von ihm genommen werden? Mag er auch keine Begabung oder verantwortliche Arbeit haben, weil ihm diese wegen seiner Nachlässigkeit abgenommen worden sind, so ist ihm aber doch wenigstens seine Fähigkeit gelassen worden, zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen zu unterscheiden. Wenn er jedoch dieses Unterscheidungsvermögen nicht benutzt, dann wird auch das noch von ihm genommen. Dadurch wird sein Gewissen starr und tot. Und ihm ist nichts mehr geblieben.
     

  3. Es gibt Menschen, deren Unterscheidungsvermögen ist so tot, dass, wenn es ihnen nicht gelingt, mit ihren feinen wissenschaftlichen Werkzeugen die Anfänge des Lebens in dieser Welt nachzuweisen, sie dann nicht an Gott als die Quelle allen Lebens glauben, sondern zu denken beginnen, Lebenskeime seien von Meteoren herabgefallen - gewiss eine Unmöglichkeit. Wenn der tote Stoff der Welt kein Leben erzeugen kann, wie können dann Meteore, die aus demselben Stoff gemacht sind wie die Erde, Leben hervorbringen? Wenn der Stoff der Meteore sich von dem der Erde unterscheidet, wie können dann Keime von Meteoren auf dieser Erde wachsen, da doch die Umgebung so verschieden ist? Jedoch die Wahrheit3 ist: wo Gott gegenwärtig ist, da ist Leben. Im Wasser, es sei heiß oder gefroren, gibt es Lebewesen. Auch in heißen Quellen werden Lebewesen gefunden. So wirkt Gottes schöpferische Gegenwart überall. Unter allen Bedingungen schafft Er Leben.
     

  4. Wahrheit3 oder Wirklichkeit2 wird an ihren Früchten erkannt. Wer im Einklang mit der Wirklichkeit2 handelt, dem fallen, schon während er so handelt, Früchte zu, und in der Zukunft wird ihm das oberste Gut zuteil - die Gewohnheit. Die Wirklichkeit2 allein kann das Sehnen der Seele stillen.

    Wie tief ein Mensch auch in Sünde gefallen und wie sehr er auch entartet sein mag, so liebt und schätzt er doch die Wahrheit3. Ein Lügner z. B. mag selber lügen, aber er hat es nicht gern, dass andere Leute auch lügen. Ein anderer wieder, wie ungerecht er selber auch sein mag, ärgert sich, wenn andere Leute auch ungerecht sind. Das zeigt: in der Tiefe ihres Wesens verlangen solche Menschen nach Wahrheit3 und Gerechtigkeit und schätzen sie auch, denn die Wahrheit hat sie so geschaffen, dass sie sich, wenn sie für die Wahrheit3 und in ihr leben, selig fühlen. Wenn sie der Wahrheit3 entgegenhandeln, werden sie leiden, denn damit stellen sie sich gegen ihr eigenes Wesen wie gegen das Wesen der Wahrheit3, die sie geschaffen hat.
     

  5. Die Wahrheit hat viele Ansichten. Jeder einzelne Mensch, je nach der ihm von Gott gegebenen Fähigkeit, drückt aus oder offenbart eine andere Ansicht der Wahrheit3. Ein Baum mag dem einen Menschen wegen seiner Früchte gefallen, einem anderen wegen seiner hübschen Blüten. Die Menschen würdigen und erklären jene Ansichten des Baumes, die ihnen zusagen. So erklären und beschreiben der Philosoph, der Gelehrte, der Dichter, der Maler und der Mystiker, jeder nach Fähigkeit und Temperament, die verschiedenen Ansichten der Wirklichkeit2, die auf sie gewirkt haben. Einem einzelnen Menschen ist es unmöglich, eine allumfassende Schau der Wirklichkeit2 zu gewinnen und alle ihre verschiedenen Stufen zu beschreiben.
     

  6. Wenn wir herausfinden wollen, ob eine Sache wahr ist oder nicht, so müssen wir sie von verschiedenen Seiten betrachten. Sonst entsteht Missverständnis und Irrtum. Wenn wir z. B. einen geraden Stock von einem Ende nur mit einem Auge anblicken, dann können wir nicht erkennen, wie lang er ist. Wenn wir einen richtigen Eindruck von dem Stock gewinnen wollen, dann müssen wir ihn von verschiedenen Seiten ansehen.

    Wer mit seinem ganzen Gemüt und seiner ganzen Seele die Wirklichkeit2 sucht und sie erlangt, der erkennt: noch bevor er nach der Wirklichkeit2 zu suchen begann, hat die Wirklichkeit selber nach ihm gesucht, um ihn in ihre selige Gemeinschaft und Gegenwart zu bringen. Es ergeht ihm wie einem verirrten Kind, das seine Mutter sucht. Nachdem es wieder in ihren Schoß gefunden hat, erkennt es: noch bevor es an sie dachte, hatte sie schon mit tiefer mütterlicher Liebe nach ihm zu suchen begonnen.

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18  REUE UND RETTUNG

  1. Zur Rettung ist Reue notwendig; aber Reue allein kann Sünder nicht retten, wenn Gottes Gnade ihnen die Sünde nicht vergibt. Wenn ich einen Stein gegen einen Menschen schleudere, wenn er stirbt und ich bereue es, dann mag solche Reue mich davor bewahren, dass ich jene Torheit in Zukunft wiederhole; aber der Schaden, der angerichtet worden ist, kann nicht ungeschehen gemacht und das Leben des Mannes nicht wieder zurückgebracht werden. Gott allein kann mir vergeben und dem Toten im nächsten Leben eine Gelegenheit gewähren, dass der Schaden, den er durch seinen plötzlichen Tod erlitten, wieder ausgeglichen werde. Auf diese Weise können beide, der Mörder sowie der Ermordete, gerettet werden.
     

  2. Gott allein kann richtig strafen oder vergeben, denn Er allein versteht die inneren Nöte und Umstände des Menschen und weiß, was aus Seiner Vergebung oder Strafe folgen wird. Wenn der Mensch jedoch straft, dann wird oft der Zweck der Strafe nicht erreicht, denn er kennt die inneren Nöte und Umstände des Missetäters nicht. In einigen Fällen schafft die Strafe nichts Gutes, sondern schadet nur, während Vergebung nahezu zauberhaft wirkt, indem sie die Menschen verwandelt. In anderen Fällen mag die Vergebung nur als Gelegenheit zu neuer Missetat verstanden werden; solche Menschen sind dann nur durch Strafe zu bessern. Gott allein kennt das wirkliche Wesen der Menschen und errettet sie, wie sie es nötig haben, von den Ursachen wie Folgen der Sünde.
     

  3. Die Absicht der Seele ist, wirkliche und bleibende Freude zu erlangen. Wer dieses Ziel mit falschen Mitteln, z. B. durch Sünde, zu erreichen sucht, der zerstört gerade die Fähigkeit der Seele, sich des Glücks zu erfreuen. Und wer diese Fähigkeit verkümmern lässt oder missbraucht, der zerstört sie. Denn Gott hat in Seiner Liebe diese Kräfte, Fähigkeiten oder Sinne zur Freude geschaffen und will, dass wir uns in Seiner Gemeinschaft ewiger Glückseligkeit erfreuen. Darin besteht die Errettung.
     

  4. Stolz ist Sünde, denn der stolze Mensch hält von sich mehr, als er wirklich ist. Dadurch verliert er Gottes Gnade, fällt in Sünde und zerstört seine Seele. Lüge ist Sünde, denn sie widerspricht der Wahrheit. Wer beständig Lügen erzählt, wird allmählich ein Mensch, der sich selbst belügt. Er vertraut nicht mehr seinen inneren und äußeren Sinnen, sondern bezweifelt stets ihre Wahrheit3. Schließlich bezweifelt er sogar Gottes Liebe und Gnade und verliert damit sein geistliches Leben und Gottes reichste Segnungen. Habsucht ist Sünde, denn der Habsüchtige sucht Befriedigung in geschaffenen Dingen und verlässt damit seinen Schöpfer. Ehebruch ist Sünde, denn der Ehebrecher zerreißt Familienbande und zerstört Reinheit und Leben. Diebstahl ist Sünde, denn der Dieb beraubt die anderen ihres Verdienstes. Er sucht Freude, indem er anderen einen Verlust zufügt. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns von diesen und allen anderen Sünden reumütig abwenden und uns retten lassen, damit Gottes Wille in unserem Erdenleben geschehe, wie er im Himmel unter Heiligen und Engeln geschieht.
     

  5. Gelehrte und Philosophen, die an Entwicklung glauben, sprechen vom Überleben des Tüchtigsten durch natürliche Zuchtwahl. Es gibt jedoch noch eine andere größere Tatsache, die durch das verwandelte Leben von Millionen bewiesen ist, dass nämlich in der göttlichen Zuchtwahl die Untüchtigen (d. h. die Sünder) überleben. Trinker, Ehebrecher, Mörder und Räuber sind aus den Tiefen der Sünde und des Elends emporgehoben worden und haben ein neues Leben des Friedens und der Freude empfangen. Dies ist die Rettung, die wir durch Jesus Christus erlangen, der in die Welt gekommen ist, um Sünder zu retten (1. Tim. 1,15).

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19  ERBSÜNDE

  1. Es ist möglich, dass Kinder die Krankheiten der Eltern erben. Aber wenn die Eltern Hände, Füße oder Augen verlieren, so müssen die Kinder deshalb noch lange nicht lahm, verkrüppelt oder blind geboren werden. So steht es auch mit der Erbsünde. Die Kinder erben nicht alle Eigenschaften der Eltern, seien sie gut oder schlecht; sondern vieles im Charakter der Kinder ist das Ergebnis ihrer eigenen bewussten Taten. Wenn sie alle Eigenschaften ihrer Eltern erbten, dann könnten sie für ihre Taten nicht verantwortlich gemacht werden. Fähigkeit und Charakter sind nur in geringem Grad erblich; wie sie wachsen und reifen, das hängt weithin von den eigenen Anstrengungen ab.
     

  2. Wenn irgendein Gegenstand vor dem Licht steht, so wirft er einen Schatten oder ruft Dunkelheit hervor. Mondfinsternis tritt ein, wenn die Erde zwischen Sonne und Mond steht. Wenn der Schatten eines anderen Gegenstandes auf uns fällt, sind wir nicht verantwortlich dafür, denn nicht wir, sondern der Gegenstand außer uns hat den Schatten geworfen. Da wir uns im Bereich jenes Schattens befinden, werden wir von ihm berührt, aber wir sind nicht verantwortlich dafür. Doch wir tragen Verantwortung für die bösen Gedanken, die gleich Wolken aus unserem Herzen aufsteigen, am Himmel schweben und Dunkelheit bewirken.
     

  3. Sünden und ihre Folgen sind zwar gefährlich, dauern aber nicht ewig. Nichts ist ewig als Gott allein, und wem Er Ewigkeit verleiht. Wenn noch ein anderes Wesen aus sich selber neben Gott leben sollte, dann müsste es auch die unendlichen Eigenschaften Gottes besitzen. Das ist aber unmöglich, denn nur Einer ist unbedingt.

    Gottes Dasein verbürgt eine vollkommene Ordnung, die beständig erhalten bleiben soll. Was Seinem Wesen widerstrebt (d. h. das Böse), kann in Seiner Gegenwart nicht auf ewig bestehen. Deshalb soll die ganze Schöpfung, die da seufzt und in Wehen liegt, weil sie dem Bösen und der Nichtigkeit unterworfen ist, für immer befreit werden aus der Knechtschaft der Verderbnis zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Röm. 8, 20-22).

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20  VEDANTA UND PANTHEISMUS

  1. Nach dem Vedanta ist Gott (Brahma) allein wirklich; alles andere ist Täuschung. Die menschliche Seele ist dasselbe wie Gott, obgleich sie, wegen der menschlichen Unwissenheit, von Ihm getrennt zu sein scheint. - Wenn das wahr wäre, dann würde es bedeuten, auch Gott sei der Täuschung unterworfen. In diesem Fall kann Er nicht Gott sein. Gott ist in Wirklichkeit von aller Täuschung frei und weiß alles. Die Anhänger des Vedanta behaupten auch, in tiefer Versenkung (samadhi) werde der Fromme durch Erkenntnis von Täuschung (maya) frei. Da erhebt sich die Frage: wenn alles Täuschung ist, wie erkennen wir da, dass der Fromme, in samadhi versunken, und was er in diesem Zustand erkennt, nicht auch Täuschung sind?
     

  2. Wenn wir zugeben, dass der Vedanta wahr sei, dann müssen wir auch zugeben, dass - da Mensch und Gott dasselbe sind - Gott in Entwicklung begriffen sei und dass Er vermittels Täuschung und Verwandlung des Stoffs Vollkommenheit erlangen wolle. Wenn maya das nicht für Gott leistet, dann sollen die Anhänger des Vedanta uns sagen: was ist die erste Ursache von maya? welche Handlungen haben dazu geführt, dass wir in maya verstrickt sind? und wozu ist maya gut? Tatsache ist: Gott ist in jedem Ding, und jedes Ding ist in Gott. Aber Gott ist nicht jedes Ding, und jedes Ding ist nicht Gott. Wer den Schöpfer mit seiner Schöpfung verwechselt, der ist in Unwissenheit versunken.

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21  CHRISTUS UNSERE ZUFLUCHT

  1. Eine Biene kommt zu einer Blume, um Honig zu sammeln. Während sie mit dieser lieblichen Aufgabe beschäftigt ist, wird sie mitunter von einer Spinne gestochen. Dieser Stich lässt die Biene erstarren, so dass sie eine leichte Beute der Spinne wird. Genau so verfährt Satan: er kann uns nicht nur an bösen Orten angreifen, sondern auch während wir uns einer guten, nützlichen und angenehmen Arbeit hingeben. Wenn wir nicht treu sind im Gebet, droht die Gefahr, dass Satan uns angreift und überwältigt.
     

  2. Die Sünde macht das Gewissen taub und den Willen kraftlos und schwach. In solcher Lage vermag der Mensch, wenn er Gefahr und Tod vor sich sieht, ihnen nicht zu entfliehen - so hilflos ist er -, selbst wenn er ein starkes Verlangen danach hat. Einst trieb im tiefen Winter ein Leichnam den Niagara-Fällen zu. Ein Raubvogel saß darauf und war geschäftig, ihn zu verzehren. Als der Vogel den Wasserfällen nahe kam, wollte er den Leichnam verlassen und sich retten. Doch seine Krallen waren festgefroren, so dass er nicht fortfliegen konnte. So stürzte er in die tosenden Wasser und starb eines elenden Todes.
     

  3. Wenn wir vor den Angriffen und Gefahren des Feindes geborgen sein wollen, dann müssen wir in der Gemeinschaft mit dem Herrn leben und Ihm ähnlich werden. In schneereichen Ländern kleidet die Natur Tiere und Vögel in Weiß, so dass sie dieselbe Farbe wie ihre Umgebung haben und somit vor Angriffen sicher sind. Wo die Umgebung anders ist, da sind auch die Tiere anders gekleidet. Das Chamäleon und der Bay-Plattfisch können ihre Farbe im Augenblick wechseln: sie nehmen dieselbe Farbe wie ihre Umgebung an und entkommen ihren Feinden. Jedoch blinde Fische können das nicht, denn sie können die Farbe um sie herum nicht sehen. In gleicher Weise ist es höchst wichtig, dass wir geistliche Schau haben; denn wenn wir beständig auf Christus blicken und Ihm nachfolgen, können wir Ihm ähnlich werden sowie in Ihm auf ewig geborgen und vor allen Angriffen des Feindes behütet leben.

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22  FEINDE GROSS UND KLEIN

  1. Des Menschen Todfeinde sind nicht nur große Tiere wie Tiger, Wölfe und Schlangen. Kleine Keime, die wir nur durch das Mikroskop sehen können und durch unsere Nahrung sowie durch Wasser und Luft in uns aufnehmen, sind oft noch viel gefährlicher und rufen tödliche Krankheiten hervor. Ebenso gefährden nicht nur große Sünden unsere Seele, sondern verborgene böse Gedanken, die Keime großer und kleiner Sünden, wirken noch viel zerstörender. Wir müssen danach trachten, diese Keime von Anfang an aus unserem Gemüt zu entfernen, damit wir und andere von ihren verhängnisvollen Folgen frei werden.
     

  2. In unserem Leib haben wir Gesundheitskeime (phagocytes) wie auch Krankheitserreger (bacteria). Wenn unter irgendwelchen Umständen die Krankheitskeime sich vermehren und die Gesundheitskeime überwältigen, dann wird der Mensch krank, und wenn er nicht richtig behandelt wird, stirbt er. Wenn aber die Gesundheitskeime stärker sind, so widerstehen sie und töten die Krankheitserreger, und der Mensch erfreut sich guter Gesundheit. Gleicherweise wirken unsere guten Gedanken: sie überwältigen unsere bösen Gedanken und helfen uns, dass wir uns, von den Verwüstungen der Sünde befreit, guter Gesundheit erfreuen. Dieser Sieg kann nicht errungen werden ohne die Hilfe des Heiligen Geistes, der die Quelle aller Gutheit, aller Freude und des vollkommenen Lebens ist.
     

  3. Manche Menschen werden so sehr von bösen Gedanken überwältigt, dass sie alle Hoffnung zu verlieren scheinen und sich in großer Verzweiflung das Leben nehmen. Aber anstatt sich selbst zu töten, sollten sie vielmehr mit Gottes Hilfe jene Gedanken töten, die ihnen alle Hoffnung und Kraft zum Siege nehmen. Wir sollen nicht unser Leben mit Gift oder tödlichen Waffen zerstören, sondern geistliche Waffen, wie das Gebet, benutzen, um das Böse bis in die Wurzel zu vernichten. Dann bringen wir uns nicht um, sondern retten uns und helfen dadurch auch anderen, sich zu retten.
     

  4. Selbstsucht ist in gewisser Weise Selbstmord; denn Gott hat uns gewisse Fähigkeiten und Eigenschaften gegeben, damit wir sie zum Wohle anderer gebrauchen. Indem wir anderen helfen, finden wir neue Freude und helfen auch uns selber. Dies ist ein Gesetz unseres inneren Seins. Wenn wir anderen nicht helfen, verlieren wir diese Freude. Wenn wir unsere Nächsten nicht wie uns selber lieben, sind wir ungehorsam gegen Gott. Solcher Ungehorsam beraubt uns der Freude, von der unsere Seele lebt. Dann bleibt unsere Seele hungrig und stirbt. Ein selbstsüchtiger Mensch meint, er schaffe zu seinem eigenen Vorteil; aber ohne es zu wissen, fügt er sich selber großen Schaden zu. Wenn jeder Mensch sich nur dazu entschließen könnte, die Selbstsucht aufzugeben, dann würde aller Kampf und Streit in der Welt aufhören und die Erde zum Himmel werden. Alle Sünden kommen aus der Selbstsucht. Deshalb gebot uns unser Herr, uns selbst zu verleugnen und Ihm nachzufolgen (Luk. 9, 23).
     

  5. Wenn wir fortwährend andere tadeln und an ihnen etwas auszusetzen haben, fügen wir ihnen wie uns selber großen Schaden zu. Wenn wir jedoch den Selbstruhm aufgeben und uns selber tadeln, dann wird uns das umgestalten: wir werden am Leben der anderen teilnehmen und sie lieben. Auf diese Weise werden die anderen wie auch wir selber Gewinn haben. Und wir werden das verheißene Land erben, das Reich wirklicher Liebe.

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23  "GÄSTE UND FREMDLINGE AUF ERDEN"

  1. Ein Philosoph reiste um die Erde um einen Ort vollkommener Stille und Ruhe zu finden. Stattdessen fand er überall Sünde und Sorge, Leiden und Tod. Aus der Erkenntnis und Erfahrung, die er so gewonnen hatte, kam er zu dem Schluss, diese Welt sei nicht dazu bestimmt, unsere bleibende und wirkliche Heimat zu sein, sondern die wirkliche Heimat, nach der sich unsere Seele so sehr sehnt, sei anderswo; dort werde die Seele vollkommene Ruhe finden.
     

  2.  Einst wurde nahe beim Golf von Mexiko ein Vogel gefangen und nach einem Ort verschickt, der 850 engl. Meilen weit entfernt lag. Er wurde in einen engen Käfig gesteckt und kannte den Weg, den er geschickt wurde, nicht. Aber als er herangewachsen war, kehrte er ohne Führung und Hilfe zu eben derselben Stelle wieder zurück, von der man ihn fortgenommen hatte. Sein Instinkt hatte ihn geleitet. Ebenso ergeht es dem Menschen, dessen Gewissen durch Gottes Gnade wach ist: er verlässt diese vergängliche Welt und erreicht durch die Führung und Hilfe des Heiligen Geistes den Himmel, die ewige Heimat, für die er geschaffen worden ist.
     

  3. Ein Naturforscher brachte die Eier einer Nachtigall in ein kaltes Land und hoffte, dass die Vögel, wenn sie dort ausgebrütet wären, jenes Land für ihre Heimat halten und dort bleiben würden. Aber sie krochen aus und flogen, als der Sommer vergangen war, fort in ihr Heimatland und kehrten niemals mehr zurück. Ganz ähnlich ergeht es auch uns: obgleich in dieser Welt geboren, sind wir doch nicht für sie bestimmt. Sobald die Zeit kommt, da wir den Leib verlassen, begeben wir uns in unsere ewige Heimat. 4. Wenn der Leib stirbt, dann stirbt die Seele nicht, noch geht sie an einen weit entfernten Ort. Sondern mit dem Tod beginnt sie ein neues Leben, indem sie in einen neuen Zustand eintritt. Es ergeht ihr wie einem Kinde: wenn das Kind den Mutterschoß verlässt, beginnt ein neues Leben, indem es in einen neuen Zustand eintritt, aber die Welt oder der Ort, wo es lebt, bleiben weiterhin dieselben. So geht der Geist, nachdem er den Leib verlassen hat, in einen weit besseren Geisteszustand ein, obgleich die Welt, in der er lebt, weiterhin die gleiche bleibt. Das Kind im Mutterschoß wie der Geist im Leibe bleiben über ihren zukünftigen Zustand unwissend, denn er ist ihren Augen verborgen. Nachdem das Kind den Mutterleib verlassen hat, kann es den Leib, aus dem es gekommen, nicht mehr sehen. Ebenso vermag die Seele - besondere Umstände ausgenommen - die Körperwelt, aus der sie gekommen, nicht mehr zu sehen, denn nun lebt sie für immer in der Geisteswelt; die Körperwelt ist als grober Stoff in die Geisteswelt eingeschlossen. Wie das Kind beim Durchschneiden der Nabelschnur vom Mutterschoß getrennt wird, so wird der Geist vom Leib getrennt, wenn der silberne Strick abgeschnitten wird (Pred. Sal. 12, 6). Für das Kind ist der Mutterschoß der Ort, wo es für die Zukunft zubereitet wird, und für die Seele ist es der Leib. Aus dem Leib geht die Seele in Gottes Gegenwart hinüber, wo sie ihre wirkliche Bestimmung und Vollkommenheit erlangt.

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24  GLAUBE UND REINHEIT

  1. Keine Arbeit, sie sei geistlich oder weltlich, kann ohne Glauben geleistet werden. Wenn wir nicht einander glaubten, würde das Leben in dieser Welt unmöglich. Wenn alles so sehr vom Glauben abhängt, welche Schande ist es da, wenn wir nicht Ihm vertrauen, der in unserem Wesen die Fähigkeit zum Glauben geschaffen hat! Wenn unsere Erkenntnis unendlich wäre, dann hätten wir natürlich keinen Glauben nötig. Aber da unsere Erkenntnis so begrenzt ist, dass sie nahezu ein Nichts ist, werden wir in dieser Welt immer den Glauben brauchen. Und tatsächlich auch in der nächsten Welt, denn sogar dort wird unsere Erkenntnis nicht unendlich sein.

    Der Glaube ist wie die Liebe die Ranke der Seele, die sich an Gott klammert, Zweige und Blätter treibt und geistliche Früchte in Fülle hervorbringt.
     

  2. Durch den Glauben empfangen wir die Taufe mit dem Feuer des Heiligen Geistes. Ohne sie genügt die Wassertaufe zur Reinheit und Rettung nicht. Silber und Gold können durch Wasser nur äußerlich gereinigt werden, denn es kann nicht in sie eindringen. Um sie zu läutern, dazu bedarf es des Feuers. Die Taufe mit dem Feuer des Heiligen Geistes ist nötig, damit die Seele vollkommen gereinigt wird.

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25  OFFENBARUNGEN CHRISTI 

  1. Wenn wir den Heiligen Geist nicht empfangen, können wir die Größe und Gottheit Christi nicht verstehen, auch wenn wir Ihm unser ganzes Leben hindurch nachfolgen. Das zeigen deutlich die Erfahrungen der Jünger. Christus berief sie aus einem niederen zu einem höheren und edleren Werk: aus Fischermenschen machte Er sie zu Menschenfischern. Drei Jahre lang lebten sie mit Ihm. Während jener Jahre taten sie edlen Dienst: sie verkündigten den Menschen die frohe Botschaft des Heils. Aber als Christus gekreuzigt und begraben ward, versanken alle ihre Hoffnungen mit in Seinem Grab. Die Jünger kehrten zurück und nahmen dieselbe alte Arbeit auf, die sie früher zu ihrem Lebensunterhalt getan hatten. Doch Christus, den sie für tot hielten, erstand wieder von den Toten und erschien ihnen bei verschiedenen Gelegenheiten. Als Er einmal Seinen Jüngern am See Genezareth erschien, erkannte Petrus Ihn als den Herrn und schämte sich so sehr, dass er ins Wasser sprang, um sich zu verbergen. Er tat das wohl aus zwei Gründen: der eine Grund war, er sah Christus zum ersten Mal seit seiner Verleugnung und schämte sich, denn er dachte: "Ich erklärte feierlich, ich würde selbst mein Leben für Christus geben und Ihn auf keinen Fall verleugnen. Aber ich tat es dennoch. Wie kann ich nun vor Ihm bestehen?" Der andere Grund war sehr wahrscheinlich dieser: er schämte sich, wenn er daran dachte, dass vor drei Jahren er und die anderen Jünger an genau derselben Stelle zu dem großen Werk berufen worden waren, Menschen zu Christus zu führen, und dass sie nach drei Jahren das edlere Werk aufgegeben hatten, zu dem alten zurückgekehrt waren und ihm an derselben Stelle nachgingen, während sie doch das große Werk hätten fortsetzen sollen, zu dem Christus sie berufen hatte. Als Christus von den Toten auferstand, kehrten auch ihre toten Hoffnungen wieder ins Leben zurück; und als sie weiterhin die Fülle des Heiligen Geistes empfingen, wurden sie aufs neue der Gottheit Christi gewiss, so dass sie, obwohl sie verfolgt wurden und als Blutzeugen leiden mussten, bis zum Ende ihres Lebens Ihn verkündigten und das Werk fortführten, zu dem sie berufen worden waren.
     

  2. In der gegenwärtigen Zeit gibt es viele Christen, die Christus nachgefolgt sind, ohne dass sie Seine Größe und Gottheit in ihrem eigenen inneren Leben erfahren haben. So sind sie in die Irre gegangen. Sie denken, Christus sei ein großer und vollkommener Mensch gewesen, der vor Jahrhunderten lebte und starb. Aber denen, die sich zu Ihm wenden und beten, offenbart er sich aufs Neue in Seiner Herrlichkeit und Kraft wie dem Paulus. Und sie erneuern ihre Gemeinschaft mit Ihm und dienen Ihm durch die Kraft des Heiligen Geistes getreu bis ans Ende ihres Lebens.

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26  DEMUT

  1. Wenn der Geist Christi nicht in uns wohnt, können wir nicht demütig und sanftmütig sein wie Er, der - obgleich Gott - die Gestalt eines Knechtes annahm (Phil. 2, 6-7). Wir dürfen dem falschen Stolz in unserem Herzen keinen Raum geben, indem wir vergessen, was wir wirklich sind. Durch Stolz fallen wir von der Wahrheit3 ab und zerstören uns selber. Auch wenn wir mehr Fortschritte als andere Menschen gemacht haben, dürfen wir nicht vergessen: Diamant und Kohle sind aus demselben Stoff gemacht, nämlich aus Kohlenstoff. Verschiedene Umstände haben bewirkt, dass sie so verschiedene Gestalt angenommen haben. Aber obgleich ein Diamant so wertvoll ist, kann er ebenso vollständig verbrannt werden wie Kohle.
     

  2. Wenn wir am Rande eines Abgrunds stehen und hinunterblicken, empfinden wir Schwindelgefühl und Furcht, auch wenn die Tiefe nur ein paar hundert Fuß betragen mag. Aber wir fürchten uns niemals, wenn wir zum Himmel hinaufblicken, obgleich unsere Augen dort über viel größere Höhen streifen. Warum? Weil wir nicht nach oben fallen können. Andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass wir hinabstürzen und in Stücke zerschmettern. Wenn wir zu Gott emporblicken, so fühlen wir, dass wir in Ihm geborgen sind und von keinerlei Gefahr bedroht. Aber wenn wir unser Angesicht von Ihm abwenden, erfüllt uns die Furcht, wir könnten von der Wirklichkeit2 abstürzen und in Stücke zerschmettern.

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27  ZEIT UND EWIGKEIT

  1. Die wirkliche Zeit, das heißt die Zeit in ihrer Beziehung zur Wirklichkeit2, ist Ewigkeit. Die Zeit, wie wir sie kennen, ist ein flüchtiger Schatten jener wirklichen Zeit. Für Gott gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft, sondern alles ist Gegenwart. Da Seine Erkenntnis unendlich ist, stehen Vergangenheit und Zukunft zugleich vor Ihm. Aber für uns hat die Gegenwart kein Dasein, da sie nur der Übergang der Zukunft in die Vergangenheit ist. Ein jeder Augenblick taucht aus der Zukunft auf und gleitet unvorstellbar schnell in die Vergangenheit hinüber. Auch Vergangenheit wie Zukunft haben für uns kein Dasein, denn sie sind jenseits unserer Reichweite. Somit hat die Zeit für uns keine Wirklichkeit.

    Wenn wir aus dem Schlaf erwachen, vermögen wir kaum zu sagen, wie viel Zeit während unseres Schlafes vergangen ist. Selbst in unseren wachen Augenblicken ist die Zeit so unwirklich. In Sorgen und Leiden scheint ein Tag ein Jahr zu sein, in Freuden dagegen ein Jahr ein Tag. Deshalb hat die Zeit keine Wirklichkeit, denn Wirklichkeit2 ist unter allen Umständen wirklich, und wir haben keinen Sinn für die Zeit, denn wir sind für die Wirklichkeit2 geschaffen worden, und die ist ewig.
     

  2. Jahr, Monat, Tag sowie Stunde, Minute, Sekunde schaffen, was wir Zeit nennen, indem wir sie auf Ereignisse oder Veränderungen von Gegenständen im Raum beziehen. Nimm irgendeinen Gegenstand im Raum; wenn er sich verändert, schafft er Zeit. Während der Veränderung ist Gegenwart; nachdem die Veränderung stattgefunden hat, ist sie Vergangenheit; wenn sie sich noch ereignen soll, ist sie Zukunft. Wenn die Gegenstände sich verändern, so verändert sich die Zeit mit ihnen in Zukunft oder Vergangenheit. Die Wirklichkeit2 dagegen verändert weder sich selbst noch die Ewigkeit, mit der sie zusammenhängt.
     

  3. Die Zeit mag wechseln und vergessen werden. Aber was auch immer wir in der Zeit getan haben, das wird niemals ausgelöscht werden, sondern in die Ewigkeit eingehen.

    "Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit" (1. Joh. 2,17).

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Anmerkungen

1 Das Wort "Innerung" verwendet S. Singh im Sinne christlicher personenhafter Meditation.

2 Das Wort "Wirklichkeit" deutet bei S. Singh immer auf Gott.

3.Das Wort "Wahrheit" wird bei S. Singh verwendet im Sinne von erst in Christus gewinnen wir die wahre Erkenntnis. 

 

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