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Leseprobe aus "Unterwegs zur Mitte - Olav Hansen - Bausteine einer Biographie"

Hg. Georg Gremels

Francke Verlag, Seiten 31-33 und 60-66

O.U.21.12.1942: Brief an Hans Schröter Stadtjugendwart in Hannover

Lieber Hans,
merkwürdigerweise erhalte ich heute schon wieder eine Luftfeldpostbriefmarke. Die will ich jetzt ausnutzen, um auch Dir einen Gruß zu schicken. Seit ich das letzte Mal schrieb, habe ich allerlei erlebt. Es kommt mir so vor, als ob ich schon Jahre hier verbracht habe. Schwere Kämpfe liegen hinter uns und mir scheint, dass noch allerlei auf uns wartet. Langsam wird man müde und kaputt, das kann ich wohl sagen.

Am 3. Advent habe ich einen großen Angriff miterlebt. Dass ich dort lebend herausgekommen bin, kann ich nur als Bewahrung des Herrn bezeichnen. Russische Panzer standen am Ufer und schössen mit M.G. auf uns, die wir über eine freie zugefrorene Wasserfläche machten. Das heulte und zischte. Hier fiel einer und dort einer. Es war eine Hasenjagd, die nicht zu beschreiben ist. Kameraden, die ich schon Jahre kenne, musste ich liegen lassen. Sie sind dem sicheren Verderb entgegengegangen. Junge Kerle, noch nicht einmal 20 Jahre, sanken der Reihe nach ins Gras, ohne Glauben, ohne Christus. Es ist einfach schrecklich. Jetzt weiß ich auch, wie einem Infanteristen zu Mute ist, wenn er von der Ari [Artillerie] eingedeckt wird. Man sitzt dann in seinem Loch und zählt ab: trifft es, trifft es nicht usw. Ob ich es wohl noch lange mache? Das liegt alles in des Herrn Hand.

Das kann ich überhaupt sagen, dass ich jetzt mehr denn je im Angesicht der Ewigkeit gelebt habe. Es ist mein heißes Anliegen, stündlich bereit zu sein. Möge der Herr mir seine Gnade dazu geben. In diesen Tagen ist mir das Wort unseres Gottes und all die so feinen Lieder der Gemeinde eine ständige Quelle der Kraft. Ich summe sie oft vor mir hin "Kommt Kinder, lasst uns gehen", "Warum sollt ich mich denn grämen", "Ist Gott für mich", "Jerusalem, du hochgebaute Stadt."

Ich stelle es mir in Gedanken schon vor, wie schön es sein wird, wenn ich bei dem Herrn Jesus bin. Friede, Freude, Licht, Klarheit und Liebe wartet da auf mich, und dem schlägt mein Herz in dieser dunklen Winternacht fröhlich und sehnsüchtig entgegen. Wie schön wird es doch in der ewigen Heimat sein!

Wenn es die Liebe des Herrn will, dass ich wieder nach Hause komme, so soll mein ganzes Leben ihm gehören. Wie oft hat er es mir schon in diesen Wochen buchstäblich geschenkt! Das ist mein großer Wunsche, dass es mir doch vergönnt sein möchte, noch einigen, den Weg zur rechten Heimat zu zeigen. Wie nötig das ist, das sieht man erst hier draußen ganz deutlich. Was hat doch die Gemeinde an all den jungen Kerlen versäumt! Es müsste mancher die Not hier gesehen haben, um zu wissen, wie nötig doch die Arbeit ist. Wir Mitarbeiter Gottes dürften uns eigentlich Tag und Nacht keine Ruhe gönnen. Jede Stunde der Beschaulichkeit ist Fahnenflucht! Für uns kann es nur "vorwärts" heißen... 

Unser Leben gehört ganz unserem Herrn Jesus Christus. Jede Minute soll in seinem Dienste stehn. Brüder sind in Not! Greift zu, rettet, was zu retten ist.

Freundlichen Gruß auch an deine Frau, in Treue grüßt Olav


Gedenket an eure Lehrer...

Von Heinz Strothmann, Jugenddiakon in Göttingen und Bibelpastor iR., Bursfelde

Ein persönliches Wort

Dr. Olav Hanssen war von 1954 bis 1957 mein theologischer Lehrer im Johanneum, und er ist es eigentlich bis zuletzt geblieben. Am 10. Dezember 2004 trafen wir uns im Kloster Riechenberg, um noch einmal ein ganz neues Kapitel unseres gemeinsamen Denkens und Lebens aufzuschlagen. Und weil wir damit keineswegs zu Ende kamen, verabredeten wir einen neuen Termin für den 26. Januar 2005. Ich bin dazu auch nach Riechenberg gefahren, konnte Dr. Hanssen aber nicht mehr sprechen, weil er schon zu schwach und hinfällig geworden war. Er verstarb am 7. Februar 2005 im Alter von 89 Jahren im Kloster Riechenberg an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs. Damit war der 10. Dezember 2004 zu unserer letzten Begegnung geworden, in der nun seine Worte und Gedanken im Rückblick ein besonderes Gewicht und fast den Charakter eines Vermächtnisses bekommen haben. Dabei ging es - wie so oft - um die Bedeutung der Heiligen Schrift für unser Leben und Denken; denn er war der Meinung, dass es einem "Johanniter" gut anstünde, ein "Bibelchrist" zu sein, weil er sich im Dschungel der philosophischen Meinungen doch nur verlieren würde.

Noch heute erinnere ich mich gern an Sternstunden mit Dr. Hanssen, wenn er sich über sein kleines griechisches Testament beugte, um uns die Heilige Schrift auszulegen. Wie Schuppen fiel es mir jedes Mal von den Augen, und immer dachte ich: Warum bin ich nicht längst selbst darauf gekommen, was jetzt so klar und deutlich vor aller Augen liegt? Olav Hanssen war ein Meister des Elementarisierens. Er brachte die Dinge stets auf den Punkt. Die Bibel schlug er immer andächtig und mit größter Ehrfurcht auf. Es verletzte ihn tief, wenn er sah, dass wir im Lehrsaal unser Frühstücksbrot aus Versehen auf das Neue Testament gelegt hatten. Dieser Mangel an Ehrfurcht vor dem überlieferten Wort Gottes war für Olav Hanssen nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern zeigte vielmehr jene abgrundtiefe Fehlhaltung der Bibel gegenüber, die er in seiner gesamten Arbeit scharf zu geißeln wusste. Die Beschäftigung mit dem biblischen Text geschah für ihn immer vor dem Angesicht Gottes und gab seiner ganzen exegetischen Arbeit jene Würde, die ich später selten in theologischen Kreisen angetroffen habe. Für mich blieb Olav Hanssen zeitlebens "die theologische Lehrautorität". Er hat mich stets zu einem würdigen und angemessenen Umgang mit der Heiligen Schrift ermahnt und hat mich zugleich zur Arbeit am biblischen Text ermuntert. Ich danke es ihm, dass mich diese Aufgabe noch immer mit großer Freude erfüllt.

1. Lies täglich in der Schrift, denn sie ist's, die von mir zeugt

Exegetische Spitzfindigkeiten waren Olav Hanssen völlig fremd. Stattdessen verstand er es, große Textzusammenhänge herzustellen. Er forderte uns gern auf, ganze biblische Bücher im Zusammenhang zu lesen, um ihren gedanklichen Aufbau zu entdecken. Wir prägten uns fünfzig Kapitel der "Genesis" ein, wir lasen die Synoptiker im Vergleich und lernten den Aufbau der Evangelien auswendig. Wichtige Abschnitte der Bibel prägten wir uns gleich im griechischen Urtext ein und fragten uns darüber gegenseitig ab, stets auf der Suche nach den großen Sinnzusammenhängen. Das hat uns davor bewahrt, den "Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen", eine weit verbreitete Krankheit unter Bibelexegeten. Wie hat es uns fasziniert, wenn wir meinten, dem biblischen Redaktor auf der Spur zu sein, und es Olav Hanssen gelungen war, uns mit den Vätern der biblischen Überlieferung in einen lebendigen Dialog zu verwickeln.

Die klassischen Arbeitsschritte von der Übersetzung bis zur Predigt waren für Olav Hanssen niemals spröde Arbeitsvorgänge. Die ganze Entstehungsgeschichte des Bibelwortes wurde unter seiner anbetenden Betrachtungsweise zu einer eindrucksvollen Verkündigung für uns. Er hat uns die Tür aufgestoßen zu immer neuen Entdeckungen in der Heiligen Schrift. Die lebenslange "lectio divina" [göttliche Lesung] hatte begonnen. Jeder Ort und jede Stunde forderte uns nun dazu heraus, das Alltägliche im Licht der Heiligen Schrift zu sehen und zu deuten. Dabei fanden wir unsere Hoffnungen und Ängste aufgehoben in den biblischen Geschichten. Dies alles und vieles mehr eröffnete uns einen betenden Umgang mit der Heiligen Schrift, und Olav Hanssen hatte uns gelehrt, dass bibelorientierte Menschen nicht immer angepasste Zeitgenossen sind.

2. Lies genau, was da steht

Die griechischen Exerzitien dienten dazu, den biblischen Text genau ins Auge zu fassen. Wenn wir zu schnell zu wissen glaubten, was da stand, dann war es Olav Hanssen, der uns auf ein Komma, ein Fragezeichen, auf einen Tempuswechsel oder auf eine Variante im textkritischen Apparat aufmerksam machte. Das genaue Hinsehen und die Verzögerung des Aneignungsprozesses waren ihm darum so wichtig, weil gerade die begabtesten Prediger immer schon vorher wissen, was sie sagen wollen, und den biblischen Text nur noch als Sprungbrett benutzen. "Wer nicht genau wissen will, was da steht, der kann es doch gleich bleiben lassen!", so etwa forderte er uns heraus, Texte genau zu lesen. Die wichtigsten Bibelabschnitte im Urtext auswendig zu lernen, diente ebenfalls diesem Zweck, die Worte der Bibel genau kennen zu lernen und nicht vage zu meinen, man wisse doch ohnehin, wie es gemeint sei. Durch die wörtliche Wiederholung sollten wir uns die Erfahrung vergangener Generationen möglichst genau in unseren eigenen Erfahrungshorizont hineinholen.

Dabei waren ihm die fremden und sperrigen Texte besonders wichtig, weil sie sich nicht einfach schlank und harmonisch einfügen lassen. Wir lernten also nicht nur die großen Zusammenhänge sehen, sondern auch die kleinen Besonderheiten im Text beachten. Denn nur so wurden uns die überlieferten Texte zu einem echten Gegenüber, die zum kritischen Dialog herausfordern. So lernten wir Olav Hanssen als einen strengen "Anwalt des Textes" kennen, der uns zu fragen lehrte: "Was steht da? Wo ist das Subjekt, wo das Prädikat, wo das Adverb und wo das Attribut?" Dieses genaue Hinsehen hat uns davor bewahrt, biblische Texte zu assimilieren und im eigenen Gedankendunst pflegeleicht aufgehen zu lassen.

3. Verbindlich leben unter dem Wort

Als lutherischer Theologe wusste Olav Hanssen um die "Freiheit eines Christenmenschen", der allein der Schrift verpflichtet ist. Das "sola scriptura" [allein die Schrift] war für ihn kein Dogma, sondern eine Lebenshaltung. Alle Themen und Entscheidungen in seinem Leben waren aus seiner Lektüre der Heiligen Schrift erwachsen. Seine Bibelarbeiten erschienen uns stets als das Ergebnis durchgestandener Prozesse zwischen dem überlieferten Wort und der eigener Biographie. Leben und Lehre gehörten für ihn immer untrennbar zusammen. Darum liebte er die Bergpredigt so sehr, und er brachte sie immer neu zur Sprache. Jede Auslegung war zuvor durch ihn selbst hindurchgegangen. Seine Respektlosigkeit vor der "kritischen" Vernunft des modernen Menschen rührte daher, dass alle seine hermeneutischen Aussagen diese Torturen in der Begegnung mit seiner eigenen Reflexion längst hinter sich hatten. "Der modernste Mensch", so pflegte er gern zu sagen, "das bin ich selbst!" Und in der Tat habe ich selten einen moderneren Menschen erlebt als ihn, der seiner Zeit stets um Meilen voraus war und darum wohl auch von vielen missverstanden wurde. Viele der späteren Entwicklungen stellte er uns schon in den 50er Jahren geradezu prophetisch vor Augen, aber wir haben ihn oft nicht verstanden.

An dem "Streit um die Bibel", der vor allem in den 60er Jahre entbrannt war, hat sich Olav Hanssen nie ernsthaft beteiligt. Er hat aber weiterhin die Bibel fleißig gelesen und ausgelegt. Viele Menschen haben gerade in jener Zeit nach solchen Theologen Ausschau gehalten, denen modernes Denken nicht fremd war und die doch zugleich von einer tiefen Frömmigkeit erfüllt waren.

Das verbreitete Entweder-Oder von "dumm, aber fromm" und "klug, aber gottlos" war seine Sache nicht. Niemals zerrte er das Bibelwort vor das Tribunal kritischer Vernunft, so als könnten wir über das Wort Gottes zu Gericht sitzen. "Nicht ihr legt die Bibel aus, die Bibel legt euch aus, damit ihr überhaupt wisst, wer ihr selber seid! Nicht die Bibel ist das Problem, ihr seid das Problem!" Er wollte Subjekt und Objekt wieder ins rechte Verhältnis bringen, wenn er provozierend fragte: "Wer legt hier eigentlich wen aus?" Dass das biblische Wort auch die Züge des menschgewordenen Gottessohnes an sich trug, war ihm sehr wichtig. Menschenwort in Druckerschwärze auf Dünndruckpapier und doch ganz verbindliches Gotteswort, das uns zu letztem Gehorsam auffordert: "Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe!" Dieses Wort Jesu schließlich wurde zu einem Lebensthema für Olav Hanssen, und führte im Februar 1963 in Hermannsburg zur Gründung der "Gethsemane-Bruderschaft".

Ein persönliches Wort zum Schluss

Nie sah ich Olav Hanssen mit einem Manuskript in der Hand. Er war ein Lehrer des gesprochenen Wortes, immer im Blickkontakt zu seinen Hörern. Dabei sprach er frei und konzentriert aus dem Gedächtnis und aus dem Herzen heraus. Er wirkte stets äußerst gut vorbereitet. Seine Worte lagen niemals vor ihm oder neben ihm oder überhaupt außerhalb seiner selbst. Sie waren niemals etwas anderes, als was er selbst durch sie geworden war. Zuletzt lebte er als Ordensmann im Kloster Riechenberg, und die "lectio divina" hatte nun für ihn noch einmal eine tiefere Bedeutung bekommen und seinem Leben eine auch äußerlich sichtbare Prägung verliehen.

Aber angelegt fand ich sie bei ihm von Anfang an, auch wenn wir das damals im Johanneum mehr geahnt als gewusst haben, als er das erste Mal vor uns seine kleine Bibel aufschlug und uns in die Textwelt der Bibel wie in einen Gottesdienst führte. Gern habe ich meinen ehemaligen Lehrer immer wieder in Riechenberg besucht. Und immer ging es um die Herausforderungen und Gefährdungen unseres modernen Lebens und um die Frage nach Gottes Wort und Wille in unserer Zeit. Wenn er mir dann so ganz zugewandt und aufmerksam zuhörte, bevor er Rat oder Antwort gab, dann hat mich das oft an das Gleichnis vom Binsenkorb erinnert:

"Am Rande der Wüste lebte einst ein alter Eremit. Ihn besuchte ein junger Mann, der klagte ihm sein Leid: "Ich lese nun schon viele Jahre die Heilige Schrift und möchte sie verstehen. Aber ich komme einfach nicht weiter und verliere oft den Mut. Ist nicht die ganze Mühe umsonst?" Der alte Mönch hörte ihm aufmerksam zu. Dann ließ er ihn einen Binsenkorb holen: "Bring mir Wasser aus dem Brunnen", sagte er zu dem jungen Mann. "Hat er mich überhaupt verstanden?" fragte sich der junge Mann. Widerwillig holte er den verschmutzten Korb aus dem Stall und ging damit Wasser holen. Das Wasser war natürlich längst heraus geflossen noch bevor er damit zurückkehrte. "Geh noch einmal!" sagte der Alte. Und der junge Mann gehorchte. Ein drittes und ein viertes Mal musste er gehen. "Prüft er etwa meinen Gehorsam?", fragte sich der junge Mann. Immer wieder füllte er Wasser in den Korb, und jedes Mal floss es wieder heraus. Nach dem zehnten Mal durfte er endlich damit aufhören. "Sieh deinen Korb an", sagte der Eremit. "Ist er nicht wunderbar sauber geworden? So ergeht es dir auch mit dem Worte Gottes, wann immer du es liest und bedenkst. Du kannst es nicht festhalten. Aber es geht durch dich hindurch. Du hältst vielleicht alle Mühe für vergeblich. Aber es klärt doch deine Gedanken und macht dein Herz klar und rein."

So soll mir mein hochverehrter Lehrer Dr. Olav Hanssen zeitlebens im Gedächtnis bleiben. Ein Lehrer und Seelsorger nach dem Herzen Gottes. Ein Gezeichneter vom Wort Gottes und vom Gebet. Werden wir je ermessen können, was er bedeutet hat für unser persönliches Leben, für die Jugendarbeit in Hannover und Göttingen, für die Geschichte des Johanneums, auch für die missionarische Arbeit im In- und Ausland, für das Leben in den "Koinonia-Bruderschaften" und letztlich auch für unsere ganze Kirche?

Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz,
und die, die viele zur Gerechtigkeit weisen,
wie die Sterne immer und ewiglich. Dan 12,3

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