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Zentrale Ergebnisse des zweiten Vergleichs der Länder in Deutschland

Zusammenfassung

In Absprache mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) stellt das PISA-Konsortium Deutschland vorzeitig zentrale Ergebnisse des zweiten Vergleichs der Länder im Rahmen des OECD „Programme for International Student Assessment“ (PISA) vor. Der ausführliche Bericht über die Ergebnisse des Ländervergleichs in Deutschland wird am 3. November 2005 veröffentlicht werden.

Die im Dezember 2004 von der OECD sowie vom PISA-Konsortium Deutschland veröffentlichten Berichte präsentierten die Ergebnisse einer für Deutschland repräsentativen Stichprobe von 4660 Schülerinnen und Schülern. Um die Leistungen der Länder in Deutschland vergleichen zu können, wurden im Rahmen der Erweiterungsstudie („PISAE“) in Deutschland insgesamt 44580 Schülerinnen und Schüler aus 1487 Schulen getestet.

Der Vorbericht informiert in knapper Form erstens darüber, wie die Leistungen der fünfzehnjährigen Jugendlichen aus den einzelnen Ländern im nationalen und internationalen Vergleich einzuordnen sind. Zweitens stellt der Bericht dar, wie sich die Leistungen der Länder von PISA 2000 zu 2003 verändert haben. Drittens informiert der Bericht anhand eines Kennwertes darüber, inwieweit Unterschiede in der mathematischen Kompetenz mit Unterschieden in der sozialen Herkunft in den einzelnen Ländern gekoppelt sind.

Die Ergebnisse des zweiten Ländervergleichs zeigen, wie sehr das Bildungssystem in Deutschland seit PISA 2000 in Bewegung geraten ist. Viele Länder der Bundesrepublik konnten in den Kompetenzen, die PISA untersucht, signifikant bessere Leistungen erzielen. Es gibt kein einziges Land, das bei PISA 2003 schlechter in den Kompetenzbereichen abschneidet als bei PISA 2000.

Die Zunahmen im mathematischen Inhaltsgebiet „Veränderung und Beziehungen“ reichen von 7 bis 48 Punkten und sind für zehn Länder statistisch signifikant. Im mathematischen Teilbereich „Raum und Form“ betragen die Zuwächse zwischen einem und 30 Punkten. Sie können für acht Länder als statistisch signifikant abgesichert werden. Im Bereich der Lesekompetenz, bei der Deutschland sich insgesamt im internationalen Vergleich nicht statistisch signifikant verbessern konnte, zeigt die PISA-Erweiterung für fünf Länder signifikante Zuwächse in der Größenordnung von 12 bis 27 Punkten.
Auch die naturwissenschaftliche Kompetenz hat sich in insgesamt elf Ländern signifikant verbessert. Die Zuwächse reichen von 5 bis 32 Punkten.

Beim Vergleich von PISA 2003 mit PISA 2000 erzielen einige Länder beträchtliche, international bemerkenswerte Zuwächse. Diese erreichen zum Teil Größenordnungen, die auch die von wissenschaftlicher Seite getroffenen Vorhersagen über kurzfristige Verbesserungsmöglichkeiten übertreffen. Die bei PISA 2003 festgestellten Kompetenzzuwächse zeigen, dass Bildungsergebnisse auch in relativ kurzen Zeiträumen deutlich verbessert werden können.

Die Vergleiche zeigen weiterhin, dass einige Länder, die bei PISA 2000 im nationalen Vergleich ungünstig positioniert waren, ihre Leistungen erheblich steigern konnten. Zu nennen sind hier zum Beispiel Bremen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Diese Länder verbessern insbesondere ihre Lesekompetenz in einer Größenordnung um bzw. über 20 Punkte. Die Befunde des Ländervergleichs unterstreichen, dass die Chancen für deutliche Kompetenzsteigerungen im unteren Leistungsbereich keineswegs geringer als in den Spitzengruppen sind.

Die seit PISA 2000 festzustellenden Zuwächse führen jedoch nicht zu größeren Verschiebungen in der relativen Einordnung der Länder im nationalen wie internationalen Vergleich. Dies macht deutlich, wie wenig Rangordnungen alleine aussagen. Bei PISA 2003 finden wir in allen Kompetenzbereichen eine größere Anzahl von Ländern, die jetzt Leistungen über dem OECD-Durchschnitt erzielen: Im Bereich Mathematik sind es vier Länder, in den Bereichen Lesen und Naturwissenschaften je drei Länder und im Bereich Problemlösen fünf Länder, die signifikant über dem OECD-Mittelwert liegen. Einem Land ist es gelungen, in allen Kompetenzbereichen an die internationale Spitzengruppe anzuschließen.

Ein bemerkenswertes Ergebnis zeigt schließlich der Vergleich der Kennwerte für den Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der mathematischen Kompetenz. Dieser Zusammenhang ist in Deutschland am niedrigsten ausgeprägt in Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen. Dabei zeichnet sich für die Länder Bayern, Sachsen und Thüringen eine Kombination von hoher Kompetenz bei schwacher Kopplung mit der sozialen Herkunft ab, die bei OECD-Vergleichen als besonders wünschenswert gilt.

PISA-Konsortium Deutschland, 13.07.2005

Neue Pisa-Nachrichten


Wie Schüler zu Kunden ihrer Lehrer werden - Privates Gymnasium in Braunschweig betreibt Qualitätsmanagement - Bildung als Dienstleistung

Von Peter Mlodoch

"Kunden sind wir ja eigentlich nicht", sagt Sebastian van Cayzeele. Der 18-jährige Gymnasiast schmunzelt: "Wir sind doch die Waren." Kunden, das seien hier im Dienstleistungsbetrieb Schule vielmehr die Eltern.

Sein Deutschlehrer Andreas Gierth widerspricht sanft. Schulleitung und Lehrkräfte begreifen die 830 Schüler des privaten Christopherus-Gymnasiums in Braunschweig sehr wohl als ihre Kunden. "Wir fühlen uns wie ein Unternehmen", meint Gierth. Hauptabnehmer der angebotenen und mit rund 300 Euro monatliches Schulgeld bezahlten Dienstleistung Bildung seien nun mal die Kinder und Jugendlichen.

Wie es sich für ein gut geführtes Unternehmen gehört, steht der Kunde im Vordergrund. Seit neuestem wird sogar erforscht, was er von seinen Dienstleistern hält. "Wie zufrieden bist du mit der Mehrzahl deiner Lehrer hinsichtlich . . .", heißt es unter Punkt neun in dem umfangreichen Schülerfragebogen. Bei "Freundlichkeit", "Humor/Gelassenheit", "Einfühlungsvermögen", "gerechte Beurteilung/Benotung" und "Tempo des Unterrichts" können die Schüler in fünf Wertungsstufen ihr Kreuzchen machen. Akribisch abgefragt werden Unterrichtsinhalte, Kursangebote, Lehrmethoden, soziale Fähigkeiten des Klassenlehrers, Einsatz der Schülervertretung, aber auch der Zustand der Klassenräume, der Geschmack des Mensa-Essens oder die Sauberkeit der Sanitäranlagen.

Der sechsseitige Fragebogen zur Messung der Kundenzufriedenheit ist Teil des Qualitätsmanagement-Systems, das Ursula Hellert ihrer Bildungseinrichtung auferlegt hat. Vor drei Jahren startete die Gesamtleiterin des Christlichen Jugenddorfs Braunschweig, zu dem neben dem Gymnasium eine Grundschule, ein Internat und eine musische Akademie zählen, mit der systematischen Erfassung der Schul-Arbeit. Abläufe und Ziele wurden definiert, ein dickes Qualitätshandbuch geschrieben und Schüler und Eltern befragt.

Am Ende stand das begehrte Zertifikat: Externe Prüfer der Lloyd’s Register Quality Assurance bescheinigen der Christophorusschule jetzt ein funktionierendes Qualitätsmanagement nach der international anerkannten Norm ISO 9001:2001. "Wir sind das erste Gymnasium in Deutschland, das diese Auszeichnung bekommen hat", sagt Ursula Hellert.

Dabei hatte die Pädagogin intern reichlich Widerstände zu überwinden. "Damals herrschte helle Aufregung im Lehrerzimmer", berichtet Hellert. "Die Kollegen hatten Angst, dass ihnen genau vorgeschrieben wird, was sie tun sollen." So ein System brauche man nicht, die Schule sei doch ohnehin von besonderer Qualität, wandten viele der 90 Lehrer ein. Schließlich besitze das Christopherus-Gymnasium bundesweit bereits einen exzellenten Ruf, weil es schon seit 25 Jahren Hochbegabten besonders fördert. Schule und Management vertrügen sich nicht, außerdem führe das alles nur zu Mehrbelastungen, lauteten weitere Vorbehalte.

Es war wohl nicht nur diese Sorgen. Da bekommen auf einmal diejenigen Noten, die sonst selbst Noten verteilen. "Kein Lehrer möchte unbeliebt sein", schildert Andreas Gierth das Unbehagen der Lehrer. "Und keiner will das auch noch schriftlich bescheinigt bekommen." Dennoch hätten alle der Versuchung widerstanden, während der Fragebogenaktion plötzlich netter zu sein. "Das wäre uns doch auch sofort aufgefallen", bestätigt Anne-Christine Boger aus der 12. Klasse. Die 18-jährige Schülervertreterin, die bei der Ausarbeitung der Fragen mitgewirkt hat, berichtet von der positiven Resonanz bei den Jugendlichen: nahezu 100 Prozent Rücklauf, kein "Blödsinn" beim Ausfüllen, dank der Anonymität auch keine Furcht vor ehrlichen Antworten.

Die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet, erste Konsequenzen gezogen. Aus der allgemeinen Meckerei über die Mensa-Verpflegung folgte eine neue Speisenfolge mit einem wöchentlichen Überraschungsessen. "Wir brechen die Routine auf", meint Deutschlehrer Gierth. Im Unterricht gestaltet sich die Sache schwieriger. Rundweg gute Noten dafür gab es in den Klassen fünf und sechs; im Jahrgang zehn fielen sie deutlich ab und in den Abiturklassen war das Urteil ziemlich vernichtend. "Das müssen wir sehr ernst nehmen", sagt Gymnasiumsleiter Matthias Kleiner und verspricht, gründlich nach den Ursachen zu forschen. Erster Erklärungsansatz: Schüler, die kurz vor ihrem Abschluss stehen und Sorge um ihre Noten haben, beäugen ihre Lehrer sehr viel strenger. "Uns ist aber auch klar, dass eine Klassenlehrerin, die sehr intensiv arbeitet, nicht unbedingt große Zufriedenheit auslöst", betont Kleiner.

Dem Schul-Check gewinnt er nur positive Seiten ab. Die Beschäftigung mit Lernumfeld und Raumsituation sorge für eine höhere Identifikation der Schüler mit ihrer Schule. "Mit der Befragung holen wir die Schüler mit ins Boot." Veränderungen würden viel schneller als notwendig erachtet. "Wir haben jetzt Fakten, auf die man sich berufen kann. Da braucht man keine langen Diskussionen mehr." Gleiches gelte für die beiden Fragenbogenaktionen mit den Eltern. Die Mütter und Väter fühlten sich ernst genommen; mit den Ergebnissen könne die Schule auf mögliche Missstände - wie bei den Nachmittags-Schulzeiten - besser reagieren.

Weitgehend ausgestanden sind die Diskussionen in der Lehrerschaft über das Qualitätsmanagement, berichten Ursula Hellert und Matthias Kleiner übereinstimmend. Zwar sei noch immer nicht jeder begeistert, zwar gebe es immer noch ironische Rufe nach den ISO-Prüfern, wenn mal ein Wasserhahn tropft. "Dass Sie alle überzeugen, passiert nie", meint Ursula Hellert. Aber die meisten hätten begriffen, dass es ihnen und der Schule nutzt.

Die Pädagogin gerät ins Schwärmen, wenn sie den nur scheinbar bürokratischen Normfindungsprozess beschreibt, den die Schule dank finanzieller Unterstützung der Salzgitter AG und des VW-Coaching-Programms durchführen konnte. Schon der Zwang, seine eigene Tätigkeit definieren zu müssen, sei ein Segen. "Wenn Sie das beschreiben müssen, prüfen Sie automatisch, ob Sie es auch richtig machen." Verbesserungen kämen dann wie von selbst, sagt Hellert. "Das Formale wird zum Motor pädagogischer Reformen."

Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann betrachtet das Braunschweiger Experiment mit Wohlwollen. "Die Christophorusschule ist Trendsetter - Kompliment dafür." Auch seinen staatlichen Schulen will er langfristig ein internes Qualitätsmanagement verordnen - lässt aber offen, ob es unbedingt ein ISO-Zertifikat sein müsse. "Das ist ja kein Selbstzweck, da muss schon ein besserer Unterricht rauskommen."

Für Sebastian van Cayzeele steht das außer Frage. "Wir haben ja auch etwas davon", sagt der Schüler über die Qualitäts-Kur an seinem Gymnasium. Und dabei erweckt er den Eindruck eines Kunden, der zufrieden in die Osterferien gegangen ist.

Weser Kurier vom 02.04.2004

Neue Pisa-Nachrichten


SPD in Hessen kündigt neue "Bildungs-Agenda" an

a.k.

01. April 2004 Die hessische SPD will die Bildungspolitik ins Zentrum ihrer Arbeit rücken und strebt nach den Worten des Vorsitzenden der Landtagsfraktion, Jürgen Walter, ein Modell an, das eine "klare Alternative zur CDU" biete. Deren streng das Muster der Dreigliedrigkeit und eine möglichst frühe Selektion betonenden bildungspolitischen Vorstellungen sind in der Sicht der SPD "ideologisch", rückwärtsgewandt und und talentvernichtend. Außerdem ignorierten sie objektive Feststellungen, wie sie in den internationalen Schulvergleichsstudien Pisa und Iglu getroffen worden seien. Dem will die SPD eine "neue Bildungsagenda für Hessen" entgegenstellen, die von der Kinderkrippe bis zur Universität reichen und sich an den Leitlinien einer frühen Förderung, langem gemeinsamen Lernen, Abbau sozialer Hindernisse sowie gleichen Zugang zur Bildung unabhängig vom Elternhaus orientieren soll.

Walter, der Bildungspolitik auch als wirtschaftspolitische "Schicksalsfrage" ansieht, legte Wert auf die Feststellung, daß die SPD mit ihrem Modell keineswegs den Schulkampf der siebziger Jahre aufwärmen wolle. Das Konzept sei deshalb weder in den Begriffen noch bis ins Detail festgelegt, sondern solle nach einer eingehenden Diskussion mit Schulen, Eltern, Wirtschaft und Fachwelt seine endgültige Gestalt bekommen. Nicht zuletzt soll dabei das Vorhaben der SPD überprüft werden, das gemeinsamen Unterricht aller Kinder bis zur zehnten Klasse vorsieht. Damit gehen die Sozialdemokraten noch weit über ihr früheres Förderstufenmodell hinaus, das nach der sechsten Klasse endete. Walter berief sich dabei vor allem auf die Pisa-Studie, die in seiner Sicht die Überlegenheit längeren gemeinsamen Lernens gegenüber dem strikt dreigliedrigen Schulsystem mit Auslese nach der vierten Klasse eindeutig belegt habe. Die SPD setzt nach den Worten Walters darauf, daß mittlerweile bei vielen, auch früheren Skeptikern die Einsicht von der Überlegenheit des stärker auf Gemeinsamkeit setzenden Schulsystems gewachsen sei.

CDU und Landesregierung aber ignorierten diese Pisa-Ergebnisse und beharrten auf der frühen Selektion, kritisierte der SPD-Politiker, obwohl auf diese Weise Bildungsverlierer produziert würden. Mehr als zehn Prozent aller hessischen Schüler verließen die Schule ohne Abschluß. Das sei nicht nur aus sozialen Gründen unvertretbar, "das können wir uns auch nicht mehr leisten", sagte Walter. Ohnehin stellt sich für ihn die Frage, ob sich das dreigliedrige Schulsystem in ländlichen Gebieten mangels Schülern überhaupt auf Dauer aufrechterhalten lasse. "Stärkung der individuellen Förderung" lautet die SPD-Losung. Sie soll sowohl für die Vorschuleinrichtungen, die mit der Grundschule auf der Basis eines gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsplans verzahnt werden sollen, als auch für Grundschule und Sekundarstufe I gelten. Die SPD bleibt dabei, daß das letzte Kindergartenjahr verpflichtend sein soll - und gebührenfrei. In der Grundschule will die SPD flächendeckend eine vor allem dem Abbau von Defiziten dienende Eingangsstufe einführen. Dabei sollen erste und zweite Klasse eine pädagogische Einheit bilden, die Kinder in einem Jahr absolvieren, für die sie aber auch bis zu drei Jahren brauchen können. Mehr Hortplätze und Ganztagsschulen sollen das Konzept ergänzen, zu dem auch das mittelfristig angestrebte Ziel gehört, 40 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschulen zu bringen.

"Dürftig und unausgegoren" nannte CDU-Fraktionsgeschäftsführer Frank Gotthardt das SPD-Konzept. Die SPD habe sich immer noch nicht von ihren längst gescheiterten Modellen verabschiedet. Mit der CDU, sagte Gotthardt, werde es "keinen Schulkampf alter Prägung" geben. Sie werde den eingeschlagenen Weg fortsetzen und der Unterrichtsgarantie mehr Bildungsqualität folgen lassen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn nannte die Forderung nach zehn gemeinsamen Schuljahren ein "Relikt der sozialdemokratischen Schulpolitik der siebziger Jahre", das alle Ansätze moderner schulpolitischer Anforderungen unterlaufe. Statt den "Ruf nach der Einheitsschule" zu erneuern, sei in Hessen Schulvielfalt gefragt, die den Begabungen angemessen Rechnung trage.

Frankfurter Rundschau vom 02.04.2004

Neue Pisa-Nachrichten


Bildungspolitik nach PISA-Maß - SPD in Hessen will «von Siegern lernen» - CDU zeigt sich enttäuscht

ddp-swe

Die SPD-Landtagsfraktion will in den kommenden Monaten die Bildungspolitik in den Vordergrund ihrer parlamentarischen Arbeit stellen. Das kündigte ihr Vorsitzender Jürgen Walter am Donnerstag in Wiesbaden nach einer dreitägigen Fraktionsklausur an. Die SPD werde eine «klare Alternative» zur CDU-Landesregierung formulieren, deren Bildungspolitik für «ein Zurück in die 50er Jahre» stehe. Weitere Schwerpunkte der parlamentarischen Arbeit der SPD-Fraktion sind nach den Worten ihres Vorsitzenden die Wirtschaftspolitik mit dem geplanten Flughafenausbau als wichtigstem Infrastrukturprojekt, die Sozialpolitik und die Innere Sicherheit. Die CDU reagierte enttäuscht auf die Ergebnisse der Klausur der Oppositionsfraktion.

Nötig seien eine frühe Förderung der Kinder, langes gemeinsames Lernen, der Abbau sozialer Hindernisse und Chancengleichheit beim Zugang zur Bildung, betonte Walter. Mit Blick auf die PISA-Studie sagte er: «Wir wollen von den Siegern lernen.» Für Klein- und Vorschulkinder strebt die SPD nach Walters Worten eine Versorgungsquote mit Betreuungsplätzen von 40 Prozent an. Im Kindergartenbereich strebe seine Fraktion langfristig eine Gebührenfreiheit für die Eltern an. Als ersten Schritt dahin nannte Walter, das letzte Kindergartenjahr gebührenfrei und dafür verpflichtend zu machen.

In den Grundschulen wollen die Sozialdemokraten aus erster und zweiter Klasse eine pädagogische Einheit machen, die je nach Entwicklungsstand des einzelnen Kindes in ein bis drei Jahren durchlaufen wird. Dies dient nach Walters Worten der individuellen Förderung, die nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion auch in der Sekundarstufe I einen Schwerpunkt bilden soll. Dazu sollen die Kinder und Jugendlichen bis Klasse 10 gemeinsam lernen, wie der SPD-Fraktionschef mit Verweis auf das PISA-Siegerland Finnland betonte.

Als weitere Bausteine der Bildungspolitik nannte Walter die Schaffung von Ganztagsschulen, das Einbeziehen kommunaler Jugendhilfestrukturen und eine Mittelzuweisung nach Problemlagen an den Schulen. Die Zahl der Studierenden will die SPD-Fraktion auf eine Quote von 40 Prozent pro Geburtsjahrgang heben. In diesem Zusammenhang sagte Walter, seine Fraktion prüfe eine Verfassungsklage vor dem Staatsgerichtshof gegen die von der Landesregierung eingeführten Studiengebühren. Ein Fraktionssprecher erläuterte zu dem gesamten Konzept, die Finanzierung sei noch nicht durchgerechnet, da es sich zunächst nur um einen Entwurf handele.

CDU-Fraktionsgeschäftsführer Frank Gotthardt kritisierte das Papier als «dürftig und unausgegoren». Gerade im Bildungsbereich habe die SPD selbst in Regierungsverantwortung versagt. Er sprach sich gegen eine «Einheitsschule» aus und warf der Oppositionsfraktion Festhalten an gescheiterten Konzepten vor. (Quellen: Walter und Gotthardt in Mitteilungen, SPD-Fraktionssprecher auf ddp-Anfrage)

Yahoo! Nachrichten vom 01.04.2004

Neue Pisa-Nachrichten


Wendemanöver in stürmischer See

Die von Bund und Ländern gewünschten Bildungsstandards würden Schulen mehr verändern, als manchen lieb ist

Von Jeannette Goddar

Wer wissen will, was ein Schüler in Deutschland wissen muss, braucht bisher vor allem eines: viel Zeit für das Studium von tausenden Seiten Papier. In fast jedem der 16 Bundesländer liegt für jedes Fach, jede Schulstufe und jeden Jahrgang ein eigener Lehrplan vor. Dieser schreibt nicht immer, aber häufig dem Lehrer en detail vor, mit welcher Methode er welchen Aspekt in welcher Zeit zu vermitteln hat. Der Schüler soll am Ende eines Halbjahres genau dieses, am Ende des kommenden exakt jenes gelernt haben - und er weiß, wie man nicht erst seit Pisa weiß, am Ende oft zu wenig.

Die Wende könnte demnächst mit Macht kommen: Als Eckhard Klieme vom "Institut für Internationale Pädagogische Forschung" in der vorigen Woche die Expertise "Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards" vorlegte, erhielt die interessierte Öffentlichkeit einen tiefen Eindruck davon, wie umfassend das Schulsystem reformiert werden könnte, wenn das in der Studie von allen Seiten beleuchtete Instrument greifen würde. Bildungsstandards, so wie Klieme und seine Co-Autoren - Didaktiker, pädagogische Psychologen und Erziehungswissenschaftler -, sie verstehen, orientieren sich nicht mehr am "Wissen" der Schüler, sondern an deren "Kompetenzen". Eine Kompetenz setzt sich aus "Wissen", "Können", "Verstehen" und "Motivation" zusammen.

Kommen die Modelle und die "Philosophie" der Expertise, die im Auftrag von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) erstellt und von der Kultusministerkonferenz (KMK) wohl oder übel zur Kenntnis genommen wurde, nunmehr ganz und gar zum Tragen? Darüber wird in den kommenden Monaten insbesondere zwischen Bund und Ländern trefflich gerungen werden. Einen wesentlichen Auftrag hat die Studie aber bereits erfüllt: Sie gibt denen, die ständig nach einheitlichen Standards rufen, eine klare Antwort, liefert einen theoretischen Unterbau.

Wer glaubt, Bildungsstandards sollten in erster Linie Schüler bewerten, wird von Klieme und seinen Kollegen eines Besseren belehrt. Tatsächlich stehen die Schulleitungen und die Lehrer im Zentrum der Evaluation, der Überprüfung. Mit Hilfe eines "Bildungsmonitoring", das die Umsetzung der Standards systematisch erfassen und begleiten soll, erfährt jede Schule und jede Lehrkraft, wo "sie stehen". Deshalb werden die Schüler zwar getestet; die Ergebnisse sollen aber gerade nicht in Zensuren übersetzt werden. Auch veröffentlichte "Rankings" einzelner Schulen lehnt Klieme ab: "Das wäre unsolide, unprofessionell und kontraproduktiv."

Stattdessen sollen die Schulen zu effizienterem Unterricht motiviert werden. Wie der aussieht, soll ihnen selbst überlassen bleiben - das wäre sie dann, die Schule in Eigenregie. Damit wäre eine zentrale Forderung der Ministerin erfüllt: "Es wird höchste Zeit, dass wir die Schulen in die Selbstständigkeit entlassen", sagte Edelgard Bulmahn bei der Vorstellung der Expertise. Um die Schulen zu unterstützen, die Tests großflächig auszuwerten und die Länder-Institute untereinander zu vernetzen, soll eine "nationale Agentur" gegründet werden.

Ob sich die KMK von der Expertise beeindrucken lässt, ist völlig offen. Die KMK befasst sich nämlich bereits seit Mai 2002 mit der Entwicklung eigener Standards. Wie das im Föderalismus so üblich ist, zeichnen dabei einzelne Länder für einzelne Fächer verantwortlich: Für Deutsch führt Bayern Regie; in Französisch hat das Saarland die Federführung übernommen. KMK-Präsidentin Karin Wolff (CDU) zeigte sich vorige Woche entschlossen, am geplanten Zeitplan festzuhalten. Das hieße, dass die ersten Standards in den Hauptfächern der Grundschule im kommenden Jahr eingeführt werden. Die Expertise, so umschrieb Wolff es wolkig, wolle man "mit hineinnehmen" in einen Prozess, der "auf einem guten Weg" sei.

Bildungsexperten mahnen allerdings zu Bedächtigkeit. "Reformen dieser Größe brauchen Zeit", sagt der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm. "Ich würde mir wünschen, dass die KMK ihr Vorhaben vor der jetzt vorliegenden Folie neu diskutiert. Die Chance, trotz Kulturföderalismus zu einem einheitlichen Bildungssystem zu kommen, darf man nicht verstreichen lassen." Tom Stryck, Bildungsreformer in der Berliner Schulverwaltung, sieht den ersten Schritt getan - hin zu einem nationalen Curriculum: "Auf lange Sicht machen die Standards nur in Verbindung mit einheitlichen Lehrplänen Sinn." Auch er warnt, Standards falsch zu gebrauchen: "Wer mit Standards Schüler aussieben will, der hat ein Stoppschild vor Augen."

Das ist Wasser auf die Mühlen der Gewerkschaft GEW. "Das Prinzip der frühen Auslese hat sich erledigt", freut sich Vorstandsmitglied Marianne Demmer. Zufrieden zeigen sich die Lehrervertreter auch über die Forderung, Bildungsstandards nicht für Rankings zu verwenden. Vor Tabellen, auf denen Schulen je nach ihrer angeblichen oder tatsächlichen Leistung auf Auf- und Abstiegsrängen platziert sind, hat auch der Dortmunder Professor Hans-Günter Rolff immer gewarnt. Rankings, argumentiert Rolff, würden wegen ihrer "Sogwirkung" vor allem zu einem führen: Gute Schulen würden immer besser, schlechte immer schlechter. Auch er ist nun höchst zufrieden mit der Expertise: "Fortschrittlich und problemorientiert".

Rolff macht aber auch darauf aufmerksam, welch enorm veränderte Aufgaben auf die Lehrer zukämen, wenn das Modell eins zu eins umgesetzt würde. "Ein radikaler Paradigmenwechsel braucht radikal viel Unterstützung", pflichtet Klemm bei. Das heißt: Es muss ordentlich in Lehreraus- und -fortbildung investiert werden.

Rolff bewahrt sich vorerst eine Portion Skepsis: Ihm komme die Vision, Lehrpläne durch Standards zu ersetzen und plötzlich die eigenverantwortliche Schule zu etablieren, so vor, als wenn man eine Landratte beauftrage, in die USA zu segeln und ihr "gute Reise" wünsche. "Sieh zu, wie du dahinkommst!" Tom Stryck, ebenfalls mit maritimen Bildern vertraut, lässt dieses Argument nicht gelten. "Wir werden gar nicht darum herumkommen, das Schiff auf hoher See umzubauen."

Stufen der Kompetenz

Bildungsstandards gelten derzeit als Ansatz zur Rundum-Sanierung des deutschen Schulsystems: Sie schreiben bundeseinheitlich Anforderungen an das Lehren und Lernen fest und bestimmen, was ein Schüler in einer bestimmten Jahrgangsstufe können soll - und nicht, was er wann wie lernen soll. Um zu vermeiden, dass die Standards lediglich ein Minimalniveau beschreiben, hat man ein Stufenprinzip entwickelt. Die unterste ist das Mindestniveau, also das, was jeder Schüler können soll. In dem seit Pisa geläufigen Beispiel der "Lesekompetenz" wäre die unterste Stufe erreicht, wenn ein Schüler einen simplen Text in groben Zügen erfassen und wiedergeben kann.

Die höheren Stufen lauteten: Verstehen, Interpretieren, Bewerten von Texten.

Alle Schulen wären verpflichtet, alle Schüler wenigstens zur Mindeststufe zu führen. Damit - und das gab es noch nie im deutschen Schulsystem - würde der Schüler zum Kunden, der ein Recht hat, etwas so oft erklärt zu bekommen, bis er es verstanden hat - individuelle Förderung statt Auslese. "Wir müssen verhindern, dass Schulen weiterhin einen großen Teil ihrer Schüler als Risikofälle abtun", sagt Bildungsforscher Eckhard Klieme. 

Frankfurter Rundschau vom 10.03.2003

Neue Pisa-Nachrichten


Bildungsstandards sind attraktiv - und problematisch

Von Hans-Günter Rolff

Seit wenigen Wochen liegt die vom Bundesbildungsministerium geforderte Expertise "Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards" vor. Die Resonanz ist bisher eher verhalten. Das mag an Bund-Länder-Eifersüchteleien liegen, hat aber vermutlich auch mit dem Inhalt der Expertise selbst zu tun: Das zu Grunde liegende Konzept von Standards ist für die Öffentlichkeit schwer zu entziffern. Es besteht genau genommen im Kern aus sechs Komponenten. Danach sind Standards

  1. kompetenzorientiert,

  2. stufenskaliert,

  3. testbasiert,

  4. fachbezogen,

  5. normorientiert und

  6. für eine strikte Outputsteuerung des Schulwesens gedacht.

Man könnte diese Standards der Kürze wegen "Teststandards" nennen. Die Pisa-Tests sind ein gutes Beispiel dafür. Es handelt sich hier um ein besonderes Verständnis von Standards, ein kognitionspsychologisches, das unter der Hand verallgemeinert wird. Das verwundert auch nicht angesichts der Expertengruppe, in der überwiegend Pädagogische Psychologen saßen und kein einziger Schulpädagoge oder Schulentwickler.

Teststandards haben große Vorzüge: Sie sind (entwicklungs-)offen und flexibel, weil sie nicht - wie traditionelle Lehrpläne - durch detaillierte Kataloge von Inhalten definiert werden. Sie basieren auf den Grunddimensionen der Kompetenzentwicklung, wobei nicht die durch die Berufspädagogik popularisierten Sach-, Sozial-, Personal- und Methodenkompetenzen gemeint sind, sondern Stufenmodelle des Kompetenzerwerbs - wie etwa das Kompetenzmodell des Lesens bei Pisa. Die Stufen erlauben, präzise Minimalstandards zu definieren, z.B. "Bis 2005 sollen 80 % aller Schüler auf Niveau IV sein". Das kann durch Tests überprüft werden. Problematisch ist jedoch die klare Outputorientierung. So richtig es ist, dass die deutsche Schulpolitik die Seite der Leistungsergebnisse bisher vernachlässigt hat, so falsch wäre es, jetzt nur noch die Outputs gelten zu lassen. Nicht nur die Ergebnisse sind wichtig. In allen ernst zu nehmenden Qualitätsmanagementmodellen von Wirtschaft und Dienstleistung zählen ebenso der Input und der Prozess. Das ist internationaler Standard. Er gilt erst recht für pädagogische Einrichtungen, bei denen wichtig ist, wie Ergebnisse zu Stande kommen: zentral von der Lehrkraft gesteuert und eng geführt oder eigentätig, kooperativ und selbstkontrolliert, ob in demokratischer oder autokratischer Weise.

Fraglos sind Standards für die Qualitätssicherung vonnöten. Problematisch ist jedoch die Verschweißung der Standards mit hoch voraussetzungsvollen Tests. Nicht was Schüler lernen und Lehrer lehren sollen, sondern was sich auf Kompetenzskalen abbilden lässt, entscheidet vielfach über die Auslegung von Standards. Das wirkt mehrfach restriktiv: Es fällt tendenziell heraus, was dem kognitionswissenschaftlichen Kompetenzbegriff nicht genügt, was zu wenig fachlich gerahmt ist und letztlich sogar, was sich nicht auf Stufenskalen abbilden lässt - also beispielsweise Emotionales, Musisches und Ästhetisches oder Überfachliches. Wenn man die Stufenlogik wirklich ernst nähme, dann blieben äußerst wenig Lernbereiche für Teststandards übrig. Behauptet sie doch, dass sich Lernen in klar abgrenzbarer, aufeinander aufbauender, einer festgelegten Reihenfolge gehorchenden Stufung vollzieht. Das aber ist umstritten.

Hinzu kommt, dass Lehrkräfte nicht in der Lage sind, die Kompetenztests selbst auszuwerten. Das führt zu unvermeidlicher Abhängigkeit von Testinstituten. Das heißt vor allem, dass Lehrkräfte die Ergebnissicherung ihres Unterrichts nicht mehr selbst in der Hand haben. Es werden ihnen relativ abstrakte Ergebnisse zurückgemeldet, nämlich die Position von Schülergruppen auf Kompetenzniveaus. Welche Inhalte im Unterricht vermittelt wurden und welche Methoden dabei wirksam waren - das bleibt im Dunkeln. Auch Notwendigkeiten der Geheimhaltung der Testaufgaben und die riesigen Kosten für Neuentwicklung halten die Testkonstrukteure davon ab, konkrete Informationen an die Lehrkräfte zu geben. Das führt eher zu einer Deprofessionalisierung. Lehrer kommen kaum umhin, sich nach den Beispielaufgaben der Tests zu richten. So wird "teaching to the test" die Regel.

Problematisch ist ferner, dass die Normierung von Teststandards eine Art eingebaute Tendenz zur Überhöhung hat. Denn letztlich legen Politiker die Mindeststandards ("80 % auf Niveau IV") fest. Bayern z.B. könnte alle anderen übertreffen wollen, und niemand möchte - und kann - hinter Bayern zurückstehen. Der Wissenschaftler Robert Marzano hat herausgefunden, dass in den USA die Schüler neun Jahre länger zur Schule gehen müssten, wenn sie die in einigen Staaten geltenden Standards erreichen wollten.

Teststandards erhöhen also die Ansprüche, ohne die Mittel der Realisierung zu liefern. Das vergrößert die Belastung. Die Expertise schlägt Schulcurricula als Lösung vor. Dadurch werde die "zentrale Lehrplanarbeit entlastet". Das löst das Belastungsproblem nicht, das stellt es auf den Kopf! In den USA, wo einige Bundesstaaten mit Teststandards experimentiert haben, kommt inzwischen massive Kritik auf: Teststandards messen nicht, was sie vorgeben; schwache Schulen und schwache Schüler werden noch schwächer; Teststandards können mehr demotivieren als motivieren.

Frankfurter Rundschau vom 12.03.2003

Neue Pisa-Nachrichten


Was hat sich denn schon in den Köpfen geändert?

Von Peter Struck

Im Mai 2001 lehnten die CDU/CSU-regierten Länder noch einen Antrag Brandenburgs auf Schaffung eines Konsenses über "Mindeststandards" für Schulen ab. Aber unter dem Eindruck von Pisa und Pisa-E beschloss die Kultusministerkonferenz ein Jahr später, was jetzt in ersten Entwürfen vorliegt - ab 2004 in allen 16 Bundesländern "nationale Bildungsstandards" greifen zu lassen, die mehr als ein Lernzielkatalog sind, also auch Kompetenzen wie Schlüsselqualifikationen beinhalten. Was aber haben anderthalb Jahre aufgeregter Pisa-Debatten wirklich bewirkt? Gut sichtbar ist eigentlich nur Viererlei:

  •  Die Masse der Eltern hat verstanden, wie wichtig Bildung ist, und wird zunehmend ungeduldig, dass sich dennoch nicht genug in den Schulen nach vorn bewegt.

  • Vor der Einschulung sollen Kinder mit keinen oder geringen Deutschfähigkeiten mit Sprachkursen in die Lage versetzt werden, den Wettlauf Richtung Schulabschluss mitzuhalten. Dafür hätte es aber nach Zürcher Vorbild der Integration von Kindergarten und Grundschule bedurft.

  • Jede vierte der 45 000 deutschen Schulen soll sich in Richtung Ganztagsschule öffnen, gefördert durch einen Vier-Milliarden-Euro-Topf des Bundes. In einigen Bundesländern sollen auch Privatschulen in den Genuss dieses warmen Regens kommen, der aber nur eine Türöffnerfunktion hat; die Hauptlast einer nachhaltigen Ganztagsschulentwicklung werden Kommunen tragen müssen.

  • Obwohl in Sonntagsreden immer wieder behauptet wird, Bildung sei das beste deutsche Kapital und eine Förderung der jungen Menschen die sinnvollste Zukunftsinvestition in den Wirtschaftsstandort Deutschland, wird im Kindergarten- und Schulbereich immer mehr gespart. Während die kleinen Nachbarländer Deutschlands einen wesentlich höheren Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts in ihre Bildungseinrichtungen stecken, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, kürzen die deutschen Bundesländer - jeweils unterschiedlich - durch Erhöhungen von Klassenfrequenzen und Lehrerarbeitszeiten, durch Beschneidung der Sachmittel, durch neue Lehrerarbeitszeitmodelle mit Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten, durch Modelle zur "Faktorisierung" der Unterrichtsfächer (Beispiel Hamburg: Sport wird mit 75 Minuten, Deutsch mit 102 Minuten verrechnet), durch Lehraufträge für Pensionäre.

Während die Brandenburger SPD als Konsequenz aus Pisa eine neunjährige Grundschule einführen will und damit auf einer Linie mit einer Forderung des baden-württembergischen Handwerkstags liegt, um mehr lernfördernde "mitreißende" Effekte zu erreichen, verkündet Edmund Stoiber im bayerischen Landtag die Wiedereinführung der Noten ab Klasse 1 und die vorzeitige Entbindung besonders schwieriger Schüler von der Schulpflicht.

Die einen wollen eben mit Angst und Selektion bei Pisa besser werden, die anderen mit mehr Motivation und Integration - wozu auch (wie in Brandenburg und Sachsen-Anhalt) "flexible Eingangsphasen" gehören, die Schüler ein, zwei oder drei Jahre lang besuchen können, bevor sie ohne das Erleben von Versagen in die 3. Klasse versetzt werden.

Wo sind die Hoffnungsschimmer?

  • Es gibt bundesweit eine "Tendenz" zu einem Mehr an Theorie-Praxis-Verknüpfung in der Lehrerbildung - angefangen damit, dass bereits jeder Lehramtsstudent künftig wohl einer Partnerschule zugeordnet wird, dass Pflichtseminare in Sachen Verhaltensstörungen, Gewalt- und Suchtprävention, Wahrnehmungsstörungen etc. eingerichtet werden. Dass eine Lernbereichsdidaktik neben die Fachdidaktik gestellt wird und über eine obligatorische Lehrerfortbildung nachgedacht wird.

  • Es gibt die Tendenz, die frühere Einschulung von früh geförderten Kindern zu begünstigen, indem die Regelung für "Kann-Kinder" gestreckt wird (wer bis Silvester 6 Jahre alt wird, kann zuvor im August in Klasse eins kommen).

  • Es gibt eine Tendenz in Richtung Abitur nach Klasse 12, wiewohl es sinnvoll ist, beide Wege (13 und 12 Jahre) nebeneinander anzubieten, also nach schleswig-holsteinischem Vorbild "Gymnasien mit zwei Geschwindigkeiten" einzurichten, oder wie in Hamburg und dem Saarland am Gymnasium das Abitur nach 12 Jahren ablegen zu lassen und an den Gesamtschulen das Abitur "nach 13" beizubehalten (was zu einer Steigerung der Gesamtschulanmeldungen geführt hat).

  • Es gibt eine Tendenz in Richtung Zentralabitur, zumal nach dem Akzeptieren von nationalen Bildungsstandards.

  • Es gibt eine Tendenz, mit allen Mitteln gegen Unterrichtsausfall vorzugehen, jedoch mehr aus kosmetischen Gründen gegenüber Eltern, denn in Wirklichkeit sind Vertretungsstunden nie so lerneffizient wie Stunden, die kontinuierlich gegeben werden.

Leider gibt es keine Tendenz zu einer Abschaffung der Hauptschule und zu einem bundeseinheitlichen 10. Pflichtschuljahr, obwohl Hauptschüler mit ihrem Abschluss am Ende der 9. Klasse kaum noch Ausbildungsplatzchancen haben..

Frankfurter Rundschau, 19.03.2003

Neue Pisa-Nachrichten


Bildungspläne lassen Spielraum

Baden-Württemberg sorgt für Lernstandards in Schulen

Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland neue Lehrpläne mit dem Ziel verbindlicher Bildungsstandards für die Schulen vorgelegt. Lehrer sollen künftig weniger Faktenwissen und mehr Allgemeinbildung vermitteln. Ministerpräsident Erwin Teufel und Kultusministerin Annette Schavan (beide CDU) wollen die Pläne im Schuljahr 2004/05 schrittweise einführen.

Von Andreas Böhme

Die Bildungspläne sind vor allem bei Anfängern im Lehramt gefürchtet: 900 Seiten umfasste der Plan für das Gymnasium, 240 Seiten für die Grundschule. Die neuen Bildungspläne sind nicht so umfangreich. Bislang wurde der Lehrstoff detailliert vorgegeben, nun gibt es nur noch allgemeine Unterrichtsziele, die mehr Raum schaffen sollen für die Vertiefung von Unterrichtsstoff.

Wie die Unterrichtsziele erreicht werden, liegt künftig noch stärker bei den einzelnen Schulen. Nur zwei Drittel der Stunden werden vom Kultusministerium im so genannten Kerncurriculum vorgegeben, über den Rest wird selbstständig vor Ort entschieden. So lassen sich schulspezifische Schwerpunkte bilden und schwache sowie begabte Schüler gezielter fördern.

Bereits seit zwei Jahren wird an ausgewählten Schulen mit "Kontingent-Stunden" experimentiert, finden sich Vorschläge und Unterrichtsbeispiele zum Nachahmen im Internet. Zahlreiche Anregungen der Experimentierphase sind bereits eingeflossen.

In den Sommerferien sollen die Bildungspläne den Feinschliff bekommen. Eltern- und Lehrerverbände äußern sich bei Klausurtagungen. Im Herbst gehen die Pläne an die Schulen. Dann bleibt den Pädagogen ein Jahr Zeit zur Vorbereitung.

Mit den neuen Bildungsplänen entspricht Baden-Württemberg als erstes Bundesland den Mitte Februar von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) und der Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder formulierten Nationalen Bildungsstandards. Sie sollen beschreiben, was ein Kind künftig können muss - während bisherige Lehrpläne nur vorgaben, was ein Schüler zu lernen hat.

Die Stuttgarter Pläne sind eine Antwort auf die Bildungsstudie Pisa. Bei der internationalen Schülerleistungsstudie im Sommer 2000 hatte Deutschland im zentralen Untersuchungsfeld "Lesekompetenz und Textverständnis" hintere Plätze belegt. Beispielsweise hatte fast jeder vierte 15-Jährige in Deutschland Schwierigkeiten, einfache Texte zu verstehen und wiederzugeben.

Frankfurter Rundschau, 22.05.2003

Neue Pisa-Nachrichten


GEW: Zu wenig Zeit für individuelle Förderung

Gewerkschaft sieht Missverhältnis zwischen Anstieg der Schülerzahlen und neu eingestellten Lehrern

Lehrer haben nach einer Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) immer weniger Zeit für eine individuelle Förderung der Schüler. So hat in den vergangenen zehn Jahren die Zahl zusätzlich eingestellter Pädagogen (plus 0,3 Prozent) mit dem Anstieg der Schülerzahlen (plus 5,6 Prozent) bei weitem nicht mitgehalten.

Die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange warf zum „Tag der Bildung“ den Kultusministern gestern vor, aus dem miserablen PISA-Abschneiden der deutschen Schulen die falschen Schlüsse zu ziehen. „Wenn sich in den Klassen im Schnitt über 25 Kinder tummeln, bleiben den Lehrkräften im 45-Minuten-Unterrichts-Takt nicht einmal zwei Minuten pro Kind“, kritisierte Stange.

In den PISA-Siegerländern wie Schweden oder Finnland lägen die Klassengrößen bei 16 bis 17 Kindern, so Stange. Die aktuellen Pläne zur Erhöhung der Lehrerarbeitszeit in Berlin, im Saarland und in Baden-Württemberg würden die Unterrichtssituation weiter verschlechtern. Die Situation in den neuen Bundesländern sei durch gewaltigen Stellenabbau gekennzeichnet. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern habe den Schülerrückgang im Osten auch zur Senkung der Arbeitsbelastung der Lehrer genutzt.

Im Westen sei Rheinland-Pfalz das einzige Bundesland, das seine Klassen verkleinert habe. Auch setze das Land als einziges „konsequent Prioritäten“ beim Ausbau der Ganztagsschule.

Weser Kurier vom 28.09.2003

Neue Pisa-Nachrichten


Männerquote an Schulen gefordert

Den hohen Anteil weiblicher Lehrkräfte an den Schulen haben die Kultusminister aus Niedersachsen, Hessen und Baden-Württemberg beklagt. Einem Bericht der Zeitung "Bild am Sonntag" zufolge verlangte die hessische Kultusministerin Wolff (CDU), daß die Hälfte der Grundschullehrer Männer sein sollten. Der niedersächsische Kultusminister Busemann (CDU) wies darauf hin, daß mittlerweile 70 bis 80 Prozent unter den Lehrern Frauen seien, in den Grundschulen nahezu hundert Prozent. Jungen hätten es deshalb erheblich schwerer, die Lernanforderungen zu erfüllen, weil sich "der Schulbetrieb feminisiert hat". Jungen hätten deshalb keine Chance, sich an männlichen Rollenvorbildern zu orientieren. "Wir müssen dringend mehr Männer in den Schuldienst bringen, am besten wäre eine Männerquote", sagte Busemann. Für einen Männeranteil von mindestens 30 Prozent unter den Grundschullehrern plädierte auch die baden-württembergische Kultusministerin Schavan (CDU). Zu Hause hätten Jungen mit der Mutter zu tun, in der Schule mit der Lehrerin, die fehlenden männlichen Vorbilder wirkten sich negativ auf die Motivation der Jungen aus.

Ob sich die fehlenden Lehrer im Elementarbereich tatsächlich negativ für die gesamte Leistungsentwicklung auswirken, ist bisher nicht geklärt worden, auch wenn Sozialwissenschaftler zuweilen von der Zusammensetzung der Lehrerkollegien unmittelbar auf die Schullaufbahn schließen. Gesichert ist, daß sich Mädchen naturwissenschaftlichen Kenntnissen gegenüber zugänglicher zeigen, wenn sie von einer Frau unterrichtet werden, Jungen hingegen von einem Mann, weshalb immer wieder die Auflösung der gewohnten Koedukation in den übrigen Fächern für naturwissenschaftliche Disziplinen erwogen wurde.

Fast nur Frauen an Grundschulen

Die neueste OECD-Studie "Bildung auf einen Blick 2003" zeigt, daß die Feminisierung des Lehrerberufs in anderen Ländern noch weiter fortgeschritten ist. In den Grundschulen unterrichten in fast allen OECD-Ländern fast nur Frauen, nur in Kanada (68,1 Prozent) und in Frankreich (79,8 Prozent) liegt der Männeranteil etwas höher. Ausgerechnet in Kanada, das bei der Pisa-Studie zumindest in einer Provinz Spitzenergebnisse im Lesen erzielt hatte, liegt der Männeranteil auch im Sekundarbereich II genauso niedrig wie an der Grundschule. In den übrigen Ländern unterrichten deutlich weniger Frauen in den weiterführenden Schulen des allgemeinbildenden Systems. Sollte es also einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Geschlecht des Lehrers und der Leistungsentwicklung der Schüler geben, müßten bei den Siegerländern der Pisa-Studie nur die Mädchen gut sein - im Lesen sind sie ohnehin besser, was zumindest bisher noch nicht auf das Geschlecht der Grundschullehrer zurückgeführt wurde.

Das fehlende Interesse männlicher Abiturienten am Lehrerberuf spiegelt vielmehr das Ansehen des Lehrberufs in Deutschland. Während Frauen diesen Beruf häufig ergreifen, weil er sich leichter als andere Beschäftigungen mit dem Familienleben vereinbaren läßt, richten sich Männer eher nach Sozialprestige und Gehalt. Vor allem in den naturwissenschaftlichen Fakultäten, etwa Physik, wo die männlichen Studenten die überwiegende Mehrheit bilden, ist es nach wie vor üblich, in der Wissenschaft weniger erfolgreichen Männern zu raten, in die Schule zu gehen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom  29.09.2003

Neue Pisa-Nachrichten  

 

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