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Entnazifizierung in Bremen

  • Ende der Entnazifizierung
    Joseph Napoli, der amerikanische "Entnazifizierungsoffizier", hat 1949 Bremen verlassen mit der Bilanz, die Entnazifizierung sei ein "Fehlschlag" gewesen, die Bürokratie würde von denselben Kräften beherrscht "wie in den Nazijahren". Bürgermeister Wilhelm Kaisen reagierte mit wütenden Kommentaren auf diese Bilanz. 1953 wurden die Entnazifizierungsakten geschlossen. Sie kamen für Jahrzehnte aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes unter Verschluss. Als erster Historiker konnte Hans Hesse die Unterlagen jetzt studieren. "Konstruktion der Unschuld" heißt sein Buch, erschienen im Verlag des Bremer Staatsarchivs. Wir dokumentieren Einblicke.
     

  • Lehrer in NS-Diensten
    Nach 1947 stieg die Zahl der alten NSDAP-Mitglieder im Bremischen Öffentlichen Dienst wieder - 1949 betrug der Alteil der alten NS-Genossen im höheren Dienst 56 Prozent.
     

  • Pastoren liefen mit
    Zehn Bremer Pastoren wurden als "Mitläufer" der Nazis eingestuft. Landesbischof Weidemann sollte vier Jahre Arbeitslager bekommen - er wurde begnadigt.
     

  • Goldene Brücken ins bürgerliche Leben
    Historiker Hans Hesse erforschte Entnazifizierung in Bremen - "Wachmann im KZ, weil ich Sport treiben wollte".
     

  • Ein Drittel der Bremer Juden ermordet
    Erstmals gibt ein "Erinnerungsbuch" Auskunft über den ganzen Umfang der Judenverfolgung in Bremen.

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Ende der Entnazifizierung

Joseph Napoli, der amerikanische "Entnazifizierungsoffizier", hat 1949 Bremen verlassen mit der Bilanz, die Entnazifizierung sei ein "Fehlschlag" gewesen, die Bürokratie würde von denselben Kräften beherrscht "wie in den Nazijahren". Bürgermeister Wilhelm Kaisen reagierte mit wütenden Kommentaren auf diese Bilanz. 1953 wurden die Entnazifizierungsakten geschlossen. Sie kamen für Jahrzehnte aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes unter Verschluss. Als erster Historiker konnte Hans Hesse die Unterlagen jetzt studieren. "Konstruktion der Unschuld" heißt sein Buch, erschienen im Verlag des Bremer Staatsarchivs. Wir dokumentieren Einblicke.

Nur drei Jahre nach dem Abtritt des "Befreiungssenators" Alexander Lifschütz bereitete der Senat das "Abschlussgesetz" vor.

Die erste Lesung des Entwurfs in der Bürgerschaft am 23. März 1950 wurde von den Parteien auch dazu genutzt, nochmals ihren Standpunkt zur Entnazifizierung darzulegen. Für die CDU eröffnete Ernst Müller-Hermann die Debatte, indem er sogleich der Bürgerschaft zwei Änderungsanträge zum Abschlussgesetz vorlegte. Die CDU wollte eine Möglichkeit schaffen, dass "Hauptschuldige" oder "Belastete" die Möglichkeit erhielten, auf Antrag ihr Verfahren überprüfen lassen zu können ...

Die Begründung dieser Anträge nutzte Müller-Hermann zu einer Abrechnung mit der Entnazifizierung im allgemeinen und ihrer Praxis in Bremen. Sie habe "neue Härten und Ungerechtigkeiten" geschaffen und sie habe "das Recht auf politischen Irrtum nicht anerkannt". Die Entnazifizierungspraxis habe die "Demokratie in Deutschland mit einer großen Hypothek belastet" und das Abschlussgesetz müsse daher diese Fehler "berücksichtigen" und "vermeiden". Zu den Fehlern gehöre auch, dass unqualifizierte Personen, "die heute noch mit der Entnazifizierung zu tun haben" und "heute noch den Standpunkt einer Kollektivschuld vertreten, die heute noch von einem Rache- und Vergeltungsdrang beseelt sind, und die die feste Absicht haben, das Gesetz nur dazu zu benutzen, ihren Rache- und Vergeltungsgelüsten nachzukommen" im Amt seien.

Müller-Hermann schloss hiervon Lifschütz nicht aus: "Sie wissen, dass dieser Vorwurf heute nicht zum ersten Mal erhoben wird, und dass gegen die Amtsführung von Herrn Senator Dr. Lifschütz mancherlei Beanstandungen vorgebracht worden sind." Er ... sei der Meinung, dass "wir Deutschland nur dann auf eine gesunde Basis stellen können, wenn wir alle die, die sich ihm anpassen wollen, ohne Klassifizierung übernehmen." Zum Schluss appellierte er, die "Entnazifizierung endlich und baldmöglichst zum Abschluss" zu bringen. (...)

Auch die SPD wollte noch einige Änderungen in den Entwurf eingebaut wissen. Für sie war die Entnazifizierung misslungen, "weil man versucht hat, politische Fragen mit juristischen Mitteln zu lösen." Zum Entwurf wollte die SPD gesichert wissen, dass "Minderbelastete" der britischen Zone nicht automatisch "Mitläufer" in Bremen würden.

Schneider von der Deutschen Partei (DP) ging in jeder Beziehung über den Beitrag von Müller-Hermann hinaus. Für ihn ging "mit dem Abschluss der Entnazifizierung [...] eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte zu Ende." Er ging sogar so weit, das Wiederaufleben "neofaschistischer Kreise" auf die "verfehlte Art und Weise [...], mit der diese sog. Entnazifizierung betrieben" worden ist, zurückzuführen. Die Entnazifizierung erinnere ihn an die "mittelalterliche Inquisition und an die Hexenprozesse". (...)

In der Senatssitzung vom 29. Juni 1951 wurde die endgültige Liquidation der Entnazifizierung beschlossen. Senator Theodor Spitta "bekannte sich", hieß es im Protokoll, "zu der Notwendigkeit, nunmehr angesichts der gewandelten Verhältnisse durch eine Änderung dieser Praxis zum wirklichen Abschluss der politischen Befreiung beizutragen. [...] Der Senat beschloss antragsgemäß."

Damit war der Weg frei, die höchstbelasteten Nationalsozialisten im Land Bremen gnadenweise zu "Mitläufern" umzustufen. (...)

Es entspann sich in der Senatssitzung am 5. Oktober 1951 eine heftige Kontroverse um die Behandlung der Gestapobeamten. Finanzsenator Nolting-Hauff (FDP) war der Ansicht, dass die Rehabilitierung der Gestapobeamten nicht so weit führen dürfe, dass "irgendwelche Pensionen an ehemalige Gestapobeamte gezahlt werden. Es sei nicht vertretbar, dass Aktivisten schlimmster Sorte eine Pension vom Staat erhielten, während Leute, die durch sie ins Unglück gekommen seien, noch auf Versorgung warteten."

Mit 5:4 Stimmen für den Vorschlag unterlagen die Kritiker im Senat. Einer teilweisen Rehabilitierung der ehemaligen Gestapobeamten stand somit nichts mehr im Weg: Sie erhielten 60 Prozent der Bezüge nach ihrer früheren Stellung bei der Kriminalpolizei, bevor sie zur Gestapo kamen. (...)

Justizsenator Spittas) bat im Juli 1952 den Senat um die Zustimmung zur Begnadigung auch der restlichen Fälle "ohne weitere Überprüfung". "Nur dadurch könne", so Spitta, "die praktische Gleichstellung Bremens mit Niedersachsen in der Frage der Entnazifizierung erreicht werden." Ausgenommen werden sollten lediglich die Fälle, die durch ein Gerichtsurteil bestraft worden waren und ihre Strafe noch nicht verbüßt hatten. (...)

Daher beschloss der Senat, "die Richtlinien, denen in der Sitzung vom 27. Mai 1952 bereits zugestimmt worden war, in dem Sinne zu bestätigen, dass nunmehr eine pauschale Begnadigung der restlichen Entnazifizierungsfälle geschehen solle, und dass nach Abschluss aller Verfahren eine entsprechende Mitteilung an die Bürgerschaft ergehen soll." Ausgenommen waren davon lediglich: Fritz Köster, Walter Döring und Arthur Baumeyer. Sie sollten unmittelbar nach der Verbüßung ihrer Strafhaft gnadenweise umgestuft werden. Damit fand die Entnazifizierung im Land Bremen ihren endgültigen Abschluss.

taz Bremen vom 11.2.2006

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Lehrer in NS-Diensten

Nach 1947 stieg die Zahl der alten NSDAP-Mitglieder im Bremischen Öffentlichen Dienst wieder - 1949 betrug der Alteil der alten NS-Genossen im höheren Dienst 56 Prozent
Vor der Machtergreifung ergab sich folgende Parteizugehörigkeit der Bremer Beamten: Von ca. 6.000 Beamten und 1.400 Angestellten waren 69 in der NSDAP (= 0,9%), 26 in der KPD, 329 in der SPD, 136 in der Staatspartei, 143 in der DVP und 66 in der DNVP. Von 523 höheren Beamten waren 11 (= 2,1%) in der NSDAP, 30 in der DNVP, die SPD war "nur schwach" vertreten.

Für die "Beamten des höheren Dienstes" ließen sich Vergleichszahlen ermitteln. Demnach waren am 1. April 1945 von 674 höheren Beamten 531 Mitglieder der NSDAP (= 78,8%). Interessant ist die Beobachtung der weiteren Entwicklung während der Entnazifizierung: Zum Stichtag 30. September 1947 sank ihr Anteil auf 48,9% (von 619 Beschäftigten 303 "Betroffene"), zum Stichtag 30. September 1948 war der Anteil bereits wieder auf 53,6% gestiegen, um nur innerhalb von knapp vier Monaten zum Stichtag 15. Januar 1949 auf 56,0% zu steigen. Das heißt, dass während der Entnazifizierung der Anteil der belasteten Beamten des höheren Dienstes kontinuierlich anstieg. (...)

Einer der höchsten Bremer NS-Schulfunktionäre war Walter Kreikemeyer. Die formale Belastung war hoch: Seit 1931 in der NSDAP, Kreisamtsleiter, von 1931-1934 in der SA, Kreisschulleiter. Der Öffentliche Kläger klagte ihn als "Hauptschuldigen" an, er sei "fanatischer Nationalsozialist und Propagandist." Kreikemeyer stellte sich als völlig unpolitisch Handelnden dar. Er sei "von der Pädagogik zur NSDAP gekommen." Er stellte sich der Spruchkammer gegenüber als Vorbereiter eines Vereinigten Europas vor, wenn er betonte, "es wäre der einzige Weg eine Volksgemeinschaft herzustellen, welche sich dann auf ganz Europa ausdehnt." Dafür, so Kreikemeyer, hielt er den Nationalsozialismus als das geeignete Mittel, woran er geglaubt habe. Die Spruchkammer hörte aus diesen Worten des "freiheitlichen Schulreformer auch während der NS-Zeit" Reue heraus und stuften Kreikemeyer als "Minderbelasteten" (mit einer zweijährigen Bewährungsfrist) ein.

Der Oberstudienrat und Biologielehrer Hans Duncker wurde am 7. April 1948 als "Mitläufer" eingestuft. (...) In der Tat war Duncker Leiter und Initiator der Ortsgruppe der "Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene" in Bremen. In der Mitschrift einer Zuhörerin endete (einer seiner Vorträge) mit den Worten: "Wir wollen es unserem Führer Adolf Hitler danken, ... dass die erbgesunde fortpflanzungsfrohe Familie des Mittelstandes ganz besonders pfleglich behandelt werden soll im neuen Staat." (...)

In einem anderen Fall unterstellte die Berufungskammer eine spezielle Widerstandsart für Beamte. Ein Beamter sei "nicht imstande, die gleiche gegnerische Haltung zu zeigen, wie ein im freien Beruf zu befindender. Es ist also nicht erforderlich, dass er zu einem Attentat oder einer ähnlichen aktivistischen Haltung sich aufgerafft hat. Bei dem Betroffenen als Beamter genügte es, dass er soweit opponierte, dass er als Vorsitzender des Turnvereins Wulsdorf ausscheiden musste [und] ein Parteigerichtsverfahren über sich ergehen lassen musste."

taz  vom 11.2.2006

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Pastoren liefen mit

Zehn Bremer Pastoren wurden als "Mitläufer" der Nazis eingestuft. Landesbischof Weidemann sollte vier Jahre Arbeitslager bekommen - er wurde begnadigt.

(...) Ihren Beitritt zur NSDAP erklärten die Pastoren u.a. mit den 'sozialen Zielen' der Partei. Der Pfarrer der Oslebshauser Strafanstalt, Fritz Krüger, betonte, dass er - "auf dem Boden des religiösen Sozialismus stehend" - den "sozialen Versprechungen des Nationalsozialismus" vertraut habe. Seit 1933 in der NSDAP, dort Ortsgruppenpressewart, und dem NSV und seit 1933 Mitglied der "Deutschen Christen" wurde er als "Mitläufer" eingestuft. (...) Der Beamtenausschuss der Strafanstalt hatte "starke Bedenken" gegenüber Krüger. Die Aussage eines ehemaligen Gefangenen der Strafanstalt belastete ihn schwer. Krüger habe die Gefangenen klassifizieren müssen, wobei er bei allen politischen Gefangenen auf der Karteikarte "asozial" vermerkt habe. Wörtlich habe er erklärt: "Was wollen Sie, zuerst einmal bin ich Beamter und dann erst Pfarrer. Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass der Führer durchaus im Recht ist, wenn er politische Gegner als asozial bezeichnet." Krüger bestritt die Vorwürfe.

Ein anderer "Mitläufer" unter den Pastoren war Wilhelm Köper. Auch er war seit 1933 in der NSDAP, gehörte seit dieser Zeit der SA (dort Rottenführer) und den "Deutschen Christen" an. Seine Gemeinde vor 1940 in Hastedt setzte sich ebenso für ihn ein, wie seine neue Gemeinde in Wasserhorst. Letztere legte eine Eingabe vor, die insofern von zweifelhaftem Wert war, als nicht wenige der Unterzeichner selber "Mitläufer" waren wie die Landwirte in Niederblockland Garbade und Gartelmann. (...)

Am 26. April 1946 entschied der Prüfungsausschuss der bremischen evangelischen Kirche, Pastor Rudolf Collmar sei untragbar. Er sei einer "der stärksten Gefolgsleute von Weidemann" gewesen. Collmar gehörte seit 1919 einem Freikorps an, schloss sich 1922 für drei Jahre der Deutsch-Völkischen Freiheitsbewegung an, war seit 1937 in der NSDAP.

Einzig der frühere Landesbischof Heinrich Weidemann wurde höher als alle anderen Kirchenvertreter eingestuft. Der Öffentliche Kläger sah in Weidemann einen "Hauptschuldigen". Neben der NSDAP-Mitgliedschaft ab 1933 und der Führerschaft der Bremer "Deutschen Christen" warf er ihm vor, "in der Zusammenarbeit mit dem Kirchenreferat der Gestapo [...] Gegner der NSDAP [denunziert] und deren Inhaftnahmen" veranlasst zu haben. (...)

(Weidemann rechtfertigte) seinen Antisemitismus mit lutherischen Wurzeln: "Ich stamme aus Hannover, wo es Selbstverständlichkeit war, dass das Luthertum vom Staate abhängig war. [...] Ich darf sagen, dass ich das antijüdische als Gefolgsmann von Luther vertreten habe. Es liegt durchaus auf kirchlicher und religiöser Basis."

Weidemann wurde als "Hauptschuldiger" eingestuft und zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt. (...) Einen Vorschlag Weidemanns, freiwillig als Ausgleich für die nichtangetretene Arbeitslagerhaft 5.000 DM zu bezahlen, lehnten sowohl Justizsenator Theodor Spitta als auch Bürgermeister Wilhelm Kaisen ab. 1952 wurde er begnadigt und zum "Mitläufer" zurückgestuft.

taz vom 11.2.2006

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Goldene Brücken ins bürgerliche Leben

Historiker Hans Hesse erforschte Entnazifizierung in Bremen - "Wachmann im KZ, weil ich Sport treiben wollte"

Von Erika Thies

Wer war schuld? Fast keiner. "Konstruktionen der Unschuld" heißt das Buch über "Die Entnazifizierung am Beispiel von Bremen und Bremerhaven 1945-1953". Der Historiker Hans Hesse erschrieb sich damit an der Freien Universität Berlin seinen Doktortitel, und in seiner Heimatstadt Bremen kam die anspruchsvolle wissenschaftliche Untersuchung jetzt als Band 67 der renommierten "Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv" heraus. Hesse, Jahrgang 1961, Abitur am Gymnasium Hamburger Straße, widmete sich dem Thema schon 1991 in seiner Magisterarbeit. Er wohnt in Köln, wo seine ebenfalls aus Bremen stammende Frau Elke Purpus als Kunsthistorikerin arbeitet. Er selbst ist als freiberuflicher Historiker tätig - und schrieb inzwischen eine ganze Reihe von Büchern. Darunter auch "Vom Schlachthof nach Auschwitz" über die Verfolgung der Sinti und Roma aus Norddeutschland. Beim alten Bremer Schlachthof war der Sammelplatz zum Abtransport ins KZ. Entnazifizierung: Die Bestrafung ehemaliger aktiver Nationalsozialisten und ihre Entfernung aus einflussreichen Stellungen war nach Kriegsende zunächst Sache der Militärregierungen. In Bremen bildete das "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" vom 9. Mai 1947 dann die Basis für die Übernahme der Aufgabe durch die deutsche Seite. Bremens erster Senator für politische Befreiung, der Pädagoge Friedrich Aevermann, SPD, gab nach siebeneinhalb Monaten auf. Sein Nachfolger Alexander Lifschütz, parteilos, Jurist, in der NS-Zeit als "Jude" verfolgt, schaffte, was zunächst fast unmöglich schien. Bis Weihnachten 1949 hatte das Amt für politische Befreiung 411 487 von Bremern und Bremerhavenern ausgefüllte "Meldebögen" bewältigt. Vor 14 Spruchkammern wurde verhandelt. Danach gab es im Lande Bremen: 295 166 "echte Nichtbetroffene", 49 713 Personen galten dank einer Jugendamnestie, 46 720 weitere dank einer Weihnachtsamnestie ebenfalls als "Nichtbetroffene". Übrig blieben etwa fünf Prozent, die sich verteilten auf: 13 Hauptschuldige, 155 Belastete, 640 Minderbelastete, 14 746 Mitläufer und 1033 Entlastete. Die "Hauptschuldigen" hatten sich krimineller Handlungen schuldig gemacht, hatten ihre Opfer gequält und gemordet. Nun gaben sie sich harmlos und ahnungslos, waren Wachmann im KZ Mißler geworden, "weil ich Sport treiben wollte", hatten immer nur Befehle ausgeführt. Zur Entschuldigung hieß es etwa: Man habe gemeint, die umzubringenden jüdischen Mitbürger "gehörten einer Widerstandsgruppe an". Von den Gestapo-Leuten landeten die meisten schlicht unter den Mitläufern. "Meine Bemühungen gingen stets dahin, meinen Mitmenschen zu helfen", beteuerte einer. Von den 13 Hauptschuldigen und 155 Belasteten wurden später alle bis auf drei noch herabgestuft. Und: Besonders den Schwerstbelasteten seien "goldene Brücken" zurück ins bürgerliche Leben gebaut worden, stellte Hesse beim Durcharbeiten der Akten fest. In der Einleitung seines Buches verweist er auf den Leiter des Bremer "Zigeunerdezernats". Der war für die Umsetzung der NS-Verfolgungsmaßnahmen gegen die Sinti und Roma zuständig gewesen, hatte persönlich einen der Deportationszüge nach Auschwitz begleitet, wurde nun aber zunächst als "Minderbelasteter" eingestuft und schon im Mai 1949 amnestiert. Zum Oberkriminalsekretär befördert, ging er 1958 in den Ruhestand - "während die Opfer und deren Verwandte um ihre Wiedergutmachung prozessieren mussten und auf seine Aussagen angewiesen waren". Nicht nur in Bremen lief es so. "Mit dem Spruchkammerbescheid", resümiert Hesse, "hielten die allermeisten Deutschen die Bestätigung ihrer Unschuld in den Händen." Trotz teils unterschiedlicher Vorgehensweise sei das Ergebnis der Entnazifizierung überall ähnlich gewesen, nämlich: "Die weitgehende Entlastung der NS-Täter." Diese Erfahrung habe dann das "sozialpsychologische Fundament der Vergangenheitspolitik der fünfziger Jahre" gebildet: "Ein Verdrängen der Schuld war nicht nötig, da es sie aus der Sicht der überwiegenden Mehrheit nicht gab oder nur einen verschwindend kleinen Teil betraf."

"Konstruktionen der Unschuld" von Hans Hesse, 520 Seiten, 14 Abbildungen, viele Tabellen, Selbstverlag des Staatsarchivs, 30 Euro.
Weser Kurier  vom 20.02.2006

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Arisierte Bücher im Bestand

Immerhin seit 1991 versucht die Unibibliothek, 1942 "arisierte" Bücher zurückzugeben

In diesen Tagen bekommt Zara Zamir Post aus Bremen. Ein Päckchen, darin zwei Bücher. Bücher ihrer Eltern. Die 78-Jährige lebt seit Jahren im israelischen Haifa, als einzige Überlebende ihrer Familie. Ihr Bruder wurde während des Holocaust ermordet, ebenso ihre Eltern. Den Familienbesitz haben die Nazis seinerzeit "arisiert", die Bücher landeten in der heutigen Staats- und Universitätsbibliothek (SUUB). Dort standen sie seither im Regal. Bis jetzt.

Rund 1.500 Bände sind es, die die Bibliothek ihr eigen nannte, weil sie die 1942 auf so genannten "Juden-Auktionen" ersteigern konnte. 140 davon haben mittlerweile zu ihren ehemaligen Besitzern oder deren Nachfahren zurückgefunden.

Verantwortlich dafür ist Elfriede Bannas, eine pensionierte Oberschulrätin, die sich seit Anfang der 90er Jahre um die Aufklärung der "Arisierungsvorgänge" bemüht. Sie hat Buch- und Namenslisten zusammengestellt und nach den Eigentümern geforscht. Damit war die Bremer SUUB spät dran, möchte man sagen. Dennoch war sie eine der ersten Bibliotheken, die sich überhaupt des Schicksals der "arisierten" Bücher in ihrem Besitz annahm.

"Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren", sagt Jürgen Babendreier von der SUUB heute - und verweist darauf, dass die Suche nach den alten Eigentümern "ausgesprochen schwierig" sei. Obwohl etwa jedes dritte "arisierte" Buch einen Besitzvermerk trägt.

Und so werden mehr als 1.000 Bände nicht zurückgegeben werden können. Vielleicht, so Babendreier, kommen sie statt dessen in eine eigene Bibliothek

taz vom 18.04.2006

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Ein Drittel der Bremer Juden ermordet

Erstmals gibt ein "Erinnerungsbuch" Auskunft über den ganzen Umfang der Judenverfolgung in Bremen.

Das Werk heißt, ganz bescheiden, "Erinnerungsbuch". Auf 280 Seiten werden 3.733 Personen aufgelistet, die in der Nazizeit in Bremen als Juden verfolgt wurden. So detailliert sei bisher in keiner Stadt versucht worden, die einzelnen Schicksale nachzuverfolgen, sagt der Leiter des Staatsarchivs, Konrad Elmshäuser.

Aus dem Band lassen sich nicht nur die Schicksale der jüdischen Familien ersehen. Durch die Adressen ist auch erkennbar, in welcher Straße welche Juden - von der ,arischen' Bevölkerung angeblich unbemerkt - verschwunden sind. Die Historiker hoffen, dass sie von Zeitzeugen oder Nachfahren noch viele Hinweise erhalten, um die Angaben des Buches zu vervollständigen.

Aus den gesammelten Daten lassen sich zudem interessante Statistiken zusammenstellen. So haben 2.156 der Verfolgten überlebt - meist durch Emigration. Einzelne aber auch in Bremen, 24 "Volljuden" sind aus Krankheitsgründen bei Deportationen "zurückgestellt" worden.

60 Prozent der erfassten Personen waren als "mosaischen Glaubens" gekennzeichnet, 33 Prozent waren Protestanten, die von den Nazis aus ,rassischen' Gründen als "Juden" behandelt wurden. Von den 765 ermordeten BremerInnen waren 93 Prozent jüdischen Glaubens. Anders gesagt: Ein Drittel der Bremer Juden sind in der Nazizeit ermordet worden.

Gern würde das Staatsarchiv die entstandene Datenbank um die Namen der aus anderen Gründen verfolgten Bremer erweitern - insbesondere um Sinti und Roma, politisch Verfolgte. Bisher fehlt es dafür aber an einem Sponsor.

Verlag Staatsarchiv, 15 Euro

taz vom 10.11.2006

 

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